K Die vorliegende Denkschrift zur Verbesserung des Schulwesens, verfaßt von Peter v.
Sebottendorf (FG 57; 1622), präsentiert den zweiten Brief des reformierten Schlesiers in
unserer Ausgabe (220824; vgl. 250218A K VII 1, 280411, 291013 K). Unterstrichen werden
damit Ambitionen eines in der Praxis als Prinzenhofmeister wirkenden Mannes, den
F. Ludwig im Sommer 1598 in Florenz als Hofmeister des Grafen Hans Wilhelm v. Wied
kennen gelernt hatte. Unter seinen Schützlingen befanden sich mehrere spätere Mitglieder
der FG, so F. Christian II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51), vgl. 250218A K VII 1, und
F. Johann Casimir v. Anhalt-Dessau (FG 10). Bereits im Jahre 1610 erschien ein Werk
dieser Zöglinge, das Sebottendorf gewidmet ist und sicher hauptsächlich aus seiner Feder
floß: De officio principis orationes tres, habitae a princibus Anhaltinis Johanne Casimiro,
Christiano et Friderico Mauricio in Academia Genevensi. Lipsiae 1610. (SLB
Dresden: Hist. Anhalt. 126, 7; HAB: 17.20 Pol. (5): „Ad Nobillissimum Virum Dn. PE- || [
251] TRUM Asebotendorff [
sic], dictorum Principum Ephorum.“ Vgl. LAO: Abt. Bernburg A
9a Nr. 195, Bl. 47r–52v (die drei Reden). Ein Lehrbuch Sebottendorfs ist dort erhalten
in der Akte A 2 Nr. 3, Bl. 17r–46v („Historia Vniversalis, ad faciliorem captum anno
1608. composita, in Dychotomiis [...]“). Vgl.
Conermann III, 61f., 640f. u. 661 u.
Conermann:
Ludwig und Christian II. von Anhalt, 408. Am 4. 8. 1623 sandte Sebottendorf
auf Bitten Pz. Christians (II.) an dessen Vater F. Christian I. (FG 26) eine „Jntroductionem
in die Politica“, welche er zur Belehrung des Prinzen verfaßt hatte. LAO: Abt. Bernburg
A 2 Nr. 2, Bl. 160r. Auch drei Neffen Hz. Georg Rudolphs in Schlesien zu Liegnitz
u. Wohlau (FG 58) wurden von Sebottendorf unterwiesen und später (1648) in die FG
aufgenommen: Christian in Schlesien zu Brieg, Wohlau u. Liegnitz (FG 505), Ludwig
IV. in Schlesien zu Brieg u. Liegnitz (FG 508) und Georg III. in Schlesien zu Brieg (FG
520). Ihnen schloß sich 1618f. Ernst v. Anhalt-Bernburg (FG 47) an, der bis 1620 in
Brieg unter der Obhut Sebottendorfs geblieben zu sein scheint (
Lentz, 703). In der
Funktion als Hofmeister begleitete Sebottendorf die drei schlesischen Prinzen zum Studium
an die Ritterakademie in Saumur, wo er 1632 starb. Zu seiner Bibliothek s. 220824
K 1. Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß der im Brief entwickelte Plan nicht verwirklicht
wurde.
Die doppelte Datierung muß in Beckmanns Vorlage nicht benutzt worden
sein. Erst seit 1700 folgen die deutschen Protestanten dem Gregorianischen Kalender.
Es ist durchaus möglich, daß der Originalbrief im alten Stil datiert ist.
Der Brief Sebottendorfs
an F. Ludwig v. 13. 8. 1613 konnte nicht nachgewiesen werden. Zum Zerbster
Gymnasium vgl. neben
Mat. Zerbst in jüngerer Zeit Joachim Castan: Hochschulwesen
und reformierte Konfessionalisierung. Das Gymnasium Illustre des Fürstentums Anhalt
in Zerbst, 1582–1652. Halle 1999. Einige Briefe Sebottendorfs aus den Jahren zwischen
1603 und 1622, in der Hauptsache an Burggf. und Herr Christoph zu Dohna (FG
20) gerichtet, befinden sich im GSTA–PK Berlin unter der Signatur VI. HA, Fürstliches
Hausarchiv Dohna-Schlobitten: Christoph zu Dohna, Karton 18a, Nr. 362–365. Die
Nr. 364 betrifft Briefe des Zeitraums 1613–1615. Ältere Briefe Sebottendorfs und der anhalt.
