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301011 Johann von Mario an Friedrich von Schilling
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301011

Johann von Mario an Friedrich von Schilling


Johann v. Mario (FG 100. Der Goldgelbe) führt seinen in Brief 301001 übermittelten Bericht von der Reise F. Friedrich Heinrichs v. Oranien nach Zeeland und Flandern fort. Auf der Fahrt von Rotterdam nach Dordrecht setzte ein Sturm den Schiffen so zu, daß man die Reise zunächst zu Land fortsetzen mußte. Die folgenden Tage konnte man bei heftigem Wind nur kleine Etappen nach Zierikzee, Veere und Middelburg zurücklegen. In Veere erfuhr man von neuen, gescheiterten Anschlägen des Feindes auf die Insel Cadzant und die Schanze Biervliet. Stürme haben jedoch dessen Vorhaben behindert und die unbesoldeten Truppen zur Meuterei angetrieben; sie sind bereits wieder in ihre Garnisonen zurückverlegt worden. Lebensmittel, die die Spanier für die Verpflegung ihrer Sol- || [297] daten vorgesehen hatten, sind öffentlich und stark verbilligt in Gent und Brügge losgeschlagen worden. Die Soldaten hatten sich auch gesträubt, die fehlenden Rudermatrosen zu ersetzen. All dies erfuhr man von fünf bei Ijzendijke gefangenen Soldaten, die zum Verhör nach Veere gebracht worden waren. — Gestern in der Frühe besuchte F. Friedrich Heinrich in Middelburg den niederländischen Gottesdienst, begleitet lediglich von einem Pagen und einem Kammerdiener. Alles war erstaunt, denn dies habe er im Haag noch nie getan, und die Zeeländer und Friesen hätten bereits geargwöhnt, er habe es aus Rücksichtnahme auf die Remonstranten unterlassen. Es habe sogar schon Befürchtungen gegeben, der Fürst könnte der Sekte aufgrund des Umgangs bei Hofe und der Interventionen seitens ständischer Vertreter Zeelands eine Kirche oder ein Haus für den Gottesdienst einräumen, was schon zu Unruhe im Volk geführt habe und sicher Tumult ausgelöst hätte. Seit 32 Jahren im Lande, habe Mario niemals zuvor die rechtgläubigen Reformierten so eifrig zum Gottesdienst und zum brüderlichen Zusammenleben gefunden wie da. Die Zeeländer erlaubten weder Lutheranern noch Katholiken (geschweige den Remonstranten) Zusammenkünfte. — In Veere ist es zu einem bemerkenswerten Zwischenfall beim Einzug des Fürsten und seines Gefolges gekommen. Einige Jungen schrien, in der Nachbarstraße würden drei Arminianer verbrannt — es waren Schweine, wie sich auf Nachfrage herausstellte. Etliche wollten damit das Gefolge des Fürsten in Mißkredit bringen, jedoch ließ es sich nicht zu verbalen Ausfällen provozieren, obgleich bei der Abendtafel — wohl zum Leidwesen einiger Anwesenden — darüber gelacht wurde. — Es ist ungewiß, ob man weiter nach Flandern reise oder den Rückweg über Lillo, Bergen-op-Zoom und Geertruidenberg nehme. — Ein nach Pernambuco abgesandtes Kriegsschiff der Westindischen Kompanie ist vor Englands Küste von fünf Dünkirchener Piratenschiffen angefallen worden. Es konnte zwei davon versenken und die übrigen in die Flucht schlagen, mußte aber selbst schwer beschädigt den Hafen von Plymouth zwecks aufwendiger Reparaturarbeiten anlaufen. Demnächst werden neun Schiffe mit Kriegsvolk und Munition im Konvoi nach Brasilien segeln.
Im Postskriptum Empfehlungen und Grüße des in der FG mit dem Safran begabten Goldgelben an F. Ludwig (Der Nährende). Mario schicke seine Briefe an Friedrich v. Schilling (FG 21) zwar über (Charles) de Latfeur, die Antworten händigten ihm aber meistens nur Unbekannte ein. Er hofft, Schilling habe den Brief Gf. Philipps zur Lippe-Alverdissen (FG 117. Der Annehmliche) in dem seinigen (eingeschlossen) empfangen. Der Graf sei (bei der Reise F. Friedrich Heinrichs) im Haag zurückgelassen worden.

