Text

400218 Fürst Ludwig an Herzog August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel
[Inhaltsverzeichnis]
|| [460]

400218

Fürst Ludwig an Herzog August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel


F. Ludwig bestätigt den Empfang eines Schreibens Hz. Augusts d. J. v. Braunschweig-Wolfenbüttel (FG 227) vom 14. Februar und dankt für die darin ausgesprochene freundliche Aufnahme seiner eigenen Mitteilungen. Er bestärkt den Herzog, in seinem Werk (einer Revision der Lutherbibel) fortzufahren. — Die deutsche Sprachlehre (von Christian Gueintz; FG 361. 1641) ist nach der gewünschten Durchsicht aus Wittenberg vor einigen Wochen wieder eingetroffen, mußte aber sogleich wieder ihrem Verfasser zugestellt werden. F. Ludwig verspricht, sie noch vor dem Druck Hz. August zur kritischen Übersicht zuzusenden. — Da sich der Herzog bereit erklärt hatte, die Hälfte der Verlagskosten für das neue illustrierte Gesellschaftsbuch zu übernehmen, bittet F. Ludwig um baldige Überweisung von 250 Reichstalern an einen Mittelsmann in Halberstadt. Von dort werde er das Geld nach Köthen transferieren und alsbald den Kupferstecher einbestellen, die Kupferplatten gravieren lassen, das nötige Papier beschaffen usw. Bis zum Johannistag (24. 6.) sollte das Werk größtenteils verfertigt sein. Der möglicherweise dann noch ausstehende Rest der Verlagskosten könne später beglichen werden. — Die überschickte Klage über den Zustand des Vaterlands (Justus Georg Schottelius’ [FG 397. 1642] Lamentatio Germaniae exspirantis) werde Ludwig eifrig durchlesen, auch, wenn es gefällig, seine wohlgemeinte Kritik der Sprache und Metrik mitteilen.

Beschreibung der Quelle


Q HAB: Cod. Guelf. 3 Noviss. 2°, Bl. 61r–62v [A: 62v], 61v u. 62r leer; eigenh.; rotes Lacksiegel. — D: Teilw. zitiert und zusammengefaßt in: Sammler Fürst Gelehrter, 220 (dat. 17. 2. 1640). — BN:Giermann, 2; Bürger, S. 946 Nr. 3 (dat. 17. 2. 1640). || [461]

Anschrift


A Dem Hochgebornen Fürsten, Herrn Augusto, Hertzogen zu Braunschweig vnd Lüneburgk &c Vnserm freündlichen lieben Oheimb vnd Schwagern. Braunschweig. Zu S. Ld. handen.

Text


Hochgeborner fürst, freundlicher viellgeliebter herr Ohem und schwager[,] E.L. schreiben vom 14. dieses1 ist mir gestriges tages woll eingehendiget worden, und erfreuet mich, das El. an dem jehnigen, so ich ihr nechstmals in antwortt überschrieben ein freundliches gefallen gehabtt, auch in ihrem woll angefangenen Christlichen wercke fortzufahren gesinnett.2 Die deutsche Sprachlehre habe ich zwar für etzlichen wochen von Wittenberg wieder bekommen, aber also fortt dem jehnigen, der sie verfassett, hinwieder zugeschicket, und werde ich mich bemühen, sie wieder zu erlangen, und dan EL. noch für dem drucke verhoffentlich zu ihrer übersehung, auch zua zufertigen nicht unterlassen.3 Weill sich El. auch freundlichen erklerett bey der neuen verfertigung des Geselschaftbuchs zur helffte mitt einzutretten, so stelle ich zu El. freundlichem gefallen, das sie zu ihrem theile auffs eheste ein zweyhundert und fünftzig Reichsthaler an iemandes in Halberstadt, den sie mir benennen können, wollen übermachen lassen, will ich, auff beschehene anzeige, solche ferner anhero zu verschaffen die verordnung thun,4 auch also bald den Kupfferstecher anhero bescheiden lassen, damitt die blatten gegenwertig verfertigett werden, auch andere bereittschafft von Pappier, und dergleichen darzu angeschaffet werde, verhoffende zwischen hier und Johannis ein zimliches und woll das meiste bey der sache soll gethan werden, und das übrige des verlags, so forttb man es bedürffen, auch weiter werde folgen können. Die überschickete Klage über unser sehr geplagtes Vatterland werde ich mitt fleiss durchlesen, und, da es El. gefellig, derselben, was mir etwan der sprache und des Reimmasses wegen darbey einfellet, meine wolmeinende gedancken überfertigen;5 Jndessen befehle ich El. nechst den ihrigen in den schutz göttlicher Almacht, zu allem furstlichen wollstande, und verbleibe

