In dem hier vorgelegten vierten Band der Briefe und Beilagen aus der Köthener Periode
der Fruchtbringenden Gesellschaft, der 124 Briefe und 52 Beilagen, dazu Abbildungen
von Handschriften, Buchtiteln, Druckseiten, Noten, Porträts und Siegeln
veröffentlicht, speist sich das Quellenmaterial zum erstenmal hauptsächlich aus der
Köthener Überlieferung der von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (FG 2. Der Nährende.
1617) bei seinem Tode im Jahre 1650 hinterlassenen Korrespondenz mit anderen
Mitgliedern der Gesellschaft und aus den ihr beigelegten Werken und Kritiken. Die
weitgehend vollständige Erhaltung dieses Erzschreins (Archiv) der fürstlichen
Konzepte und der empfangenen Ausfertigungen an ihrem Herkunftsort ist angesichts der
geschichtlichen Verwerfungen in Anhalt und allgemein in Deutschland wohl nicht so
sehr dem wissenschaftlichen Bekanntheitsgrad dieses Korpus — seit den Arbeiten F. W.
Bartholds (1848) und vor allem G. Krauses (1855/ 1879) über die Fruchtbringende
Gesellschaft — als dem hier einmal auf Wesentliches ausgerichteten lokalen
Patriotismus zu verdanken. Die Bibliothek des Köthener Schlosses, deren ältester
Bestand schon 1650 Stück für Stück in einem Notariatsinstrument (
Instrumentum
publicum) verzeichnet wurde, in dem auch alle Gemälde, Medaillen, Gefäße,
Gobelins, Möbel, Archivalien, Textilien u. a. aufgenommen wurden, ist nahezu
vollständig verlagert, geplündert oder sonstwie verstreut worden — bis auf den
dreibändigen Erzschrein, ein Porträt Fürst Ludwigs (
DA Köthen I. 2, S. 100),
ein paar Medaillen und einige noch heute bewahrte Werkmanuskripte und Drucke der
Köthener fürstlichen Presse (Historisches Museum für Mittelanhalt und
Bachgedenkstätte Köthen). Die bis 1945 erhaltene Köthener Schloßbibliothek, die nur
mit relativ geringen Beständen im Rahmen der Bodenreform in die Landes- und
Universitätsbibliothek Halle überführt wurde, scheint nach dem Zweiten Weltkrieg zum
Teil ebenso veruntreut, verkauft oder verheizt worden zu sein wie die ehemaligen
Dessauer und Bernburger Schloßbibliotheken. Nur die genannten Köthener Dokumente
zeugen wie durch ein Wunder in ihrem alten Umfang (aus der Mitte des 19.
Jahrhunderts) noch von der Wirksamkeit der größten und ältesten deutschen Akademie.
Die Korrespondenzjahrgänge des vorliegenden Bandes belegen erstmals einen
umfangreichen fruchtbringerischen Briefverkehr zwischen Diederich v. dem Werder (FG
31. Der Vielgekörnte. 1620) und Fürst Ludwig und damit Werders bedeutsame Rolle
innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft. So vergnüglich diese und andere Briefe
auch in vieler Hinsicht zu lesen sind, so sehr wünscht sich der Bearbeiter doch
manchmal, Werder — und nach ihm der Fürst — hätten ihre Briefe immer so geistreich,
aber auch so durchschaubar datiert wie bei einer Vertauschung von Taufnamens- und
Gesellschaftsnamens-
Tag (371110) oder bei einem protestantischen Kalenderscherz
(380312; vgl. dagegen 371227 u. 380110). Leider fehlen für den Korrespondenzjahrgang
1637 alle Gegenbriefe Fürst Ludwigs an Werder; für 1638 konnten wir lediglich vier
Schreiben des Fürsten an diesen Fruchtbringer und in vielerlei diplomatischen und
politischen Geschäften ausgezeichneten landsässigen Adeligen und landständischen
Vertreter ermitteln (380321, 380522A, 380608A u. 381116A). Vgl. Werders Brief 370113.
