Einleitung
1. Historische Einleitung
Georg Major hatte in der Vorrede zu seiner
1550 in erster Auflage veröffent-
lichten Schrift „Auslegung des Glaubens ...“
(VD 16 M 2003) und in der 19.
(5) Predigt dieser Auslegung gegen Matthias Flacius Illyricus und dessen
Mag-
deburger Mitstreiter mit der Begründung polemisiert, durch ihre
Opposition
gegen den Leipziger Landtagsentwurf und mit dem Streit um die
Adiaphora,
insbesondere um den Gebrauch des Chorrocks, zerrissen sie die Einheit
der
Kirche und gefährdeten ihren Bestand. Als Major sich dann 1551 in einer
(10) dem
englischen König Edward VI. gewidmeten Schrift
mit dem Titel „ Refu-
tatio horrendae prophanationis coenae Domini“ (VD 16 M
2156) als Vertei-
diger des wahren evangelischen Glaubens gegenüber dem
Papsttum stilisierte,
nahm Nikolaus von
Amsdorf das zum Anlass, die hier edierte Gegenschrift
zu verfassen; bei
dieser Gelegenheit bezog er zugleich auch gegen Johannes
(15) Bugenhagen Stellung, der die
Magdeburger in seiner Schrift „Von den unge-
bornen Kindern“ (VD 16 B 9449)
angegriffen hatte. Amsdorf gab den
Vor-
wurf, die Magdeburger Interimsgegner spalteten und zerstörten die
Kirche
der Reformation, an die Wittenberger zurück; diese hätten die Kirche in
die
Irre geführt und nahezu irreparabel geschädigt. Amsdorf hält Major vor,
(20) dieser habe mit der Exklusivpartikel „sola“ zuleich die
Rechtfertigungslehre
aufgegeben.
Majors Vorwort in seiner „Refutatio“ ist
datiert auf den 8. September 1551,
Amsdorfs Gegenschrift lag Major am 18. November
1551 vor,1 also kurz
nach dem Ende der Belagerung Magdeburgs durch die Truppen des
(25)
Kurfürsten Moritz von Sachsen.2
Amsdorf hat die Schrift wohl noch
wäh-
rend der Belagerung verfasst,3 ungewiss, ob er später noch einmal Gelegen-
heit haben würde, seinen
theologischen Standpunkt öffentlich zu vertreten.
Anfang 1552 antwortete wiederum
Major mit „Auff des Ehrenwirdigen
Her-
ren
Niclas von Ambsdorff schrifft, so jtzundt
neulich Mense Nouembri Anno
(30) 1551 wider Georgen Maior öffentlich im Druck ausgegangen, Antwort“ (VD
16 M
1996).4 In dieser Schrift insistierte er darauf, dass gute Werke zur
Se-
ligkeit nötig seien, und dies löste den sogenannten Majoristischen
Streit aus,
der in Band 3 unserer Ausgabe
thematisiert wird.
|| [756]
2. Der Autor
Nikolaus von Amsdorf,5 geboren am 3. Dezember 1483 in Torgau, ent-
stammt dem thüringischen Adel. Seit etwa
1497 besuchte er in Leipzig die
Thomasschule,
seit 1500 die Universität. 1502 wechselte er an die neuge-
(5)gründete
Universität Wittenberg, mit deren Organisation
sein Onkel Johann
von Staupitz
beauftragt war. Hier erwarb er 1504 den Grad eines Magisters
der freien Künste,
1507 wurde er baccalaureus biblicus, 1508 Sententiar,
1511 Lizentiat. Die Wahl zum
Stiftsherrn im Jahr 1508 verschaffte Amsdorf
ein gesichertes Einkommen, in der Folgezeit kamen weitere Pfründen
hinzu.
(10) Bis 1524 blieb Amsdorf im akademischen Lehramt, wobei er in den
Jahren
1510 und 1511 Dekan der philosophischen Fakultät war und 1513 und 1522
Rektor der Universität. Seit 1516 kam Amsdorf in näheren Kontakt zu Mar-
tin Luther und stand ihm in entscheidenden Situationen seines
Lebens zur
Seite, so bei der Leipziger Disputation 1519 und auf dem Reichstag zu
(15) Worms 1521. Im Jahre 1524 folgte Amsdorf einem Ruf als Superintendent
und Pfarrer an St. Ulrich in Magdeburg. Dort war
er achtzehn Jahre lang
tätig, um die Stadt vollends der Reformation zuzuführen.
