übersetzt von Christian Heitzmann, Thomas Stäcker; nach TEI P5 kodiert und mit Anmerkungen versehen von Thomas Stäcker; unter technischer Mitarbeit von Marcus Baumgarten
übersetzt von Christian Heitzmann, Thomas Stäcker; nach TEI P5 kodiert und mit Anmerkungen versehen von Thomas Stäcker; unter technischer Mitarbeit von Marcus Baumgarten
Herzog August hatte einen bedeutenden Teil seines Lebens in Hitzacker an der Elbe verbracht, wo er sich seinen gelehrten Beschäftigungen widmete. Im Alter von 57 Jahren erhielt er 1635 die Nachricht, es sei Wirklichkeit geworden − was er nie auch nur im Traum gedacht hätte, weil er zu einer Nebenlinie gehörte −, dass ihm der Titel eines regierenden Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg zugefallen sei. Die Residenzstadt seines Fürstentums, Wolfenbüttel, konnte er aber erst 1643 in Besitz nehmen, da die Festung – infolge des Dreißigjährigen Krieges – bis zu diesem Jahr von kaiserlichen Truppen besetzt war.1
Diese Wende verursachte grundsätzliche Veränderungen in der Repräsentation des Herzogs. Zur Veränderung der Größenverhältnisse und Qualität bot der Wohnortswechsel handgreifliche Möglichkeit, weil die Residenz nun am neuen Ort, in Wolfenbüttel geschaffen werden musste.
Zwar war die Bibliothek an Augusts Hof immer schon ein bestimmendes Element, ihre Einrichtung an neuer, würdiger Stelle und auf neue Weise formte, ja gründete die Sammlung gleichsam neu aus der Sicht der höfischen Repräsentation.2 Schon in Hitzacker war sie in einem eigenen Gebäude untergebracht gewesen, in Wolfenbüttel erhielt sie das Obergeschoss des Marstallgebäudes und wurde ein repräsentativer, eigenständiger Teil der Herrscherresidenz.
Ein guter Beleg dafür ist das Werk des Nürnberger Dichters Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) mit dem Titel Porticus Augusti (Nürnberg 1646). In diesem eigentümlichen Lobwerk – welches zur Gattung der literarischen Ekphrasis gehört – wird der Entwurf einer Säulenhalle, eines Porticus, geschildert, deren Hauptzweck die Verherrlichung Herzog Augusts gewesen wäre. Der Porticus wurde jedoch nie gebaut. Angesichts dessen, dass das Werk persönlich vom Herzog bestellt wurde, ist es wohl eine der wichtigsten Quellen, die Augusts eigene Repräsentationsbestrebungen dokumentieren. Für die Mitte war die Pferdestatue des Herzogs vorgesehen: das Pferd ist Pegasus, das seinen Herrn zum Parnass, zu Apollon und den Musen, geleiten soll. Den Grund des Porticus bilden keine Steine, sondern die Tugend und die Bibliothek, dem Hauptgedanken des Werkes pietas atque eruditio entsprechend. Das Vorbild war der Porticus des Kaisers Augustus, in dem ebenso eine Bibliothek – und zwar eine griechische und eine lateinische – untergebracht war. In Herzog Augusts Porticus hätten acht Bilder die Hauptereignisse aus Augusts Leben darstellen sollen: seine Kindheit und Jugend, seine Reisen, die drei Ehen und letzlich seine Bibliothek und die Übernahme Wolfenbüttels im Jahre 1643. Somit weist auch diese symbolische Darstellung darauf hin, dass die Errichtung der Bibliothek – und zwar der in seiner neuen Residenzstadt – wohl zu den wichtigsten Ereignissen in Augusts Leben gehörte.
Diese physische Ortsveränderung sowie die Änderung der Stellung innerhalb der Hofrepräsentation war in gewissem Sinne die Voraussetzung dafür, dass Johann Schwartzkopfs Bibliotheksbeschreibung entstehen konnte.3 Die sorgfältig redigierte, relativ kurze Schrift entstand 16494 und wurde 1651 unverändert5 sowie 1660 etwas ergänzt von neuem herausgegeben.6 Die Schrift ist nämlich ein Erzeugnis der auf die vom Herzog selbst bestimmten Selbstrepräsentation reflektierenden höfischen Literaturproduktion und passt sich, wenn auch in Prosa, den auf die Person des regierenden Herzogs verfassten Gelegenheitsschriften an.
Um was für eine Gelegenheit kann es sich 1649 gehandelt haben? Wie erwähnt, zog der Herzog 1643 in Wolfenbüttel ein. Zur Wiedererrichtung und Ausgestaltung der Residenz kann es erst danach gekommen sein, die ersten Ergebnisse begannen sich in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre zu zeigen. 1648 wurde der den Dreißigjährigen Krieg abschließende Westfälische Frieden geschlossen, der ebenfalls dem Bau und der Neuorganisierung neuen Schwung gab.7 Diesen Prozess krönte 1649 Augusts siebzigster Geburtstag. Die Situation konnte demnach von einer seltsamen Doppelung gekennzeichnet sein: einerseits der Neubeginn in der neuen Residenzstadt, nun schon mit dem Abschluss der ersten Phase der Renovierungen und Bauarbeiten, zum anderen das Ende eines Menschenalters, was den Herzog selbst wie auch seine Umgebung zu einer Abrechnung, zu einer Art Résumé seines Lebenswerkes bewegen mochte. Dem Brauch an Herrscherhöfen gemäß begleiteten auch an diesem Hof literarische Gelegenheitswerke, Grüße, längere oder kürzere Dichtungen die wichtigeren Momente des Familienlebens.8 Beachtlicherweise war diese Art der Literaturproduktion an Augusts Hof besonders reich.
