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400320 Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig
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400320

Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig


Als Antwort auf F. Ludwigs (Der Nährende) Brief teilt Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) mit, er habe dessen Korrekturen zu seinem Sonett („Uber den Sündigen Menschen)“ wie zuvor schon in Betracht gezogen. Er meine auch, daß Substantive besser geeignet seien als adjektivische Epitheta. „Stoltz“ und „falsch“ seien im Gedicht auch als Substantive verwendet, jedoch werde er „falsch“ ersetzen, da er genug Wörter in seinem Vorrat habe. — Die Wörter „Kurtz vndt Endtlich“ können beim bloßen Lesen wie Adverbien erscheinen und den Gedichtschluß hübsch pointieren, sollten (als substantivierte Adjektive) jedoch unter die erstrebten 100 Nomina gezählt und noch durch einfache Substantiva ersetzt werden. — Werder hat noch ein anderes Sonett fertiggestellt, diesmal auf das Leben in Christus („Uber den Wiedergeborenen Menschen“). Er habe es darin, wenn auch mit Mühe, zwar auf 100 Vergleiche gebracht, aber nur dank einer größeren Anzahl von Adjektiven, da sich für das Leben in Christus weitaus weniger Vergleiche in Substantivform finden ließen als für das Leben Adams. Möglicherweise könne im Laufe der Zeit für dieses Sonett, wie auch für das andere, trotzdem die Anzahl der 100 Substantive erreicht werden. — Werder weist den Wunsch (Daniel Sachses), für dessen Predigtwerk zwei Sonettzyklen von jeweils 100 Gedichten auf das Leben im Geiste Adams bzw. Christi zu verfassen, ironisch mit dem Gegenvorschlag zurück, dann möge „der liebe redliche Mann“, der soviel Muße für seine Predigten und Postille besitze, doch solche Sonette schreiben. Werder selbst müsse entweder seine fruchtbringerische Arbeit oder sein Amt als Unterdirektor der anhaltischen Landstände aufgeben. — Die Anmerkungen des Nährenden im Sonett verstehe Werder nicht, abgesehen davon, daß das Gedicht einige überflüssige Buchstaben enthalte. — Im Nachsatz verleiht Werder seiner Verzweiflung über die Anmutung Ausdruck, ein Sonett auf das Leben Christi mit 300 substantivischen Vergleichen zu schreiben, jedoch werde er über diese Herausforderung weiter nachdenken.

Beschreibung der Quelle


Q HM Köthen: V S 544, Bl. 434r–435v [A: 435v], 435r leer; eigenh.; Sig.[Handschrift: [Bl. [434r]]D: KE, 164f. — BN: Bürger, S. 1439 Nr. 37.

Anschrift


A Dem Nehrenden zuhanden. Cöthen.

Text


Auf des Nehrenden schreiben wirdt hiermit wohlmeinendt geandtwortet, das die darbey gewesene errinnerungen über das Sonnet1 , itzt, auch zuvor erwogen wordena . Die substantiva oder nomina allegorica seindt außer allen Zweifel besser als die Epiteta adjectiva. jch habe aber Falsch vndt stoltz für substantiva gesetzt, ob sie gleich in gemein für adjectiva sonstena gebraucht werden. Mit dem wort Stoltz ist es ausser Streit, das es ein Substantivum sein kan, dan ich sage wohl: der Stoltz an statt der Hoffart. Mit dem worte, falsch, aber helt es etwas härter, jedoch kan ich auch sagen: lauter falsch für lautere falscheit. Dieweil ich aber wörter noch genug habe wil ich dasselbe wort endern.
  Die wort Kurtz vndt Endtlich habe ich mit fleis gesetzt, das sie im schlecht weglesen wiea  adverbia genommen worden könten, vndt also zum beschlus anmutig stünden, jm zehlen aber der wörtera solten sie für adjectiva vndt also auf beyde recht gebraucht werden damitb die zaal der 100 voll würde. jch kan aber verhoffentlich es endern, vndt lauter substantiva machen. Dieweil ich aber noch ein ander Sonnetc 2 mitd dergleichen endungen, auf vnser leben in Christo fertiga || [493] habe, vndt darinnen der adiectivorum mehr sein, die zahl der nahmen auch auf 100 wiewohl mit mehr mühe gebracht, so wirdt es hart halten, das ich es auf lauter substantiva werde bringen können, vndt die Zahl der 100 behalten. Dan das leben in Christo2 lest sich so vielfaltig nicht vergleichen, als das leben in Adam3 vielleicht aber finden sich mit der Zeit noch etzliche wörter das eins vndt andere in lauter substantiva vndt an der Zahl 100 gebracht werden kan.
  Hieraus nuhn würde folgen das man 200 Sonnet würde machen müssen: Dieweil nuhn der liebe redliche Man4 so den vorschlag thut ohne das bey seinen predigten vndt mit auflegen seiner Schönen postille5 viel müssige Zeit haben wirdt, so könte er die mühwaltung mit auf[434v]setzung der 200 Sonnetten wohl vndt leicht über sich nehmen.6
  jch für meine persohn sage mich künftig von allen solchen geselschafter vndt poesiesachen gantz auf, wil nichts mehr darmit zuthun haben, oder des vnteraufseherampts in landtschaft sachen wieder benommen sein.7
  Die pünctlein so der Nehrende bey das Sonnet gemacht können mire ihre meinung nicht andeuten, als das ein paar buchstaben zuviel geschrieben sein, die übrigen verstehe ich nicht.
  Habe dieses dem Nehrenden zur nachrichtlichen andtwordt nicht bergen sollen, vndt verbleibe
  Des Nehrenden dienstgeflissenster
  Der Vielgekörnte

