Einleitung
1. Historische Einleitung
Der hier edierte Druck stellt eine Sammlung dreier süddeutscher Gutachten zum Augsburger Interim dar, zusammengestellt durch den Magdeburger Drucker
Michael Lotter. Er umfasst die Gutachten der Prediger aus
Schwäbisch Hall, der Landgrafschaft
Hessen und der Stadt
Nürnberg und sollte dokumentieren, dass es auch in den Territorien, in denen
das Interim notgedrungen angenommen und umgesetzt wurde, theologischen Widerstand gab. Das Ziel dieses Druckes war es, die Evangelischen in der Ablehnung des Interims zu sammeln und zu bestärken.
Als wenige Wochen nach
Luthers Tod 1546 der Schmalkaldische Krieg zwischen
Karl V. und dem Schmalkaldischen Bund ausbrach, war
Schwäbisch Hall, seit 1538 Bundesmitglied, ebenfalls involviert.
1 Bereits Ende des Jahres 1546 waren die süddeutschen evangelischen Städte besiegt. Am 16. Dezember 1546 zog der Kaiser an der Spitze spanischer Truppen in
Schwäbisch Hall ein, die Stadt, in der
Johannes Brenz seit 1522 Prediger an St. Michael war und in der er die Reformation eingeführt hatte. Die Stadt
sah sich zu horrenden Strafgeldern gezwungen, musste Truppen beherbergen, Plünderung, Mord und eine miteingeschleppte Seuche verkraften.
Brenz selber entging nur knapp der Ermordung, und sein Haus wurde
geplündert. Er floh aus
Schwäbisch Hall, konnte jedoch im Januar 1547 zurückkehren. Das kaiserliche Interim, das am 15. Mai 1548 erlassen wurde und unter dem Druck
der kaiserlichen Truppen in der Stadt angenommen werden musste, zwang
Brenz am 24. Juni 1548, seinem 49. Geburtstag, zum endgültigen Verlassen der Stadt, in der er 26 Jahre lang gewirkt hatte.
In mehreren Gutachten, wie auch in unserer in
Magdeburg erschienenen Flugschrift, sprach sich
Brenz entschieden gegen die Einführung des Interims aus und bezeichnete die
dort gebotene Wiederherstellung der römischen Messe aufgrund der darin enthaltenen Heiligenanrufung als Abgötterei. In St. Michael wurde bald nach der Flucht des alten Predigers
Brenz die römische Messe wieder eingeführt, die
noch verbliebenen Pfarrer wurden verjagt und durch Interimspriester ersetzt.
Brenz floh nach
Württemberg. Dort galt das Interim zwar auch, Herzog
Ulrich aber war bereit, ihn vor den kaiserlichen Truppen zu schützen. Zwischenzeitlich stand
Brenz zudem in brieflichem Kontakt mit dem Rat der Stadt
Magdeburg und verhandelte über eine Anstellung als Superintendent. Dazu kam es zwar nicht, möglicherweise ist aber sein „Bedenken der Prädikanten zu Hall“ auf diesem Wege, vermittelt durch ein Ratsmitglied, nach
Magdeburg gelangt, um dort gedruckt zu werden.
2 Nach der Abschaffung des Interims durch den Passauer Vertrag von 1552 half
Brenz beim Wiederaufbau der Kirche in
Württemberg. Nach
Schwäbisch Hall aber kehrte er nie mehr zurück.
Am 19. Juni 1547 hatte Landgraf
Philipp von Hessen ebenfalls vor der Übermacht der kaiserlichen Truppen kapituliert, in Halle den Fußfall vor dem Kaiser vollzogen und seinen Weg in die
Gefangenschaft angetreten. Noch bevor das Augsburger Interim mit dem Reichsabschied vom 30. Juni 1548 als Reichsgesetz in Kraft trat, sagte
Philipp bereits am 22. Juni
die vollständige Umsetzung in der Landgrafschaft
Hessen zu.