Ganz gewiss wurde aus Anlass des 70. Geburtstags bzw. der obenerwähnten Absicht der Zusammenfassung von dem Hofarzt Martin Gosky der Beschluss gefasst, die zu den früheren Geburtstagen des Herzogs bzw. verschiedenen hervorgehobenen Anlässen seines Lebens verfassten Grüße und preisenden Dichtungen in einem riesigen, fast 1400 Seiten umfassenden Laudationsband redaktionell zusammenzufassen. Das enorme Corpus, das schon kurz im Zusammenhang mit den Werken des Herzogs erwähnt wurde, erschien 1650 in Wolfenbüttel unter dem Titel Arbustum vel arboretum…9 Die zur Gattung der poetischen Wälder gehörende Ausgabe ist ein einzigartiger Ausdruck der höfischen Repräsentation eines barocken Fürstenhofes. Die preisenden Werke sind in chronologische und thematische Gruppen geordnet, die vielsagende Stiche illustrieren. Zu Beginn skizziert Martin Gosky in einem stark panegyrisch geprägten Text die hervorgehobenen Anlässe aus dem Leben des Herzogs. Dieser einführende Abschnitt spiegelt auch vorzüglich die oben erwähnten Wiederaufbauprozesse.10 Dass die Bibliothek in der Hofrepräsentation eine hervorgehobene Rolle erhielt, bezeugen auch die Preisdichtungen im Bibliotheksblock der Anthologie, deren Zahl sich in der zweiten Hälfte der 1640er Jahre spürbar vermehrte.
Schwartzkopfs Werk über die Bibliothek entstand parallel mit den Redaktionsarbeiten für diesen repräsentativen Band. Wenn es sich auch in seinem Fall um Prosa handelt und diese dazu noch anderen Zwecken dient (nämlich Reklamezwecken11), hat sein Hintergrund, also die am Hof herrschende Atmosphäre und Tendenz sowie der 70. Geburtstag des Herzogs, auf jeden Fall einen gemeinsamen Nenner mit der Laudationsanthologie Goskys. Gemeinsam ist ihnen auch der panegyrische Tonfall.12 Schwartzkopfs Arbeit ist nämlich bei weitem keine sachliche Bibliotheksbeschreibung, sondern viel eher eine panegyrische, in eine Herrscherlaudatio an Herzog August eingebettete Bibliothekslaudatio,13 die eine einzige Herrschertugend, die Prudentia, also die herrscherliche vorausschauende Weisheit in den Mittelpunkt stellt.14 Auch bei Schwartzkopf ist Symbol, Verkörperung und Quelle eben dieser Weisheit die Bibliothek.
Wie gesehen, steht Schwartzkopfs Bibliotheksbeschreibung – ähnlich dem Arbustum vel arboretum und dem Porticus Augusti – für die Repräsentation, die Herzog August nach dem Jahre 1643 an seiner neuen Wolfenbütteler Residenz entwickelt hat. Eine der wichtigsten Komponenten dieser Repräsentation war die Erudition, die Bildung des Herzogs, die von seiner Bibliothek, seinen eigenen15 und den von ihm herausgegebenen Werken anderer Autoren16 symbolisiert wurde.
Zwei Werke sollen noch erwähnt werden, die für Schwarzkopf als Anstöße zum Verfassen einer Schrift über die herzogliche Bibliothek gewirkt haben können. Das eine ist Christoph Heidmanns Oratio de Bibliotheca Julia (Helmstedt, 1622)17, das andere Justus Lipsius’ grundlegendes Werk, das De bibliothecis syntagma (Antwerpen, 1602).18 In welchem Maße auch der Neustoizismus des Lipsius', sowie seine Ideen über die Aufgaben des Herrschers, dessen Hauptziel das Bewahren des „bonum publicum“ sein sollte, in beiden Werken, sowohl bei Heidmann als auch bei Schwartzkopf, vertreten war, möchten wir an dieser Stelle nicht eingehender behandeln,19 man soll sich jedoch diesen Umstand während der Analyse bis zum Ende vor Augen halten.
