ALs Archombrotus/ der nichts von dieser Comedie verstandt/ die so
jhm am nechsten waren fragte/ was diß zu bedeuten hette/ ruffte
jhn Meleander zu sich/ vnd erzehlete jhm vom Heraleon folgender
massen: Was in diesem Menschen am meisten zu verwundern ist/
Archombrotus/ ist diß/ daß jhm in anderen Sachen an Vernunfft
nichts mangelt. Er stehet seinem Haußwesen wol für/ weiß das
seine zu verrichten/ ist weder in Worten noch Geschäfften närrisch/
außgenommen wann man vom Poliarchus anfängt zu reden: Da jhn
dann seine Thorheit dermassen vberläufft/ gleichsam als er rasete:
spricht/ er heisse Poliarchus/ jhm gehöre die Ehre welche dessen
Nahmen gegeben wird/ vnd würde vnbillicher Weise einem andern
angethan. Es sind vber sechs Monat/ daß sein Gemühte von solcher

[Seite 85]


Einbildung verirret ist. Vielleicht hat er geglaubet/ die Fewer/ so
deß Poliarchus wegen auffgesteckt worden/ giengen auff jhn/ vnd
ist erschrocken außgerissen; Dessentwegen die Bawren/ die von
seiner Gestalt vnd Wahnsinnigkeit nicht gewust/ jhn an dessen
statt/ welchen er sich zu seyn gesaget/ vnver-
[127]schuldet vbel
gehalten haben. Aber ich bitte/ höret jhn doch/ kompt her/ Poliar-
chus/ saget mir/ warumb seyd jhr geflohen? Gnädigster König/ gab
er zur Antwort/ warumb habt jhr mich zu fliehen gezwungen? Es
ist niemand von denen die ich kenne vnd nicht kenne/ der mir nicht
gerathen hat mich zu bergen. Ich habe gegläubet/ daß ich vnter
diesem alten Kleyde welches ich angeleget am besten könne ver-
deckt bleiben. Wolten die Götter/ ich were die Zeit meines Lebens
Poliarchus nie gewesen.

Meleander wandte sich auff die andere Seite zu lachen/ ward aber
bald durch ein gehlinges Erbarmen vber die Natur der Menschen
beweget/ vnd bedachte/ wie dieselben/ vngerechnet das mancherley
Vnrecht deß Glückes vnd den Leib der zu so vieler Schwachheit zu
schwach ist/ an jhrem fürnemesten Theile dem Gemühte von man-
nigfaltigen Vbeln angegriffen würden. Deß Königes Artzt/ mit Nah-
men Philippus/ war anwesende. Dieser als er ein wenig gefraget
ward/ hub er an die Vnordnung deß Gehirnes mit prächtigen Worten
zu beschreiben/ welche zwar allezeit das Gemüte am höchsten nicht
berührete/ sondern nur ein Theil desselben mit der Thorheit er-
füllete/ wie dann an dem Heraleon zu spüren were. Es sind/ sagte
er/ in solchen Leuten weitläufftige Fächer deß Gehirnes/ die wegen
jhrer Zartheit gar bequeme sind die Eynbildung der Sachen/ welche
wir
[128] eine Fantasey nennen/ anzunehmen: dieselbe Fantasey/
wann sie in dem subtilen Wesen/ das ein Ding zu welchem es ge-
wendet wird seiner Leichte wegen ohne Mühe annimbt/ ein mal eyn-
gedrucket wird/ so kan man sie hernach darumb desto schwerlicher
außrotten/ weil sie dem der hiermit behafftet ist/ durch eine sonder-
bare Anmuhtigkeit gefallen/ vnd vber diß das Gemüte gleichsam an-
streichen/ welches andere Farben nicht annehmen kan/ als durch
gewaltige Gestalten vngleicher Sachen. Derentwegen trifft es sich
selten/ daß solche Gemühter in Ruhe sind/ weil sie allezeit wegen
der Vielfaltigkeit der Gedancken von denen sie angefallen werden
entweder vnmässig trawrig oder frölich sindt. Wann nun solche
Leute auff eine Begierde oder Zuschlagung deß Gemütes jhr Hertze
fürnemlich zu neygen/ an dieselbe dencken sie allezeit/ vnd
behal

