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Gutachten für den dänischen König (1548)
bearbeitet von Johannes Hund/Hans-Otto Schneider
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Nachdem1 Christian III. in der sogenannten Grafenfehde den Sieg über seine Gegner davongetragen hatte, trieb er die lutherische Reformation Dänemarks energisch voran; schon als Herzog von Schleswig und Holstein hatte der Sohn Friedrichs I. in seinem Lehen um Hadersleben die Reformation begünstigt. Unter maßgeblicher Mitwirkung Johannes Bugenhagens2 wurde im August und September 1537 die offizielle Einführung der Reformation feierlich bekundet. Bugenhagen krönte das Königspaar und ordinierte sieben Superintendenten, unter denen Peder Palladius als Bischof von Seeland, königlicher Ratgeber und Professor an der wiedereröffneten Universität Kopenhagen die Führung innehatte. Auch die neue Kirchenordnung wurde stark von Bugenhagen beeinflusst, der insgesamt etwa zwei Jahre mit seiner Familie in Dänemark blieb, ehe er nach Wittenberg zurückkehrte und seinen dortigen Dienst wieder aufnahm. Christian III. war persönlich sehr an theologischen Fragen interessiert und gilt als überzeugter Lutheraner, zugleich hatte er einen ausgeprägten Sinn für Realpolitik. Dänemark war im April 1538 durch einen Sondervertrag dem Schmalkaldischen Bund beigetreten. 1544 schloss Christian III. mit Kaiser Karl V. einen Freundschaftsvertrag und verhielt sich in der Folge im Hinblick auf die kaiserliche Religionspolitik im Reich neutral.3 Dabei trug zu Christians III. vorsichtig taktierender Haltung gegenüber dem Kaiser bei grundsätzlicher Ablehnung des Augsburger Interims nicht unwesentlich auch der Umstand bei, dass Christian III. mit Karl V. zeitgleich wegen der Belehnung mit Holstein in Verhandlungen stand . Als am 25. Juni 1548 jenes Schreiben vom 30. Mai4 in Hamburg eintraf, in dem der Kaiser die Einführung des Interims verlangte, wandte sich der Hamburger Rat alsbald an den dänischen König.5 Der Brief des Rates datiert vom

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29. Juni 1548. Unter demselben Datum sandten die Hamburger Prediger das Interim an Peder Palladius und dessen Kollegen, damit diese auf den dänischen König Einfluss nähmen, der mutmaßlich den Text vom Kaiser gesandt bekommen habe.6 Obgleich der Brief des Rates an den König im Schreiben der Hamburger Prediger mit keinem Wort erwähnt wird, ist gleichwohl davon auszugehen, dass das parallele Vorgehen beider Gruppen genau aufeinander abgestimmt und abgesprochen war. Wenig später, am 8. Juli 1548, sandte Herzog August von Sachsen, der jüngere Bruder des Kurfürsten Moritz, ebenfalls eine Abschrift des Interims an König Christian III., seinen Schwiegervater in spe,7 nebst einem Gutachten der Wittenberger Theologen,8 am 12. Juli antworteten Palladius und seine Kollegen ihren Hamburger Amtsbrüdern, der König habe vom Kaiser das Interim noch nicht erhalten, anscheinend kenne er es aber schon,9 denn er lehne es dezidiert ab.10 Am 14. Juli antwortete der König dem Hamburger Rat hinhaltend, im Sinne seiner Politik der Zurückhaltung. Er empfahl dem Rat, sich dem Kaiser gegenüber als nicht ausreichend informiert darzustellen und zu behaupten, man kenne das Interim nur in Teilen, da der Kaiser seinem Schreiben kein Exemplar des Interims hatte beilegen lassen.11 Auf den Brief aus Wittenberg hin hatte Christian III. seine Theologen mit einem Gutachten beauftragt. Der Antwortbrief der Theologen an den König ist vom 11. August datiert.12 Peder Palladius und Johannes Machabeus erarbeiteten ein ausführliches Gutachten zum

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Interim, das sie dem Kanzler der Universität Kopenhagen übergaben, und zusätzlich einen kurzen Auszug mit den wichtigsten Punkten zur Orientierung für den König.13 Beide Gutachten blieben zunächst ungedruckt,14 bestärkten aber den König in seiner weitgehenden Ablehnung des Interims und trugen dazu bei, dass das Interim in den dem Reich zugehörigen Gebieten unter dänischer Herrschaft nicht eingeführt wurde, geschweige dass man es für die Gebiete außerhalb des Reiches freiwillig übernommen hätte. Auch Gustav I. Wasa, nach Auflösung der Kalmarer Union zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden seit 1523 König von Schweden, hatte Christian III. um nähere Auskünfte zum kaiserlichen Religionsedikt und zu den theologischen Stellungnahmen ersucht und vertrat daraufhin einen entschieden ablehnenden Standpunkt gegenüber dem Interim.