Beschreibung der Quelle


Q LA Oranienbaum: Abt. Köthen A 9a Nr. 87, Bl. 30r–31v [A: 31v]; eigenh.; Sig.

Anschrift


A Dem WollEdlen Gestrengen, vnd mahnhafften herrn Friderick von Schilling etc. Fürst. Anhalt. Cöhtnischer Geheimer Rath vnd hoffmeister etc. Meinem hochverthrauthen villgeliebten herrn Schwagern, Brudern vnd werthen freundt zu behendigen.
Port Cothen.

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WollEdler Gestrenger, manhaffter, Groß vnd woll verthrauther vill geliebter herr vnd Bruder, ohne einige mit Gotteß beystandt verhindernuse sein Jme meine alzeit bereithwillige Dienste beuohren, in meinem Lesten schreiben den 11. dito im haage dadiret1 , ist derselbige einiger massen, von Jhr F. G.2 Reise nacher Zellandt, vnd Flanderen3 berichtet worden, weliche wir auch in Gotteß Namen, den 15. dito nach Rotterdhame haben angefangen, aldar das mittagmall eingenumen, vnd vmb 3 vhren, in einem schröckhlichen grossen Sturm auß Sudwesten nach Dordrecht zue fahren wollen, aber nit gahr 1/2 meill von Rotterdham || [298] 3 von deß Prinzen Suitte vnd officiren Schiffen Schateloß4 worden, vnd der Sturm soliche an das Landt per forza getriben, daß sie mit halbem Leib Jm wasser, vnd also den dickh5 haben muessen einnemen; dar nach mit wagenß biß in Dordrecht gefahren[,] wie den der Prinz2 selbsten, auß seinem Newen Schiff hat müessen steigen, vnd also zu Landt gantz spat in Dordrecht ankhumen, aber meistentheilß schiffe haben sie6 den selben abent in Rotterdham verhalten, vnd erst deß andern dagß dem Pr. gefolgt[.] Jst zwar nit gahr ein guet Zeichen, daß wir den ersten tage mit vnderschietlichem vngemache haben angefangen vnser Reiß, dan eß den andern dage nit vill, doch etwas besser vortgangen ist, doch alzeit in dem wint seillen7 müessen, also daß wir den gantzen dage nit mehr dan 4 meillen geseillet, vnd alle am Anckher Ligen müessen, sein auch deß andern dagß nit weiter alß in Zierikzee8 khumen, den 4. dage, nach der wehr9 , vnd dan den 5. alß 19. huius nachmittagß in mittelburg10 dar 4 Compag.. Burgerß mit fliegenden Fendlen haben eingehollet, zu der wehr hat der Pr. erstmalß durch schreiben vernumen, daß der feindt mit 7000 mahn, so er auf Chaloppen gehabt, daruon E. Ed. f.a in dem wenigen vernumen, ich einighe daruon in Antorff11 vor 6 wochen gesehen, wiederumben zuRuckh vnd seinen anschlag, so er in das Landt von Cassant12 , vnd auch auf die Schantze Bierfliet13 , gegenvber Eysendickh14 gehabt, kheinen vortgang, sondern sein volckh 2 grosse Sturm zur Zee in disen anschlagen auß gestanden, daß sie nit mehr ohne Gelt fortwolten, also widerumben Jeder in sein guarnison verlegt worden, das Brot, vnd Bier so in Genth, Brugge vnd dem dham15 , für das volckh gebachen16 vnd ein khaufft ist gewest, hat man soliches zu Genth vnd Brugge offentlichen verkhaufft, vnd was sie vmb 6 fl. von Soldaten angeschlagen, vmb 4 fl. den Burgern vnd anderen verkhaufft ist worden. haben auch auf Chaloppen nit genuegsamb Matrossen vmb zu Ruettern khünen bekhumen, sondern von denen Compagnia einige Soldaten muessen drenen, umb zu Ruderen, weliche sehr unwillig waren vnd hoch beschwert, daß sie nit Ruettern vnd dan Fechten sollen gelernet hetten deren 5 Soldaten daruon zu Eysendyckh v̈berkhumen sein, vnd man alhier gesandten, weliche der Pr. examinirt, solicheß auß gesagt haben.