Ähnlich bedeutend für den vorliegenden Band ist der sich seit Ende 1637, nach dem
Tode von Fürst Ludwigs Hofmeister Friedrich v. Schilling (FG 21), für uns
intensivierende Briefverkehr zwischen Martin Opitz v. Boberfeld (FG 200. Der
Gekrönte. 1629) und dem Fürsten. In Fürst Ludwigs eingehender Kritik an Opitz’
Psalter (s. u.), in ihrer Debatte über die stilistisch wichtige Frage nach
Möglichkeit und Zulassung des Daktylus, in der Beteiligung von Opitz an der
geistlichen Dichtung des anhaltischen Zirkels um den Fürsten und nicht zuletzt in dem
Versuch, den Gekrönten bei der Durchsicht von Dichtungen und Büchern anderer
Mitglieder einzusetzen, gewinnt Opitz’ eigene Rolle als Fruchtbringer große
Bedeutung. Noch viel genauer und detaillierter könnten wir diese Rolle bestimmen,
wenn die Korrespondenz des Gekrönten mit dem Vielgekörnten, seinem wichtigsten
Förderer im engsten anhaltischen Kreis der Fruchtbringenden Gesellschaft, nicht bis
auf spärliche Zeugnisse verloren wäre (vgl. 260831 u. 371121). Dennoch nehmen im
vorliegenden Band schon die Dokumente der alle Spracharbeit begleitenden und
potentiell alle Mitglieder involvierenden Kritik bzw. Gesellschaftskorrektur als
einer der zentralen Tätigkeiten deutlich zu, welche recht eigentlich die
Fruchtbringende Gesellschaft als eine Akademie konstituierten.
Der vorliegende Band bemüht sich auch wie die vorhergehenden um die Erhellung der
Lebensumstände von wenig bekannten Fruchtbringern, auch derjenigen welche sich nicht
als Mäzene oder durch wissenschaftliche, literarische oder andere kulturelle
Leistungen hervorgetan haben. Sogar ein aus unbekannten Gründen später nicht in den
Verzeichnissen der Akademie vermerktes Mitglied, der Freiherr Siegmund Seifried v.
Promnitz, gehört hierzu (380501, 380509 u. 380605). Einen Anlaß für
Personalforschungen liefert auch das Trauergedicht 370305 auf den Tod des gebildeten,
aber nicht wissenschaftlich oder künstlerisch bemühten Offiziers Bodo v. Bodenhausen
(FG 152). Es wirft nebenbei ein Licht auf das Werk und die Person des Dichters und
Musikers Gabriel Voigtländer. Ein anderes, bedeutendes Exempel liefern die
Erläuterungen zu Brief 370421, die den Lebenslauf und die Bibliographie des als
Wissenschaftler und Übersetzer hervorgetretenen hessischen Landgrafen Hermann IV. (FG
374) beschreiben. Sie enthalten auch aufschlußreiche Zitate aus dem Briefwechsel des
kurbayerischen Generals Graf Joachim Christian v. (der) Wahl (FG 109), die den die
Kriegsgegner (auch in der Fruchtbringenden Gesellschaft) einigenden Kult des
deutschen Charakters („Teutsche redtligkeitt”) beleuchten, hinter dem sich das
fruchtbringerische Ideal und z. T. bereits die gelingende Praxis einer sich auch in
Konflikt und Konfrontation bewährenden Kommunikationskultur aufrichtiger
Verständigungsbereitschaft und ziviler Friedfertigkeit abzeichnen (vgl. auch 371014 K
7). Derselbe Brief verlangte die genaue Er-
klärung der militärischen Situation, in der
Hermanns Stiefbruder, der regierende Landgraf Wilhelm V. v. Hessen-Kassel (FG 65),
als von Kaiser und Reich Geächteter zu seinem letzten Kriegszug aufbrach. Wir haben
Landgraf Wilhelm in dieser Ausgabe schon als Dichter und ersten deutschen Übersetzer
eines Romans Lope de Vegas kennengelernt (291104A) und stellen ihn jetzt mit einer
Art Abschiedsbrief an seinen Bruder, mit einem nie veröffentlichten und bisher nahezu
verschollenen Gemälde (Abb. S. 136) und in Zeugnissen seiner geistigen Statur und
literarischen Bestrebungen erneut vor (370422), bevor sich die Spur des politisch
eminent wichtigen, 1637 frühverstorbenen deutschen Reformierten in der
fruchtbringerischen Korrespondenz verliert. Die allermeisten Dokumente sind
Fundgruben für die Entdeckung wenig oder nicht bekannter Vorgänge der Diplomatie und
des Kriegs, für die Biographie von Fürsten, hohen Offizieren, Ministern, Dichtern und
Gelehrten und sogar für die Geschichte des familiären und alltäglichen Lebens.