Wie sehr die Entstehung von Schwartzkopfs Werk mit dem Wolfenbütteler Wiederaufbau und damit auch der Bibliotheksgründung, also der Aufstellung der Bücherei im Marstallgebäude zusammenhing, dafür finden sich in der Ausgabe und auch im Text Beweise. Der Titel des Werkes ist folgender:
„Bibliotheca Augusta, Serenissimi, Illustrissimi Principis, ac Domini, D. Augusti, Ducis Brunovicensis, et Lunaeburgensis. Quae est Wolferbyti.“[„Die hoheitliche Bibliothek des allergnädigsten und durchlauchtigsten Herrn Herzog August, Herzogs von Braunschweig und Lüneburg, die sich in Wolfenbüttel befindet.“]
Schwartzkopf war sich wahrscheinlich nicht bewusst, dass er mit seiner Titelangabe das Ergebnis eines langen Prozesses zusammenfasste, in dem die herzogliche Bibliothek in mehrfacher Hinsicht einen neuen Platz erhielt. Ihre Repräsentationsfunktion, ihren lokalen Wert bringt der neue Name Bibliotheca Augusta zum Ausdruck und ihren physischen neuen Ort, an dem sich die Repräsentationsfunktion verwirklicht, der Ausdruck „quae est Wolferbyti“, d. h., „die sich in Wolfenbüttel befindet“. (Im Namen ist unter anderem das Spiel zwischen dem lateinischen Adjektiv „hoheitlich“, „augustus“, der allgemeinen Bezeichnung der Kaiser, und dem Namen August offensichtlich; Harsdörffer weist in seinem Porticus Augusti sogar auf Kaiser Augustus hin; vergessen wir aber auch nicht das die Bibliothek des Matthias Corvinus preisende Epos des Florentiners Naldo Naldi, das ebenfalls den Titel Bibliotheca Augusta trägt).
Der Autor verweist also mit der Präzisierung „die sich in Wolfenbüttel befindet“ auf den neuen Schauplatz und lässt den Leser wissen, dass diesmal nicht von Herzog Augusts Bibliothek allgemein die Rede ist, die bereits seit Jahrzehnten existierte, sondern von der in der neuen Residenzstadt eingerichteten prachtvollen Bibliothek.
Auch das Epigramm auf die Bibliotheca Augusta nach der Titelseite behandelt gerade den Akt des Umzuges in das neue Gebäude des Marstalls am Ufer der Occara (Oker). Der Autor des Gedichtes – einer Sannazaro-Paraphrase – war Heinrich Julius Scheurl (1600–1651), der Professor für Ethik und Dekan der Philosophischen Fakultät an der Helmstedter Universität.
Der Inhalt des Gedichtes ist ungefähr folgender: „Göttin Caesia (Minerva) sah, dass unter Augusts Händen die Bibliotheca Augusta in der Guelphenstadt erbaut wird, und sprach: Vater Mars, gib mir jetzt deine Burg mit Türmen, welche die wilde Oker umfließt. Wenn du die mächtigen kriegerischen Mittel mehr schätzest als die Bücher, vergiss nicht, dass diese von unglücklichen Menschen, jene aber von einem Gott geschaffen wurde.“
In dem Gedicht erscheint also das wirkliche, neue Bibliotheksgebäude, daneben können wir die Benennung Bibliotheca Augusta fast im Moment ihrer Entstehung ergreifen. Denn es gibt auch eine zwei Jahre früher datierte Variante des Epigrammes, die später im Arbustum veröffentlicht wurde (f. 190r), deren Text aber nicht völlig identisch mit dem der späteren Version ist.
Im Arbustum mit Datum vom 1. Juni 164720
Am Anfang von Schwartzkopfs Werk, 1649
Die Unterschiede der beiden Varianten sind sprechend. In Schwartzkopfs Variante ist das Bestreben um die Schaffung und Betonung einer attributiven Struktur der Bibliotheca Augusta eindeutig. Das ist im Titel und der ersten Textzeile zu sehen. Im Arbustum ist den Widmungsversen dagegen deutlich zu entnehmen, dass die Bibliohek früher keinen Namen hatte, sie höchstens als Bibliotheca Guelpherbytana oder Guelphica erwähnt wird (offensichtlich erst 1643, also nach dem Umzug nach Wolfenbüttel). All das weist darauf hin, dass die Benennung Bibliotheca Augusta irgendwann in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre, nach der Einrichtung im Marstallgebäude entstanden sein wird. Und das einleitende Epigramm bzw. die Modifizierungen in ihm spiegeln fast handgreiflich diesen Prozess.22
Das Epigramm ist jedoch nicht nur wegen der Schwartzkopfschen Beschreibung und der Entstehung des Namens Bibliotheca Augusta wichtig. Burckhard hat Kenntnis davon, dass das Gedicht auch schon sechs Jahre früher, 1643, verbreitet wurde, als selbstständiges Blatt, als Sonderdruck.23 In eben diesem Jahr zog Herzog August in Wolfenbüttel ein. All das lässt darauf schließen, dass Scheurls Dichtung im Zusammenhang mit dem "Einzug" der Bibliothek entstanden sein kann, möglicherweise als das offizielle Gedicht. Ausgeschlossen ist nicht, dass Schwartzkopf deshalb dieses zum Motto seiner Laudatio wählte.
