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In den Jahren 1639 und 1640 ist der Dreißigjährige Krieg vollends außer Kontrolle
geraten und zu einem unermeßlichen Zerstörungswerk gegen Land und Leute geworden. Er
ließ sich nicht länger als „christlich-ritterlich“ rechtfertigen oder gar mit einer
realistischen Erwartung auf den militärischen Triumph der einen oder anderen Partei
verbinden. Stattdessen war, wie selbst der schwedische Generalissimus Johan Banér (FG
222) am 11. 11. 1640 gestand, „einem jeden bewust, wohin er auch selbst gedencken
mag, dass nichts alss verwüstete lande, welche freundt und feindt zu grunde ruiniret
zu hoffen sein.“ (AOSB SA VI, 794). Die Kriegswirklichkeit
tritt in vielen im vorliegenden Band veröffentlichten Briefen neben linguistischen
und literarischen Themen in den Vordergrund, besonders in den Briefwechseln Fürst
Ludwigs von Anhalt-Köthen (FG 2), des Oberhaupts der Fruchtbringenden Gesellschaft,
mit seinen Agenten Christian Ernst (von) Knoch (FG 268) und Freiherr Enno Wilhelm von
Innhausen und Knyphausen (FG 238). Fürsten und Landesbeamte wie Fürst Ludwig, Fürst
Christian II. von Anhalt-Bernburg (FG 51), Diederich von dem Werder (FG 31), Martin
Milagius (FG 315) und Caspar Pfau (FG 412) müssen an den anhaltischen Höfen
Kommandeure besänftigen, auf Land- und Kreistagen sowie dem Regensburger Reichstag
Interessen vertreten oder zu Feldherren oder örtlichen Befehlshabern eilen, um
drohende Zahlungen zu reduzieren und nach Möglichkeit Einquartierungen, Durchzüge,
Kontributionen und Plünderungen zu verhindern (401212). Sogar Überfälle wie die auf
Bernburg wiederholen sich (360428; 401214; vgl. 390504 K 4). Offenbar trug
glimpfliche Behandlung bei Einquartierungen zur Qualifizierung von Kommandeuren für
die Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft bei (vgl. 390504 K 3 u. 4). Selbst
der in Kriegsdingen gar nicht zimperliche Schwede Johan Banér scheint unter dem
Eindruck der Redekünste Diederichs von dem Werder, des Verfassers der im gleichen
Jahr von seinem Sohn Paris (FG 339) gehaltenen großen Friedensrede (1639), Anhalt verschont zu haben. Die Probleme der Überführung
einer weltberühmten Bibliothek (Herzog Augusts d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
FG 227) mitten im Krieg und ihre Rettung durch einen schriftstellernden Obristen aus
der Fruchtbringenden Gesellschaft (Wilhelm von Kalcheim gen. Lohausen, FG 172)
erhellen aus einem Brief des Bücherfreundes an den Herzog (390828). Wenige Jahre nach dem Prager Frieden von 1635, der das Scheitern des durch viele
vergeblich angestrebten Reichsfriedens markierte und somit neue Runden des
verhängnisvollen Kampfs einläutete, begannen deshalb wieder zögerliche
Vorverhandlungen über eine Einbindung der deutschen und fremden kriegführenden Mächte
in einem Pazifikationsprozeß (vgl. z. B. 391005 I). Zugleich gewann in der
Publizistik jener Jahre die Friedenspropaganda an Kraft. Quer durch || [8] die Parteien
häuften sich nun Appelle an das politische Bewußtsein, endlich die Rechtfertigung des
Streits und den Eigennutz zugunsten des dringend benötigten Friedens zurückzustellen.
Dennoch ging, wie das Theatrum europaeum (Tl. 4 [1643], 73)
schrieb, ein Jahr nach dem anderen ins Land, da „man allerseits vnd Orthen den
Frieden gesucht/ vff der Zungen würcklich herum̄ getragen/ aber
denselben nirgends finden kön̄en“. Mit dem Friedensstreben eng
verknüpft sind die Idee des Reichspatriotismus und der Appell an den Gemeinen Nutzen.
Nach dem Tode Herzog Bernhards von Sachsen-Weimar (FG 30) entzündete sich der Protest
an der Aneignung der Festung Breisach und der sachsen-weimarischen Armee durch den
Subsidiengeber Bernhards, die französische Krone. Im Briefwechsel und in den Beilagen
des gegenwärtigen Bandes geht es um die reichspatriotischen und gemeinnützigen
Absichten, die der Verstorbene in seinem Testament hegte und auf den sich die Brüder
Bernhards beriefen (s. 390800, 390807A I u. ö.). In den Chor der Flugschriften
mischen sich seit 1639 auch Reden und Dichtungen aus der Fruchtbringenden
Gesellschaft und ihrem Umkreis, besonders die erwähnte Friedensrede, ein an verschiedenen Orten aufgeführter und gedruckter
erasmischer Redeakt, sodann die LAMENTATIO GERMANIÆ EXSPIRANTIS Der
numehr hinsterbenden Nymphen GERMANIÆ elendeste Todesklage des Braunschweiger
Prinzenerziehers Justus Georg Schottelius (FG 397. 1642) und die ECLOGA oder Gespräch zweyer Hirten/ nemlichen des Damons vnd Coridons Vom Krieg
vnd Friede des Hallenser Gymnasialrektors Christian Gueintz (FG 361. 1641).