Beispiele für solche Vorgänge und Umstände liefern etwa die regelmäßigen
Agentenberichte des Stadtkommandanten Freiherr Enno Wilhelm v. Innhausen und
Knyphausen (FG 238) aus dem Nachrichtenzentrum Hamburg (370715 u. ö.), die Feldbriefe
des kursächsischen Obristleutnants Christian Ernst (v.) Knoch (FG 268) aus den wenig
bekannten mitteldeutschen Kriegszügen des Jahres 1638 (380320A u. ö., vgl. 370715 K
6), die häufige Erwähnung der verworrenen Friedenssondierungen und
Präliminarverhandlungen nach dem Abschluß des gar nicht universalen Prager Friedens
(370729, 380210 u. ö.), die vielen Nachrichten über Durchzüge und Einquartierungen
fremder Soldateska, die Anspielungen auf den endlosen Zollstreit zwischen dem
polnischen König und den preußischen Seestädten (371030), die jahrelangen Querelen
über die Vormundschaft Prinz Gustav Adolphs v. Mecklenburg-Güstrow (FG 511) (371009,
371223, 380423 u. ö.) und die Erbschaft Graf Ottos V. v. Holstein-Schaumburg (FG 198)
(371226 K 2, 380100 u. ö.), der Beginn eines langen Streits Fürst Christians II. von
Anhalt-Bernburg (FG 51) mit seinen anhaltinischen Verwandten über die
Benachteiligungen seines Landesteils (380122 K 1), Berichte über Reisen wie der Fürst
Christians II. nach Norddeutschland (370828 K 1 u. 371009) und zum Kurfürstentag und
Kaiser (370517 K 4 u. 6), Berichte aus dem Kirchenleben (z. B. europaweites
Kollektenwesen 371223), Meldungen von spektakulären Un- und Überfällen (370517 K 4),
wundersamen Vorzeichen (380226 u. ö.) oder dem Selbstmord des mecklenburgischen
Leibarztes und bedeutenden Chemikers Angelo Sala (FG 160. Der Lindernde). Höhepunkte
des höfischen Lebens machen Schilderungen von Zeremonien wie dem Ritterschlag (370517
K 6), von Feiern wie einer Prinzentaufe (380221 K 2) oder von Turnieren bei einer
Vermählung am Oranierhof (380310) erlebbar. Sie können, wie die Beschreibung dieses
Fests und die zugehörigen Kartelle und Antworten, einen Aspekt kultureller
Beziehungen beleuchten, welche wegen der Geheimhaltung der anhaltischen Kontakte zu
der in den Niederlanden exilierten Familie des Winterkönigs sonst höchstens
gelegentlich im Agentenbriefwechsel mit Johann v. Mario (FG 100) reflektiert wurden.
Die Empfehlung und Aufnahme neuer Mitglieder wie Hans Philipp (v.) Geuder (FG 310.
370517), Hinweise auf die in der historischen Forschung
jüngst zu Unrecht
angezweifelte Gründung der FG im Jahre 1617 (s. 371028 K 17), die Beschaffung von
Wappen und Impresen für das Köthener Gesellschaftsbuch und die Gobelins des Köthener
Festsaals (vgl. z. B. 370715, 370722, 370729, 370805, 371110, 371209 u. ö.),
Übersetzung, Nachfrage und Verteilung von Mitgliederlisten (vgl. 371028 K 15,
371112A, 371220 I u. ö.), Gesellschaftertreffen (370517 K 6, 381107 u. ö.),
Gesellschaftsstrafen (z. B. 371110, 371220 u. 380602), das Überschicken von Büchern
(z. B. 371112, 371112A u. 371116) und deren Kritik (380828 I), gar die Vorlage der
ersten Dichtung des blutjungen Philipp (v.) Zesen (FG 521) durch (und möglicherweise
unter dem Namen seines Lehrers) Christian Gueintz (FG 361. 371226A) und viele andere
Zufälle, Akte und Zeremonien des Lebens der Fruchtbringenden Gesellschaft durchziehen
die Korrespondenzen ebenfalls ohne Unterlaß. Das hat auch zur Folge, daß sich in dem
hier behandelten Zeitraum nicht der exklusive Gesellschaftsbrief einbürgern konnte,
der sich nur mit Belangen der Gesellschaft oder gar nur mit offiziellen Vorgängen wie
Aufnahmeantrag und Beurkundung der Aufnahme — wie in der hallischen Spätphase des
„Palmordens” — befaßt. Fürst Ludwig begnügte sich vielmehr damit, unter neuen oder
zuvor nicht direkt mit ihm korrespondierenden Mitgliedern wie Martin Opitz (380504)
eine gesellschaftsgemäße Briefform zu entwickeln: Verzicht auf das Gepränge der
Anrede und Kurialien und Versachlichung der Aussagen durch die beide Briefpartner
gleichstellende Benutzung von Gesellschaftsnamen und die Rede in der dritten Person.
