MAn sahe wol daß Ibburranes nichts vnbilliches sagte. Weil es aber
bißweilen tödlich ist/ wann man krancke Leiber mit gar zu starcker
Artzney vberschütten wil/ so verschob der König die vollstreckung
dieser gesunden Newerung/ biß man die Obrigkeiten zusammen for-
dern/ vnd jhnen gleichsamb mit jhrer Bewilligung dieses anbefeh-
len köndte. Dann man mußte sie bey dem Ansehen gegen dem
Volcke erhalten; welches sie dann
[587] verlieren köndten/ wann in
dieser plötzlichen Ordnung mehr ein Schein der Straffe vnd Rache/
als deß künfftigen Nutzens zuspüren were. Derhalben hieß er das
vbrige worumb das Volck Ansuchung gethan/ auff der Argenis Ge-
burtstag vollziehen/ mit blosser Verheissung die Gerichte künfftig
zubessern; wie dann dem Cleobulus solche Befehl außzufertigen
aufferleget ward.


Eß waren nun nicht allein die Abgesandten der Städte zusammen
kommen/ sondern Epeircte war auch voll von allerley Standes Men-
schen/ so daß Radirobanes vber den Gedancken wegen seines vn-
zimlichen Fürhabens bißweilen sich besorgete/ es möchte Argenis
bey dergleichen Menge der Sicilier nicht können entführet werden;
bißweilen aber bedachte/ daß deß Meleanders Leute vnter solcher
Vnordnung vnd verworrenem Volcke jhn desto schwerlicher wür-
den hindern können. In dessen ließ er es weder am Fleisse noch Auß-
gaben erwinden/ damit er den fürgenommenen Tantz zieren möchte.
Dann er wolte beydes hiermit jhm einen Nahmen der Hoheit ma-
chen/ vnd durch solche Gunst bey den Leuten den Wiederwillen/ so
jhm dieses Beginnen erwecken würde/ lindern. Derhalben ward zu
a b c

[Seite 356]


solcher Fröligkeit den Tag vor der Argenis Geburtsfeste/ deß Mele-
anders grössester Pallast zubereitet/ vnd zu Abendt zeitlich ge-
speiset. Es kamen daselbst viel Sardinische
[588] vnd Sicilische
Herrn zusammen. Weder Scherganten noch Schildwache vermoch-
ten die Menge zu rück zuhalten; also daß der Tumult selber vnd das
Geschrey der jenigen welche schlugen oder geschlagen worden die
königliche Pracht vermehrete: Der König kam selber an das Thor/
weil die Trabanten vnd Wache nicht vermochte außzurichten/ vnd
vermahnete mit königlicher Bescheidenheit/ daß sie den Auffzug
nicht verhindern/ vnd jhme selbst beschwerlich seyn möchten. Ar-
chombrotus war jhm an der Seiten/ welchen er bey seiner Abtret-
tung befahl/ daß er die so Platz zuschawen hetten hinein lassen/ die
andern aber durch sein Ansehen abweisen wolte. Er vermeinte ein
gutes Werck zuthun/ wann er dem Radirobanes schadete/ vnd
bemühet sich das Spiel zuverstören/ welches jener mit solcher Müh
anrichtete; stellte sich derwegen/ als ob er sie nicht vermochte auff-
zuhalten/ vnd ließ das Thor offen/ so mit plötzlicher Menge der-
massen vberschüttet ward/ daß einer den andern selbst verhinderte.
Als auch Meleander sich erzürnte/ wolten doch die vngestümen
Leute nicht hören/ biß sie durch solche Freyheit besänfftiget sich an-
fiengen wegen jhres Einlauffes selbst zu schämen: sonderlich als sie
sahen/ daß der König im Grimm durch ein Thor/ so nechst seinem
Throne war/ hinein gieng. Eurimedes fuhr sie mit harten Worten
an/ wie sie dann gemach anfiengen zu erschrecken/ mit heimlicher
Frewden deß Archombrotus/ weil man sagte/ daß Radirobanes hier-
über also
[589] ergrimmet were/ daß er mit abreissung deß Zierahts/
das auffgehenckte Tafelwerck/ welches den Tantz auß der Lufft her-
unter lassen solte/ hette wegzubrechen befohlen.