Der erste Satz im lateinischen Werk beginnt ebenfalls mit der neuen Benennung:
„Der erste und einzige Schöpfer der Bibliotheca Augusta, die heute in Wolfenbüttel, der uralten Residenz der Braunschweiger Herzöge zu sehen ist – gleich ob wir den Ort, die Bücherschränke oder schließlich die enorme Menge und Vielfalt der Bücher unter diesem Namen begreifen −, ist der Majestätische und Vorzügliche Herzog und Herrscher August, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, der seit den frühesten Jahren seiner Jugend sehr geistvolle Pfleger der Wissenschaften, scharfäugige Beurteiler großer Geister, ebenso – wie dies zum Vorangehenden dazugehört – auch Liebhaber der zu jeder Art von Bildung gehörenden hervorragenden Bücher.“24
Dieser einleitende, vielgliedrige Satz entspricht dem vollständigen Exordium, das die Narratio und auch die Expositio enthält, denn einerseits teilt er das Thema in seine Elemente auf, bestimmt jene Hauptgesichtspunkte, von denen dann in der Behandlung die Rede sein wird (und diese sind locus − Ort, armaria − Bücherschränke, moles et congeries librorum – Vielzahl und Menge der Bücher), was Aufgabe der Narratio ist, zum anderen fasst er als Expositio gedrängt den Leitgedanken des ganzen Werkes zusammen: Der Herzog hat all dies ganz allein durchgeführt, und gerade dieser Umstand erhebt ihn über die großen Bibliotheksgründer der Vergangenheit und Gegenwart, und seine Bibliothek über die großen Bibliotheken aller Zeiten. Die Feststellung wird auch innerhalb des Satzes von einer dichten Argumentation begleitet, denn all das ist den hervorragenden Eigenschaften des Herzogs zu danken.
Schwartzkopf möchte also – seiner Absicht gemäß – erneut über die Bibliothek in ihrer physischen Existenz sprechen. Sein sogar sehr konkretes System von Gesichtspunkten (Ort, Schränke, Bücher) entnahm er einer Stelle in dem 1602 erschienenen außerordentlich populären Traktat über Bibliotheken von Justus Lipsius, De bibliothecis syntagma. Denn Lipsius’ Werk beginnt folgendermaßen: „Bibliotheca tria significat, Locum, Armarium, Libros“, d. h. „Die Bibliothek bedeutet drei Dinge, den Ort, die Bücherschränke und die Bücher.“ Hinter der bloßen Feststellung ist unschwer die Praxis der damaligen Logik und Rhetorik zu erahnen: Hinter dem Satz zieht sich die von der Dialektik gebotene einfachste Art der Definition der Dinge hin, die Quaestio simplex, d. h. die einfache Frage: Quid est bibliotheca? „Was ist die Bibliothek?“ Und die Antwort muss man mit der Methode der Definitio, d. h. der Bestimmung, und der Divisio, der Aufteilung, geben.
Nach der Einleitung ist das Werk in drei große Teile aufgegliedert. Der erste, im wesentlichen eine Laudatio, konzentriert sich auf die Leitthese und beweist mit Hilfe von Exempeln aus der Antike und den Vorfahren des Herzogs die Einzigartigkeit Augusts und seiner Bibliothek. Offensichtlich ist die Quelle der antiken Bibliotheksexempel ebenfalls Lipsius; Schwartzkopf übernimmt dessen Text stellenweise wortwörtlich. Beachtenswerterweise führt der Kanzler als einziges nichtantikes Exempel die Corvinische Bibliothek an. Im zweiten, mittleren Teil steht die eigentliche Bibliotheksbeschreibung, die wirklich die in der Narratio angegebenen Gesichtspunkte (locus, armaria, libri) entfaltet. Die abschließende Einheit ist wieder eine offene Laudatio, der Autor benutzt die Doppelung und Einheit von Herzog und Bibliothek und erhebt den Herzog in unermessliche Höhen.
Zwei offene Laudationen umgeben also den Mittelteil, der sich auf dem Boden der Wirklichkeit bewegen will und versucht, eine wahrheitsgemäße Beschreibung der Bibliothek zu geben. Im Hinblick auf die libri behandelt Schwartzkopf detailliert die Art des Erwerbs der Bücher und den Bestand. Aus unserer Sicht ist wichtig, dass er innerhalb des Bestandes ausschließlich die Corvinen sowie Herzog Augusts „Werke“ mit Namen nennt, unter denen – wie schon erwähnt25 – eines gerade die Publikation der Fonzio-Corvine26 war. Schlüsselwörter dieses Teils sind die fortlaufende Zunahme und die „enormen Kosten“; letztere sind ebenfalls einer der ständigen Topoi der Bibliothekslaudatio. Mit der Absicht der Darstellung der unterschiedlichen loci, d. h. der „Orte“, skizziert Schwartzkopf kurz den Weg der Bibliothek von Hitzacker über Braunschweig nach Wolfenbüttel. Das Instrumentarium der Bibliothekslaudatio kann natürlich auch hier nicht fehlen. Bei Hitzacker zeichnet Schwartzkopf die Gestalt des kulturrettenden Herrschers (wieder ein Topos der Bibliothekslaudatio), er beschreibt nämlich, dass 1636, als der Herzog wegen des bevorstehenden Umzuges des Hofes nicht anwesend war, seine Bibliothek beinahe ausgeraubt worden wäre, es aber dank seiner Voraussicht, seiner Prudentia – ein weiterer Topos – gelang, sie zu retten. Bei Braunschweig benutzt Schwartzkopf den Topos der Doppelung Bibliothek−Heiligtum: In der Braunschweiger Residenz fanden nämlich die Bücher des Herzogs in unmittelbarer Nachbarschaft der Stiftskirche Sankt Blasius einen würdigen Ort. Die letzte Station ist Wolfenbüttel. Hier sind der Herzog und seine Bibliothek schon untrennbar. Das war auch physisch der Fall, denn – wie erwähnt – die Bibliothek wurde in einem imposanten gesonderten Gebäude in der Herrscherresidenz untergebracht. Dies war jedoch nicht nur physische Nähe, sondern zugleich auch geistige Beziehung. Der den Text danach inhaltlich ordnende Leitgedanke ist ganz bis zum Beginn der letzten Peroratio gerade diese geistige Einheit von Herzog und Bibliothek: Die Bibliothek befindet sich in unmittelbarer Nähe ihres Herrn, und zwar deshalb, damit sie jederzeit dem Herzog zur Verfügung stehen könne, wenn er sie benötigt. Denn der verantwortungsbewusste Herrscher macht die Nacht zum Tag, wirkt für das Heil seines Volkes und kann bei dieser Tätigkeit jederzeit auf Rat angewiesen sein. Es handelt sich also um nichts anderes als den Lobpreis einer der Herrschertugenden, der Prudentia. Dies ist der Punkt des Textes, von dem an die Bibliothek immer nachdrücklicher als symbolischer Raum erscheint. Nun ist die Bibliothek nicht bloß ein wirklicher, sondern ein symbolischer Ort, das Symbol der Prudentia des Herrschers.