Insgesamt verfestigt sich die interne, sozietäre Terminologie der Gesellschaft, die
sich bereits seit spätestens 1628, nun aber immer häufiger (im Französischen) als
„Academie“ und ihre Mitglieder als „Academiques“ (371028, 371112A u. ö.) bezeichnet.
Ihr Archiv bzw. Ihre ‚Geschäftsstelle’ kennt nun ein Archiv „ErtzSchrein“ (frz.
„archive“) (371110, 381204 u. ö.) und die Umlage notwendiger Tätigkeiten und
Geldbeiträge auf die Mitglieder (371220). Sogar ein urbaner, von Offenheit und
Freundlichkeit, von eleganter Überraschung und geschmackvollem Witz aufgelockerter
Ton des Umgangs, beginnt hier, vor allem im Briefverkehr zwischen Diederich v. dem
Werder und dem Fürsten, hörbar zu werden. Vgl. auch die etwas angestrengt wirkenden
Versuche eines neuen Mitglieds (380331). Einige Musterschreiben hatten das Vorbild
der italienischen scherzhaften Akademierede (cicalata) schon früh auf den Brief
übertragen (s. 200125, 210401 u. 230430), und noch ein Schreiben des Bequemen (Cuno
Ordomar v. Bodenhausen. FG 69) benutzte wie diese als beliebtes rhetorisches Mittel
die komische Lobrede der Antike und des Humanismus (380000). Dies ist das Gegenteil
des Kanzleistils, der auch im kleinen Anhalt-Köthen herrschte, wo der Dualismus
zwischen dem Fürsten und seinen Kollegien einerseits und der Ständevertretung (in der
Werder und Bodenhausen eine Rolle spielten) andererseits bestenfalls durch ein „hohes
Maß an Kooperativität“ (Günther Hoppe) gemildert wurde. Dieser neue Briefstil läßt
sich nicht nur aus Zügen einer Persönlichkeit oder dem glücklichen Umstand einer
Seelenverwandtschaft ableiten, mußte sich auch nicht aus dem höfischen Umgang
ergeben, sondern war beabsichtigt und in der Fruchtbringenden Gesellschaft seit ihrer
Frühzeit durch ihren Verhaltenskodex
legitimiert: „Erstlichen daß sich ein jedweder
in dieser Gesellschafft/ erbar/ nütz- und ergetzlich bezeigen/ und also überall
handeln solle/ bey Zusammenkünfften gütig/ frölig/ lustig und erträglich in worten
und wercken sein/ auch wie darbey keiner dem andern ein ergetzlich wort für übel
auffzunehmen/ also sol man sich aller groben verdrießlichen reden/ und schertzes
darbey enthalten.“ (
DA Köthen II. 1, S. [10]).
Es liegt in der Natur des Briefwechsels von Mitgliedern einer
Gesellschaft über gelehrte Gegenstände, daß er vor allem Aufschluß über Planung,
Entstehung, Druck, Verteilung und Kritik eigener Schriften gibt. So fallen bei dem
regen Austausch deutscher oder fremder Bücher auch häufig Urteile über solche
Schriften ab. In den Korrespondenzen der ersten zwanzig Jahre der Fruchtbringenden
Gesellschaft, die in den ersten drei Bänden der Ausgabe Köthener Briefe gesammelt
sind, erscheint die Übersetzung als die literarische Haupttätigkeit der frühen
Mitglieder — selbst die Dichtung mußte, da sie nur einer talentierten Minderheit
gegeben war, dahinter zurückstehen. Übersetzung bleibt im vorliegenden Band auch
weiterhin die schriftstellerische Beschäftigung, durch welche Fürst Ludwig am ehesten
gebildete Fruchtbringer zu nutzbringender Spracharbeit motivieren und sie dabei
anleiten konnte, da er an solchen Übersetzungen als Kritiker, Vollender oder Revisor
unermüdlich mitzuarbeiten strebte. Selbst die Übersetzung deutscher
Gesellschaftsnamen ins Französische konnte zu einer fruchtbringerischen Übung werden
(371112A, 371117, 380202 u. ö.). Im Hinblick auf die Geschichte des deutschen
Prosastils verdient es hervorgehoben zu werden, daß Fürst Ludwig vom Übersetzer und
Briefschreiber nicht nur puritas (deutschsprachliche Verständlichkeit und
grammatische Richtigkeit), sondern im Bereich der claritas nach dem Vorbild des
Französischen und Italienischen vor allem Flüssigkeit im Deutschen erwartete (371209,
371112A, 371224 u. 380110, vgl. 310411). Namentlich fallen im vierten Band ins
Gewicht die Übersetzungen eines auf Antonio de Guevara zurückgehenden italienischen
Fürstenspiegels (Fürst Christian II. v. Anhalt-Bernburg. FG 51. 371027), Jean Du
Bec-Crespins große französische Geschichte Tamerlans (Johann Joachim v. Wartensleben.
