Einleitung
1. Historische Einleitung
Nachdem Kaiser
Karl V. am 15. Mai 1548 auf dem geharnischten Reichstag in
Augsburg (1547/48) den Reichsständen
das Augsburger Interim vorgelegt hatte, stand er vorübergehend einer oppositionellen Koalition der Reichsstädte gegenüber.
1 Die Gesandten der Städte auf dem Reichstag machten in einer gemeinsamen Eingabe an den Kaiser geltend, dass sie als Delegierte über keine Vollmacht verfügten, um über so wichtige Fragen, wie sie das Interim aufwarf, selbst zu entscheiden. Sie müssten erst
Rücksprache mit ihren jeweiligen Obrigkeiten halten, bevor sie hierzu etwas beschließen könnten. Es folgten intensive Verhandlungen der Delegierten mit ihren Räten, die sich über Wochen hinzogen.
In
Regensburg lag eine Abschrift des Interims am 24. Mai 1548 vor und wurde sofort vom Rat weitergeleitet an die Geistlichen
Hieronymus Nopp und
Nikolaus Gallus, die eine Stellungnahme zu diesem Religionsgesetz erarbeiten sollten. Der Regensburger Rat wollte – anders als andere Städte in derselben Situation – seine Reaktion von dem Gutachten seiner Theologen
abhängig machen. Diese unerschrockene Haltung mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass
Regensburg im Verlauf des Schmalkaldischen Krieges (1546/47)
von Zerstörungen verschont geblieben war und keine Einquartierung spanischer Truppen hatte erleiden müssen.
Gallus schickte das Gutachten, das unter seiner Federführung entstanden war und in dem das Interim in
Bausch und Bogen abgelehnt wurde, am 29. Mai 1548 an den Rat der Stadt. Noch vor Ablauf des Jahres erlangte dieses Gutachten Bekanntheit, weil es, durch einige Ergänzungen präzisiert, unverzüglich gedruckt wurde. Es stellt das
erste Stück des hier edierten Magdeburger Druckes dar, der die mittlerweile bedrückende Regensburger Lage und den theologischen Widerstand der dortigen Pfarrerschaft einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren wollte. Er bietet als zweites Stück den Entwurf der Antwort
des Rates an den Kaiser.
Nachdem der Regensburger Rat nämlich Ende Mai 1548 das ablehnende Gutachten erhalten hatte, war er darum bemüht, die Antwort an den Kaiser möglichst lange hinauszuzögern. Dies änderte sich Mitte Juni,
als der Kaiser in
Augsburg von dem Regensburger Delegierten
Wilhelm Syndersteter eine definitive Entscheidung zur Frage der Annahme des Interims bis zum 17. des
Monats verlangte. Jetzt konnte der Rat seine Aufschiebetaktik nicht länger fortsetzen. Nach mühsamen Debatten entstand ein Antwortbrief an den Kaiser. Den lateinischen Vorentwurf für dieses Schreiben lieferte
Nikolaus
Gallus und lehnte darin jede Zustimmung zum Interim entschieden ab. Der Rat übernahm diesen lateinischen Entwurf, milderte ihn jedoch im Hinblick auf mögliche politische Konsequenzen geringfügig ab. Einige antiinterimistische
Formulierungen,
die als zu scharf gegenüber dem Kaiser empfunden wurden, strich man heraus. Das Ergebnis war ein Briefentwurf, der als zweites Stück im vorliegenden Druck ediert wird. Dieser Entwurf wurde jedoch nicht an den Kaiser versandt. An ihn gelangte er erst in einer nochmals überarbeiteten
Version, die am 17. Juni nach
Augsburg geschickt wurde und vom Bemühen des Rates bestimmt war, seine ablehnende Haltung durch konziliante Formulierungen noch behutsamer zum Ausdruck
zu bringen. Aber selbst diese gegenüber dem ersten Entwurf des Gallus zweimal abgemilderte Fassung der Regensburger Antwort stieß beim Kaiser auf scharfe Ablehnung. Er forderte die vollständige Annahme des Interims binnen vier Tagen. Für den
Weigerungsfall drohte er die Einquartierung spanischer Truppen an. Der Rat schickte
Gallus in aller Eile nach
Nürnberg, um die Meinung der dortigen Theologen
Veit Dietrich und
Andreas Osiander zu erfahren, die ihn in seiner ablehnenden Haltung bestärkten.