Der Autor spielt meisterlich mit diesen beiden Qualitäten der Wirklichkeit und der Symbolität. Im Zusammenhang mit der Erwähnung des Königspalastes geht er wieder zum Wirklichkeitsraum der Bibliothek über und fügt eine kurze Deskription ein. Er erzählt, dass das Gebäude früher ein Arsenal war und nennt die Waffen „ornamenta Bellonae“, d. h. „Zierden der Kriegsgöttin Bellona“. Es ist, als würden wir uns von außen nähern. Über dem Eingang steht mit Goldbuchstaben folgende Aufschrift: „Armamentaria sacrae Pallados, et doctis habitata Palatia Musis“, d. h. „Das Arsenal der heiligen Pallas und der Palast der gelehrten Musen“. Aus Bellonas Arsenal wurde also Pallas’ Arsenal und das Heim der Musen. Dann wieder die Wirklichkeit: Wir erfahren, dass der Eingang – in der vom Herzog gewohnten Weise – sehr repräsentativ ist, aber im scharfen Gegensatz zum zurückhaltenden Innenraum des Gebäudes und seiner Einrichtung steht. Denn diese Sammlung (thesaurus – der ständige Terminus der Bibliothekslaudatio) dient nicht als Sehenswürdigkeit – schreibt Schwartzkopf mit Berufung auf Seneca −, „sondern wurde deshalb zum Teil der Residenz, damit dieser viel befragte Senat unendlich heiliger und weiser Seelen sich in der Nähe des Herzogs befinde, ihm zur Hand sei, mit ihm berate, seine Seele erbaue, ausrüste und dass er sie zu Teilnehmern aller möglicher Herrscheraufgaben mache.“27 Schwartzkopf formuliert hier also auch schon konkret, dass die Sammlung der besseren Erfüllung der herrscherlichen Pflichten dient. Zur Unterstützung seiner Aussage zitiert der Kanzler die die Vorhalle der Bibliothek schmückende Inschrift, die den von stummen Seelen kommenden Rat preist: „Wenn ringsum jedermann spricht und abwägt, dann geben den vorzüglichsten Rat die stummen Toten; und wenn auch die Menschen schweigen, dann werden die Bücher das Wort ergreifen, und was niemand sagt, das gibt die weise Antike als Rat.“28
Der Kanzler ermuntert seine Leser, sich mit eigenen Augen von dem Gesagten zu überzeugen, die Bibliothek zu besuchen, die nun schon „pretiosissimus divinae et humanae sapientiae thesaurus“, d. h. „das unendlich wertvolle Schatzhaus der göttlichen und menschlichen Weisheit“ sei. Hier erscheint der Schlüsselbegriff der Peroratio, die Weisheit, Sapientia. Die Besucher werden dasselbe erfahren, was die Königin von Saba über die Weisheit Salomons gesagt hat: „Es ist wirklich wahr, was ich in meinem Land über dich und deine Weisheit gehört habe. Ich habe der Nachricht nicht geglaubt, bis ich kam und es mit eigenen Augen sah; tatsächlich, man hat mir nicht einmal die Hälfte gesagt, deine Weisheit und dein Reichtum übertrifft die Nachricht, die zu mir gelangte.“ (1. Kön 10,7)
Die Metaphern und anderen sprachlichen Mittel erreichen es, dass am Ende des Werkes der Leser diese wirkliche Bibliothek zugleich auch in ihrer Symbolität erlebt und versteht. Der Text bewegt sich zwischen diesen beiden Loci, der Bibliothek als wirklichem und der Bibliothek als symbolischem Raum.