Gestern alß den 20. dito alß gesagt wurde, der Pr. werde vmb 9 vhren in die france17 predig gehn, sein Jhr F. G. all vmb 7 1/2 vhren, sondern18 einighen Caualier bey sich zu haben, alß einen paggi19 vnd Camerdiener, in die deutsche predig gangen, aldar mit der gesambten gemeine das H. abentmall deß herrn mit Jnen gehalten, so Jedermahn gantz frembt für khumen, dan er noch niemalß im Haage in der deutschen predig noch abentmall gewest ist, vnd die Zeellenderß, wie auch die Friesen allezeit presumirten, eß geschehe wegen der Gottloßen factie Arminiani20 , so Jhr F. G. Gott Lob Jnen dise opinie gentzlichen benimet, den alhier in Zeellandt gentzlichen darfür gehalten worden, weilen einige verwürdeb geister diser[,] [30v] so deglichen im Haage mit dem Pr. vmb gehn, vnd von den herren staten, wegen diser Prouintie aldar sein, daß die selben vermeinten, eß solle Jnen nun auch alhir der Gottvergessenen factie ein khirchen, oder zum wenigsten ein hauß eingereumet vmb zu predigen vergunnet sein werden, auch das Gemeine volckh schon daruon gesprochen, daß sie eß nit gedulten wolten, Jst Jnen nun Gott danckh mit diser deß Pr. Cummunion die opinie benu- || [299] men worden, hoffen auch der Pr. werde eß an sie nit mehr begheren, oder zuelassen, dan eß fürwahr einen grossen tumult erweckhen solle, vnd die Jenigen, so erstlichen dero faction in Jhrem Gottß dienst, sollen den anfang machen, woll den khurtzisten derffen ziehen, ich bin nun bey 32 Jahren alhier zu Landt,21 aber khan mit wahrheit woll sagen, daß ich niemalß so eyfferig die Religion einhelligligkhlichen22 , vnd mit so grosser menge zusamen khumen, so woll in den wochentlichen alß Sontag predigen, daß eß einem Fromen Christen gleichsamb wollthuet im hertzen, daß so einträchtig vnd Bruderlichen sie alle mit ein ander Leben, vnd von kheiner andern Religion wissen noch hören wollen, khein Luterianen, noch Papisten werden in diser Prouintie einighe zusamenkhunfft gestattet, eß ist der officier Strackhß her, vnd zurstörth dieselbe, mit grosser straff darbej. Jch khan nit underlassen dem herrn Brudern zuuermelten, was sie6 nun auf diser Reiß im einkhumen deß Pr. in der Statt Wehr hat zuegetragen, daß etliche Jungenß so den Pr. haben sehen einkhumen, geschryen haben, nun nun [sic] verbrent man 3 Herminianen20, wir nit wusten was das gesagt wer, haben gefragt, was sie Ruefften, sprachen Jhrer vill man verbrent nun 3 Herminianen, in der negsten Straß, solicheß ist auch fürnemen zu ohren khumen, sagten etliche eß weren 3 grosse Schwein, vnd was seint sie anderst, alß Ferckhen23 , Ruefften etliche, so von einigen in der F. Suitte etwas übelß wolten aufnemen, doch sie nit woll haben derffen merckhen Lassen, doch deß abentß an der daffel mit Lachendem Mundt daruon discourirt ware, da ich nit zweiffel einighen woll im hertzen khrenckhet hat, diß schreibe ich dem herrn Brudern im verthrawen, gleich woll ist eß geschehen, will aber nit v̈berall gesagt sein &c. wir werden noch etliche daghe alhier verbleiben vnd villeicht nit [nach] Flanderen Reisen, aber auf Lillo24 , Bergenopzoom25 , vnd Gertruitenberg26 Jm Zu Ruckh Reisen visito thun, wo fehrn etwas notables sich wurde begeben will ich nit vnderLassen, vnderwegß da mir nur gelegenheit zuekhumbt den selben zu auisiren, die WestJndische Comp. hat vor 14 daghen ein wollgemontirt Schiff von 36 metale canons, vnd 260 mahn darauf von hier nach Farnabouco27 zue gesanden, welicheß 5 Dhunkhiercher vnder Engellant haben angefallen, er gegen sie dapffer gewehret, daß der Dhunkhiercher28 2 gesunckhen, die anderen so schadeloß4 gemacht, daß sie vnser Schiff mit schanden müesten verlassen[,] eß ist aber auch so zuegericht worden, daß eß in Engellant eingeloffen Zu Bleymyen29 vnd manß dieff wasser albereith darJnen war, daß eß woll etliche wochen von nöthen zu reparieren, Jnterim werden noch 9 Schiff von hier mit volckh vnd Ammunition ferdig sein, daß sie also mit einander per Compag. fahren werden, thue hiermit dem herrn Brudern neben seiner hertzallerLiebsten, dero bona grace neben dienst-freundlicher Grüessung, vnß samentlichen dem aller höchsten in seine allein Gottliche obacht Empfelichent, Eyllent Midelburg in Zeelant den 21. 8briß 1630 st. no.