3 Er hoffte dadurch, seine Freilassung beim Kaiser zu erwirken. In den ihm vorgelegten Kapitulationsbedingungen war jeder Widerstand ausgeschlossen. Eine Weigerung von seiner Seite, das Interim einzuführen, wäre als Opposition ausgelegt worden und
hätte zu einer Verschärfung seiner Lage geführt. Im Laufe des Juli 1548 sandte
Philipp seinen Räten eine Instruktion zur Einführung des Interims in der Landgrafschaft zu. Die Räte folgten dem Befehl ihres Landgrafen
und beriefen für den 1. August 1548 eine Generalsynode zur Klärung der Interimsfrage ein. Zu ihr wurden alle sechs Superintendenten der Landgrafschaft jeweils mit delegierten Pfarrern eingeladen, unter ihnen der Superintendent
von
Marburg Adam Krafft,
Tilemann Schnabel aus
Alsfeld und
Johannes
Pistorius aus
Nidda. Zu Beginn der Synode äußerten die Räte, dass der Landgraf an einem Gutachten über das Interim von seinen Geistlichen interessiert sei. Am 5. August lehnten die hessischen
Geistlichen die Lehrartikel des Interims ab, da sie in der Rechtfertigung, der Buße, den Sakramenten, der Kirchengewalt und dem Heiligendienst der Schrift widersprächen. Sie erklärten sich lediglich dazu bereit, die Zeremonien, die man mit gutem Gewissen und
ohne Sünde wieder einführen könne, in ihren Gebieten umzusetzen. Sie bedauerten, dass der Landgraf durch ihre Position möglicherweise zu Schaden komme. Ihr Gewissen zwinge sie aber, bei der einmal erkannten Wahrheit zu bleiben, und sie seien bereit, in der
Konsequenz auch das Martyrium zu erleiden. Ihre Bedenken gegen das Augsburger Interim fassten die hessischen Geistlichen in ein schriftliches Gutachten, das sie den Räten zur Übersendung an ihren Landesherrn übergaben.
4 Eine gekürzte Fassung dieses Schreibens ist das zweite in unserem Druck enthaltene Stück und liegt hier ediert vor. Das „hessische Bedenken“ wurde rasch bekannt, und die Geistlichen des Fürstentums
Brandenburg-Kulmbach ließen am 10. Oktober 1548 auf ihrer Synode in
Kulmbach denselben Text, von ihnen unterschrieben, ihrem
Landesherrn Markgraf
Albrecht Alcibiades als Antwort auf sein Mandat vom 14.
September zukommen.
5 Für Landgraf
Philipps Freilassung erwies sich sein Befehl, das Interim in
Hessen einzuführen, als unwirksam. Weil sich die Geistlichen und das Volk seines Herrschaftsgebietes weigerten, die
Bestimmungen des kaiserlichen Gesetzes umzusetzen, blieben alle Beteuerungen des Landesherrn, er habe die Einführung befohlen, für den Kaiser nichts als bloße Lügen eines unverbesserlichen Rebellen.
Philipp wurde erst
1552, nach fünf Jahren in Haft, aufgrund einer Intervention des neuen sächsischen Kurfürsten
Moritz wieder freigelassen.
In einer religionspolitisch ähnlich prekären Lage wie
Schwäbisch Hall und die Landgrafschaft
Hessen befand sich nach dem Sieg
Karls V. über den Schmalkaldischen
Bund auch die freie Reichsstadt
Nürnberg. Vor den Toren der Stadt lagen die kaiserlichen Truppen, und der Kaiser hatte bereits gedroht, sie in die Stadt verlegen zu lassen, sollte sich
Nürnberg weigern, das
Interim anzunehmen. Als am 19. Juni 1548 eine kaiserliche Gesandtschaft die Stadt erreichte und eine klare und eindeutige Auskunft über die Annahme des Interims verlangte, sah sich der Rat trotz eines warnenden Gutachtens
der vier wichtigsten Geistlichen der Stadt,
Pistorius,
Osiander,
Venatorius und
Löfflad,
6 zur Annahme des Religionsgesetzes gezwungen, um die Bevölkerung vor den Auswirkungen einer kaiserlichen Besatzung zu schützen. Diese offizielle Annahme des Interims vom 20. Juni teilte der Rat am 26.
