K1 Bernburg bestand damals aus der am Westufer der Saale
gelegenen Talstadt (auch Unterstadt), die 1561 aus der Vereinigung der zuvor
selbständigen Alt- und Neustadt hervorgegangen war. Jenseits der Saale erhob sich
auf hohem Saalehang das fl. Schloß mit der vorgelagerten Siedlung „vor dem Berge“,
die erst Mitte des 15. Jhs. eigene Stadtrechte erhalten hatte und diese bis 1825
wahren konnte (Berg- oder Oberstadt). Auch der Friedhof der Stadt („Gottesacker“)
war 1551 „vorm Berge“ angelegt und 1611 „weiter hinaus geleget“ worden.
Beckmann III, 120; vgl. 114ff. u. 122f.; vgl.
HhS XI, 37ff.;
Merian: Topographia
Superioris Saxoniaæ, 29f.; Deutsches Städtebuch. Handbuch
städtischer Geschichte. Hg. Erich Keyser. Bd. II: Mitteldeutschland. Stuttgart,
Berlin 1941, 430f.
2 Die Schilderung des Vorfalls in
Christian: Tageb. XV, Bl. 410r (Montag, 14. 12. 1640): „Diese Nacht haben
wir einen stargken Lermen gehabtt, in dem eine partie zu fuß, heimlicher weyse, am
Gottsagker eingeschlichen, ihre röhre vndter den Mänteln gehabtt, vndt da die
leutte im ersten Schlaf gewesen, Sie zu v̈berfallen vermeint. Gott
hat aber noch gnade verliehen, daß man ihrer gewahr worden, vndt sie abgetrieben,
wiewol meine bürgerschaft allhier, sonst zimlich faul, vndt träge ist. [...] Avis:
daß die gestrige Nachtpartie 60. pf
erde Starck gewesen,
davon 30 abgestiegen, vndt an der Sahle her, an den berg kom̄en,
daselbst von innwendig, das verRam̄elte pförtlein mit großer gewaltt
gegen meiner breitte am Gottsagker aufgemacht, vndt als die bürger
in armis
gewesen, sich wieder nach ihren pferden, darvon gemacht [...].“
3 Schüchtig, gleichbedeutend wie schüchtern (
DW IX, 1828f.), auch „Schüchterig/ & Schüchtericht“ (
Stieler, 1766), „schuchter, schüchter“ (
Wachter, 1470). Hier wohl im damals noch möglichen aktivischen Sinne von
Angst oder Zaghaftigkeit bewirkend.
DW IX, 1824ff.; vgl.
Adelung Wb. III, 1670.
4 Bestätigung in
Christian: Tageb. XV,
Bl. 410r: „Nach Plötzkaẅẅ, vndt Cöhten geschrieben, vmb guten Raht.“
5 In Beil. I wird F. Ludwig zurückhaltend auf F. Christians
Ansinnen reagieren.
6 Ungefähr. Zahlwort, unbest. Art. u. Pron., bezeichnet im
Fnhd. auch unbestimmte Kollektivsubjekte: nonnullus, einige. S. 310224 K 41 u.
380110 K 6;
Mittelelb. Wb. I, 869ff., hier S. 871 Ziffer
3c.
7 Schatz und Schatzung, früher zusammenfassende Ausdrücke für
direkte Steuern und Abgaben, hier also etwa Steuerlade.
Haberkern/ Wallach, 551. || [
629]
8 Aufgebot, d. h. die zur Landesdefension im Kriegsfall
erfaßten Einwohner. Vgl.
Haberkern/ Wallach, 141
(„Defensionswerk“). Daß die Bürger der Stadt Bernburg eine Schildwache stellten,
bestätigt
Christian: Tageb., a. a. O., Bl. 410v. Überhaupt
verstärkte Christian seine Verteidigungsanstrengungen, da die allgemeine
Kriegslage mit dem erneuten Vorstoß der Schweden nach Süden auch im Anhaltischen
unruhiger und bedrohlicher geworden war. Vgl. 401212 K I 2. Johan Banér (FG 222)
war, nachdem sich seine Hauptarmee in westfäl. und braunschweig-lüneburg.
