Spiegel aller Christlichen Matronen/ | oder | Ehrengedächtnuß |
Der ... | ... Frawen Marien gebor-|nen Rhenischen/ Herren Da-
vid | Müllers
geliebten Haußfrawen: | Von gelehrten gutten Freun-
den | geschrieben. | Gedruckt
zum Brieg/ bey Augustin Gründern/
| Im 1628. Jahre.
4°: A–K, M 2 Exemplare: Breslau 4 V 65/48; Göttingen UB,
Poet. Germ. 2731
Auf Bl. B1–D3 der Text von Martin Opitzen | Trostschrifft. Der
Zwischentitel steht
auf B1a, die Rückseite ist unbedruckt. Kopftitel
ist mit
dem Zwischentitel identisch, der Text endet Mitte D3b mit
einem kleinen rechteckigen Ornament. Auf Bl. D4a wird
unter dem
Kopftitel Eben sein Martin Opitzen Trostgesang. das Gedicht
»Die
Zeit so wir verschliessen«, Nr. 90, wiederholt. Schließlich folgt
auf Bl. K2–D3b »Ach! was ist diß?«
Nr. 91.2 (als Einzeldruck Nr. 90) stellt Opitz’ erste Schrift zum
Tode von
Maria Rhenisch dar. Etwa gleichzeitig erschien eine wei-
tere
Veröffentlichung, SSLS III 437 (2169); sie enthält auf 7 Quart-
seiten den Lebenslauf der Verstorbenen und die Predigt von Pastor
David Faber. Ein Ungenannter stellte eine dritte Leichenschrift zu-
sammen, den hier behandelten Spiegel: Mende 405 (R4071); SSLS
IV 946 (24575). Diese Sammlung ist im Hinblick darauf, daß es sich
um den Tod
einer Bürgersfrau handelt, überdurchschnittlich um-
fangreich. Allerdings
entstammte die Verstorbene einer angesehe-
nen Gelehrtenfamilie, und der Witwer war
Breslaus bekanntester
Verleger und Buchhändler, der mit vielen Männern der Feder in
Verbindung stand. Die Beiträger, ›ein gantzer hauffe‹ (Bl. D3b),
über 75 an der Zahl und manche mit zwei oder drei Beiträgen sind
natürlich z. T. dieselben, welche vier Jahre zuvor den Tod von Maria
Müllers
Bruder beklagt hatten (siehe die Nummern 61 und 62). Er-
wähnenswert sind vor allem
die Lehrer der beiden Breslauer Gymna-
sien: David Rhenisch (der Vater der Verstorbenen), Elias
Major,
Der nächste authentische Druck von .1 findet sich in C II,
S. [423]–450.
Zwischentitel, S. [423]: Martin Opitzen | Trost-
schrifft; | an Herrn Davidt
Müllern. S. 424: Kopfleiste,
1,3 × 7,9 cm; Linie, 7,9 cm;
Kopftitel: Martin Opitzen | Trost-
schrifft. Initial-F, vier Zeilen im Geviert (1,7
× 1,7 cm). Der Text
endet in Spitzkolumne im oberen Drittel von S. 450, dem
vorletzten
Blatt des Buches. Auf das Wort ENDE. folgt noch ein groteskes Mas-
kenornament, 4,9 × 4,7 cm. Kolumnentitel sind nicht vorhanden;
Seitenzahlen in der Mitte über der Kolumne; die Kustoden enthal-
ten keine
Irrtümer oder Unregelmäßigkeiten.
In F II steht .1 auf S. [167]–192 wie folgt: S. [167]: MARTINI |
OPITII |
Trostschrifft: | An Herrn David Müllern. S. [168] enthält
die unten abgedruckte
Notiz »An den Leser«, deren Überschrift aus
der Tertia gesetzt ist. Unter einer
Linie von 6,9 cm Länge folgt der
aus der Textfraktur gesetzte Wortlaut der Notiz.
Die Initiale W mißt
1,2 × 1,4 cm. S. 169: unter dem Kolumnentitel
Trostschrifft.
und einer Kopfleiste von 0,8 × 7,2 cm der Kopftitel wie in C.
Initia-
le F, 1,3 × 1,2 cm; der Text der Trostschrift endet in Spitzkolumne
mit der 4. Zeile auf S. 192; in der Mitte der Seite ein medaillonähnli-
ches
Ornament von 2,4 × 3,3 cm. Kolumnentitel: MART. OPITII ||
Trostschrifft.
Seitenzahlen l. und r. außen über der Kolumne. Auf
S. 192 steht rechts vom
Kolumnentitel auch noch die fehlerhafte Sei-
tenzahl 272. Unregelmäßige Kustoden:
187 Rettulit 188 Retulit;
189 muß 190 Sie; 191 Leuthen 192 Leuten.
Der einzige erwähnenswerte spätere Abdruck findet sich bei Tril-
ler: Bd. I/II. S.
707–28. Triller benutzte F als Druckvorlage und
fügte 22 Anmerkungen hinzu,
davon enthalten einige Quellenanga-
ben.
Der Text von .1 ist recht nachlässig gesetzt. Hrsg. hat Umlautzei-
chen dort
stillschweigend eingefügt, wo sie in C oder F oder in beiden
aufscheinen.
