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381218 Fürst Ludwig an Martin Opitz
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Fürst Ludwig an Martin Opitz


Antwort auf 381116, beantwortet durch 390310 (?). — F. Ludwig (Der Nährende) ist erfreut, daß Martin Opitz v. Boberfeld (FG 200) seine „Erinnerungen” über dessen Psalmen Davids gut aufgenommen hat. Er widerspricht Opitz’ Ansicht, daß die Beispielwörter Augapfel und Rohrdummel lateinischen Daktylen glichen, und zerlegt die Zusammensetzungen in zwei lange und eine kurze Silbe. — F. Ludwig korrigiert drei Verse aus Opitz’ Weihnachtslied „Von Morgen da die Sonn’ en[t]steht”. Er erwartet mit Spannung den Druck des Gesangs ebenso wie den des von Opitz angekündigten lateinisch-deutschen Florilegii variorvm epigrammatvm liber. — Der Fürst erkundigt sich, ob und zu welchem Zeitpunkt er Opitz das Manuskript Deutscher Sprachlehre Entwurf (von Christian Gueintz. FG 361. 1641) zur freimütigen Durchsicht senden könne. — Er erbittet von Opitz auch eine Kritik an seiner biblischen Lehrdichtung Das Buch Hiob, die er ihm von der Neujahrsmesse nach Breslau senden will. Opitz habe die ersten zwei Bogen des Werks schon vordem durch Friedrich v. Schilling (FG 21. Der Langsame) handschriftlich empfangen. Sollte der Gekrönte es für ein nützliches Buch halten, bietet der Fürst ihm an, auf der bevorstehenden Ostermesse 30 Exemplare nach Hamburg oder Breslau zwecks Verteilung an Freunde und Bekannte zu übermachen. Erklärend setzt Ludwig hinzu, von dem Werk seien nur 200 Exemplare gedruckt worden. Er weist in diesem Zusammenhang auch auf seinen Psalter hin, der in gleicher Gestalt gedichtet sei, z. B. die Inhaltsangabe jedes Psalms in der Reimordnung einer Stanze. Opitz könne künftig auch dieses Werk erhalten. — F. Ludwig bedankt sich für Opitz’ Glückwunsch zur Geburt seines Sohns (Pz. Wilhelm Ludwig. FG 358. 1641).

Beschreibung der Quelle


Q HM Köthen: V S 544, Bl. 293r–294v, 294v leer; eigenh. Konzept. Für Bl. 294 benutzte F. Ludwig ein auf der Vorderseite schon von fremder H. beschriebenes Blatt: quergeschriebenes „Ferner x 6“ und drei quergeschriebene, eingekreiste Buchstaben: „n. R. K.“ Der innere Seitenrand ist durch eine Linie vom Brieftext getrennt. [Handschrift: [293r]] — Brief veröffentlicht in KE, 132–134 (mit Auslassung vieler Wörter und Passagen); KL III, 111–113 (ebenfalls gekürzt). Bibliographisch erfaßt in Szyrocki (1956), 205; Opitz-Brieferepertorium, Nr. 255; Bürger, S. 952 Nr. 97.

Anschrift


A Fehlt.