Juni seinen Predigern mit, nachdem bekannt geworden war, dass der Kaiser nach
Brenz fahnden ließ, weil dieser gegen das Interim gepredigt hatte. Am 4. Juli bat der Rat
Osiander als den „fürnemsten praedicanten“ um ein Gutachten über die Frage, welche von den im Interim geforderten Zeremonien man wieder einführen und wie man die schwierigen Artikel abmildern könnte. In
seinem Gutachten, das den Rat am 12., spätestens am 14. Juli erreichte,
7 erklärte sich
Osiander bereit, die geforderten Fast- und Feiertage, das Psalmsingen und die Privatbeichte wieder einzuführen, wenn die Lehre unberührt bliebe. Alle anderen Forderungen des Interims seien unannehmbar.
Der Beratungsprozess des Rates nahm jedoch eine überraschende Wende, als Kurfürst
Joachim II. von Brandenburg zusammen mit seinem Hofprediger
Johann Agricola vom
12. bis zum 14. Juli 1548 die Reichsstadt besuchte. Bei dem Gespräch, das am 14. Juli zwischen
Agricola, dem Mitverfasser des Interims,
und den Nürnberger Predigern stattfand, verstand es
Agricola, die Sorgen des Rates zu beschwichtigen, indem er darauf hinwies, dass die vorreformatorische Agende, an deren Wiedereinführung
Osiander besondere Kritik geübt hatte, nur in einigen Punkten umgesetzt werden sollte. Der Rat maß den Ausführungen
Agricolas höhere Bedeutung bei als dem Insistieren
Osianders auf dem Wortlaut des Interims und hielt dessen Gutachten fortan für überholt. Deshalb forderte der Rat am 18. Juli alle Prediger, die an dem Gespräch mit
Agricola beteiligt gewesen waren, dazu auf, ein erneutes Gutachten zu der Frage zu verfassen, in welchen Stücken man dem kaiserlichen Gesetz entgegenkommen könne. Der Rat wollte zunächst nur einige Feiertage, die Fastengebote und die
Privatabsolution wieder einführen. Den Predigern sollte versichert werden, dass die Lehre rein und unverändert bleiben werde, ebenso die Sakramentsreichung unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe. Selbst den Messkanon hoffte der Rat soweit zu
verbessern, dass er die Gewissen nicht mehr belasten werde. Das Gutachten der Prediger lag am 2. August 1548 vor und ist unterzeichnet von
Friedrich Pistorius,
Andreas Osiander,
Georg Löfflad, Leonhard Kulmann,
Blasius Stöckel und
Hieronymus Besold; Verfasser
ist
Andreas Osiander.
8 Dieses neue Gutachten ist inhaltlich zu bestimmen als eine Zusammenfassung und Verschärfung dessen, was
Osiander in seinem ersten Gutachten für den Rat niedergeschrieben hatte. In der gesamten Entwicklung, die das
Interim betraf, hatte der Rat auf eine beratende Mithilfe der Geistlichkeit verzichtet und die Prediger kaum oder sehr spät über die Entwicklung informiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Geistlichen, die hier die ureigenste Sache ihres Berufs betroffen und
sich von der Entscheidung ausgeschlossen sahen, ihrer eindeutigen Ablehnung endlich Gehör verschaffen wollten. Die Verschärfung zeigte sich vor allem darin, dass jetzt auch alle interimistischen Adiaphora abgelehnt wurden „umb der ergernis willen“, die bei ihrer
Einführung entstehen könnten. In der Betonung dieses Gedankens lag der besondere Akzent gegenüber
Osianders früheren Ausführungen. Angesichts der politischen Lage, in der sich
Nürnberg befand, verwundert es nicht, dass sich der Rat diese Totalablehnung des Interims nicht zu eigen machte. Am 10. August wurde beschlossen, die Geistlichkeit fortan aus den religionspolitischen
Fragen herauszuhalten. Der Beratungsprozess des Rates kam am 29. Oktober 1548 mit der Einführung einiger Punkte des Interims zu einem vorläufigen Abschluss.