Wie der Dichter selbst betont (Bl. B2a), hat er die Schriften
der
Alten weitgehend herangezogen, sie umschrieben oder zitiert. Es
sind vor
allem Senecas Dialoge und Briefe, die er verwendet hat. In
seinem Aufsatz »Martin
Opitz und der Philosoph Seneca«, Neue
Jahrbücher für das
klassische Altertum, Geschichte und deutsche
Literatur VIII bzw. XV (1905),
334–44, hat Eduard Stemplinger
auf eine Anzahl von Quellen und Parallelen hingewiesen. Die Zahl
ließe sich
noch vermehren, wenn es gälte, die in der »Trostschrift«
vorhandene Mischung von
Übernommenem und Selbstformuliertem
zu zerlegen. Gellinek 237–41 analysiert und
kommentiert .1 mit
Hervorhebung der beiden Sonettübersetzungen.
Zu .2 siehe Nr. 90.
»Threnen | zue ehren | der ewigkeit« beginnt auf Bl. K2a und
en-
det unten auf Bl. K4b über einem aus zwei Blättchen
bestehenden
Ornament. Die Vorlage findet sich in dem Traktat Nicetas seu
triumphata incontinentia des Konvertiten Jeremias
Drexel, S. J.
aus Augsburg. Nicetas erschien zuerst 1624 bei
Nicolaus Heinrich
in München und war bis 1628 an verschiedenen Orten elfmal aufge-
legt
worden. Die deutsche Übersetzung von Christoph Agricola
kam zuerst 1625 heraus. Weitere Auflagen und Übersetzungen in
andere Sprachen
folgten; siehe Dünnhaupt ›Jeremias Drexel‹,
Nr. 8.
Drexels Gedicht »Lachrimae aeternitatis sacrae« ist in Buch II,
Kapitel 11 zu
finden und besteht aus 44 vierzeiligen Strophen. Das
Wort aeternitas ist durch
Großbuchstaben hervorgehoben.
Hierin und in der Länge hält Opitz sich eng an die
Vorlage. Bei Opitz
sind die Strophen weder numeriert noch im Satz abgesetzt, doch
sind die Zeilen 1, 5, 9 usw. nach links vorgerückt. Zu Opitz’ Über-
setzung
liegt bisher noch keine Spezialuntersuchung vor. H.
Max,
146/47, kommentiert das Gedicht, als ob es Opitz’ eigenes sei,
und
weist auf Rists Paraphrase »O Ewigkeit, du Donnerwort« hin. Zu
Drexel siehe
Karl
Pörnbacher, Jeremias Drexel, Seitz, München
1965; bibliographisch bringt Dünnhaupt einige über Pörnbacher
hinausgehende
Titel.
Zur Identifizierung der Vorlage siehe John
Bruckner, »›Threnen
zu Ehren der Ewigkeit‹: Überlegungen zur Vorlage
einer Opitz-
Übersetzung, 1628«, Dt. Barockliteratur u.
europäische Kultur,
Bd. 3, M.
Bircher u. E.
Mannack, Hrsg., Hamburg 1977, 227–29.
In den Sammlungen ist .3 wie folgt abgedruckt: C II, S. 396–402
in der Abteilung
Oden oder Gesänge. Dort unter einer Kopfleiste,
0,6 × 7,9 cm und einer Linie
derselben Länge, der Titel »Threnen |
Zu Ehren der Ewigkeit; | Auß eines andern
seinem | Lateinischen. |
IV.« Initial-A vier Zeilen in Geviert; das Wort Ewigkeit
ist
zwar hervorgehoben, doch die für die Emphase verwendete Type
(Schwabacher
in gleicher Größe wie die für dies Gedicht verwendete
Frakturschrift) ist nur
schwer wahrnehmbar. Auf der unteren
Hälfte von 402 ein kleines Ornament aus drei
Blättern um (o) grup-
piert.
In E steht das Gedicht in der Abteilung Geistliche Oden oder Ge-
sänge. Es nimmt
die unteren drei Viertel von S. 235 (verdruckt als
253) ein und erstreckt sich bis
240. Über dem Titel eine Zierleiste,
0,7 × 7,4 cm; der Titel lautet nun
»...| Auß eines andern Latei-| ni-
schen. | Auff die Weise deß 9. Psalm. | Ich will
dich Herr/ von Hert-
zen grunde.« Hervorhebung des Wortes
Ewigkeit ist nun nicht
mehr vorhanden.