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Vom gekrönten ist dem Nehrenden die antwortt am 16/ 26 wintermonatsa 1 gegeben gestriges abendts dieses orts woll eingehendigett worden. Das die wollge-
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meinte erinnerungen also auch auffgenommen worden,2 erfreuet sich der Nehrende, und beduncket ihme darneben es seyen die beyde angezogene worter3 Aūgāpffĕll,b und Rōhrdūmmĕl, oder Rōhrdrūmmĕll nicht von denen in latein genanten Dactylis: Aus folgender ursache: diec zuerwegen das wie Aūg’ und Rōhr fur sich selbst lang seindt, also Āpffell und Drōmmell die ersten silben nachd dem Thonee auch lang, und was einmall lang in denf wörtern und bey der aussprache ist, kang nicht wieder kurtzh werdeni , es muste dan gezwungen sein, welches unsererj sprachen artt und naturlichen ausrede zu widerleufftt. Den ins deutsche gesetzten weinachtgesang A Solis ortus cardine4 hatt der Nehrende mitt sondrer anmutt gelesen: Wiewoll, bittett aber umb verzeihung, dieses weinige darbey vermelden wollen, das im andern gesetzlein anderer reyen es etwa also auch stehen konte
  Legt an ein sterblich knechtes kleidt
Jm dritten gesetzlein vierter reyen besser
  Das ihrem hertzen woll bekantt oder
  Dask
den sie die Mutter gottes durch den glauben gewust das sie Christum empfan-
gen hatte, inmaßen sie sich durch denselben gottes willenl in der antwortt an
den Engell Gabriell ergiebett undm die empfengnus glaubett
[293v] Weitter ein garh schlechtes und fast nichts wurdiges im 7. gesetzlein er-
ster reyen
  Drob freuet sich der himmell ziehr.
Und wolle der gekrönte jo nichtn dafurhalten, das aus sonderlichem fursatz zu
wiedersprechen, odero zu griebeln dergleichen erinnerungen geschehen, son-
dern viellmehr darumb das so viell immer muglich man desto reiner und frucht-
barlicher reden möge:
  Das buch der Griechischen und lateinischen Epigrammatum sop 5 unter der
druckpresseq wie auch was von diesem gesange weiter erwehnet, hatt dem Neh-
renden auch ein sonderliches verlangen gemacht solches mitt dem hinzugesetz-
ten deutschenr zu sehen, und wird es mitt gelegenheitt erwarten.
  Es ist ein deutsche Sprachlehre6 auffgesetzt, welche dem gekrönten fur dem
druck mittzutheilen, seiner hochverstendigen erinnerungen wegen, fur gutt an-
gesehen, wan er sich mitt deren ubersehungs beyt andern geschefften wolte bele-
gen lassen.
  Undh wolle er sich derhalben unbeschwerth erkleren, wie bald er sich darzu
abmussigen könte, und wan sie ihme zu uberschicken were.
  Bey diesem Neu Jharesmarcku soll ihme auff Bresslau ein stuck von dem inv
deutsche Reime uber gesetzten und nuhn mehr gedruckten buchew des Jobs, da-
vonx er fur diesem die ersten zwey bogen iny schriften vom weiland dem langsa-
men empfangen,7 uberschickett werden[,] darbey gebetten wirdt, wie bey sei-
nem Psalter geschehen, er auch aldarz , wo ferne es ihme nicht zu muhsam, seine
erinnerungen ungescheuet thun wolle, und solche mitt gelegenheitt ubersen-
denaa .
  [294r] Sollte er auch dieses werglein also befinden das esh andernab nutz-
lichac mittzutheilen, ist der Nehrende erböttig, davon mitt dem OsterMarckt
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entweder uff Hamburg oder Bresslau ein dreissig stucke, fur gutte freunde und
bekante ihmeh lassen zuzukommen, den ihrer nur zweyhundertt gedruckett
seindt.
  Es ist auch der Psalterad 8 auff diese artt verfertigett, Von des etzlicher Psal-
men inhalt in ein achtzeiliges dreymall geschrancktes, und zu letzt menlich sich
endendes gesetz gebrachtt,9 davon ins kunftige beliebige mittheilung erfolgen
kan, Auff das der Gekronte sehe, wieae man dieses ortsaf zu ausubung unserer
deutschen landt spracheag auchah noch gefliessen.
  Für den emfangene[n] gutten wuntsch vom gekronten, zu des Nehrenden
Söhnlein10 bedanckett sich derselbe bestes fleisses, verspurett daraus seine be-
stendige wollgewogenheitt, und verbleibett hingegenh Sein
  des Gekrönten gantzwilliger gesellschafter
  der Nehrende.
  Cöthen 18./ 28. Christmonats 1638

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a
winter eingefügt über <des Christ>
b
Folgt <und>
c
die zuerwegen am Rand ergänzt.
d
Wortreihenfolge bis Thone durch Ziffern über den Wörtern umgestellt.
e
Folgt <seindt>
f
Bis bey ohne Einschaltzeichen ergänzt.
g
Eingefügt, folgt <kurtz ungezwungen>
h
Eingefügt.
i
Folgt <kan>
j
Eingefügt für <dan der>
k
Folgt <Unserm hertzen unbekandt>
l
Bis ergiebett eingefügt. in aus <so>
m
Folgt <ergibtt und>
n
Folgt <etwan>
o
Folgt <in etwas>
p
Bis erwehnet, eingefügt.
q
Folgt <ist>
r
Am Rand ergänzt <und lateinischen>
s
Folgt <wolte>
t
Bis wolte eingefügt.
u
Sic.
v
Bis mehr eingefügt.
w
buche des eingefügt.
x
Folgt <er etwa> mit eingefügtem <ihme>
y
Bis empfangen, eingefügt. Im Haupttext folgt <schriftlich zukommen,> Vgl. Anm. x.
z
Aus alhier
aa
Gebessert aus ubergheben
ab
Folgt <mitt>
ac
Gebessert aus nutzen
ad
Folgt <fast>
ae
wie man über <man> eingefügt.
af
Folgt <man>
ag
Folgt <nachmal>
ah
auch noch eingefügt.