Osiander reagierte auf diese faktische Umsetzung
des Interims am 6. November 1548 mit der Kündigung seiner Pfarrstelle und ging nach
Königsberg. Das Gutachten der Nürnberger Prediger vom 2. August kursierte zunächst
handschriftlich, bevor es in
Magdeburg in zwei Auflagen gedruckt wurde. Die Annahme liegt nahe, dass
Osiander das Gutachten zwischen Anfang und Mitte August auf
uns unbekannten Wegen nach
Magdeburg gelangen ließ.
9
2. Die Autoren
Autor des Gutachtens der Prediger in
Schwäbisch Hall ist
Johannes Brenz,
10 während die „Antwort der diener des Euangelij Jm F
uͤrstenthumb Hessen vff das Mandat, so Jhnen von jhrem Gnedigsten Herrn dem Landtgrauen gethan, des Jnterims halben“ von allen Pfarrern und Superintendenten der Landgrafschaft
Hessen, die vom 2.–8. August 1548 an der Generalsynode in
Kassel teilnahmen, verantwortet wurde. Federführend dürften dabei vor allem
Adam Krafft und
Johannes Pistorius, die beiden wohl bedeutendsten Theologen der Zeit in der Landgrafschaft
Hessen, gewesen sein.
11 Verfasser des Gutachtens der Nürnberger Prediger ist
Andreas Osiander.
Johannes Brenz, 1499 geboren, wurde 1514 an der Universität
Heidelberg immatrikuliert, wo er 1516 den akademischen
Grad eines Baccalaureus erreichte, 1518 den eines Magister Artium. Im April 1518 lernte er den Wittenberger Reformator
Martin Luther während der Heidelberger
Disputation kennen. 1522 nahm
Brenz die Stelle des Predigers an der Michaeliskirche in
Schwäbisch Hall an, in der er bis Juni 1548
tätig blieb. 1523 wurde er zum Priester geweiht.
Brenz führte in den folgenden Jahren die Reformation in der Stadt ein. 1526/27 schuf
Brenz eine evangelische Kirchenordnung für die Stadt. 1528 verfasste er seinen Katechismus für die Jugend, der 1535 in den Druck ging.
12 1529 nahm er am Marburger Religionsgespräch teil, 1530 am Augsburger Reichstag. Ab 1534 war
Brenz als Ratgeber Herzog
Ulrichs an der Reformation
Württembergs beteiligt. Von 1537 bis 1538 lehrte
Brenz für ein Jahr
in
Tübingen und nahm dort die Neuordnung der Universität im reformatorischen Sinne vor. Als Schwäbischer Gesandter nahm er 1537 an dem schmalkaldischen Bundestag, später an den Religionsgesprächen
in
Hagenau,
Worms (1540) und
Regensburg (1541 und 1546) teil. Im
Dezember 1546 musste
Brenz vor den kaiserlichen Truppen aus
Schwäbisch Hall fliehen. Als die Stadt im Juni 1548 von der Armee
Karls V. besetzt und das Interim eingeführt wurde, verließ
Brenz Schwäbisch Hall endgültig. Das Interim zerstörte mit seiner Rückführung des
evangelischen Gottesdienstes auf die römische Messform und der Wiederherstellung des altgläubigen Eherechts die Früchte seines jahrzehntelangen Engagements für den reformatorischen Glauben und ein evangelisches Leben in
Schwäbisch Hall.
13
Adam Krafft wurde 1493 in
Fulda geboren und immatrikulierte sich 1512 an der Universität
Erfurt, wo er sich dem Humanismus
anschloss und 1514 den akademischen Grad eines Baccalaureus erreichte, 1519 den eines Magisters. 1519 lernte er bei der Leipziger Disputation
Martin Luther
und
Philipp Melanchthon kennen. 1523/24 war er als Prediger in
Fulda zu finden, 1524 in
Hersfeld. Am 15. August 1525 berief ihn
Philipp von Hessen zum landgräflichen Hofprediger und Visitator. 1526 begleitete er den Landgrafen auf
den Reichstag in
Speyer; im selben Jahr nahm er an der für die hessische Reformation entscheidenden „Synode“ in
Homberg (Efze) teil. An Himmelfahrt 1527 führte er in der
Pfarrkiche zu
Marburg/Lahn den evangelischen Gottesdienst ein und wurde Superintendent von
Marburg und Professor an der dort neugegründeten Universität. 1529 nahm
Krafft am Marburger Religionsgespräch teil. Als „Superintendent an der Lahn“ und Generalvisitator der hessischen Kirche wirkte
Krafft mit an der Reformation der Klöster, an der Einrichtung des
Gotteskastens (1531), an der Gestaltung der hessischen Gottesdienstordnung (1537) und an der Abfassung des Marburger Gesangbuchs (1549). Neben
Franz
Lambert von Avignon und
Martin Bucer gilt
Krafft als „der“ Reformator der Landgrafschaft Hessen.
