HErr/ sagte Selenisse im erzehlen/ fasset euch ein Hertz. Dann
dieses was ich euch wil offenbahren/ wann jhr nicht sehr beständig/
würde euch alsbaldt zu der hefftigsten Entrüstung bringen. Theocri-
ne/ so von dem Kampffe
[536] hitzete/ anders mit den Augen sahe/
vnd vns fast am gantzen Gesichte vnbekandt war/ nam die Argenis
bey der Handt/ vnd hieß beynebenst mich auch folgen. Wie wir so weit
kommen/ daß sie die andern nicht kundten reden hören: Ich dancke
a b c

[Seite 325]


den Göttern/ sagt sie/ daß sie den Fleiß meiner Liebe/ durch sol-
chen nützen Betrug in dieses Kleidt vnd Hauß gebracht haben.
Euch/ Princessin/ vnd ewrem Vatter ist diese List zu statten kom-
men/ welche ich glückhafft von den Mördern habe loß gemacht.
Wegen solchen Außganges kan mir billich verziehen werden. Dann
was soll ich es länger verbergen/ weil dieser Kampff doch erwiesen
hat/ daß ich ein Mann sey? Ich habe euch betrogen/ vnd mit grös-
serer Künheit geliebet/ als jhr gerne hettet sehen mögen; Ich habe
in Weibliche Beschönung/ ohn die ich hierein nicht kommen were/
zwar wieder gebühr mich verborgen. Aber es ist Entschüldigung gar
genug/ daß ich die lange Zeit vber/ als ich vmb euch gewesen bin mich
mit Sitten vnd Art einer Jungfrawen also vergliechen habe/ daß
man mir auß keiner Vnbescheidenheit etwas anders abmercken
können. Ich habe an den Männern an jetzo erwiesen/ was ich an den
Jungfrawen zuthun vermocht hette/ wann ich nicht zu redlich we-
re. Meine Meinung ist nicht/ diese meine Kräfften oder Ehrbarkeit
zuloben. Es ist mir genug/ Princessin/ wann ich vmb beyder willen
Vergebung bey euch erlange. Dann jhr möget wissen/ daß ich bey-
des dem Stande vnd Würden nach einer kö-
[537]niglichen Vermäh-
lung nicht vngemäse bin/ auch bloß ewers herrlichen Beruffs we-
gen mich von einem frembden Vfer hieher gewaget habe. Damit
ich euch aber sehen/ vnd ewerer Sitten geniessen möchte/ habe ich
mich/ gleichsam auff Rhat der Götter/ für ein weibes Person auß-
gegeben/ meines Vettern Grawsamkeit/ der Mutter elendt/ vnd
alles vbrige ertichtet. Ich scheide nun kräncker ab/ als ich bin her-
ein kommen. Dann wie wenig ist das jenige/ was ich von ewerer
Tugendt zuvor habe sagen hören? Jedennoch wardt ich dadurch
gezwungen.

Radirobanes/ so durch diese Worte hefftig verwundet wardt;
Ich bin todt/ Selenisse/ sagte er; ich bin todt! Wer ist dann dieser
Achilles im Rocke? Welche Thetis hat diesen Betrug angegeben?
Es ist auß mit mir! Ist es dieser/ den Argenis noch jetzt liebet? Er
ists/ sagte die Alte. Vnd daß jhr es nicht für ein gemeines Geheimniß
d e f g h

