06 - Pfeffinger, Gründlicher und wahrhaftiger Bericht - Einleitung
verfasst von Jan Martin Lies
[Inhaltsverzeichnis]
Einleitung

1. Historische Einleitung

Nachdem auf dem Leipziger Landtag im Dezember 1548 kontrovers über die
„Leipziger Landtagsvorlage“ debattiert worden war, erkannte Kurfürst Mo-
(5)ritz von Sachsen
, dass die „Landtagsvorlage“ keine solide Grundlage für eine
Neuordnung des Kultus in seinem Territorium darstellte. Auch die im
Frühjahr 1549 durch Georg III. von Anhalt neu erstellte Kirchenordnung
wurde nicht in Kursachsen eingeführt.1 Bei einem Besuch in Prag sah sich
Kurfürst Moritz durch König Ferdinand zu entschlossenerem religionspoli-
(10)tischen Handeln gedrängt.2 Daher ließ er einen „Auszug“ aus der „Leipziger
Landtagsvorlage“ fertigen und zu Beginn des Juli 1549 drucken.3 Da der
„Auszug“ nicht unverzüglich, sondern erst im September an die Pfarrer und
Superintendenten versandt wurde4 und auch nur vereinzelt Maßnahmen zur
Umsetzung der Bestimmungen des „Auszug[s]“ unternommen wurden,5 än-
(15)derte sich an den kirchlichen Riten im Kurfürstentum nur wenig.

Durch die Publikation und Versendung des „Auszug[s]“ trat in Kursachsen
dennoch eine neue Situation ein, da für Änderungen im Ritus nun eine
legitime Grundlage bestand. Für die nach Magdeburg geflüchteten Theolo-
gen bewahrheiteten sich damit ihre schlimmsten Befürchtungen. Das Kur-
(20)fürstentum Sachsen
gab, so sahen sie es, die wahre Lehre, die Lehre Luthers,
auf, um sich den Altgläubigen aus Furcht anzubiedern. Dass die Wittenber-
ger Theologen, die mit Luther gemeinsam gelebt und gelehrt hatten, sich ver-
meintlich dazu hergaben, verstärkte die ablehnenden Reaktionen zusätzlich.

Johann Pfeffinger war einer der Hauptbeteiligten an den Verhandlungen ge-
(25)wesen, die zur Entstehung der „Leipziger Landtagsvorlage“ geführt hatten.6
Er fühlte sich daher durch die publizistischen Angriffe7 auf diese und auf den
„Auszug“ besonders herausgefordert. Bevor er den hier edierten „ Gründ-
lichen und wahrhaftigen Bericht samt einer Verantwortung“ veröffentlichte,
war er bereits mit der Schrift „Von den Traditionibus“ im Januar 15508 zur

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Verteidigung der entgegenkommenden Haltung der Wittenberger Theologen
in Fragen der Zeremonien und Riten öffentlich aufgetreten. Matthias Flacius
hatte darauf mit seiner Schrift „Widder die neue Reformation“ reagiert, in
der er Pfeffinger auch persönlich heftig attackierte.9 Überdies gaben Flacius
(5) und Nikolaus Gallus die „Leipziger Landtagsvorlage“ und den „Auszug“ mit
ihren Kommentierungen versehen heraus.10 Pfeffinger antwortete mit der
hier vorliegenden Schrift dann sowohl auf die Edition der „Leipziger Land-
tagsvorlage“ und des „Auszug[s]“ als auch die Angriffe des Flacius auf seine
Person.

(10) Die von Gallus geäußerte Vermutung erscheint plausibel,11 dass Pfeffinger
mit der Verteidigung der kurfürstlichen Religionspolitik die Teilnehmer des
Ende Oktober 1550 beginnenden Landtag im Kurfürstentum beeinflussen
wollte, da dort auch über das kurfürstliche Vorgehen gegen die Stadt Magde-
burg
und damit auch gegen die Kontrahenten der Wittenberger Theologen
(15) verhandelt werden sollte.12 Kurfürst Moritz war nämlich auf dem 1550 nach
Augsburg einberufenen Reichstag der Oberbefehl über das Belagerungsheer
übertragen worden, das die Reichsacht gegen die Stadt exekutieren sollte.13
Pfeffinger wird somit wohl im Frühsommer mit der Abfassung der Schrift
begonnen haben. Als frühestmöglicher Zeitpunkt dafür ist wohl April 1550
(20) anzunehmen, da Pfeffinger anscheinend das Magdeburger Bekenntnis kann-
te.14 Gallus soll jedoch recht schnell auf die hier edierte Schrift Pfeffingers
reagiert haben.15 Sein „Gegenbericht“ datiert auf den 1. November 1550. Es
steht daher zu vermuten, dass der „Gründliche und wahrhaftige Bericht samt
einer Verantwortung“ wohl frühestens im August, eher im September 1550
(25) erschien. Denn sollte die Schrift bereits Monate vor dem Landtag bekannt
gewesen sein, wäre der Verweis von Gallus auf die angeblich intendierte
Einflussnahme Pfeffingers durch seine Schrift auf die versammelten Land-
stände wenig stichhaltig.