2. Die Autoren

2.1. Peder Palladius

Peder Palladius15 wurde im Jahre 1503 geboren. Nach einer Zeit als Rektor in Odense, in die wohl auch die Heirat mit Kristine Pedersdatter fällt, ging Palladius 1531 nach Wittenberg, wo er bis 1537 blieb. Er wurde von Luther zum Doktor der Theologie promoviert. Am 2. September 1537 wurde er mit sechs anderen neuen Bischöfen von Johannes Bugenhagen, den König Christian III. zur Neuorganisation des dänischen Kirchenwesens ins Land gerufen hatte, zum Bischof von Seeland mit Sitz in Kopenhagen geweiht. Als solcher war er inoffizieller Primas der dänischen Kirche. Er unternahm zahlreiche Visitationsreisen, war oberster Leiter des Unterrichts- und Sozialwesens, Theologieprofessor in Kopenhagen und theologischer Berater des Königs. Gemeinsam mit Johannes Machabeus schrieb er für den König unter anderem Gutachten über das Interim (1548) und über die Osiandrischen Streitigkeiten (1552); im Laufe seines Lebens veröffentlichte er mehr als 80 Schriften in dänischer, isländischer, polnischer, deutscher, englischer und lateinischer Sprache. Im Jahre 1560 starb Peder Palladius hoch geachtet in Kopenhagen.

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2.2. Johannes Machabeus

John MacAlpine16 entstammte dem schottischen Adel. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt, 1532–1534 war er Prior des Dominikanerklosters in Perth, wurde der Häresie bezichtigt und musste fliehen. Zunächst führte sein Weg nach England, wo er 1537 das Bürgerrecht erhielt und sich mit Agnes Macheson verheiratete.17 Die Reaktion in England 1539 ließ es geraten erscheinen, auch von dort fortzugehen. MacAlpine kam zunächst nach Köln, wo er das theologische Baccalaureat erwarb, am 25. November 1540 immatrikulierte er sich schließlich an der Universität Wittenberg, am selben Tag wie John Rogers.18 Von Melanchthon erhielt MacAlpine den Gelehrtennamen Machabeus. Am 3. Februar 1542 wurde er Lizentiat, am 9. Februar 1542 Doktor der Theologie. Noch im selben Jahr erhielt er eine theologische Professur an der Universität Kopenhagen. Johannes Machabeus war einer der Übersetzer der Lutherbibel ins Dänische. Auf Bitten König Christians III. von Dänemark und Norwegen blieb Machabeus in Kopenhagen, obwohl man ihn mehrfach in seine schottische Heimat zurückberief. Am 5. oder 6. Dezember 1557 starb er in Kopenhagen.

3. Inhalt

Das ausführliche Gutachten behandelt der Reihe nach sämtliche Abschnitte des Augsburger Interims und untersucht sie auf ihre Vereinbarkeit mit reformatorischen Erkenntnissen, wobei neben der biblischen Überlieferung auch die kirchliche Tradition in Gestalt der Schriften der Kirchenväter ausgiebig Berücksichtigung findet. Das kurzgefasste Gutachten übernimmt die einleitenden Sätze des ausführlichen Textes, formuliert dann aber eigenständig und fasst die Ergebnisse der Untersuchungen zusammen, wobei die Abschnitte zu den Themen Rechtfertigung, Ekklesiologie und Sakramentenlehre eine etwas ausführlichere Würdigung erfahren, alle übrigen werden äußerst summarisch abgehandelt. Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass das Augsburger Interim unannehmbar sei, weil es die Wiedereinführung der aus guten Gründen abgeschafften altgläubigen Irrtümer und Missbräuche vorsehe.

