Text

Ein sehr schön christlich Bedenken (1549)
bearbeitet von Hans-Otto Schneider
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Der Text1 spricht in eine Situation hinein, in der die Lage der Protestanten im Reich zunehmend kritischer wurde. In immer mehr Territorien wurde das Interim zumindest formal eingeführt, besonders in Süddeutschland auch durch kaiserliche Militärpräsenz erzwungen, zahlreiche Pfarrer hatten ihre Gemeinden verlassen müssen, Gemeinden hatten ihre Pfarrer verloren. Der Triumph von Papst und Kaiser über die Bekenner der evangelischen Wahrheit konnte beinahe grenzenlos erscheinen. Demgegenüber sucht der Verfasser den Blick seiner Leserschaft auf die großen welt- und heilsgeschichtlichen Zusammenhänge zu lenken, die den scheinbaren Triumph der Gegner als letzte Zuckungen des Antichrists vor seiner endgültigen Vernichtung erkennen lassen. Der Jüngste Tag ist nach Erkenntnis des Verfassers nicht mehr fern, und dann wird das Wort Gottes über Papst und Interim obsiegen.

2. Der Autor

Ein Dominicus Aquinas ist sonst nirgends nachweisbar, man vermutet deshalb, dass es sich um ein Pseudonym handeln könnte, das auf den Kirchenlehrer Thomas von Aquin aus dem Dominikanerorden Bezug nimmt, ohne dass allerdings dieser Bezug inhaltlich in irgendeiner Weise fassbar würde.2 Der Verfasser greift zur Gestaltung seiner prophetisch-apokalyptischen Gerichtsansage und Trostschrift auf verschiedene Luthertexte zurück.3

3. Inhalt

Die Schrift unternimmt es, von II. Thessalonicher 2,4 ausgehend, zu erweisen, dass der Papst mitsamt dem Interim der Antichrist sei, und dass der Jüngste Tag bald kommen werde. Drei Merkzeichen gibt der Verfasser an, die vor dem Jüngsten Tag erfüllt sein müssten: 1. den Zerfall des Römischen Reichs, 2. den Abfall vom Glauben, 3. die Offenbarung des Antichrists im Tempel Gottes, der sich an die Stelle Gottes gesetzt hat. Anschließend wird dargelegt, wie die Zeichen erfüllt seien: 1. Das Römische Reich ist gegenüber seiner einstigen Größe stark dezimiert, Vorderasien und Nordafrika sind verloren, in Europa haben sich zahlreiche eigenständige Königreiche gebildet, und selbst die Hauptstadt Rom ist dem Kaiser vom Papst gestohlen worden. Von der einstigen Weltmacht ist nur ein trauriger Rest geblieben. 2. Der Abfall vom Glauben ist einerseits durch die Herrschaft der Muslime in Vor