[Seite 86]

ten
sie mit einem angenemen Fleisse für den Augen jhrer Sinnen;
es sey entweder Hoffart/ oder Begier reich zu werden/ oder vnge-
dultige Lust sich zu rechen/ vnd was die vnruhigen Begierden vns
sonsten eynzubilden pflegen. Wann nun Menschen von sich selbst
zu solchen Sachen geneygt sind/ so werden sie/ im Fall eine starcke
Gewalt sie anfället/ gar leichtlich verwirret/ daß sie zu letzte sich
das zu seyn schätzen was sie gerne seyn wollen/ vnd jhnen diese
Eynbildung in jhrem nunmehr gezahmeten vnd angewehneten Ge-
müte nicht mehr fürstellen als ein Ding das zu wünschen ist/ son-
dern als et-
[129]was das sie albereit haben vnd besitzen. Diese
grosse Gewaldt aber kompt entweder daher/ daß die Gewonheit sol-
ches zu glauben mehr wächset/ vnd täglich grösseren Nachdruck
vberkompt/ oder entspringet auß einem vnvorsehn Anfall/ der
hefftig vnd gehling vnter Augen kömpt/ vnd die schon angereitzeten
Gemüter gleichsam als mit einem Schwindel erfüllet. Aber/ möchtet
jhr zu mir sagen/ warumb werden diese krancke Gemüter von einem
solchen Vngewitter nicht gäntzlich verkehret? Das geschiehet jnen
mehrmals; bißweilen aber ist es nur an dem/ daß die blosse Be-
schawung desselben Dinges/ welches solchen Leuten zu hefftig im
Sinne gelegen/ jrret. Dann wie die Glieder so von sich selber schwach
sind/ zum offtern die schärffe der herabfliessenden Feuchtigkeitten
also an sich ziehen/ daß in den vbrigen gesunden Theilen nichts
böses mehr vbrig bleibet; So auch dieser Heraleon/ vnd andere die
seiner lustigen Blödigkeit gesellen geben/ nach dem das Laster
jhrer Sinnen auff einer Lust alleine beruhet/ dardurch sie etwas
vbriges begehren musten/ so sehen sie andere Sachen mit grösserer
Beständigkeit vnd fast ohn alle Bewegung an/ erkennen sie/ vnd le-
ben Menschlicher weise gemäß: daß sich viel verwundern/ daß ein
solche Vernunfft die Thorheit nicht verzehrt/ oder daß diese jene
nicht verdunckelt. Ihr köndtet auch diß sagen/ hub Meleander
darzu an/ daß kein Mensch von dieser Art der Narrheit befreyt
verblieben. Dann wer ist es/ der jhm in seinem Kopff
[130] nicht
etwas gefährlichers oder thörichters einbildet/ als daß er Poliarchus
sey? Einer sagt es sey kein Gott nicht/ der ander macht Götter auß
allem: jener meinet es sey nichts köstlichers als Wollust; vnd wi-
derumb einer helt darfür/ die Verbrechen bleiben von den Göttern
vngestraffet; kürtzlich/ jhrer seynd wenig die den Heraleon nicht
vbertreffen/ außgenommen daß jhre Thorheit heimlicher/ oder der
Meynung deß Pöfels bequemer ist: seynd aber darumb destomehr
[Seite 87]


zubeweinen/ daß sie jhrer Narrheit nicht loß werden wöllen/ dieser
aber nicht kan.