〈Nur F II, S. [168]:
An den Leser.WIewol diese Trostschrifft nicht Poetisch ist/ dennoch weil sie zu-
vor bey diesen Büchern gewesen/ auch gleichmässigen Inhalt mit
den
Begräbnüßgedichten hat/ ist sie dabey gelassen worden.〉
FReundtlich geliebter Herr Müller; Vber dem abschiede Ewerer
seligen Haußfrawen bin ich
ewrentwegen nicht vnbillich beküm-
mert/ vnndt trage ein solches mitleiden/ wie
dem jenigen gebüh-
ren wil/ dessen freundtschafft sich weiter erstreckt dann
die
b
Was ist es aber/ das jhr dem schmertzen so viel einräumet? Be-
weinet jhr nicht einen Menschen/ der eben das jenige gethan [B2b]
hatt/ was wir alle thun müssen? Es
hatt einen solchen zuestandt
vmb die allgemeine notwendigkeit/ das sie alle
dinge/ sie wieder-
fahren mitt jhrem willen oder vnwillen/ an eine vrsache die
vber
vns vndt Göttlich ist verbindet; das sie fodert/ vndt nimpt wann
man
nicht giebet; das sie für schreibt/ vndt jhr nicht fürschreiben
leßt: welcher
darumb ein weiser mann/ nichts versaget/ vndt sich
auß dem lauffe deß gantzen
vndt der theile/ vnter die er auch ge-
höret/ in das jenige was jhm geschiehet
mitt beständigkeit schi-
cken lernt〈/ vnd eben das saget was Cleantes beim Seneca:
Dieses grosse Gantze was wir Welt nennen/ was in himmel/ erden
vndt see besteht/ hanget an gemeldeter Notwendigkeit dermaßen/
das nichts
bestendiges darinnen gefunden wirdt als die vnbestendig-
keit.i
Die elemente/ auß denen alle andere sachen herrühren/ fan-
gen vnendtlich
zuegleich an zue leben vndt zue sterben; vndt von
jhrer verenderung pfleget
dieses zue werden/ jenes vnter zue ge-
hen. Die fackel der welt die Sonne/ das
schöne liecht des erdtbo-
dens/ weichet der nacht/ vndt drewet täglich/ was sie
dermaleins/
wann alles krachen vndt brechen soll/ wirdt thun mäßen. Sie wirdt
zue weilen vertunckelt/ vndt zeiget an/ es werde ein tag sein/ an dem
sie
nicht mehr sein wirdt. Dieser jhrer Königinn folget nebenst dem
vnbestendigen
Monden/ das andere heer der sternen/ gehet so offt
hinweg als es kömpt/ vndt
gesegnet vns die wir sämptlich gesegnen
sollen. Es ist niemals allzeit früling/
allzeit sommer/ allzeit herbst
vnd winter/ vndt diese zeiten sindt mitt der Zeit
vmbschloßen.
Die thiere der erden/ was laufft vnd kreucht/ die fische vndt
wundergeburt des meeres/ die kinder der lufft die vögel/ führen
vns mitt
jhrem tode den vnsrigen zue gemüte. Die bäwme laßen
jhre blätter fallen/ vndt
scheinen zue sterben so offt der winter
jhre ziehr hinweg reißt. Der felder
glantz die blumen hangen jhr
wolschmeckendes Haupt/ vnd verwelcken entweder von
sich
j
k
l
m
Es wehren allhier wenig sachen lange/ keine nicht ewig. Lucius
Anneus Seneca/ oder wer es sonsten ist/ spricht gar wol:
Gehe nun einer hin/ vndt beklage den betrübten zuestandt
Deutschlandes des schönsten theiles von Europa. Er beweine die
verwüstung so
vieler länder vnd städte; weil auch die erde vnter-
gehen vndt fallen soll/ die
doch keinen ort hatt wo sie hin fallen
kann. Betrawret Ihr ewre Liebste/ nach dem
so viel tausendt men-
schen/ so viel ritter vnd helden beyderseits/ durch
jetzigen jäm-
merlichen krieg vndt einheimische waffen hingewürgt vndt auffge-
opffert worden sind.
Freylich wird ohn schmertzen nicht verlohren/ was mitt liebe
beseßen ist worden: Doch wollet jhr sie je betrawren daß sie ge-
storben
ist/ so betrawret sie auch das sie ein mensch gewesen ist.
[B3b] Der erste eingang zum leben ist
schon ein schritt zum tode.o
Mitt dieser bedingung sindt wir herein kommen/ das wir wieder-
umb wollen
hinaus gehen. Vndt wann wir alles was menschlich an
p
q
r
s
Was sindt wir anders als ein spiegel des elendes/ ein hauß der
kranckheit vndt sorgen? Keiner stirbet so arm/ als arm er geboh-
ren wirdt.
Die thiere bringen jhre diecke häute/ jhre haare/ bor-
sten/ schuppen vndt
schalen mit sich: Die bäwme sindt mitt jhrer
rinde vmbhüllet. Der Mensch das
göttliche thier/ dessen vrsprung
vom himmel ist/ hebet nicht ehe an zu leben als
zue weinen/ vndt
zeiget mitt seinem klagen an/ daß er dahin gelange wo nichts als
klagen sein werde. 〈So das er keinmal weniger leuget/ als wann er
das
Leben mit weinen anfängt.t CF〉 Lachen
〈aber CF〉 wirdt man
für dem viertzigsten
tage/ wann es zeitlich geschiehet keinen se-
hen.u Wann lernet er gehen? Wann reden? wann eßen? Also das er
auch das jenige nicht gern zue thun scheinet/ was er thun muß/ im
fall er
anders leben wil. Seine kindtheit ist ohnmächtig/ sein alter
kindisch/ seine
jugendt vnbeständig/ seine manneszeit mühselig/
vnd wo er hinsiehet/ da findet er
nichts als mangel der nottdurfft/
vndt vberfluß der dürfftigkeit.
Betrachte den steten einmahner seines zolles den leib; wie vnge-
stüm pflegt er täglich von vns zue fodern? Vnd wann du gleich
einmal ein
vbriges gegen jhm thust/ so wird doch die folgende
schuldt darvon nicht geringer.