Zwischenzeitlich
wurde er immer wieder beurlaubt, damit er in anderen Städten für
die Sache
der Reformation eintreten konnte, so in Goslar, Einbeck, Leipzig und Meißen.
(20) In den Jahren 1529 bis 1537 wirkte in Magdeburg auch Georg Major mit
großem Erfolg als Schulrektor. Am 20. Januar 1542 wurde
Amsdorf in Naum-
burg als erster evangelischer Bischof in sein
Amt eingeführt. Kurfürst Jo-
hann Friedrich I. von
Sachsen hatte dies gegen den Willen und die Wahl des
Domkapitels
durchgesetzt. Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bun-
(25)des 1547
wurde Amsdorfs ohnehin schwierige Stellung unhaltbar; er musste
aus Naumburg weichen und Julius von Pflug, einem der Verfasser des
In-
terims, das Feld überlassen. Fortan bezeichnete Amsdorf sich als
„exul.“6
Zunächst hielt er sich in Weimar, ab
1548 dann an seiner alten Wirkungs-
stätte
Magdeburg auf und widmete seine Kraft dem
publizistischen Kampf
(30) gegen das Augsburger Interim und den Leipziger
Landtagsentwurf. Ab 1552
lebte Amsdorf als Superintendent in Eisenach. Der unverfälschten Bewah-
rung von Luthers theologischem Erbe galten Amsdorfs
Bemühungen bis ins
hohe Alter. Er setzte sich für die Gründung der Universität Jena ein und
unterstützte das Projekt der Jenaer
Lutherausgabe. Immer wieder griff er
(35) auch publizistisch in die theologischen
Diskussionen seiner Zeit ein. Nach
eigenem Zeugnis inzwischen halbblind, taub und
stumm, starb er am 14. Mai
1565 und wurde im Chor
der Georgenkirche in Eisenach bestattet.
|| [757]
3. Inhalt
Amsdorfs Schrift richtet sich gegen den
Vorwurf, die in Magdeburg
versam-
melten Gegner des Leipziger Interims seien Verursacher der
innerkirchlichen
Spannungen und Spaltungen. Ähnlich wie im Streit um das
angemessene
(5) Abendmahlsverständnis seinerzeit Luther von seinen Gegnern als derjenige
hingestellt
worden sei, der den Streit verursacht habe, obwohl er erst durch
die öffentlichen
Irrlehren der Gegner genötigt worden sei, um der christli-
chen Wahrheit
willen gegen sie aufzutreten, so ergehe es nun den Magdebur
ger Streitern
gegen das Interim. Bugenhagen und
Major beschuldigten sie,
(10) die
Kirche zu spalten, obwohl jene es doch gewesen seien, die mit der Ein-
führung
von Neuerungen den bis dahin bestehenden Konsens innerhalb der
Kirchen der
lutherischen Reformation zerstörten. Amsdorf wirft ihnen vor, die
Lehre zu Glauben, Sakramenten und Buße
verfälscht, den Gottesdienst des
Antichrists wieder aufgerichtet und neue Gebräuche
aufgebracht zu haben.
(15)
Er wendet sich zunächst Major zu und hält ihm
vor, im Rechtfertigungsarti-
kel die Exklusivpartikel „sola“ aufzugeben. Er
halte nicht an der zentralen
reformatorischen Erkenntnis fest, dass allein der
Glaube selig mache, sondern
erkläre gute Werke für notwendig, so dass Liebe und
Glaube miteinander
den Menschen fromm und gerecht machten. Darüberhinaus erkenne
Major
(20) den Antichrist als
Oberhaupt der Kirche an und wolle die Diener des Evan-
geliums den
Messbischöfen unterwerfen. Major akzeptiere
das Verbot, frei-
tags oder samstags Fleisch zu essen oder zu verkaufen, und
habe eine neue
Spektakelmesse eingeführt, die der altbekannten Opfermesse
entspreche. Er
habe sich mit Rom geeinigt und die
Vertreibung der Prediger aus Torgau und
(25)
anderen Orten in Kauf genommen. Major sage
zwar, man solle wegen sol-
cher Kleinigkeiten wie dem Chorrock keine
Kirchenspaltung provozieren, er
selbst könne sich aber nicht dazu verstehen, in
dieser Kleinigkeit nach-
zugeben, sondern wolle seine Neuerungen unbedingt
durchsetzen, wobei es
in Wahrheit darum gehe, sämtliche päpstlichen Zeremonien
wieder einzu-
(30)führen. Major
habe den Antichrist angebetet und das Zeichen des Tieres
angenommen. Amsdorf fordert die Öffentlichkeit auf,
sich ein Urteil zu bil-
den, ob es sich bei diesem Umgang mit angeblichen
Adiaphora um gering-
fügige Kleinigkeiten oder um hochwichtige Fragen handele.