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2. Der Autor

Johann Pfeffinger16 wurde am 27. Dezember 1493 in Wasserburg am Inn
geboren. Ab dem Jahr 1499 besuchte er die Lateinschule zu Annaberg. Früh-
zeitig schlug er die geistliche Laufbahn ein. Im Jahr 1515 wurde er Akolyth
(5) und drei Jahre später Subdiakon in Salzburg. Nach kanonischem Recht ei-
gentlich noch zu jung, erhielt er einen Dispens und konnte daher nach Ostern
1518 bereits zum Priester geweiht werden. Als Priester amtierte er zunächst
in Reichenhall, doch noch im Jahr 1518 wechselte er nach Saal-
felden/Pinzgau
. Ab 1521 war er als Stiftsprediger in Passau angestellt. Dort
(10) kam er zu Beginn der zwanziger Jahre mit der Lehre Luthers in Kontakt. Als
sich in seinen Predigten zunehmend reformatorische Gedanken wiederfinden
ließen, geriet er unter den Verdacht der Ketzerei. Dies veranlasste ihn 1523
nach Wittenberg zu fliehen, wo er das Studium der Theologie aufnahm. In
den Jahren 1527 bis 1530 bekleidete er das Amt des Predigers in Sonne-
(15)walde
. Dort heiratete er im Jahr 1528 Elisabeth Kühlstein, mit der er später
vier Kinder hatte. Wegen seiner reformatorischen Predigt scheint er vom
Bischof von Meißen aus Sonnenwalde vertrieben worden zu sein. Er wech-
selte in kurfürstliches Gebiet und wurde Prediger in Kloster Eicha. Seine
dortige Predigttätigkeit zog offensichtlich zahlreiche reformatorisch gesinnte
(20) Bürger der nahegelegenen Stadt Leipzig an, die zu ihm in den Gottesdienst
kamen und denen er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichte, was ihn
bei Herzog Georg von Sachsen höchst unbeliebt machte. Im Jahr 1532 wech-
selte er ins Pfarramt nach Belgern, wo er bis 1539/40 blieb. Die Jahre
1539/40 führten durch den Tod Herzog Georgs zu reformatorischen Verän-
(25)derungen im albertinischen Herzogtum Sachsen und damit auch zu größeren
Veränderungen in Pfeffingers Leben. Er wurde von Anfang an bei der Ein-
führung der Reformation im Herzogtum maßgeblich beteiligt. Nachdem er
zwischenzeitlich kurz nach Belgern zurückgekehrt war, bekleidete er ab
1540 in Leipzig die Stelle eines Superintendenten.

(30) Dort übernahm er ab dem Wintersemester 1541/42 exegetische Vorlesungen
an der Universität, nachdem er im Jahr 1541 den Grad eines Baccalaureus
Biblicus erlangt hatte. Im Herbst 1543 wurde er zum Licentiaten und zum
Doktor der Theologie promoviert. Im folgenden Jahr trat Pfeffinger dann in
die theologische Fakultät der Universität Leipzig ein. 1549 bekam er schließ-
(35)lich die zweite theologische Professur übertragen. Die theologische Nähe
Pfeffingers zu Philipp Melanchthon zeigte sich darin, dass er in seinen
Vorlesungen vornehmlich die „Loci communes“ behandelte.