Wir gehen wie ein roß auff der
mühlen deß lebens mitt verbundenen augen herumb/
vnd bringen
nichts für vns als die zeit die vns mitt sich fort reißet. Dieses
radt
das wir treten ist hoffnung/ furchte/ hunger/ füllung/ wachen vnd
schlaffen/ vndt das gantze leben ein trawm des schattens.v
Allein
der mensch kennet von allen thieren die wollust/ den geitz vndt
w
x
y
z
aa
ab
Vergebens/ jhr armen sterblichen! Es ist kein ort da der todt
nicht hinkömpt/ keine festung die er nicht ersteiget. Wir sindt nir-
gendt
vndt niemals sicher. Stehen wir auß dem bette auff/ so wis-
sen wir nicht/ ob wir
vns noch einmal legen; legen wir vns/ ob wir
noch einmal auffstehen
mögen.
steht beym Seneca im wüttenden Hercules.ac Keine königliche
krone/ wie sehr sie gläntzet/ verblendet dem
tode die augen/ keine
heldenstärcke bindet jhm die hände/ keine kunst wiederleget
seine halßstarrigkeit/ keine beredtsamkeit beuget seine vnbarm-
hertzige
sinnen. Meinet jhr/ mein Freundt/ das es vns helffen
könne/ euch das jhr bücher
habet/ vndt mich das ich bücher
schreibe? Didymus von ien ist mitt alle seinen drey tau-
sendt fünfhundert
büchern/ die er soll gemacht habenad/ gestorben
vndt vertorben. Jetziger augenblick darinnen ich dieses
schreibe/
ist ein theil von meinem leben. Keine schönheit gilt bey demselbi-
gen/ der in vnsern augen der häßlichste ist. Er ist vndt mach gräw-
lich.
Dann so bald die seele gese-[B4b]gnet hatt/ so sehen wir was
das übrige gewesen sey: ein schleim vndt galle/ ein
gestanck/ vndt
etwas das ich nicht nennen mag/ damit auch die gedancken da-
durch nicht beleydiget werden.
Dieses faule kleydt das wir tragen ist eine zusammenflickung
der vnwißenheit/ eine steiffe des muttwillens/ ein bandt der verwe-
sung/
ein finsterer zaun/ ein lebendiger todt/ ein fühlendes aaß/
ein herumbgehendes
grab/ ein eigener haußdiebae/ vndt wie etwan
Hermes Trismegistus weiter saget. Ich schäme mich zue dencken/
viel
mehr zue sehen/ was das jenige sey mitt dem wir groß zue thun
vndt zue prangen
pflegen. Peter
Ronsardt/ der gelehrte Frantzösi-
sche Edelmann vndt Poet/ hat es
kurtz für seinem tode am besten
an sich selbst zue beschreiben wißen; Dann
folgendes Sonnet ist
fast sein schwanengesang gewesen:
Was war damals/ O du ziehr der wissenschafft/ an dir übrig als
die seele/ welche über den leib ist/ vndt in jhre freyheit kömpt/
wann sie
jhn wie ein kleydt das nicht mehr taug hatt abgelegt?
Oder/ Ihr/ was hatte das
lange lager ewer Liebsten von dem je-
[C1a]nigen gelassen das wir schönheit
nennen? Wo waren die zeu-
gen jhrer keuschheit die wangen? Sie waren eingefallen.
Wo die
ag
ah
ai
Ewere Haußfraw/ wie sie euch vndt den vnerzogenen Kindern
zum
besten noch hette leben wollen/ also befandt sie letzlich/ das
sie mehr entlehnet
als genommen/ mehr vorangeschickt als ge-
trennet würde. Sie erkandte den
höchsten als Gott/ von dem kein
böses kommen kan: sie ehrete jhn als den Herren/
deßen willen
ein jetweder vollbringen muß: sie gehorchte jhm als einem Vater/
der beydes hertzlich liebet/ vnd auch die liebe selber ist. Sie be-
trawrete
nicht jhren todt/ sondern ewren Witwenstandt; nicht die
frewden der Welt/ sondern
jhre kinder die neben euch jhre frewde
auff der welt gewesen waren. Sie hatte bey
jhrem leben sterben
gelernetak/ vndt war bey langwierigem siechbette alle tage gestor-
benal. Ihr wißet mitt was für begiehr sie die Threnen
von der Ewig-
keit/ so ich jhr zue gefallen auß einem nicht vngelehrten
manneam
auff der eyll deutsch gegeben/ vndt hierbey zue setzen habe ver-
gönnen
wollen/ zue lesen/ vndt sich nach dem was künfftig ist zue
an
ao
ap
Liebsten Eltern/ fieng sie an/ begehret mich 〈lenger
CF〉 nicht
weil mich Gott begehret/ vndt trawret ja nicht
wie die Heyden. Wie
trawren die Heyden/ du selige seele?
spricht Käyser Hadrian als er sterben soll in seinen nicht bösen
versen sehr böse.
Ein anderer sagt:
Quintilian/ als er der seinigen absterben beklaget/ fengt vnter an-
dern an: Welcher redlicher Vater wil es mir verzeihen/ wann ich
jetzundt
noch studiren kan? vndt wil diese meines gemütes härtig-
keit nicht haßen/ wann
ich meine rede zue was anders gebrauche/
als das ich/ der ich von allen den
meinigen allein vbrig bin/ die
Götter verklage? das ich spreche/ es sey keine
versehung die sich
vmb den Erdtboden bekümmere? Wo nicht meinenthalben/ dem
as
Ich kan der armen leute Grabschrifften/ darinnen sie den todt
einen ewigen schlaff/ das grab ein ewiges hauß nennen/ bißweilen
ohn lachen/
mehrmals aber ohn mitleiden nicht lesen. Ist diß ein
ewiger schlaff/ auß dem wir
zum ewigen leben erwachen? Kan diß
ein ewiges hauß sein/ aus welchem wir in die
himmlische wohnung
versetzt sollen werden? Wie viel beßer/ du Gottsfürchtige
Chri-
stinn/ kanst du die deinigen auffrichten/ mitt dem troste der ewig-
keit die für der zeit gewesen ist/ vndt nach der zeit sein wirdt?
