Text

381105 Christian Gueintz an Fürst Ludwig
[Inhaltsverzeichnis]
|| [723]

381105

Christian Gueintz an Fürst Ludwig


Christian Gueintz (FG 361. 1641) stellt F. Ludwig, der die deutsche Sprache reguliere, in eine Reihe mit Monarchen, die ungeachtet ihrer großen politischen Verrichtungen sich auch in ihrer Muttersprache bemüht (Julius Caesar), ihre Sprache in Grammatik, Poesie und Wortschatz gefördert (Karl d. Gr.) und allgemein die Musen geliebt haben — wie Konradin von Schwaben und ein Ahne Ludwigs, ein Fürst von Askanien. Der Fürst der deutschen Poeten, Martin Opitz (FG 200), habe schon verkündigt und dem Gedächtnis einverleibt, welche Großtaten F. Ludwig mit der Fruchtbringenden Gesellschaft und der Verdeutschung des Sieur Du Bartas (durch Tobias Hübner, FG 25) verrichtet habe. — Gueintz sei nun einem Befehl und Ersuchen des Fürsten gefolgt und unterbreite ihm einen Entwurf, der eine Nachricht und einen Anlaß zu einer richtigen Deutschen Sprachlehre bieten könne. F. Ludwig möge im übrigen anderen Fürsten und Potentaten die Tapferkeit, Treue, Redlichkeit und Wachsamkeit der Deutschen dartun.

Beschreibung der Quelle


Q HM Köthen: VS 545, Bl. 134rv u. 136rv [A: 134v], 134r leer; Schreiberh. mit eigenh. Datierung und Unterschrift; Sig. [Handschrift: [134r]] — Bis auf die Schlußkurialie veröffentlicht in KE, 243f. Bibliographisch erfaßt in Bürger, S. 634 Nr. 1.

Anschrift


A Dem Durchleuchtigen, hochgebornen Fürsten vnd Herrn, Herrn Ludwigen, Fürsten zu Anhalt, Grafen zu Ascanien vnd Ballenstedt, Herrn zu Zerbst vnd bernburg etc. Meinem gnädigen Fürsten vnd herrn.

Text


Durchleuchtiger Hochgeborner, gnädiger Fürst vnd Herr.
Groß ist das erste haubt der vierdten Monarchy, Julius Cæsar,1 so durch unzehliche kriege sich erhoben, vnd mit regierung der welt belästiget gewesen; hat aber doch sich in seiner Muttersprache, davon er etliche bücher geschrieben,
|| [724]
bemühet. Größer ist Carolus der Große, der von den Griechen des [sic] Reichs Scepter vnd deßen hoheit auf die Deutschen gebracht; vnd hat dennoch von seiner sprach den Deutschen eine Grammatic oder Vnterweisung selbsten, wie die Geschichtschreiber melden, neben der Poësy, verfertiget; den tagen in der wochen, vnd den Monaten, wie bekant, Deutsche Namen gegeben.2 Cunrad, Römischer König, E. Fürstl. Gn. VhrAnherr, ein Fürst von Ascanien, hat, neben den Ritterspielen, die Musen hoch geliebt.a 3 Hoher Prinzen hohes beginnen; großer Potentaten mit der Welt gleich bleibende wercke, die sich vnter den sterblichen, neben andern, vnsterblich gemacht haben. Wan nun, durchleuchtiger hochgeborner gnädiger Fürst vnd Herr, E. Fürstl. Gn. nicht allein in gleichen folgen: sondern auch vnser Muttersprache zu einer richtigkeit zu bringen sich rühmlich angelegen sein laßen, Waß thun sie anders, als daß sie clärlich anzeigen, E. Fürstl. Gn. sein gleiches großen Geistes vnd Fürstlichen gemüths? Die Welt rühmet schon längst, vnd verwundert sich darob höchlich, waß E. Fürstl. Gn. in der sprache durch den Deutschen Bartas4 , vnd durch die Fruchtbringende Gesellschafft, neben andern, verrichtet. Der gelehrten feder, vnd der Deutschen Poeten Fürst [136v] Opitius hats offentlich verkündiget, vnd der ewigkeit einverleibet.
   Wan dan E. Fürstl. Gn. sothanen ruhm billig erhalten, habe ich, nach meiner wenigkeit, wiewohl durch Vnterweisung der Jugend offt verhindert, geschehenem Befehl vnd gnädigen suchen möglichst gehorsamet, vnd, waß zu einer richtigen Deutschen Sprachlehr5 nachricht vnd anlas geben möchte, E. Fürstl. Gn. darstellen wollen, Mich erfrewende, da ich in mehrern meine schuldigkeit erweisen könte. Vnterdeßen vnterthänig bittend, es wolten E. Fürst. Gn. ferner der Deutschen tapfferkeit, trew, redligkeit, vnd vnverdroßene wachsamkeit, Fürstlichen gemüthern vnd hohen Potentaten zeigen, vnd mein gnädiger Herr verbleiben, verpflichtet ist zeit lebens zu sein
  E. Fürstl. Gn. vnterthäniger gehorsamer Diener
  Christianusb Gueintzius
  Hall den 5 Novembris 1638.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a
Die irreführende Zeichensetzung in diesem Satz gibt KE, 244 ohne klärenden Hinweis wieder. S. K 3.
b
Von hier an eigenhändig.

