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Antwort, Glaub und Bekenntnis auf das Interim (1548)
bearbeitet von Hans-Otto Schneider
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

In1 der Wittenberger Kapitulation vom 19. Mai 1547 wurde unter anderem auch festgelegt, dass die ernestinischen Herzöge von Sachsen ihre Rechte am Stift Naumburg-Zeitz verlieren sollten. Anfang 1542 war Nikolaus von Amsdorf gegen den Willen des Kapitels als erster evangelischer Bischof eingeführt worden, nun musste er dem altgläubigen Julius von Pflug weichen, den das Kapitel schon 1541 zum Bischof gewählt hatte. Vorübergehend hielt Amsdorf sich in Weimar auf, wo er am Gutachten über das Interim für die Söhne Johann Friedrichs I. von Sachsen mitwirkte und es an erster Stelle unterzeichnete.2 Fast gleichzeitig verfasste er in alleiniger Verantwortung seine hier vorliegende Stellungnahme zum Interim, abgeschlossen am 31. Juli 1548, das Vorwort datiert vom 1. August 1548. Amsdorf bezeichnete sich dabei auf dem Titel unumwunden als „verjagten Bischoff zur Naumburg“. Mit dem Bekenntnis wandte er sich vordringlich an seine frühere Magdeburger Gemeinde, möglicherweise in Vorbereitung seiner beabsichtigten Rückkehr dorthin, wo er ehedem beinahe achtzehn Jahre lang Pfarrer gewesen war. Die Schrift war geeignet, bei der Gemeinde um Unterstützung zu werben und um Verständnis für Amsdorfs prekäre Lage; er manifestierte öffentlich seinen Widerstand gegen das Interim, den er ausdrücklich nicht gegen den Kaiser gerichtet wissen wollte, und motivierte damit zugleich nachträglich seine Vertreibung aus Naumburg. Amsdorf blieb in Magdeburg ohne Amt, verstärkte aber die Gruppe der publizistisch aktiven Interimsgegner.

2. Der Autor

Nikolaus von Amsdorf3 entstammt einer thüringischen Adelsfamilie und wurde am 3. Dezember 1483 in Torgau geboren. Seit etwa 1497 besuchte er die Thomasschule in Leipzig, seit 1500 die dortige Universität, 1502 wechselte er an die neugegründete Universität Wittenberg, mit deren Organisation sein Onkel Johann von Staupitz beauftragt war. 1508 wurde Amsdorf zum Stiftsherrn gewählt und verfügte somit über ein gesichertes Einkommen, in der Folgezeit kamen weitere Pfründen hinzu. Bis 1524 blieb Amsdorf im akademischen Lehramt, wobei er in den Jahren 1510 und 1511 Dekan der philosophischen Fakultät war und 1513 und 1522 Rektor der Universität. Seit 1516 kam Amsdorf in näheren Kontakt zu Martin Luther und stand ihm in entscheidenden Situationen seines Lebens zur Seite, so bei der Leipziger Disputation 1519 und auf dem Reichstag zu Worms 1521. Im Jahre 1524

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folgte er einem Ruf als Superintendent und Pfarrer an St. Ulrich in Magdeburg. Dort war er achtzehn Jahre lang tätig, um die Stadt vollends der Reformation zuzuführen. Dazwischen wurde er immer wieder beurlaubt, damit er in anderen Städten für die Sache der Reformation eintreten konnte, so in Goslar, Einbeck, Leipzig und Meißen. Die Wittenberger Konkordie von 1536 unterzeichnete Amsdorf nicht, wohl aber Luthers Schmalkaldische Artikel. Bei den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41 agierte er eher zurückhaltend. Am 20. Januar 1542 wurde Amsdorf in Naumburg als erster evangelischer Bischof in sein Amt eingeführt. Als der altgläubige Bischof von Naumburg-Zeitz, Philipp von Freising, 1541 gestorben war, hatte das Kapitel rasch Julius von Pflug zu seinem Nachfolger gewählt, um einer anderweitigen Besetzung zuvorzukommen; dessen ungeachtet hatte Johann Friedrich I. von Sachsen Amsdorf zum Bischof der Diözese bestimmt. Seine Stellung war deshalb von Anfang an problematisch, nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547 wurde sie unhaltbar, Amsdorf musste aus Naumburg weichen und Julius von Pflug, einem der Verfasser des Interims, das Feld überlassen. Fortan bezeichnete er sich als „exul“4 und hielt sich zunächst in Weimar, ab 1548 in Magdeburg und ab 1552 in Eisenach auf, wo die ernestinischen Herzöge ihm einen in materieller Hinsicht sorgenfreien Lebensabend als Superintendent ermöglichten. Amsdorf war der letzte Beichtvater des ehemaligen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und hielt ihm auch 1554 die Grabrede. Als enger Freund Luthers war Amsdorf um die unverfälschte Bewahrung von dessen theologischem Erbe bemüht und stand darum bei vielen in hohem Ansehen. Er setzte sich für die Gründung der Universität Jena ein und unterstützte das Projekt der Jenaer Lutherausgabe, immer wieder griff er auch publizistisch in die theologischen Diskussionen seiner Zeit ein. 1558 setzte Amsdorf sein Testament auf. Nach eigenem Zeugnis inzwischen halbblind, taub und stumm, starb er am 14. Mai 1565 und wurde im Chor der Georgenkirche in Eisenach bestattet.