Meine Eltern/ liebster Mann/ wündtschet jhr mich lieber allzeit
kranck/ als einmal genesen zue sehen? Ist das sterben mir etwas
guetes;
warumb wollt jhr mir es nicht vergönnen? Ist es euch etwas
böses/ so bedencket/
das es gueten leuten gemeiniglich vbel/ vndt
bösen leuten wol gehet. Ihr habt
meinen todt auß vielen vmbsten-
den bißher wol ersehen/ vndt leichtlich verspüren
können/ das ich
nur geraden weges auff das jenige zue eile/ wohin jhr sämptlich
kommen müßet. Habt jhr es aber nicht gemeinet/ so habt jhr nicht
nachgedacht/ welch ein zerbrechliches guet das leben sey. Es be-
treuget
einen jeglichen sein glaube/ vndt die willige vergeßenheit
der sterbligkeit in
dem jenigen das jhm lieb ist. Die Natur hatt
keinem verheißen/ das sie jhm zue
gefallen einen andern wolle
lenger leben laßenau. Da jhr mich erzeugt habt vndt gebohren/
wußtet jhr das ich
sterben würdeav. Da jhr mich geheyrhatet habt/
aw
ax
ay
In warheit/ Herr Müller/ keinen kummer/ beydes den leib vndt
die seele betreffendt.
Jenem habt jhr bey jhrem leben zue rhaten
kein mittel hinterlaßen/ habt
verständige ärtzte gefodert/ die der
kranckheit zum öfftersten/ dem tode niemals
begegnen können.
Nunmehr nach jhrem abschiede ist von euch alles das jenige ge-
schehen/ was der getrewen liebe gegen jhr vndt ewrem zuestande
gemeß ist.
Mitt jhrer seelen hatt es so gar keine noth/ das sie auch
jetzt erst durch den
todt in jhre freyheit gesetzt ist worden.
Ist sie in der blüte jhres alters von ewrer seiten gerißen/ so wis-
set das niemand zue zeitlich in den Himmel kömpt. Es ist hewer so
gutt selig
werden als vber hundert jhare. 〈Spricht doch ein Heide:
ὅν φιλεῖ ϑεὸς ἀποϑνήσϰει νέοςba. Wen Gott lieb hatt/ der stirbt
jung.
CF〉 Muß sie ewerer/ der kinder/ jhrer freunde vndt der
jrrdischen dinge entberen/ so ist sie dahin gereichet/ wo man kei-
nes
ehegattens/ keiner kinder/ keiner bekandten bedürffen wirdt;
wo keine sorge noch
begiehr etwas zue genißen raum hatt. Es be-
stehet doch das menschliche wesen in
lauter müh vndt jammer; ja
das jenige auch/ wormit wir vns glückselig zue sein
glauben vndt
ausgeben/ kan den namen der eitelkeit vndt des elendes nicht ent-
fliehen. Dann was ist so hoch/ so schön/ so süße/ wann es schon was
newes
vndt sonderliches ist/ das durch seinen steten gebrauch
vndt gewohnheit nicht bey
vns geringe wirdt/ vndt einen eckel hin-
ter sich nachzeucht?
Sie ist vber sechs vndt zwantzig jhar kommen: Auch die helffte
darvon ist schon ein großes theil des alters.
Στιγμὴ χρόνου πᾶς ὁ
bb
bc
bd
Wir leben neben dem leben; sagt Ennius. Vndt Manilius:
Victuros agimus semper, nec vivimus unquambh. – – Wir wollen allzeit leben/Martialis ingleichen/ im 6. buche.
At nostri bene computentur anni, Et quantum tetricae tulere febres Aut languor gravis aut mali dolores, Infantes sumus et senes videmurbi.Laß vns auch ein hohes alter erreichen/ werden wir nicht eben
hernach derselbige staub sein der wir jetzt sein köndten? Haben
wir nicht
von den wenigen tagen so vbrig sindt nur dieses zum
besten/ das wir theils viel
böses sehen/ theils leiden/ theils auch wol
selber thun; endtlich aber dennoch
vnvermeidentlich der natur
jhren tribut ablegenbj/ anderen
folgen/ anderen fürgehen/ vndt
bk
Es bestehet nur in einer vergleichung/ das man dieses ein kurt-
zes/ vndt jenes ein langes leben heißt. Dann die thierlein beym
fluße
Hypanis im Europischen Scythia/ von denen Aristoteles mel-
detbl/ welche des morgendts jung
werden/ vndt mit der Sonnen
vntergange auch vntergehen/ wann sie zu mittage
sterben/ so kan
[C3b] man sagen/ sie weren kurtzen
lebens gewesen; sindt sie biß
auff den abendt verblieben/ sie hetten ein hohes
alter erreicht;
welches sich doch kaum vber zwölff stunden erstreckt. Wann eine
fliege zwey sommer erlebt/ so ist es sehr viel: Wie hoch ist aber jhr
alter
zue rechnen gegen dem menschlichen? Eines hundes weite-
ste lebens zeit sindt
zwölff jharebm: ein mensch hatt schon lenger
gelebt wann er gleich noch
in der jugendt stirbt. Dennoch müssen
wir sein alter nicht nach der anzahl der
jhare/ sondern nach dem
gemüte/ der tugendt vndt allem was zum recht leben von
nöthen ist
schätzenbn. In einem kleinen leibe kan doch ein
vollkommener
mensch sein: so auch in einem kurtzen begrieffe der zeit kan ein
vollkommenes leben sein.
