Meleander entschloß sich weißlich dem Archombrotus einen ge-
trewen vnd erfahrnen Mann/ gleichsamb als einen Abgesandten an
die Hyanisbe zuzugeben. Dann also kündte er Bericht einziehen/ was
nicht allein der Feindt/ sondern auch Hyanisbe mit jhrem Sohn zu-
thun gesonnen were. Die vnbeständigkeit der Dinge/ vnd erfahrung
im regieren hatte sein ohn diß wachend Gemüth sehr fürsichtig ge-
macht. Doch war er in keinen Geschäfften behutsamer als in er-
wehlung deren Personen/ welchen er eine Absendung an außlän-
dische Könige oder Völcker anvertrawete: in Meinung/ sie weren
wie die Adern/ so nach jhrer Beschaffenheit eine verborgene Krafft
der Gesundheit oder Kranckheit auß vnterschiedlichen örtern jhrem
Lande zueigneten. Er hatte erfahren/ wann diese Leute mehr für

[Seite 514]


jhr Privatwesen/ als für jhren Herren vnd Redligkeit sorgen/ daß
deß Vatterlands Güter/ Würden/ vnd Anschläge durch jhr Still-
schweigen oder Einwilligung verrahten werden. Wann sie aber vn-
ruhige Köpffe/ oder mit hoffärtiger Vnwissenheit beladen sindt/ daß
sie eines theils mit hartem Widerfechten/ anders theils mit auff-
mutzung deß
[862] Vnglücks grösser als es ist offtmals Empörung
erwecken/ die erstlich vnvonnöthen ist/ nachmals auß vngleicher
stimmung/ vnd wann sich die Vrsachen mehren/ nothwendig auff
einen Auffstandt hinauß läufft. Gesetzt auch/ sagte er/ daß sie
friedfertig sind; Wann sie nicht ein wachendes Aug haben/ vnd den
Betrug/ welchen man bey jhnen anzubringen vermeinet/ mercken
können/ so werden sie nit allein hinder die Anschläg derer Völcker
zu denen man sie geschickt hat/ nicht kommen/ sondern sich durch
einen blinden Schein vnd ertichtete Einwilligung betriegen lassen/
vnd also/ in dem sie nichts warhafftiges vnd eigentliches berichten/
jhre Herrn mit böser Einfalt hinder das Liecht führen. Vber dieses
sahe Meleander auch zu/ damit ein Gesandter sich der Natur deß
Königs oder Volcks zu dem er verreisen solte wol bequemen köndte:
weil jhm nicht vnbewust war/ daß die gleichheit der Sitten bey erlan-
gung der Freundschafft vnd Gunst viel schaffet/ vnd daß die Men-
schen sich für denen welchen sie holdt sind/ vbel zuhüten vermö-
gen. In betrachtung dieser Sachen gab er viel genawer Achtung/
wen er also zu erforschung deß Fürhabens der Könige abfertigen/
als wem er die fürnembsten Kräfften in seinem Sicilien vertrawen
solte. Vnd in diesem ließ er keine Freundschafft noch Einbietung
etwas gelten; ja er pflag sich auch zu erzürnen/ im Fall jemand/
wann er vber solcher Erwehlung war/ seine Freundt oder Verwand-
ten fürschlagen wolte.

[863] Damals gedachte er sonderlich fleissig nach/ welchen er wol
erkiesen solte/ der jm mehr als dem künfftigen Fürsten Archom-
brotus möchte getrew seyn. Es vergiengen zwen Tag mit diesem ge-
heimen Bedencken. Letztlich entschloß er sich die Sach dem Timo-
nides anzubefehlen/ vnd als er jhn zu sich beruffen/ fieng er an:
Wann man euch erst vnterrichten muste/ was für Sorge vnd Trew
einem Abgesandten obliege/ so wolte ich euch mit dergleichen
schweren Last nicht beladen. Ich wil daß jhr mit dem Archombrotus
in Africa verreiset/ vnd Hyanisben in meinem Namen begrüsset;
a

