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390727 Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig
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Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig


Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte)übersendet die von ihm verfaßte Friedensrede zur Korrektur an F. Ludwig (Der Nährende). Überbringer sei der von Halle kommende Astrologe Bartholdt, der auch die Nativitäten für den jüngst geborenen Prinzen Ludwig Wilhelm v. Anhalt-Köthen (FG 358. 1641) überbringen werde. Er habe die Angehörigen des Werderschen Hauses durch Physiognomie und Handlesekunst in Er- || [180] staunen versetzt. Es folgen im Zusammenhang mit der Friedensrede Erwägungen zum Bedeutungsunterschied von „grausam“ und „Greuel“.

Beschreibung der Quelle


Q HM Köthen: V S 544, Bl. 407r–408v [A: 408v], 407v u. 408r leer; eigenh.; Sig.[Handschrift: [Bl. [407r]]D: Gekürzt veröffentlicht in KE, 161 u. KL III, 127f. — BN: Bürger, S. 1439 Nr. 30.

Anschrift


A Dem Nehrenden zuhanden. Cöthen

Text


Dem Nehrenden wirdt hiermit die Friedensrede1 , zur übersehung, durch den wohlgeübten sternverständigen h. Bartoldten2 von halle überbracht, welcher auch des jungen Nehrenden3 geburtstages andeutungen4 bey sich hatt, vndt sie dem Nehrenden gerne selber mit gebürlicher ehrerbietung überreichen wolte. Er hatt vns alle alhier gestern in verwunderung gesetzt, mit dem, das er iedem 3. oder 4. stückgen sagte von vergangenen sachen, die er nur blos von ansehen vndt beschawung des angesichts vndt der hende vrtheilte, vndt es sonsten nicht wissen konte, zeigte auch iedem die zeichen vndt anzeigungen5 darvon an.
   Des Friedtfertigen lehrmeister6 vermeint, grausam vndt Grewel haben nicht einen vrsprung, sondern grewlich vndt grewel; Grausam sey so viel als wilde vndt vnbarmhertzig.7 Gott mit vns.

   Des Nehrenden dienstwilligster
   Der Vielgekörnte.

Reinstorf den 27. heuMonats 1639.