Sein alter hatt keiner in den händen. Es stehet nicht bey mir/ ob
ich lange leben werde; es stehet aber bey mir/ ob ich wol werde
lebenbo. Dieselbigen leben am
kürtzesten/ die das vergangene ver-
geßen/ das gegenwärtige vbersehen/ vndt auff
das künfftige nicht
gedencken. Ein Christ weiß das er von der arbeit zur rhue/
vom
kummer zur lust/ von der furchte zur sicherheit kömpt. Welcher
Kauffmann
begehrt länger auff der see zu schweben/ wann er nach
wolverrichteten sachen in
den hafen einlauffen kan? Des leibes
leben ist der seelen todt/ vndt des leibes
todt ist der seelen frey-
heit.
Das alter bringt kranckheiten mitt sich/ vndt ist an sich selbst
eine kranckheitbq. Die klare
haut des frawenzimmers wirdt runtz-
licht/ der zarte halß gekrümmet/ die hellen
augen trieffendt/ das
haar weiß/ die zähne schwartz/ vndt was vns zuevor dermaßen
ge-
fallen hatt/ das pflegt auch nur nicht ein kennezeichen seiner ge-
wesenen ziehr hinter sich zue verlaßen. Wir männer verliehren
vnsere
kräfften/ vergeßen nicht allein des reitens/ sondern auch
des gehens/ nehmen für
den degen einen stab in die handt/ schlei-
chen gebücket als müßten wir sehen wo
wir hin sollen/ wincken
mitt dem kopffe dem grabe/ werden kahl vndt zeigen die
hirn-
schale/ so dem tode am ähnlichsten ist. Jener sagt:
Wir werden furchtsam/ vnd müßen doch ohn diß baldt sterben;
sammlen viel Geldt vndt zehrung/ da wir noch den kürtzesten weg
zu reisen
habenbt. Die sinnen dienen nicht mehr dem leibe/
die
vernunfft den sinnen: wir bringen die nacht ohn schlaff/ die mahl-
zeit
ohn eßen hin/ machen vns andern vnd vns selbst verdrießlich.
In summa das leben
ist wie der wein: wann er auff die neige kömpt/
so wirdt er sawer.
Derhalben gönnet ewrer Liebsten das sie damals gestorben sey/
als sie jhr das leben/ welches gemeiniglich den alten beschwerlich
ist/ noch
hatt wündtschen können. Eines jungen menschen todt ist
allzeit weniger zue
zeitlich/ als eines alten zue langsam. Wir kön-
nen nicht wißen/ ob es jhr guet
gewesen daß sie lenger gelebet
hette. Bey jetziger beschaffenheit vndt zuestande
scheinet nichts
gewiß zue sein/ als was fürüber ist. Hetten wir nicht mehr als
das
zeitliche zue bedencken/ so würde keiner von vns das leben anneh-
men/
wann es nicht einem jeglichen ohn sein wißen gegeben
würde. Darumb sindt völcker
gewesen/ die bey des menschen ge-
bu
bv
Seidt zue frieden mitt dem was ist; weil es doch sein muß wann
jhr schon nicht zue frieden seidt. Klaget jhr das sie gestorben ist/
so
hettet jhr allzeit klagen sollen; dann jhr habt allzeit gewußt das
sie sterben
würde. Gedenckt jhr das es viel sey was sie verlohren/
so gedenckt auch das es
mehr sey was sie bekommen hatt. Sagt jhr
[C4b] sie habe die kinder verlaßen/ so
trawret also damit sie nicht
auch von euch verlaßen werden. Das betrübniß kan vns
zue den
todten/ die todten aber nicht zue vns bringen.
Zwar es ist menschlich das man sein vbel fühle; aber auch männ-
lich das man es ertragebx. Ein mann mag wol seufftzen: heulen
vndt schreyen soll auch ein weib nicht. In einem weichen holtze
wachsen die
würmer am erstenby: der schmertz nistet am ehsten in
einem
weichen hertzen. Ein mann steht vnbeweget: es ist allzeit
hell/ allzeit heimlichs
wetter in seinem gemüte. Seine tugendt er-
scheinet auß der prüfung des vnglücks.
Wo nicht geschlagen wirdt/
da kan auch nicht gesieget werden. Ein schiffmann
wirdt im vnge-
witter/ ein soldat im treffen erkandtbz. Ein bawm
der tieff gewurt-
zelt ist fragt wenig nach dem winde: ein wolgebawtes schiff
wirdt
von den wellen getrieben/ nicht zerschlagen. Die sprew fleugt em-
por/
das korn bleibt liegen. Große gemüter laßen sich mehr sehen
in wiederwertigkeit/
als in glück vndt wolfarth. Ihnen ist mitt gue-
ten tagen nicht gedienet. Der
gelehrte Hadrian/ als Florus/ jhm
seine stete reisen/ müh vndt arbeit für zue rücken/
sagte:
gab gar recht zur antwort:
Ego nolo Florus esse, Ambulare per tabernas, Latitare per popinas, Culices pati rotundosci.[D1a] Die tugendt liegt in keinem bette;
sie wil herfür gesucht/
gefodert vndt auff die probe geleget werden. Vbel vndt
vnglück ist
jhre beste gelegenheitcj. Sie klaget nicht himmel/ erde/ lufft vndt
dergleichen an/ wie die Poeten thun/ die eines theils lieber zue
anderer als
zur zeit der anfechtung zue lesen sindt: wie dann Pe-
trarcha sonderlich
hierinnen meister ist. Es thut mir bange das ich
noch der sprache nicht besser
kündig bin. An ein Sonnet wil ich
mich gleichwol machen:
Warumb klagen wir das jenige an/ das vns nichts gethan hat?
