Text

400917 Gräfin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt an Fürst Christian II. von Anhalt-Bernburg
[Inhaltsverzeichnis]
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400917

Gräfin Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt an Fürst Christian II. von Anhalt-Bernburg


Kondolenzschreiben Gfn. Anna Sophias v. Schwarzburg-Rudolstadt (TG 1) aus Anlaß des Todes von F. Christians II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51) Schwester Fn. Anna Sophia (AL 1617[?]. TG 19). In einem eigenhändigen Zusatz spielt Gfn. Anna Sophia auf die TG-Mitgliedschaft der Verstorbenen an und rühmt deren Verstand und zahlreiche Tugenden, die nicht leicht wieder zu finden sein dürften.

Beschreibung der Quelle


Q LHA Sa.-Anh./ Dessau: Abt. Bernburg A 10 Nr. 26b, Bl. 5r–6v [A: 6v], 6r leer; Schreiberh. mit eigenh. U. und Nachschrift; Sig.

Anschrift


A Dem Hochgebornen Fürsten, Herrn Christiano, Fürsten zue Anhalt, Grafen zue Ascanien, Herrn zue Bernburg vndt Zerbst etc. Vnserm freundtlichen Lieben Vetter alß Sohn vndt Gevattern etc. Bernburg.

Text


Hochgeborner Fürst, freundtlicher Lieber Vetter, alß Sohn vndt gevatter,1 E. Ld. sein vnsere in ehren gebühr freundtliche begrüßung, vndt was wier der nahen verwandtnüs nach viel mehr ehre, liebes vnd gutes vermögen zuuorn,
  Aus E. Ld. Schreiben haben wier mit rechtbetrübten gemüthe ganz vngerne vernommen, Daß der Allmächtige Gott nach Seinem vnwandelbahren Rath vndt willen, Die weylandt Hochgeborne Fürstin E. Ld. vielgeliebte Fräwlein Schwester, vndt vnsere freundtliche Liebe Muhme, Fräwlein Anna Sophien, Fürstin zue Anhalt, Gräfin zue Ascanien, Fräwlein zue Bernburg vndt Zerbst etc.2 nach ausgestandener Leibesschwachheit, am nechstabgewichenen 1. dieses Monats Septembris gegen Abendt zwischen 4 vndt 5 Vhren aus diesem zergenglichen leben, zue Sich in die ewige Frewde vndt Seeligkeit abgefordert, Deren Leichnamb der fromme Gott eine sanffte Ruhe geben, vndt am Jüngsten tage mit allen frommen Christgläubigen eine fröhliche aufferstehung zum ewigen Leben verleihen wolle.
  Wie wier nun leicht ermeßen können, daß E. Ld. ob diesen für Menschlichen Augen allzuefrühezeitigen todesfall bey diesem [sic] ohne das bekümmerten Zeiten, in große betrübnüs vndt trawer gesezet worden: Hiergegen aber auch nicht zweifeln, Eß werden E. Ld. vnter diesem Creuz vndt trübsall dem [5v] Lieben Gott mit gedult stillehalten, Vndt aus Seinem Göttlichen wortte dero betrübtes Herz mit starcken [sic] trost anfrischen,
  Also tragen mit E. Ld. vndt dero Fürstlichen Hauß wier deßwegen ein herz-Christliches mittleiden, Vndt wünzschen von herzen, das der grundtgütige Gott dergleichen trawerfälle bey E. Ld. vndt dem ganzen Fürstlichen Hauße Anhalt nach Seinem gnädigen willen, noch langezeit verhüten vnndt Väterlichen abwenden wolle,
  So E. Ld. wir in freundtlicher wiederAntwortt nicht pergen mögen, Vndt nechst empfehlung Göttlicher protection, verbleiben E. Ld. wier viel ehre, liebes vndt gutes Jederzeit zuerweisen ganz willig vndt gevließen,
  Datum Ober Crannichfeldt den 17. Septembris Anno 1640. || [568]

Von Gottes gnaden Anna Sophia, geborne Fürstin zue Anhalt, Gräfin zu Schwarzburg vndt Honstein etc.   Witbe,