Um nun zusammenzufassen: Die greifbare repräsentative Wirklichkeit bot die Gelegenheit dafür, dass diese Bibliotheksbeschreibung entstehen konnte. Da die Bibliothek irgendjemand gehörte, und zwar einem regierenden Herzog, entschied sich der Autor für das Genus demonstrativum, d. h. für den Lobpreis. Die Bibliothek als physisch Existierendes bildete die Basis und den Ausgangspunkt des Lobpreises, ihre durch die dialektische Praxis bestimmten Teile stellten das Skelett des Textes dar. Mit Hilfe des Instrumentariums der Laudatio und in ihrem Rahmen der mit der Herrscherlaudatio verschmolzenen Bibliothekslaudatio schmückte der Autor den auf der physischen Wirklichkeit beruhenden Text und verwirklichte das Spiel zwischen Symbol und Wirklichkeit, das vielleicht den höchsten ästhetischen Wert dieses lateinischsprachigen höfischen Gelegenheitswerkes bedeutet.
An dieser Stelle müssen wir zur Untersuchung der Rolle zurückkehren, die die Corvinen – die Prachthandschriften aus der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1458–1490)29 – in Schwartzkopfs Arbeit spielten. Ihre Repräsentationsfunktion ist aufgrund der obigen Ausführungen offensichtlich. Im Licht der enormen Sammlung Augusts zwingt den Leser dennoch der Umstand zum Nachdenken, dass der Kanzler bei der Aufzählung des Bücherbestandes nur die Corvinen erwähnt, und zudem noch – im Verhältnis des ganzen Werkes – mit relativ bedeutendem Umfang. Es ist anzunehmen, dass teils die bewusst gewählte Gattung der Beschreibung, die Laudatio der Bibliothek des Herrschers, gleichsam als Gattungsforderung den ausschließlichen Aufweis dieses wahrhaft königlichen Teils des Bestandes in Augusts Bibliothek verlangte. Diese Begründung wird jedoch auch durch den überraschenden Inhalt der später noch darzustellenden Corvineneinlage ergänzt. Dies ist nämlich der Punkt, an dem sich Schwartzkopfs Beschreibung mit der Problematik der Provenienz der Wolfenbütteler Corvinen verbindet.
Über die Provenienz der aus neun Kodizes bestehenden Corvinengruppe der Herzog August Bibliothek gibt es schon seit langem zwei Traditionen in der Forschung.30 Der einen nach kamen durch die zweite Ehe von János Corvins31 Witwe Beatrix Frangepán mit Georg von Brandenburg einige Stücke nach Deutschland. Der anderen Variante nach hat – vereinfacht gesagt – Herzog August die in seinem Besitz befindlichen Corvinen in Wien vom Kaiser gekauft.
Die wichtigste Quelle der letzteren Version für die Corvinenforschung ist seit Jahrhunderten ein Detail in Hermann Conrings enormem Werk, das er 1661 über die Wolfenbütteler Bibliothek verfasste.32 In seinem Buch haben die Bemerkungen über die Corvinische Bibliothek grundsätzlich rhetorische Funktion, aber in diesem einzigen genannten Detail teilt Conring mit, dass der Herzog selbst die Kodizes in Ungarn (!) kaufte, als er zur Erledigung beschwerlicher Angelegenheiten in Wien Rudolf II. (1576–1612) und Ferdinand II. (1619–1637) aufgesucht habe.
Der Text scheint hinsichtlich seiner historischen Glaubwürdigkeit auch beim ersten Lesen problematisch zu sein, aber dafür ist in erster Linie nicht Conring verantwortlich zu machen, sondern viel eher Johann Schwartzkopf. Denn der Aufmerksamkeit der Forschung ist bisher entgangen, dass das als Basisquelle betrachtete Detail bei Conring in voller Länge auf die erste Bibliotheksbeschreibung, auf Schwartzkopfs Werk, zurückzuführen ist. Conring weiß nicht im Geringsten mehr als Schwartzkopf. In seiner umfangreichen Arbeit verwendete er großenteils Schwartzkopfs Darstellung und übernahm ihren Leitgedanken (dass Herzog August ganz allein seine Bibliothek zur Vollkommenheit entwickelt habe und ihn das über die großen Bibliotheksgründer der Vergangenheit und Gegenwart erhebe und seine Bibliothek über die Reihe der großen Bibliotheken aller Zeiten). Ansonsten aber zerpflückte er das Werk völlig und verwendete seine Teile als Stützpfeiler für seine eigene Arbeit. Gerade deshalb, aber auch aus Gründen des Umfanges wird in dieser Studie von einer Analyse der betreffenden Conring-Stelle abgesehen und auch bei der Untersuchung der Frage der Provenienz von Schwartzkopfs Text ausgegangen.33
