Radirobanes hatte in dessen gar andere Anfechtungen/ als Selenis-
se von der Theocrinen Gefahr redete. Dann als er die Alte nach jhrer
Ankunfft in dem Garten vmbfangen hatte: Wol/ sagte er/ Mutter/
wie kämpffet Theocrine? wie sieget sie? ge-
[531]wiß ich habe we-
gen jhrer Einbildung eine vnruhige Nacht gehabt; weil wir sie ge-
stern/ wo jhr euch erinnert/ in einer vngleichen Schlacht gelassen
haben. Was mich aber am sorgfältigsten macht/ wie geht es der Ar-
genis? vermeinet jhr/ daß sie werde mit jhr vmbgehen lassen? Sele-
nisse sagte; die Götter haben euch erhöret/ Gnädigster König; ich
kan euch 〈bei〉 meiner Beredtsamkeit vnd Kunst versichern/ daß
Argenis anfängt zu erkennen/ sie gehe härter mit euch vmb als sie
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wol solte. Dann was wöllet jhr weiter? Ich habe sie mit meinen
Worten zur Berewung gebracht: sie hat verheissen/ mit ewerem
besseren Vergnügen hieher zukommen. Aber indessen daß sie sich
anleget/ so last mich hienauß führen was ich angefangen habe.
Dann es ist euch daran gelegen/ daß jhr die Theocrine kennet. Sie
stritte/ wie ich sagte/ vnd kriegte wegen deß Raubes der Feinde ein
besser Hertze; gebrauchte sich also deß Schildes vnd Degens. Ihr
hettet gesagt/ sie were im Kriege/ vnd die Mörder im Frawen Zim-
mer erzogen worden. Zwene von jnen lagen schon darnider; vnd
so viel waren jhrer auch noch vbrig. Sie hatten alle Wunden. Dann/
weil Theocrine nach dem einen schmeisset/ wardt sie von deß an-
dern Degen ein wenig auff die Stirne berühret. Alsbald lieff das
Blutt hernach/ vnd färbete jhr Schneeweisses Gesichte. Da ver-
wandte sie die Augen/ vnd schrie sie mit erschütterung deß
Haüptes vnd der Waffen dermassen an (ich fürchte mich noch/
Herr) daß es nicht schiene menschlich zuseyn.
[532] Wir hatten
kaum gesehen daß sie wundt were/ da lag die Hand welche sie
verletzt hatte schon auff der Erden. Vnd alsbald/ wie die Mörder
flohen/ weil sie wegen Beschädigung sich nicht wehren kundten/
vnd nur lauffen mußten/ sprang sie jhnen/ vngeachtet der Nacht
vnd Verrätherey/ auff dem Fusse auß dem Zimmer hernach.

In dem sie aber wegen Finsterniß verborgen blieben/ vnd Theo-
crine jhrer wegen grossen Zornes verfehlete/ kam jhr ein newes Ge-
schrey zu Ohren. Dann das andere Theil der Räuber/ als sie Melean-
ders Schlaffgemach eine lange Zeit gesucht hatten/ vnd endlich
dem Liechte/ welches nicht weit von deß Königs Betthe zu seiner
Bewachung stundt/ nachgefolget waren/ haben sie die Thür auffge-
lauffen/ vnd den König/ den sie dem Lycogenes zu vberlieffern zu-
gesagt/ mit Gewalt binden wöllen. Der König/ so von dem Getüm-
mel erweckt worden/ als er die Männer (welche sich in selbigem
Schlosse nicht durfften finden lassen) vnd zwar in Rüstung ersehen
hat/ wiewol er vom Schlaffe vnd der vngewönlichen Geschichte
verwirret gewesen ist/ jedoch hat er nach dem Schwert so beym
Hauptküssen hieng/ gegriffen/ vnd sich zum Kampff fertig ge-
macht. Ehe er aber vom Betthe auffkommen/ vnd gericht stehen
d e f