FG 109. 370902; vollendet v. Fürst Ludwig), Francísco de Quevedos
Sueños (Hans
Philipp Geuder. FG 310. 371224 K 6; Übersetzung aus dem Französischen nicht
vollendet), Leone Ebreos
De amore dialogi tres (Übersetzung u. Verfasser
unbekannt. 371027 u. 380122), Petrarcas
Trionfi (Fürst Ludwig. 371027 K 2) und
eine Beschreibung Chinas (Prinz Ernst Gottlieb v. Anhalt-Plötzkau. FG 245. 380302;
vielleicht unvollendet). Wegen ihrer aus der Bibel geschöpften politischen Lehre und
besonders wegen des nun im Deutschen der Fruchtbringenden Gesellschaft eingeführten
tacitistischen Prosastils zu erwähnen ist auch Virgilio Malvezzis David-Biographie
(Wilhelm v. Kalcheim gen. Lohausen. FG 172. 381028), die Fürst Ludwig und Diederich
v. dem Werder gründlich überarbeiteten und erneut veröffentlichten (1643).
Schließlich fällt in den Zeitraum des vorliegenden Bandes auch die Vorbereitung für
eine zweite, nicht erhaltene Köthener
Don Quijote-Verdeutschung (371124, vgl.
zuvor 240718 K 23 u. ö.). Die Fruchtbringende Gesellschaft, in der häufig auch Briefe
in fremden Sprachen gewechselt wurden, war offenbar weit davon
entfernt, sich im häuslichen Winkel sprachpuristischer Deutschtümelei einzurichten.
Übersetzung vermag auch zu Höherem anzuregen, wie (verschollene) Gebete
Diederichs v. dem Werder auf ein englisches, von dem berühmten Theodor Haak
übertragenes Erbauungsbuch Daniel Dykes (380321 K 1) oder Fürst Ludwigs kleines
Lehrgedicht „Kurtze Erzehlung Von dem Erdichteten
Cupidine“ zeigen könnten, das im
Briefwechsel im Zusammenhang mit der geplanten Leone-Übertragung genannt wird
(371027), nach deren Ausbleiben aber 1643 zusammen mit der
Trionfi-Nachdichtung neu aufgelegt wurde. Auch der Hofmannsspiegel Rudolfs v.
Dieskau fällt als eine frühe Prosaekloge (1637) in der damaligen deutschen Literatur
auf (380220). Hinzu treten übersetzerische Nachdichtungen von Liedern oder Sonetten
wie im Falle des Gekrönten oder des Vielgekörnten. Während Kalcheim sich in seiner
Übertragung der politischen Biographie
Il Davide perseguitato mit der
Erfindung vieler Neologismen oder ungewöhnlichen Verdeutschungen abmühte und diese
ausführlich kommentierte — welche Fürst Ludwig und Diederich v. dem Werder oft
elegant verbesserten und in kurzen Marginalnoten erklärten —, strebte der durch seine
Lope-de-Vega-Übertragung schon gewitzte und erkühnte Kitzliche (Landgraf Wilhelm V.
v. Hessen-Kassel) danach, nicht nur den Sinn wiederzugeben, sondern auch in Ausdruck
und Stil einem „fürtreflichen Redner” des Französischen (Jean Puget de La Serre)
nachzueifern und „die worte deß Vhrhebers selbst zubehalten/ vnd jhme nichts
abzustricken” (370422 I). Dieser Versuch eines renaissancemäßigen Wettbewerbs des
Deutschen mit anderen europäischen Volkssprachen, der z. B. auch die Übertragungen
Fürst Ludwigs aus dem Italienischen kennzeichnet (vgl.
DA Köthen II. 1), war
im Falle Wilhelms doch in den Augen eines Zeitgenossen so erfolgreich, daß er sich
ihrer in einer nochmaligen Übersetzung ungeniert bediente und sie seinem „eigenem
Gemächte weit vorzuziehen” gestand (370422 K I 2).
