Die Korrespondenz zwischen Benedikt Bahnsen (Amsterdam) und Herzog August d.J. (Wolfenbüttel)
Einführung
Jörn Münkner
[Inhaltsverzeichnis]

Die Korrespondenz zwischen Benedikt Bahnsen (Amsterdam) und Herzog August dem Jüngeren (Wolfenbüttel)

Die Leidenschaft von Herzog August d.J. von Braunschweig-Lüneburg (1579–1666) war bekanntlich seine Bibliothek. Für die Vermehrung ihres Buchbestandes benötigte er die Unterstützung von bibliographisch kompetenten Agenten und Informanten. Tatsächlich bediente sich der Herzog des „Instituts der Agentur als Schlüssel zum Bucherwerb im großen Stil.“ (Härtel, S. 236) Helmar Härtel hat die Bedeutung semi- und professioneller Agenten für den Aufbau der Bibliotheca Augusta bemessen und insbesondere die Geschäftsbeziehung des Wolfenbütteler Fürsten zu Johann Georg Anckel (gest. 1676) in den Blick genommen. Anckel beschaffte ab 1656 zehn Jahre lang von Augsburg aus Bücher und andere Kunstobjekte für Herzog August.
Durch geschäftliche und persönliche Kontakte in die maßgeblichen Netzwerke integriert, unterrichteten die Agenten ihre zumeist adligen Auftraggeber aus erster und zweiter Hand aus deutschen und europäischen Städten über den Büchermarkt und das Angebot an exquisiten Objekten. Zudem waren sie Nachrichtenübermittler und übernahmen zum Teil diplomatische Aufgaben, vor allem an den auswärtigen Höfen. Als Gegenleistung erhielten sie ein festes Salär oder eine Vergütung. Die Agenten konnten auf den Zuwachs von Prestige und Absatzmöglichkeiten für exquisite Kunst- und Kulturprodukte hoffen, weil der Kontakt zum Adel in der Regel Ansehen und eine zahlungskräftige Kundschaft bedeutete (Arnold [a], S. 81–86; Arnold [b], S. 16–19, 22–25).
Der bekannteste Buch- und Geschäftsagent von Herzog August war der in Augsburg ansässige und den Bücher- und Kunstobjekterwerb in Süddeutschland und darüber hinaus organisierende Philipp Hainhofer (1578–1648). Nach seinem Tod übernahmen Hainhofers Schwiegersöhne Johann Martin Hirt (1588–1661) und der bereits erwähnte Johann Georg Anckel seine Aufgaben. In Paris besorgte Jean Beeck (um 1615–um 1688) und in Den Haag Leo van Aitzema (1600–1669) die Informations- und Agentengeschäfte (Arnold [a,b], Härtel, Perrin-Marsol, S.75f.). Benedikt Bahnsen (gest. 1669) zählte ebenfalls zu den Bücherbeschaffern. Wir wissen nicht, ab wann genau der in Amsterdam lebende Bahnsen für den Wolfenbütteler Fürsten Drucke und Handschriften erwarb und ob er noch für andere Auftraggeber als Agent tätig war. Anhand der erhaltenen Korrespondenz im Umfang von 21 Briefen, Briefentwürfen und Notaten (Bibliotheksarchiv HAB Wolfenbüttel: BA II,1, Nr. 16–36) ist davon auszugehen, dass er spätestens ab Frühjahr 1660 Bücher für seinen Klienten recherchierte und besorgte (Hakelberg, S. 135).
Der erste erhaltene Brief von Bahnsen datiert vom 4. April 1660. Er wurde wie alle Briefe von Amsterdam aus auf die Post gegeben. In dem Schreiben nimmt Bahnsen Bezug auf Anfragen des Herzogs, die nicht erhalten sind. Die Vermutung liegt nahe, dass Bahnsen bereits vor 1660 Kontakt zum Wolfenbütteler Hof hatte. Anzumerken ist, dass von Amsterdam auch Isaac de La Thorembe als Bücheragent für Herzog August wirkte (Raabe, S. 15, FN 6; S. 26, FN 15). Die Briefe Bahnsens weisen Standardelemente auf: Datum und Ort, die formelhafte Anrede des Fürsten, Bezugnahmen auf bestellte Bücher, ihre Verfügbarkeit, Frachtwege, Namen von Personen, die die Bücherspedition übernehmen, Preise und Spesen, die formelhafte Verabschiedung, die Erwähnung historischer Ereignisse, zum Teil sozialer Netzwerke, schließlich der Hinweis auf versendete oder zu versendende Bücherpakete und ggf. beigelegte Titellisten, die der Orientierung für Herzog August dienten.