Textapparat und Kommentar

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Kommentar
1 Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) verfaßte die Friedensrede und orientierte sich dabei an der Querela pacis des Erasmus v. Rotterdam (s. 390904 I). Sein Sohn Paris v. dem Werder (FG 339. Der Friedfertige. 1639) trug die Rede als junger Mann in feierlichen Auftritten an verschiedenen Höfen vor. Zur Friedensrede vgl. 390904 I u. K I 0.
2 Vielleicht war der Astrologe ein Sohn oder anderer Verwandter des wohl als reformierter Exulant (1606 Pfarrer in Amberg) nach Kleinpaschleben (Pfarrer 1626–1629) gelangten Leonhard Bartholdus, s. Graf: Anh. Pfarrerbuch, 209. — Möglicherweise hatte Werder die Zusätze für den erweiterten Text der Köthener Ausgabe schon im Hamburger Druck von 1639 eingetragen und dieses Exemplar vom Hallenser Barthold F. Ludwig zur Durchsicht und Verbesserung überbringen lassen. Zur Druckgeschichte der Friedensrede vgl. auch 390904 K I 0.
3 F. Wilhelm Ludwig v. Anhalt-Köthen (FG 358. 1641), geb. am 3. August 1638.
4 Prognostika; Nativitäten.
5 Physiognomik (bzw. Physiognomonik) und Chiromanthie, einige der divinatorischen Praktiken, die sich bis in die Frühe Neuzeit erhalten hatten. Vgl. z. B. Paracelsus’ Signaturenlehre: „Es ist kein zweiffel zu haben, daß die ausswendige gestalten, eine gewisse anzeigung geben, deren innwendigen eygenschafften, Drumb die Physiognomi, das seint die jhenigen, so sich vnderstehen, einem Wahr zusagen, auss der Phisiognomia, das ist auss der gestallt des Angesichts, Henden vnd Füßen, auch sonst auss der Proportz vnnd gestalt des gantzen Leibs, welliche Kunst dann gewisslich nichts anderst ist, dann ein Judicium, die eusserliche dinge gegen den jnnerlichen mit einander zu conferiren, Vnd also auss der selbigen gestallt des Leibes, die gestallt des gemüths zuerkennen, Daraus sie dann einem gar wol sagen mögen, ob er einen gutten oder bösen verstandt hab, ob er liberal oder zeitzig sey, ob er messig oder vnmessig, ob er tugentsam sey oder auff vntugenden geneigt, vnd was dergleichen ding mehr“. Zit. nach Deutsches Fremdwörterbuch II. Hg. H. Schulz || [181] u. O. Basler, Berlin 1942, 515. Vgl. Plinius d. Ä.: Naturalis historia 11, 37: „Facies homini tantum, ceteris os aut rostra frons et aliis, sed homini tantum tristitiae hilaritatis, clementiae, severitatis index. in assensu eius [...]“. Vgl. HWDA V, 206. Zur Chiromantie ebd., Bd. 2, 38–54. Auf dem Titelblatt von Johannes Prätorius: Ludicrum Chiromanticum seu Thesaurus Chiromantiae. Jena 1661 (HAB: 37.3 Phys. [1]; WDB) werden Chiromantie und Physiognomik gemeinsam dargestellt.
6 Diederich v. dem Werder, der Verfasser der Friedensrede. Vorgetragen wurde sie von seinem SohnParis.
7 Vgl. Friedensrede, 6 (s. 390904 I): „einen solchen grausamen greuel so hoch und theuer euch zuverkauffen gedencket.“ Werder weist damit möglichweise den (F. Ludwigs) Vorwurf des Pleonasmus zurück. Weitere Nennungen in der Friedensrede, 5 (s. 390904 I): „Aber alle die herrliche bequemligkeiten/ so ich mit mir führe/ nicht achten/ und hergegen einen abscheulichen hauffen alles greuels vnd unheils mit gewalt an sich zu locken/ ist wol die euserste thorheit so erdacht werden kan“ und in der Friedensrede, 8 (s. 390904 I): „Wie? kommen doch die allerwütensten vnd reißensten wilden Thiere miteinander wol überein. Der Löwen grausamkeit streittet nicht miteinander?“ Werder ignoriert die Etymologie und die semantische Bandbreite, wenn er neben ‚wild’ (atrox) auch die Bedeutung ‚unbarmherzig’ nennt. Vgl. Dasypodius, 338v s. v. Grausam „Horribilis, e, Trux, ucis, ge. om. Truculentus, a, um, Atrox. Toruus, a, um, Dirus, a, um, Feralis, e, Saeuus, a, um, meta. Immanis, e.“; s. v. Grewel „Abominatio, Diritas“; s. v. Grewlich „Horribilis, e, Trux, ucis“ usw. Stieler, 697, s. v. grausam „adv.: Grausamlich, immanis, atrox, crudelis, durus, horridus, saevus, trux“; ebd., s. v. Greuel „abominatio, horror, nausea“; ebd.s. v. greulich: „atrox, abominandus, horribilis, immanis, crudelis“. Fnhd. Wb. VII, 335 grausam: „brutal, gnadenlos, unerbittlich, erbarmungslos (von Personen und deren Handlungen)“; 383 greuel: „1. allg.: dasjenige, was den Menschen in Angst und Schrecken versetzt, Ursache für Not und Leid; speziell: Verbrechen, Untat, Schandtat, Mißbrauch (als rechtswidrige Handlung); Gotteslästerung, Sünde (als existenzbedrohliches falsches religiöses Handeln) 2. Angst, Entsetzen 3. dasjenige [...] was den Menschen/Gott anekelt, mit Widerwillen und Abscheu erfüllt.“
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