Vorwort
verfasst von Irene Dingel
[Inhaltsverzeichnis]

Vorwort

Nachdem im Jahre 2010 mit dem ersten Band aus der Reihe „Controversia et Confessio eine kritische Edition von Schriften vorgelegt werden konnte, die zum Augsburger Interim von 1548 Stellung bezogen und sich mit ihm überwiegend ablehnend auseinandersetzten, gelegentlich aber auch Kompromisse anboten, um das kaiserliche Religionsgesetz abzuschwächen, folgt nun mit dem zweiten Band die Fortsetzung unserer Editionsreihe. Im Mittelpunkt steht der „Adiaphoristische Streit“, der sich an einem solchen Kompromiss­vorschlag entzündete. Es handelte sich um eine von den Wittenberger Theo­logen, Georg von Anhalt und Johannes Pfeffinger ausgearbeitete Vorlage für den Leipziger Landtag von 1548, die durch die von Matthias Flacius und Nikolaus Gallus unautorisiert vorgenommene Publikation als „Leipziger Interim“ bekannt wurde. Diese Vorlage sah vor, durch die Kombination wiedereinzuführender altgläubiger Riten mit der evangelischen Lehre eine Alternative zum Augsburger Interim zu präsentieren und so die befürchtete Rückführung zur vorreformatorischen, alten Lehre in Kursachsen abzuwenden. Dass man Riten und zeremonielle Handlungen in einen Grenzbereich einordnete zwischen dem, was für das Heil des Menschen vor Gott notwendig ist, und dem, was dafür abträglich, wenn nicht sogar schädlich sein kann, brachte ihnen die Bezeichnung als „Adiaphora“, d. h. als „freie Mitteldinge“ ein. Der Begriff „Adiaphora“ wurde im Laufe des Streits zu einer Chiffre für weitaus mehr als nur die Beachtung umstrittener zeremonieller Vorschriften. Denn unter dem Problem der „Adiaphora“ verhandelte man unterschwellig auch die Frage, ob, wieweit und wann man darauf zu bestehen habe, dass theologische Lehre und äußere Formen wie Riten und Zeremonien, deren Ziel es ja sein sollte, die Lehre zu veranschaulichen, übereinzustimmen hätten. Dies führte zu der kontrovers verhandelten Überlegung, ob sich das in einer Krisensituation erforderliche Bekenntnis zu einer bestimmten – theologischen – Position ganzheitlich auf beides, nämlich auf die Lehre und auf damit übereinstimmende und entsprechend zu praktizierende Riten, zu beziehen habe, oder ob man in Äußerlichkeiten Kompromisse eingehen könne. Hinzu kam die Frage der Einfluss­möglichkeiten politischer Obrigkeiten in innere kirchliche Angelegenheiten. Wie weit reichte ihr Eingriffsrecht?1
An der hier verhandelten Problematik der „Adiaphora“ zeigt sich in exemplarischer Weise die Verschränkung religiöser bzw. kirchlicher und politischer Angelegenheiten. In den sich auftuenden theologischen Fronten spiegelt sich zudem aufs Neue der damalige territoriale Gegensatz zwischen ernestinischem und albertinischem Sachsen. Nicht zuletzt wird die Heraus-
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bildung theologischer Positionen greifbar, die u. a. um die Frage rangen, wann und in welcher Weise man sich Kompromissen gegenüber zu sperren habe und in ganzheitlicher Bekenntnishaltung Stellung beziehen müsse.
Der hier vorliegende Band ist – wie auch die vorigen – von einem eingespielten Team erarbeitet worden. Herr Dipl. Theol. Hans-Otto Schneider hat zusammen mit Herrn Dr. Jan Martin Lies die sorgfältige Bearbeitung und Kommentierung der Texte übernommen. Frau Dipl. Theol. Hedwig Toth-Schmitz war in bewährter Weise für die elektronische Erfassung der Quellentexte zuständig. Herr stud. theol. Dorian Winter hat seit dem Beginn des Jahres 2012 unter Anleitung von Herrn Dr. Stefan Schmunk (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte) damit begonnen, die notwendige Verschlagwortung für eine elektronische Bereitstellung der in Band 8 bereits im Jahre 2008 edierten Texte vorzunehmen. Die elektronische Version soll in absehbarer Zeit über die an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel einzurichtende Plattform AEdit verfügbar werden, ein von der Herzog August Bibliothek eingeworbenes, DFG-gefördertes Projekt, an dem auch „Controversia et Confessio“ beteiligt ist. Für sieben Monate war außerdem Frau Dr. Vera von der Osten-Sacken Teil der Arbeitsgruppe. Ihr Aufgabengebiet erstreckte sich auf die Revision und Komplettierung der Datenbank sowie die Pflege der Homepage, was sie mit großem Einsatz und Kompetenz durchführte. Mitglied des Teams war ca. ein Jahr lang auch Herr Dr. Kestutis Daugirdas, dessen Arbeit in einem eigenen Band zu den antitrinitarischen Kontroversen Gestalt finden wird. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist für ihr Engagement, ihr großes Interesse an der Forschungs- und Editionsaufgabe und ihre zuverlässige Einsatzbereitschaft sehr herzlich zu danken.
Mainz, im Herbst 2012 Irene Dingel

Kommentar
1 Vgl. dazu differenzierter und ausführlicher die Gesamteinleitung zu diesem Band u. S. 3–14.

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