IN dem Selenisse solches erzehlete/ vermochte Radirobanes sein
Gemüte nicht zu regieren/ so begierig war er den Außgang solchen
wunderbarlichen Kampffes zuhören. Aber Argenis war auff dieses-
mal dem Radirobanes zum ersten verdrüßlich/ vnd verhinderte jhre
a

[Seite 299]


Vnterredung. Sie kam ohn gefehr auff demselbigen Wege durch den
Garten zurücke/ wiewol sie sonsten dahin selten zugehen pflag. So
bald sie jhrer gewar worden/ durfften Radirobanes vnd Selenissa
weiter nichts reden/ als daß sie folgenden Tag ein wenig nach Auff-
gange der Sonnen/ eben an diesem Orte/ gleichsam als
[493] spat-
zieren gehens wegen wolten zusammen kommen. Argenis war
nicht zufrieden/ daß sie den Radirobanes sehen solte: dann sie eilete
mit Selenissen allein Gespreche zuhalten/ vnd war viel lustiger als
wie sie aus jhrem Zimmer gegangen war. Nachdem er jhr aber ent-
gegen kam/ wardt er doch freundtlich empfangen; weil sie jhn an-
derer jhrer Frewden halben lieblicher als sonsten ansahe. Damit sie
auch die heimliche Lust/ welche jhr Hertze gantz eingenommen
hatte/ destobesser verdecken möchte/ brachte sie nur allerley ge-
meine Sachen für. Radirobanes/ als er die Argenis biß zu jhrem
Zimmer begleitet hatte/ nam er wegen herzu nahender Nacht ab-
schiedt von jhr/ vnd gieng zum Meleander. Da fieng Argenis zur
Selenissen an; Ich hette euch/ meine Mutter/ lengst gar allein
wöllen haben/ vnd glaube daß euch dieser verliebte auch sehr be-
schwerlich ist gewesen: aber was machte er so lange mit euch?
Hierauff redte Selenisse alles gutes von jhm/ vnd anders als Arge-
nis verhoffet hette. Es were jhr nemlich seine Leutseligkeit nicht
bewust gewesen/ vnd daß er so freundlich sich erzeigen köndte.
Seine Reden weren jhr so anmütig fürkommen/ daß der Tag vn-
vorsehens drüber vergangen were; außgenommen daß er der
schmertzen/ so er Liebe wegen ertrüge/ zum offtern erwehnet
habe. Argenis ließ jhr solches jhres Wiedersachers Lob nicht ge-
fallen; damit sie aber mehr erforschen möchte; Was wil er dann
thun? fieng sie an: oder wann wil er nach Hause verreisen? Hoffet
die-
[494]ses nicht; sagte die Alte. Er wirdt ohne Zwang der Waffen
nicht fort segeln. Dann er liebet euch hefftig; vnd diese Wahnsinnig-
keit kan ohn ein grosses Vbel nicht abgehen. Wolten die Götter/ daß
zum wenigsten Poliarchus allhie were/ vnd wir durch seine Macht
geschützet würden! Ich besorge mich aber warlich deß Lasters der
Vndanckbarkeit/ im Fall wir den jenigen bestreitten sollen/ der vns
mit seiner Rettung erhalten hat. Wie wann wir dem rasenden eine
leichte Hoffnung machten? Vielleicht können wir mit vergebenen
Auffzügen zuwege bringen/ daß er/ in Hoffnung als man jhn zu
b c
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rechter Zeit beruffen wolte/ sich widerumb in Sardinien wende.
Dieses sage ich nicht seinetwegen/ sondern deß Königes vnd ewernt-
halben. Es wirdt euch wehe thun/ daß die Flamme ewerer Heyrath
das Königreich auff ein newes entzünden solle/ welches von der
Glut deß Bürgerlichen Krieges noch jetzundt rauchet.