Vgl. 390723 K 3, 390904 I, 400218 u. 400314, s. auch 390112 I. Wir veröffentlichen
die Friedensrede kritisch im Vergleich mit anderen Fassungen
nach dem einzigen, im Vredepaleis Den Haag erhaltenen Exemplar des Köthener Drucks
von 1639. Die Friedenspropaganda dieser Verfasser ist eng mit den irenischen und
sprachreformerischen Anliegen der Fruchtbringenden Gesellschaft verbunden, im Falle
von Schottelius sogar unmittelbar mit der Bibelrevision seines Dienstherren. Herzog
August von Braunschweig-Wolfenbüttel hatte schon im Februar 1638 eine erste Revision
der Bibelübersetzung Luthers abgeschlossen. Nicht nur durch Bibelexegese und
Heranziehung anderer Bibelübersetzungen wie der Verdeutschung von Piscator oder der
lateinischen Übertragungen von Osiander, Tremellius und Beza, sondern auch durch sein
Bemühen um grammatische Regelhaftigkeit und stilistische Flüssigkeit, nach Nähe zu
den Grundsprachen wie nach umfassender Ordnung des bibelphilologischen Werks, ist
Augusts Bibelrevision über bloße Sprachkosmetik oder willkürliche Eingriffe weit
hinausgedrungen (s. 380320 u. I sowie 391217 mit Beilagen). Er folgte in der
sprachlichen Formenlehre Justus Georg Schottelius, der im Grund im Niederdeutschen
die ältere und reinere Sprachform erkannte und sie gern zum Maßstab auch des
gereinigten Hochdeutschen erhoben hätte. Herzog August erbat auch die Kritik und
Mitarbeit von Theologen, besonders Johann Sauberts d. Ä., Georg Calixts und später
auch Johann Valentin Andreaes, stieß jedoch auf die kirchlichen und sprachlichen
Bedenken von Lutheranern wie Johannes Müller und Nicolaus Hunnius. Vor den Warnungen
alarmierter orthodox-lutherischer Verteidiger des Status quo scheint der Herzog, der
als Haupt einer lutherischen Landeskirche zur Zu- || [9] rückhaltung gezwungen war,
zurückgewichen zu sein und sich so auf das theologisch weniger angreifbare Feld der
Evangelienharmonie verlegt zu haben. Schon 1624/25 hatte August sich der Arbeit an
Summarien zugewandt (Biblischer Außzug Oder Gründliche
Summaria. Lüneburg 1625). 1638/39 erarbeitete er eine Passionsharmonie (s.
401111 u. I), zu der Calixt eine Vorrede beisteuerte, die Augusts Werk nicht nur in
das Licht der Irenik, sondern leider auch in den Verdacht des Calixt vorgeworfenen
Synkretismus tauchte. Der Herzog verfolgte sein Ziel zunächst auf dem Wege zu einer
Harmonie der vier Evangelien (1646), ließ eine Überarbeitung der Verdeutschung David
Förters der von den Lutheranern anerkannten lateinischen Bibel Lucas Osianders (1650)
drucken, bevor er dann im hohen Alter doch wieder zu seinem ursprünglichen Vorhaben
einer gründlichen Revision der gesamten deutschen Bibel zurückkehrte. Das Augusts
Leben begleitende große Bibelwerk entsprach nicht nur durch das Bemühen um die
weitgehende Reinigung der Sprache von fremden Appellativen, um grammatische
Regulierung und um stilistische Eleganz den Bestrebungen der Fruchtbringenden
Gesellschaft, sondern in weiterem Maße auch in seinen Ansprüchen an die Bildung der
christlichen Laien und in der Förderung der deutschen Übersetzung und der
deutschsprachigen wissenschaftlichen Arbeit. Arbeit an der deutschen Bibel lag damals
durchaus in der Luft. Ein anderer Fruchtbringer, Herzog Ernst der Fromme von
Sachsen-Weimar bzw. -Gotha (FG 19), betrieb um 1640 durch eine Gruppe von Gelehrten
das Weimarer Bibelwerk, das allerdings nicht so sehr auf Spracharbeit als auf die
Belehrung der Laien durch durchgehende deutsche Kommentierung des Luthertexts
gerichtet war. Vor allem durch biblische Dichtung und deutsche Grammatik und nur bedingt durch
Bibelrevision mittels der Evangelienharmonie oder der Übersetzung aus den
Grundsprachen der heiligen Schriften erstrebte Fürst Ludwig die Pflege der deutschen
Sprache. Er suchte mehrere Bücher des Alten Testaments (Genesis bzw.
Josephs-Geschichte, Buch Hiob, Psalter, Sprüche Salomonis) in poetischen Lehrbüchern
für den Laien zu erschließen. Der Anfang seiner Dichtung auf das 1. Buch Mose wird im
vorliegenden Band zuerst durch eine Herzog August gesandte Abschrift nachweisbar
(391217 K 2). Vor einer gründlichen Revision der deutschen Bibel warnte Fürst Ludwig
Herzog August (391217) und verwies ihn deshalb an einen Braunschweiger Theologen.
Wenngleich es Fürst Ludwig in seinen biblischen Lehrdichtungen auch um strenge
grammatische und poetologische Regulierung des Deutschen ging, so blieb er doch
meistens den lateinischen und griechischen Endungen fremder Namen und damit dem
damals noch im Deutschen vorherrschenden Sprachgebrauch treu (s. 391217). Er folgte
in der Regel nicht Schottelius oder anderen die Sprache analogisch konstruierenden
fruchtbringerischen Philologen und hätte auch nicht der vorsichtigen Warnung eines
Johann Saubert d. Ä. an den Braunschweiger Herzog widersprochen: „Jm fall nun E. F.
