IN dem sie von jhrer vnd deß gantzen Siciliens Wolfahrt Raht hiel-
ten/ vnd jhr fürnemstes Thun auff deß Archombrotus Tode zu be-
ruhen vermeineten/ kam Micipsa auff Hyanisben Befehl zum Poli-
archus/ mit Vermeldung/ der Königin Sohn were nun endlich mit
seiner Flotte an das Vfer deß Landes angelangt. So baldt er nach
Hoff würde kommen seyn/ solte er nicht vnterlassen der Gebühr
nach den Poliarchus zu begrüssen/ vnd jhme Ehr anzuthun. Zu-
gleich wardt durch das gantze königliche Hauß ein grosses Getüm-
mel vnd Frolocken. Ein theil deß Volcks machte den Vorhoff voll/
ein Theil lieff an den Hafen. Die Herrn kamen zur Königin/ vnd
begehrte ein jedweder dem Printzen entgegen geschickt zu werden.
Dann Archombrotus der ein Schifflein seine Ankunfft zuvermelden
voran gesendet/ folgte baldt hernach/ vnd war allbereit an dem Vfer.
Die Schiffe so jhn begleitet hatten worden Theils in den
[916] Port
zur rechten Handt deß Wassers gelegt/ die andern mit Segeln vnd
Rudern den Fluß hinauff getrieben. Die Soldaten/ welche der Mei-
nung gewesen/ sie würden zum Kriege geführet/ beklagten sich daß
jhnen niemand widerstünde. So bald Archombrotus am Vfer auß-
getretten/ bettete er die Götter deß Landes/ die Erdt vnd die Lufft
welche er bey seiner Geburt erstlich geschöpffet/ an. Hernach warff
er die Augen vmbher auff das Volck/ welches sich zu allen seitten
außgebreitet hatte/ vnd voll Frolockens vnd Glückwündschens war.
Er bezeigte hergegen mit freundlichem Gesichte/ vnd solcher Leut-
seligkeit die doch seinem Ansehen nichts benahme/ das Genügen so
er hierüber empfienge. Hernach kehrte er sich zu den Fürnehmsten/
ließ jhm die Handt küssen/ vnd erkandte seine alte Freunde; gab
auch einem jeden von den Hoffleuten/ die sich vmb jhn drängeten/
kurtzen Bescheidt/ vnd betheilete einerley Rede zum offtern vnter
viel. Er blieb lang auff einer Stelle/ wegen Menge deren die jhn zube-
grüssen kamen. Hernach fragte er den gantzen Weg durch die so am
nechsten vmb jhn waren/ von der Königin/ dem Zustande deß Vat-
terlands/ vnd deß Radirobanes Vnbilligkeit. Es wardt alles mit
we


nigenWorten erzehlet/ aber von vnterschiedenen vnd nicht auff
einerley Meinung. In diesem stimmeten sie alle vberein/ Africa sey
von der Gefahr erlöset; die Gallier hetten jhm Beystandt geleistet/
vnd Radirobanes were vmbkommen.


[917] Hyanisbe aber/ die es nicht ertragen kundte/ daß sich ande-
re mit jhres Sohnes Anschawung eher ergetzten als sie selber/ wie-
wol sie Mutter vnd Königin war/ legte sie doch die Majestät bey-
seit/ tratt auß jhrem Zimmer/ vnd vnter der Beschönung zu sehen
wie lustig das Volck vmb jhren Sohn were/ vnd was er (wie jhr
dann gesagt wardt) für stattliche Soldaten vnd Obristen mit sich
brächte/ gieng sie in den Vorhoff/ vnd von dannen biß an das för-
derste Thor deß Pallasts gegen der Statt zu. Archombrotus/ wie er
sie von ferrnen ersahe/ stieg er von dem Roß ab/ thet grössere vnd
muntere Schritte/ daß er biß auff die helffte deß Wegs kam. Wie er
nun erstlich die Mutter erreichte/ vnd jhr den Rock küssete/ fieng
sie an für Frewden zu weinen/ vnd kundte sich derer freundlichen
Geberden vnd Annehmens für dem Volck nicht enthalten/ die son-
sten in das geheime Zimmer gehört hetten. Darauff hielte sie jhn
bey der Hand/ vnd: Mein Sohn/ sagte sie/ ich lobe ewere trewe Na-
tur/ daß jhr mit solcher Bereitung ewere Mutter zu schützen kom-
men seydt. Auff daß jhr aber nicht allein bliebt/ dem ich mütterliche
Liebe zu erzeigen schuldig were/ hat ein König auß Galien gemacht/
durch dessen Sieg wir noch in gutem Zustandt sindt. Er hat ewer
Mauritanien für Vntergang behütet; er hat euch die Mutter erhal-
ten/ so anders nunmehr in Sardinien dienen müßte. Der Tyrann hat
Africa/ welches er jhm zu Vnglück angegriffen/ mit seinem eigenen
Blut begossen. Ich
[918] wil geschweigen/ daß wir diesem Könige
auch etwas grössers zu dancken haben/ welches weder jhm/ noch
einem andern/ mich außgenommen/ bewußt ist. Kompt mein Sohn/
vnd eylet nicht ehe vnsere LandesGötter zu ehren/ ehe jhr jhn be-
grüßt habt/ der noch jetzt an den Wunden kranck ligt/ die er ewere
Krone zuverfechten bekommen hat. Archombrotus wardt von emp-
findung solcher grossen Wolthaten gereget/ vnd fieng an den
Gallier König hertzlich zu lieben; mit Entschuldigung beynebenst/
daß er in Gefahr seiner Mutter vnd Vatterlands säumiger gewesen
were als Außländische Fürsten.