E. Ed. L. Jmerwerendter gethrewer diener der Goltgelbe MPria.

p. s.c bitt underthenig dem Nährenden30 in optima forma gehorsamblichen, alß der gethrewe vnd aufrechte auch vnverfälschte Saffran31 für recommandirt zu halten. Ich sende meine schreiben alle de latfoeur32 zue, bekhume aber gantz selten, || [300] von Jme deß herrn Bruderß schreiben, sondern werden mir villmalß von frembden einbehendigt, nit weiß ich was die vrsachen sein mueß.
[31r] Jch verhoffe der herr Bruder werde in meinem schreiben deß Annehmlichen33 seineß Empfangen haben, wir haben Jne Jm Haage gelassen, die vrsachen sein mir unbewust.

Textapparat
a Ein Elder Freund
b Unsichere Lesung. Lies: verwürrte, d. i. verwirrte
c Bis mueß am Rand eingefügt.

Kommentar
1 301001 (a. St.).
2 F. Friedrich Heinrich v. Oranien, s. 300410 K 4.
3 Zeeland, südl. Provinz der Vereinigten Niederlande, und das sog. Staatsflandern, ein staatisch besetzter Landstreifen im nördlichen Flandern, der zu den Generalitätslanden zählte, jenen eroberten Gebieten in Flandern, Brabant und Limburg, die zur Republik gehörten, aber weder eine autonome Provinzverwaltung noch einen Sitz in den Generalständen innehatten. Vgl. Nijhoffs, 212; Robert Fruin: Geschiedenis der Staatsinstellingen in Nederland tot den Val der Republiek. Uitgegeven door H. T. Colenbrander. ’s-Gravenhage 1901, 189f.; J. A. Kossmann-Putto/ E. H. Kossmann: Die Niederlande. Geschichte der Nördlichen und Südlichen Niederlande. 1987, 28; J. L. Price: Holland and the Dutch Republic in the Seventeenth Century. The Politics of Particularism. Oxford 1994, 211. Zu der geplanten Verteidigung Staatsflanderns und Zeelands vgl. 301001 K 16.
4 Kramer (1719) I, 326: nl. Schaade-loos, Grundbedeutung schadlos, unbeschädigt, unversehrt, aber auch „beschädigt/ und zwar so/ daß ihm schwerlich mehr zu helffen“, rettungslos, so v. a. in der Seemannsprache gebräuchlich. Kramer (1719), a. a. O.: „het Schip is heel schaade-loos binnen gekomen, das Schiff ist hoch beschädigt eingekommen“. Die Verbindung von (neunl.) schade, dt. Schaden, und -loos wohl ähnlich wie bei schandeloos, lat. scandalosus. Vgl. WNT XIV, 194ff.; ferner Kramer (1759) I, 1463; Matthias Kramer: Nieuw Woordenboek der Nederlandsche en Hoogduitsche Taal. ... overgezien ... vermerdeerd door Adam Abrahamsz van Moerbeek. Vierde Druk. Leipzig 1787, I, 394.