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Neben diesen akademischen Tätigkeiten war der Leipziger Superintendent
auch stark mit den organisatorischen Fragen der Kirche befasst. Im Jahr 1542
führte er die Reformation in den Schönburgischen Gebieten um Glauchau
ein. Im Herzogtum Sachsen gehörte er 1544/45 zu den Theologen, die von
(5) Herzog Moritz zusammengerufen wurden, um eine Kirchenordnung für das
Herzogtum zu erstellen.17 So entwickelte Pfeffinger sich zu einem der
wichtigsten Theologen des Herzogtums Sachsen. Zu den Verhandlungen
über den Umgang mit dem Interim in den Jahren 1548/49 wurde er darum,
mit Ausnahme des Verhandlungstages in Pegau, stets hinzugezogen. Pfeffin-
(10)ger
war somit einer der Hauptbeteiligten an den Verhandlungen im Herbst
1548, die zur Erstellung der „Leipziger Landtagsvorlage“ führten. Somit
kann es nicht verwundern, wenn er sich dann auch bei deren Verteidigung
besonders engagierte. Nachdem er bereits im Januar 1550 die umfangreiche
Schrift „Von den Traditionibus“ verfasst hatte, publizierte er den hier edier-
(15)ten „Gründlichen und wahrhaftigen Bericht samt einer Verantwortung“.

Allerdings soll dieses Werk, so behauptet Pfeffinger, nicht vollständig von
ihm verfasst worden sein. Er habe „(...) zum bekentnus vnnd fernerm Bericht
der sachen auch diesen gruͤndlichen, waren bericht, wie droben erzelt, lassen
inn Druck ausgehen, der fuͤr einem Jar durch einen Gelehrten, frommen,
(20) rechtschaffenen Christen gestelt ist worden, der bey den Hendeln inn dieser
sachen von den Adiaphoris gewesen, (...).“ Pfeffinger teilt die Schrift somit
in einen von einem angeblich anonymen Verfasser geschriebenen „ Gründli-
chen und wahrhaftigen Bericht“ und in seine „Verantwortung“. Dabei
lässt sich die Schrift insgesamt jedoch in vier Teile gliedern: die „Vorrede“, den
(25) „Bericht“, die „Verantwortung“ und den „Beschluss“. Pfeffinger kann mit
Ausnahme des „Bericht[s]“ zweifelsfrei als Autor der anderen Teile identifi-
ziert werden und soll daher auch im Folgenden als solcher bezeichnet wer-
den.

Neben der Unklarheit über die Verfasserschaft stellt der „Bericht“ auch
(30) insoweit eine Besonderheit dar, als er wohl im Gegensatz zu den anderen
Teilen vor der Drucklegung bereits handschriftlich kursierte.18 Auf diesem
Wege könnte er zu Pfeffinger gelangt sein, der ihn dann herausgab. Dafür
spricht, dass Flacius in Major den Verfasser des „Bericht[s]“ erkannte.19 Er
berief sich dabei auf nicht genannte Zeugen, „die des Scribenten hand gese-
(35)hen haben“ und ihm [Flacius] mitteilten, „das es sein [Pfeffingers Hand-

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-
schrift] nicht ist.“20 Major selbst scheint dazu keine Stellung genommen zu
haben, was Flacius als Bestätigung seiner Annahme auffasste.21

Außerdem stellte Flacius inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen dem „Bericht“
und jenem „Epicurisch[en] Buch“ fest, das 1549 in der Landschaft Meißen
(5) ebenfalls handschriftlich kursierte22 und gegen das er bereits geschrieben
hatte.23   Leider konnte bisher weder der Autor jenes „Epicurisch[en] Buch[s]“
noch eine Ausgabe desselben identifiziert werden. Aufgrund der Wiedergabe
einiger Aussagen des „Epicurisch[en] Buch[s]“ in der Gegenschrift des Fla-
cius
lassen sich bei einem Vergleich einige pauschale Übereinstimmungen
(10) mit dem von Pfeffinger veröffentlichten „Bericht“ feststellen,24 und auch die
Anonymität der Verfasser beider Texte stellt eine interessante Parallele dar.
Allerdings offenbart ein solcher Vergleich auch erhebliche Differenzen zwi-
schen beiden Schriften.25 Dennoch könnte es sein, dass der Autor des „ Epi-
curisch[en] Buch[s]“ und des handschriftlich im Umlauf befindlichen „ Be-
(15)richt[s]“ identisch ist.