a

Man hatte schon zum Poliarchus hingeschickt/ sich anzugeben/
wann Gelegenheit were/ als gedächte jhn die Königin sampt jhrem
Sohn besuchen. Er ließ jhnen zur Antwort sagen/ wann er durch
die Kranckheit nicht verhindert würde/ so wolte er jhnen hierinnen
zuvor kommen. Sandte darneben zweene von seinen Herrn zu der
Königin vnd jhrem Sohn. Er war sehr begierig jhn zu sehen/ weil
er von den Mohren/ vnd auß der Mutter Bekändtniß selber verstan-
den hatte/ daß er der vollkommenesten Fürsten einer were. Man
nennete jhn aber Hyempsal/ welches sein rechter Name/ vnd im sel-
bigem Land hin vnd wider gebräuchlich war. Dann er hatte den
Namen Archombrotus heimlich angenommen/ damit er vnter dem
Schein einer vnbekandten vnd PrivatPerson seine Ankunfft in Si-
cilien bergen köndte. Vmb den Poliarchus waren die Gallier Herren
in
[919] stattlicher Bereitschafft. Arsidas stundt zu nechste/ vnd
enthielt jhn mit Gespräche. Als aber die Königin/ welche den Ar-
chombrotus bey der Handt hielte/ hinein kam/ erschrack sie plötz-
lich als vber einem Abenthewer. Dann so baldt Poliarchus den
Archombrotus ansahe/ vnd hergegen widerumb von jhm erkandt
wardt/ (O jhr Götter!) welch Sturmwind/ welcher Donnerschlag
fährt geschwinder/ als damals das Wüten/ die Entrüstung vnd begie-
rige Hitze deß Geblüts nach änderung der Gemüter auch die Ge-
sichte verwandelte? Sie stunden vnbewegt/ als ob sie die Medusa
angesehen hetten; stracks darauff beschaweten sie einander mit
grimmigen Augen/ die doch jhren Zorn noch nicht gäntzlich auß-
liessen/ von dem Haupt biß auff die Füsse. Sie verstarreten vnd kand-
ten sich vor Verwunderung fast selber nicht. Dann was mußte doch
dieses für ein Spiel der Götter seyn/ daß zween Todfeinde/ da keiner
dem andern nicht das Leben nehmen würde/ zusammen kommen
weren einander zu ehren? Solte Poliarchus seine Argenis vom Ar-
chombrotus wider fordern/ die er meinete entweder mit jhm ver-
heyrathet oder todt zuseyn? Solte er das Blut/ welches er für Hya-
nisben im Kampffe noch nicht vergossen/ nun mehr zu derselben
Elende mit deß Archombrotus Blut vermischen/ vnd jhr vnverschul-
deter weise beyden jhren Trost hinweg nemmen? Viel hefftiger aber
erzürnete sich Archombrotus
[920] vber das Glück vnd alle Götter/ b c



daß er dem ärgsten Feinde den er auff der Welt hette/ seines Lands
vnd seiner Mutter Wolfahrt solte zudancken haben. Er wardt
Schamroth wegen zusammenlauffung deß guten Willens vnd deß
Hasses. Dann im Fall er nicht wolte für den vndanckbarsten Men-
schen gescholten werden/ so kundte er sich keiner Feindseligkeit
gegen dem Poliarchus gebrauchen/ vnd vermochte auch/ woferrn es
jhm wol ergienge/ nicht zu leben. Die Wahnsinnigkeit nam gemach
alle beyde ein; vnd es stundt jhnen nichts in dem Weg als die
Schew für der Hyanisbe/ daß sie dem Rechte der Bewirthung nicht
Gewalt thaten/ vnd auch nur mit leeren Fäusten den Waffen die sie
nicht erst ergriffen hetten/ zuvor kamen. Arsidas/ wie er den Ar-
chombrotus ersehen/ hatte nicht weniger die Kräfften verlohren/
vnd: Gelanor/ sagte er zitternde/ es ist vmb vns geschehen. Wo nicht
sonderlich etwan ein Gott darzwischen kompt/ so wirdt dieser Tag
ohne Vbelthat vnd Blutvergiessen nicht hinauß lauffen. Ist dann
dieser der Königin Sohn gewesen? hat niemandt darvon gewußt?
kundte man der vnglückseligen Besuchung nicht zuvor kommen?
O wol ist Sicilien/ das den Vnfall welchen es gestifftet hat zum we-
nigsten nicht sehen wirdt!