5 Nl. Dijk, Deich.
6 Sich. Häufige Verwechslung in Marios Deutsch, vgl. z. B. 300410, 300921, 300924 u. ö.
7 Segeln. Vgl. 300410 K 27.
8 Zierikzee, Hafenstadt auf der Insel Schouwen, Prov. Zeeland.
9 Veere, kleine befestigte Stadt und gleichnamige Mgft. auf der Insel Walcheren in der Prov. Zeeland, ehemals auch ter-Veere oder Kampveere genannt, nach einer Fähre, die nach dem (später untergegangenen) Dorf Kampen auf der zeeländ. Insel Nord-Beveland verkehrte, daher hier die Formulierung ,die wehr‘. Seit 1581 gehörte Veere dem Haus Nassau-Oranien. Vgl. Merian:Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 152; Toonneel der Steden van de Vereenighde Nederlanden. Met hare Beschrijvingen. Uytgegeven By Joan Blaev. [Amsterdam 1649] (HAB: Cb Gr.2° 13); Lexikon Geographie, 1170; Nijhoffs, 589; Grote/ Winkler/ Prins XIX, 127f.
10 Middelburg, Hauptstadt der Prov. Zeeland, auf der Insel Walcheren.
11 Antwerpen, s. 300921 K 10. In einem undatierten Brieffragment (a. a. O., Bl. 40r– 41v), das aufgrund eines Hinweises in 300921 auf den 14./ 24. 9. 1630 zu datieren ist, hatte Mario Friedrich v. Schilling (FG 21) von einer Reise in die span. Niederlande berichtet, die Pgf. Wolfgang Wilhelm v. Neuburg (s. 300410 K 16) Ende August vom Haag aus antrat und die über Bergen-op-Zoom, Lillo und Antwerpen nach Brüssel führte. Es wird dem Neuburger damals zweifellos darum gegangen sein, die Zustimmung der Infanta zu dem im August 1630 ausgehandelten Teilungsvergleich und Truppenabzug aus den jülich-klevischen Erblanden (vgl. 300410 K 16 u. 20, 310113 K 12) zu erwirken. Mario war bei der Reise durch F. Friedrich Heinrich dem Pfalzgrafen als begleitender Commissarius zugeordnet worden. Am 4. 9. war die Reisegruppe in Antwerpen angekommen. Während der Pfalzgraf am nächsten Tag nach Brüssel weiterfuhr, hatte Mario die Gelegenheit genutzt, Antwerpen genauer in Augenschein zu nehmen: man habe sie „alleß was || [301] wir begehrt sehen Lassen, under anderm haben sie vnß auch auf St. Laurentz Bolwerck geführt, aldar 9 Canons stunden, so sie vnder den 30 canons dem von Neuburg zu Ehren haben Loß geschossen, darbej allernegst 40 Chaloppen, jeder 60 fueß Lang 10 breydt, 13 banckhen vmb zu Ruetteren zwischen 3 banckhen 2 Steinstuckhen stehen sollen, soliche vnß sehen Lassen, Jhre rotomentado [Rodomontaden, d. i. Aufschneidereien] darbej erzeigt, vnd sollen diser Chaloppen 140 sein, auf Jeder khünen geraume 90 mahn sitzen, ohne die Ruderer, darmit vermeinen sie das Landt Cassant [s. Anm. 12] vnd andere platzen abzulauffen, wie sie dan albereith einige nach Gent in Flanderen gesanden, einige interprinse darumb zuthun, so balt ich aber in Emmerich bej dem Prinzen khumen bin, vnd eygentliche relation gethan, sein also balt bej 60 Compagnien, nit allein in Flanderen, sondern auch in Zellant [Zeeland] alß zu Midelburg, Landt von der Goes [auf der Insel Zuid-Beveland, s. 300921 K 15], Armien [Arnhem, Gebiet v. Gelderland, Veluwe], Zierchzee [Zierikzee], vnd Flissingen in die guarnison gelegt worden, neben 19 extraordinarij ohrlogß [Kriegs-; s. 300921 K 5] Schiffen, darmit vermeindt man Jnen auf den dienst wartten, der spanische Sargant maior von Antorff, khunte bej dem Schlaff drunckh, welichen ich neben andern officiren zu gast habe gehabt, seine spanische rodomontado nit Lassen, vnd prauiret in deme wir kheinen treuis [Waffenstillstand] mit seinem König begehren anzugehn, daß eine grosse glockhen in vnderschietlichen platzen über vnß gegossen were, ich andtwortt, wen sie noch so groß, alß die Glockhe in Erfurt [die berühmte „Gloriosa“ im Erfurter Dom], soll sie doch wenig khlang bej vnß haben, er sagt potuadios es menester a prouar [recte: pueda Dios ... probar; gebe Gott, daß das zu beweisen ist], war nit woll zufriden daß wir auf die Chaloppen so wenig geben sollen, doch sein sie so starckh daß sie einen gueten Sturm der See sollen khünen ausstehen, dan sie 3 fueß wasserß gehn mögen 4 finger dickh von holtz, Jeder 10 steiner stuckh [an] der seidten füren khünen, khünte woll unversehenß mit stillem See etwas fruchtbarlichß auß gericht werden, (Gott woll vnß bewahren)“. (Bl. 41v). Zum beschriebenen Festungswerk einschließlich der Laurenzschanze s. F. H. Mertens/ K. L. Torfs: Geschiedenis van Antwerpen. Sedert de Stichting der Stad tot onze Tyden. 7 Bde. u. 2 Bde. Anhang u. Register. Antwerpen 1845–1854, IV, 427ff., 502ff.; V, 105, 289ff., 334. Daß der span. Angriff auf einen gut vorbereiteten Gegner treffen und an innerer Schwäche scheitern sollte, geht aus dem vorliegenden Brief hervor. Demnach ist auch F. Friedrich Heinrich als oberster staat. Kriegsherr im Begriff, die Rückreise anzutreten (s. u.).