  ELa treue muhme Alß mutter vnd geuatterin
Anna Sophia gzu Schwarzburg witbemp


El sindt versichert, daß mir dieser trauersahme thodesfall des liebsten tugendtlichen3 freulein Anna Sophia sehr zu hertzen gehet, vndt wirdt mir Jl gleichen. An hohem verstandt, demuth, holtseligkeit4 , frömigkeit, vnd waß nur nahme haben mag nicht leicht finden, mein bruder furst Ludwig vndt Jl gemahlin werden Jl wol sehr vngern verloren haben, Jl haben grosse treu an dero hl gemahlin vnderschiedlich gethan, zu getrösten alle betrübte hertzen.

I

Auslegung der Imprese Prinzessin Anna Sophias von Anhalt-
Bernburg (TG 19. Die Holdselige) in der Tugendlichen Gesellschaft

Beschreibung der Quelle


Q FB Gotha: Chart. B 831 ba (2), Bl. 102v Imprese (s. Abb. S. 570); Bl. 103rv auslegender Text.
Weitere Überlieferungen des zitierten Texts:
FB Gotha: Chart. B 831b, Bl. 116rv. — Zit. als X.
FB Gotha: Chart. B 831ba (1), Bl. 169rv. — Zit. als Y.
Unserer Wiedergabe liegt die erste, sprachlich lesbarste und dichterisch am ehesten überzeugende Version zugrunde. Vgl. auch 300320 II Q.

Text


XIX. Von der Holdseligen.
1. Die Sale


Wer kan doch Ewer lob an hohem werth erreichen?
O Jhr Holdselig’: ira , wer findet ewres gleichen?
   Vnd wenn er reist vmbhehrb so weit das sternenfeld
   Den runden ErdenKreiß in sich beschloßen helt?
Ihr seyd alleine die, für allen so zu finden
die mit holdseligkeit kan wilde hertzen binden.
   Wie etwan hören läst die 1 kleine 2 Nachtigall
   Vom 3grünen 4Baum ins 5holtz den 6künstlich-süßen schall,
So laßet ihr nun auch 1 nach ehrenc vnd Vermögen
2 holdseligkeitd bey euch die zarten Kräffte regen
   Auß 4vngezwungner 3Lust, ihr laßet Ewer 6Zier
   Empfinden 5iedermann nach möglicher gebühr.
Nun recht. Es wird euch stets ein iederman begegnen
Mit dinst geflißner brunst,e noch mehr, Gott wil euch segnen,
   Mit gnadenreicher gunst vnd himmelischer huldt
   Wie Euer holdseligkeit es werth ist vnd verschuldt.
|| [569]
Außlegung.

Wie die1. kleineSo soll1. nach vermögen
2. Nachtigallein2. holdseliger mund
auf dem 3. grünenin3. luftiger
4. Baume4. freyheit
ins5. holtz5. iedermann
6. lieblich mit6. reden
singterfrewen. [103v]

2. Die Holdselige

Jch müste so sein billigf hochgeacht
weil ich mich halt holdselig nach vermögen
Die Nachtigall lobt man ja singens wegen:
Der Kuckuck wird mit seinem schrey veracht.
O der verdint, als Midas, Esels Ohren
wer so, alß er, liebt seines gleichens thoren.


3.g Die Holdseligkeit.

Wie mann ins holtz schreyt schallt es wieder,
Ein gut wort findet guten orth
Der mund kan alle glieder
Erhalten durch ein wort
kan auch erwegen brand vnd Mord
Liebt Jch Holdseligkeit, Jhr brüder
den balg nicht wieder.


4. Beyspiel der Holdseligkeit. Luc. 1. v. 28.

Die hat Gabrieln für allen
An Marien wohlgefallen.
Daß sein erster gruß fast warh
Sie holdselig anzuschreien
Vnd drauff aus der weiber schar
Sonderlich zu benedeyen.
Die nun auch holdselig ist
wird gesegnet, vnd gegrüst.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a Ab hier eigenhändig von Gfn. Anna Sophia einschließlich der gesamten Nachschrift.