Kommentar

K
1
Der vorliegende Brief ist die Antwort F. Ludwigs v. Anhalt-Köthen (Der Nährende) auf Martin Opitz’ v. Boberfeld (FG 200. Der Gekrönte) Schreiben 381116.
2
Die Kritik F. Ludwigs an Opitz’ Psalmliedern: Die Psalmen Davids Nach den Frantzösischen Weisen gesetzt. Durch Martin Opitzen (Dantzigk: Andreas Hünefeldt 1637), 380828 u. I. Vgl. 371030 K 4, 380402, 380411, 380625 u. 381116.
3
Opitz hatte diese Beispiele in 381116 angeführt, wobei er auch eine Verbesserung F. Ludwigs zu Ps. 102 in 380828 I (s. dort K 52) aufgriff. Opitz wollte diese Beispiele auch gewählt haben, weil nach seinem Befinden andere Mitglieder der Gesellschaft solche „reine vndt helle Dactili“ ebenfalls benutzt hätten.
4
„Von Morgen da die Sonn’ en[t]steht“, s. 381116 I. In den folgenden Verbesserungen korrigiert F. Ludwig Opitz nicht nur dogmatisch in der Aussage „woll bekantt“, sondern auch prosodisch durch die Vermeidung der Synkope „sterblichs“ in „sterblich“ und sogar metrisch durch Glättung des jambisch alternierenden Verses („Drob freuet“).
5
Florilegii variorvm epigrammatvm liber vnvs Mart. Opitius ex vetustis ac recentioribus Poëtis congessit, et versibus Germanicis reddidit (Gedani: Typis ac sumptibus Andreae Hünefeldii 1639), daran gebunden: Florilegii variorvm epigrammatvm liber alter usw. S. 381116 K 7.
6
Christian Gueintz’ (FG 361. 1641. Der Ordnende) Manuskript in LHA Sa.-Anh./ Dessau: Abt. Köthen C 18 Nr. 55: „Die Deutsche Sprach lehr zur Lehr art verfertiget“,
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99 Bl. F. Ludwig sandte Abschriften dieses für die FG wichtigen Werks einigen literarisch oder sprachlich besonders versierten Mitgliedern zum Zwecke der Verbesserung und einer sprachlichen Konsensbildung. Vgl. 390114, 390514, 390807, 400122, 400214, 400301, 400314, 400328, 401109, 410208A, 410328, 410714 u. ö. Das revidierte Werk erschien u. d. T.: Christian Gueintzen/ Deutscher Sprachlehre Entwurf. Gedruckt zu Cöthen im Fürstenthume Anhalt/ Jm Jahre CHRisti 1641. S. 381105 K 5. Vgl. F. Ludwigs Schreiben 381116A an Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörndte), den er auch um Durchsicht bat. Über seinen Plan, das Buch Opitz zu unterbreiten, bemerkte der Fürst: „Der Scribent ist zwart zu frieden das man sie dem gekrönten auch zufertige, ich fürchte aber, wan sie nicht zuvor in etwas besser durchzogen, sonderlich der Kunstwörter halber, er dürfte wenig vergnügung dran haben.“ F. Ludwig übersandte Opitz das Werk erst zusammen mit seinem Brief 390514. Es konnte von Opitz vor seinem frühen Tod im August 1639 nicht mehr durchgesehen werden.
7
F. Ludwigs Lehrdichtung u. d. T.: Das Buch Hiob/ Nach der Hebreischen Grundsprache Gottsfürchtiger vnd gelehrter Lehrer Auslegung: Jn zwölf vnd dreyzehen silbige deutsche Reime gesetzt/ Sampt den Jnhalt des gantzen Buchs/ Vnd Einer kurtzen erzehlung/ wer dieser heilige Mann gewesen/ vnd zu welcher zeit er gelebet. Die Jnhalte seind bey jedem Capittel anfangs in ein vierzeiliches gesetz/ Die Lehren aber zu ende deßelben in sechs zeilige gesetze verfaßet. (Johann Röhner: Wittenberg 1638). HAB: 235.9 Th. (1). S. 381007 K 7. Der Brief, mit dem der am 9. 10. 1637 verstorbene Hofmeister F. Ludwigs, Friedrich v. Schilling (FG 21. Der Langsame), Opitz Teile dieses Werks offenbar zur Durchsicht vor der Veröffentlichung übersandt hatte, ist verschollen. F. Ludwig schickte Opitz sein Buch zusammen mit seinem Brief 381224. — F. Ludwig mag Herrn Hans Georg v. Wartenberg (FG 143) bald nach seinem Brief an denselben (381007) dieses Werk zusammen mit der folgenden kleinen Sammlung gesandt haben, die etwa zur selben Zeit wie Das Buch Hiob erschien: Geistliche Lieder vnd Psalmen. Gedruckt im jahr 1638. LHA Sa.-Anh./ Dessau: Abt. Köthen A 9a Nr. 167, Bl. 74r–80v u. 1 unfol. leeres Bl. (2. Expl.: Bl. 81r–87v u. 1). S. 381007 K 7.