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derasien, Nordafrika, Griechenland und weiteren Gebieten eingetreten, andererseits durch die Herrschaft des römischen Antichrists über beinahe ganz Europa. Das Interim entspricht dem alten Papsttum und bedeutet einen zweiten Abfall vom Glauben in den Gebieten, in denen zuvor das Evangelium Fuß gefasst hatte. Die Prophezeiung des Paulus ist so im Überfluss erfüllt. Das dritte Zeichen präzisiert der Verfasser nun dahingehend, dass es den Umgang Gottes mit Papst und Interim vor dem Jüngsten Tage betreffe. Ehe er darauf zu sprechen kommt, geht er auf den Paulustext und die Benennungen für den Antichrist die sich darin finden, näher ein: „ein Mensch der Sünde“, also einer, der nicht nur selbst ein Sünder ist, sondern auch andere zur Sünde verleitet, und „ein Kind des Verderbens“, das andere in sein Verderben zieht. Beides treffe auf das Papsttum allzu genau zu, das selbst den Kaiser betrüge. In diesem Zusammenhang greift der Verfasser auf diverse Anekdoten aus der Geschichte des Papsttums zurück. Das Interim sei ebenso verderblich, ja noch verderblicher, denn es gebe sich zunächst den Anschein, als lehre es recht, an entscheidenden Punkten werde aber doch den päpstlichen Irrlehren der Vorzug vor der evangelischen Wahrheit gegeben. Als Beispiele werden die Rechtfertigungslehre, die Lehre vom Abendmahl und die Frage der Priesterehe angeführt. Nach diesem Einschub kommt der Verfasser zum Kern des dritten Zeichens vor dem Jüngsten Tag, nämlich wie es dem Antichrist und seinem Interim ergehen solle. Paulus habe prophezeit, Christus werde sie umbringen „durch den Geist seines Mundes“, das heißt durch das Evangelium. Im folgenden vergegenwärtigt der Verfasser den Siegeszug des Evangeliums, der in Sachsen begonnen habe und noch täglich in Europa fortschreite, während er dem Papsttum einen tödlichen Schrecken versetzt habe, so dass dieses nun unheilbar krank in den letzten Zuckungen auf dem Totenbett liege. Abschließend wendet sich der Verfasser einzeln an unterschiedliche Gruppen: 1. Den altgläubigen Herren und Junkern rät er, sich nicht länger gegen Gott und für die verlorene Sache des päpstlichen Antichrists einzusetzen. 2. Den evangelischen Fürsten empfiehlt er Glaubensmut und Pflichterfüllung im Vertrauen auf Gottes Walten. 3. Diejenigen, die die evangelische Wahrheit erkannt hatten, aus Furcht vor Repressalien aber wieder davon Abstand genommen haben, ermahnt er zur Buße, solange noch Zeit sei, und erinnert sie an die Rechenschaft, die sie Gott auch für ihre Untertanen geben müssen. 4. Den andern hochgestellten Unterstützern des Papsttums prophezeit der Verfasser, dass sie mit diesem untergehen werden. 5. Das „arme Häuflein Jesu Christi“ soll im Vertrauen auf Gott den bevorstehenden Untergang von Papsttum und Interim abwarten, sich des Evangeliums nicht schämen, Buße tun und beten, wodurch wohl auch die Bekehrung der Feinde erreicht werden könne, wenn es auch unmöglich sei, dass sich die Vertreter der kirchlichen Hierarchie und die Mönche von ihrem falschen Weg abkehrten.

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4. Ausgaben

Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe: A: Ein seer Schn Christ || lich bedencken auff das Schendlich || INTERIM || Mit antzeigung der zeichen / so || fur dem Jngsten Tage her || komen / vnd den jtzigen || Jnterimistischen Abfal || mit sich bringen || sollen. || Durch Dominicum Aquinatem: || 1549. [10] Bl. 4° Vorhanden: Aschaffenburg, Stiftsbibliothek: P-442/5 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dg 4676 Leipzig, DNB, Deutsches Schrift- und Buchmuseum: III:58,3s Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 298.8 Quod.(1); G 80.4 Helmst.(28)4 [benutztes Exemplar]; L 482.4 Helmst.(21) Aus dem Vergleich mit firmierten Drucken schließt man, dass es sich um einen Druck aus der Offizin von Michael Lotter in Magdeburg handelt.5

Kommentar
1  Zum folgenden vgl. Joachim Mehlhausen, Art, Interim, in: TRE 16 (1987), 230–237, bes. 233f.
2  Zu erwägen wäre, ob sich hinter Dominicus Aquinas nicht Dominus Niclas de Amsdorf verbergen könnte, dieser wie jener ein unverheirateter Theologe adliger Abkunft. In der Bewertung der Rolle des Kaisers steht der Verfasser jedenfalls Amsdorf sehr viel näher als Flacius.
3  Vgl. die Nachweise im Textteil.
4  Microfiche-Ausgabe bei Hans-Joachim Köhler, Flugschriften des späteren 16. Jahrhunderts, Serie II, Fiche Nr. 283, Text Nr. 563.
5  Vgl. Reske, Buchdrucker, 580.
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