Zuletzt wardt der Orth durch deß Eurimedes Fleiß vom gedränge
deß Volcks so weit befreyet/ daß der König vnd Argenis daselbst
raum hatten. Zu Anfang worden vier Satyres eingeführt/ welche
nach einem kurtzen vnd groben Tantze dem Könige vnd der Prin-
cessin/ nachmals allen Anwesenden/ den Innhalt deß Ballehts vber-
gaben. Indessen erschiene vnter dem Trompeten blasen in den er-
tichteten Wolcken ein helle Flamme auff Art deß Blitzes. Hernach
fieng sich das Bildnüß deß Himmels/ welches an dem höchsten
Ge- d

[Seite 357]

täffel
war/ an zu bewegen/ vnd ließ sich gemach herunter; machte
hernach drey örter auff/ in denen die Crystallinen Sterne/ welche
durch Mittel hin vnd wider gesetzter Fackeln zu brennen schienen/
gläntzeten/ vnd das Goldt vnd Purpur von allen Seitten leuchten
machten. Es hatte in diesem Himmel drey sitze. Jupiter saß in dem
mittleren/ in dem andern Neptunus vnd Pluto. Vmb sie her waren
gleichsamb als Auffwärter/ ein hauffen Cupido/ mit krausen Haa-
ren/ kleiner Person/ Bogen auff den Schultern/ vnd in der Handt
zweene Pfeile von vngleicher Spitze vnd Wirckung. Diese sprun-
gen neben jhren Herren geschwinde auff den Platz der mit Tapeze-
reyen bedecket war/ vnd tantzten sehr leichte auff dem Saal hin

[590] und wieder. In dessen nahete sich Jupiter vnter wehrendem
Klange der Instrumente zu seinen Brüdern: vnd bald/ gleichsam
ob sie nicht einig weren/ wandten sie sich mit wiederwertigen Schrit-
ten vnd Bewegungen voneinander. Als sie dieses zwey oder dreymal
gethan hatten/ erschiene vnvorsehens die Göttin Fortune auff einer
Kugel sitzend/ welche sie auch nach dem Gesange bewegete/ auch die
Zeichen der Reiche/ derer wegen die Götter strittig waren/ in jhren
auffgeschürtzten Kleidern verborgen hielt/ vnd sie zu sich beruffe-
te: wie sie dann auch mit einem Gange/ der nach der Musick ge-
richtet war/ zu jhr tantzeten. Derhalben grieffen sie zum Loß in
die Schoß der Fortune. Jupiter kriegte den dreyspitzigten Donner
herauß/ Neptun das dreyzänckichte Scepter; Pluto aber erschrack/
als er das Regiement der Höllen in die Hand bekam. Bald ließ eine
andere Wolcke dem Jupiter/ als dem Könige derer die droben sindt/
die fürnemsten Himmlischen Götter/ den Mars/ Apollo vnd Mercu-
rius herunter. Bald darauff fieng das Meer in der mitten mit vnter-
schiedenen Wellen an zu rauschen; in diesem war ein Felsen von
Mos vnd Muscheln/ von welchem Proteus/ Triton vnd Glaucus zu
jhrem Neptun sprungen. Die Musicanten vermischeten sich inmit-
tenst mit den zitternden vnd hellen Stimmen dermassen/ daß sie
einen Klang der prausenden See von sich zugeben schienen. Neptun
e f g
[Seite 358]


hatte sie kaum erkandt/ als eine fin-[591]stere Anmütigkeit (dann
sie bildete die Elysichen Felder für) von einer andern Seiten den be-
stürtzten Minos/ Eacus/ vnd Radamanthus an das newe Tageliecht
herfür brachte; welche mit jhrer Ankunfft machten/ daß der reiche
Pluto die Kräfften seiner Beherschung nicht mehr verachtete. Die
Himmlischen Götter waren in Purpur/ die Seeischen Meergrüne/ die
Höllischen in Eisenfarbe mit einem ehrerbietigen Schrecken geklei-
det. Ein jeglicher hatte seinen sonderlichen Zierraht. Den Apollo
vmbringeten Stralen: Mars hatte die Fürbildungen deß Krieges im
Purpur eingewircket/ vnd hielte ein Schwerdt in der Handt. Der
Hut/ vnd die Flügel an den Füssen/ der Scepter vnd die einschläffen-
de Rute zeigeten auff den Mercurius. Triton hatte eine krumme
Muschel an die Seite gehangen; Proteus war von zweyfachem
vnd vngleichem Gesichte/ vnd deutete hiermit die Natur der Ver-
wandlung an. Glaucus ließ einen so langen Bart herab hangen/ wie
er damals trug/ als er das wirckende Graß antraff welches jhn nechst
bey Anthedon veränderte. Auff deß Minos schwartzen Rocke wa-
ren hundert Städte abgebildet. Deß Eacus Kleid war mit Eichen vnd
Ameissen erfüllet/ von welchen etliche sich mit menschlichen Ge-
sichtern auffrichteten/ etliche noch jhre Beine nicht abgeleget hat-
ten. Radamanthus trug die Chimere seines Lyciens mit lebendigen
Farben außgedruckt/ vnd damit er bewiese
[592] daß er ein Feindt
der Laster vnd vngehewerer were/ so bestritte sie Bellerophon von
seinem Pegasus.