14
Johannes Pistorius wurde 1502/3 in
Nidda (Wetterau) geboren, studierte vermutlich in
Mainz und erwarb dort den Grad eines
Doktors der Theologie. 1521 begegnete er
Luther auf dem Reichstag in
Worms. 1524 wurde er von
Melanchthon
für die Reformation gewonnen. Schon zwei Jahre später amtierte er als Pfarrer in seinem Heimatort. 1530 nahm er wohl am Augsburger Reichstag teil. 1541 wurde er Superintendent der Diözese
Alsfeld, behielt seine Pfarrstelle in
Nidda aber bei. 1540/41 war er Teil der hessischen Gesandtschaften zu den Religionsgesprächen in
Hagenau,
Worms und
Regensburg. 1543 wurde
Pistorius nach
Köln entsandt, um den Reformationsversuch des Kurfürsten
Hermann von Wied zu unterstützen. Er arbeitete dort wohl auch an jener Kirchenordnung mit, die zwar nicht in
Köln, aber in
Hessen in Gebrauch kam. 1546 nahm
Pistorius an
Bucers Seite am zweiten
Regensburger Religionsgespräch teil, 1557 an jenem in
Worms.
15
Andreas Osiander, um 1497 geboren, immatrikulierte sich am 9. Juli 1515 an der Hohen Schule in
Ingolstadt. Sein dortiges Studium war
vermutlich humanistisch und nicht scholastisch geprägt. Er lernte Griechisch und Hebräisch und beschäftigte sich, von Reuchlin beeinflusst, mit dem Aramäischen und der Kabbala. 1520 erhielt
Osiander die Priesterweihe und eine Stelle als Hebräischlehrer am Nürnberger Augustinerkloster. Zu dieser Zeit begann
Osiander mit der Lektüre von Lutherschriften, die ihn sehr beeindruckten.
Seine reformatorische Gesinnung trug ihm 1522 die Predigerstelle an St. Lorenz in
Nürnberg ein. Er war maßgeblich beteiligt an dem Nürnberger Religionsgespräch vom März
1525, in dessen Folge die Reformation in der Stadt eingeführt wurde. Die Umgestaltung des Kirchenwesens, vorangetrieben in der Visitation von 1528/29, und die Neuordnung in der hauptsächlich von ihm verfassten
Kirchenordnung
von 1533 standen unter seinem Einfluss. Während der dreißiger Jahre ging der Einfluss
Osianders in
Nürnberg merklich zurück. Streitigkeiten über die allgemeine
Absolution und die Offene Schuld ließen auch die Beziehungen zu den Wittenberger Theologen abkühlen, die
Osiander immer mehr als eigenwilligen Sonderling betrachteten. Zu diesem Ruf dürften auch seine theologischen Arbeiten
dieser Zeit, etwa eine Evangelienharmonie und vor allem eine apokalyptische Schrift
16 beigetragen haben. 1543 gab er die epochemachende Schrift des
Nikolaus Kopernikus, „De revolutionibus orbium coelestium“, versehen mit einem anonymen Vorwort, heraus. Im selben Jahr
führte er überdies im Auftrag von Pfalzgraf
Ottheinrich eine evangelische Kirchenordnung in
Pfalz-Neuburg ein,
17 bei deren Erstellung er sich an der Brandenburgisch-Nürnbergischen Kirchenordnung (1533)
18 und derjenigen für die Mark
Brandenburg (1540)
19 orientierte. Das Augsburger Interim, das am 20. Juni 1548 in
Nürnberg ohne Wissen der Geistlichkeit eingeführt worden war, lehnte
Osiander rundweg ab und hielt
sich auch nicht an das Verbot der Kanzelpolemik. Als der Rat dennoch eine neue Gottesdienstordnung einführte, verließ
Osiander im November 1548
Nürnberg und
fand Aufnahme bei Herzog
Albrecht in
Preußen. Der bald nach
Osianders Ankunft in
Königsberg ausbrechende
sogenannte Osiandrische Streit um die Rechtfertigungslehre hielt auch nach
Osianders Tod im Jahre 1552 noch an und endete mit einer deutlichen Ablehnung der Osiandristen und ihrer
Lehre in der Konkordienformel (FC 3).