Die Corvinische Bibliothek behandelt Schwartzkopf, als er nach der Mitteilung der Zahlenangaben der Wolfenbütteler Bibliothek mit der detaillierten Beschreibung des Bestandes beginnt, also im Abschnitt „libri“ der früher angegebenen Gliederung des Werkes. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass bei der Vorstellung des gesamten Bestandes ausschließlich die aus der Corvinischen Bibliothek stammenden Handschriften in folgender Weise genannt werden:
„Zahl und Wert der sogenannten handschriftlichen Bücher in dieser Bibliothek sind nicht zu verachten. Eine ganze Reihe von ihnen hat der Herzog selbst in Ungarn gekauft anlässlich seiner in schwierigen Angelegenheiten unternommenen Reisen zu den Kaisern Rudolf II. und Ferdinand II., für teures Geld, hochwertige, auf sehr feines Pergament mit außerordentlich gewählter Schrift kopierte Bände, eine kleine Gruppe aus jener weltberühmten Bibliothek, die in Buda, der Hauptstadt des Königreichs Ungarn einst Matthias Hunyadi Corvinus um 1485 errichtet hat und die der türkische Tyrann Suleiman geraubt hat, als er 1541 mit List und Gewalt Buda besetzte und Isabella, die Witwe des ungarischen Königs Johann mit ihrem kleinen Sohn von dort vertrieb, obwohl er vorher vorgetäuscht hatte, dass er zu ihrer und des Königreichs Verteidigung gekommen sei. Diese Bibliothek Matthias Hunyadis (so Antonio Bonfinis Worte, Dekaden der ungarischen Geschichte, Buch 4, Kap. 7) war wunderbar reich an Literatur in griechischer und lateinischer Sprache, und das Äußere der Bücher staunenswert prächtig: für letzteres sind prunkvolle Beispiele diese Handschriften, deretwegen wir über alles gesprochen haben.“
Schwartzkopf verwendet die beschriebenen Elemente der Herrscher- und Bibliothekslaudatio nicht nur im Ganzen des Werkes, sondern speziell auch hier. Dem Text nach hat Herzog August die Corvinen anlässlich seiner Wiener Reisen mit großen Kosten in Ungarn gekauft. Bei der Anfertigung seiner inhaltlich etwas konfusen Beschreibung hat sich Schwartzkopf offensichtlich nicht darum gekümmert, dass sein Herr 1628 und 1629 nach Wien reiste,34 aber acht von den neun Corvinen bis spätestens 1627 in die Sammlung kamen. In fünf von neun Fällen ist die Station vor der herzoglichen Bibliothek bekannt, und sie war nicht Wien. Die Fakten und die Anzeichen in den Kodizes stützen also keinesfalls die Behauptung Schwartzkopfs.35
Natürlich hat unser Autor auch Quellen benutzt. Bonfini36 nennt er sogar. Bei der ersten Hälfte des Details ist vielleicht Brassicanus’ Bericht37 zu vermuten, darauf weist das Motiv der Reise zum Herrscher und des Kaufes hin. Die Wiener Reise war wohl einerseits wegen der Repräsentationsfunktion der Kaiser und anderseits wegen der Nähe Ungarns wichtig. Konnte doch so der Herzog dem wahren Heim der glanzvollen Bibliothek des Königs Matthias nahe kommen, ja direkt von dort die Bücher beschaffen. Dieses Quellengebiet halten jedoch Barbaren besetzt, August kann also zugleich die Rolle des Conservator sapientiae übernehmen, da er aus dem türkisch besetzten Ungarn die Träger wahren Wissens retten kann. Die verwendete historische Quelle (vielleicht Paolo Giovio)38 war wohl dazu berufen, diesen Zustand der Barbarei nachempfinden zu lassen, indem sie eine topische Eigenschaft des Türken hervorhob, die Tücke.
Wien war also eine Station der Translatio Musarum oder Translatio studiorum, eine Klammer zwischen Buda und Wolfenbüttel. Die Translatio der Bildung färbt gleichzeitig auch der Gedanke der Translatio imperii ein: August wird zum Besitzer des geistigen Erbes eines Herrschers, des ungarischen Königs, und das wird durch die Mitwirkung anderer Herrscher, ja sogar Kaiser ermöglicht.
Obwohl Schwartzkopfs Bibliotheksbeschreibung unbestreitbar auch die Wirklichkeit darstellen möchte, ist ihre bewusst gewählte Hauptgattung ein Nebenzweig der Herrscherlaudatio, die mit ihr verschmolzene Bibliothekslaudatio. Dieser Umstand beherrscht und determiniert die Textgestaltung. Die topischen Elemente der Laudatio werden mit fast zwingender Geltung im Text angewendet und korrigieren, wenn notwendig, sogar die Wirklichkeit. Deshalb konnte Wien als Herkunftsort der Wolfenbütteler Corvinen erscheinen; dabei war sich Herzog August, vielleicht als einziger, über ihre wirkliche Provenienz im Klaren.