Quartieren im Herbst 1640 etwas erholen und verstärken konnte, im November 1640
aus Bückeburg aufgebrochen und zunächst nach Erfurt marschiert. Über Neustadt a.
d. Orla, wo sich die schwed. Armee mit der französ.-weimar. Armee vereinigte, Hof
und Bayreuth sollte die Armada im Januar 1641 bis nach Regensburg vorstoßen, wo
der Reichstag seit dem September 1640 tagte. Plötzlich auftretendes Tauwetter
hinderte Banér zwar, wie geplant über die Donau zu setzen, die Stadt anzufallen
und sich womöglich gar des Kaisers und anderer Gegner zu bemächtigen. Eine
Artilleriekanonade auf die Stadt übertönte aber immerhin die von Banér verachtete
„süße pfeiffe von Regensburg“ (
AOSB SA VI, 792) und rief
Kaiser und Ständen die Interessen und Ansprüche der Schweden unliebsam in
Erinnerung. Die Schweden zogen danach ab, trennten sich von den „Bernhardinern“
unter Georg Christoph Taupadel, die nach Franken und ins Hennebergische zogen, und
nahmen Quartier in Cham/ Opf., bis sie im März 1641 von einer starken ksl. Armee
unter F. Octavio Piccolomini (FG 356. 1641) nach Sachsen zurückgetrieben wurden.
Vgl. 410102 K 5;
AOSB SA VI, 697ff. u. 807ff., ferner 600,
630, 631f.;
Engelsüß (HAB: 441.19 Hist. [1]), 152ff.;
Englund, 242ff.;
Parker, 253;
Pufendorf: Kriegs-Geschichte, XII. Buch, 547ff. u. XIII.
Buch, 592;
Theatrum europaeum, Tl. 4 (1643), 383–403;
Wedgwood, 381. Angesichts gestiegener Unsicherheit durch
schwed. Streifpartien kontrollierte F. Christian im Dezember 1640 sogar persönlich
Posten und Schlagbäume und beriet sich mit seinen Räten „wegen der
Kriegsverfaßung“.
Christian: Tageb. XV, Bl. 408r (10. 12.
1640). „Meinem Stallmeister vndt Cam̄erJuncker Carll Heinrich von
Nostitz, habe ich die aufsicht über die Kriegsverfaßung im Schloß dißeyt der
Sahle, Meinem hofJuncker Augusto Ernst von Erlach aber, ienseyt in der Stadt
anbefohlen.“ Ebd. Zu Carl Heinrich v. Nostitz (FG 360. 1641), den Christian im
Juni 1639 zu seinem Stallmeister ernannt hatte, nachdem er ihm bereits acht Jahre
gedient hatte, s.
Christian: Tageb. XV, Bl. 169r u.
Conermann III, 414; zu August Ernst v. Erlach s.
Christian: Tageb. XV, Bl. 390v (2. 11. 1640), 392v (6. 11.
1640), 394v (7. 11. 1640) u. ö. Am 13. 12. 1640, also unmittelbar vor dem
geschilderten nächtlichen Überfall, hatte Christian mustern lassen: „Jch habe die
hofdiener neben der bürgerschaft vorm berge, aufführen vndt mustern laßen, durch
Nostitz. Es seindt ein 68. Musketirer vndt 24 hellebardirer gewesen. Gott gebe,
daß es wieder sicher werden, vndt man solcher defensioner nicht bedörfen möge.
Vndter deßen, hat man sich, so gut man kan, vorzusehen, vndt nach müglichkeitt zu
verwahren. Vndter den Musk. waren von der Hofpursche 24 vndt 44 bürger. Der iunge
Petz gieng an den seitten, vndt hindter den Soldaten her, vndt half dem
Stallmeister, die glieder vndt reyen, gleich stellen.“ A. a. O., 409v (13. 12.
1640). Georg Petz, der Vater des Genannten, war einst Christians Sattelknecht und
Begleiter in der Schlacht am Weißen Berge, seit 1636 Musketier auf dem Schloß zu
Bernburg. S. a. a. O., 100r u. ö. Der Name Georg Petz taucht in Christians
Tagebuch mehrfach im Zusammenhang von Absendungen auf und scheint sich auf einen
jüngeren zu beziehen, vgl. etwa a. a. O., 125v, 127v, 133r u. ö. Im Dezember
erfolgte noch die Anstellung eines neuen Stadtmajors, Hans Albrecht v. Halck (FG
323), der der Bürgerschaft am 22. 12. 1640 vorgestellt wurde. Er führte fortan das
Kommando in der Stadt und über das Landvolk, Nostitz führte es „vorm berge“. A. a.