Warumb ruffen wir denen sachen zue/ die vns nicht helffen kön-
nen? Laßet
vns bedencken/ das es bey dem frölichen anblicke der
wolfahrt leichte sey mutig
zue sein/ vndt die bestendigkeit auß dem
kreutze muß erkandt werden. Was weiß ich
wie einer armut ver-
tragen kan/ wann er geldes vndt guetes genung hatt? Wannher
kan
ich wißen wie er sich zue der seinigen absterben schicken werde/
wann er
alle siehet die er gerne siehetcp?
Machet euch ewer vbel nicht größer/ vndt laßet euch mitt kla-
[D1b]gen vnbeschweret. Meinet nicht es
sey euch vnrecht gesche-
hen/ das jhr eine solche ehegattinn verlohren; sondern
haltet es
für eine wolthat/ das jhr jhrer liebe so lange genoßen habt. Der
jenige thut vnrecht/ der es jhm nicht für einen gewinn helt was er
bekommen
hatt; sondern für einen schaden was er wiedergegeben
hatt. Gott hatte sie euch
geliehen/ nicht geschencket: nunmehr
abgefodert weil es jhm also beliebet: vndt
nicht ewrer sättigkeit/
sondern seinem willen gefolget. Ist es euch eine lust
gewesen das
jhr sie gehabt; so ist es menschlich/ das jhr sie nicht mehr
habtcq.
Wie woltet jhr ewren todt
annemen/ wann jhr eines andern so
hoch empfindet? Laßt Gott machen/ der nichts
böses macht.
Wollt jhr aber nicht glauben/ das es euch zum besten geschehen;
so glaubet auch nicht/ das manchem zum besten ein schenckel/ ein
arm vndt
dergleichen abgelöset werde/ was ohn vntergang des
gantzen leibes daran nicht
bleiben köndte. Er siehet der höchste
artzt wo er vns in die haut schneiden/ wo
er eisen vndt fewer brau-
chen soll. Er hatt ein väterliches hertze gegen vns/
vndt weiß wie
viel wir ertragen können. Der heilige Egidius/ als er gefragt
wardt;
was wir in trübsall vndt angst zue thun hetten? sagte: Ob der HERR gleich steine vndt klüfften vom himmel regnete/ so würden
sie vns nicht schaden/ wann wir also weren wie er vns haben wilcw.
Ihm stellet alles
heim; jhm vertrawet. Die hoffnung auff Gott ist
eine starcke schantze/ durch
welche keine anfechtung dringet.
Dann wer die begiehr weltlicher sachen ablegt/
vndt an das jenige
denckt was nicht sterblich ist/ der liegt so feste zue ancker/
das jhn
kein sturm vndt vngewitter zum minsten beweget.
Hierbey thut auch die zeit nicht wenig/ die allem kummer/ er sey
so starck als er wolle/ dennoch endtlich obsieget. Was heute nicht
ist/ das
kan morgen sein: also wirdt das leben fortgetriebencx.
sagt Virgiliuscz. Die hoffnung ist eine muter der gedult/ vndt die
gedult
vberwindet alles.
Zue euch kan sie ferner nicht kommen; jhr aber könnet vndt
sollet zue jhr kommen. Sie hat das böse kleidt des leibes abgelegt:
Dann was
ist diese haut/ diß gerippe/ dieses fleisch anders als eine
hülle/ ein
verdrüßlicher rock/ den man wegwirfft wenn er nicht
Vnter so vielen meinungen der Heiden von der seelen/ haben
die
vernünfftigsten selbst (sonderlich jhre älteste lehrer die Poe-
ten) sie für
vnsterblich gehalten. Dann/ solte sie sterblich sein/
warumb dürfften wir dem
leibe abbrechen/ seine wollust ver-
schneyden/ seine begiehr zähmen/ vndt vns
wehe thun/ damit wir
der tugendt genung thun mögen/ welche entweder in diesem/
oder
in dem andern leben/ wie die Platonischen vndt Pythagorischen
recht vermeinen/ jhre belohnung
sucht? Was hülffe vns die reli-
gion vndt Gottesfurcht/ welche vns mit Gott
vereiniget/ vndt die
seele dahin schickt von wannen sie entsproßen ist? Wannenher
fühlten wir bey vns ein solches verlangen der vnsterbligkeit/ die in
diesem
leben nicht zue hoffen ist? Warumb begräben wir die tod-
ten mitt solcher
vorsorge/ als ob sie zuegegen weren?
Es ist je nichts geschwinders als die seele: sie durchlaufft in ei-
nem augenblicke die weite lufft/ wandert durch alle vier theil der
Welt/
beschawet die gestalten vndt art der dinge die sindt vndt ge-
[D2b] wesen sindt; vndt je mehr sie
des leibes vergißt/ je schneller/
je besser verbringt sie was jhr obliegt/ in
betrachtung das sie desto
reiner vndt mehr für sich selbst ist. Muß sie derowegen
noch rei-
ner vndt mehr für sich selbst sein/ wann der leib weiter mitt jhr
nichts zue schaffen hatt. Weil sie nun also für sich selbst vndt ein-
fach
ist/ so kan sie nicht getheilet/ vndt folgendts auch nicht auff-
gelöset vndt zum
vntergange gebracht werden.
