K1 Die Plötzkauischen Gedanken müssen Überlegungen F.
Augusts v. Anhalt-Plötzkau (FG 46), damaliger Senior des anhaltinischen
Gesamthauses, bezeichnen. Die „bewuste wichtige Sache“ aber bezieht sich auf die
reichspolitisch äußerst heikle Frage des territorialen und Kriegsstaats-Erbes des
am 8. 7. 1639 bei Neuenburg a. Oberrhein verstorbenen Hz.s Bernhard v.
Sachsen-Weimar (FG 30), der dem Prager Frieden seine Zustimmung verweigert hatte
und folglich als Feind von Kaiser und Reich geächtet, jedenfalls nicht
„reconciliiert“ war. Vgl. Anm. 3 u. Beil. I, ferner 370722 K 10 u. 390800 K 2. Von
Bernhards Tod hatte man in Anhalt wohl um den 26. 7. erfahren, vgl.
Christian: Tageb. XV, Bl. 182v, 183r, 187v u. 194v.
Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) reiste Ende Sep-
|| [
206]
tember 1639
tatsächlich auch mit einem sachsen-weimar. Verhandlungsmandat in Sachen des
bernhardischen Erbes nach Dresden und zum schwed. Feldmarschall Johan Banér (FG
222). Geplant war auch eine Fahrt nach Wien bzw. Prag. Zuvor, im August und
September, fand sich Werder mehrfach in Weimar ein, um die eigenen Pläne (Abwehr
oder Minderung der Kontributionsforderungen Frh. August Adolfs v. Drandorff, des
kursächs. Befehlshabers in Magdeburg) mit denen der Ernestiner u. a. zu
koordinieren. S. 390903 K 2, vgl. 390906 K 2 u. 390826.
2 Hier Absprache oder Vereinbarung. S. 380321 K 7.
3 Hz. Wilhelm IV. v. Sachsen-Weimar (FG 5. Der Schmackhafte).
Sein Anspruch auf Hz. Bernhards Erbe bezieht sich auf dessen Testament. An seinem
Todestag (s. Anm. 1) hatte Bernhard u. a. diktiert: „was die eroberte land
anlanget, weil vnß Gott dieselbe gonen [
lies gönnen]
wollen, und es hoch considerable land vnd plätze sein, so wollen Wir, daß solche
bey dem Reich Teutscher Nation erhalten werden, vnd derowegen Verschaffen vnd
vermachen Wir dieselbe hirmit einem vnserer freundlichen lieben Herren Brüdern,
welcher dieselbe anzunemen begehren wirdt, vnd derselbe kan vnd wolle sich bey
Jhro May. vnd Cron Schweden aufs beste alß immer möglich, insinuiren, Damit S.
Lden bey gedachten Landen vmb so viel destomehr manteniret werden möge. Solte aber
unserer Herrn Brüder keiner die Lande annemen wollen, so halten wir für billich,
daß Jhro May. inn Franckreich inn allwege den Vorgang habe, Doch dergestalt, daß
Jhro May. vnd vnsere garnisonen darinn gehalten, vnd wann es zu einem Universal
Friden kommen wirdt, die Lande dem Reich restituirt werden sollen.“ Zit. n.
Bernhard Röse: Herzog Bernhard der Große von Sachsen-Weimar. 2 Teile, Weimar 1828
u. 1829, II, 554f. Daß drei sachsen-weimar. Gesandte, darunter Heinrich Philibert
v. Krosigk (FG 341. 1639), nach Breisach reisten, um mit den Direktoren der
bernhardischen Armee (s. 390800 K 2) zu verhandeln, und daß Krosigk im Frühjahr
1640 sogar nach Paris zog, weil dort das entscheidende Wort über Hz. Bernhards
politisch-militärischen Nachlaß gesprochen wurde, ist belegt. Immerhin prüften die
Emissäre die Abrechnungen des ehemaligen Kanzlers Hz. Bernhards, Hans Ulrich
Rehlingers v. Leder, so daß es vielleicht doch um mehr ging als jene „particuliere
affairen“ oder „res privatas“, die Hugo Grotius in zwei Briefen vom 7. u. 9. 1.
1640 als Grund der weimar. Gesandtschaft in Breisach nannte.
Grotius: Briefwisseling XI, 12 u. 14; vgl.
Theatrum
europaeum, Tl. 4 (1643), 36 u. 216.
Christian:
Tageb. XV, Bl. 208v (17. 9. 1639): Nachricht, daß sich „mittlerweile die
Brisachischen tractaten mitt den Weymarischen“ verzögerten. In der Tat weckte das
politisch-militärische Erbe Hz. Bernhards viele Begehrlichkeiten, Franzosen wie
Schweden, der von England unterstützte Pgf. (seit 1648 Kf.) Karl Ludwig v. der
Pfalz (der deshalb auf seiner Reise von England zur weimar. Armee kurzerhand in
Frankreich festgesetzt wurde, vgl. 390929 K 7 u. 391113 K 10) und
selbstverständlich der Kaiser machten ihre Interessen bzw. Rechte geltend. Hz.
