Text

Eine Predigt wider das Interim (1548)
bearbeitet von Hans-Otto Schneider
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Die Stadt Braunschweig1 lag zwar im Gebiet des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, hatte aber als Gemeinbesitz des welfischen Hauses, Mitglied des sächsischen Städtebundes und Hansestadt einen weitgehend unabhängigen Status inne; 1528 wurde eine von Johannes Bugenhagen erarbeitete Kirchenordnung eingeführt, und 1531 trat die Stadt dem Schmalkaldischen Bund bei. Zum Schutz der evangelischen Städte Braunschweig und Goslar vor Übergriffen Heinrichs d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel vertrieben die beiden Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen, im Sommer 1542 Herzog Heinrich und setzten ihn schließlich, nachdem er versucht hatte, die Herrschaft gewaltsam wiederzuerlangen, im Oktober 1545 gefangen. Im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde die Reformation eingeführt. Der Feldzug gegen Heinrich von Braunschweig war willkommener Anlass für Kaiser Karl V., gegen die Häupter des Schmalkaldischen Bundes militärisch vorzugehen, ohne die Frage der konfessionellen Differenz zur Sprache zu bringen, vielmehr ahndete er offiziell einen Fall von Landfriedensbruch. Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes kehrte Herzog Heinrich in seine Lande zurück, und auch die Städte Braunschweig und Goslar mussten sich seinen Ansprüchen weithin fügen, konnten allerdings ihr evangelisches Bekenntnis wahren, während das Fürstentum rekatholisiert wurde. Braunschweig-Wolfenbüttel nahm das Augsburger Interim als einziges norddeutsches Territorium neben Oldenburg offiziell an. Nikolaus Medler veröffentlichte seine Predigt2 Ende September 1548, zu einer Zeit, als die Diskussion um das Interim bereits weiteste Kreise der Bevölkerung erreicht hatte – davon geht jedenfalls der Verfasser aus. Das Beispiel von Jesu Verhalten im Konflikt um die Frage der Heilung eines Kranken am Sabbat dient ihm dazu, eine kompromisslose Ablehnung des Interims zu propagieren, obwohl nach entsprechenden Erfahrungen in Süddeutschland und angesichts der Rekatholisierungsmaßnahmen des langjährigen Widersachers der Stadt, Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel,

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nicht mehr auszuschließen ist, dass diese ablehnende Haltung eine Leidenszeit zur Folge haben könnte.3

2. Der Autor

Nikolaus Medler,4 geboren am 15. Oktober 1502 in Hof im Vogtland, besuchte die Lateinschule in Freiberg (Sachsen),5 anschließend die Universitäten Erfurt und, ab Januar 1522, Wittenberg. Während seines etwa einjährigen Aufenthaltes hier lehrte er Hebräisch und Mathematik. Eine kurze Zeit war Medler Rechenlehrer in Arnstadt und Hof, schließlich Leiter der Schule in Eger, hier heiratete er zum ersten Mal, wohl 1524. Durch seine evangelischen Schulpredigten erregte Medler Aufsehen, ja Aufruhr, der Rat der Stadt fürchtete die Ungnade König Ferdinands, deshalb wurde Medler entlassen. Er kehrte zurück nach Hof (um 1527/29) und übernahm die Leitung der Stadtschule, die er zu einer Blüte führte. Daneben war er Prediger an St. Michael. Nachdem er zuvor schon wegen scharfer Predigten angefeindet worden war, wurde er am 13. Juli 1531 mit seinem Kollegen, dem Stadtpfarrer Kaspar Loener,6 aus der Stadt vertrieben. Medler zog nach Wittenberg und blieb dort gut fünf Jahre als Privatlehrer, Gehilfe Luthers und Kaplan der vertriebenen Brandenburger Kurfürstin Elisabeth.7 Am 30. Januar 1532 wurde Medler Magister, am 11. September 1535 Lizentiat und am 14. September 1535 zum Doktor der Theologie promoviert. Im Mai 1536 war er an den Beratungen über die Wittenberger Konkordie beteiligt, unterzeichnete sie aber nicht mehr, denn inzwischen stand er in Verhandlungen, als Prediger nach Naumburg zu gehen, was er am 1. September 1536 auch zunächst widerwillig tat. Medler wurde Pfarrer und Superattendent an der Wenzelskirche. Als solcher wurde er zum Reformator des Naumburger Kirchen- und