Durchl. die vorhabende correctur allein vff den Dialectum der NiderSächsischen provincien, gnädigst gesonnen zu accommodirn, wird Zweifelsohne denselben damitt höchlich gedienet sein: Ob es
aber ein durchgehend werck sein möchte, zumahln wann auch die weinmairische [sic] Biblien zugleich ans Liecht kommen“, möge der Fürst überdenken (380320 K 1). Im übrigen sandte Fürst || [10] Ludwig in
diesem Zusammenhang dem Herzog die von Christian Gueintz entworfene deutsche
Sprachlehre (391217), die Ludwig selbst unter Beteiligung anderer Fruchtbringer
revidieren wollte. Auch hierin hoffte er im Falle Augusts und anderer
Akademiemitglieder (s. z. B. 390807; Martin Opitz. FG 200) und Gelehrter auf
Mitarbeit und Herstellung eines sprachlichen Konsens. Die Entwicklung der
hochdeutschen Schriftsprache mittels Bibelübersetzung war für Fürst Ludwig allerdings
mit der Verdeutschung der Heiligen Schriften durch Luther und mit deren Verbreitung
in allen deutschsprachigen Landen noch keineswegs zum Abschluß gekommen. Obgleich er
sich in seinem Bibelgebrauch meistens nach Luther richtete, rechtfertigte er die
Benutzung der Übersetzung Piscators in seiner reformierten Kirche doch nicht nur aus
kirchlich-konfessionellen Gründen, sondern auch wegen des neuen Verständnisses der
Grundsprachen an vielen revidierten Bibelstellen. Deshalb zog, wie erwähnt, auch
Herzog August für seine Zwecke die Reformierten Piscator und Tremellius heran. Im
Zusammenhang mit seiner eigenen Arbeit an Evangelienharmonien, aber auch zum Zwecke
des Bibelverständnisses und der Bibelverdeutschung wird er sogar das ambitiöse
Vorhaben einer umfassenden ,Harmonie’ der vier Evangelien in Bibelpredigten des
reformierten Superintendenten und Hofpredigers in Köthen, Daniel Sachse, durch
Druckkostenbeteiligung gefördert haben (Einhelligkeit Der Vier Evangelisten Vber
Vnsers HErren und Heylandes Jesv Chrjstj Geburt und Leben/ Leiden und Sterben/
Auferstehung und Himmelfahrt. 3 Tle. Köthen 1641–1644; s. 400104 u. I). Zu diesen großen Braunschweiger, Köthener und Weimarer Bibelwerken treten um 1640
einzelne Aufmerksamkeit heischende Bibeldichtungen und -auslegungen durch Laien aus
der Fruchtbringenden Gesellschaft. Ich erwähne nur Martin Opitz’ Psalmlieder auf
Melodien des Genfer Psalters und deren sprachlich-metrische Kritik durch Fürst Ludwig
(s. besonders 380828 u. I), eine Bibelparaphrase des anhaltischen Gesamtrats Milagius
in erbaulichen Liedern (Der Singende Jesaia/ Oder Der Prophete Jesaia/ Jn reine
deutsche Reime gebracht. Bremen 1646) ebenfalls nach den Genfer Melodien, eine
Jonas-Dichtung des Burggrafen und Herren Christoph zu Dohna (FG 20) und seine Arbeit
über das Hohe Lied (Kurtze und einfältige Betrachtungen vnd
Außlegungen Vber das Hohe Lied Salomonis. Basel 1635; wiedergedruckt Zerbst
1638; frz. Orange 1638; s. 371027 K 6 u. 380120 K 7). Freilich beschäftigten sich die Fruchtbringer in den späten dreißiger Jahren nicht
nur mit Themen der sprachlichen und poetischen Regulierung, die ihren Hauptgegenstand
in der Poetik, im Bibelwerk, der philologischen Kritik und der Grammatik fanden. Als
andere Aufgaben stellten sich die Aufnahme neuer Mitglieder (s. z. B. 401107), die
Finanzierung teurer Drucke durch Subskription, die Erfindung und Illustrierung von
Impresen, die Ergänzung der Reimgesetze des Gesellschaftsbuchs von 1629/30, deren
Umdichtung in Stanzen und die Beschaffung von Wappen für das Köthener
Gesellschaftsbuch bzw. das Sticken von Wappen und Impresen für die Gobelins in Fürst
Ludwigs Schloß. Hinzu traten die Übersetzung von nichtbiblischen Werken wie Théodore
Agrippa d’Aubignés hugenottischer Histoire universelle
(400506), die Übertragung eines alten franzö- || [11] sischen Alexanders (390701, 400514,
400619 u. ö.), die Revision der großen Lehrdichtung des verstorbenen Tobias Hübner
(400000), die Durchsicht zweier reformierter, von Fruchtbringern übertragener
Erbauungsbücher (400514 K 7) und die Herausgabe und Kommentierung des
frühmittelhochdeutschen Annolieds (Opitz, s. 390121A). Diese Beschäftigung mit einem
Text des deutschen Altertums suchte die Gesellschaft auch noch nach Opitz’ Tod
fortzuführen (vgl. z. B. 400113 u. 400319). Die Rezeption vermutlich des
mittelalterlichen französischen Alexanderromans durch eine (leider verschollene)
Verdeutschung Fürst Ludwigs (s. 390701) zeigt, wie schon in den ersten Bänden der
Ausgabe das Interesse an altitalienischen Texten und Stoffen, daß sich der Wettbewerb
im Kontext der volkssprachigen europäischen Renaissance nicht allein auf die
Nachahmung der Antike und der Muster der entstehenden Nationalliteraturen bezog,
sondern auch auf das Mittelalter der europäischen Nachbarvölker. Unsere Beschäftigung mit der für die Sprachkritik der Fruchtbringer wichtigen Sprachlehre des Hallenser Gymnasialrektors Christian Gueintz
führte zur Entdeckung einer deutschen Grammatik, die schon um 1620 im Zusammenhang
des Köthener ratichianischen Volksbildungswerks entstand, jedoch nicht veröffentlicht
wurde. Eine Edition dieses ausführlichen, seit 1639 überarbeiteten Texts (vgl. 391217
K 11) zusammen mit Gueintz’ Deutscher Sprachlehre Entwurf
(Cöthen 1641) ist im Rahmen der zweiten Reihe der vorliegenden Ausgabe vorgesehen.
