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380502 Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig
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Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig


Dem Wunsch F. Ludwigs (Der Nährende) folgend, werde sich Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) mit seiner schwangeren Ehefrau (Juliana Ursula; PA) am morgigen Tage bei F. Ludwig in Köthen einfinden, sofern es der Zustand seiner Gattin erlaube. Nach der Predigt will sich Werder auch F. Ludwigs Vortrag (wohl in Sachen der Fruchtbringenden Gesellschaft) anhören und das Gesagte gebührlich berücksichtigen. Die von Werder korrigierte erste Partie des Christlichen Fürsten werde er mitbringen und gern das nachfolgende Stück zur Durchsicht entgegennehmen. — Der Brief ist auf den Tag nach dem Fest „Mutter Walpers“ datiert. Diese sei zu einer übel beleumundeten Kinderfrau in Dessau geworden, die Werder verdächtige, seine verstorbene erste Frau (Dorothea Catharina) und seine zweite Frau jeweils um eine Leibesfrucht gebracht zu haben. Die Ortsangabe „Reinsdorf aber gar nicht Regensdorff“ spielt auf länger ausgebliebenen Regen an. — Ein abschließendes Wortspiel klärt F. Ludwig auf, daß die Nachrichten des vorliegenden Briefs nicht dessen Boten, sondern ihm selbst zugedacht sind.

Beschreibung der Quelle


Q HM Köthen: V S 544, Bl. 346r–347v [A u. Eingangsvermerk: 347v], 346v u. 347r leer; eigenh.; Sig. — Unvollständig veröffentlicht in KE, 154 (gibt zur Datierung nur den Empfangsvermerk an). Bibliographisch erfaßt in Bürger, S. 954 (o. Nr.).

Anschrift


A Dem Nehrenden Cöthen zuhanden.
Darüber Eingangsvermerk von F. Ludwigs H.: Pres. 2. Maija 1638.

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Auff des Nehrenden begehren bedankt vndt erklärt sich vntengenanter sich [sic] gehorsamlich mit seiner angeleibten Geselschafterin1 , wan es dero Zustandt eben leiden wirdt, zu rechter Zeit, mit Gott, morgen einzustellen, den vortrag, nach eingenommener predigt, in tiefsinnikeit anzuhören, vndt sich gebürlich darauf zubezeigen: Er wirdt auch vnvergessen sein das bey sich habende erste stück von dem Christlichen Fürsten2 mitzubringen, vndt weil er es schon für etzlichen tagen durchlesen, ümb ein anders anzuhalten. Verbleibendea
  Des Nehrenden Dienstwilligster
  Der Vielgekörndte.

Geben an dem tage nach Mutter Walperstage [sic]3 , die itzo in Dessaw gar keine berühmte, sondern übelberüchtigte vndt versoffene, Kinderfraw ist, vndt der schier beygemessen werden wil, das sie meine Selig verstorbene, vndt noch lebendige, Vielgekörndte4 , iede ümb eine junge vielgekörndte Frucht gebracht habe. Reinsdorf aber gar nicht Regensdorff.5 jm jahr 1638.

Nicht dem überbringer, sondern dem übersender ist dis wenige, des empfangs halben, zur nachricht ertheilt worden.6

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a
Gebessert aus April
a
Nur bis hierhin KE.