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können/ auch für Zorn vnd Schrecken gezittert hat/ sind die Räu-
ber vmb jhn her getretten. Ohnangesehen die geheiligten Glieder/
vnd die Würde welche den Göttern am nechsten kompt/ haben sie
jhn ge-
[533]fangen auffs Betthe gedruckt/ vnd der eine hat jhn/ als
ob er es mit Willen nicht thete (ich glaube aber daß er ein Gefallen
hierzu getragen/ vnd jhme durch diese ehrlose That einen Nahmen
hierdurch habe machen wöllen) mit dem Knopffe deß auffgehabe-
nen Degens in das Gesichte gestossen. Die Hände waren schon ge-
bunden/ vnd führten jhn mit verdecktem Haupte als einen Vbel-
thäter/ beklagten sich auch freventlich/ daß die jenigen/ welche die
Argenis fangen solten/ mit jhrem Raub noch nicht vorhanden we-
ren. Da kam Theocrine/ gantz frölich wegen deß Sieges/ vnd deß
Kampffs vnd Wunden halben entzündet/ traff den König an/ vnd
als sie sahe/ daß er gefangen war/ ruffte sie mit vnsinnigem Ge-
schrey auff die Räuber: Ihr Verräther vnd Vattermörder/ sagte sie/
versucht diesen Degen auch/ der von ewrer Mitgehülffen Blut noch
warm ist. Ihr seyd meiner Hand nicht werth; aber jhr sollet nicht
alle so sterben: ich wil etliche zu einer schmählichern Straffe für-
behalten. Die stärcke jhrer Streiche aber war nicht geringer als jhr
dröwen. In demselben Tumult fiel das Kleydt herunter/ mit wel-
chem die Räuber deß Meleanders Haupt verhüllet hatten. Also ward
er seiner Hülff jnnen/ vnd sahe daß Theocrine so vielen Mördern
gewachsen were/ weil sie allbereit durch deß einen Todt den andern
gezeigt hatte/ daß jhre Vbelthat ohne Fortgang hinauß lieffe. Ihr
hettet euch verwundert vber der Theocrine/ welche mitten vnter den
Schwerdtern/ mitten vnter so
[534] vielen tödlichen Stichen die sie
mit dem Schilde aufffieng/ doch nicht sehen kundte/ daß der Kö-
nig solte gefangen seyn. Geheiligter König/ sagte sie/ wie lang sol
ich euch gebunden sehen? Mit diesen Worten lößte sie die Bänder
auff/ welche nicht hart verknüpffet waren/ vnd schützete jhn/ weil
er zur Wehr griffe/ mit fürwerffung jhres Leibs so lange/ biß er sei-
nen Degen finden kundte.

Auff dieses vermochte Radirobanes sein Stillschweigen/ so jhn
ohne diß schwer ankommen/ weiter nicht zuhalten: O/ fieng er an/
welch ein Wunderwerck/ allen Fabeln ähnlich! Haben die alten
Zeiten dergleichen gesehen? Wannher hat eine Jungfraw solche
Hertzhafftigkeit? Wie hat das Verhängniß den König so lieb/ wel-
ches jhn in solche Gefahr gerahten lassen/ damit er destoheiliger/
g h

[Seite 324]


vnd durch ein vnerhörtes Exempel der Glückseligkeit/ vnverletzt
bliebe? O Selenisse! ists aber wahr was jhr saget? Ich bitte verzei-
het mir/ weil ich vber solche Mirackel bestürtzt worden bin. Die
Alte fuhr weiter fort: So wahr/ Herr/ sagt sie/ jhr mir/ vnd Arge-
nis euch müsse günstig seyn/ so wahr ist diesem nicht anders/ als
wahr ich weiß daß ich lebe/ daß ich mit euch rede/ vnd euch liebe.
So erfüllet mich doch weiter/ sagt Radirobanes/ mit den Wunder-
geschichten der denckwürdigen Nacht. Als Meleander loß kommen/
sagte sie/ that er das beste seiner Wolfahrt/ vnd der Theocrinen
Gefahr halben. Kam es also mit jhrem streitbahren Kämpffen so
weit/ daß einer
[535] von den dreyen so noch vbrig waren/ fiel/ der
ander flohe/ den letzten aber Theocrine vmbfassete/ jhme die Arme
zusammen druckte/ vnd gebunden dem Meleander vberantwortete:
Haltet diesen/ fieng sie an/ vnd wann euch ewere Wolfahrt lieb ist/
Herr/ so verbleibet allhie. Ich muß den der geflohen ist/ nicht ent-
lauffen lassen: so wil ich auch sehen/ ob mehr Verrätherey dahin-
den ist. Als sie mit diesen Worten herauß gegangen/ kam sie in der
Argenis Schlaff Gemach/ in welchem wir Weibesvolck mit höch-
sten Forchten beysammen waren.


Fußnotenapparat

a Zehern = Zähren
b strauchelnd] Aus straucheln
nach chancellant geändert
c ich kan euch bei meiner Bered-
samkeit ... versichern/] Das
〈bei〉 wurde vom Hrsg. eingefügt.
nisi me eloquentem faciam im-
putemque meae arti quod ...;
si ce n’est que ie veuille faire
croire que ie sois bien disante, et
imputer à mes persuasions qu’
Argenis ... Wie man sieht, hat
Opitz gestrafft.
d Vergnügen] mitigato in te ani-
mo; auec plus de douceur pour
vous. Also etwa in sanftmütige-
rer Stimmung
e sich anlegen = sich anziehen
f gericht = gehörig, richtig (justo
gradu; en iuste desmarche)
g sind] Aus Dkf sinde
h den] Aus Dkf der
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