IN dem Meleander diesen Rahtschlägen in geheim oblag/ gedachte
Radirobanes auff allerley Fünde wegen der Argenis. Als er aber
nach verehrung deß Geschencks mit Selenissen bekandter worden/
begehrte er embsig sich mit jhr zu vnterreden; wie er dann densel-
bigen Tag durch gutes Glück Fug vnd Gelegenheit darzu erlangte.
Er hatte zur Argenis geschickt/ vnd sich befragen lassen ob es jhr
gefiele/ so wolte er sie ersuchen. Die Argenis gieng im Garten spat-
zieren sampt etlichen wenigen jhrer Jungfrawen. Selenisse aber
war/ ich weiß nicht welcher Schreiben halben/ in jhrem Zimmer
blieben. Weil sie nun Gelegenheit ersahe mit dem so freygebigen
Radirobanes zu reden/ (dann sie wündschete jhr sich danckbar zu-
erzeigen) ließ sie dem Radirobanes anmelden/ Argenis würde sei-
ner gar wol abwarten/ vnd/ wann er sich nur einstellete/ alsbaldt
auß dem Garten zurück kommen. Bald drauff dup-
[462]pelte sie
jhren Betrug/ vnd sendete eine von jhren getrewen Dienerinnen zu
der Argenis/ mit ankündigung/ daß Radirobanes sie besuchen wür-
de. Wann jhr nun mit jhm Sprache zuhalten nicht gefiele/ so solte
sie eilendts auß dem Garten auff das nechste Gepüsche zugehen/
vnd also seine Vngestümigkeit mit jhrem abwesen vermeiden.
Gleich damals empfieng sie auch den Radirobanes/ der zur Thür
hienein kam/ mit Entschüldigung daß die Princessin nicht zugegen
were/ vnd gab für/ sie würde baldt zurück kommen. Als sie nun
mit jhm im geheim reden kundte/ weil seine Leute etwas beyseit ge-
tretten waren: Ich bin sehr fro/ sagte sie/ daß ich Fug vnd Stelle
habe mich vber ewerer Majestet Freygebigkeit zu beklagen. Ihr
habt mich dem Gesichte ewerer hochgeehrten Mutter viel reicher
a b c d

[Seite 281]


nahe kommen lassen/ als die Natur selber. Der König fieng an; Glau-
bet daß dieses ein schlechtes sey/ vnd nur ein Pfandt/ eines grösse-
ren Glückes. Damit ich euch aber das was euch vnd was mich ange-
het/ nicht berge/ so wisset daß ich was mehres von euch bekommen/
als euch geben kan. Ihr seid mein Liecht/ vnd ich halte euch für
meine Mutter; jhr könnet mir etwas zuwege bringen welches ich
höher halte als mein Leben. Ich begehre auch ewerer Hülffe nicht
als nur in dem/ was jhr euch/ vnd der/ die jhr erzogen habet/ ver-
meinet ersprößlich zuseyn. Dann warumb liebet sie doch den Ar-
chombrotus? Welch ein Spott ist es doch Sicilien/ daß ein vnbekan-
ter vnd Priuatperson jhm solche hohe Rech-
[463]nung darff ma-
chen? Ich glaube gewiß/ es sey eine Zauberey darhinter; vnd ich
schwere euch/ wann ich der Princessin Bruder oder Vatter were/ so
wolte ich die Warheit mit Marter auß jhr erzwingen/ vnd durch seine
Hinrichtung oder Verjagung/ die Argenis jhrer Vergebenen Sorgen
entledigen. Last euch von mir Mutter nennen. Weil jhr nun auch
der Argenis Mutter seydt/ so rhatet dem Vbel ewerer Tochter/ daß
sie auff bessere Gedancken komme/ vnd seidt Vrsach meines
Glückes/ das ist/ verschaffet daß sie mir vergönne sie zulieben.
Was hat jhr an meinem Geschlechte/ oder an dem was ich besitze
nicht gefallen? Ich habe ja gemacht/ daß jhr nicht kan vnwissendt
seyn/ wie hoch sich die Kräfften Sardiniens vnd Corsicas erstrecken.
So bin ich ja auch so vngehewer nicht/ daß ich der Kron/ welche ich
trage/ nicht würdig sey. Verhoffet sie einen von den Göttern zube-
kommen/ oder vermeinet sie etwas Göttliches im Archombrotus zu-
seyn/ weil sie Könige dermassen verachtet? Im vbrigen so begehre
ich nicht daß jhr ohn Vergeltung mir vnd jhr sollet gutes erweisen.
Werde ich in die Freundtschafft gerhaten die ich begehre/ so sage
ich euch für eweren Sohn die Verwaltung deß Sardinischen vnd Si-
cilischen Meeres zu/ welches die nechste Ehre nach dem Könige ist.
Begehret jhr auch noch mehr/ so wil ich erweisen/ daß ich euch an
statt meiner leiblichen Mutter liebe.