Prinzen in LAO: Abt. Bernburg A 9a Nr. 195.
Bereits 1599 schlägt Sebottendorf
seinem Dienstherrn in einer gedruckten Schrift
Sendschreiben an Hertzog Joachim
Friedrich zu Lignitz und Brieg wegen Aufrichtung einer Ritter-Schule vor, das Gymnasium
von Brieg in eine „recht Adeliche Ritterschule“ umzuwandeln. Vgl. dazu besonders Norbert
Conrads: Ritterakademien der frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16.
und 17. Jahrhundert. Göttingen 1982 (Schriftenreihe d. Histor. Komm. bei der Bayer.
Akademie d. Wiss. 21), 98–100. — Sebottendorf schließt 30 Jahre später in seine Überlegungen
junge, erst siebenjährige Knaben ein und richtet sich damit an eine neue Zielgruppe
und nicht ausschließlich, wie in den damaligen Ritterakademien üblich, an die älteren
Söhne des Adels. Er verfolgt neben einer früher einsetzenden Schulsozialisation
auch eine sozial erweiterte Beschulung. Einzig die von Lgf. Moritz v. Hessen-Kassel (FG
80) gegründete Hofschule
Mauritianum, die bis zur Eröffnung der Ritterakademie
Collegium
Adelphicum Mauritianum im Jahre 1618 durch die Beibehaltung der Kapellknabenausbildung
noch keine exklusive Adelsschule war, weist Parallelen zu Sebottendorfs
Plänen auf, vgl.
Conrads, 117f. Das
Mauritianum, bestehend aus dem
Collegium
publicum und der eigentlichen Hofschule erzieht explizit auch junge Knaben. Z. B. gibt
der Hofschüler Johann Christoph Draubelius sein Alter mit zehn Jahren an (
Conrads,
118, Anm. 13). Dies dürfte jedoch eine Ausnahme sein, da die Statuten der Kasseler
Schola Aulica von 1598 ein Eintrittsalter von 13 Jahren vorsehen, vgl.
Conrads, 117. Zur
Kasseler Hofschule vgl. auch Arnd Friedrich: Die Gelehrtenschulen in Marburg, Kassel
und Korbach zwischen Melanchthonianismus und Ramismus in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts. Darmstadt, Marburg 1983, 118–128 u. 217–219. Zum Gründer der
Kasseler Ritterakademie vgl.: Landgraf Moritz der Gelehrte. Ein Kalvinist zwischen Politik
und Wissenschaft. Hg. Gerhard Menk. Marburg 2000 (Beiträge zur hessischen Geschichte
15).
DW 6, 183: „
längstens, zeitlich steigernd und eine äuszerste frist be-
|| [
252]
zeichnend, wie spätestens: ich komme längstens in einer stunde zurück“.
iehe, adv.,
wohl statt
ie/
je. Götze, 60, gibt „ehafte not“ als „triftigen Hinderungsgrund“ wieder;
DW III, 43 verzeichnet das Wort — wie im vorliegenden Text — (nur) im Plural im
Sinne von „legitima impedimenta“. Vgl. auch 240319 K 3.
Vgl. z. B. den Heidelberger
Katechismus in der Ausgabe der HAB von 1623 (317. 73 [2] Theol.): Catechismus, |
Oder | Kurtzer Unterricht/| Christlicher Lehr/ wie der in Kirchen | und Schulen der
churfürstlichen Pfaltz | getrieben/| sampt den kurtzen Fragen/ Sprü- | chen/ Kirchengebeten
und Agenden. | [Vignette] | Gedruckt in verlag Johann Carl Unckels/| [Linie] | Im
Jahr/| MDC XXIII, 31ff., 34ff. Dort werden die „Fragen sampt den Sprüchen“ in zwei
Kapiteln behandelt: (1) „Folgen etliche kurtze Fragen/ so zu Erklärung der fünff Hauptstück
Christlicher Religion dienen/ vnd einem jeden Christen zu wissen von nöthen
sind.“ (2) „Catechismus-Sprüche, zu jeden Fagen und Antworten im selbigen gehörig.“
Vgl. Sebottendorffs
Historia Vniversalis und seine
Politica, s. Anm. 0.