12 Cadzant, Insel in der Westschelde (später durch Eindeichungen mit dem fläm. Festland verbunden), 1604 zusammen mit Ijzendijke, Aardenburgh und Sluis von F. Moritz v. Oranien eingenommen. Vgl. 301001 K 15.
13 Biervliet/ Nordflandern, wichtige Festung der Holländer und guter Hafen, ehemals auf einer gleichnamigen Insel in der Westschelde östlich Ijzendijkes gelegen (Staatsflandern). S. Anm. 3. Vgl. Merian: Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 164; Lexikon Geographie, 141; Grote/ Winkler/ Prins III, 769.
14 Ijzendijke, Stadt in Nordflandern, seit 1604 starke Schanze und Festung der Holländer (Staatsflandern). S. Anm. 3. Vgl. Merian: Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 181, vgl. 161 u. 164; Toonneel der Steden ... By Joan Blaev (s. Anm. 9); Lexikon Geographie, 1226; Grote/ Winkler/ Prins XX, 322.
15 Kleine fläm. Stadt und span. Festung. Israel, 498; Merian: Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 168f.
16 gebacken; zu meist obd. bachen, st. v., das auf germ. *bak- zurückgeht (ahd. bahhan, mhd. bachen) und unter dem Einfluß Luthers aus der Schriftsprache zugunsten des schwach flektierten bakken (zu *germ. geminiertem bakk-) verdrängt wurde. Vgl. as. bakkan, mnl. backen, nl. bakken. DW I, 1065f.; Frnhd. Wb. II, 1625–1631; Etymolog. Wb. (Pfeifer), 86; Reichmann/ Wegera: Frühnhd. Grammatik, 255f.
17 Nl. fransch, adj., französisch.
18 Statt sonder. Vgl. Stieler, 303f.: sonder, sine, praeter; jedoch sondern, separare. Nl. zonder, ohne. Vgl. 310113 K 23.
19 Ital. paggio, pl. paggi, Edelknabe, Page. Die Form „einen paggi“ ist wohl eine Nachbildung von ital. uno (dei) paggi.
20 Arminianer oder Remonstranten. S. 300410 K 36. Die Calvinisten hatten ihr Monopol auf den öffentli- || [302] chen Gottesdienst am frühesten (1576) in den Provinzen Holland und Zeeland durchgesetzt, das aber im Verlauf des 17. Jahrhunderts von Lutheranern, Remonstranten und Täufern durchbrochen wurde. Vgl. Heinz Schilling: Religion und Gesellschaft in der calvinistischen Republik der Vereinigten Niederlande. In: Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der werdenden Neuzeit. Hg. Franz Petri. Köln/ Wien 1980 (Städteforschung, Reihe A, Bd. 10), 197–250, 205f. Der französisch erzogene Fürst hatte hier, um seine calvinistische Rechtgläubigkeit zu demonstrieren, einen Gottesdienst in nl., nicht in hochdt. Sprache besucht. Mario übersetzt hier offenbar noch nl. duits als deutsch; vgl. P. A. F. van Veen: Etymologisch woordenboek. De herkomst van onze woorden. Utrecht/ Antwerpen 1989, 222: „middelnl. dietsch (vlaamse vorm) en duuts(ch) (hollandse vorm, waaruit Duits) [Germaans, Nederlands]: de betekenisvernauwing, waarbij Duits alleen m. b. t. onze oosterburen ging betekenen, onstond eerst later.“
21 Heißt wohl, Mario sei vor 32 Jahren zuerst in die Niederlande gekommen. Sein anhalt. u. böhm.-pfälz. Dienst u. seine braunschweig. Obristenbestallung müssen hier eine Unterbrechung bedeutet haben. Vgl. 300410 K 1.