2 Am 26. Juni 1548 kam es unter dem Druck eines kaiserlichen Ultimatums zur Abstimmung im Regensburger Rat. Dieser beschloss die Annahme des Interims unter Bedingungen, die von den Theologen formuliert werden sollten. Doch
verweigerten sich diese jedem Kompromiss und auch der Kaiser wies dieses Vorhaben entschieden zurück. Am 30. Juni 1548 musste der Regensburger Rat schließlich das Interim bedingungslos annehmen. Als ein Ratsdekret jegliche
Opposition gegen diese Entscheidung untersagte, zogen die Regensburger Prediger – unter ihnen auch
Gallus – die Konsequenz und verließen am 1. Juli die Stadt. In
Regensburg selber wurden die evangelischen Kirchen geschlossen. Erst nach dem Passauer Vertrag von 1552 konnte wieder evangelischer Gottesdienst gefeiert werden. Die Veröffentlichung
des Gutachtens und des ersten, noch von Abmilderungen freien Entwurfs des Regensburger Briefs an den Kaiser in
Magdeburg sollte der evangelischen Leserschaft vor Augen führen, dass die strikte Ablehnung des Augsburger Interims ein
reichsweites Phänomen war. Selbst in den süddeutschen Städten, die das Interim notgedrungen annehmen mussten, war ein theologischer Widerstand vorhanden, der mit diesem Druck eine deutlich vernehmbare Stimme erhielt.
2. Der Autor
Nikolaus Gallus, 1516 in
Köthen geboren, immatrikulierte sich 1530 in
Wittenberg und wurde
1537 zum Magister Artium promoviert. Seine Lehrer waren
Justus Jonas,
Matthias Schenk,
Martin Luther und
Philipp Melanchthon. Nach Abschluss seiner Studien mit einer Disputation über die Erbsünde am 24. Januar 1540 wurde
Gallus Schulrektor in
Mansfeld. Nachdem die freie Reichsstadt
Regensburg im Oktober 1542 die Reformation eingeführt hatte,
konnte sich
Gallus
am 11. April 1543 von
Johannes Bugenhagen in
Wittenberg ordinieren lassen und von seiner Stelle als Rektor der Mansfelder Stadtschule
in die Diakonatsstelle der Stadt
Regensburg wechseln. Dort begann er zusammen mit dem Superintendenten
Hieronymus Nopp, der zur selben Zeit seinen Dienst antrat, und mit dem Ratskonsulenten
Johann Hiltner das evangelische Kirchenwesen aufzubauen. 1546 nahm
Gallus an dem Regensburger Religionsgespräch teil. Nach dem verlorenen
Schmalkaldischen Krieg (1546/47) versuchte er, über den Regensburger Rat Einfluss auf die Entscheidungen des sog. geharnischten Reichstags in
Augsburg
(1547/48) zu nehmen, welche die Religion betrafen. Zum Augsburger Interim nahm er eine kompromisslos ablehnende Haltung ein und verließ am Ende zusammen mit anderen Geistlichen aufgrund der Einführung dieses
Reichsgesetzes die Stadt. Er wirkte zunächst als Prediger und Dozent in
Wittenberg. 1549 ging er nach
Magdeburg, wo er in Kontakt mit
Nikolaus
von Amsdorf und
Matthias Flacius Illyricus kam.
Gallus beteiligte sich am Adiaphoristischen, dem Majoristischen und dem Osiandrischen Streit. Er unterstützte
Flacius in seinem Kampf gegen
Schwenckfeld um die Geltung des äußeren Schriftsinns. Den Aussagen des
Flacius zur Erbsünde
konnte er indes nicht folgen. Nach der Aufhebung des Interims durch den Passauer Vertrag ging
Gallus im Jahre 1553 als Superintendent zurück nach
Regensburg und
blieb dort bis zu seinem Tod im Jahre 1570.