  E.L. Treuwilliger Ohem, schwager und diener
  Ludwig f zuAnhalt

Cöthen den 18. tag des Hornungs 1640.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a Eingefügt.
b Lies: so bald

Kommentar
1 Unbekanntes Schreiben Hz. Augusts d. J. v. Braunschweig-Wolfenbüttel (FG 227), mit dem er auf 391217 (und ggf. 391203) geantwortet haben dürfte. In 400203 hatte Christian Ernst (v.) Knoch (FG 268) Augusts Hofmeister Franz Julius v. dem Knesebeck (FG 396. 1642) mitgeteilt, daß F. Ludwig von Hz. August noch keinen Antwortbrief erhalten habe, so daß er Knoch vor dessen Abreise von Köthen gebeten habe, von Knesebeck Auskunft einzuholen, ob Hz. August bei seiner Zusage (s. Anm. 4) bleibe.
2 Als Beilage zu 391217 hatte F. Ludwig Hz. August seine Gedanken zur Revision der Lutherbibel geschickt. Der Herzog hatte ihm zuvor einen Auszug seiner eigenen Verdeutschung des 1. Buchs Mose gesandt. S. 391217 I. Zur Bibelrevision Hz. Augusts s. 391217 K I 0.
3 Eine hsl. Fassung von Gueintz: Sprachlehre (1641), die F. Ludwig mit 391028 an die Wittenberger Professoren Augustus Buchner (FG 362. 1641) und Jacob Martini geschickt || [462] hatte und die Buchner mitsamt seinen Anmerkungen in 400122 dem Fürsten wieder zurückgesandt hatte. Vgl. 400122 u. I. Sein Vorhaben, Hz. August die Sprachlehre zwecks kritischer Einsicht zukommen zu lassen, machte F. Ludwig fünf Wochen später mit 400323 wahr. Vgl. 391217 K 10.
4 Zu den Finanzierungsplänen der Neuauflage des Gesellschaftsbuchs s. 391203 K I 0 u. 400605 I. Das Vorhaben geriet in der Folgezeit ins Stocken (s. 401228A), so daß erst im folgenden Jahr das nächste GB der FG erschien, allerdings ohne Kupferstiche der Impresen (GB 1641). Erst 1646 konnte (nach GB 1629/30) ein zweites illustriertes Gesellschaftsbuch erscheinen (GB 1646). Dieses sollte Hz. August mit 48 Exemplaren großzügig subskribieren. Vgl. HAB: 17.4.1 Eth., 18.1 Eth. und Ln 302; ferner Bircher: Merian, 678f. Zu jenem Halberstädter Kaufmann, der den Geldtransfer von Braunschweig nach Köthen vermitteln sollte, s. 400605.
5 Nicht Die hertzliche Anschawunge Vnsers gecreutzigten Heylandes (1640, s. 401111 K I 0), eine frühe Passionsdichtung von Justus Georg Schottelius’ (FG 397. 1642), scheint hier gemeint zu sein, sondern dessen 1640 in Braunschweig erschienene LAMENTATIO GERMANIÆ EXSPIRANTIS Der numehr hinsterbenden Nymphen GERMANIÆ elendeste Todesklage. HAB: 61.2 Poet. und QuN 275 [16]; vgl. Sammler Fürst Gelehrter, 220. Sie ist Hz. August d. J. als Friedensfürst und mächtigstem Beförderer der Muttersprache gewidmet. F. Ludwig bietet sich im vorliegenden Brief an, dieses Werk, das Hz. August ihm vermutlich in einer Abschrift geschickt hatte, gründlich durchzusehen. Anscheinend hat er auch Diederich v. dem Werder dazu herangezogen, s. 400514. F. Ludwigs Urteil über Schottelius in 400605: „Die stellung E. L. bedientens will in allem nicht unserer geübten aussprache gemess fallen“, mag sich entweder auf dessen Gutachten zu Gueintz’ Sprachlehre (s. Anm. 3) oder, wahrscheinlicher, sogar auf die Klagerede beziehen. (Zum Begriff „stellung“ für sprachliche Gestaltung des Textes s. 391028 K 5). Niemand, so heißt es in der Todesklage, werde hoffentlich der Nymphe Germania „diese Linderung vnd den Trost/ welchen SIE in freyer Außschüttung jhres Elendes/ vnd in rechter Anwendung jhrer angebornen Sprache empfinden möchte/ mißgönnen“ und diese nach