Wichtig
ist, daß Sebottendorf in der religiösen, moralischen, staatlichen und sozialen Zielsetzung
seines Schulplans der Pflege der deutschen Sprache die Schlüsselrolle zuerkennt. Die Bedeutung
des Deutschen ist damit auch stillschweigend oben bei der Rolle des Lateinischen
und anderer Sprachen vorausgesetzt. Dies erinnert an die grundlegende Pflege der
deutschen Sprache in der Lehrart Wolfgang Ratkes (s. Personenregister) und im höfischen
Kreis der FG und TG. S. die (erste deutsche) Übersetzung des
Novellino: Die
Erzehlungen aus den Mittlern Zeiten. Die erste deutsche Übersetzung des
Novellino aus
den Kreisen der Fruchtbringenden Gesellschaft und der Tugentlichen Gesellschaft. Mit
einem reprograph. Abdruck der italienischen Vorlage hg. u. erläutert v. Ulrich Seelbach.
Stuttgart 1985.
Die Statuten bildeten die rechtliche Grundlage für
die Ritterakademien, vgl. z. B. die
Statuta Novi Collegii Tubingensis des Collegium illustre
zu Tübingen (gesiegelte Originalausfertigung, Tübingen 23. April 1594, im HSTA
Stuttgart: Rep. A 274: Universität Tübingen, Collegium illustre, Büschel 66, zit. n. Conrads
[s. Anm. 2], 109 Anm. 17) oder auch die verschiedenen undatierten Statutentexte
des
Mauritianum bzw. der
Schola Aulica, die in der LB u. Murhardschen Bibliothek in
Kassel unter der Signatur 2° Ms. Hass. 57–1 liegen, zit. n. Conrads (s. Anm. 2), 118f.,
Anm. 11.
Die Schulgelder liegen unter jenen der Ritterakademien zu Tübingen,
Kassel und Sorø, vgl. Conrads (s. Anm. 2), 172, obgleich zehn bis fünfzehn Jahre später
erhoben. Dies mag auch an der verschiedenen Klientel liegen. Erwähnenswert erscheint
in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß Sebottendorfs Schulmodell im Gegensatz
zu anderen Hofschulen und Ritterakademien keine unterschiedlichen „Tische“ vorsah.
Das Schulgeld betrug unterschiedslos 100 Th. pro Zögling und Jahr. Dies finanzierte
keine Volksschulbildung, da schon die Höhe des Betrages nur Söhne Reicher zuließ. Zu
der andersartigen Ausrichtung der Köthener und Weimarer Schulversuche, welche die
gesamte junge Bevölkerung der jeweiligen Fürstentümer ins Auge faßte, s.
Conermann:
Fürstl. Offizin; DA Köthen I.1, 16; zum Erziehungsreformer Ratke vgl.
KR und Uwe
Kordes: Wolfgang Ratke (Ratichius, 1571–1635). Gesellschaft, Religiosiät und Gelehrsamkeit
im frühen 17. Jahrhundert. Heidelberg 1999.
Bedenkt man die Schwierigkeiten,
denen Wolfgang Ratke bei der Umsetzung seines Schulprojektes begegnete, kann
Sebottendorfs Herantreten an die FG mit dem deutlich formulierten europaweiten, politisch-kulturellen Impetus nur als naiv bezeichnet werden. Ratkes Bestrebungen, von
Städten und Fürsten Geld für sein Projekt zu erhalten, war kein nachhaltiger Erfolg beschieden.
Neben der unbeirrbaren, aber nicht zu angemessen großer Hilfe fähigen Gfn.
Anna Sophia v. Schwarzburg-Rudolstadt (TG 1) waren einzig F. Ludwig und Hz. Johann
Ernst d. J. v. Sachsen-Weimar (FG 3) zur Finanzierung eines großen Schulversuchs
bereit. Sie brachten allerdings mit der Kippermünzerei eine trübe Quelle zum Sprudeln,
welche auch bald versiegte. Vgl. dazu
Conermann: Fürstl. Offizin. Die FG versuchte, die
Ausgaben der GBB durch Subskription zu finanzieren, jedoch war der Absatz der Bücher keine Einnahmequelle, wie aus den vielen unverteilten/unverkauften Büchern beim || [
253]
Tode F. Ludwigs hervorgeht. S. hierzu
Conermann: Nachlaßinventar.
Erinnert sei
in diesem Zusammenhang an die beiden Ephoren des Kasseler
Collegium Adelphicum
Mauritianum Diederich v. dem Werder (FG 31) und Ernst v. Börstel (FG 61).
Conermann
III, 34 u. 66.