Hyanisbe/ so vber der vnverhofften Ergrimmung jhres Sohns vnd
deß Frembden erschrocken war/ auch nicht wußte was sie geden-
cken solte/ sahe es für gut an/ ehe das Wüten außrisse/ das vbel zu-
sam-
[921]men gebrachte Paar von einander zutrennen; hernach
wolte sie dieser Kranckheit vnd den Mitteln darfür nachsinnen. Der-
halben; verzeihet mir Herr/ fieng sie erstlich zum Poliarchus an/
daß wir euch zu vngelegener Zeit auß der Ruhe gebracht haben.
Nemmet ewere Gesundheit in Acht/ ohn welche wir die vnserige für
diesem nicht gehabt hetten/ vnd auch jetzt nicht haben wolten. Wir
gehen die Götter zu bitten/ daß sie euch vnd vns diesen Tag glück-
selig seyn lassen. Hernach kehrte sie sich zum Sohne/ der noch jm-
merzu den Poliarchus anschawete/ vnd befahl jhm mit leiser
Stimme/ er solte mit jhr auß dem Zimmer gehen. Er folgte; Poliar-
chus aber sagte weiter nichts/ als daß er wündschte/ die Götter/ zu
denen die Königin gienge/ wolten jhr gnädig seyn. Hyanisbe aber
kam in keinen Tempel. Sie hatte grössern Kummer in jhrem Hert-
zen/ als daß jhr möglich gewesen der Andacht abzuwarten. Sonsten
auch machte dieser vnverhoffte Widerwillen der Fürsten erstlich
den königlichen Hoff/ hernach auch die Statt vnd alle Soldaten be-
stürtzt. Man fragte mit Forchten nach der Vrsach solches Hasses/



oder ertichtete jrgendt eine. Die Herren welche beym Poliarchus
gestanden waren/ entrüsteten sich so sehr als der König/ wiewol sie
nicht wußten warumb man den Archombrotus solte für Feindt
halten: Sie redten auch vnter sich nichts als von Waffen/ Schlach-
ten vnd Todtschlägen. Die Gemüter/ welche kurtz zuvor so einig
gewesen/ trenneten sich durch die gantze
[922] Statt; die Gallier/
die Mohren/ vnd die Sicilier so mit dem Archombrotus kommen wa-
ren. In dieser grossen Empörung war es vielen leichter vneinig zu
seyn/ als zu wissen welchem Theile man beyfallen solte. Dann ohn
die Gallier/ so alle bey jhrem Könige hielten/ war fast keiner der
nicht lange im Zweiffel stundt. Dann die Mohren rechneten es für
grosse Vnfreundligkeit/ wann sie wider den Poliarchus seyn solten/
den sie zuvor einen Schützer jhrer Freyheit genennet hetten. Es wa-
ren jhm auch viel Sicilier sehr günstig.


Die Königin/ welche mit so vielen Sorgen beladen war/ bemühete
sich den Auffruhr abzustellen/ vnd baldt jhren Sohn/ baldt den
Poliarchus zu begütigen. Vnd zwar zu dem Sohne/ wie sie allein
gewesen/ hat sie also geredt: Liebster Hyempsal/ ich verhoffte zu
ewerer Widerkunfft gleichsamb als zwischen zweyen Söhnen zu
triumphiren. Aber/ wie ich sehe/ so hat das Glück ein Wüten zu
meinem Verderben/ vnd/ wann wir nicht fürbawen/ zu hinrichtung
der Gallier vnd Mauritanier erweckt. Welch eine Erregung war es
doch? mit was für einem Aug habt jhr den Poliarchus angeschawet?
Ich Elende/ was hab ich fast für eine Vbelthat gesehen? Ich frage
aber nach den Vrsachen deß Hasses nicht/ noch wer am billichsten
gezürnet habe. Anjetzo vermahne ich euch nur bey den Göttern deß
Vatterlands/ oder/ wann jhr ja jhrer darumb nicht achtet/ weil sie
Poliarchus vns erhalten hat/ bey den
[923] Sicilischen Göttern die
jhr für ewerm Abreisen auß der Insel angebetet; ich bitte euch vmb
ewerer Argenis willen/ haltet den Zorn so lang an/ biß jhr gehört
habt was euch ewere Mutter sagen wil. Ich begehre auff dieses mal
nicht/ mein Sohn/ daß jhr den Haß fahren/ sondern nur/ daß jhr jhn
Anstandt haben lasset. Ich wil sorgen/ wie ich euch versöhnen mö-
ge. Wann jhr aber ja nicht wöllet/ so gedencket doch auff Raht/
durch was für Mittel jhr ohn verletzung ewers guten Namens das
Gedächtniß der Wolthaten/ welcher wegen wir diesem verbunden
sindt/ vnterdrucken könnet.

d

Fußnotenapparat

a Bereitung = Zurüstung (tanto
apparatu; en tel equipage)
b enthielt = unterhielt (colloque-
batur; l’entretenoit)
c außliessen = herausließen (nec-
dum tamen omnia impetui in-
dulgentibus; sans se laisser ...
aller à leur animosité)
d Anstandt = Aufschub („differri“)
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