[Seite 326]


haltet/ Meleander weiß es noch selber nicht. Im vbrigen hub er an/
er köndte sich nicht länger auffhalten/ weil der König durch solche
verdächtige Stärcke hinter den Betrug kommen möchte. Er wolte
in kürtzen wiederumb zum Könige gelangen/ aber als ein Soldat;
vnd mich zu Syracuse oder bey Hofe allzeit besuchen/ so offt ich
von dem Castell käme. Sein Name were Poliarchus/ vnd er begehrte
nicht länger zu Leben/ als er der Argenis gefiele. Gedencket nun
mit Fleisse nach/ Herr/ wie vns beyden müsse gewesen seyn. Wann
euch als einen Mann nur die erzehlung
[538] beweget/ wie müssen
wir andern erschrocken seyn/ welche bey dem Verlauff selber wa-
ren? Hernach sagte er der Argenis etwas weniges in ein Ohr. Ich
glaube/ daß er sein Landt vnd Geschlechte gemeldet/ vnd die Jung-
fraw vmb Verschwiegenheit gebeten habe; wie dann auch von jhr
geschehen ist. Dann dieses ist das einige Geheimnis/ welches mir
Argenis nicht hat vertrawen wöllen. Ich hatte damals/ wie allzeit/
die Schlüssel zum Castell bey mir; welche er nam/ vnd/ Gehet zum
Meleander/ sagte er/ ich wil der Guardie vnd Wache ruffen/ wann
ja mehr Verrhäterey vorhanden were. Es waren so finstere Wol-
cken/ daß man keinen Stern nicht sahe. Er/ als er das Thor auffge-
macht/ vnd eine Fackel in der Handt hatte/ schrie er stracks an der
Schwelle deß Schlosses/ es weren Mörder beym Könige eingebro-
chen; die Soldaten solten zu Hülffe vnd auff jhre Wache kommen;
die Gefahr were groß; vnd sie hetten die That fast schon vollendet.
Als er dieses etliche mal hellen lautes wiederholet hat/ ist er in dem
Finsterniß weit ausser Weges gegangen; die Wache aber/ so zu-
nechst dem Schlosse war/ erregte einen grossen Tumult vnter sich.
Sie lieffen eilend zu Hülffe wie sie stunden vnd giengen; Etliche da-
mit sie sich durch das Anziehen nicht säumeten/ kamen halb
nackendt vnd nur mit jhren Waffen gelauffen. Die Mawren hatten
sie schon vmbringet; Vorhoff
[539] vnd Saal waren voll von Solda-
ten. Als sie den Feind allenthalben mit Liechtern vergeblich suchten/
besorgeten sie sich/ sie weren entweder durch ein Gespenste in Vn-
vorsichtigkeit herumb geführet/ oder durch Betrug von jhrer
Schildtwache weggebracht worden. Die fürnemsten Befehlshaber/
vnd vnter jhnen Eurimedes kamen mit den besten Knechten in deß
Königes Zimmer/ in welchem ich vnd Argenis waren. Vnser
Weh- i
[Seite 327]

klagen/
vnd deß Königes verbleichtes Gesichte/ sonderlich aber die
zwey todten Cörper zu vnsern Füssen/ versicherten sie daß es nicht
eine geringe Sache were. Derhalben tratten sie vmb den König;
Weil sie jhn aber vnverletztet vnd ausser der Gefahr sahen/ küsse-
ten sie jhm die Handt/ vnd redten sämptlich mit vielem Nachfragen
dermassen durch einander/ daß sie also gar nichts erfuhren. Einer
fragte nach den Mördern; der andere/ wie man sie in einem vnbe-
wehrten Frawenzimmer Hause hette bestehen können/ viel suchten
mit angezündeten Fackeln/ ob nicht etwan ein Feind noch verbor-
gen lege. Sie fragten auch neben bey den Gefangenen auß/ zwick-
ten jhn auff die Backen/ vnd satzten jhm Degen auff die Brust.
Meleander hielte dafür/ man muste mit seiner Straffe nicht so
leichtlich verfahren/ vnd gab ihn dem Eurimedes in Verwahrung.