Das Leipziger
Interim enthalte Neuerungen in der Lehre und im Kultus; der Anstoß
gehe
(35) nicht von denjenigen aus, die diese Neuerungen ablehnten. Major wolle
Christ und Papist zugleich
sein, was unmöglich sei. Er widerspreche sich
selbst, wie ein Vergleich seiner
Veröffentlichungen aus der Zeit vor und
nach Erlass des Interims deutlich zeige.
Amsdorf gibt als Zweck seiner
Schrift
die Verteidigung des eigenen christlichen Namens, von Gottes Wort und
Ehre
(40) an, außerdem wünscht er, die Gegner möchten ihren Irrtum erkennen
und
davon ablassen. Den Vorwurf der Heuchelei, den Major gegen die Magde-
burger erhoben habe, solle
er belegen. Dabei frage man sich, wie Major
im
Ernst in einem Edward VI. von England
gewidmeten Buch gegen Papst und
Messe schreiben könne; offenbar erhoffe er sich
dafür ein königliches Ge-
(45)schenk. Dass die Magdeburger Major töten wollten, sei Unsinn; man
wisse
|| [758]
aus der Bibel, dass man Irrlehrern kein Leid zufügen
solle. Man nehme
lediglich die Aufgabe der Hirtenhunde wahr, den Wolf zu
verbellen.
Daran anschließend wendet sich Amsdorf
gegen Bugenhagen. Dieser
erhebe
auf der Kanzel und in seinem Buch „Von den ungeborenen Kindern“ vier
(5) Vorwürfe gegen die Magdeburger: 1. der Teufel treibe sie an; 2. sie
fügten
der Kirche großen Schaden zu; 3. sie stifteten Unfrieden; 4. sie seien für
die
Vertreibung christlicher Prediger verantwortlich. Dagegen wendet Amsdorf
folgendes ein: 1. Wen der
Teufel antreibe, der fördere die Herrschaft des An-
tichrists und helfe bei
der Wiederaufrichtung des Papsttums. Gelte das nicht
(10) eher für Bugenhagen und die Adiaphoristen
selbst? 2. Seien es nicht eher die
Gegner, die der Kirche Schaden zufügten, indem
sie die Rechtfertigungsleh-
re nicht verteidigten, Spektakelmessen aufführten
und Schafe und Diener
Christi dem Wolf überantworteten? 3. Wer stifte denn
Unfrieden? Der Hirte
oder der Wolf? 4. Die Vertreibung der Prediger erfolge
aufgrund kaiserli-
(15)chen Befehls, nicht wegen der Aktivitäten der
Magdeburger. Die Vertreibun-
gen würden allerdings damit entschuldigt, dass
die seitherige evangelische
Lehre und Praxis erwiesenermaßen falsch gewesen sei, da
man im Leipziger
Interim ja so viel näher ans Papsttum habe rücken können. Hätte
der Kaiser
kein antireformatorisches Edikt veröffentlicht, so hätten ihn allein
schon die
(20) Schriften der Adiaphoristen und insbesondere der „Gründliche und
wahrhaf-
tige Bericht der ... Handlungen von den ... Mitteldingen“, der die
papisti-
schen Zeremonien so hoch lobe, veranlassen können, die lutherische
Lehre
zu verurteilen. Amsdorf sieht
sich und seine Magdeburger Mitstreiter im
Recht. Sie würden nicht vom Teufel
angetrieben, sondern von ihrem Glau-
(25)ben und Gewissen. Für ihn ist
wichtig, im Augenblick der Gefahr nicht zu
verleugnen, was er fast dreißig Jahre
lang gelehrt und geglaubt habe.