19 Briefen von Bahnsen, die fünf umfangreiche Bücherlisten und einige Rechnungen enthalten, stehen drei Antwortschreiben bzw. Entwürfe und Notate des Herzogs gegenüber. Der Zeitraum der Korrespondenz liegt zwischen April 1660 und Juli 1666, der Austausch erfolgte also bis kurz vor Augusts Tod im September 1666. Aus dem Jahr 1664 haben sich keine Briefe erhalten. Da Bahnsen für seine Einkäufe und sonstigen Aufwendungen Rechnungen stellte, wird er – wie Dietrich Hakelberg plausibel schlussfolgert – wohl keine hervorgehobene Rolle als Bücheragent gehabt und auch kein festes Salär bezogen haben (Hakelberg, S. 136). Ebenso wenig dürfte er mit diplomatischen Aufgaben betraut gewesen sein, die für die Generalstaaten wahrscheinlich der weiter oben bereits erwähnte Leo van Aitzema übernommen hat.
Benedikt Bahnsen stammte aus Norddeutschland und emigrierte vermutlich vor 1660 in die Niederlande, wahrscheinlich aus Glaubensgründen (Hakelberg, S. 135). Die Annäherung an Bahnsen, der sich in Amsterdam niederließ, dort als Verleger, Buchhändler, Bücheragent und Rechenmeister tätig war und auch als Autor hervorgetreten ist, gelingt eindrücklich über seine Bücherei, deren detaillierte Erschließung vor allem das Verdienst von Dietrich Hakelberg und Katrin Schmidt als bibliothekarischer Mitarbeiterin ist. Zwar ist Bahnsens Buchbesitz physisch nicht mehr greifbar, dafür aber als Katalogaufstellung überliefert und virtuell rekonstruierbar. Der gedruckte Auktionskatalog, in dem sie verzeichnet ist, war bei den Buchhändlern Dirk und Hendrik Boom in Amsterdam erhältlich. Es handelt sich um einen Doppelkatalog, der die Bücherei Bahnsens mit der Gelehrtenbibliothek des Millenaristen Petrus Serrarius (1600–1669) zusammenbindet.
Die Briefe als Gegenstand dieser digitalen Edition sind in mehrfacher Weise aufschlussreich. Zum einen können sie den Status historischer Artefakte beanspruchen, die die gesellschaftliche, religiöse, ökonomische und politische Atmosphäre der Zeit vergegenwärtigen. In ihnen zeigen sich Eigenarten der Schreiber sowie die geschäftliche und standesabhängige Rahmung des Fernverhältnisses der beiden Männer. Die Briefe vermitteln ferner eine Vorstellung über Bahnsens Stellung im Netzwerk der Bücherproduzenten, Buchhändler und Autoren sowie in der städtischen Kommune. Damit bietet das Briefkorpus Innenansichten der Existenz vor allem des Buchhändlers und Verlegers dissidenter Literatur Benedik Bahnsen, der wahrscheinlich aus Glaubensgründen seine Heimat verließ und in die Niederlande auswanderte. Schließlich sind die Briefe Container für zum Teil umfangreiche Titellisten, und sie lassen Rückschlüsse zu über Büchersendungen von Amsterdam nach Wolfenbüttel.
Die Auskunft über Büchertitel, die Herzog August angefordert hat und die womöglich an den Wolfenbütteler Hof gelangten, verleihen den Briefen Quellenstatus für eine historische Buch und Büchermarktforschung. Im Abgleich mit den Zugangskatalogen in der Herzog August Bibliothek lässt sich herausfinden, welche Bücher und Handschriften aus angekündigten Sendungen tatsächlich in die Wolfenbütteler Sammlung eingegangen sind. Diese Information ermöglicht es, Provenienzlinien von Büchern genauer nachzuzeichnen. Somit bietet das Briefkorpus einen komplementären Blick auf den geschäftstüchtigen Amsterdamer Verleger und Agenten Bahnsen wie auf den Wolfenbütteler Fürsten und beider Geschäftsbeziehung.

Literatur

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