Als er nun vnter seinen Leibtrabanten sicher war/ kam er in der
Argenis Schlaffgemach/ da Theocrine/ wie er von vns verstanden/
die Meuchelmörder
[540] gleichsfals erleget hatte. Wie sie die zwey
Cörper allda funden/ vnd sahen daß die Wunden mehr als tödtlich
eingedrungen waren/ fragten deß Königes Freunde noch hefftiger/
wer jhnen doch mit solcher Stärcke begegnet were. Nach dem wir
aber sagten/ daß es mit einer Jungfrawen Hand geschehen were/
sahen sie stillschweigendt (dann für Wunder kundten sie nicht re-
den) vmbher/ vnd waren die Vberwinderin zu sehen begierig. Der
König befahl selber sie zu ruffen; vnd weil wir jhn erinnerten/ daß
zwene von den Raubern beflohen/ vnd er auch wuste/ daß einer auß
seinem Zimmer entriessen were/ hieß er sie durch das gantze
Schloß suchen/ vnd herzu bringen. Sie mögen aber durch das Thor
wo die Besatzung hienein gelassen worden/ oder vber die Mawer
wegkommen seyn; es wardt nur endtlich dem Könige angemeldet/
daß man weder sie noch Theocrinen finden köndte. Meleander fragte
nach den Mördern nicht so viel; daß aber Theocrine weg were/
kundte er nicht leiden. Als er derhalben noch andere gewisse Perso-
nen alles durchsuchen ließ/ rufften sie Theocrinen/ daß man es im
gantzen Castell hörete. Argenis vnd ich wusten/ daß er bey Gele-
genheit der Nacht vielleicht schon weit von dannen were/ vnd jhnen
schwerlich antworten würde. Daselbst ward ich zum ersten jnnen
daß Argenis liebete/ weil sie das jenige was wir beyde wusten also
verbarg/ daß sie mich fast selber betrog.

[541] Das vbrige von der Nacht wardt mit solchem Tumulte zu-
gebracht. Mit Auffgange der Sonnen worden Cleobulus vnd andere

[Seite 328]


Geheime trewe Räthe auff der Post verständiget/ was dem Könige
begegnet were; darauff sie sich eilends einstelleten; vnd als sie der
König zu Befragung deß Gefangenen von sich schickte/ fieng er
wieder die Vmbstehenden also an: Wiewol die Meineidigen Leute an
mir vnd den Göttern sich höchlich vergrieffen haben/ vnd die Ver-
brecher billich herfür gesucht/ vnd zur Straffe gezogen werden; so
begehre ich doch nicht so sehr mich zurechen/ als die jenige zu se-
hen welcher Tugend mich erhalten hat. Theocrine sey wo sie wölle/
so kan ich mich für glücklich nicht halten/ so lange ich nicht gewiß
weiß/ ob sie an sicherem Orte sey. Ihr Götter! jhre grosse Stärcke
wird sie ja nicht vnter die Mörder gebracht haben. In dem er so re-
dete/ vnd fragte/ sagten die Kundschaffer wieder/ man könte kei-
nen Fußstapffen von der Theocrine weder im Schlosse/ noch auff
benachbartem Felde sehen. Wann jhr etwas böses wiederfahren
were/ so hette man sie ja entweder verwundet/ oder/ welchs die
Götter verhüten wolten/ todt vnd auff Stücke zerhawen finden sollen.


Fußnotenapparat

a erfüllet] Ziemlich wörtlich nach
der lat. Vorlage:
Perge ... imple-
re me; Continuez ... à me conter
b dahinden sein = übrig sein (de
insidiis quid supersit)
c gesehen = sehen (pour la voir)
d Beschönung = Verstellung (wie
auf S.
239; sub muliebris sexus
favore)
e wegen] Aus Dkf wegem
f todt!] Aus todt? geändert
g Achilles] Auf Betreiben seiner
Mutter (Thetis) hielt sich A. in
weiblicher Kleidung am Hofe des
Königs Lykomedes in Scyrus
auf.
h mir!] Aus mir?
i weggebracht = weggelockt (de
stationibus excitati essent; on
les eust faict quiter leur corps de
guarde)
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