Argenis kundte wegen jres scharffsinnigen Kopffes/ oder auß an-
trieb der Liebe wol abnemmen/ daß Selenisse müste verändert seyn.
Doch ließ sie jhre Verweisung biß auff andere Zeit nachbleiben/ vnd
lehnete diese Erwehnung von deß Radirobanes Liebe gar gelind ab;
weil sie etwas grössers für sich hatte/ dardurch sie die listige Alte
mit einem andern Betrug zu stürtzen vermeinete. Als sie derwegen
ein wenig geschwiegen hatte/ Es ist mir selber leydt/ Selenisse/ hub
sie an/ daß dieser König/ der sich wol vmb
[495] vns verdienet hat/
auff solche Hoffnung gerahten ist/ darinnen jhm kein Vergnügen
von vns geschehen kan. Aber wir wöllen ein andermal hiervon re-
den. Selenisse ward fro/ als ob die Götter jhrer List geholffen het-
ten/ vnd ließ die Princessin allein; welche sich bald an das Fenster
legte/ vnd sich mit gestewertem Kinne auff die Hand ergrimmete/
daß sie der jenigen nicht trawen dürffte/ welcher jhr gantzes Ge-
heimniß bekandt were. Dann wem solte sie künfftig jhren Kummer
offenbahren? wen solte sie jhren Schmertzen vnd Frewden theil-
hafftig machen? Endtlich hielte sie sich gleichsam lachende an/
vnd bedachte/ daß vns die Götter niemals ohne eine Vermischung
günstig oder gehässig seyn. Diesen Tag aber hette sie Glücks genug
gehabt. Es were nur vonnöhten/ im Fall jhr etwas wiederwertiges
auffstiesse/ daß sie es hernach auch ertrüge. Sie wolte eben dieses
für eine Gunst der Götter rechnen/ daß sie der Selenissen jhrem an-
deren Gebrauche nach nicht bald hette geoffenbahret/ was sich be-
geben hette/ vnd noch zutragen würde. Es war aber dieses: Als sie
im Walde spatzieren gegangen/ hatte jhr Arsidas angekündiget/
Poliarchus were in der Stadt in deß Nicopompus Hause verborgen/
vnd hetten sie es mit einander abgeredet/ daß man jhn bey Nacht
durch das Hinterthor zu dem königlichen Schlosse führen solte.
Eben diese Frewde/ welche sie allein nicht gar fassen kundte/ wolte
die Princessin der Selenissen
[496] erzehlen/ vnd eilete darumb
nach Hause. Sie erschrack aber zu anfange jhres Gespreches/ daß
sich die Alte auff deß Radirobanes Seite bewegen lassen/ vnd
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[Seite 301]


schwiege von der Ankunfft deß Poliarchus stille. Welche die reit-
zung der jugendt wiederumb/ sich einer newen Gefahr zu vnter-
fangen/ geleitet hatte.

Dann als Gelanor widerumb in Africa kommen/ vnd den Poliar-
chus jhrer Abrede nach zu Clupea nicht gefunden hat/ ist er auff den
Königlichen Hoff der Hianisben zugereiset/ da er noch am Feber
kranck gelegen. Vbergab er jhm also der Argenis Schreiben/ vnd
sagte/ was jhr von jhm anbefohlen worden/ mit Erzehlung in was
für Vngewißheit Sicilien/ vnd in was für Gefahr die Princessin vn-
ter dem fast gewissen Siege deß Lycogenes stünde. Er ließ nichts
aussen/ als was jhm Argenis zu offenbahren verbotten hatte; wie
nemlich Meleander jhm abgünstig were. Den Archombrotus be-
treffendt schwiege er gantz nicht. Ich weiß nicht/ sagte er/ wie doch
Archombrotus jhm so viel zu Sinnen zeucht; er fraget nach vns
sehr wenig. Gelanor bildete jhm nichts anders ein/ als daß er die
Freundtschafft in Vergessenheit gestellet hette; aber es ist nichts
nachdencklichers als der Argwohn der Liebe. Poliarchus muth-
massete stracks/ Archombrotus were von der Argenis Schönheit ge-
fangen/ vnd hierdurch wieder jhn mit einem Eyfer erreget worden.
Dann/ sprach er/ wer weiß durch was für Mittel er erfahren hat/
daß ich die Argenis gleichsfals liebe? Gelanor/ wir
[497] richten
nichts/ wann wir vns nicht alsbaldt in Sicilien machen. Gleichsamb
als eines andern stärcke mir in dem Kriegswesen an jenem Ort die
Argenis erhalten solle/ weil ich in diesem hier müssig sitze: oder
als ich könne zulassen/ daß sie jhre Befreyung einem andern müsse
zudancken haben. Dem Gelanor kam solcher seines Herren An-
schlag schmertzlich für. Dann er förchtete den Meleander/ welcher
jhm gehässig war/ vnd Argenis hatte jhm die Freyheit benommen
jhn zu warnen. Endlich erhielt er seine Trew gegen allen beyden
auff solche weise/ daß er zwar von deß Meleanders Vnwillen nichts
meldete/ nichts destoweniger aber Erinnerung thete/ es were dem
Poliarchus nicht zurathen/ daß er ohne Vrsach sich vnter so viel
Feinde/ bey solcher Freyheit deß Krieges wagen solte. Es were
besser/ daß er nach Hauß schiffete/ von da auß mit Heereskrafft
nach Sicilien segelte/ vnd zu erkennen gebe wer er were. Ich wil es
thun/ gab Poliarchus zur Antwort: Aber jhr wisset/ daß vns der
Weg nach Hause fast an dem Sicilischen Strande fürüber trägt.
e f

[Seite 302]


Soll ich ohne Begrüssung der Argenis an jhrem Lande fürbey fah-
ren? Sie würde sagen/ es gerewete mich die vorige Gefahr/ wann
ich mich nicht einer newen vnterfienge. Wann ich nur an den Port
gelange/ glaubet mir/ ich wil schon etwas erfinden/ damit ich sicher
zu jhr kommen könne. Ich wil lieber deß Tods erwarten/ sagte
Gelanor/ als daß ich euch noch ein mal in solcher Gefahr sehen
solle; jhr saget mir dann
[498] zu/ daß jhr euch/ wann jhr Sicilien
erreichet/ keinem als dem Arsidas vertrawen wöllet/ ehe jhr euch
zur Argenis machet. Hernach möget jhr thun/ was euch in mitte-
lung deß Rhates gut zuseyn bedüncken wirdt.