Die Alte/ so wegen deß empfangenen Geschenckes [464] ohne das
wanckte/ wardt durch antragung einer so grossen Hoffnung vol-
lends eingenommen/ daß sie gleich als verblendet/ weiter nichts als
den Radirobanes sahe/ vnd gleichwol anfieng: Ich wolte daß ich nie-
mals etwas von euch gehört hette. Ins künfftig werde ich zu ewern
Diensten nicht mehr so willig seyn. Dann ich beförchte mich/ daß es
nicht ein Ansehen gewinnen möge/ als ob ich das jenige/ welches

[Seite 282]


ich der Argenis vnd ewernthalben zu thun gefliessen war/ in Anse-
hung der Geschencke/ vnd mit verächtlicher Bemühung fortzustel-
len gemeint were. Aber der Argenis Wunde ist tieffer als jhr ver-
meinet. Was wöllet jhr mir vom Archombrotus sagen/ Herr. Ihr
jrret/ Warlich jhr jrret. Mit diesen Worten vnd vntersich geschlage-
nem Gesichte warff sie die Augen auff/ vnd fieng etwas an zulachen.
Radirobanes war begierig nachzuforschen/ vnd drang sie fast als
es 〈so〉 seyn müßte. Aber Selenisse sagte jhm in so kurtzer Zeit alle
Beschaffenheit zu erzehlen köndte nicht seyn. Es ist auch nicht
möglich/ sagte sie/ nur den Anfang zu offenbahren/ daß nicht jhr
vnd ich zum offtern das Angesicht darüber verwandeln solten; Vnd
allhie haben ewre Herren jhre Augen stets in den vnserigen. Es ist
besser daß wir in den Garten gehen/ als ob wir der Argenis ent-
gegen spatzierten. Ich wil euch durch Vmbgänge an örter führen/
wo ich vermeine daß sie nicht anzutreffen sey. Radirobanes ward
bestürtzt vber erwartung so einer wichtigen Sache/ welche jhm
diese Fraw erzehlen wolte/
[465] nam sie bey der Handt vnd bate/
wie sie dann gerne thete/ jhn in den Garten zubegleiten/ mit Für-
wendung bey seinen Leuten/ als ob er zur Argenis gienge. Nach-
dem sie aber in einen entlegenen Orth deß Gartens/ welcher der
Argenis kaum bekandt war/ kamen: Es bedunckt mich so/ fieng
Selenisse an/ oder wir werden die Princessin baldt hie haben: dann
sie pflegt im zurück spatzieren diesen Weg gemeiniglich zu suchen.
Derhalben hieß Radirobanes seine Leute dahin tretten/ er aber gieng
mit der Alten auff eine Strasse die gantz mit Bäumen bedecket war.