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3. Inhalt
Der Druck beginnt mit dem „Radschlag auff das Interim“, dem Gutachten, das
Nikolaus Gallus am 29. Mai 1548 an den Rat der Stadt Regensburg geschickt hatte. Bei der Klärung der Frage, ob
das Interim in
Regensburg eingeführt werden solle oder nicht, sei ihm zunächst die unterschiedliche Relevanz und kirchliche Reichweite der in dem kaiserlichen Gesetz enthaltenen Artikel aufgefallen. Einige Artikel seien auch – ihr
rechter Gebrauch vorausgesetzt – im evangelischen Raum akzeptabel, wie der vom Fasten, das Einhalten von Festtagen, lateinischer Gesänge und Zeremonien. Andere Lehraussagen könnten nur mit großer Sorge und nur wenn sie der evangelischen
Lehre nicht abträglich wären, wieder eingeführt werden, wie diejenigen, die die Kompetenz und Hierarchie der Geistlichen betreffen, die Lehre von der Kirche, Ordination, die sieben Sakramente, die Frage der Werke und Fürbitte für Verstorbenen. Eine letzte Gruppe von Artikeln des
Augsburger Interims aber stehe dem christlichen Glauben direkt entgegen. Dazu gehörten die Verdienstlichkeit der guten Werke und ihre Belohnung mit dem ewigen Leben, der Versuch des Interims, die gewonnene Heilsgewissheit wieder in Frage zu stellen, das Messopfer, der
Kanon in der lateinischen Liturgie, das Fegefeu
er, die Seelmessen, der Empfang des Abendmahls unter einer Gestalt, die Transsubstantiationslehre, die geforderten Prozessionen, die Aufbewahrung der Hostie im Tabernakel, die Weihung von Gegenständen, durch
die diesen dann überirdische geistliche Kraft zugeschrieben werde, und die Heiligenanrufung. Bei diesen Artikeln sei kein Kompromiss möglich. Weil das Augsburger Interim selbst keine Gewichtung unter seinen Artikeln vornehme und allein unter den Evangelischen
in Kraft gesetzt werden solle, während die Altgläubigen in ihrem Tun bestätigt würden, könne kein Evangelischer, sei er nun Ratsmitglied, Angehöriger eines anderen Reichsstandes oder einfacher Christ, dieses Gesetz annehmen oder billigen. Denn dann würde er sich der
Abgötterei schuldig machen, die aus der Annahme des Interims zwingend folge, ja, letzten Endes sogar die Verfolgung von Christen seines eigenen Bekenntnisses billigen. Sollte der Kaiser auf diesem Vorhaben beharren, träte für die evangelischen Stände der Bekenntnisfall
ein, da eine Annahme eindeutig gegen Gottes Wort und Befehl verstoße. Die Tatsache, dass bereits einige evangelische Stände zugestimmt hätten, nötige die Städte in keiner Weise. Die Zustimmung einer Obrigkeit könne niemals über die Gewissen der Untertanen bestimmen und
entscheiden. Hier gelte es, Widerstand zu leisten und das eigene Gewissen nicht durch die praktische Umsetzung des Interims zu belasten. Der Kaiser sei überdies daran zu erinnern, dass er selber die Klärung der Glaubensfragen einem künftigen Konzil
4 überlassen habe. Sollte er jetzt Religionsgesetze erlassen, würde er den Entscheidungen dieses Konzils vorgreifen. In allen weltlichen Dingen sei dem Kaiser Gehorsam zu leisten. In Fragen jedoch, die das eigene Seelenheil beträfen, müsse man allein Gott
gehorchen. Sollte der Kaiser dennoch auf der Durchsetzung der Artikel des Augsburger Interims bestehen, so werde es dazu kommen, dass unschuldiges Blut vergossen würde.