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Schulwesens. Im Jahre 1539 war er überdies an der Einführung der Reformation in Leipzig und an der Visitation im Fürstentum Herzog Heinrichs des Frommen8 beteiligt. Am 11. September 1541 hielt Medler die erste evangelische Predigt im Naumburger Dom, der bis dahin mit der Domfreiheit im Unterschied zum sonstigen Stadtgebiet noch altgläubig geblieben war, am 20. Januar 1542 wurde dann Nikolaus von Amsdorf als evangelischer Bischof von Naumburg eingeführt. Nach dem Tod seiner ersten Frau im Oktober 1543 ging Medler im Januar 1544 eine zweite Ehe ein.9 Die Beziehungen zwischen Medler und Amsdorf gestalteten sich anscheinend schwierig. Medler folgte im April 1545 einem Ruf nach Schloss Lichtenberg bei Torgau zur Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg, um Michaelis 1545 wurde er dann Superintendent in Braunschweig. Medler nahm Matthias Flacius in Braunschweig auf, als die Universität Wittenberg sich infolge des Schmalkaldischen Krieges in Auflösung befand; Flacius lehrte in dieser Zeit am Braunschweiger Paedagogium.10 Medler veröffentlichte mehrere Schriften für Unterrichtszwecke und im Bereich des Schulwesens und leistete auch publizistischen Widerstand gegen das Interim. Da ihm die Last des Braunschweiger Amtes allmählich zu schwer wurde und sein Ansehen unter ehelichen Zwistigkeiten gelitten hatte, nahm Medler 1551 das Angebot an, Hofprediger im anhaltischen Bernburg zu werden. Bei seiner ersten Predigt dort am 7. Juni 1551 rührte ihn allerdings der Schlag. Nachdem er zwischenzeitlich zwecks besserer Pflege noch nach Wittenberg ins Haus Georg Majors gebracht worden war, wo er einen zweiten Schlaganfall erlitt, starb Nikolaus Medler am 24. August 1551 im Alter von nicht ganz 49 Jahren in Bernburg.11

3. Inhalt

Der Verfasser bezieht den Leser formal ein in die Korrespondenz mit einem ungenannten Freund, die durch die Übersendung einer aktuellen Predigt des Verfassers fortgesetzt werden soll. Predigttext ist die Perikope Lk 14,1–14, von der Heilung des Wassersüchtigen am Sabbat; dabei will Medler auf die

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Frage eingehen, wie man sich zum Interim verhalten solle. Medler geht davon aus, dass niemand unter den Zeitgenossen sei, der nicht von den Auseinandersetzungen in religiösen Fragen Kenntnis erhalten hätte. Viele meinten, man solle doch um des Friedens willen zu Kompromissen bereit sein. Diese verkennen aber nach Ansicht des Verfassers, dass die grundsätzliche Differenz, die aktuell am Interim aufbricht, schon sehr viel länger besteht, nämlich seit Beginn der Welt. Der nämliche Konflikt walte auch schon zwischen Christus und den Pharisäern in der Perikope von der Heilung des Wassersüchtigen am Sabbat: die Pharisäer hielten Christus für einen Ketzer, der den Sabbat entweihe, indem er Kranke heile; Christus aber lasse von seinem Tun nicht ab, sondern halte an seinem göttlichen Auftrag fest, auch wenn er sich dadurch die Feindschaft mancher Zeitgenossen zuziehe. Den Pharisäern geht es nach Medlers Interpretation allein um ihre Macht und ihren Einfluss, sie wollen die Gottessohnschaft Christi nicht anerkennen. Hinsichtlich des Anlasses für den Konflikt hätte es wohl eine Möglichkeit zum Kompromiss gegeben: Jesus hätte die Heilung des Kranken, der ja nicht in unmittelbarer Lebensgefahr schwebte, auf den folgenden Werktag verschieben können. Aber damit hätte sich im Grundsatz nichts geändert, die prinzipielle Ablehnung von Amt und Person Christi durch die Pharsiäer wäre unvermindert bestehen geblieben. Darum habe Christus nicht nachgegeben, sondern an seiner Position festgehalten. Dies ist nach Meinung des Verfassers auch die richtige Haltung gegenüber dem Interim, das als Kompromiss daherkomme, tatsächlich aber Christi Wort und Befehl deutlich entgegenstehe. Die Parteigänger der Interims, insbesondere Johann Agricola, verhießen zwar die Überwindung der konfessionellen Spaltung, diese sei aber tatsächlich gar nicht zu erwarten, vielmehr sei das Interim als eine List der Evangeliumsfeinde anzusehen, die damit die Rechtgläubigen ins Verderben reißen wollten. Der Grundkonflikt könne vor dem Jüngsten Tage nicht entschieden werden, deshalb solle man bei der einmal erkannten Wahrheit des Evangeliums bleiben, auch wenn man ihretwegen Verfolgung und Leiden auf sich nehmen müsse. Wie die Schande der Pharisäer noch immer in jener biblischen Perikope für alle Welt nachzulesen sei, so werde auch die Schande der Interimisten allgemein ausgebreitet werden und dauerhaft im Gedächtnis der Menschheit bleiben, ebenso wie der Ruhm der treuen Bekenner, denen Christus die Seligkeit zugedacht habe.