Poliarchus verschmähete die Fürsorge seines getrewen Dieners
nicht/ vnd nam die Bedingung an. Aber sein Leib/ der mit einem
Hefftigen viertäglichen Feber abgemattet wardt/ hielt die Begier deß
Gemütes wieder; welche Kranckheit durch den newen Fürsatz vnd
Bangigkeit also gestärcket wardt/ daß jhn die folgende Nacht/ so
jhn zwar mit einem gelinden Froste ankam/ hergegen mit viel grös-
serer Hitze als zuvor beschwerete. Gelanor ließ jhm diese Vnpaßlig-
keit nicht sehr zuwider seyn/ weil sie jhn von gewisserer Gefahr ab-
hielte. Poliarchus aber kundte die ärtzte nicht vertragen/ welche
jhm rhieten/ daß er dem Feber die stärcke durch stetes Fasten be-
nemen/ vnd es also vertreiben solte. Er hatte gehöret/ daß etliche
diesem Wesen mit einem starcken Truncke Weines abgeholffen
hatten/ vnd nam jhm für eben dieses Mittel zuversuchen. Es ist kein
Wunder/ sagte er/ wann ich nach gutbedüncken der ärtzte alle
Lebens Krafft durch Außhungerung verliere vnd sterbe/ daß sich
als dann auch das Feber verlieren werde. Ich wil lieber mit jhm
daran gehen/ weil ich noch die Stärcke habe/ vnd mich nach mei-
nem Kopffe gesundt machen. Es ist zwar vngewiß/ ob dieses zu
meinem Leben oder Tode dienen wirdt: aber es ist ge-
[499]nug/
daß ich also auff das jenige/ was mir von der vnwandelbahren Vor-
sehung verordnet ist/ nicht lange werde warten dürffen. Dann mei-
ne Sache verhelt sich nur also/ daß es mir schmertzlicher ist kranck
zuseyn/ als zusterben. Gelanor/ der sich vor dieser Gefahr entsatzte/
vermochte sein Gemüte weder mit bitten noch weinen zugewinnen;
was er jhm auch von der Argenis/ von seiner Mutter vnnd Freun-
den sagte. Die Königin Hianisbe kundte selber bey jhm nichts er-
halten. Derhalben als das Feber nach dreyen Tagen wider kam/ ließ
g

[Seite 303]


er sich in wehrendem Froste zum Fewer setzen/ vnd tranck von
einem guten alten Weine/ welcher seine Hitze durch alle Glieder/ so
nüchtern vnd deß Weines nicht gewohnet waren/ außbreitete. Die
ärtzte mochten bey einer solchen Person nicht stehen/ die (wie sie
sagten) sich selbst vmb den Hals brächte. Poliarchus aber lachte/
vnnd gab zur Antwort/ wann sie schon hinweg giengen/ so würde
doch der Artzt Bacchus (wie jhn der Pytische Warsagergeist offt-
mals nennet) wol bey jhm bleiben. Also stritte er wieder die Härtig-
keit deß Febers mit der Stärcke deß Weines/ biß jhm nach erwärme-
ten Geblüte eine andere Hitze/ als in solcher Kranckheit zuseyn
pfleget/ die zitternden Gliedern zu rechte brachte. Als er lange ge-
schwitzet hatte/ truckneten sie jhn fleißig ab; er ließ sich auch be-
düncken/ als ob jhm alsbaldt besser würde. Es ist ein seltzames We-
sen!
[500] Als er zum andern mal diesen Kampff mit seinem Feinde
angenommen hat/ ist er durch vermittelung der Jugend/ deß guten
Fortgangs/ vnd deß Glücks/ welches den vngewissen Rahtschlä-
gen der ärtzte offtmals außhilfft/ von seinem vngestümmen Feber
loß vnd ledig worden.


Fußnotenapparat

a vngewöhnlichen] Aus vnwöhn-
lichen emendiert
b würden!] Aus würden? geändert
c mit vergebenen Auffzügen =
durch grundlosen Aufschub (di-
latione; quelque retardement)
d gestewert = gestützt (souste-
nant)
e hierdurch] Aus Dkf hierduch
f richten = ausrichten (agimus;
auançons)
g hielt ... wieder = vereitelte
(destituebat; manquoit à)
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