O., 416v, vgl. 409v, 411v, 412r u. 414v.
9 Sitz des damaligen Seniors des anhaltin. Gesamthauses, F.
Augusts v. Anhalt-Plötzkau (FG 46).
10 Zu der F. Ludwig in sechs Exemplaren übermittelten
Übersetzung
Fürst Christian II.: Von der Beharligkeit der
Außerwehlten (1641) vgl. 400312 K 1. F. Christian II. scheint || [
630] auf eine
Empfangsbestätigung F. Ludwigs zu warten. Sie ergeht aber auch in Beil. I noch
nicht. Die Übermittelnden sind F. Ludwigs reform. Hofprediger und Köthener
Superintendent, Daniel Sachse (1596–1669), und F. Christians II. v.
Anhalt-Bernburg Hofprediger und Prediger zu St. Ägidien „vorm Berge“ (Bergstadt
Bernburg), David Sachse (1593–1645). Zu Daniel vgl. 330920 K 2, zu Daniels Bruder
David
Beckmann III, 475; vgl.
Graf: Anh.
Pfarrerbuch, 405. „Ern“ bedeutet Ehrwürden.
DW
(Neubearbeitung) VII, 303f. u. 305f.; (Caspar v. Stieler:) Teutsche
Sekretariat-Kunst (Nürnberg 1673), 422 (HAB: 35.1 Rhet).
11 Die Nachdichtung auf die Josefs-Geschichte in 1. Mo 37ff.
hat sich weder handschriftlich erhalten, noch es zu einer Druckveröffentlichung
gebracht, war aber Teil des großen poetischen Bibelprojekts F. Ludwigs, neben dem
Psalter (vgl. 390115 K 1), dem Buch Hiob (vgl. 390110 K 1) und den Sprüchen
Salomonis (vgl. 390115 K 1) auch die fünf Bücher Mosis (vgl. 371110 K 5)
nachzudichten. In F. Ludwigs Nachlaßverzeichnis wird aufgeführt: „
Manuscriptum deß Ertzvatters Josophats geschichten in
Deutsche Reimen“ (
IP, 333v). Das Manuscript, das
tatsächlich nicht die Geschichte Joschafats, König von Juda im 9. Jh. v. Chr. (s.
2. Ch und 1. u. 2. Kö), sondern die des Patriarchen („Ertzvatter“) Josef, Sohn
Jakobs, behandelt hat, ist später verlorengegangen. Vgl.
Conermann:Ludwig und Christian II. von Anhalt, 416. Mit 401216
schickte F. Christian die Dichtung wieder an F. Ludwig zurück. Nur ein einziges
Stück der Nachdichtung der Bücher Moses wurde kürzlich im NSTA Wolfenbüttel
gefunden, s. 391217 K 2.
12 Fürst Ludwig: Der weise Alte (1643): [Simon Goulart de
Senlis:
LE SAGE VIEILLARD (zuerst Lyon 1605), dt. Übers.
von F. Ludwig u. d. T.:] Der weise Alte/| Welcher | Durch geistreiche
betrachtungen eines langen und | kurtzen Lebens/| Dessen beschaffenheiten/ art und
ursprungs der Bäume/| des lebens/ und der wissenschaft/ darauf die leibs | und
seelen beschwerungen | folgen/| Den Nutzen/| So die weisen Alten/ aus
Philosophischen und tröstlichem Rahte | götlicher Schrift wider alle schwachheiten
leibes und der seelen/| ja den tod selbst/ den man fürchten und nicht fürchten
sol/| nemen können/| Wie auch | Eine rechtschaffene verfassung gegen den tod für
iederman/| wes Standes und Würden er sey: von der leiber auferstehung/| und der
seelen unsterbligkeit. | Und schlieslich | Eine ernste vermanung an alle | Alte
und Junge/| Jn zwantzig Capitteln vorgestellet. | Aus dem Frantzösischen ins
Deutsche vor Jahren versetzet/| und anietzo | Gedruckt zu Cöthen im Fürstentume
Anhalt/| [Linie] | Jm Jahre 1643. HAB: 23. 3 Eth. (1) u. QuN 199 (3). Fürst Ludwig
hat dieses Stück Weisheitsliteratur des Genfer Predigers Simon Goulart de Senlis
d. Ä (1543–1628) bereits 1630/31 übersetzt, die in einer Handschrift überlieferte
Übersetzung (HM Köthen: Hs FG 17) später aber nochmals sprachlich und stilistisch
verbessert. Da der vorliegende Brief den Beginn einer fruchtbringerischen
Gesellschaftskorrektur dieses Werkes zu markieren scheint, könnten sich auch die
Korrektureinträge F. Ludwigs in der besagten Handschrift ungefähr auf das
Jahresende 1640 datieren lassen. Vgl. 310411 u. I. F. Ludwigs Übersetzung erschien
erst 1643 im Druck; F. Christian muß daher eine Handschrift vorgelegt worden sein.