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3. Inhalt
Adressat des Gutachtens der Prediger aus
Schwäbisch Hall war der Rat der Stadt, der über eine Annahme des Interims entscheiden musste und deshalb wohl die örtlichen Geistlichen um ihre Einschätzung dieses Reichsgesetzes
gebeten
hatte.
Brenz kam dieser Bitte nach, indem er, am Text des Interims entlanggehend, Stellung zu den einzelnen Artikeln bezog. Er kritisierte zunächst die evangelischen Reichsstände, die mit ihrer Annahme des Interimstextes
zugleich auch eingewilligt hätten, die Beschlüsse des bereits tagenden Konzils von
Trient anzuerkennen. Von den Lehrartikeln (1–9) thematisierte
Brenz allein die Rechtfertigungslehre. Bei seinem Durchgang
durch den zweiten, die praktischen Fragen kirchlicher Zeremonien behandelnden Teil des Interims (10–26) bestritt
Brenz zunächst die im Interim behauptete Vollmacht des Apostels Petrus und die daraus abgeleitete Vorrangstellung
der Nachfolger Petri, der Päpste in
Rom, als unbiblisch. Die Siebenzahl der Sakramente wurde von ihm ebenso zurückgewiesen wie die im Interim vertretene Vorstellung, Kinder verfügten über keinen eigenen Glauben; das Sakrament der Firmung
stieß ebenfalls auf seine Ablehnung. Auch im evangelischen Bereich sei es üblich, vor einem Abendmahlsbesuch zu beichten und die Absolution zu empfangen. Der Zwang jedoch, alle Sünden aufzählen zu müssen, sei aus guten Gründen in den reformatorischen Kirchen
abgeschafft worden. Die Transsubstantiationslehre als Erklärung der Präsenz Christi im Abendmahl verwarf
Brenz ebenso als nicht schriftgemäßen scholastischen Irrtum wie die Letzte Ölung; die sieben Weihegrade im
altgläubigen Bereich wurden als menschliche Erfindung abgelehnt.
Brenz hielt an jenen Regelungen in
Schwäbisch Hall fest, für deren Einführung er selbst gesorgt hatte, nämlich
dass der Ehebruch als Scheidungsgrund anzuerkennen sei und bei Bestätigung durch die weltliche Obrigkeit dann auch eine zweite Ehe geschlossen werden könne. Er trat damit der Auffassung des Interims entgegen, das jede Form einer Wiederverheiratung ausschloss. Der mit dem
Interim wieder eingeführte Messopfergedanke wurde von
Brenz entschieden zurückgewiesen. Die Heiligenanrufung im Messvollzug oder in den Litaneien sei ebenso ungeeignet dafür, wieder eingeführt zu werden, wie das Gebet
für die Verstorbenen. Zwar rede das Interim nicht wörtlich vom Fegefeuer, doch werde aus den dort angeführten Väterzitaten deutlich, dass es ihm eben darum gehe. Bislang habe sich jedoch bei keinem Kirchenvater ein Schriftbeweis für die Existenz des Fegefeuers gefunden,
doch allein die Schrift sei in dieser Frage beweiskräftig. Das letzte Kapitel des Interims „Von den Zeremonien und Gebrauch der Sakramente“ sei darum bemüht, alle Missbräuche der Vergangenheit im evangelischen Bereich wieder herzustellen.