3. Inhalt

In5 dem vorangestellten Widmungsbrief an seine ehemalige Magdeburger Gemeinde legt Amsdorf dar, dass er zum Interim Stellung nehme, um das Evangelium, das er beinahe achtzehn Jahre lang als Magdeburger Pfarrer gepredigt habe und bei dem er bis zum Tod zu bleiben gedenke, erneut zu bekennen und die Gemeinde darin zu bestärken. Sie solle trotz des kaiserlichen Mandats nicht davon abweichen, denn der Kaiser sei getäuscht worden, so dass er irrtümlich meine, auch über die Gewissen gebieten zu kön

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nen, obwohl ihm dies nicht zukomme. Es gehe also nicht darum, dem Kaiser Widerstand zu leisten, sondern dem Interim und seinen Verfassern und Verfechtern. Dafür erwarte die Bekenner himmlischer Lohn. In der eigentlichen Stellungnahme zum Interim äußert Amsdorf zunächst seine Verwunderung darüber, dass man im Interim tatsächlich den Abendmahlsempfang unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe bis zur Regelung durch ein Konzil zugestanden habe, womit der Papst doch schwerlich einverstanden sein könne. Allerdings sei für den Glauben und die Praxis der Kirche das Wort Christi maßgeblich, keine Verlautbarungen des Papstes und kein Interim. Der Abendmahlsempfang unter beiderlei Gestalt entspreche der Einsetzung Christi, und allein deshalb solle man daran festhalten, nicht wegen des Interims. Andernfalls setze man das Interim höher als das Gebot Gottes und verweigere Gott die Ehre. Ähnlich verhalte es sich mit der Priesterehe, die über tausend Jahre üblich gewesen sei, ehe ein Verbot erlassen wurde. Noch weitaus übler als die scheinbar großzügige Zulassung von Dingen, die Gott ohnehin erlaubt oder geboten hat, sei allerdings ein zweiter Aspekt des Interims, denn es gebiete, was Christus verboten habe, insbesondere dass man Messe halte und keinerlei Änderungen an den überkommenen Texten vornehmen dürfe, auch nicht am Messkanon mit seiner Opfertheologie. Damit ordne das Interim an, dass Abgötterei getrieben werden solle, nämlich ein vermeintlicher Gottesdienst auf der Grundlage menschlichen Gutdünkens statt göttlichen Gebotes. Im übrigen gebiete das Interim sämtliche Missbräuche und Abgöttereien des Papsttums, darauf sei aber an anderer Stelle bereits hinlänglich geantwortet worden. Amsdorf greift deshalb nur einige wichtige Punkte heraus: Er kritisiert zunächst, dass das Interim lehrt, der Glaube genüge nicht zur Rechtfertigung, es bedürfe ergänzend der Liebe und daraus resultierender Werke, außerdem reinige der Heilige Geist die Herzen durch die Liebe. Die altgläubige Fastenpraxis, wie sie im Interim wieder verlangt wird, sei unbiblisch. Die Fürbitte der Heiligen sei eine unsichere Sache, allein auf Christus sei Verlass. Die Heiligen um Hilfe anzuflehen, was das Interim nur indirekt zur Sprache bringe, sei jedenfalls Abgötterei. Der Papst sei keinesfalls als oberster Bischof anzusehen, sondern er sei der Antichrist, leicht erkennbar an drei Merkmalen: erstens sitze er inmitten der heiligen Stadt, in der Kirche, zweitens erhebe er sich über alles, was Gottesdienst heiße, drittens verbiete er die Ehe und bestimmte Speisen. Die Nachfolge des Petrus könne auch keinesfalls eine besondere Machtposition innerhalb der Kirche begründen. Mit Bedauern sieht Amsdorf, dass der Kaiser sich zur Durchsetzung dieses angemaßten Machtanspruchs hergibt und seine militärische Macht in den Dienst des Interims stellt, anscheinend von unaufrichtigen, eigennützigen Beratern irregeführt. Den Aufruf des Interims zum Frieden weiß Amsdorf zu schätzen, soweit damit nicht eine Verleugnung des Glaubens verbunden ist. Die Wahrheit müsse jeder Christ bekennen, auch um den Preis von Verfolgung