Eine Aussage Pfeffingers in der „Vorrede“ scheint jedoch in seltsamem Wi-
derspruch zu seiner eben zitierten Ablehnung der Autorschaft am „Bericht“
zu stehen. Er habe „als der wenigste, der dieser sachen gelegenheit weis vnd
darbey zum grossen theil gewesen, diesen Bericht vngeschickter weise, doch
(20) Gott lob warhafftig, so viel noͤtig, zusammen gefasset.“26 Diese „ Zusammen-
fassung“ ließe sich einerseits dahingehend verstehen, dass Pfeffinger eine
nicht von ihm stammende Vorlage bearbeitet haben könnte. Das Ergebnis
dieser Bearbeitung wäre dann der „Bericht“ gewesen. Er könnte somit den
handschriftlich kursierenden „Bericht“, eventuell zusätzlich das „ Epicu-
(25)risch[e] Buch“ redaktionell überarbeitet und als Grundlage für seine „ Zu-
sammenstellung“ benutzt haben. Allerdings kann es auch andererseits sein,
dass er mit dieser Formulierung andeuten will, dass er selbst die Ver-

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-
handlungen und deren Ergebnisse zusammengefasst hat. Auffällig ist näm-
lich, dass in beiden zitierten Passagen ausdrücklich auf die intimen Kennt-
nisse des Autors über die religionspolitischen Verhandlungen in Kursachsen
hingewiesen wird, die Pfeffinger als Beteiligter zweifelsfrei besaß. Die Ver-
(5)fasserschaft des „Bericht[s]“ müsste dann doch ihm zugesprochen werden,
womit man der Auffassung Amsdorfs folgen würde, der in Pfeffinger ein-
deutig den Autor des „Bericht[s]“ wie der „Verantwortung“ erblickte.27

Falls Pfeffinger der Autor gewesen sein sollte, ließen sich zwei mögliche
Gründe für die Verwirrung um die Verfasserschaft annehmen. Da der „ Be-
(10)richt“ durch seine detaillierte historische Argumentation tatsächlich nur von
jemandem verfasst worden sein kann, der über ausgezeichnete Kenntnisse
der kurfürstlichen Religionspolitik im Laufe der vierziger Jahre verfügte,
könnte der Grund für Pfeffingers Ablehnung der Verfasserschaft sein, dass er
nicht als unzuverlässiger, indiskreter Ratgeber gelten wollte, und es verbirgt
(15) sich hinter dem Versteckspiel Vorsicht. Ein zweiter möglicher Erklärungs-
ansatz wäre, dass es sich um eine von Pfeffinger aufgebaute Fiktion handelt.
Vielleicht versuchte er eine imaginäre Person als Autor zu erzeugen, die die
Wittenberger Sicht der Dinge teilte und damit die Zahl von deren Verteidi-
gern angeblich erhöhte. Letzlich kann nicht endgütig entschieden werden, ob
(20) es sich bei Pfeffinger um den Autor, den Kompilator oder „nur“ den Heraus-
geber des „Bericht[s]“ handelt.28

Die Versuche zu Vereinheitlichung der Gebräuche und der Erstellung einer
Kirchenordnung für das Kurfürstentum beschäftigten Pfeffinger auch über
das Jahr 1550 hinaus. Noch im Jahr 1555 schlug er die von Georg III. von
(25) Anhalt
1549 maßgeblich erstellte Kirchenordnung als Grundlage einer ein-
heitlichen Regelung der Zeremonien im neuen Kurfürstentum Sachsen vor.
Dieser Vorstoß wurde aber von Melanchthon mit der Sorge um das weitere
Ausbrechen von Streitigkeiten abgelehnt.

Ab dem Jahr 1555 war Pfeffinger Professor primarius und Senior der theolo-
(30)gischen Fakultät der Universität Leipzig. Durch das Abhalten zweier Dispu-
tationen in diesem Jahr löste er den synergistischen Streit aus. Pfeffinger

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erwies sich in diesem Streit abermals als ein entschiedener Anhänger melan-
chthonischen Gedankenguts.

An den Entwicklungen innerhalb des Kurfürstentums Sachsens nahm Pfef-
finger
bis ins hohe Alter Anteil, so an dem Dresdner Konvent im Jahr 1571.
(5) Am 4. Advent 1572 hielt Pfeffinger seine letzte Predigt; am 1. Januar 1573
verstarb er und wurde zwei Tage später in der Leipziger Nikolaikirche beige-
setzt.