Brenz nannte in diesem Kontext vor allem die Wiedereinführung der lateinischen Messe mit ihrem Kanon, die Vigilien und Seelenmessen. Das Interim gestatte darüber hinaus die Kommunion unter beiderlei Gestalt nur
unter der
Voraussetzung, dass im Gegenzug auch der Vollzug mit einer Gestalt anerkannt würde.
Abschließend erinnerte
Brenz den Rat der Stadt daran, dass dem Kaiser zwar in allen weltlichen Dingen Gehorsam entgegen gebracht werden müsse. Sollte aber der Fall eintreten, dass er versuche, in die Angelegenheiten des Glaubens
einzugreifen, so sei Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.
Brenz hoffte, dass sich genug evangelische Stände zusammenfinden würden, die bereit dazu seien, in einer Supplikationsschrift dem Kaiser ihre Änderungsvorschläge am
Interim zu unterbreiten. Er sah gute Chancen dafür, weil der Kaiser selbst seine Gesprächsbereitschaft signalisiert habe. Sollte eine solche Bittschrift evangelischer Stände zustande kommen, empfahl
Brenz seiner Stadt, sich daran zu beteiligen.
In diesem Fall gebe es vier Argumente, die der Rat darin anführen solle: Wenn der Kaiser bereits jetzt Änderungen in den Zeremonien der evangelischen Kirchen vornehme, so griffe er dem von ihm selber als Schiedsinstanz favorisierten Konzil vor. Die evangelische Lehre sei bereits
26 Jahre im Gebrauch in
Schwäbisch Hall, und die Bürger seien davon überzeugt, dass die seinerzeit damit verbundene Einführung des evangelischen Gottesdienstes dem Wort Gottes entspreche. Nähme man jetzt erneut Änderungen vor, so würde
dies auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung treffen. Viele Bürger hätten bereits unter der Besatzung durch kaiserliche Truppen Schaden gelitten. Sollten ihnen jetzt auch noch durch Änderung des evangelischen Gottesdienstes die geistlichen Güter genommen
werden, so würde dies in der Bevölkerung als doppelter Diebstahl der weltlichen und ewigen Güter verstanden. Was den zeitlichen Besitz und die Pfründengüter angehe, so sei man bereit, die geltende Gesetzesordnung zu akzeptieren. Doch war der Druck
der im Ort vorhandenen Truppen zu groß. Der Rat entschloss sich dazu, das Interim umzusetzen.
Mit ihrem Gutachten über das Interim antworteten die landgräflichen Geistlichen auf die Bitte ihres Landesherrn,
21 zum Interim Stellung zu nehmen. Sie lehnten die Umsetzung dieses Reichsgesetztes auf landgräflichem Boden entschieden ab und beriefen sich dabei auf Bibelstellen, die Standhaftigkeit im Bekennen fordern. Sie waren bereit, für ihre Haltung das Exil auf sich zu nehmen, und
wenn es sein müsse, auch zu sterben. Sie setzten die Feindschaft von Menschen und Teufeln, die auf eine Ablehnung des Interims folgen würde, ins Verhältnis zur Feindschaft Gottes, der Engel und der Heiligen und entschieden sich nochmals bekräftigend für die Ablehnung
des kaiserlichen Gesetzes.
Die Nürnberger Prediger zeigten sich in ihrem Gutachten bestürzt darüber, dass sie erst um Rat gefragt wurden, nachdem das Stadtregiment das Interim schon angenommen hatte. Sie nannten eingangs die Gründe, die dagegen sprachen, auch nur unwichtige Änderungen aufgrund des
Interims vorzuneh
men: Die Hoffnung, auf diese Weise vor untragbaren Änderungen verschont zu bleiben, biete keine Sicherheit. Erste Änderungen würden den Anschein erwecken, als solle das ganze Interim eingeführt werden. Man riskiere, als neue Sekte
angesehen zu werden. Außerdem sei nicht zu verantworten, dass durch die Annahme des Interims geistliche Angelegenheiten zu solchen des weltlichen Regiments gemacht würden. Sollte wegen des Interims ein Aufruhr entstehen, könne der Rat sich nicht entschuldigen, sondern
sei eher verdächtig, den großen Unverträglichkeiten mit kleinen Änderungen den Weg bereitet zu haben. Man hätte darum, so urteilten die Prediger, die neue Ordnung gänzlich ablehnen müssen und solle jetzt wenigstens auf Maßnahmen zur Durchführung verzichten.