Da fieng Selenisse etwas schwerlicher an zu reden/ gleich ob sie
in jhrem Gemüthe wider sich selber stritte/ vnd alle Wort erst su-
chen müßte: es mag entweder seyn/ daß sie betrachtete/ wie es nun-
mehr an dem were/ daß sie jhre Trew vnd Glauben brechen solte/
e f g

[Seite 283]


oder daß sie solche Furchte darumb tichtete/ damit jhr Radirobanes
wegen solcher grossen Verrätherey destomehr Vrsach zu dancken
hette. Vnd als er sich verwunderte/ Wie sol ich nit bleich werden/
sagte sie/ angesehen daß ich heute zum ersten lerne reden was Ar-
genis nicht will? Aber es ist von nöthen/ daß ich jhr auch wider jh-
ren Willen helffe: Zu welchem Vbel dann jhr der einige Esculapius
seyd. Schawet aber zu/ daß es nicht zu meinem Vntergang gereiche/
daß ich mit dieser geheimen Offenbahrung euch vnd jhr zu dienen
gemeinet bin. Als sie ein wenig stille geschwiegen/ fieng sie also an:
Die
[466] Götter wöllen euch männliche Erben verleihen/ damit
Sardinien dem Vbel nicht möge vnterworffen seyn/ welches Sici-
lien betroffen hat. Dann Lycogenes hette das Vngewitter/ welches
durch euch erst ist gestillet worden/ nicht erreget/ wann nicht Mele-
ander nur eine Tochter gehabt hette. Lasset es euch nicht frembde
fürkommen/ daß ich die Sache so hoch anfange. Ich muß von diesem
anfangen den Verlauff zu erzehlen/ welchen jhr hören wöllet. Lyco-
genes ließ sich das Ansehen seines Adels vnd deß Königes Gelindig-
keit so sehr einnemen/ daß er jhm fürsatzte die Argenis zu heyrah-
ten. Als Meleander mit einem seiner Vnterthanen/ vnd der jhm
nicht gemesse were/ solche Freundtschafft zu treffen nicht eingehen
wolte/ verließ er sich auff seinen Anhang vnd fürnemes Herkom-
men/ vnd gedachte sie heimlich mit Gewalt weg zunemen. Dieses
kam dem Könige zu Ohren. Aber Sicilien war in solchem Zustande/
oder/ daß ich recht sage/ es war in dem Könige/ bey seinem furcht-
samen Alter eine dergleichen Säumung/ daß er lieber seine Tochter
für der Entführung/ versichern/ als den Räuber mit Gewalt vnter-
drücken wolte. Es lieget ein Schloß auff einem kleinen Hügel vier
Meilen von Syracuse/ sehr feste/ vnd ein Sitz der alten Könige. Der
Felß ist gantz abschiessig gegen der See zu/ wie dann die Wellen
allzeit an die lincke Seiten schlagen. Die rechte Hand wird mit dem
schnellen Strome deß Flusses Alabus vmbringet. Wegen der Maw-

[467]ren vnd Thürne war es sehr wol verwaret. Daselbst beschloß
der König seine Argenis sampt noch zwantzigen jres Frawenzim-
mers/ vnd wolte seinen Anschlag mit dem Scheine einer Religion
bedecken. Er sagte/ wie jhm allzeit im Traum fürkäme/ als ob ein
grosses Vbel bevor stünde/ wann Argenis nicht auß den Augen der
Menschen entwiche. Eben auff dieses zeigeten auch die Gestirne vnd
Orackel. Wer wolt aber zur selbigen Zeit so Alber seyn/ der nicht
gewust hette/ wannher solcher grosse Aberglauben entspringe?
[Seite 284]


Zwar mir/ als durch welche die Argenis von Kindheit an erzogen/
befahl der König auch damals Auffacht zuhaben. Es ward offent-
lich angeschlagen/ welche Mannsperson ausserhalb den König
eines Fuß breit in das Schloß schreitten würde/ solte in die Acht er-
klärt seyn. Wann aber eine von vnserm Frawenzimmer sich ohn
meinen Befehl auß dem Schlosse hinweg machte/ die solte auff ein
Schiff gesetzet/ vnd ohn alle Speise vnd Stewerruder auß dem Hafen
fortgetrieben werden. Mir allein/ welcher man trawete/ ward er-
laubt/ daß ich die Idustage eines jeglichen Monats möchte außge-
hen/ dann ich muste wegen heiliger sachen meinen Leuten Anord-
nung thun. Vmb das Schloß wurden Soldaten eingelegt/ drey tau-
send an der Zahl/ welche nach der Ordnung Wache hielten.