Kommentar

K Zur Datierung. Da die kurzfristige Ankündigung eines Besuches Diederichs v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) am folgenden Tag nur Sinn gibt, wenn sie rasch, möglichst am Tag der Benachrichtigung zugestellt wurde, da zudem am Schluß explizit von einem Boten F. Ludwigs (Der Nährende) die Rede ist, der die Antwort Werders auf
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die Einladung des Fürsten auf seinem Rückweg nach Köthen mitgenommen haben wird, und da schließlich die geringe Distanz zwischen Reinsdorf und Köthen einen Wechsel von Briefen am selben Tag erlaubte (vgl. etwa 380321 u. 380321A), wird die vorliegende Nachricht am 2. Mai geschrieben worden sein. Letzte Sicherheit bietet dann der Datierungshinweis „an dem tage nach Mutter Walperstage“. Gemeint ist der „Walburgentag, Walpurgendach, Walperntag, Walperdach“, d. i. der 1. Mai. Grotefend I, 203f.; vgl. II.2, 209. Beide Tage sind in den christlichen Festkalendern der seit dem frühen Mittelalter hochverehrten hl. Walburga (Walpurgis) geweiht, wobei der erste Mai ganz überwiegend als Festtag der Apostel Philippus und Jakobus geführt wird. Auch die uns verfügbaren Herlitz-Kalender (Kalender Herlitz 1646 und Kalender Herlitz 1651) führen den 1. Mai (im alten wie neuen Stil) als Festtag dieser beiden Apostel auf, ebenso nennt Stieler, 1322, die „Walpurgisnacht/ vesperae Philippi Jacobi.“ Der von Werder vermutlich benutzte Herlitz-Kalender auf das Jahr 1638 käme bei gleichlautendem Eintrag wie bei seinen Nachfolgern von 1646 und 1651 also nicht als unmittelbare Quelle für Werders Datierungsformel in Betracht. Vgl. unten Anm. 3; ferner Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, s. v. „Walburga, Heilige“; Catholic Encyclopedia (http://www.newadvent.org/cathen/15526b.htm); HWDA VII, 11f., IX, 83ff.; Ökumenisches Heiligenlexikon; RGG VI, 1543; Otto Wimmer/ Hartmann Melzer: Lexikon der Namen und Heiligen. Innsbruck u. Wien 1984, 842f.
1
Die schwangere Gattin Diederichs v. dem Werder, (Juliana) Ursula, geb. v. Peblis, verw. v. Krosigk (PA) († 1655), die er 1629 in zweiter Ehe geheiratet hatte. S. 310800 K 3. In 380522A hofft F. Ludwig, bald von einer glücklichen Entbindung zu erfahren. Aus Werders zweiter Ehe ging, so meldet es die Leichenpredigt auf ihn, nur ein Töchterchen hervor, „so aber bald nach der Geburt wieder verstorben“ sei, so daß sein Sohn Paris (FG 339. 1639) aus erster Ehe (s. Anm. 4) das einzige den Vater überlebende Kind blieb. Godofredus Colerus: Der Vom Vater gegebene/ Vom Sohne ausgeführete/ Und vom H. Geiste versiegelte Raht des Heils/ Bey Hochansehnlicher Leichbestattung ... Dieterichs von dem Werder ... Welcher am 18. Decembris des 1657ten Jahres auf seinem Adelichen Hause Neu-Rheinsdorff ... entschlaffen (Cöthen [1658]; HAB: Xa 1: 47 [19]), Bl. L r. Die hier genannte Schwangerschaft Ursulas muß sich auf das auch bei Beckmann VII, 289 namentlich nicht genannte früh verstorbene Töchterchen beziehen. Vgl. dazu 380522A u. 380522B. — Angeleibt heißt hier: mit angeschwollenem Leib. Stieler, 1132: „Leiben/ propr. corpus habere; corporeum esse [...].“ Das einstige Verb „leiben“, bedeutend leben, einen Leib bilden, ist heute nur noch in der Formel „wie er/ sie leibt und lebt“ erhalten. Die Beschaffenheit des Körpers zeigte einst das Partizip Perfekt mit Attribut an, etwa „grosz geleibt“ (von großer Gestalt) oder „wol geleibt“ (gut genährt); ähnlich das Adjektiv „leibig“ (wohlgenährt). S. DW VI, 594; Paul Wb., 603. Das Kompositum anleiben/ angeleibt hingegen scheint in der historischen Lexikographie des Deutschen bislang nicht belegt zu sein. — Zur Praxis innerhalb der FG, den Frauen die Gesellschaftsnamen der Ehemänner beizulegen, vgl. 371110 K 8.
2
Ein auf dem Spanischen des Antonio de Guevara beruhender italienischer Fürstenspiegel, den F. Christian II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51) übersetzt hatte: Die Vnterweisung Eines Christlichen Fürsten/ Aus dem Spanischen ins Jtaliänische erstlich übergesetzt/ Durch MAMBRINUM ROSEUM von Fabriano, Vor Jahren verdeutschet durch ein Mitglied der Fruchtbringenden Geselschaft/ Vnd anetzo im Druck gegeben (Cöthen 1639). Vgl. 371027 K 4 u. 5. Im Briefwechsel zwischen Werder und F. Ludwig, soweit erhalten, war bislang noch nicht von einer Korrekturdurchsicht dieses Werkes durch Werder die Rede. Vgl. aber 380522A u. 380522B.