4. Ausgaben

Die beiden Gutachten wurden zunächst nicht im Druck veröffentlicht, erst antiquarisches Interesse des 18. Jahrhunderts brachte sie ans Licht. Sie wurden erstmals abgedruckt in der Zeitschrift „Dnische Bibliothec oder Sammlung Von Alten und Neuen Gelehrten Sachen aus Dnnemarck“. Deren „Fnfftes Stck, Copenhagen und Leipzig, Bey Otto Christopfer Wentzell. 1744“ enthält an erster Stelle19 einen Beitrag mit dem Titel: „Der Professorum Theologiae zu Copenhagen Bedencken auf das INTERIM. Welchem beygefget ist eine Nachricht von den verschiedenen Ausgaben des INTERIMS, und ein historisches Verzeichniß von mehr als 60 einzelnen Schrifften welche gegen dasselbe zum Vorschein gekommen.“ Ihr „Sechstes Stck. Copenhagen In der Buchdruckerey des Knigl. Wysenhauses, und auf dessen Vorlag, Gedruckt von Gottmann Friderich Kisel. 1745“ enthält als Nr. IV einen Beitrag mit folgendem Titel: „Theologorum Hafniensium Brevis qvaedam Censura praecipuorum Capitum De libro INTERIM. Nebst dem Schreiben, welches bei Uebersendung dieser Censur an S. K. M. Christian den Dritten abgelassen worden; und einigen Zustzen zu dem im fnften Stck befindlichem [!] Verzeichniß von eintzelnen Schriften gegen das Interim.“20 Weder das ausführliche, noch das kurzgefasste Gutachten sind heute noch im Original greifbar.21 Deshalb werden die Texte nach dem sehr sorgfältig ausgeführten Druck der „Dänischen Bibliothec“ geboten.22

Kommentar
1  Zum folgenden vgl. Schwarz Lausten, Reformation in Dänemark, passim.
2  Zu ihm vgl. unsere Ausgabe Nr. 1, Einleitung, S. 46f.
3  Dabei ist noch zu beachten, dass der 1523 ins Exil gegangene, seit 1536 auf Schloss Sonderburg (seit 1549 auf Schloss Kalundborg) gefangengehaltene vormalige König von Dänemark, Norwegen und Schweden Christian II., Neffe Friedrichs I. und also Cousin Christians III., mit der 1526 verstorbenen Isabella/Elisabeth von Österreich, Schwester Karls V., verheiratet gewesen war. Allerdings hatte Karl sich wegen dessen schlechter Behandlung seiner Schwester von Christian II. distanziert und später auch ihr die Unterstützung entzogen, nachdem ihm bekannt geworden war, dass sie der Reformation zuneigte.
4  Text s. DRTA.JR 18/2, 1866–1869 [Nr. 204a].
5  Dass die Hamburger sich an den dänischen König Christian III. wandten, hatte mehrere Gründe: Als Herzog von Holstein war der dänische König auch Fürst des Reiches – insofern auch zur Umsetzung des Interims verpflichtet – und unmittelbarer Nachbar Hamburgs; Hamburg war seit 1536 Mitglied des Schmalkaldischen Bundes, dem sich auch Dänemark angeschlossen hatte. Seit 1460 hatten die Könige von Dänemark in der Nachfolge der Grafen von Schauenburg zumindest formell gewisse Herrschaftsrechte über die Stadt, wenn diese auch bereits um 1300 weitgehende Unabhängigkeit vom gräflichen Stadtherrn erreicht hatte, seit 1460 als Reichsstadt galt und auf dem Augsburger Reichstag von 1510 als solche im niedersächsischen Kreis eingestuft worden