Im vorliegenden Band werden außer einer Vielfalt von sprachlichen,
literarischen, personengeschichtlichen, politischen und militärischen Belangen auch
solche der Naturwissenschaften, Mathematik und Musik dokumentiert und kommentiert. So
repräsentiert das erwähnte, von militärischen Nachrichten beherrschte Schreiben
(370421) des Landgrafen Hermann v. Hessen-Rotenburg (FG 374. 1642), dem die
Darstellung einer Himmelserscheinung (Abb. S. 114) beiliegt, in nuce seine
astronomischen und geophysikalischen, v. a. aber seine meteorologischen Interessen,
die er der Volksbildung in deutscher Sprache nützlich machen wollte. Sie sind nicht
mehr dem gemeinen Aberglauben verhaftet und schon um eine
vernünftig-wissenschaftliche Naturerklärung bemüht, bezeichnen aber noch den
Schwellencharakter seiner Epoche, indem sie weiterhin astrologisch grundiert und um
die Entschlüsselung göttlicher Fingerzeige bemüht bleiben. Ähnlich distanziert, aber
die Möglichkeit von Vorzeichen nicht bezweifelnd verbleibt Fürst Ludwig bei der
Nachricht über einen seltsamen Fisch (380302A). Ein anderer Naturwissenschaftler, der
die auf Paracelsus zurückgehende chemisch gestützte Medizin und Pharmazie
(Iatrochemie) vorantrieb, war der schon erwähnte italienische Exulant und
mecklenburgische
Leibarzt Angelo Sala (371009). Das praxis- und nutzenorientierte,
Experiment und Analyse befördernde und Wissen popularisierende Chemie- und
Medizinverständnis verbindet sich ebenso wie die Deutschsprachigkeit vieler Werke des
Lindernden mit dem Kulturprogramm der Fruchtbringenden Gesellschaft. Eine
vergleichbare Verknüpfung, in diesem Fall zwischen volkssprachiger Terminologie der
Arithmetik und Prinzenerziehung im Sinne der Fruchtbringenden Gesellschaft schafft
auch der schon erwähnte Wilhelm v. Kalcheim gen. Lohausen in seinem handschriftlich
gebliebenen
Kurtz- gründlich- und klahrer Unterricht, von nöhtigen Stücken der
Rechenkunst (371014)
. Beklagenswerterweise findet die Sprache des 17. Jahrhunderts weder im
Frühneuhochdeutschen Wörterbuch, in den meisten Mundartwörterbüchern noch in der
Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs eine ausreichende Beachtung, so daß viele
Wörter nur in alten Texten und oft zeitnahen Nachschlagewerken nachgewiesen werden
können. Einen Schlüssel zu einem Teil dieses Wortschatzes und manchen historischen
Wörtern aus anderen Sprachen bietet das von Band zu Band wachsende Verzeichnis der
erläuterten Wortformen und Bedeutungen. Als Beispiele mögen das bereits erwähnte Wort
Erzschrein (371110 K 11), der Neologismus Tondichter (371124 K 2) und das aus dem
Französischen entnommene Buttesel (boute-selle, Trompetersignal. 370305) dienen. Im
Zeitraum des vorliegenden Bandes werden mit Kalcheims umfangreichen Erklärungen von
Neologismen und Hapaxlegomena (381028 I) in seiner Malvezzi-Übersetzung und mit der
Vorlage von Christian Gueintz’ (FG 361) Manuskript zu dem Werk
Deutscher
Sprachlehre Entwurf (vgl. 371027 K 5 u. 381105) zum erstenmal systematische,
gelehrte Arbeiten der Fruchtbringenden Gesellschaft zur Volkssprache greifbar, die in
ihrem wissenschaftlichen Bestreben über die in vielen Briefen und früheren Werken
sichtbare tägliche Spracharbeit hinausgehen. Ein Druckfehler-Verzeichnis in einem
prominenten Fruchtbringer-Werk kann vor diesem Hintergrund zu einem umfangreichen
Dokument orthographischer Normierungsbemühungen im Hochdeutschen werden (371027 K 5).
Kuriose Spracharbeit stellen die etymologischen Erklärungen von Ortsnamen (z. B.
Ballenstedt/ Balckenstedt 371116; Köthen/ Kesselstadt 380328 K 8 u. ö.) und die
Übersetzungen der deutschen Gesellschaftsnamen ins Französische (z. B. 371112A),
Italienische und Lateinische dar.
Großen Raum nimmt im vierten Band auch die schon aus früheren Bänden
bekannte genaue grammatische, stilistische, prosodische und metrische Arbeit einiger
Critici der Gesellschaft, vor allem Fürst Ludwigs und Diederichs v. dem Werder, ein.