Die frühe deutsche Grammatik belegt, daß die gelehrte Spracharbeit der Akademie auch
im Ratichianismus wurzelt. Die Handschrift definiert noch nach dem Vorbild der
vorhergehenden kleinen Köthener Universalgrammatiken von 1619 (Allgemeine Sprachlehr: Nach Der Lehrart RATICHII. S. 1 „Die Sprachlehr ist
eine Dienstfertigkeit zur Reinen Sprache“; GRAMMATICA UNIVERSALIS: Pro DIDACTICA
RATICHII. S. 1 „Grammatica est habitus instrumentarius ad purum sermonem.“) den Zweck
der deutschen Sprachlehre: „Die deutsche Sprachlehr ist eine dienstfertigkeit der
zusammensetzigen deutschen wörter, rein deutsch zu reden.“ (Bl. 11r) — wobei der
Terminus rein der in der lateinischen Rhetorik und Grammatik
verlangten Stiltugend der puritas entspricht. Die dient dem
Stilideal der Latinitas, die die ausführliche lateinische Grammatik des Köthener
Ratichianismus von 1619 zitiert, welche Nicolaus Pompeius verfaßte: „Grammatica
Latina est habitus instrumentalis dictionum latinarum conjungendarum, ad
latinitatem.“ (COMPENDIUM GRAMMATICAE LATINAE: AD DIDACTICAM. S. 3). Die Absicht des
ratichianischen Lehrprogramms, die Wissenschaften ganz vom Deutschen ausgehend zu
lehren, birgt die Gefahr des Miß- oder Nichtverstehens, so daß August Buchner unter
Reinheit, wie es für den Wittenberger Poesie- und Rhetorikprofessor nahegelegen haben
muß, eine über die Richtigkeit hinausgehende höhere Qualität der Rede verstand,
welche nicht nur die Regeln der Ratio (analogia, etymologia) befolgte und Barbarismus
und Solözismus vermied, sondern auch die Wahrung der Idiomatik und Pragmatik
verlangte: „Dann die reinligkeit der Sprache kann nicht durch und durch auß der
Grammatica oder Sprachlehre erlernet werden, allß wie derselben richtigkeit. Dann
diese bestehet uff gewißen regeln und sazungen, iene aber nicht. Und ist ein anders
den regeln und der Sprachlehre nachreden, ein anders, wie es die rein- || [12] ligkeit und
eigene art der Sprache erfordert. Allß wann ich sagte, ein Pferd ernehren, da weren
die wörter zwar alle Deutsch, Sie wehren richtig geordnet oder gefügt, und dennoch
were die rede nicht rein-Deutsch. Dann der Deutsche sagt nicht, ein Pferd ernehren;
sondern, ein Pferdt halten.“ (400122 I). Etwas anderes hatten die ratichianischen
Grammatiken mit den Termini purus, rein und im Lateinischen mit latinitas nicht
gemeint. Daher konnte der Fürst als Kompromiß auch leicht die Formulierung „Recht und
rein deutsch“ (a. a. O., T I b) vorschlagen und Gueintz in seiner Sprachlehre die deutsche Grammatik als „eine dienstfertigkeit der
zusammensetzlichen Deutschen wörter recht rein Deutsch zu reden“ (S. 1) bezeichnen.
Dennoch hatte er mit dieser Übereinkunft noch kein sicheres begriffliches Fundament
für die Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft geschaffen, denn entsprechend
der Latinitas mußte das rechte reine Deutsch in rationaler Systematik, jedoch nach
dem Vorbild anerkannter Texte entwickelt werden, darunter auch alter, und vor allem
nach der Richtschnur des Sprachgebrauchs (Usus). Die Diskussion um die Regulierung
des Deutschen bewegt sich auch in der Fruchtbringenden Gesellschaft auf dem von
Quintilian schon für die Latinitas der Rede bestimmten Feld von Ratio, Auctoritas,
Vetustas und Consuetudo (inst. 1,6,1-3). Die älteste Titeleinfassung der ratichianischen Köthener Drucke (wie die der
genannten Universalgrammatiken) weist mit ihrem Wahlspruch „RATIO VICIT. VETUSTAS
CESSIT.“ nicht nur auf das Programm Wolfgang Ratkes und der Köthener Bildungsreform
hin, sondern auch auf das zentrale Thema der Sprachdebatte der Fruchtbringenden
Gesellschaft, das rechte Verhältnis von Ratio und Consuetudo in der Regulierung des
Deutschen und seiner Grammatik. Während der Braunschweiger Grammatiker Justus Georg
Schottelius und andere in der antik und mystisch fundierten Tradition der
Sprachphilosophie die Ratio in der Natur (physis) der Sprache fanden und daher durch
analoge Bildung die „Grundrichtigkeit“ der Wortform und der Bedeutung ermitteln
wollten, glaubten Fürst Ludwig und Gueintz an Übereinkunft und Setzung (thesis) und
damit auch an eine vernünftige Regulierung, die sie vom modernen Gebrauch und nicht
von eingefahrener Übung (vetustas) abhängig machen wollten. Gueintz konstatiert
einmal: „Waß im gebrauch, wirdt billich nach der vernunft erhalten.“ (400301 I).