seiner „sparsamen mißlichen vnd mißbräuchlichen Gewonheit“ tadeln (Bl. A ij v). Die „rechte Sprache Germanias“ ist die des Juristen und Prinzenerziehers Schottelius. Sie stellt sich der mißbräuchlichen Gewohnheit entgegen und wendet bereits — zumindest teilweise — die grammatischen Regeln an, die er ein Jahr später in seiner ersten Sprachlehre (Schottelius: Sprachkunst [1641]) aufstellen wird, z. B. jene, wonach die bestimmten Artikel die Endungen der nachgestellten Adjektive vorgeben, im Singular des Maskulinum: „der mangelnder Verstand“; „der silberheller Mond“; im Neutrum: „das unerfahrnes Gehirn“, „das blinckendes Gestirn“ usw. Oder die Regel, daß auf -er ausgehende Substantive die Pluralmarkierung -e anhängen: „die Reitere“, die „Bürgere“ etc. — Einer solchen Einigkeit bzw. Analogie steht nach Schottelius in der Sprache die Anomalie der Gewohnheit gegenüber. Zu den sprachphilosophischen Grundlagen der Sprachauffassung s. Josef Plattner: Zum Sprachbegriff von J. G. Schottel aufgrund der „Ausführlichen Arbeit von der Teutschen HaubtSprache“ von 1663. Phil. Diss. Zürich 1967, 36ff. Zum Streit über die Rolle des Usus in der FG s. Conermann: Akademie, Kritik und Geschmack, 37ff. Im menschlichen Verhalten ist „Vneinigkeit“ eine Ursache des Krieges, so auch in der Lamentatio. Wir übergehen die in diesem Werk entwickelte Topik von Krieg und Frieden, die sich in Schottelius’ 1642 erstmals in Braunschweig aufgeführtem und 1648 im Druck veröffentlichten Neu erfundenem FreudenSpiel genandt Friedens Sieg wiederholt. Zitiert sei nur Germanias Klage über den geschundenen Frieden, die sich thematisch mit der zeitgleichen D. v. dem Werder: Friedensrede (1639) (s. 390904 I u. K I 0) verbindet:
„Falsch vnd zweizüngig seyn/ mit Friedensworten zieren
Den durst nach Menschenblut/ Gott vnd sein Recht verliehren
Auß Liebe zur Gewalt; sich schmücken nur mit schein
Das heist ohn Christenhertz ein Christenmensche seyn.
|| [463] Man lehrt die Friedenskunst/ damit man möge führen
Vnendlich-Krieges Recht: wie solte einer hören
Das durch den Vntergang/ durch Mord/ vnd Triegerey
Des Wesens einigkeit jemals gemeynet sey?“
Jedoch wütet der Krieg ungebrochen, und „der Gewonheit stanck erstickt der Tugendlehr“ Bl. (B iij r). Auffällig ist auch hier die schlechte, „mißbräuchliche“ Gewohnheit. Erst die natur- und vernunftgegründete Regel korrigiert die falsche oder irrtümliche Sprachgewohnheit. Und ebenso hat eine vernunftgegründete Ethik oder „Tugendlehr“ den Zusammenprall von Affekten, Ansprüchen und Interessen zu korrigieren. An dieser Stelle versieht sich Schottelius’ Kriegskritik mit kulturkritischen Argumenten gegen das Alamode-Wesen in Sitten und Sprache. Die Überfremdung der deutschen Sprache als der ältesten, reinsten und prächtigsten Hauptsprache wird mit der einstigen, nun aber in Trümmer gesunkenen Suprematie des Hl. Röm. Reichs deutscher Nation — übrigens auch als europäische Friedensmacht — parallelisiert. Doch erwächst noch Hoffnung für Germania aus der herzoglichen Bibliothek in Braunschweig, „dem schönsten Bücherschatz“:
„[..]. Was je/ von allen Zeiten
Gott von vns hat gewolt/ der Menschen Geist erdacht/
Jst aus der gantzen Welt in Braunschweig hergebracht.“ (Bl. E ij r).
Seite drucken

XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000218/briefe/400218.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000218/tei-transcript.xsl