Reinsdorf den 20. Mertz 1640

jch verzweifele schiera dran, das man ein Sonnet auf das leben in Christo mit lauter substantivis auf die zahl der 3008 bringen kan, jedoch wil ichf der sache weiter nachdencken.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a Eingefügt.
b Eingefügt bis würde
c Folgt <fertig>
d Eingefügt bis endungen
e Folgt <seine>
f Folgt <noch>

Kommentar
1 Das Sonett „Uber den Sündlichen Menschen“ in Sachse: Einhelligkeit III (1644), Bl. [)( vi]v. S. 400310 I (erstes Sonett). Zu Sachses Predigtwerk s. 400104 u. I, zum Sonett 400310 I u. K I 1.
2 In 400310 I das zweite der beiden abgedruckten Sonette „Uber den Wiedergeborenen Menschen“.
3 In 400310 I das erste der beiden abgedruckten Sonette „Uber den Sündlichen Menschen“, s. Anm. 1.
4 F. Ludwigs reformierter Hofprediger Daniel Sachse. Zu dessen Tätigkeit als Superintendent und Konsistorialrat in Köthen seit 1632 vgl. 400104 K 5. Vgl. zu Sachse auch 391209 K 11, 400104 u. I, 400902 K 0 u. 401214.
5 Neben der umfangreichen Evangelienharmonie in Predigten Sachse: Einhelligkeit I‒III (1641, 1643/44) ist in diesen Jahren und späterhin nicht auch noch eine Postille Sachses veröffentlicht worden. Vielleicht vergleicht Werder Sachses Predigtwerk mit einer Postille auf Bibeltexte. Dazu würde der folgende, postum veröffentliche Auszug aus der Evangelienharmonie von 1641 u. 1643/44 passen, der auch Sachses Wunsch nach zusätzlichen Texten (s. unten Anm. 6‒8) erfüllt: DANIEL SACHSII ... Christliches Hauß-Buch/ Lehr- und Trostreicher Predigten Über die Fest- und Sonntägliche Evangelien durchs || [494] gantze Jahr/ zusammen getragen aus des Autoris Einhelligkeit der Vier Evangelisten Und Mit besondern Eingängen und Gebeten bey ieder Predigt vermehret/ Dienende zur ... Hauß-Kirchen. 2 Tle. (Cöthen: Wilhelm Ludwig Günther 1677) ‒ Ander Theil (Cöthen 1679), ULB Halle. ‒ Vgl. außerdem: Geheimnüs-Predigten Uber Funfzig Fürbilder des Alten Testamentes/ Welche in dem Neuen an JEsu von Nazareth/ Welcher ist Christus/ der Sohn des Lebendigen GOttes/ und der Welt Heyland/ Sind erfüllet worden: Gehalten Von Daniel Sachsen/ Superintendenten zu Cöthen (Cöthen 1653: Jacob Brand), HAB: Th 2255.
6 Offenbar hatte Sachse, angeregt von D. v. dem Werder: Krieg vnd Sieg, das 100 Sonette über Krieg und Frieden enthält, zwei neue Sonettenzyklen Werders mit den beiden ersten Hunderten seiner Predigten verknüpfen wollen. Die Sonette hätten sich dann, wie schon die beiden vorhandenen Gedichte, inhaltlich zu den Themen „Geburt und Leben/ Leiden und Sterben“ (Sachses Buchtitel) gefügt. Werder hat das Ansinnen verständlicherweise zunächst mit Ironie abgewiesen, da er sich nicht vor diesen Karren spannen lassen wollte. Die dennoch durch den Brief ausgelöste Suche nach den 200 oder gar 300 Sonetten hat sich bis in das letzte Jahrhundert fortgesetzt und ist vergeblich geblieben. Gerhard Dünnhaupt fand die lange verschollen geglaubten zwei Sonette „Auf das Menschliche Leben“ mit den jeweils hundert Synonymen, wenn seine Band- und Blattangaben auch in die Irre führen. Nicht wie in Dünnhaupt: Handbuch Art. Werder, Nr. 20 vermerkt in Einhelligkeit II (1643), Bl. )( v, sondern in Einhelligkeit III (1644), Bl. [)( vi] v finden sich die beiden in 400310 I abgedruckten Sonette.
7 F. Ludwig greift in 400619 diese Bemerkung Werders ironisch auf. Als „Unterdirektor“ stand Werder dem achtköpfigen „Engeren Ausschuß“ der anhalt. Stände und damit der anhalt. Ständevertretung vor. In dieser Funktion arbeitete er eng mit dem Senior des fürstlichen Hauses, dem „Oberdirektor“ des Gesamtfürstentums zusammen. Vgl. Beckmann IV, 571 u. VII, 287; Walther Gebensleben: Kriegsleistungen Anhalts während der Jahre 1625–1632. Halle 1890, 8f., 28f. u. 35.
8 Hatten F. Ludwig oder Sachse die Meßlatte solcher Wortkünstelei in nur einem Sonett gegenüber den beiden vorliegenden ,Klinggedichten’ dreimal höher gehängt oder schwebte ihnen schon ein weiterer Sonettzyklus für den damals auch schon geplanten dritten Teil (vgl. 400104 I u. K 5) der Evangelienharmonie Sachses vor? Der Wortlaut des Satzes spricht für die erste Vermutung. Werder sollte ein Sonett „auf das leben in Christo“ und nicht, wie Sachses Buchtitel anzeigt, auf die im dritten Teil von Sachses Sammlung behandelte „Auferstehung und Himmelfahrt“ verfassen. Ein andersartiges 3. Sonett steht in 400310 K I 1.
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