An das Gutachten schließt sich der damals nicht versandte Briefentwurf des Regensburger Rates an
Karl V. von Mitte Juni 1548 an. Der Rat beginnt seinen Brief mit der Bestätigung des Empfangs des kaiserlichen
Religionsgesetzes für die Zeit bis zum Konzilsende. In
Regensburg habe man die Zeremonien und Kirchenordnungen stets nach Gottes Gebot praktiziert, wie es Christus selbst befohlen habe und wie es in der ersten
apostolischen Kirche Brauch gewesen sei. Selbstverständlich gebe man dem Kaiser als Obrigkeit die Ehre, und auch die Evangelischen seien zum Gehorsam ihm gegenüber verpflichtet. Sollten sie aber dazu gezwungen werden, gegen Gottes Wort zu
handeln, könne
man für den Gehorsam dem Kaiser gegenüber nicht mehr garantieren. Wer gegen sein Gewissen und sein Herz gezwungen werde, von Gottes Befehl abzufallen, der werde ohne Zweifel auch keine Scheu haben, um der Wahrheit willen kaiserliche Befehle zu missachten. Nur durch die
Schrift oder ein Konzil wolle man sich eines besseren belehren lassen. Abschließend weisen die Ratsherren darauf hin, dass bislang auch der römische Glaube in
Regensburg toleriert worden sei, samt seiner Predigt, den
Zeremonien und Kirchenordnungen. Sie bitten darum, dass jetzt auch den Evangelischen diese Toleranz zuteil und ihr Glaube nicht angetastet werde.
4. Ausgaben
Nachgewiesen werden kann folgende Ausgabe:
A:
Einer Christlichen || Stad vnthertenigk antwort / auff || das von Key. Ma. vberschickt || Jnterim. Vnnd ein Radt= || schlag der Predicanten || der selbigen Stadt. || 1548. [8] Blatt 4° (VD 16 C 2379).
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dg 4470
Freiburg, Universitätsbibliothek: Rara N 3182, g-5
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Ib 3638 (8), If 3603 (21), If 4390 (10), Vg 1137, QK
Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 8 MS 25 860 (31)
Leipzig, Deutsches Buch- und Schriftmuseum in der Deutschen Bücherei: III: 58,3 c
Leipzig, Universitätsbibliothek: Kirchg. 1114 d
München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 H.ref. 805-9, 6 an: 4 Bt 18600 R
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 231.96 Theol. (13), 490.1 Theol. (4), 511.17 Theol. (10), 513 Theol. (8), 521.3 Theol. (5), Alv Ef 103 (5), G 80.4 Helmst. (10), H 407.4 Helmst. (10), H 410.4 Helmst. (15), H 92.4 Helmst. (7) [benutztes Exemplar],
J 609.4 Helmst. (3), L 482.4 Helmst. (8), S 206.4 Helmst. (11), S 210.4 Helmst. (15), Yv 1836.8 Helmst.
Der Druck wurde aus verständlichen Gründen ohne Orts- und Druckerangabe veröffentlicht.
Regensburg scheidet als Erscheinungsort aus. Man hielt sich hier an die in der Vorrede zum Interim verankerte Bestimmung, nichts gegen das
Gesetz zu publizieren. Der ortsansässige Drucker
Hans Kohl befand sich zwischen 1547 und 1550 in
Wien. Für diese Zeit ist überhaupt kein Druck
in
Regensburg nachweisbar.
5 Ein Typenvergleich sichert einwandfrei
die Offizin
Michael Lotters in
Magdeburg als Ort, an dem dieser Druck hergestellt wurde. Die Publikation kann schwerlich auf Initiative des
Regensburger Rates erfolgt sein, denn zum einen ließ die politische Situation eine solche Veröffentlichung kaum ratsam erscheinen, zum anderen hätte man mit Sicherheit die am konziliantesten formulierte Version des Antwortbriefes drucken lassen, die tatsächlich an den
Kaiser gegangen war, nicht die schärfer formulierte Vorstufe. Als Bezugsquelle für die Druckvorlage kommt demnach nur
Gallus oder ein Kollege von ihm in Betracht. In
Magdeburg hatte man ein
vitales Interesse an der Dokumentation des kompromisslosen Widerstands gegen das Augsburger Interim in
Regensburg, um die Grundlage der eigenen religionspolitischen Option der Totalablehnung der Umsetzung des
Augsburger Gesetzes zu unterstreichen. Dies mag auch den Abdruck der schärfsten Vorstufe des Regensburger Antwortbriefes an den Kaiser erklären.
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