3. Inhalt

Die Schrift Pfeffingers lässt sich in vier Teile untergliedern: die Vorrede, den
(10) „Bericht“, die „Verantwortung“ und den „Beschluss“. In der Vorrede schil-
dert Pfeffinger das Wirken des Teufels in dieser betrübten und gefährlichen
Zeit, der versuche, die Gemeinde Gottes zu zerstören. Er bemühe sich, die
reine Lehre mit Missbräuchen zu verdunkeln und mit Gewalt zu unter-
drücken; er versuche, die Schüler gegen ihre Lehrer aufzuhetzen und diese
(15) überall verdächtig und verachtet zu machen. Doch solle sich niemand durch
den Streit über die Adiaphora verunsichern lassen, da es schon zur Zeit der
Apostel Kontroversen gegeben habe. Er, Pfeffinger, sei durch die gegenwär-
tig kursierenden, teilweise anonymen Schriften mit ihren Unwahrheiten dazu
veranlasst worden, diesen Bericht zusammenzufassen, da er an den religions
(20)politischen und theologischen Verhandlungen in Kursachsen teilgenommen
habe und daher gut unterrichtet sei. Es solle erstens darlegt werden, was schon
vor dem Krieg von den Adiaphora gelehrt worden sei, zweitens, was Ursa-
chen, Beweggründe und Maßgaben der Verhandlungen gewesen und drittens,
welche die strittigen Artikel seien. Daraus solle ersichtlich werden, dass der
(25) reinen Lehre kein Abbruch getan und dass kein Missbrauch eingeführt wor-
den, dass vielmehr alles aus christlichen Beweggründen geschehen sei.

Der anschließende „Bericht“, der umfangreichste Teil der Schrift, geht chro-
nologisch vor und schildert zuerst Entwicklungen vor dem Schmalkaldischen
Krieg. Durch Luther und Melanchthon seien die Hauptartikel der christlichen
(30) Lehre wieder in rechter Weise gelehrt worden. Gleich zu Beginn der Refor-
mation habe es auch Irrlehrer gegeben, die durch falsch verstandene christ-
liche Freiheit die äußerliche Zucht zerrüttet hätten. Vieles, was von diesen
fälschlicherweise an Zeremonien und Gebräuchen abgeschafft worden sei,
habe Luther wieder eingeführt, anderes weiterhin geduldet. Daher sei er von
(35) den „Schwärmern“ auch als „Päpstler“ gescholten worden. Der „Bericht“
führt für diese Sicht zahlreiche Belege aus den Schriften und Briefen Luthers
an. Anhand der Confessio Augustana und der Apologie wird belegt, dass
von den Wittenberger Theologen in den Jahren 1548/49 keine Veränderungen in
den Zeremonien bei der Messfeier vorgenommen worden seien. Um dies zu
(40) unterstreichen, wird zusätzlich auf bestehende Kirchenordnungen für Däne-
mark
und für deutsche Territorien verwiesen, in denen ebenfalls dieselben

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Zeremonien aufgeführt würden. Es sei schändlich, so wird Luther zitiert,
wenn der Versuch unternommen werde, aus neutralen Dingen verdammens-
werte Dinge zu machen. So habe sich Luther auch zu dem aus dem Regens-
burger
Religionsgespräch 1541 hervorgegangenen Buch verhalten und sich,
(5) die Mitteldinge betreffend, milde gezeigt. Weil aber nun nicht allein in Ober-
deutschland fast alle alten Gebräuche abgeschafft worden seien und Unord-
nung eingetreten sei, auch von dort aus Versuche unternommen worden
seien, Ansichten auf die sächsische Kirche zu übertragen und Luther als
„Päpstler“ zu brandmarken, hätten die sächsischen (albertinischen) Pfarrer
(10) und Superintendenten ihren Landesherrn (Herzog Moritz) Mitte der vierziger
Jahre bereits gebeten, für eine einheitliche Ordnung Sorge zu tragen.
Daraufhin hätten Zusammenkünfte der Theologen stattgefunden, und obwohl
es nie völlige Einheitlichkeit in den Gebräuche gegeben habe, so sei damals
doch ein „Unterricht“ erstellt, allen Pfarrern mitgeteilt und auch Luther
(15) vorgelegt worden, wie und welche Zeremonien und Gebräuche zukünftig
gehalten werden sollten, und Luther habe sein Wohlgefallen und Zustim-
mung zu dieser Ordnung mitgeteilt.