[Seite 515]


hernach so lange bey jhr verharret/ biß jhr von mir einen an ewere
Stelle bekommet. Was jhr diese Königin von dem Kriege/ jhrem
Sohne/ vnd der newen Verwandtschafft berichten sollet/ werdet jhr
heute vom Cleobolus vernehmen. Einer Sachen erinnere ich euch
selber/ daß jhr keine Gunst der Meinigen fürsetzet. Was daselbst für-
lauffe/ was sie wöllen/ oder thun können/ werdet jhr mir vnfehlbar
zuwissen machen. Ihr dörfft euch nit besorgen/ daß diese Trew euch
möchte verfänglich seyn; im Fall jhr schon etwas schreibet wieder
den Willen derer die jhr nicht gern beleydigen woltet: dann es ist
schon eine lange Zeit/ daß ich schweigen gelernet habe.

Timonides war nicht mehr frölich vber den angetragenen Wür-
den/ als er bekümmert war wegen der Gefahr die er bey vollfüh-
rung dieses Ampts für zugehen sahe. Er wuste (dann er war deß
Arsi-
[864]das vnd Nicopompus bester Freundt) daß Archombrotus
der Argenis nicht gefiele. Köndte er nun dieses Ampt mit jhrer bey-
der Gunst verwalten? Geriehte er dann in deß einen Vngnade/ so be-
sorgte er/ das Gedächtniß der Beleidigung würde bey der Beleydig-
ten Person länger wehren/ als die Gunst bey der andern welcher er
gedienet hette. Darumb sagte er also zum Könige: Ich zweiffele an
Ewerer Majestät Verschwiegenheit nicht/ Großmächtigster König;
ich trage auch keine Beysorge/ daß Hyanisbe oder die Mohren et-
was begehen werden/ daß sie verdeckt vnd von mir wolten vnge-
schrieben haben. Das Glück aber/ wie auch die Zeiten vnd Men-
schen/ ist vnbeständig; vnd mit einem Worte/ jhr seyd Könige.
Solte sich was dergleichen begeben/ so wirdt mein Leben nicht allein
in eweren/ sondern auch in deß Cleobulus Händen stehen/ bey wel-
chem/ als dem Obristen Secretar/ die Abgesandten jhre Schreiben
auff eweren Befehl müssen abgeben lassen. Ich zweifele zwar an
eines solchen Mannes Trew gantz vnd gar nicht; wie aber wann jhr
einem andern solches Ampt/ oder er es selbst seinen Beygesetzten
anvertrawete? Wann auch dieses schon nicht möchte geschehen: so
wirdt es doch mehr als genug Straffe seyn/ daß es geschehen köndte.
Diese Furcht/ fieng der König drauff an/ ist nicht ohn Vhrsach.
Doch wann sich was solches zutrüge/ so könnet jhr die Schreiben
b c d e

[Seite 516]


sicherlich allein an mich richten. Timonides aber; Diese vnge-
wöhnliche Art/ sagte er/ nur
[865] bloß an euch zu schreiben wirdt
sie nicht jederman verdächtig seyn? oder wirdt Cleobulus keinen
Zorn mit mir auffschlagen/ wann ich jhm gleichsamb mit Zweiffel
an seiner Auffrichtigkeit vnsere Sachen nicht vertrawen werde?