Wilhelm IV., lt. Bernhards Testament der vorrangig Berechtigte, wollte nicht die
Armee, sondern nur Breisach und die von Hz. Bernhard am Oberrhein eroberten
Gebiete. Er hoffte dabei auf die Zustimmung des Kaisers — weil sonst Frankreich
unweigerlich das Erbe an sich zöge und es für das Reich verloren wäre — wie auch
der Schweden, denen er vermutlich die weimarische Armee einzuräumen gedachte. Vgl.
dazu die aufschlußreiche Andeutung in Banérs Bericht an Oxenstierna, d. d. 1. 12.
1639 in
AOSB SA VI, 679, s. 390903 K 2. Um die Zustimmung
von Kaiser und Schweden einzuholen, bat Hz. Wilhelm die vier Direktoren des
bernhardischen Kriegsstaates um Verhandlungsfrist und schickte „den Obersten
Werder an den Churfürsten zu Sachsen/ hernach an Banern/ und endlich an den
Ertz-Hertzog [Leopold] Wilhelmen nach Prage“. Frankreich aber fragte nicht lange
nach dem Testament, sondern ließ, so Pufendorf, Geld sprechen. Schon im September
1639 hatte es das Erbe an sich zu ziehen gewußt.
Pufendorf:
Kriegs-Geschichte, 11. Buch, 510; vgl. 390800 K 2 u. 390909 K 17. Die ksl.
Regierung, der Kurfürstentag in Nürnberg Anfang 1640 oder auch andere wie der
schwed. Feldmarschall Johan Banér hatten dies befürchtet. Banér war sich über die
schwindenden Einflußmöglichkeiten Schwedens gegenüber den
|| [
207]
„Bernhardinern“ früh im
Klaren. Er habe, so schreibt er im zuletzt erwähnten Brief vom 1. 12. 1639, auch
von anderen vertrauenswürdigen Informanten erfahren, „dass die directorn und
obersten derselben sich mit dem Könige in Franckreich sehr weit eingelassen, die
besatzung in Brysach auch schon mit den Deutzschen durch Frantzösische guarnison
halbiret, und die im felde des Königs offerten der bezahlung und continuation
ihrer besoldung acceptiret, scheinet, dass von Ihr Königl. May:tt direction
selbige armée durch die vorgangene practicken in so weit abgeleitet, dass sie wohl
zu den Frantzosen willen verbleiben dürffte.“
AOSB SA VI,
679f. u. 677, vgl. 662. Aber auch Hz. Wilhelm traute der ewig mißtrauische Banér
nicht über den Weg. Im Mai 1640 sah er Hz. Wilhelm zwar zu „actionen gegen den
Keyser“ geneigt, wollte ihm aber „keine gelegenheit“ einräumen, „sich unter
einigem schein und fürwandt gegen eine oder andere occasion considerabel zu
machen“.
AOSB SA VI, 746. Im Dezember 1640 argwöhnte er,
die weimar. Offiziere könnten Hz. Wilhelm die Armee in die Hände spielen wollen.
Vgl.
AOSB SA VI, 807f.; insgesamt vgl. auch
Bierther, 23 u. 69f.,
Brockhaus,
81ff. u. 164;
Patze V.1.1, 171; 390800 K 2, 390826 K 1 u.
390903 K 2. Auf der anderen Seite war der Kaiser keineswegs gesonnen, die Verluste
seiner vorderösterreich. Lande hinzunehmen und schloß vornehmlich aus diesem
Grunde noch im September 1639 zu Ebersdorf ein Militärbündnis mit Spanien und
Ehzn. Claudia v. Tirol zur Rückeroberung Vorderösterreichs. Vgl.
Brockhaus, 50;
Kampmann, 131;
Theatrum europaeum, Tl. 4 (1643), 135ff. Auf dem Regensburger Reichstag
bat der Kaiser den Kurfürstenrat am 29. 4. 1641, mögliche Ansprüche der Brüder Hz.
Bernhards oder Frankreichs auf das Elsaß, die aus Bernhards Testament abgeleitet
würden, für nichtig zu erklären. S.
Bierther, 173.
4 DW XV, 1261f.: „aus dem gebrauch des verbums vom schneiden
der früchte [...] entwickelt sich die bedeutung ‚einen vortheil, einen gewinn
erlangen’, womit sich nicht selten der nebensinn des unrechtmäszigen, wucherischen
verbindet [...] wenn man zu hofe ein handel auffscheubet [...] er wirdt hingelegt,
und vergessen, offt nicht der herrn unnd fürsten halben, sondern dasz etliche von
räthen wöllen finantzen darausz schneiden. Egenolff, sprichw.“.