8
F. Ludwigs nie gedruckte biblische Dichtung „Der gantze Psalter da bey Jedem Psalm 1) der Jnhalt 2) der Psalm 3. Nützliche Lehren aus denselben in Teutzsche Verse gebracht durch den durchl: Fürst Ludwigen von Anhalt etc. den Urheber der Fruchtbringenden Gesellschafft. alles hier mit eignen hefften, u. hand selbst geschrieben, wie ein Jeder der deßen hand sonst gesehen gleich erkennen kan.“ Eigenh. Manuskript im HM Köthen: V S 673 (unvollständig: datiert 10. 12. 1631); vom Fürsten bis zum 18. 12. 1638 korrigierte Abschrift (alle 150 Psalmen) im LHA Sa.-Anh./ Dessau: Abt. Bernburg C 17 Nr. 202. S. 380522A K 1. Wie der Hiob ist auch der Psalter Teil eines verschiedene Bücher des Alten Testaments umfassenden großen poetischen Bibelwerks des Fürsten. F. Ludwig pflegte u. a. auch Diederich v. dem Werder seine eigenen ungedruckten Werke und solche anderer Mitglieder der Akademie zur Durchsicht zuzusenden.Im erhaltenen Briefwechsel zwischen Opitz und F. Ludwig ist hinfort von dessen Psalter nicht mehr die Rede.
9
Die Dichtung des Hiob gliedert sich bei jedem Kapitel in „Jnhalt“ (Alexandriner, abab), „Schrift“ (Auslegung in paarreimigen Alexandrinern) und „Lehren“ (sechsversige Alexandinerstrophen, abbacc). Die gleiche Struktur wie die „Schrift“ weist auch auf „Eingang vnd Vorrede vber das Buch Job.“ Eine jeweils achtzeilige Strophe (,Gesetz’) wie im Brief beschrieben tritt — bei sonst gleichartiger Form und Gliederung — im Psalter an die Stelle der Inhaltsangabe im Hiob. Dies gilt auch für F. Ludwigs Sprüche Salomonis (HM Köthen, keine moderne Sign., alte Signaturgruppe: Zu 239 Xq). Vgl. dazu Conermann: Ludwig und Christian II. von Anhalt, 412 u. 415–419. Die schon in seiner Tasso-Übertragung (1626) von Werder geübte Kunst einer deutschen, in Alexandrinern geschriebenen Stanze (Ottaverime), die der Vielgekörnte zusammen mit F. Ludwig seit 1639 auch zur stanzenähnlichen Umdichtung (a/m, b/w, a/m, b/w, a/m, b/w, c/m, c/
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m; Alexandriner) der paarreimigen Achtzeiler des älteren Gesellschaftsbuchs anwandte (vgl. 370113 K 2; GB1641, GB 1641/44, GB1646), findet in der Dichtung des Nährenden offenbar zuerst breite Verwendung in dessen deutschem Psalter. Die neue Form kennt die „Anleitung zu der Deutschen Reimekunst“ (zu 391028; in KE, 219–227), die auch 1639 zu Köthen im Druck erschien, als Strophenform („Stances“) des „Huictain“: „Von achten das gesetz geschrencket Dreymahl treget, | Den Reim, und einer giebt den schluß und letzten streich.“ Als Beispiel liefert diese Metrik in der „Heldenart“ aber nur ein „Achtzeiliges gesetz’ anfahende mit weiblicher endung von dreyzehen und zwölff Sylben.“
10
Opitz’ Glückwunsch zur Geburt Pz. Wilhelm Ludwigs v. Anhalt-Köthen (FG 358. 1641) am 3. 8. 1638. S. 380803, 380828 u. 381116.

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