Sie sehen die Übersetzungen Fürst Christians II., Wartenslebens und Kalcheims durch;
Fürst Ludwig vollendet sogar eines dieser Werke, schreibt ein anderes von Grund auf
um. Während er an seinen eigenen biblischen Dichtungen, vor allem an seinen
Psalmdichtungen arbeitet, sieht er Vers für Vers die
Psalmen Davids des großen
Martin Opitz durch (380828 I, vgl. 371030) und korrigiert nicht nur Dialekteinflüsse
und andere Verstöße in der Wortwahl, sondern auch und vor allem die Störungen der
Alternation von Hebung und Senkung in der Wortbetonung. Hier entfaltet sich im
Briefwechsel zwischen dem Nährenden und dem Gekrönten, dessen Bindung des Metrums
an
den natürlichen Wortakzent schließlich die Grundlage für die erfolgreiche neue
deutsche Kunstdichtung geschaffen hatte, ein weitreichender Dissens über die künftige
Entwicklung der deutschen Dichtung. Während der Fürst aufgrund der natürlichen
Betonung, aber auch aus moralischen Gründen den als tänzerisch empfundenen Daktylus
(nahezu) verbannte und bald darauf seine Ansichten in einer eigenen Verskunst
niederlegte, erweiterte Opitz, auch er unter Berufung auf die natürliche
Wortbetonung, die stilistischen Ausdruckmöglichkeiten unserer Sprache. Sein Freund
Augustus Buchner (FG 362) teilte diese Ansicht, regte sie vielleicht an, und bald
schlossen sich auch die Jungen, etwa die Pegnitzschäfer und Zesen, diesem Vorbild an
und entwickelten sogar einen neuen Stil. Noch eine andere, diesmal nicht von Fürst
Ludwig bekämpfte Bereicherung der poetischen Ausdrucksmöglichkeiten deutet sich im
vorliegenden Band an. Zwar wurden erst ab Ende 1639 die Reimgesetze unter den
Mitgliederimpresen für das neue Gesellschaftsbuch von 1641 in Stanzenform
umgeschrieben (370113 K 2), jedoch übte sich Fürst Ludwig in dieser neuen Form
(381218 K 9), sicherlich unter dem Einfluß des Tasso- und Ariost-Übersetzers D. v.
dem Werder, schon 1638 in seiner Lehrdichtung über die Psalmen (und später auch in
der über die Sprüche Salomonis).
In der vom vorliegenden Band erfaßten Periode rücken die religiöse
Erbauung und die literarische Beschäftigung mit der Bibel in den Mittelpunkt der
literarischen Produktion aus dem Kreis der Fruchtbringer. Herzog August d. J. v.
Braunschweig-Wolfenbüttel (FG 227) korrigierte die Lutherbibel nach den Quellen und
versuchte das Deutsch der Vorlage unter Vermeidung von Fremdwörtern zu verbessern,
grammatisch zu regulieren und syntaktisch zu glätten. Er unterbreitete Ende 1637
etlichen kritischen Theologen sogar einen Plan, die Bibel neu, wenngleich unter
Verarbeitung des Texts Luthers zu übertragen (380320 u. 380417). Unsere Kommentierung
dieser Briefe versucht, die in der Erforschung dieses Projekts bisher nur lückenhaft
erfaßte Überlieferung zu ergänzen. In Hz. Augusts Insistieren auf einer Verbesserung
der Übersetzung Luthers bzw. in seinem Projekt einer neuen deutschen Bibel äußert
sich aber nicht nur eine fromme Illusion, sondern auch das fruchtbringerische
Bestreben, durch eine gereinigte und verfeinerte Sprache die Wahrheit zu treffen und
daher, auch ganz im Sinne Wolfgang Ratkes, die Einheit der Religion und den Frieden
zu fördern. Anders als Herzog August vermied Fürst Ludwig den bei einem solch kühnen
Vorhaben zu erwartenden Befall durch die
rabies theologorum, als er sich etwa
zur selben Zeit mit seinem
Buch Hiob (381007), dem ersten Werk aus seinem
großen Projekt von Lehrdichtungen über Texte des Alten Testaments (371110 K 5),
hervorwagte. Während er in seinen Versen die Psalmen auslegte, arbeitete er, wie
erwähnt, Opitz’ Psalter (1637) durch (380828 I) und regte den Gekrönten dazu an,
anstelle eines sprachlich veralteten, schwer verständlichen reformatorischen
Passionslieds ein neues über dessen eigene Prosadarstellung
Vber das Leiden vnd
Sterben Vnseres Heilandes (1628) zu dichten (380504). Auch die
Evangelienharmonien Herzog Augusts d. J. oder die Neuausgabe von Christophs zu Dohna