5 Es ist unklar, ob Werder tatsächlich am nächsten Tag zu
Sondierungen nach Weimar aufbrach. Daß er im August und September, noch vor seiner
großen Gesandtschaftsreise zu Banér und nach Dresden, verschiedentlich zu
Konsultationen in Weimar war, ist aber zweifelsfrei belegt. S. Anm. 1.
6 Am 7. 8. wird u. a. das Gedächtnis des hl. Donatus v.
Arezzo gefeiert, eines Bischofs und Märtyrers aus der Mitte des 4. Jh.s, den
Werder hier mit dem gleichzeitigen Aelius Donatus in Verbindung bringt, dem Lehrer
des hl. Hieronymus und Verfasser einer mit seinem Namen metonymisch verknüpften
lat. Grammatik. Der „Donat“ wurde über Jahrhunderte im schulischen
Lateinunterricht eingesetzt.
1 Vgl. oben zu K 1. Das vorliegende Notat F. Ludwigs
dürfte Diederich v. dem Werder (FG 31) abschriftlich noch am 7. 8. 1639 aus Köthen
ins nahe Reinsdorf gebracht worden sein.
2 Gemeiner Nutzen. Diese Passage bezieht sich offenbar auf
den Letzten Willen Hz. Bernhards v. Sachsen-Weimar (FG 30), der die von ihm
eroberten oberrheinischen Territorien beim Reich erhalten wissen wollte und
überhaupt sein Agieren gesamtpatriotisch begründete. S. o. K 3 u. 390800 u. I.
Auch in 390814 lobte F. Ludwig „la tres bonne intention que ce Prince avoit, pour
procurer une paix generale“. Wenn die Ernestiner sich etwas aus der Erbschaft
erhoffen durften, dann nur, wenn sie Kursachsen und den Kaiser überzeugten, daß z.
B. der Besitz Breisachs durch die Ernestiner im Interesse des Reichs war. Ludwig
schärfte das offensichtlich hier Werder ein, um die Weimarer Neffen vor einem
egoistischen, familiären, kurzsichtigen Anspruchdenken zu warnen. Vgl. oben K 3.
Mit Vatterland ist hier sicher nicht Sachsen-Weimar, sondern ganz Deutschland/ das
Reich ge-
|| [
208]
meint. Daß die Franzosen hieran wenig Interesse hatten, ist Ludwig klar.
Und ebenso war bald unverkennbar, daß die Direktoren des weimarischen
Kriegsstaats, v. a. Johann Ludwig v. Erlach, im Begriff waren, einem energisch
zupackenden Frankreich die durch Bernhard eroberten oberrhein. Besitzungen in die
Hände zu spielen. Vgl. oben K 3 u. 390903 K 2. Mit dieser Briefpassage, die die
testamentarische Absicht Hz. Bernhards als patriotisch einstuft, sind wir inmitten
einer Diskussion innerhalb der zeitgenössischen politischen Publizistik, die
durchaus die Konfessions- und Parteigrenzen überschreiten und ein
friedensgesinnt-patriotisches Gesamtinteresse verfolgen konnte, das nicht nur zum
Kaiser, sondern auch zu den auswärtigen Kronen auf Distanz ging. Hz. Bernhards
politisches und militärisches Erbe geriet dabei rasch auf den Prüfstand. Ganz
lapidar statuiert
Christian: Tageb. XV, Bl. 221v, d. d. 21.
10. 1639: die weimarische Armee „will deutzsch bleiben, ist aber doch
frantzösisch“. Vgl. auch Bl. 202v (2. 9. 1639) u. 235v (3. 12. 1639). Berühmt ist
jene mehrfach aufgelegte Flugschrift eines ungenannt bleibenden (fingierten?)