4. Ausgaben

Nachgewiesen werden kann folgende Ausgabe: A: Eine Predigt vber || Das Euangelion Luce xiiij. Von || dem Wasserschtigen / So man list || den Siebenzehenden Sontag || nach Trinitatis wieder das || INTERIM ♦ || – || Geschrieben an einen guden freundt. || Durch || Doctorem Nicolaum Medlerum. || 1548. [8] Bl. 4° (VD 16: M 1887) Vorhanden: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dg 4525; Dg 4525â Dresden, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek: Hist.eccl. E 321,22 Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: 8 MULERT 349 Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 155 599(6); AB 44 19/i,13(10); Vg 1161,QK Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4 Bud.Hist.eccl.271 (25); 4 Theol. XLI,7 (4) Kiel, Universitätsbibliothek: Cb 6168 Leipzig, Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Schrift- und Buchmuseum: III: 58,3e München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Hom. 1395 i; 9 an: Bt 18600a R Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 231.96 Theol. (7); A 115b.4 Helmst. (4); Alv Ef 103 (15); H 407.4 Helmst. (11); K 311.4 Helmst. (3); L 482.4 Helmst. (16) [benutztes Exemplar]; Yv 1768.8 Helmst. (1) Aus dem Vergleich der verwendeten Typen mit eindeutig identifizierten bzw. signierten Drucken schließt man auf die Magdeburger Offizin des Michael Lotter als Herstellungsort.

Kommentar
1  Zum folgenden vgl. Hans-Walter Krumwiede, Art. Braunschweig I. Historisch, in: TRE 7 (1981), 141–147; Gerhard Müller, Art. Braunschweig, in: RGG4 1 (1998), 1739–1741; Joachim Mehlhausen, Art. Interim, in: TRE 16 (1987), 230–237; Gabriele Haug-Moritz/Georg Schmidt, Art. Schmalkaldischer Bund, in: TRE 30 (1999), 221–228; Georg Schmidt/Siegrid Westphal, Art. Schmalkaldischer Krieg, in: TRE 30 (1999), 228–231.
2Kaufmann, Ende der Reformation, 257–266, geht ausführlich auf den Text ein und weist darauf hin, dass im Zusammenhang des Streites um die Einführung des Augsburger Interims kaum Predigten publiziert wurden, sehr im Unterschied etwa zur frühen Reformation.
3  Insofern wird man Kaufmann, Ende der Reformation, 265, nicht ganz zustimmen können, wenn er meint, „die Predigt dürfte einen relativ authentischen Eindruck davon vermitteln, wie ein gegenüber dem Interim kritischer Adept der Wittenberger Theologie im Frühherbst des Schicksalsjahres 1548 zu einer von unmittelbaren Bedrohungen nicht berührten städtischen Gemeinde gepredigt hat“ [Hervorhebung nicht im Original].
4  Zum folgenden vgl. Otto Albrecht, Art. Medler, in: RE³ 12 (1903), 492–497; Nachtrag dazu in RE³ 24 (1913), 82; Robert Stupperich, Art. Medler, in: NDB 16 (1990), 603f; Inge Mager, Art. Medler, in: BBKL 5 (1993), 1150–1153; Heinz Scheible, Art. Medler, in: RGG4 5 (2002), 988; Herrmann/Kluge, Medler.
5  Wahrscheinlich waren seinerzeit Johannes Rhagius Aesticampianus und Petrus Mosellanus dort als Lehrer tätig. Vgl. MBW 11 (2003), 39; Heinz Scheible, Art. Mosellanus, in: RGG4 5 (2002), 1543f.
6  Vgl. Carl Bertheau, Art. Löner, Caspar, in: ADB 19 (1884), 152–155; Christian Karl Ludwig Geyer, Art. Löner, Kaspar, in: RE³ 11 (1902), 589–593; Heinz Scheible, Art. Loener, in: RGG4 5 (2002), 482.
7Elisabeth von Brandenburg war eine Tochter des Königs Johann von Dänemark, Schweden und Norwegen; nachdem ihr Mann, Joachim I. von Brandenburg, sie wegen ihrer Hinneigung zur Reformation mit Gefängnis bedroht hatte, floh sie 1528 nach Torgau zu ihrem Onkel, Kurfürst Johann von Sachsen. Erst 1545 kehrte sie ins Brandenburgische zurück. Vgl. Karl Lohmeyer, Art. Elisabeth, Kurfürstin von Brandenburg, in: ADB 6 (1877), 14f.
9  Von Medlers erster Frau ist nur der Vorname bekannt: Veronika; seine zweite Frau war Dorothea Hebenstreit, verwitwete Elbel, geborene Brückner, aus Hof, Abtswitwe aus Naumburg, sie starb am 14. April 1558 in Hof. Vgl. Matthias Simon, Bayreuthisches Pfarrerbuch, 201 (Nr. 1533).
10  Vgl. Preger I, 36f. Auch Melanchthon und Luthers Witwe Katharina fanden zeitweilig Aufnahme bei Medler. Vgl. Scheible, Frau Luther, 93–114, bes. 110f.
11  Eine Gedenktafel für Medler, um 1600 in St. Martini in Braunschweig angebracht und durch den Bombenangriff auf die Stadt in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944 vernichtet, rühmte Medlers Braunschweiger Tätigkeit : „... difficillimis temporibvs interimisticis ecclesiam magna cvm lavde rexit ...“ Vgl. Wehking, Inschriften, 222; freundliche Mitteilungen von Herrn Pfr. i. R. Jürgen Diestelmann und Herrn Pastor Wolfgang A. Jünke, Braunschweig, vom 11. Februar 2009.
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