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war. Das Reichskammergericht bestätigte erst 1618 Hamburgs Selbständigkeit, und erst 1768 erkannte auch der dänische König Hamburg als kaiserliche Reichsstadt an. Vgl. Art. Hamburg, in: Köbler, 230–232; Gabriele Haug-Moritz/Georg Schmidt, Art. Schmalkaldischer Bund, in: TRE 30 (1999), 221–228. Schwarz Lausten, Religion og Politik, 103f, zitiert ausführlich aus dem Brief des Rates an Christian III. Der König war auch an den Verhandlungen des Kaisers mit Hamburg im Schmalkaldischen Krieg maßgeblich beteiligt gewesen; Hamburg hatte eine neutrale Position eingenommen gegen die Zusicherung, die militärischen Aktivitäten des Kaisers beträfen keinesfalls das Bekenntnis und dienten nicht der Zurückdrängung der Reformation.
6  Den Brief der Hamburger Prediger an ihre dänischen Kollegen siehe unten S. 965f.
7  Am 7. Oktober 1548 heiratete Herzog August von Sachsen in Torgau Prinzessin Anna von Dänemark, die älteste Tochter König Christians III. und seiner Ehefrau Dorothea von Sachsen-Lauenburg-Ratzeburg.
8Augusts Brief an Christian III. wird referiert in PKMS 4, 89 [Nr. 42], das beiliegende Gutachten in PKMS 4, 74–84 [Nr. 34], zu dessen Verfassern vgl. unsere Ausgabe Nr. 1, Einleitung, Anm. 12.
9  Obgleich die Dänen nicht an den Beratungen beteiligt waren, hatte Christian III. bereits vor Ende des Reichstags eine Abschrift des Interims in Händen und sandte mit Schreiben vom 28. Juni 1548 eine Kopie auch an Gustav Wasa (vgl. Schwarz Lausten, Religion og Politik, 107, Anm. 14). Johannes Bugenhagen sorgte dafür, dass Christian III. eine Abschrift des Wittenberger Gutachtens vom 16. Juni erhielt (unsere Ausgabe Nr. 1), vermittelt durch Valentin Curtius, Prediger in Lübeck, und Johannes Aepinus in Hamburg (vgl. Schwarz Lausten, Religion og Politik, 107f mit Anm. 15, 340f Bilag nr. 1. Johann Bugenhagen til Valentin Curtius, Wittenberg den 22/6 1548).
10  Den Brief der dänischen Prediger an die Hamburger siehe unten S. 967–969.
11  Vgl. Schwarz Lausten, Religion og Politik, 105f mit Anm. 10, 113.
12  Wir bieten das dänische Original und eine deutsche Übersetzung von Herrn Pastor i. R. Dr. Günter Weitling, Padborg, unten S. 970f.
13  Der Auftrag des Königs an die beiden Autoren ist nicht erhalten, deren Begleitschreiben lässt aber darauf schließen, dass Christian III. ein sehr kurzes Gutachten bestellt hatte, das den Theologen nicht ausreichend erschien, so dass sie die ausführliche Fassung dem Rektor ihrer Universität übergaben, wohl in der Hoffnung, dieses Gutachten würde als offizielle Stellungnahme der Universität Kopenhagen veröffentlicht. Vgl. Schwarz Lausten, Religion og Politik, 110f.
14Christian III. machte trotz wiederholter Bitten den Hamburgern das Gutachten von Palladius und Machabeus nicht zugänglich. Offenbar wollte er eine solch scharfe und dezidierte Ablehnung keinesfalls als offizielle oder offiziöse Stellungnahme Dänemarks an die Öffentlichkeit gelangen lassen. Vgl. Schwarz Lausten, Religion og Politik, 110.
15  Zu ihm vgl. Martin Schwarz Lausten, Art. Palladius, Peder, in: BBKL 6 (1993), 1463f.
16  Zum Folgenden vgl. Bugenhagen, Briefwechsel, 229f (zu no. 101[!]).
17  Aus der Ehe ging mindestens ein Sohn hervor: Christian Machabeus (1541–1598). Agnes Machesons Schwester Elizabeth war mit dem englischen Bibelübersetzer Miles Coverdale verheiratet.
18  Zu ihm vgl. unsere Ausgabe Nr. 2.
19Dänische Bibliothec 5 (1744), 1–160; das ausführliche Gutachten zum Augsburger Interim auf den Seiten 76–160, Aepins Brief an Palladius, Machabeus und die übrigen dänischen Theologen auf den Seiten 64–67, die Antwort des Palladius, Petrus Galls und der andern auf den Seiten 67–73.
20Dänische Bibliothec 6 (1745), 185–212; das kurzgefasste Gutachten auf den Seiten 195–212, der dänische Brief an Christian III. auf den Seiten 192–194.
21  Freundliche Auskünfte des Reichsarchivs und der Universitätsbibliothek Kopenhagen.
22  Dabei wurde durchgängig „Paullus“ in „Paulus“ geändert.
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