Die Darstellung der Ereignisse nach dem Schmalkaldischen Krieg beginnt
mit Hinweisen auf die Wiedereröffnung der Universitäten zu Leipzig und
(20) Wittenberg durch Kurfürst Moritz und dessen Amnestie für alle sächsischen
Theologen, die sich während des Krieges negativ über die herzogliche An-
lehnung an den Kaiser geäußert hatten. Erwähnt wird ebenso die Zusage des
neuen Kurfürsten, am Religionsstand keine Veränderungen vornehmen zu
wollen. Auf dem Augsburger Reichstag habe Karl V. aber das Interim erstel-
(25)len lassen, um äußerlichen Frieden zu gewährleisten und die religiösen
Fragen bis zu einem Konzilsentscheid zu regeln. Da Kurfürst Moritz ohne
seine Landstände jedoch nichts habe beschließen wollen, habe er
einen Landtag in Meißen abgehalten, um über die Bestimmungen des Interims
beraten zu lassen. Im Folgenden wird detailliert von den zahlreichen Zusam-
(30)menkünften der Wittenberger Theologen und der kurfürstlichen Räte im
Herbst und Winter 1548 berichtet. Dabei wird besonders die Gleichförmig-
keit der theologischen Stellungnahmen mit vorherigen Beschlüssen hervor-
gehoben. Überdies seien keine Neuerungen vorgenommen worden, da die
Gebräuche und Zeremonien in der sächsischen Kirche ohnehin schon
(35) größtenteils so gehalten würden, wie sie nun auch festgelegt worden seien. In
äußerlichen Dingen, welche die Gewissen nicht belasten würden, könne die
Obrigkeit Entscheidungen treffen, die befolgt werden müssten. Alles andere
würde glaubensschwache Menschen nur in Verwirrung führen. Berechtigter
Widerstand dürfe darum nur zur rechten Zeit und in Bezug auf zentrale
(40) Glaubensfragen geleistet werden. Daher sei es notwendig, sich zu versichern,
ob ein Widerstand gerechtfertigt sei, oder ob man das Volk durch übereiltes
Vorgehen nicht in noch größere Gefahren bringe. Auf dem Landtag zu
Leipzig und in der Kirchenordnung Georgs III. seien, gemäß der Confessio

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Augustana und den überkommenen alten Riten, Regelungen getroffen
worden, die von den Gegnern unzulässiger Weise und in höchst giftiger,
verleumderischer Art angegriffen würden.

Der Gliederung der „Leipziger Artikel“ weitgehend entlanggehend, werden
(5) sodann die einzelnen Artikel zu den Adiaphora, der Autorität der Kirche und
der Kirchendiener, der Taufe, der Firmung, der Buße, der letzten Ölung, der
Messe, den Festtagen, den Gesängen, dem Fleischessen und dem Chorrock
erläutert. Die Rechtmäßigkeit der getroffenen Regelungen wird betont, in-
dem erneut Übereinstimmungen mit der Confessio Augustana und Aussagen
(10) Luthers hervorgehoben werden.

Seine „Verantwortung“ beginnt Pfeffinger mit der Darstellung der angeb-
lichen Verwirrung und Gehässigkeit von Flacius und Gallus, die sich auch
direkt gegen seine Person gerichtet hätten. Deshalb werde er zu einer Reak-
tion getrieben. Er verweist auf seine bis dahin bereits veröffentlichten Schrif-
(15)ten in der Sache und bestreitet energisch den Vorwurf, die theologischen
Zugeständnisse in den „Leipziger Artikeln“ und dem „Auszug“ seien
aus Furcht, Vorteilsnahme oder Korruption gemacht worden. Pfeffinger besteht
keineswegs allein auf seiner, sondern auf der Rechtgläubigkeit aller Witten-
berger Theologen. Es seien in der zentralen Frage der Rechtfertigung eben
(20) keine Zugeständnisse gemacht worden, und die gesamten Verhandlungen
hätten auch nicht heimlich stattgefunden, sondern Landstände, Pfarrer und
Superintendenten hätten daran mitgewirkt. Besonders intensiv setzt sich
Pfeffinger mit der Kritik des Flacius auseinander, dessen Vorwürfe er teil-
weise wörtlich zitiert. Um diese zu entkräften, verweist er auf den „Bericht“
(25) und auf seine bereits früher gemachten Aussagen, indem er längere Passagen
aus seiner Schrift „Von den Traditionibus“ abermals abdruckt. Dabei unter-
scheidet er zwischen unveränderbaren, da von Gott eingesetzten Dingen, wie
der Lehre und dem Gebrauch der Sakramente, und veränderbaren, da von
Menschen eingesetzten Dingen, wie äußerlichen Zeremonien und Gebräu-
(30)chen. Was die unveränderbaren Dinge anbelangte, seien keine Änderungen
vorgenommen worden. Nur in veränderbaren Dingen habe man Zugeständ-
nisse gemacht und daher sei der obrigkeitlichen Anordnung auch Gehorsam
zu leisten. Zur Verstärkung der eigenen Argumentation wiederholt Pfeffinger
dann die diesbezüglichen Aussagen sowie den allgemeinen Argumenta-
(35)tionsgang des „Bericht[s]“ nochmals. Flacius und Gallus wirft er dabei
erneut Undankbarkeit gegen die eigenen Lehrer vor und erhebt schwere
Vorwürfe gegen sie, weil sie ihre Gemeinden durch ihren Weggang nach
Magdeburg ungerechtfertigter Weise im Stich gelassen hätten. Doch würden
sie sich dessen noch als besonderer Standfestigkeit im Glauben rühmen und
(40) das Verhalten der Wittenberger durch ungerechtes Schmähen verteufeln.