Denn, wie Fürst Ludwig an Buchner im Zusammenhang mit dessen Gueintz-Gutachten
schrieb (400214 I): „D[er] ursprung der Regeln kommett aus dem gebrauche und der
gewonheitt, und [nicht] der erste gebrauch aus den regeln her. Do unsere sprache nun
n[och] lebett und nicht abgestorben ist, weill man sie nicht aus bü[chern,] wie
nunmehrs die Hebraische[,] Lateinische und Griechische lernen muß, sond[ern] vom
gehöre begreiffett, kan man ietzo, und gebuhret uns die Regeln desto richtiger nach
ihrer artt und ausrede zu machen, also wird sie gebuhrlich ausgeubett, und bleibett
man nicht bey der alten ungegründeten gewonheitt.“ Zur richtigen Regulierung trägt
auch ein differenzierendes Verständnis der Auctoritas bei, denn wie Buchner im
Einklang mit seiner damals nur in Abschriften kursierenden Poetik bemerkte: „Darumb
muß mann nicht nach den ältesten exempeln regeln machen, Sondern nach denen, die am
besten geredet, und solches nun in schwanck gebracht. Bey denen alten Lateinern, so
wol Poëten || [13] allß Redenern, ist viel zu finden, waß nach der zeit alles uffgehoben,
weill mann waß beßers haben können. Vnd eben auß diesem sindt nachmals regeln
gemacht, ienes aber alleine nur angemerckt worden, zur wißenschafft, doch nicht zur
folge.“ (400122 I). Wenn Regeln aber nicht aus der in der Sprachnatur angelegten
Grundrichtigkeit, sondern aus dem wechselnden Gebrauch abgeleitet werden, kann nach
Schottelius eine solche Philologie keinen Bestand haben. Sie suche „die derivation
einer sprache aus der anderen zuerzwingen“, weil sie ähnliche Wortstämme in
verschiedenen Sprachen entdecke. Darum sei Gueintz ein „hodiernus Criticus“ (400528
I), ein Philologe à la mode. Obgleich Georg Philipp Harsdörffer (FG 368. 1642)
betonte, daß die deutsche Sprache nach der hebräischen geartet sei, sollte er doch
Schottelius’ Lehre beipflichten, man müsse die Regeln auf die eigenen „Stam- oder
wurtzelwörter“ gründen (460131). Die von solchen Critici wie Joseph Justus Scaliger,
Isaac Casaubonus und Janus Gruterus repäsentierte Leitwissenschaft des Späthumanismus
fand in der deutschen Sprache einen neuen, von der Edition antiker Autoren getrennten
Kampfplatz, auf dem das Verständnis der Philologie erneut zu bestimmen war. Gueintz
erwiderte Schottelius’ Angriff, indem er dessen Spracharbeit den muttersprachlichen
Boden entzog: „Vnndt wenn es so seyn solte, wie man sich will einbilden, oder Neue
Vrtheiler (critici) meinen, So müste kein deutscher biß anhero sein gewesen, oder
noch sein; auch Er selbst nicht: müste auch biß annoch kein rechter Brieff sein
geschrieben, wenig recht gedrücket, keine rechte Rede, oder Predigt gethan vnndt
vorgetragen sein worden.“ (400528 II). Die Spracharbeit in der Fruchtbringenden Gesellschaft verlief nicht nur entlang
tradierter rhetorischer und sprachphilosophischer Bahnen. Wenn Ratke die Lehre der
(Mutter-)Sprache mit dem Sieg der Vernunft verknüpfte, so zielte er damit schon vor
allem auf eine Art Verständigung über die biblische Quelle und deren Verbreitung
durch Unterricht. Mit seinem Konzept einer „harmonia“ von Offenbarung, Wirklichkeit
und Sprache sollte endlich die Einheit der Religion und der Frieden im politischen
Leben geschaffen werden. Dies war zweifellos auch die Hoffnung, die Ludwig und seine
weimarischen Neffen mit der Initiierung des ratichianischen Schul- und
Bildungsprojekts verbanden. Die Sprache und zwar die von allen gleich und gleich gut
verstandene, durch Unterricht in allen Wissenschaften (und in Fremdsprachen) mit
Kompetenz korrelierende Sprache nimmt hier eine Rolle an, die die „Theorie des
kommunikativen Handelns“ von Jürgen Habermas für das ideale, herrschaftsfreie
Gespräch vorschreibt. Verständigung durch Sprache, auf die im Krieg und im
Konfessionalismus Zerstrittenen ihre Hoffnungen setzen sollten, scheiterte im
Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges an der Aufgabe, einen wahrhaften
Universalfrieden auszuhandeln. Im Diskurs über die Sprache konnte auch in einem
herrschaftsfreien Raum, den die nahezu hierarchiefreie, konfessionell und politisch
nichtbegrenzte Fruchtbringende Gesellschaft schuf, im Verlauf des Gesprächs kein
gemeinsames Verständnis entwickelt und Rationalität und soziale Übereinkunft nicht
erzielt werden. Als sich die Meinungen Herzog Augusts und Fürst Ludwigs auf dem Gebiet der
Bibelharmonie, Bibelübersetzung und Bibeldichtung wie Linien schnitten || [14] und deshalb
auch Sprachkritik und Philologie die Rolle der Vermittlung übernehmen sollten,
entzündete sich bei der Diskussion über Gueintz’ Sprachlehre, die Mitgliedern der
Fruchtbringenden Gesellschaft und verschiedenen Gelehrten wie Schottelius zur
Durchsicht und Verbesserung vorgelegt wurde, ein Streit um die Rationalität und die
Konvention der Sprache, der gleichermaßen die Richtigkeit derselben wie auch die