Aus einer von Burckhard mitgeteilten interessanten Angabe kann man auch folgern, dass die Wiener/ungarische Provenienz der Corvinen einen Teil der „Hofmythologie“ dargestellt und sich generationenlang von Mund zu Mund vererbt haben kann. Vielleicht ist sie gerade durch Schwartzkopfs Werk entstanden, aber wahrscheinlich gab es sie auch schon vorher, und auch Schwartzkopf selbst „schöpfte“ aus ihr. Die Beschreibung ist legendenhaft oder anekdotisch. Zumindest deutet die von Widersprüchen belastete Konfusion darauf. Burckhard teilt ein Detail des Reiseberichtes von Iacobus Tollius (1633–1696) mit, der 1687 die Wolfenbütteler Bibliothek besuchte. Dem Bericht gemäß hat Herzog August die Corvinen damals gekauft, als entweder Suleiman oder sogar die Kaiserlichen Buda belagert haben. Das Textdetail weist hervorragend jene herkömmlichen Wendungen auf, mit denen man allgemein über die in Europa zirkulierenden Corvinen zu schreiben pflegte.39 Auch Burckhard selbst nimmt diese Information mit Verblüffung auf und fügt ihr nur hinzu, dass August die Kodizes sicher nicht bei der Belagerung Budas durch die Kaiserlichen gekauft haben konnte (er dachte an die Befreiung Budas 1686), weil er damals bereits zwanzig Jahre tot war. Burckhard hat übrigens gerade diese Episode Gelegenheit geboten, seine eigene Meinung über den möglichen Weg der Wolfenbütteler Corvinen zu äußern, wonach die Wolfenbütteler Corvinengruppe keine „spolia“, d. h. Kriegsbeute, sondern „regalia munera“, d. h. königliches Geschenk waren, die entweder Wladislaus II. (1490–1516) oder Ludwig II. (1516–1526) direkt dem an ihrem Hof weilenden Georg von Brandenburg (1484–1543) verehrt hatten.40 Ohne dieses Textdetail weiter zu analysieren, ist ihm gut anzumerken, dass sich in ihm die Ereignisse von Jahrhunderten zusammendrängen, ferne Informationen, die man in Europa von den ungarischen Geschehnissen hatte, verbunden mit der Gestalt Herzog Augusts, der sein ganzes Leben hindurch Bücher sammelte.
Wahrscheinlich hat diese Hoflegende Schwartzkopf die Grundidee eingegeben, als er über die Provenienz der Corvinen schrieb. Er arbeitete sie aus und versuchte, sie mit Hilfe schriftlicher Quellen über die Corvinische Bibliothek glaubhaft zu machen. Auch die Besonderheit des Details über die Corvinen spiegelt die doppelte Absicht Schwartzkopfs: Während er in erster Linie eine Laudatio schreibt, will er doch nicht den Boden der Realität verlassen, da seine Beschreibung glaubwürdig sein soll. Infolgedessen werden wir Zeugen hierarchischer Verwendung von Texten in Schwartzkopfs Werk, in allen Fällen im Zeichen des Lobpreises. Den Text von Brassicanus verwendet der Autor in beiden Qualitäten – entsprechend seinem eigenen doppelten Ziel, scheinbar um seines Quellenwertes willen, in Wirklichkeit aber als Laudatio mit topischen Elementen. Und die neben Bonfini benutzte historische Quelle beschreibt scheinbar historische Wirklichkeit von der Einnahme Budas, stärkt aber tatsächlich einen Topos der Laudatio, sie dient dem Ausmalen der barbarischen Wirklichkeit, auf ihrem Hintergrund wird die Kontur des Conservator sapientiae umso schärfer. Sein Nachfolger, Conring, spürt all dies gewiss, erkennt in Schwartzkopfs Beschreibung die Laudatio, und es ist vielleicht auch nicht ausgeschlossen, dass eben dieses kleine Werk ihm den Einfall schenkt, dass auch er kein gelehrtes Traktat über die herzogliche Bibliothek verfasst, wie er urspünglich beabsichtigte,41 sondern eine Laudatio.42 Für die späteren Jahrhunderte geriet aber die wahre Qualität dieser Texte langsam in Vergessenheit. Die aufkommenden Fachwissenschaften wollten bloß die Information aus den Texten gewinnen. Bezeichnend ist beispielsweise, dass Justus Lipsius’ De bibliothecis syntagma Anfang des 19. Jahrhunderts aller panegyrischen Elemente beraubt herausgegeben wurde, als kleine bibliotheksgeschichtliche Arbeit.43 Vielleicht kann man gut nachempfinden, wie sehr die Behandlung dieser Texte als vollwertige Quelle und die Unkenntnis ihrer Intention bei der Rekonstruktion der Geschichte und des Bestandes der Corvinischen Bibliothek große Probleme bereitet haben, gerade durch das Außerachtlassen ihrer Gattungsspezifiken.
Zusammenfassend ist demnach zu sagen, dass die vermutlich aus der allerpersönlichsten Schicht der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Hunyadi stammenden Handschriften auch in Wolfenbüttel zum Bestandteil der Herrscher- und Hofrepräsentation wurden, zusammen mit der gesamten Bibliothek ihres Besitzers, Herzog Augusts. Die am Hof entstehenden Gelegenheitswerke meist lobpreisenden Tons „verwendeten“ sie dementsprechend, wobei sie die mit ihnen verbundene Wirklichkeit zuweilen den Gattungserfordernissen der Laudatio unterordneten. Johann Schwartzkopfs in eine Herrscherlaudatio eingebettete Bibliothekslaudatio fügt sich in die Reihe der von Naldo Naldi, Bartolomeo Fonzio, Johann Alexander Brassicanus vertretenen, gattungsmäßig ähnlichen Schöpfungen ein. Die relative Seltenheit der Gattung liegt darin, dass zu ihrer Entstehung spezielle Umstände erforderlich sind: ein bibliophiler, über eine außergewöhnliche Bibliothek verfügender, kulturliebender Herrscher,44 dessen Prudentia die Bibliothek zum Ausdruck bringen und symbolisieren kann.