Gleubet mir/ Herr/ diese Einsamkeit war nicht so gar vnange-
nehm/ sonderlich zu erst/ als vnsere Gemüter von dem Tumulte
der Städte sicherlich außruheten. Argenis vertrieb die Zeit jhrem
einfältigen
[468] Alter nach mit Kurtzweil/ mit welchen sie die
jenigen Jungfrawen vnterhielten/ welche neben jhr erzogen wor-
den; so daß ich mich offtmals verwunderte/ wie ein freyes Gemüte
so glückselig were/ vnd mich vber die Boßheit der Zeit beklagte/ daß
die Erbin Siciliens in so einem engen Platz kaum sicher wohnete.
Aber ich wil es kurtz machen. Nein/ meine Mutter/ sagte Radiro-
banes/ dann ob ich wol noch nit verstehe/ wie dieses sich zu meinem
Fürhaben schicke/ jedoch hab ich Lust deß Meleanders Anschlag/
wie auch der Argenis Sitten vnd Glück zuvernehmen. Da redte Sele-
nisse weiter: Wir hatten die Stunden also abgetheilet/ daß nicht Ar-
genis durch einen Vberdruß jhrer Gefängnüß jnnen würde. Sie
gieng nicht vbrig geschmückt herein/ sondern liebte den Ort der
auff dem Schloß sehr lustig war. Daselbst vbete sie sich mit einem
leichten Bogen/ vnd forderte jhre Jungfrawen auß/ welcher Pfeile
am weitesten kommen/ vnd am geradesten an den Zweck treffen
würden. Auff den Sieg erfolgte ein Lachen vnd Frolocken. Es wa-
ren auch Belohnungen für die/ so am besten lauffen kundten. Biß-
weilen mengten sie sich alle durcheinander/ vnd beflissen sich/
welche am zierlichsten reden würde. Ich war wol zufrieden/ daß
meine Tochter zu dergleichen Zeitvertreibungen Lust hatte/ weil sie
dadurch stärckere Kräfften bekam/ vnd die gegenwärtigen Dinge
ohn allen Schmertzen deß Gemütes ließ fürüber gehen. Auff dieses
geriethe sie vber die alten Thaten jhrer Vorfahren/ vnd ich hab sie
nie-
[469]mals begieriger gesehen/ als wann man jhr Historische

[Seite 285]


Bücher zu lesen gab. Den vbrigen Theil deß Tags brachte sie mit
künstlicher Arbeit zu/ wiewol sie auch damals allerley Fabeln zu
erzehlen oder anzuhören begierig war.


Fußnotenapparat

a Fünde] Übersetzt machinas, ar-
tifices; also Kunstgriff, Listen
b Die] Aus Dkf Sie
c beklagen] leichtironischgemeint:
= abzumahnen, vorzuwerfen
(objurgandi; blasmer)
d viel reicher] Opitz folgt der frz.
Vorlage genau:
beaucoup plus
richement; die lat. hat nimio
preciosius.
e Mit ... vntersich geschlagenem
Gesichte ...] Mit niedergeschla-
genem Gesicht erhob sie flüch-
tig lächelnd den Blick. (vultu-
que demisso oculos tollens bre-
viter risit; la face baissée et
leuant les yeux elle sousrit.)
f drang ... müßte.] Die Vorlagen
gehen parallel:
pressa comme
vne mercenaire = drang in sie,
als gebe seine Entlohnung ihm
ein Recht dazu. Opitz wich davon
ab. Das
〈so〉 ist Konjektur des
Hrgs.
g Es bedunckt mich so = Es
kommt mir so vor. Darauf sollte
als ob folgen, doch klang in Opitz
das
Fallor ... aut (Je me trompe
... ou) der Vorlagen nach, und er
setzte
oder.
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