IHr werdet derhalben/ sagte Gobrias/ etwas hören/ das der Griechi-
schen Gemüter werth ist. Dann es sindt bey vns viel Thaten ritter-
licher Leute fürgegangen/ die den jenigen/ welche andere Völcker
von sich selber schreiben/ im geringsten nicht weichen. Wir haben
aber nichts als die Verse der Druiden/ so würdige Dinge die bey vns
geschehen/ erhalten. Sie sindt auch weder auff Holtz noch in Wachs
eingedruckt; sondern werden der Jugendt in das Gedächtniß ge-
pflantzet/ auß dessen singen
[691] wir vnserer Vorfahren Tugen-
den erkennen. Aber/ damit ich mich nicht lang vber vnsere Sitten
beklage/ es ist besser/ weil jhr es begeret/ meiner Zusag mit der Er-
zehlung ein Genügen zu thun. Es regierte bey vns ein König Brito-
mandes geheissen/ dessen Name vnsern Leuten noch jetzundt
ange- a

[Seite 417]

nehmist/ ein erfahrner Mann im Kriege vnd Friedenssachen. Ar-
sidas fiel jhm ein/ vnd/ Ihr berichtet mich/ sagte er/ eher vom
Könige/ als vom Lande in welchem er regieret hat. Wiewol ich
auß ewerer Leute Reden muthmasse daß jhr Frantzosen seydt. Ihr
erinnert gar recht; antwortet Gobrias. Wir bewohnen das größte
Theil deß Frantzösischen Vfers/ an welches die See zwischen den
Alpen vnd Pyreneischen Gebirgen schlägt. Hernach erstrecken wir
vns weiter hinein in die länge des Lands/ wo die edlen Flüsse der
Rhodan vnd vber jhm Araris die fettesten Felder durchschneiden.
Es ist das beste theil von Franckreich; hat sehr trächtigen Boden/
vnd streitbare Innwohner. Arsidas entsetzte sich vber den Namen
Araris vnd Rhodan/ welchs die Wasser deß Poliarchus Reichs wa-
ren/ wie er auß der Argenis Bericht verstanden. Als Gobrias jhn so
bestürtzt sahe: Ich erzehle euch vielleicht/ hub er an/ von dem jhr
vor diesem reden gehöret/ vnd würde nur die Zeit verlohren/ wann
es euch schon bekandt were. Aber sagt mir/ was habt jhr in Sicilien
von dem verlauff vnsers Hoffs vernommen? Arsidas gab zur Ant-
wort: Verzeihet mir/ wir
[692] haben zwar gehöret/ daß in Franck-
reich viel Könige seyn sollen; aber wann man vns schon etwas er-
zehlet/ so ist es doch nur als ein leichter Wind/ oder ein kleines
Gewölcke/ das bey denen die darumb nichts wissen geschwinde für-
über geht. Dann für diesem sind etliche wenige Kauffmänner hin
vnd her gereiset/ an jetzo aber auch durch vnsere Empörungen
gäntzlich außgejaget worden. Wir andern aber/ die wir nach Grie-
chischer Art leben/ sind dermassen träge/ daß wir vns vmb die
Thaten derer Völcker die auff Mitternacht zuliegen nicht sonderlich
bekümmern; außgenommen wann die Sage gehet/ daß jhr mit Hee-
reskrafft auß ewerem Lande ziehet/ vnd die Gefahr der gemeinen
Freyheit vns furchtsam macht. Lasset es euch darumb nicht zuwie-
der seyn/ mir als einem der nichts hiervon weiß/ vnd es doch zuwis-
sen begierig ist/ alles anzuzeigen. Dieses sagte er aber/ nicht daß er
in den Frantzösischen Sachen gäntzlich vnerfahren war; sondern
daß Gobryas von seiner Rede nicht außschritte/ vnd jhn fragte/ was
jhm davon bekandt oder vnbekandt were. Dann weil er allbereit
deß Rhodans vnd Araris erwehnen gehöret/ wündschete er hefftig
die Historien/ als ob sie jhn selber angienge/ eigentlich zuverneh-
men.

b
[Seite 418]