weimarischen Offiziers geworden, die dem Verratsvorwurf begegnet, Hz. Bernhards
patriotische Absichten verteidigt und Frankreichs erstarkenden Einfluß im Westen
des Reichs mit Sorge und Ablehnung verfolgt: AbtruckSchreibens/ Von einem
fürnehmen Officier vnter der von Hertzog Bernhardt Sachsen Weinmar/ hinterlassenen
Armee/ wegen Einnehmung Frantzösischer Guarnison in Breysach/ an seinen vertrawten
Brudern abgangen. Darauß zu ersehen was für Wetter an dem Himmel/ vnd weme am
meisten zu wachen obgelegen sey ... Gedruckt im Jahr Christi M. DC. XXXIX. HAB:
202.79 Quod. (43); WDB. Vgl. auch die Ausgabe o. O. 1639, HAB: 57.12 Pol. (31) und
den
Nachtruck eines abgetruckten Schreibens, o. O. 1639,
BSB München: Res 4 Eur. 364, 38 (VD17 12: 191015N). Der Überzeugung und dem
Testament Bernhards, sich nicht zu sehr von ausländischen Potentaten abhängig zu
machen, sei leider nicht nachgekommen worden, heißt es darin (Ausg. HAB: 202.79
Quod. [43]), obwohl wir „vnser selbst eygen/ vn̄ vorderist deß
Vatterlands Libertet betrachten/ vnd niemal vnser Macht vnd Capital in frembde
Discretion ergebē“ sollten (Bl. A 4r). „Wir Teutsche
Officierer/ welche vns bey diesem Krieg der Evangelischen vnd mit allierten
Parthey beypflichtig gemacht/ haben vnser intention niemals anderst wohin gehabt/
als vnsern Gegentheil zu einem billichen Frieden vnd Vergleich zu bringen. Dahin
hat Hertzog Bernhard einigist gezielet/ vnd die Hoffnung guter massen gehabt/ mit
der restitution Breysach möchten viel grosse dem gemeinen Frieden biß Dato
verhinderliche Stück auß dem Weg geräumet werden/ nicht daß dieses oder eynig
anders dem Römischen Reich zuständig Orth darvon/ wie mit Metz/ Thul vnd Verdun
[die Bistümer Metz, Toul, Verdun, die aber faktisch schon unter frz. Oberhoheit
standen und im Westfäl. Frieden auch offiziell an Frankreich fielen, d. Hg.]
beschehen/ abgezwackt/ vnnd in frembder Potentaten Hand kommen solle.“ (Bl. A 4v).
Hier geht die Drohung des „Servituts“ nicht mehr, wie in der antihabsburgischen
Propaganda zu Beginn des 30jährigen Krieges, vorrangig von Spanien, sondern von
Frankreich aus. Was werden, fragt jener patriotische Offizier, die
„rechtgeschaffnen teutschen Hertzen“ von uns halten, da „wir dem Vatterland einen
solchen gewaltigen Nachbarn auff den Halß setzen/ der die vhralt erworbne Teutsche
Libertet in die eusseriste Gefahr bringt“? (Bl. B [i]r). Es breche ihm das Herz,
„wann ich gedencke/ daß mit so langwürigen Kriegen/ allda ich mein beste Jugend/
neben allem Haab vnd Gut in höchster Mühsambkeit verzehrt/ allein der Hoffnung/
einigist einmal widerumb einen beständigen Frieden/ vnd vnser liebes Vatterland in
dem Stand/ wie es vor Zeiten gewest/ zu sehen/ vielmehr ein contrarius effectus,
vnd wie es leyder genugsam am Tag ist/ dieses erfolgt/ daß außländische
Potentaten/ Völcker vnnd Nationes, nach dem sie vns Teutschen das Marck auß den
Beynen gesogen/ noch darzu vber vns herrschen vnd Dominiren, (darzu wir mit vnserm
eygnen Schweiß vnd Blut jhnen verblendter thumbsinniger weiß wie arme Schlaven
helffen) das Römische Reich vnter sich theilen/ die Teutsche Libertet zu nicht
machen/ vnd vns mit dem allerhöchsten/ vnd so lang Teutschlandt stehet/ vnerhörtem
Spott das jugum seruitutis vberbinden sollen.“ (Bl. B ijr). Der Offizier
legitimiert implizit, wie Hz. Bernhards Hofprediger Daniel Rücker (1605–1665)
|| [
209]
in
seiner Leichenpredigt auf den Herzog explizit die fortgesetzte Kriegsführung und
das patriotische Ziel eines allgemeinen, gerechten und beständigen Friedens u. a.
mit dem „vermeynten Pragerischen Fried“ (
Trawr-predigt,
Basel 1639, HAB: 375.7 Theol. [6], S. 14; s. 390800 K 3). Zur politischen
Publizistik dieser Zeit vgl. auch 390131 K 15.
3 F. Ludwig gab Werder Gesellschaftsangaben
(Gesellschaftsname, Impresenbezeichnung und „Wort“) für die Aufnahme zweier neuer
Mitglieder der FG mit auf den Weg nach Weimar: Hz. Johann Ernst v. Sachsen-Weimar
(FG 342. 1639. Der Richtigste) und Friedrich Hortleder (FG 343. 1639. Der
Einrichtende). Tatsächlich wurden noch zwei weitere weimarische Hofleute damals
oder bei einer zweiten Reise Werders nach Weimar (vgl. 390903 K 2) aufgenommen. S.
390826. Zu den Gesellschaftsangaben vgl.
Conermann III,
391‒393.