Schließlich fasst Pfeffinger im „Beschluss“ seine Gedanken zusammen und
betont, dass nichts Wesentliches in der Lehre verändert sei, dass der Teufel
vielmehr durch diese Kritik Verwirrung und Unordnung stiften wolle. Es sei

|| [654]

verwunderlich, dass Flacius und Gallus gegenwärtig so über die Adiaphora
streiten würden, obwohl Luther in der Vergangenheit dies ausdrücklich nicht
getan habe. Den Leser fordert er schließlich auf, Verständnis für seine Schrift
zu zeigen. Die Angriffe hätten ihn dazu gebracht, sich in dieser Weise
(5) öffentlich zu verantworten, wie auch Paulus und Augustinus sich gegen
verleumderische Reden verteidigt hätten. Er selber wolle über die Dinge
nicht weiter streiten und den Teufel damit erfreuen, sondern Gott um Einigkeit bitten.

4. Ausgabe

(10) Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe:

A: Grüntlicher vnd || Warhafftiger Bericht der || vorigen vnd jetzigen / für
vnd || nach dem Kriege ergangen Hand= || lungen / von den Adiapho= ||
ris oder Mittel= || dingen. || Sampt einer Christlichen kur= || tzen
verantwortung / || Doctoris Johannis || Pfeffinger. || Allen lieben
(15) Christen nützlich || vnd tröstlich zu wissen. || AD GALAT. I. || Si adhuc
hominibus placerem, Christi || seruus non essem. || M. D. L. || [92]
Blatt 8° [Kolophon: Gedruckt zu || Leipzig durch Va= || lentin Bapst ||
Anno || 1550.] (VD 16 P 2326)

Vorhanden in:

(20) Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 702

Gotha, Forschungsbibliothek: Th 349

Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 155 774(2)

Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 8 Theol.XXIII,2(3)

Kiel, Universitätsbibliothek: Cb 1837/1

(25) Lüneburg, Ratsbücherei: Th 497(1)

München, Bibliothek der Ludwig-Maximilian-Universität: 8 Theol.2610

Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 78.J.43

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 1158 Theol.(4), 825 Theol.(1)
[benutztes Exemplar], 988.2 Theol.(3), S 329.8 Helmst.(2)

(30) Die Randglossen unserer Edition sind im Original kursiv und in Antiqua
gesetzt im fortlaufenden Text enthalten. Dies scheint, da es sich bei der
Länge des Texts um vergleichsweise wenige Glossen handelt, aus pragma-
tischen Gründen, wohl um Platz und Papier zu sparen, erfolgt zu sein. Wir
bieten sie jedoch in margine, um ihre Bestimmung zur Kommentierung und
(35) Vertiefung der behandelten Themen hervorzuheben.


Kommentar
3  Vgl. Kurfürstliches Mandat zur Religionsfrage. 4. Juli 1549, in: PKMS 4, Nr. 396, S. 449f;
Auszug, in: ebd., Nr. 397, S. 450–453.

4  Vgl. Begleitschreiben zum Auszug an die Superintendenten. (September 1549), in: PKMS 4,
Nr. 446, S. 516.


8  Vgl. Von den || TRADITIO||NIBVS, CERE= || MONIIS, || Oder Mitteldingen / || Christlicher
warer be = ||richt ... || Durch Johannem Pfef= || finger / Doctorem / zusam= || men gezogen. || ... ||
[Franfurt/Oder: Nikolaus Wolrab 1550] (VD 16 P 2357); die Vorrede der Schrift datiert auf den
Tag „Conuersionis Pauli“, also auf den 25. Januar 1550: Vgl. ebd., A 5v

9  Vgl. Widder die newe Re= || formation D. Pfeffingers / des || Meisnischen Thumbherrn. ||
Durch Matth. Fl. Jllyr. || ... || [Magdeburg: Christian Rödinger d. Ä. 1550] (VD 16 F 1562); im
selben Jahr erschien eine weitere Ausgabe (VD 15 F 1561).