Vber ein so grosses Volck/ fuhr Gobrias fort/ herrschete auß vät-
terlicher Erbschafft der Britomandes. Er hatte einen Sohn auch deß
Nahmens Britomandes; der aber nach erreichung deß mann-
[693]
lichen Alters mit so vielen Kranckheiten zerrissen ward/ daß jhm
die vnendlichen Schmertzen zugleich die Kräfften deß Gemüts ver-
zehreten. Doch begab er sich in Heyraht mit einer seines Geblütes
von solcher Tugend/ daß ich zweiffele/ welches man an jhr höher
halten solle/ entweder jhre Keuschheit/ oder Frömmigkeit/ oder
mannlichen Verstandt vnd Klugheit. Sie heisset Timandre. Als
Britomandes der Vatter Todes verbliechen/ gleichsam als mit jhm
auch vnser Glück gestorben were/ sind alle Sachen in bösen Zustand
gerahten. Wir erkandten nichts das an dem newen Könige dem Vat-
ter zutraff/ ausser die Frömigkeit vnd den Nahmen. Vnter den für-
nemsten deß Landes war einer Commindorix geheissen/ sehr mäch-
tig/ edeler vnd reicher als Privatpersonen zuseyn pflegen/ vnd end-
lich eben so einer/ wie jhr saget daß Lycogenes gewesen sey. Dieser
war bey Zeiten deß alten Britomandes wegen Ansehens eines der-
gleichen Königes zimlich in Furchten gehalten worden. Bey dem
Sohne aber vermochte er/ deß Beruffes sonderlicher Weißheit vnd
Gewalt halben/ so viel/ daß er in seinem Namen selber regierete/ mit
grossem Vnwillen der Timandre/ die jhren Gemahl zu vätterlicher
vnd angebohrener Hertzhafftigkeit anzumahnen nicht auffhörete. Er
aber vertrawte auß Schwachheit der Sinnen dem Commindorix/ der
alle seiner Gemählin Rhatschläge listiglich außforschete. Wir/ als
wir das gute Glück/ zu welchem der ältere Britomandes das
[694]
Landt angewehnet hatte/ verloren/ kamen bey seiner Grabschafft
offtmals zusammen; zwar vnter dem Scheine einer Andacht/ in
Warheit aber/ nach vnseres Landes Gebrauche daselbst vom
Orackel zu erfahren/ ob etwan ein gutes Glück/ oder ein Gott vns
ein Mittel entdeckte den Commindorix außzurotten. Dann vnserer
viel hielten es für eine Tugendt wann wir jhn hasseten; sonderlich
aber/ wie von jhm das Geschrey gieng/ als hette er auß brennender
Regiersucht der Timandren Sohn durch Hülffe der Ammen hinge-
richtet. Warumb aber die Königin nicht auch sey mit gleichem Auß-
gange weggeraffet worden/ kan man nicht wissen; ob sie sich viel-
leichte weißlich vor dem Giffte vnd Betruge gehütet/ oder er sich das
c

[Seite 419]


Leben eines Weibes nicht hat jrren lassen. Ich für meine Person
halte dafür/ sie sey von den Göttern selbst errettet worden; dann
sie verblenden die Tyrannen offtmals/ daß sie/ in dem sie ängstiglich
vnd mit aberglaübischer Grawsamkeit jhre Sicherheit suchen/ die
rechte vnnd gewisse Gefahr nicht kennen/ noch fürchten.

Als Timandre noch einmal mit schwerem Leibe gieng/ vnd sich
wegen jrer armseligen Frucht/ welche für jhrer Geburt zum Tode
bestimmet wardt/ besorgete/ brachte sie in Zeiten die Hebammen
an sich/ nebenst zweyen Matronen/ vnter denen ich vnlängst die
eine durch Vermittelung der Königin geheyrhatet habe. Von diesen
begehrte die Königin/ wann sie einen Sohn zur Welt brächte/ daß
man ein an-
[695]deres Kindt an die stelle geben/ vnnd das jhrige
heimlich retten solte. Die Frawen entdeckten solchen Anschlag
einer anderen auff dem Lande/ die mit meiner bekandt war/ vnd
das Kindt erziehen kundte; sie heisset Sicambre. Als die Königin
gleich liegen solte/ führete sie meine Fraw nebenst jhrem Manne/
dessen man auch bedurffte/ nach Hofe. Nachdem sie nun sich mit
dem tewresten Eyde verbunden hatten/ die Sache in geheim zuhal-
ten/ wardt niemandt in der Königin Gemach gelassen/ als die so
darumb wusten. Die Götter halffen. Timandre wardt eines Sohnes
entbunden; vnnd die betrüglichen Weiber legten eine Tochter in die
Königliche Wiege. Was für Gedancken meinet jhr wol daß die Kö-
nigin damals gehabt habe? Sie empfandt ein beben nach dem an-
dern/ vnd hielte es für eine Freundtschafft/ wann man jhr die Geburt
hinweg neme/ welche die Mütter sonst mit so grossen Schmertzen
kauffen. Ich hab es offt auß jhrem Munde gehöret/ sie hette nichts-
mehr gefürchtet/ als daß durch deß Kindes schreyen/ oder der Wei-
ber Furchtsamkeit der Anschlag möchte verrahten werden. Nichts-
destoweniger/ ob schon jhre Marter vnd Pein vnaußsprechlich war/
redete sie doch mit leiser Stimm die Sicambre/ welche das Kindt
vnter dem Getümmel weg tragen solte/ also an: Meine Freundin/
vergönnet mir/ daß ich euch bey allen Göttern beschwere mir Trew
zuseyn; damit ich nicht/ in dem ich andere zu betriegen gedencke/
durch wegschickung meines Kindes von mir selbst betrogen werde.
Dann ich
[696] muß doch das jenige für das meine erkennen/ welchs
jhr mir geben werdet. Die Fraw gab zur Antwortt. Die Götter/ Gnä-
digste Königin/ welche jhr anruffet/ haben gemacht/ daß euch nie-
mandt durch List/ für welcher jhr euch befahret/ schaden könne; so
d