In dessen kniete Heraleon allezeit/ in Meinung der König were
vber jhn ergrimmet/ vnd berahtschlagte sich seines Vrtheils halben.
Etliche zeigten auch dem Könige/ wie ohne Vrsache der arme
Mensch zitterte vnd bebete/ vnd damit jhr Spiel destolänger wehren
möchte/ stellten sie sich eines Theils gleich als ob sie eine Fürbitt
thäten/ damit jhm die Straffe möchte erlassen werden; andere aber
schrien/ man müßte dem Rechte seinen Lauff lassen. Meleander
aber erschrack vber dem Gedächtnüß deß Poliarchus/ vnd machte
jhm Gewissen/ wann er durch diese vnbilliche Comedie desselben
Namen Schimpff anthun solte/ an dessen Todt er sich schuldig zu-
seyn vermeinete. Derentwegen befahl er/ man solte den Heraleon
frey vnd sicher gehen lassen/ mit Fürgeben/ es were durch diese Er-
getzung vnd Affenwerck Zeit genug verlohren worden. Vber diß
sagte man
[131] auch daß Lycogenes käme; darumb stundt er eine
weil in Gedancken/ mit was für Gesichte vnd Reden er jhn anneh-
men solte; biß er letztlich in sein Zimmer gieng/ vnd/ als er sich mit
der einen Hand auff den nechsten Stul gelehnet/ gegen der Argenis
mit fleisse sich in ein Gespräch einließ. Lycogenes war mit weni-
gen Leuten/ vnd/ zu bezeugung seiner Zuversicht/ vngerüstet in
Magella ankommen: nicht zwar daß er jhm so wol bewußt war/
sondern daß er wegen deß Königs Glimpffs/ vnd wegen derer die
vmb den König waren grosser Freundschafft willen genugsamb
trawete. Er hatt auch nur auff der Post dahin gelangen wöllen/ zu
vermeidung der vnbequemigkeit so eines grossen Geleits/ oder
dem damals vngelegenen Neyd zu entgehen. Etliche von deß Kö-
nigs fürnemmen Leuten/ vnd unter andern Timonides/ waren von
dem Meleander abgefertiget/ jhme gleichsamb auß eigener Beweg-
nüß entgegen zu gehen/ welche den trutzigen Menschen von dem
Thor deß Schlosses biß zu dem Königlichen Zimmer begleiteten.

Er tratt hinein mit einem hurtigen ansehen/ welches durch sein
sicheres Vertrawen gemehret ward. So bald er den Meleander sampt
der Argenis ersahe/ ließ er sich zur Erden nieder wie bräuchlich
ist: Hernachmals tratt er ein wenig näher/ vnd grüssete sie mit
widerholeter tieffer Ehrerbietung. Meleander gab jhm auch damahls
a b

[Seite 88]


noch kein Zeichen als ob er jhn empfienge/ vnd sahe nach der seiten
auff
[132] die Argenis gleichsamb als er mit jhr zureden hette. Als
aber Lycogenes sich noch etliche Schritt genähert/ sahe ihn der
König geschwind mit weiten Augen an/ vnd reichte jhm/ als er jhm
nach den Knien greiffen wolte/ die rechte Hand/ vnd sagt/ er were
jhm ein willkommener Gast/ nebenst andern Worten die man zu
bezeugung der Freundschafft nicht pflegt aussen zulassen. Lycoge-
nes gab zwischen demütiger pflichtschuldiger Rede sehr künst-
lich achtung/ daß er mit behaltung seines hohen Geistes bey dem
Könige sich nicht geringer macht/ vnd den partheyischen Gemü-
tern/ die in grosser Anzahl vorhanden waren/ hiermit anzeigte/
daß er auch nachmals Krieg erwecken kundte/ da es jhm gefiele.
Er entschuldigte sich mit wenig Worten; mit Einwendung/ daß er
auß Noth die Waffen zuergreiffen gezwungen/ vnd von seinen Fein-
den/ zu erhaltung deß Lebens/ were gereitzet worden. Ihn sonsten
belangend/ so hette er weder deß Verbündnusses/ noch deß freyen
Geleits erst erwarten wöllen/ wann er sich nicht eben derselbigen
seiner Feinde halben bey dem König versichern müssen. Meleander
antwortete/ man wolte nicht allein hinfort allen Haß/ sondern auch
das Gedächtnüß desselbigen beyseite legen; vnd auff künfftigen Tag
solten die Götter in der Pallas Tempel solcher jhrer Versöhnung
Zeugen seyn. Hiernach fiengen sie von vnterschiedenen Sachen an
zu reden/ vnd befliessen sich beyde mit gewöhnlicher Hoffelist eine
sonderliche Frewd vnd Liebe fürzugeben.