politische und soziale Aufgabe einer um Wirkung und gesellschaftliche Harmonie
bemühten Akademie betraf. Schon Ratke appellierte in einem Memorial an den Reichstag
an die Gesellschaft der Gläubigen und forderte eine einheitliche Sprache im
politischen, religiösen und wissenschaftlichen Raum (DA Köthen
I.3, S. 14). Das früheste, Fürst Ludwig geschickte Schottelius-Buch, eine poetische
„Todesklage“ der „Nymphen Germaniae“ (400218 K 5), greift in diesem Sinne den
Mißbrauch trügerischer „Friedensworte“ durch die Kriegstreibenden an, während der
Autor jedoch in seinem Gutachten über Gueintz’ Sprachlehre (400528 I) fundamentale
Kritik an einer friedenstiftenden sprachlichen Konvention übt. Auch in der Sprache
der Todesklage ist in ihren ungebräuchlichen grammatischen Formen der Verstoß gegen
den Usus offensichtlich, so daß der Fürst in einem Brief an Herzog August monierte:
„Die stellung E. L. bedientens will in allem nicht unserer geübten aussprache gemess
fallen“ (400605). Mit der Erzählung Legation Oder Abschickung der Esell in
Parnassum (1638), erregte Rudolf von Dieskau (FG 155) Anfang 1639 in der
Fruchtbringenden Gesellschaft nicht nur deshalb Aufmerksamkeit, weil er in
satirischer Maskerade und voller Anspielungen die Verheerung des Landes und die
Unterdrückung seiner Bauern den kriegführenden Fürsten vor Augen stellte. Er gab auch
Anlaß zu sprachlicher und literarischer Kritik, da er gezielt Fremdwörter einsetzte
und bei der Errichtung von Altären auf dem Parnaß Opitz vor anderen Autoren
bevorzugte (390114 I). Noch größere Aufmerksamkeit verlangte ein anderes
literarisches Thema, die Regelung der deutschen Dichtung, speziell der Verskunst
(390911, 391119 u. I‒II). Wie die Sprachlehre, so ließ Fürst Ludwig auch seine Poetik
Kurtze Anleitung zur Deutschen Poesi(1640) unter zum Urteil befähigten Mitgliedern wie Augustus
Buchner kursieren (390911, 391028, 391119 u. ö.). Auch Buchner und Gueintz legten
ihre deutschen Poetiken dem Fürsten, Diederich von dem Werder und vielleicht auch
anderen vor. Buchners Dichtungslehre wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht, und
die von Gueintz, deren Existenz bisher unbekannt war (400313 K 4, 400314, 400506 u.
400514), sollte nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Auch Opitz war zur
Teilnahme an der Kritik der fürstlichen Poetik ausersehen, jedoch verhinderte sein
Tod die Ausführung des Plans. Allerdings hatte er schon 1638 mit dem Fürsten über den
Daktylus debattiert. Zum Streitpunkt wurde die Zulässigkeit des Daktylus, weil der
Fürst offenbar die sinnliche, tänzerische Qualität dieses Versfußes nicht schätzte
und sie nicht legitimieren wollte. So schob er den Daktylus unter die vielen
überzähligen Formen ab und überging ihn in seiner Poetik, weil er seinem Geschmack
nach im Deutschen nicht unbedingt wohl klinge und dieser Sprache nicht gezieme
(391028; vgl. 381116 u. 381216). Obgleich der Fürst für bestimmte sangbare Gattungen
den Daktylus und den verwandten Anapäst zuließ (391028 u. 400323), || [15] stieß seine
Abwertung dieser Formen unter jüngeren Autoren wie Zesen oder den Pegnitzschäfern,
die gerade diese Versfüße zur Ausbildung ihres Stils brauchten, einhellig auf
Ablehnung. Opitz, Harsdörffer, Buchner und dessen Schüler Philipp von Zesen (FG 521.
1648) bahnen hier, zunächst auf das Verlangen von Heinrich Schütz hin, einem
tändelnden, wohl auch barock zu nennenden Stil den Weg. Wie die pietistische Kritik
gegen die opernhafte Generalbaßmusik in der Kirche zeigt, spitzte sich der Widerstand
gegen solche Formen zum Ende des 17. Jahrhunderts hin zu. Es sind solche aufschlußreichen und in der Fruchtbringenden Gesellschaft kontroversen
Themen wie die Zulässigkeit des Daktylus oder das Verhältnis von sprachlicher Natur
und Konvention (Aristoteles), die die Akademie zum Entstehungsraum und zum
Entscheidungsfeld für weitreichende literarische und sprachliche Entwicklungen werden
ließen. Hinter der präzis-knappen, emotional sehr verhaltenen Sprache Fürst Ludwigs
verbirgt sich dabei so manches, dessen Tragweite erst im Kontext des Briefwechsels
und bei den dadurch ausgelösten Recherchen entschlüsselt werden kann. Selten begegnen
in der Korrespondenz gefühlsmäßig aufgeladene Texte wie der Brief Fürst Christians
II. von Anhalt-Bernburg (Der Unveränderliche!), der seinem Oheim Ludwig
Benachteiligung seines Teilfürstentums bei der Aufbürdung von Kriegslasten vorwarf
(390504), oder Christians in einem literarischen Stil abgefaßtes französisches
Schreiben (400728), das ausgelöst wurde durch Friedrichs von Spanheim Biographie des
Heilenden, des Ludwig und dem Briefempfänger Adolph von Börstel (PA) persönlich eng
verbundenen, kürzlich verstorbenen Burggrafen und Herren Christoph zu Dohna. Vgl.