T I
a X Huldselige, wer Y Holdselige: ir
b X ümher
c X ehrlichem vermögen
d X huldseligkeit — im weiteren Verlauf der Auslegung huld für hold
e X folgt um eyferiger schuld. ( Noch mehr. Es will euch offt der milde Vater segnen,
f Y billich
g X 4. Beyspiel der Huldseligkeit wird vorgezogen vor 3. Die Huldseligkeit.
h Y wahr || [570] || [571]

Kommentar
1 F. Christian II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51. Der Unveränderliche) wird hier von Gfn. Anna Sophia v. Schwarzburg-Rudolstadt (TG 1) mit verschiedenen Verwandtschaftsbezeichnungen belegt. F. Christian ist als Sohn F. Christians I. (FG 21. Der Sehnliche) Neffe der Gräfin. Die Gräfin war seit zehn Jahren Witwe, vordem verheiratet mit Gf. Carl Günther v. Schwarzburg-Rudolstadt (FG 23). Sie gründete im Jahr der FG-Aufnahme ihres Gatten die Tugendliche Gesellschaft im Beisein mehrerer Verwandter und FG-Mitglieder. Sie lebte bereits seit 1630, seit dem Tode ihres Gatten, auf ihrem Witwensitz in Kranichfeld.
2 Fn. Anna Sophia v. Anhalt-Bernburg (AL 1617? PA. TG 19), Schwester F. Christians II., der mehrere Trauergedichte anläßlich ihres Todes verfaßte. S. 400902 u. I–II.
3 Anspielung auf die Mitgliedschaft der Verstorbenen in der am 5. 9. 1619 in Rudolstadt gegründeten Tugendlichen Gesellschaft mit der Briefschreiberin als Oberhaupt. Nach den in DA Köthen I.3 veröffentlichten Dokumenten zur TG und deren Gesellschaftsbuch legt der vorliegende Brief das zeitlich nächste uns bekannte Zeugnis von dieser Sozietät ab.
4 Fn. Anna Sophia v. Anhalt-Bernburg trat bereits knapp ein Jahr nach Gründung, am 6. August 1620, in die Tugendliche Gesellschaft ein (TG 19) und trug den Gesellschaftsnamen „Die Holdselige“. Sie war auch Gründungsmitglied der L’Académie des Loyales (AL 1617) und gehörte ebenfalls der bukolischen Gesellschaft der „Parfaits Amants“ (PA) an. Die Impresenauslegung im GB der TG bezieht sich mit dem Begriff der „holdseligkeit“ zweimal unmittelbar auf den Gesellschaftsnamen der Fürstin. Die im Brief-Nachsatz weiterhin genannten Tugenden „verstandt“, „demuth“ und „frömigkeit“ gehen allerdings nicht auf Anna Sophias TG-Imprese und die dazugehörigen Gedichte zurück. Zur TG und zu ihren Mitgliedern s. Conermann TG.
K I Das von Gfn. Anna Sophia v. Schwarzburg-Rudolstadt (TG 1) entworfene bzw. verfaßte Sinnbild (Imprese) mit dem Lobspruch der personifizierten Saale und den folgenden Interpretationen entstammen dem unveröffentlichten Gesellschaftsbuch der Tugendlichen Gesellschaft. Das ,Gemälde’ der Imprese zeigt neben einem Baum („holtz“) auf dem Ast eines Baumstumpfs eine Nachtigall, oberhalb bzw. unterhalb zwei Schriftbandrollen mit dem Gesellschaftsnamen der Holdseligen und ihrem Sinnspruch (sog. Wort) „Nach Vermögenn“. Die Ziffern im Gedicht der Saale und in der „Außlegung“ beziehen sich auf die Objekte und Texte im ,Gemälde’ und verknüpfen diese mit ihrer jeweiligen Bedeutung. Gedichte über die Holdselige, ihre Tugend und ein biblisches Exempel beschließen die poetisch-allegorische Komposition. Zur Programmatik der TG s. Ball:Tugendliche Gesellschaft.
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