Meleander wardt verwirret vber diesen Worten/ fieng an allein zu
spatzieren/ vnd gedachte/ daß eben diß was Timonides für sich sagte/
zu der Könige Sicherheit selbst dienete. Als er jhm nun die Gewalt
deß obristen Secretarien zu Gemüth führte/ erwoge er nicht ohne
Schrecken/ wie viel er zuthun vermöchte/ wann jhm der Gesandten
Schreiben zukämen. Daß die Geschäffte in seinen Händen stünden/
vnd er dem Könige nichts erzehlete als was jhm gefiele. In solcher
Freyheit aber was für Freundschafft mit den Außländern köndte er
nicht vber einen Hauffen werffen/ wann er wolte? oder welchen
Betrug vnd Vnrecht köndte er nicht zum besten drehen/ wann er
were bestochen worden? Würde er gleich mit fürsichtiger vbelthat
die Vntrew/ deren man jhn außdrücklich zu bezüchtigen vermöchte/
meyden: so köndte er doch die Sach selber wie er wolte/ wenden/
vnd klein oder groß machen/ als ob der Gesandte eben dieses von
jhm begehrt hette. So daß die Sachen/ welche der Abgesandte den
Secretar/ vnd dieser den König berichten wirdt/ beydes einerley vnd
vngleich seyn werden. Alle Ding können mit einem gringen leicht
oder schwer gemacht werden; vnd auß dem ernsten oder vnbesorg-
ten Gesicht deß jenigen der vns ein ding
[866] erzehlet/ drücken wir
vns geschwinde das Bildnüß deren Sachen die wir erstlich hören
ein. Die benachbarten Fürsten pflegen auch Leute von solchem An-
sehen entweder mit Geschencken zuversehen/ oder/ welchs am mei-
sten zuthun vermag/ mit heimlichem Vernehmen gleichsam als
jhres gleichen dermassen zu ehren/ daß sie schwerlich mercken/ daß
man jhrer zu einer vnbillichen Dienstbarkeit begehret. Wann sie
derwegen sich also entweder gäntzlich einnehmen lassen/ oder zum
wenigsten jhre geschwächte Trew dessen Fürsten Anschlägen/ den
sie mit vngebürlichem Bündnisse lieben/ nicht entgegen setzen/ vnd
dieses der Gesandte bey den Außländern mercket/ wie kan er den
König warnen? wirdt er demselbigen seine Schreiben zuschicken/
welchen er verklaget? wirdt er jhn seine eigene Laster dem König
anzeigen/ vnd wider sich mit scharffen Worten reden heissen? Es
geschiehet selten/ möget jhr sagen; vnd es mangelt an andern Her-
ren nicht/ durch welche ein Gesandter solche Verrätherey dem

[Seite 517]

nigkan zuwissen machen. Diese Verrichtung aber einer so hohen
Beklagung ist sehr schwer (weil entweder der Kläger oder beschul-
digte darüber vntergehen muß) wann man sie den jenigen vertraw-
et/ welche/ im Fall sie schon gantz verschwiegen sind/ vnd nichts
sagen/ jedennoch zuviel reden; vnd nicht viel lieber den vnschuldi-
gen Brieffen/ so stumm sindt/ vnd nicht wissen was in jhnen stehet/
auch nur einig von dem Könige können gelesen vnd verdruckt wer-
den. Wie wann ferrner die La-
[867]ster verborgen oder gering sindt/
oder der Gesandte selber daran zweifelt? Sol er mit verhaßter Ange-
bung deß obristen Secretarien guten Namen beleydigen/ vnd Leute
anstifften die jhn beym König angeben? Es köndte keine Sach ru-
hig/ kein solches Ampt sicher seyn. Vnd ein Gesandter würde offt-
mals nicht so sehr auff seine schuldige Pflicht als auff diese Freund-
schafft sehen. Wann auch schon der Secretar ein auffrichtiger
Mann/ vnd dennoch wie offtmals geschiehet/ mit dem Gesandten/
der dem König sein Gutbedüncken offenbahren wil/ wegen vollfüh-
rung der Sachen nicht einer Meinung ist; wie kan es recht fürge-
bracht werden/ weil er durch diesen allein dem König seine Gedan-
cken zuwissen macht? Dann der Secretar wirdt nicht wider sich selbst
reden; wirdt nicht nachlassen seine Meinung zubehaupten/ wirdt
das was wider jhn ist nicht verfechten: sondern geneigter seyn den
Gesandten zuhassen/ als sein Gutachten dem Fürsten zu offenbaren.

Meleander/ als jhm Timonides da er zum wenigsten darauff ge-
dachte/ dieses zu Gemüth führete/ fieng er an Mittel wider solche
Gefahr gäntzlich zu suchen. Cleobulus zwar war von solcher Tu-
gendt/ daß man sich von jhm nichts arges zubesorgen hatte. Könige
aber sollen nicht allein das gemeine Wesen für sich/ sondern auch
für jhre Nachkommenen versichern. Vnd es ist thörlich gehandelt/
wann man eines einigen Menschens Auffrichtigkeit so sehr ehret/
daß man einem offentlichen Ampt/ welches er
[868] verwaltet/
grosse vnd freye Gewalt einräumet: als ob es vnfehlbar allezeit auff
trewe Leute kommen müßte: da es vielmehr deren Verwegenheit/ so
entweder durch Einbietung oder Irrthumb darzu gelangen mit seinen
Kräfften stärcken wirdt. Derowegen nam er jhm für/ den Gesandten
erstlich mitzugeben/ so offt sie dem Secretar schrieben/ auch an jhn
den König selbst etwas außzufertigen; nicht weitläufftig/ noch von
f g h