(FG 20) Auslegung des Hohen Liedes durch einen anderen Fruchtbringer (371027) gehören
in die Nachbarschaft die-
ser Arbeiten. Eine Vielzahl von geistlichen Liedern wurde
verfaßt und komponiert, angefangen mit Fürst Ludwigs Dichtung auf den
Jubilus
Pseudo-Bernhards (371124 I) und Werders Gedichten, die Samuel Scheidt im nahen Halle
vierstimmig vertonte (371222 I–III). Sie müssen anregend auf den ,Singenden Jesaia’
Martin Milagius (FG 315) gewirkt haben, der 1646 ein ganzes Gesangbuch mit
traditionellen Kirchenliedern und erbaulichen Gesängen von Fruchtbringern
veröffentlichte. Er brachte in diesem Buch auch die Ernte der anhaltischen
geistlichen Lieddichtung in die Scheuer, denn es enthält neben Gedichten wie den
genannten auch solche aus dem Kirchenbuch
Form Der Gebete und anderer
Kirchendienste/ für die Pfarrern des Fürstenthumbs Anhalt/ Cöthnischen Theils
(1629, 1643 u. später) und aus den kleinen Textsammlungen Fürst Ludwigs,
Geistliche Lieder vnd Psalmen (1638) und
Etzliche Schöne Gesänge
(1642). Vor allem aber unterzog Fürst Ludwig in Milagius’ Gesangbuch die alte
protestantische Liederdichtung einer konsequenten sprachlichen und
prosodisch-metrischen Modernisierung, wie sie den Zielen und der Praxis der
Fruchtbringenden Gesellschaft entsprach. Milagius, der Mindernde in der
Fruchtbringenden Gesellschaft, unterzog diese, wie auch Lieder von Fruchtbringern aus
dem Anhang zu seinem Buch, einer nochmaligen Korrektur (380504).
Obgleich solche Lieder wie das von Opitz auf die Passion Jesu
erbaulichen Zwecken dienen sollten und zum Teil auf bestimmte Anlässe wie den Tod
einer Fürstin verfaßt wurden, denkt man daran kaum, wenn von Gelegenheitsdichtung in
einem engeren Sinne die Rede ist. Diese ist auch im vorliegenden Bande, wie in den
vorhergehenden vertreten, etwa wenn Fürst Ludwig, Opitz oder Werder ihre Sonette auf
eigene oder fremde Bücher schreiben (z. B. 371209 I–II), sich in Reimspielen
vergnügen (371028A u. 371031 I) oder wenn Fürst Christian II. ein Trauergedicht auf
seine Cousine (370715 I) und Werder Poeme auf Letzte Worte (370715 II u. 371226A I;
vgl. schon 310800) verfaßt. Sonette wie die Fürst Ludwigs und Werders auf Opitz’
geplatzte Hochzeit können durch die Umarbeitung anderer Fruchtbringer eine weit über
den Zeitpunkt und gescheiterten Anlaß hinausragende Bedeutung für einen regelrechten
Kult des Gekrönten gewinnen (371208 I–IV). Aber auch von selbständigen oder sonst
anspruchsvollen weltlichen Gedichten ist im vorliegenden Band die Rede. Abgesehen von
der oben erwähnten Cupido-Dichtung Fürst Ludwigs sei nur auf Werders gleichfalls
mythologisches Poem
Erster Vorsprung Des Weyrauchbaums vndt der Sonnenbluhm
(1637) und seine nicht erhaltene Bearbeitung des Pyramus- und Thisbe-Stoffs verwiesen
(371110).
Unseren vielen Ratgebern in großen und kleinen Dingen — Forschern,
Bibliothekaren, technischen Helfern, Freunden — vermögen wir an dieser Stelle wieder
einmal nicht ausreichend zu danken. Stellvertretend können wir hier nur den
Mitgliedern der vorhabenbezogenen Kommission der Sächsischen Akademie der
Wissenschaften zu Leipzig und fünf generösen Beiträgern und Helfern, dem
Musikwissenschaftler Klaus-Peter Koch (Halle a. d. S.; zu 371124, 371222 u. 371226A),
dem Mathematikhistoriker Georg Schuppener (Leipzig; zu 371014), dem Kunsthistoriker
Jochen Becker (Utrecht; zu 380310), der Leite-
rin des Historischen Museums für
Mittelanhalt und der Bachgedenkstätte Köthen, Frau Ingrid Streuber und auch der
kurzzeitig an dem Band mitwirkenden wissenschaftlichen Hilfskraft Angelika Bethke
unsere Schuld bezeugen.
Im Januar 2005 starb Günther Hoppe, der unermüdliche Forscher und ehemalige Direktor
der Köthener Kulturstätte, der sich in der besten und langen Tradition seines Hauses
um die Erschließung und Erhaltung des einzigartigen Köthener Erzschreins und um unser
Projekt verdient gemacht hat. Wir ehren sein Andenken.
Der Herausgeber
Im September 2005