Nur für den Fall der Gewissheit, mit keinen weitergehenden Forderungen belastet zu werden, empfahlen die Prediger folgende Änderungen vorzunehmen: Die Feiertage ließen sich vermehren, bestimmte Festtage ansetzen, die Privatabsolution wieder einführen oder Gesänge
und Lesungen erweitern. Alle anderen Zeremonien des Interims seien auf falsche Lehre gegründet oder abergläubisch. Freilich waren die Theologen der Auffassung, dass man mit so einfachen Vorschlägen wohl kaum vor untragbaren Forderungen sicher sein könne. Sollte man
mit ihnen aber den Weg für das ganze Interim bereiten, werde Gottes Strafe mit Sicherheit folgen.
4. Ausgaben
Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A:
Bedencken Etlicher || Predicanten / Als der zu Schwe= || bischen Hall / Der in Hessen || Vnd der Stadt N. N. auffs || INTERIM || Jhrer Oberkeit || Vberreicht. || Psal. 116. || Ich gleube Darumb rede ich. || Ro. 10. || So man
mit dem munde bekennet || wirdt man Selig. || 1548. [12] Blatt 4° (VD 16 B 7514).
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 8 an: 4 Bt 18600a R
Freiburg, Universitätsbibliothek: Rara N 3182, g-1
Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: 8 J GERM II, 6436 (15), 8 TH IREN 66/5 (19) RARA, 8 TH IREN 60/30, 8 TH IREN 56/3 (5)
Gotha, Forschungsbibliothek: Th 713/122 (2) R
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 44 19/i, 13 (5), If 3603 (19)
Leipzig, Universitätsbibliothek: Thom. 1836
München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 H. ref. 83 m, 4 Polem. 3343-34
Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek: Theol. qt. 606
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 231.96 Theol. (12), A 115b.4 Helmst. (6), L 482.4 Helmst. (15) [benutztes Exemplar], Li Sammelbd. 19 (14), S 207.4 Helmst. (7)
B:
Bedencken Etlicher || Predicanten / Als der zu Schwe= || bischen Hall / Der in Hessen || Vnd der Stadt N. N. auffs || INTERIM || Jhrer Oberkeit || Vberreicht. || Psal. 116. || Ich gleube Darumb rede ich. || Ro. 10. || So man
mit dem munde bekennet || wirdt man Selig. || 1548. [12] Blatt 4° (VD 16 B 7514).
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dg 4472
Budapest, Országos Széchényi Könyvtár (Nationalbibliothek): Ant. 2300, Ant. 2538 (7)
Dresden, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek: 3.A. 6186, angeb. 12
Erlangen, Universitätsbibliothek: H00/4 THL-V 76 a
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 155 587 (4)
Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4 Bud. Hist. eccl. 271 (21), 4 Bud. Theol. 179 (12), 4 Bud. Theol. 183 (5), 8 MS 24 000 (10)
Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 20. Dd. 861
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 189.30 Theol. (11), 513.24 Theol. (8), S 206.4 Helmst. (8)
VD 16 verzeichnet nur eine Ausgabe des Druckes. Es existieren jedoch zwei voneinander zu unterscheidende Fassungen, die im Titelblatt übereinstimmen, im Satz jedoch voneinander differieren. Druck
A liest in der Kustode
auf A 1v „Anfang“, während in
B „von der“ zu finden ist.
22 Ein Typenvergleich ergibt, dass beide ohne Druckerangabe erschienenen Ausgaben bei der im Kampf gegen das Augsburger Interim äußerst aktiven Offizin des
Michael Lotter23 in
Magdeburg erschienen sind.
24 Ausgabe
B korrigiert
A an einigen Stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass
A die Erstauflage ist und
B eine nicht viel später erschienene Zweitauflage. Ediert wird hier Ausgabe
A.