[Seite 420]


wol ist das Kindt gezeichnet. Auff dieses nam sie es nackendt/ vnnd
zeigete ein wenig vnter dem Nacken die Gestalt einer ähren/ als von
lebendiger Purpurfarbe. Eben diese Figur war auch an dem rech-
ten Schenckel. Dies Vrsache solcher glückseligen Merckzeichen war
die Mutter selbst gewesen/ so ohngefehr/ wie sie zu Fusse vmb das
Feldt gespatzieret/ für einem stracken Winde erschrocken war/ der
das Getreyde/ als es die Schnitter vmbgeleget/ durchfahren hatte.
Timandre/ nach dem sie jhr liebstes Pfandt geküsset; Fliehe/ sagte
sie/ mein Kleines/ für der Gefahr deß Pallastes deines Vattern.
Fliehe/ mein Astioristes. Dann ich wil daß du also nach deß Vattern
Großvatter genennet werdest. Wöllen die Götter/ daß du baldt mö-
gest Rache nemen an denen/ die deine Kindtheit an meinen Brüsten
nicht lassen sicher seyn. Sie küste jhn noch einmahl vnnd fieng an zu
weinen. Alsbaldt nam jhn Sicambre/ wickelte jhn ein/ vnnd machte
sich durch eine verborgene Thür/ so hierzu bereitet worden/ von
Hofe. Man satzte stracks die kleine Tochter/ so an statt deß König-
lichen Blutes angenommen wardt/ auff die Erden; da dann nach
dem Britomandes geschickt wardt sein Kindt zubesehen: der mit
dem Commin-
[697]dorix hienein kam/ vnnd ein frembdes Kindt/
mit betrogener Zuneigung/ auff die Armen hub. Wie er es nachmals
den Saügammen anbefohlen/ vnd die Kindtbetterin getröstet hatte/
gieng er in den Tempel den Göttern zudancken; denen er wegen
einer grösseren Wolthat verbunden war als er selbst vermeinete.

Sicambre/ welcher die Königin jhr Kindt vertrawet hatte/ war
eine Fraw von mittelem Zustande; dann bey fürnemen Leuten were
das Kindt nicht wol verborgen blieben/ vnnd bey Armen hette so
ein zarter Leib nach Notturfft nicht mögen versehen werden. Sie
hatte jhren Mann/ so Cerovist heisset/ mit sich gebracht; welchem
sie nicht weit von dem Pallaste das heilige Pfandt sanffte zu tragen
vbergeben hat. Die Barmhertzigkeit vnnd grosse Hoffnung mach-
ten daß er auff das Kindt genawe Achtung gab. Derhalben ent-
wieche er von der Frawen/ damit seine Leute in keinen Argwohn
geriethen/ vnd gieng in sein Vorwerck. Dann er hatte zimlich viel
äcker an dem Strande deß Rhodans/ so keiner Statt nahe gelegen/
vnd hielte sein gesinde in ehrbarem Wandel nach Bäwrischer Ein-
falt. Als er nach Hause kommen/ gab er für/ er hette dieses Kindt
e f g

[Seite 421]


nahe bey dem Walde gefunden. Wie nachmals auch seine Fraw
kam/ lieff er jhr entgegen/ vnd bate in Anwesenheit der Seinigen/
daß sie dem Armen die Brüste reichen wolte; Dann sie war noch
bequem darzu/ weil sie kurtz zuvor jhren Sohn ge-
[698]säuget hatte.
Die Fraw aber/ gleichsamb ob sie nichts von der Fabel wiste/ fragte
fleissig nach allem/ wer das Kind were/ warumb man es verstossen/
vnd den jungen Knaben/ von solcher Schönheit daß die Natur nichts
an jhm vergessen/ also weggeworffen hette. Er gab für/ jhm were
weiter nichts wissendt/ als daß er jhn auff einem Scheidwege am
Wald/ da niemandt als Hirten vnd Jäger hin kämen/ gefunden; da-
hin er entweder vnbarmhertziger weise/ oder auß höchstdringender
Noth müßte gelegt worden seyn. Also nam Sicambre das weinende
Kindt/ vnd schweigte es/ in dem sie jhm zu trincken gab.


Fußnotenapparat

a aus dessen singen] dessen kann
sich nur auf
Gedächtnis bezie-
hen, was aber keine ganz befrie-
digende Lesung ergibt.
(... et ex
cantantium ore virtutes majo-
rum agnoscimus; ... et nous ap-
prenons par la voix de ceux qui
chantent ...)
b Araris] Die frz. Vorlage hat la
Saonne.
c sich ... nicht hat jrren lassen.]
sich nicht hat in Sorgen setzen
(beirren) lassen (infra curam
habuerit; ne s’est pas beaucoup
soucié)
d nach dem] Aus Dkf nachdem
e zeigete] Aus Dkf zetgete
f strack = scharf; s. Wind =
Wirbel (turben)
g nemen an] Aus nennen von nach
prendre vengeance de ceux ge-
ändert
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