[133] Eurimedes hatte auff Meleanders Befehl den Lycogenes
vnd seine fürnembste Leute zum Mittagmahl gebetten/ nebenst et-
lichen andern seinen auffrichtigen Freunden/ vnter denen auch
Dunalbius war/ welcher/ wiewol er ein Außländer/ doch keinem in
Sicilien an Lieb vnd Trew gegen dem König bevor gab. Er war der
obriste im Dienste der Götter/ auß denen Priestern die in Schar-
lach gehen/ vnd dieses Ansehen hatte er mit grossem Reichthumb
seines Gemüts gezieret. Ein fürsichtiger Herr/ vnd der aller hohen
Geschäffte fähig war; wußte wol Freundschafft zumachen/ vnd die-
selbe ehrlich zuhalten/ gieng auch mit auffrichtigen Leuten offen-
barlich vnd ohne Betrug vmb. Vnter solcher glückseligkeit der Na-
tur leuchtete seine Geschickligkeit im studieren/ vnd die gemein-
schafft aller Musen für/ von welchen die Tugenden so zu Verrich-
tungen vnd Geschäfften jhm eingepflantzet waren/ keine außschlos-
sen. Welches jhm aber thewer ankommen/ in dem das Gluck seiner

[Seite 89]


Gewonheit nach in dem stattlichen Manne die Liebe der Tugent
vnnd Fleiß im studieren zum offtern gerochen. Dann er hatt für
diesem einen Vettern gehabt den König der opfferung; welcher/ als
man verhoffet daß er die seinigen nach Verdienst erheben solte/ so
geschwinde durch ein Feber hingerissen ist worden/ das die Fewer
der Frewden bey seiner Erwehlung die Fackeln seines Begrebnüsses
noch schawen können. Alß dieser nun solcher Hoffnung beraubet/
vnd mit newer Gefahr Gesandtens weise
[134] in die Frembde ver-
schicket worden/ hat es wenig gemangelt/ daß jhn das Vnglück der
Zeit nicht hingeraffet/ weil selbige Nation mit so vnvorsehenem
Auffstande entbrandt ist/ daß es in einem dergleichen wütendem Vn-
gewitter schwer gewesen entweder den Getrannten gefallen/ oder
bey Gewaffneten vnd die mit jhren Sachen zu thun hatten sich Ra-
thes zu erholen/ welchen sie selbest ergrieffen hetten/ da sie klug
gewesen. Er ist aber behertzt dem Porte zugeschiffet. Damals aber
war er gleich zu gutem Gluck in Sicilien wie dieses gehandelt wardt/
vnd kam dem Könige seines trewen Rathes vnd Freundschafft hal-
ben/ wol zu nutze. Einer seiner besten Freunde war Nicopompus/
welchen Eurimedes ingleichen zu diesem Gastegebote erbetten.


Fußnotenapparat

a Glimpff] Siehe die Anm. auf
S. 97; hier gibt das Wort

ingenium; naturel du Roy
wieder.
b widerholeter] Aus Dkf widerer-
holeter nach B verbessert
XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000257/Band_III/Band_III_1/Buch_1/III_1_76_1_XVII.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000257/skripte/tei-transcript.xsl