[Seite 518]


grosser Wichtigkeit/ es sey dann daß etwas solches fürlieffe/ wel-
ches sonst keinem andern mußte vertrawet werden. Also köndte es
dem Könige nicht verdrüßlich seyn ein kurtzes vnd gemeiniglich
nicht wichtiges Schreiben zu lesen: der Secretar aber/ dem der Inn-
halt desselben verborgen were/ würde das jenige/ was der Gesandte
jhm zuwissen gethan/ trewlich berichten. So köndte man jhn auch
durch diese vnverdächtige weise dem Könige offtmals zu schreiben
anklagen ehe er es jnnen würde/ vnd daß dem Gesandten keine
Feindschafft darauß erwüchse. Welches also anzustellen were/ daß
der König die vberschickten Schreiben gleichsamb ob gemeine
Wolfahrt daran gelegen/ alsbaldt lese/ vnd sie niemanden liesse zu
Gesichte kommen. Dann solcher massen köndten nicht allein die
Abgesandten sich nichts zuförchten haben: sondern es würde auch
kein Mensch erfahren/ ob sie wichtige oder nur gemeine Sachen
berichtet hetten; damit der König desto besser Mittel habe etwas zu
bergen vnd auff Anschläge seiner Sachen zugedencken.

[869] Dieses aber muste gemach vnnd gemach angestellet wer-
den/ daß es Cleobolus fast nicht jnnen würde. Wie dann jetzo durch
den Abschiedt deß Archombrotus sich zu diesem Anfange gute Ge-
legenheit eräugete: weil man es dafür halten würde/ es geschehe auß
Liebe gegen dem jungen Herren/ vnd wölle er seiner Gesundtheit
wegen von dem Timonides allzeit Bericht einziehen. Darumb be-
fahl er jhm in Geheim/ wo etwas vorfiele/ daß der König allein wis-
sen dörffte/ als solte er es nur bloß jhm vertrawen. Auff daß aber
die Brieffe nicht verdächtig weren/ wann er sie selten vnd gleich-
sam auß der Ordnung schickte/ so köndte er jhm so offt als dem
Cleobolus selber schreiben. Bey solcher Anordnung ließ er es ver-
bleiben; vnd als kurtz hernach Cleobolus darzu kam/ befahl er dem
Timonides offtmals Brieffe zuwechseln/ nicht allein mit dem Cleo-
bolus/ sondern auch mit jhm selber/ vnd von der Gesundtheit vnd
Zustande deß Archombrotus zuberichten. Wolte also eben der-
gleichen fürgeben/ so offte er einen Gesandten in frembde Lande
abfertigte:biß der Gebrauch durch die Gesandten selber mehr vnd
mehr einwurtzelte/ in dem sie es jhnen für eine Ehre halten wür-
den/ wann sie Schreiben mit dem Könige wechseln dörfften.

[870: Kupfer Nr. 19]

i
[Seite 519]


Fußnotenapparat

a Einbietung = Empfehlung
(commendatio)
b Cleobolus] Die Vorlagen schrei-
ben
Cleobolus; Hrsg. hat nicht
normalisiert. Siehe Anm. S.
364.
c fürsetzen = höher stellen als
(anteferre)
d Gedächtniß der] Aus Dkf Ge-
dächtnis deß
e der Beygesetzte = Stellvertre-
ter (vicarius; commis)
f muß] Aus müß (nach B)
g verdruckt = unterdrückt (pre-
mat; supprimer)
h Einbietung hier pejorativ =
Fürsprache (ambitu; par bri-
gues)
i sich eräugen = vor Augen er-
scheinen, sich ereignen (offerri)
XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000257/Band_III/Band_III_2/Buch_5/III_2_76_5_III.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000257/skripte/tei-transcript.xsl