Kommentar

K
1
Der hallische Gymnasialrektor Christian Gueintz (FG 361. 1641), den F. Ludwig schon 1619–1622 als Griechischlehrer und bei der Abfassung zweier griech. bzw. dt. Schulbücher des Köthener ratichianischen Schul- und Bildungsprojekts beschäftigt hatte (s. Conermann III, 415–417; Conermann: Fürstl. Offizin, Anm. 25f., 70, 84, 103 u. S. 145), ahmte in diesem Schreiben, wie er unten (Anm. 3) andeutet, Martin Opitz’ (FG 200) Widmungsbrief an F. Ludwig (s. 250700 I) nach, in dem er diesen in die lange Reihe römischer Caesaren, deutscher Kaiser und anderer Mäzene und hochrangiger Schriftsteller als Söhne oder Förderer der Musen eingeordnet hatte.
2
Nach Einhards Vita Karoli Magni hat Ks. Karl d. Gr. eine dem Anspruch nach gültige deutsche Namenreihe für die Monate festgesetzt: Wintarmânoth, Hornunc, Lenzinmânoth, Ôstarmânoth, Wunnimânoth, Brâchmânoth, Hewimânoth, Aranmânoth, Wi-
|| [725]
tumânoth, Windumemânoth, Herbistmânoth u. Heilagmânoth. Diese Reihe gab in der Tat die Grundlage der weiteren dt. Monatsnamengebung ab, landschaftliche Abweichungen und Änderungen in Rechnung gestellt. Vgl. Karl Weinhold: Die deutschen Monatsnamen. Halle 1869, 5ff.; ferner 250700 I, S. 433 u. K 62.
3
Die Wiedergabe der Passage in Martin Opitz’ (FG 200) Widmungsbrief an F. Ludwig ist von Gueintz und vielleicht zusätzlich von seinem Schreiber verderbt worden. S. 250700 S. 433: „Hiervon werden gelobet Keyser Heinrich Barbarossa/ Kunrath Römischer König/ Ewer Fürstlichen Gnaden Vorfahren einer ein Fürst von Ascanien/ Marggraff Otto von Brandenburg/ Hertzog Heinrich von Breslaw/ Marggraff Heinrich von Meissen/ ein Marggraff von Hochburg/ Kunrath Graff von Kirchberg/ Friedrich Graff von Leiningen/ Vlrich Freyherr von Gutenberg/ vnd sonsten viel Helden vnd Ritter/ derer Sachen wol zum theil noch möchten verhanden seyn/ wann man in Klöstern vnd sonsten die Bücher auffschlüge.“ Es handelt sich um adlige Minnesänger aus der Großen Heidelberger Liederhandschrift, z. B. den letzten Staufer Kg. Konradin Hz. v. Schwaben (1252–1268) und den nicht damit verwandten gefürsteten Gf. Heinrich I. v. Anhalt (um 1170–1251/52), s. 250700 K 65f. Die Zeichensetzung des Gueintz-Briefs verhüllt durch die scheinbare Apposition, daß es sich bei den beiden Genannten um verschiedene Personen handelt.
4
Die Lehrdichtung des Guillaume de Saluste sieur Du Bartas über die Schöpfung der Erde, Les Sepmaines, welche Tobias Hübner (FG 25) in kunstreiche deutsche Welschverse übersetzt (1619–1631) und noch vor seinem Tode z. Tl. revidiert hatte. F. Ludwig ließ dieses für die neue deutsche Kunstdichtung und die FG zunächst maßgebliche Werk teilweise auf seiner Köthener Presse drucken und überarbeitete es zusammen mit Diederich v. dem Werder (FG 31) für eine Köthener Neuausgabe (1640). S. 310000 Q, vgl. 380608A K 5.
5