360630 I‒III. In beiden Schreiben handelt es sich allerdings auch nicht um
spezifische Beispiele des fruchtbringerischen Gesellschaftsbriefs, einer Form, die
für den geselligen deutschsprachigen, von politischen, konfessionellen und
ständischen Rücksichten befreiten Verkehr von gleichgestellten Mitgliedern entwickelt
worden war und die das sachliche und auch unterhaltsame Gespräch über literarische
und sprachliche Belange erst einmal ermöglichen sollte. Gesellschaftsbriefe
verzichten auf pompöses Titular und Kurialien. Der Schreiber benutzt für sich und den
Empfänger fruchtbringerische Gesellschaftsnamen und spricht von sich selbst wie auch
über den anderen in der dritten Person. Vgl. 390630 u. 390903. Hierdurch erfüllt das
Mitglied das erste „Vorhaben“ im Gesellschaftsbuch, wonach jedes Mitglied sich „in
dieser Gesellschafft/ erbar/ nütz- und ergetzlich bezeigen“ und wie „bey
Zusammenkünfften gütig/ frölig/ lustig und erträglich in worten und wercken“ sein
soll (GB 1622, s. DA Köthen II.1, S.
[10]). Daher weist auch Fürst Ludwig die „verhandfestung“ des Neumitglieds Friedrich
Hortleder (FG 343), eines Juristen, zurück (390901, vgl. 390826) und verzichtet auf
Aufnahmeurkunden für solche Neumitglieder. Fürstliche Aufnahmeurkunden kamen erst
nach 1650 in der Weimarer und der Hallenser Periode der zum Palmorden gewandelten
Gesellschaft in Gebrauch. Wie schon die vorhergehenden Ausführungen vermuten lassen, machte die Einordnung und
Erklärung der Briefe und Beilagen auch des fünften Köthener Bandes häufig
detaillierte Recherchen kaum bekannter politischer und militärischer Umstände aus
einem bisher nur wenig erforschten Abschnitt des Dreißig- || [16] jährigen Krieges
unumgänglich. Auch gaben die Dokumente manchen Anlaß, Entwicklungen und Themen der
vorangehenden Bände weiterzuverfolgen. Zum Beispiel erfahren wir von einem erneuten
Versuch der Verdeutschung von Cervantes’ Don Quijote durch
einen Fruchtbringer (390119 K 1, vgl. 250218A V–VII u. 371124 K 5). Die von Fürst
Ludwigs Schwester Gräfin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt (TG 1) gegründete
Tugendliche Gesellschaft, die seit vielen Jahren (s. 300723) für uns ohne ein
briefliches Zeugnis geblieben war, kehrt mit einem Kondolenzschreiben und Nachruf
(400917) auf ein verstorbenes Mitglied (Prinzessin Anna Sophia von Anhalt-Bernburg;
AL 1617 [?]. TG 19. Die Holdselige) in unsere Erinnerung zurück. Der Sterbefall der
Prinzessin bietet aber nicht nur Gelegenheit, an ihre Mitgliedschaft in der
Tugendlichen Gesellschaft und an ihr ‚Gemälde’ (Imprese) im Gesellschaftsbuch dieses
Ordens zu denken, sondern auch daran, daß diese Damengesellschaft und die
Fruchtbringende Gesellschaft Aufgaben von Hofakademien zur Erziehung der adligen
Jugend mitübernahmen. Wie sich schon früh bei der Anleitung von Prinzen und
Prinzessinnen zum Verdeutschen der Cento novelle antiche
(Novellino) zeigte (s. 300718 K 9) — Anna Sophia, ihre Schwestern und Fürst Ludwigs
erster Sohn gehörten zu den Schülern —, und wie es auch der Plan des schlesischen
Prinzenhofmeisters Peter von Sebottendorf (FG 57) vorschrieb (300718), entsprach
solche Pflege der deutschen Sprache und Dichtkunst durchaus den Absichten der
genannten Gesellschaften. Deshalb konnten Prinzessin Anna Sophia, die Prinzen Ludwig
d. J. (FG 6) und Wilhelm Ludwig von Anhalt-Köthen (FG 358) ebenso wie Paris von dem
Werder, der Friedensredner, schon im kindlichen oder jugendlichen Alter Aufnahme in
der Tugendlichen bzw. Fruchtbringenden Gesellschaft finden. Rhetorisch-poetische
Grundfähigkeiten gehörten auch zum Verhaltens- und Kompetenzbild des Hofmanns, wie es
die Gedichte Joachim Mechovius’ (FG 483. 1647) auf seinen Dienst- und Landesherrn, F.
Christian II., illustrieren (400809 I u. II). Den Versen der Fürsten Christian II. und Ludwig auf den Tod der Holdseligen, einer
Schwester Christians (s. 400902), konnten Zeugnisse der gelebten Frömmigkeit der
Verstorbenen in Form ihrer Gedichte, Prosameditationen, ausgewählten Sentenzen und
Bibelzitate gegenübergestellt werden, dazu ein Brief, der ihr von religiös
legitimiertem Verzicht bestimmtes Leben zum Ausdruck bringt. Im Tagebuch notierte,
von Geldnot und Krankheit bestimmte Umstände verursachten Stimmungsumschwünge und
bezeugen die Vergeblichkeit der Medikation und ärztlichen Tröstung. Diese Quellen
enthüllen Anlässe für Aussagen der Gedichte Fürst Christians. Selbstvorwürfe treiben
ihn dazu an, seine Schwester zur geistlichen Kämpferin und Heldin zu stilisieren.