4. Ausgaben
Nachgewiesen werden können zwei Ausgaben:
A: Das Doctor Po= || mer vnd Doctor Maior mit
iren || Adiaphoristen
(30) ergernis vnnd zur= || trennung angericht / Vnnd den
Kirchen || Christi /
vnuͤberwintlichen scha= || den gethan haben. ||
Derhalben sie vnd nicht
wir zu Magde= ||
burg / vom Teuffel erwegt seint / wie || sie vns
schmehen vnd lestern. ||
Niclas von Amsdorff Exul. || Psalm. 4.
|| Lieben
Herrn / wie lange sol meine ehre ge= || schendet werden / (vernim
durch
(35) Menschen || treume vnd tradition) Wie lange habt jr das ei= ||
tel
(vernim das Interim) so lieb / vnnd die luͤgen || (vernim die newe
Leiptzigische ordenung) so || gern. || Psalm. 5. || Du bringst die luͤgner
vmb / der Herr hat || ein grewel an den blutgirigen vnd falschen. || Anno
1551. [12] Bl. 4° [letzte Seite leer] [Magdeburg, Michael
Lotter] (VD
(40) 16 A 2340)
|| [759]
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 4
in: Cu 388 R; Cu 405 R
Budapest, Országos Széchényi Könyvtár
(Nationalbibliothek): Ant. 2483;
Ant. 2636(8)
(5)
Dresden, Sächsische Landes- und
Universitätsbibliothek: Hist.Eccl. E 233,30
Göttingen, Niedersächsische Staats- und
Universitätsbibliothek: 8
MULERT 507 (9); 8 TH IREN 60/16 (13)
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek
Sachsen-Anhalt: AB 154 584
(5); If 3604 (2)
(10)
Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4
Hist.Eccl.IV,2(19); 4
Theol.XLIII,6(8)
Leipzig, Universitätsbibliothek: Kirchg.11126/8
Lutherstadt Wittenberg, Bibliothek des
Lutherhauses: Ag 4 281 b
Lutherstadt Wittenberg, Evangelisches
Predigerseminar: LC504/15
(15)
München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Liturg
34
Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek:
Theol.qt.218
Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek:
40,3:16(n.4)
Wien, Österreichische Nationalbibliothek:
20.Dd.217
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek:
248.13 Theol.(2); Alv Ef
(20) 104(5); Alv U 146(4); G 676.4 Helmst.(5) [benutztes
Exemplar]; H
121.4 Helmst.(6)
Zwickau, Ratsschulbibliothek: 12.8.11.(3)
B: Das Doctor Po= || mer vnd Doctor Maior mit jren || Adiaphoristen
ergernis vnnd zur= || trennung
angericht / Vnnd den Kirchen || Christi /
(25) vnuͤberwintlichen scha= ||
den gethan haben. || Derhalben sie vnd nicht
wir zu Magde= || burg vom Teuffel erwegt sein / wie || sie vns
schmehen
vnd lestern. || Niclas von
Amsdorff Exul. || Psalm. 4. || Lieben Herrn /
wie lange sol meine ehre ge=
|| schendet werden / (vernim durch
Menschen || treume vnd tradition) Wie lange habt
jr das ei= || tel
(30) (vernim das Interim) so lieb / vnnd die luͤgen ||
(vernim die newe
Leiptzigische ordenung) so || gern. || Psalm. 5. || Du bringst die
luͤgner
vmb / der Herr hat || ein grewel an den blutgirigen vnd falschen. ||
Anno
1551. [12] Bl. 4° [letzte Seite leer] [Magdeburg, Michael Lotter] (VD
16 ZV 543)
(35)
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz:
Cu 405/4 R
Leipzig, DNB, Deutsches Schrift- und Buchmuseum:
III: 58,3 p
München, Bayerische Staatsbibliothek: Res/4 Dogm.
413#Beibd.3 [ benutz-
tes Exemplar]
(40)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 193
Theol(6); 329.6 Theol(21);
511.32 Theol(13); YH Kapsel 1.4 Helmst.(8)