Sie allein beschawet GOtt dessen bildtniß sie ist: sie allein kömpt
seinem erkäntniß allhier auff erden am nechsten. Vndt angesehen
das jhre
eigenschafft mit dem leibe nichts zue thun hatt/ so hatt sie
auch nichts zue thun
mitt seinem vntergange. Sie reget sich von
jhr selber/ ist jhrer bewegung eigener
vrsprung/ vndt macht also
das solche bewegung vnendtlich bleibetdb. Auß jhr rühret das le-
dc
dd
de
Andere leibliche sachen werden von jhr/ sie aber von Gott er-
halten/ der das leben ist/ vndt es jhr hatt mittgetheilet. Darumb
weil sie
das was in dem leibe sterblich ist zuesammen helt/ was
darnieder liegt auffhebet/
was welck ist erfrischet/ so ists nicht
glaublich wann sie vom leibe geschieden
ist/ das sie jhre krafft
durch welche sie den leib geheget hatt verlieren könne.
Sie wird
weder zue waßer/ noch zue fewer/ lufft oder erden/ in welche alles
was vergänglich ist kommen muß. Sie ist von dem/ deßen wort/
vngeachtet
alles andern beweises/ gar genung ist: Fürchtet euch
nicht für denen die den leib
tödten/ dann die seele können sie nicht
tödtendf. Sie ist vom Himmel/ vndt steiget zue
himmel.
Daselbst war Ewre Liebste/ als sie noch allhier war. Ihre frömig-
keit hub sie dahin/ wohin sie GOTT anjetzt erhaben hatt.
Derhal-
ben sollet jhr jhren todt nicht beweinen/ sondern ewre zue-
[D3a] sammenkunfft frölich hoffen. Es
ist jhre sterbligkeit geen-
det/ nicht jhr leben. Sie ist zue großem vndt ewigen
frieden kom-
men. Sie erfehrt nicht das gegenwertige/ vndt fürchtet nicht das
künfftige: ist befreyet der last welche die flügel jhrer seele darnie-
der
druckte. Was jhr jhren todt heißet/ das ist jhr sicherer hafen/
jhre rhue/ eine
verreisung zum gueten/ eine entlaßung vom bösen/
ein weg von der erden zum
Himmel/ von den menschen zue den
engeln denen sie allhier mitt dem leben
nachgeartet/ vndt zue dem
Herren der engel/ der die ewige wahrheit/ die wahre
liebe/ vndt
die geliebte ewigkeit ist. Sie siehet des Vaters gewalt/ des Sohnes
weißheit/ des heiligen Geistes güte. Sie siehet Gott in sich selbst/
jhn in
jhr/ vndt sich in jhm. Sie ist wo Salomons verstandt eine
thorheit/ Absolons
schönheit ein grewel/ Samsons stärcke eine
schwachheit/ Mathusalems alter eine
sterbligkeit ist. Vber jhr hatt
sie Gott/ vnter jhr den sitz des himmels/ in jhr
die verklerung/
außer jhr die gesellschafft der engel vndt außerwehlten. Sie
wünd-
schet nicht was wir haben/ vndt hatt alles was wir wündtschen.
Sie führet ein leben das ohn arbeit/ ohn schmertzen vndt ohn
ende ist. Ihre frewde können wir nicht begreiffen/ können leichtli-
cher
sagen was sie nicht hatt/ als was sie hatt. Sie weiß von keinem
tode/ von keinem
trawren/ keiner müdigkeit/ schwachheit/ hun-
ger/ durste/ hitze/ verwesung/
dürfftigkeit vndt dergleichen. Das
vbrige hatt kein rechenmeister gezehlet/ kein
landtmeßer abge-
stochen/ kein gelehrter außgelegt/ kein auge gesehen/ kein ohr
gehöret/ vndt ist in keines menschen hertze nicht kommen. Diese
seligkeit/
dieses vnbegreifliche guet/ hatt sie jhrem Heylande/ dem
Erlöser der sterblichen/
zue dancken. Ihm gehöret es zue/ das sie
bey den außerwehlten im himmel
ist.
Damit sie aber auch allhier nach dem tode bey vns verbleybe/
laßt jhr/ Herr Müller/ an euch nichts erwinden/ vndt/ weil jhr je
[D3b] mehr zue thun nicht vermöget/ so
haltet jhr darfür/ es
könne jhr gedächtniß beßer als durch die handt gelehrter
leute/
derer euch dann ein gantzer hauffe hierinnen willfahren/ nicht
bekleiben.
Ich/ der schlechteste sonst von jhnen/ habe doch allhier nicht
der letzte sein wollen; vndt wie ich dieses/ nebenst dem nechtsfol-
genden
trostgesange/ welchen an vnterschiedenen orten zwey für-
neme Poeten auff eben
eine zeit in Latein vmb zue setzen gewürdi-
getdh/ der seligverschiedenen Matron zue ehren
geschrieben/ also
wündtsche ich mir/ wann dermal eines auch mein tag/ welchen ich
allzeit frölich zue empfangen willig bin/ wirdt fürhanden sein/ das
ich wol
sterben/ vndt von gueten leuten möge gelobt werden. Oder
woferren meine wenigkeit
vndt geringschätziges wesen solchen
ruhmes würdig zue sein nicht befunden wirdt/
so laße ich mir doch
an mir selbsten lieb sein/ das ich von todten leuten gerne
alles
guetes rede vndt schreibe/ vndt jhnen nach vermögen erzeige/ was
ich
wolte das mir nach meinem tode von andern möchte erzeiget
werden.