22 Das Wort „Religion“ wird im internationalen sog. calvinistischen Sprachgebrauch der Zeit mit rechtgläubigem Christentum im reformierten Sinne gleichgesetzt (vgl. z. B. 310108 K I 1), so daß der Ausdruck „die Religion einhelligligkhlichen“ die mit der reformierten Lehre Übereinstimmenden bezeichnet. Die Idee solcher biblisch begründeten orthodoxen Harmonie scheint wohl auch im Titel der Predigtensammlung von F. Ludwigs Hofprediger Daniel Sachse hinter der Verweisung auf die Evangelienharmonie durch: Einhelligkeit Der Vier Evangelisten Vber Vnsers HErren und Heylandes JESV CHRISTJ Geburt und Leben/ Leiden und Sterben/ Auferstehung und Himmelfahrt/ Aus Jhren Vier Büchern in richtige Ordnung zusammen getragen/ und der Gemeine Gottes zu Cöthen erkleret ... Erster [-Dritter] Theil (Cöthen 1641–1644), u. ö. In 420120 dankt Mario F. Ludwig für die Übersendung des ersten Teils dieses Werkes.
23 Nl. verken, n., Schwein, auch in der Übertragung auf den Menschen.
24 Lillo, kleine Stadt und starke Festung in Brabant, an der Schelde nördlich von Antwerpen gelegen, zu den Generalitätslanden (s. Anm. 3) gehörig. Vgl. Merian: Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 61; Lexikon Geographie, 764; Nijhoffs, 335.
25 Bergen-op-Zoom, starke staat. Festung in Nordbrabant, nahe der Ostschelde, 1588 und 1622 vergeblich von den Spaniern belagert. Die Mgft. Bergen-op-Zoom war 1581 an das Haus Nassau-Oranien gefallen und wurde 1633 Gf. Hendrik van den Bergh (s. 300924 K 3) zugesprochen. Vgl. Merian: Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 40–42; Lexikon Geographie, 129; Nijhoffs, 335; Grote/ Winkler/ Prins III, 580ff.
26 Geertruidenberg in Nordbrabant (nordöstlich von Breda) gelegen, aber zur Gft. Holland zählend und den Fürsten von Oranien gehörig. Vgl. Marcus Zuerius Boxhornius: Tonneel, ofte Beschrijvinghe des Landts, ende Steden van Hollandt [s. 300924 K 19] (Amsterdam [1634]), 285ff.; Merian: Topographia Germaniæ-Inferioris (1964), 52f.; Lexikon Geographie, 550; Nijhoffs, 208.
27 Pernambuco, Brasilien. Vgl. 300410 K 34.
28 Der fläm. Hafen Dünkirchen, berüchtigt wegen seiner Kaperfahrer. Vgl. 300921 K 6.
29 Plymouth, bedeutender Hafen an der südwestenglischen Küste (Devonshire).
30 Gesellschaftsname F. Ludwigs.
31 „Saffran mit der blüth“ wurde Marios FG-Pflanze bzw. Imprese. DA Köthen II.1, [55] (GB 1624); Conermann I, Nr. 100 (GB Kö. bzw. GB 1629/30); Conermann III, 103. Zu Marios Imprese s. auch 300410 K 2 u. 300921 K 38.
32 Charles de Latfeur. S. 260106 K 16 u. 270115; ferner 300921, 300924 u. 301001.
33 Gf. Philipp zur Lippe-Alverdissen (FG 117). In 300921 hatte Mario von dessen Ankunft im Haag berichtet. Der Graf verließ die Niederlande im November 1630, wie Mario in 310113 berichtet. Vgl. 300921 K 29 u. K I 1. || [303]
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