„Die Deutsche Sprach lehr zur Lehr art verfertiget“, Gueintz’ Manuskript in LHA Sa.-Anh./ Dessau: Abt. Köthen C 18 Nr. 55; 99 Bl. F. Ludwig sandte Abschriften dieses für die FG wichtigen Werks einigen literarisch oder sprachlich besonders versierten Mitgliedern zum Zwecke der Verbesserung und einer sprachlichen Konsensbildung. Vgl. 371027 K 5, 371226A K 6, 381116A, 381218, 390114, 390514, 390807, 400000, 400122, 400214, 400301, 400314, 400328, 401109, 410208A, 410328, 410714 u. ö. Das revidierte Werk erschien u. d. T.: Christian Gueintzen/ | Deutscher | Sprachlehre | Entwurf. | [Holzschnitt-Vignette] | Gedruckt zu Cöthen im Fürsten- | thume Anhalt/ | [Linie] | Jm Jahre CHRisti 1641. 8°; vgl. IP, 331r u. 334v; HAB: Ko 209(1); STB Berlin — PK: an: Ya 5941; UB Braunschweig: Li 2600; SLB Dresden: Ling.Germ.rec.155,1; ULB Halle: Db 1571; TULB Jena: 8 Gl.IX,18; Württemberg. LB Stuttgart: Phil. oct. 4311; HAAB Weimar: 40, 6 : 103. Nachdr. Hildesheim, New York 1978 (Documenta linguistica. Reihe 5) nach dem Expl. der Württemberg. LB Stuttgart. Vgl. Die Deütsche GRAMMATICA oder Sprachkunst/ auß Denen bey dieser Zeit gedruckten Grammaticis, vornemlichen JOHANNIS CLAII/ Hertzb. Anno 1589. VINARIENSIS zum newen Methodo Ao. 1618. CHRIST. GVEINTZII R. Hal: Ao. 1641. 24. Mart. JUSTI GEORG: SCHOTTELII: Ao. 1641. 6. Jul. zusammen getragen ... von JOHANNE GIRBERTO GYMNASIARCHâ p. t. Jn des Heil: Röm: ReichsStadt: Mülhausen in Düringen: Anno 1653. ... Typis JOHANNIS HÜTERI. HAB: P 576b.2° Helmst. (5). Vgl. Gottfried Olearius: Des himmlischen Weinstocks Fruchtbringender Reben Saft und Kraft (Oelschläglische Erben: Hall in Sachsen 1650), LP Stolberg 10691 auf Gueintz in HAB; Godofredus Ludovicus: HISTORIA RECTORVM ET GYMNASIORVM SCHOLARVMQVE CELEBRIORVM, s. Schul-Historie. Partes I–V (Lipsiae: Haered. Lanckisii 1708–1718), hier II, 41–51 u. V, 339–342; Conermann III, 415–417; Conermann: Ludwig und Christian II. von Anhalt, 399–402; Ulrich Maché: Christian Gueintz. In: Literatur-Lexikon IV, 410f.; Gardt: Sprachreflexion, 115f., 374ff. u. ö.; Claudine Moulin-Frankhänel: Bibliographie der deutschen Grammatiken und Orthographielehren. 2 Bde. Heidelberg
|| [726]
|| [727]
1994–97; Hundt: Spracharbeit; Jellinek: Nhd. Grammatik; Jones: Purismus, 195–198; Robert L. Kyes: Grammar and Grammars in Seventeenth Century Germany: The Case of Christian Gueintz. In: Insights in Germanic Linguistics, edd. Irmengard Rauch/ Gerald F. Carr. I: Methodology in Transition. Berlin, New York 1995, 185–202; Yoshihiko Nishimato: Zum Begriff „endannemung” in der Grammatik von Ch. Gueintz. In: Gesellschaft, Kommunikation und Sprache Deutschlands in der frühen Neuzeit. Studien des Deutsch-Japanischen Arbeitskreises für Frühneuhochdeutschforschung. Hg. K. J. Mattheier u. a. München 1997, 279–286; Takada: Grammatik und Sprachwirklichkeit, passim; Hiroyuki Takada: Eine vergleichende Unterweisung der beiden barocken Grammatiken von Ch. Gueintz und J. G. Schottel. In: Doitsu-Bungaku-ronkô. Forschungsberichte zur Germanistik 23 (1981), 41–60; ders.: Orthographische Vorschrift und Praxis im Barock. Zum Anteil der Grammatik an schriftsprachlichen Norm. In: Zs. f. deutsche Philologie 116 (1997), 69–89.

XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000214/briefe/381105.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000214/tei-transcript.xsl
PDF: http://diglib.hab.de/edoc/ed000214/download/381105 .pdf