Also tantzte in dieser Tracht ein jeglicher mit solcher Bewegung/
wie seiner Eigenschafft gemäse war; die Himmlischen Götter zwar
frölicher; die Meer Regenten etwas vnförmlicher/ welche zuweilen
den Fischschwantz/ so jhnen von der Scham an hinab hieng/ auff-
huben/ zuweilen aber sincken liessen/ vnd nach dem Tact damit wi-
der die Erde schlugen. Die Schritte der Götter deß Finsternüß sahen
nicht vnähnlich den Runtzeln jhrer Stirnen. Doch tantzten sie
gleichwol mit solcher ernsten Gestalt/ als ob sie vnwillig vnd zornig
h i

[Seite 359]


weren. Diese vnterschiedene Ordnung der vngleichen Götter wardt
mit ebenmässiger einstimmung der Music geleitet. Baldt trenneten
sie jhre Hauffen/ baldt verwickelten sie sich mit mancherley Ver-
mischung zusammen. Offtmals kamen sie in die Runde/ vnd offt-
mals in die Länge. Jetzt hielten sie einander bey den Händen/ jetzt
tantzte ein jedweder allein/ jetzt waren sie zu Paaren eingetheilt/ vnd
bequemeten jhren gantzen Leib geschwind nach den Seyten vnd
Gesang. Letztlich als die Figuren sämptlich vorbey waren/ nahete
sich Radirobanes/ welcher Jupiters Person an sich genommen/ zur
Argenis/ vnd lude sie zum Tantz: worauff sie mit anmuhtiger Maje-
stät jhm folgte. Als hernach die fürnembsten Matronen vnd Jung-
frawen getantzet hatten/ machten zwölff Götter mit einem newen
Auffzug dem Balleth ein Ende. Her-
[593]nach giengen sie an vnter-
schiedene örter. Jupiter ward in den Himmel getragen/ Neptunus
verbarg sich in die Wellen; Pluto/ dem der Weg mit Fackeln gezei-
get wardt/ in die Felder/ auß denen niemand zurücke kan. Zugleich
vbersprewete ein sehr dünner Regen mit Verwunderung alle vber
den gantzen Hoff/ in dem wolriechenden Wasser durch die Wolcken
welche da hiengen/ vber all drangen.


[594: Kupfer Nr. 12]


Fußnotenapparat

a der Beleydigten ergetzung =
die Genugtuung der Geschädig-
ten (questum laesorum; les
plaintes des interessez)
b Ibburranes] Aus Iburranes
c würden] Aus Dkf wurden
d das ... Tantz] machinas, quae
pendebant choream demissurae
ab aëre; les machines qui pen-
doient en l’air, dont le ballet
deuoit sortir.
e ein hauffen Cupido/] Aus einen
hauffen Cupido/ emendiert.
Vielleicht wirkte ein nicht benutz-
tes transitives Verbum nach.

(multi Cupidines; vne multi-
tude de Cupidons)
f Schritten] Aus Schrittten
g Glaucus] Ein Fischer aus Anthe-
don, der nach dem Genuß von
»wirkenden« Kräutern ins Meer
sprang. Er wurde in einen weis-
sagenden Gott verwandelt.
Ovid, Met. 13, 905 ff.
h Ankunfft ...] Opitz folgt der frz.
Vorlage. Die lat. ist klarer:
Quo-
rum admonitu opulentissimus
Pluto nun diutius sui imperii vi-
res despexit. (... qui à leur ar-
riuée firent que le riche Pluton
ne desdaigna plus les forces de
son empire.)
i Chimere] Die aus Lycien stam-
mende Chimäre war in die Un-
terwelt versetzt worden, nach-
dem sie von Bellerophon erlegt
worden war.
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