11  Vgl. Gallus, Gegenbericht, A 2r, ; Voit, Nikolaus Gallus, 158.

13  Vgl. zu den Verhandlungen auf dem Reichstag über die Belagerung und um den Oberbefehl
DRTA.JR XIX,2, Nr. 180–199, S. 1012–1060.

19 Vgl. Wider den Euange= || listen des heiligen Chorrocks / || D. Geitz Maior. || Matth. Flac. Jlly.
|| ... || [Magdeburg: Michael Lotther 1552] (VD 16 F 1558), B 1r, in: unsere Ausgabe Bd. 3; vgl.
auch Preger, Flacius I, 362.

20 Vgl. Gruͤndliche verle= || gung aller Sophisterey / so Juncker || Jssleb/ D. Jnterim / Morus /
Pfeffinger / D. || Geitz in seinem gruͤndlichen bericht vnd jhre gesel= || len / die andere
Adiaphoristen / das Leipsische || Jnterim zu beschoͤnen / gebrauchen.|| Durch Matth. Fla.
Illyricum
. || ... || [Magdeburg: Christian Rödinger d. Ä. 1550] (VD 16 F 1410), C 3r.

21 Vgl. Flacius, Wider den Evangelisten des heiligen Chorrocks, B 1r.

22 Vgl. Flacius, Gründliche Verlegung aller Sophisterei, J 1v.

23 Vgl. Eine schrifft Matt. || Flacij Jllyrici widder ein recht || Heidnisch ja Epicurisch Buch der
Adiapho= || risten / darin das Leiptzische INTERIM ver= || teidiget wird / sich zu huͤten fuͤr den
jtzigen || Verfelschern der waren Religion / || sehr nuͤtzlich zu || lesen. || ... || [Magdeburg: Christian Rödinger d.
 Ä.
1549] (VD 16 F 1493); im selben Jahr erschien noch eine weitere
Ausgabe dieser Schrift (VD 16 F 1492).

24 Es sei auf die Betonung des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit und der Möglichkeit von
Zugeständnissen in Notsituationen verwiesen. Vgl. Flacius, Wider ein recht heidnisch, epicurisch
Buch, A 2v–A3 r.

25 So die angeblichen Aussagen, dass die Zehn Gebote in der Not übertreten werden dürften,
dass das Volk gottesfürchtig gewesen sei, solange die papistische Kirchenordnung gehalten wor-
den sei und dass Karlstadt zum Vorreiter der Magdeburger erklärt wurde. Vgl. ebd., A 2v–A 3r,
B 1v–B 2r.

26 Vgl. unten A 5r–v; S. 657f.

28 Anders Kaufmann, Ende der Reformation, S. 275f, Anm. 322; Kaufmann verweist dort auf
eine Aussage Pfeffingers in der er die Autorschaft der Schrift „Von den Traditionibus“ (VD 16
P 2357) unumwunden als die seine anerkennt. Zum „Bericht“ stellt er fest, dass er ihn habe
„ausgehen“ lassen. Er verwendet damit exakt dieselbe Formulierung wie die hier edierte Schrift
selbst (vgl. unten H 3v–H 4r). Dies kann daher nicht zwangsläufig als ein Bekenntnis zur
Autorschaft gewertet werden. Vielmehr lässt die Formulierung weiterhin offen, ob Pfeffinger der
Autor, der Kompilator oder „nur“ der Herausgeber des „Bericht[s]“ ist. Auch der Hinweis
Kaufmanns, dass der Titel der 1559 publizierten Schrift Pfeffingers, „Nochmals gründlicher,
klarer, wahrhaftiger Bericht“, nur dann Sinn ergebe, wenn auch der „Bericht“ aus dem Jahr 1550
aus Pfeffingers Feder stamme, ist nicht zwingend. Schließlich war Pfeffingers Name untrennbar
mit der Gesamtpublikation des „Gründlichen und wahrhaftigen Berichts samt einer Verantwor-
tung“ verbunden, auch wenn er nicht der Autor des „Bericht[s]“ gewesen sein sollte.


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