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und Leiden. Zu letzter Ölung und Firmung bemerkt Amsdorf, es handle sich dabei nicht um Sakramente, sowenig wie bei der Ehe und der Priesterweihe, denn sie sind nicht von Christus eingesetzt und es fehlt ihnen die Verheißung der Gnade und Sündenvergebung. Die Kirche ist nach Amsdorfs Auffassung an keinen Ort, kein Amt und keinen Stand gebunden, sondern Kirche ist, wo das Evangelium von Jesus Christus gepredigt wird. Deshalb ist Kirche auch nichts Vererbbares, so dass die apostolische Sukzession der Amtsträger ohne die entscheidende Nachfolge in der Predigt des Wortes Gottes nichts besagen will. Wer sich von der römischen Kirche trennt, der trennt sich nicht von den Schafen Christi, sondern von den falschen Propheten und vom Antichrist. Abschließend stellt Amsdorf fest, an der Messe entscheide es sich: Bleibe sie als wahrer christlicher Gottesdienst bestehen, so sei die Sache der Anhänger Luthers ketzerisch, falle sie aber als menschliches Machwerk und Abgötterei, so falle mit ihr das gesamte Papsttum, und die Lutherische Lehre bleibe auf ewig bestehen. Das Kennzeichen des Antichrists, die Ehe und bestimmte Speisen zu verbieten, treffe jedenfalls auf die Lutherischen nicht zu.

4. Ausgaben

Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe: A: Antwort / Glaub vnd || Bekentnis auff das || schne vnd liebliche || INTERIMw || Niclasen von Amßdorffs || des veriagten Bischoffs || zur Naumburgk. || [3 einzelne herzförmige Blätter mit Stielen] || Anno. M. D. XLVIII. [20] Bl. 4° (VD 16 A 2325) Vorhanden: Aschaffenburg, Stiftsbibliothek: P-442/3 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 4 an: Bt 18600a R Budapest, Országos Széchényi Könyvtár (Nationalbibliothek): Ant. 2538 (5) Coburg, Landesbibliothek: Cas A 6480 Dresden, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek: Hist.eccl. E 233,14 Erfurt, Stadt- und Regionalbibliothek: 13-Hg 8353 Freiberg, Universitätsbibliothek „Georgius Agricola“: B XXXIV 241(4) Freiburg/Breisgau, Universitätsbibliothek: N 3182,g-4 Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: 1 an: 8 J GERM II, 6436; 8 MULERT 181; 8 MULERT 23; 8 TH IREN 66/5 (16) RARA Gotha, Forschungsbibliothek: IIf II.1635(14)R; Th 713/121; Theol. 4 185-186(12)R Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 155 587(7); AB 155 625(2); AB 44 19/i,13(3); If 3603 (18) Heidelberg, Universitätsbibliothek: T 350 RES

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Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4 Bud.Theol. 179 (3); 4 Theol. XLI,7 (8); 8 MS 30 968 (32) Leipzig, DNB, Deutsches Schrift- und Buchmuseum: III:58,3b Leipzig, Universitätsbibliothek: Kirchg. 1113/11; Syst.Th. 598/2 Lutherstadt Wittenberg, Bibliothek des Lutherhauses: GH 429 Lu; Kn A 145/778; Kn A 387/2706 München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 H.ref. 39 u Wien, Österreichische Nationalbibliothek: *35.F.22 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 173 Theol.(9); 183.21 Theol.(2); 231.96 Theol.(5); 329.6 Theol.(10) [benutztes Exemplar]; 490.1 Theol.(6); 513.24 Theol.(9); Alv Ef 103(2); H 110.4 Helmst.(2); H 113.4 Helmst.(2); L 482.4 Helmst.(11); Li Sammelbd. 19(16); S 207.4 Helmst.(3); S 210.4 Helmst.(4); Yv 2193.8 Helmst. Aus dem Vergleich der verwendeten Typen mit eindeutig identifizierten bzw. signierten Drucken schließt man auf die Magdeburger Offizin des Michael Lotter6 als Herstellungsort. Der Text ist enthalten in: Nikolaus von Amsdorff. Ausgewählte Schriften. Eingeleitet und herausgegeben von Otto Lerche, Gütersloh 1938, 29-51.

Kommentar
1  Zum folgenden vgl. Günter Wartenberg, Art. Johann Friedrich von Sachsen, in: TRE 17 (1988), 97–103.
2  Vgl. unsere Ausgabe Nr. 6: Christlich Bedenken auf das Interim (1548), 187–202.
3  Zum folgenden vgl. Joachim Rogge, Art. Amsdorff, in: TRE 2 (1978), 487–497; Kolb, Amsdorf; Dingel, Amsdorf.
5  Detaillierte Würdigungen finden sich auch bei Kolb, Amsdorf, 78–82, und Kaufmann, Ende der Reformation, 86–90.
6  Vgl. Reske, 580.
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