3
„Walper“, volkstümliche Entstellung des Namens der hl. Walpurgis/ Walburga, weist hier auf Gebräuche, die mit dem 1. Mai als Walpurgis- oder „Walpertag“ in Verbindung stehen, wie Walperabend, Walperbaum (für Maibaum), Walpertanz, Walperzug. Das verbum „walpern“ bedeutet „in der Walpurgisnacht als hexe mit den andern he-
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xen tanzen“ usw. DW XIII, 1322, vgl. 1321f. Der 1. Mai war im germanischen Altertum von großer Bedeutung als Gerichtstag und als Festtag zum Beginn des Sommers mit Umzügen, Feld- und Waldkulten. Dann waren die Geister los, die mit heiligen Feuern gebändigt werden sollten. Vgl. DW 1323f. (s. v. „Walpurgisabend“, „Walpurgisnacht“ u. „Walpurgistag“); HWDA V, 1542ff. (s. v. „Maitag“); RGG VI, 1543; Wimmer/ Melzer (s. Anm. 0), 843. — Ob jene übel beleumundete Dessauer Kinderfrau, die Werder „Mutter Walper“ nennt und eines verhängnisvollen Zaubers verdächtigt, tatsächlich Walburga hieß, oder ob der Name Walburga im frühen 17. Jahrhundert als Synonym für Hexe/ Zauberin und daher von Werder hier als Anspielung auf eine Kinderfrau ganz anderen Namens gebraucht wurde, müssen wir auf sich gestellt sein lassen. Auffällig jedoch, wie stark auch bei einem vielfältig gebildeten, erfahrenen deutschen Reformierten wie Werder der Glaube an übernatürlichen Zauber verankert war. Vgl. dazu Herz: Tagebücher F. Christians II., 985 u. 1027.
4
Werders erste Gattin Dorothea Catharina, geb. v. Waldow (1600–1625), die er am 21. 6. 1618 geehelicht hatte. Vgl. seine Leichenpredigt (s. Anm. 1), Bl. K iij vf.; Beckmann VII, 289. Von ihren fünf Kindern lebten bei ihrem Tode noch ein Sohn (Paris, s. Anm. 1) und eine Tochter. Dorothea Catharina starb am 12. 2. 1625, während einer Gesandtschaftsreise ihres Gatten zum Kurfürsten v. Brandenburg, anscheinend während oder kurz nach einer Geburt, die auch das Kind nicht überlebte. In seiner auf die Verstorbene verfaßten Trauerdichtung Selbst eigene Gottselige Thränen (Zerbst 1625; s. 250413 I; vgl. Dünnhaupt: Handbuch, 4252f. [=Art. Werder, Nr. 1]) heißt es nämlich u. a. „So habt ihr mir auch hier zwey schöne Pfläntzelein | Zum trost gelassen noch/ ein Sohn vnd Töchterlein/ | Zwey liebe werthe pfandt/ die Gott geleit vnd führe/ | Vnd mit seim guten Geist zu seiner Ehr regiere. | Zwey sein schon für euch hin in hoher Seeligkeit/ | Das fünft habt in dem arm ihr bey euch an der Seit.” (Bl. Bijr; DA Köthen I. 1, S. 393). Man wird annehmen dürfen, daß es sich bei diesem Kind um ein Neugeborenes handelte. Vgl. auch 371031 K I 0. — Zu Werders zweiter Gemahlin (Juliana) Ursula s. Anm. 1. Werders Verdacht müßte auf eine frühere Schwangerschaft derselben Bezug nehmen, von welcher nichts bekannt ist — vielleicht, weil der Embryo in einem frühen Stadium starb.
5
Der im Frühsommer 1638 ausbleibende Regen blieb eine Zeitlang Thema der Korrespondenz zwischen Werder und F. Ludwig und inspirierte Werder sogar zu einem manieristischen Capriccio. S. 380509A; vgl. 380522A, 380522B, 380602 u. 380608A. Auch F. Christian II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51) fürchtete bereits Mitte April aufgrund fehlender Niederschläge eine Mißernte. Vgl. Christian: Tageb. XIV, 579r (17. 4. 1638). Am 21. 4. gab es etwas, aber zu wenig Regen: „der getrewe Gott wolle vnß mildiglich segenen, nach so vielfältig außgestandenem, doch von seiner vätterlichen handt wol verdientem elendt, vngemach, Mißwachs, sterben, kriegspreßuren, vndt dergleichen landtplagen.“ (581r). Anfang Mai kam eine Hitze wie in den Hundstagen hinzu; die Saale fiel auf einen Tiefstand, so daß man hindurchreiten konnte (vgl. 588v ff.; 5., 6., 7. u. 9. Mai 1638). Am 10. 5. regnete es endlich ausreichend, jedenfalls im Bernburgischen (592v). Jedoch auch danach blieb es zu trocken (Christian: Tageb. XV, 4v, 6v, 11v u. ö.).
6
Wortspiel. F. Ludwig muß in dem vorausgegangenen (verlorenen) Brief Werder gebeten haben, dem Überbringer, also Boten, seine Antwort direkt mitzuteilen. Werder adressiert sie mit Nachdruck an den Übersender, also F. Ludwig.

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