Christians Dichtungen liefern zudem Beispiele für die Verskritik der Fruchtbringenden
Gesellschaft. Die Sterbende, die auf eine Kur im Sauerbrunnen verzichtet und ihr
Vermögen zur Finanzierung einer Reise ihres Bruders geopfert hatte, kritisierte in
ihrer Verzweiflung Christians teure Subskription für ein zentrales Buchprojekt der
Gesellschaft (400902 K 0 u. III). Trotz Kriegslast und Verschuldung (z. B. 391005)
gelang es Fürst Ludwig, Druckkostenzuschüsse für die Veröffentlichung von
fruchtbringerischen und anderen Büchern einzusammeln. Das erweiterte
Gesell- || [17] schaftsbuch von 1641 konnte aber nicht mit Kupferstichen der Impresen
veröffentlicht werden, da selbst Herzog August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel,
der damals das riesige biblische Predigtwerk Daniel Sachses förderte, dafür nicht
auch noch den benötigten Zuschuß — wie später im Falle des Gesellschaftsbuchs von
1646 — aufbrachte. Im Zeitraum des vorliegenden Bands nehmen Fürst Ludwig und Diederich von dem Werder
die Umdichtung der paargereimten achtzeiligen Reimgesetze (französisch huitain) des
Gesellschaftsbuchs (GB 1629/30) in Stanzen in Angriff. Werder
hatte die Ottaverime in seiner Tasso-Übersetzung (1626) nachgeahmt. Diese von Fürst
Ludwig in der von ihm auch damals gedichteten Poetik Kurtze
Anleitung zur Deutschen Poesi (1640) als „geschrenckt“ bezeichnete
Strophenform weist das Reimschema abababcc (s. 391119 I, 400619 u. 401223 K 6) auf,
zeigt in den sechs ersten Versen Kadenzwechsel von männlichem und weiblichem
Versschluß und endet mit paargereimter männlicher Kadenz. In Ludwigs Poetikkann die Stanze aus Alexandrinern allerdings auch mit
weiblichem Versschluß anheben und demzufolge im letzten Verspaar weiblich enden
(„Heldenartt Achtzeiliges gesetz’ anfahende mitt weiblicher endung, von dreyzehen und
zwölff Sylben“). Auch kennt der Fürst dort achtzeilige Gesetze „Gemeiner Art“
(fünfhebige jambische Verse) mit weiblich oder männlich anhebenden Kadenzfolgen.
Heinse und Goethe variierten diese vom italienischen Modell abweichende Form und
setzten sie im Deutschen wieder in Kraft, allerdings mit jambischen Fünfhebern und
weiblich/ männlich wechselnder Kadenz in den ersten sechs Versen. Ludwig und Werder
gelang es zwar nicht, das nächste Gesellschaftsbuch (GB
1641/44) mit Kupferstichen drucken zu lassen, aber doch alle Stanzentexte auf
mittlerweile 353 Mitglieder zu verfassen und 1641 in Köthen zum Druck zu bringen
(391203 u. I, 401223 K 6 u. ö.). Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft übersetzten, wie erwähnt, weiterhin
religiöse Erbauungsbücher, z. B. Fürst Christian II., Fürst Ludwig, Hans Ludwig (von)
Knoch und Diederich von dem Werder. Sie steuerten Widmungsgedichte bei wie Ludwigs
und Werders Verse auf Christians II. Drelincourt-Übertragung Von
der Beharligkeit der Außerwehlten (1641), welche sich mit den Lehren von
Prädestination und Gnadenwahl, Rechtfertigung (sola gratia, sola fide), Beharrung in
der Anfechtung u. a. auf Kernsätze protestantischer und hier spezifisch reformierter
Dogmatik berufen. Die Gedichte verzichten allerdings im Gegensatz zu Fürst Christian
II. darauf, auf die Akademie anzuspielen. So hielten sie — das war auch Politik der
Akademie — die Fruchtbringende Gesellschaft vom konfessionellen Hader der Zeit fern
(401215 II). Vielen Unterstützern — Forschern, Bibliothekaren, technischen Helfern und Freunden —
können wir an diesem Ort nicht ausreichend danken. Stellvertretend wollen wir nur dem
Vorsitzenden und den Mitgliedern der vorhabenbezogenen Kommission der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der an der Herzog August Bibliothek
ansässigen Arbeitsstelle der Sammlung Deutscher Drucke, insbesondere Frau Dr. Petra
Feuerstein, der Leiterin des Historischen Museums für Mittelanhalt und der
Bachgedenkstätte Köthen, Frau Ingeborg Streuber, unserem freundschaftlichen Helfer
und ehemaligen Mitarbeiter || [18] Dr. Dieter Merzbacher und Herrn Dr. Lutz Mahnke
(Ratsschulbibliothek Zwickau) unsere Schuld bezeugen. Unser Dank gilt auch einer
Reihe von Hilfskräften und Praktikantinnen, die leider stets nur eng befristet und
interimsweise für das Projekt tätig waren (Kai Sina, Sebastian Barnstorf, Tim Goslar,
Sabrina Häsing, Nadine Kowalski und Friederica Eichler) sowie Christian Knoop, dessen
EDV-Kompetenzen der Vorbereitung unseres Internet-Portals zur Fruchtbringenden
Gesellschaft über: http://www.hab.de/forschung/projekte/fruchtbringerei.htm zugute
kamen.Am 9. Juli 2006 starb Martin Bircher, der Mitbegründer dieser Edition, in Zürich.
Mancherlei Impulse für die moderne Frühneuzeitforschung gingen von der für ihn
zentralen Beschäftigung mit der Fruchtbringenden Gesellschaft aus. Wir werden ihm ein
ehrendes Andenken bewahren. Der Herausgeber Im September 2009