Vgl. im vorliegenden Band 401223.
K I
Dieses Antwortschreiben folgt weder formal noch
inhaltlich dem zu dieser Zeit bereits entwickelten Muster des Gesellschaftsbriefs.
Es geht auch nicht auf die in 401214 erwähnten Werke ein, wie dies in der
fruchtbringerischen Korrespondenz zwischen Fürst Ludwig und seinem Neffen F.
Christian II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51) üblich war. Der Überfall auf Bernburg
bzw. das politische Thema eines anhalt. Landesdefensionswerks ließen offenbar
keine Zeit zu literarischem Austausch. Allein die Tatsache, daß der Brief 401214
beantwortet und sich zudem im Köthener Erzschrein der FG erhalten hat, führte zu
seiner vollständigen Aufnahme im vorliegenden Band.
Christian:
Tageb. XV, Bl. 410v bestätigte den Empfang dieses Briefes noch am 15. 12.
1640.
1 Klein Paschleben im Amt Nienburg/ Ft. Anhalt-Köthen,
zwischen Bernburg und Köthen gelegen. || [
631]
2 Die Folge von Lehensleuten oder Untertanen zu einer
Dienstpflicht gegenüber ihrem Lehnsherren, hier die Folge zum Defensionsaufgebot.
Vgl. K 8;
Haberkern/ Wallach, 203.
3 F. Johann Casimir v. Anhalt-Dessau (FG 10).
4 Nienburg, am Zusammenfluß von Bode und Saale, im
gleichnamigen fl. anhalt-köthnischen Amt; Warmsdorf, im gleichnamigen
anhalt-köthnischen Amt an der Wipper (westlich der Saale), heute Ortsteil von
Amesdorf.
5 Das Ft. Anhalt war nach dem Beschluß des Obersächs.
Kreistages vom November 1638 verpflichtet, zur Unterhaltung der kaiserlichen und
Reichsarmee seinen Anteil der bewilligten 120 einfachen Römermonate zu entrichten,
monatlich insgesamt 1.624 Tl. Die regelmäßige Kontribution an die kursächs.
Garnison in Magdeburg machte hier den Hauptanteil aus. Der Reichstag in Regensburg
beschloß im November 1640 erneut einen 120fachen Römerzug binnen fünf Monate.
Hinzu kam eine mit Johan Banér (FG 222) ausgehandelte, vergleichsweise gelinde
allmonatliche Kontribution des Gesamtfts. Anhalt an die Schweden in Höhe von 600
Reichstalern. Vgl. 390504 K 4 u. 401212 K 4.
6 F. Christian II. hatte in dieser Sache auch den damaligen
Senior des anhaltin. Fürstenhauses, F. August v. Anhalt-Plötzkau (FG 46), am 14.
12. 1640 angeschrieben, s. 401214. Dessen Antwort wurde F. Christian noch am
selben Tag (15. 12.) durch Caspar Pfau (FG 412. 1644; s. 401212 K 2) überbracht.
S.
Christian: Tageb. XV, Bl. 410v.
7 Do, adv., conj.; hier als Konditionalkonjuktion „wenn,
sofern“. Vgl. 371110 K 15 u. ö.; vgl. jetzt auch
Mittelelb.
Wb. I, 643ff. (s. v. dā).