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Erstellt im Projekt Welt und Wissen auf der Bühne. Die Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit
Mein Beitrag widmet sich Drucken (Kupferstichen, Holzschnitten) sowie kolorierten
Federzeichnungen, die einen Bezug zum militärischen Wissenskomplex in der
Frühneuzeit aufweisen. Es handelt sich um ein Flugblatt von 1584, das im Kontext
des Niederländischen Befreiungskrieges steht, um eine ebenfalls anonyme
Flugblattfolge (ca. 1562), die eine Schlacht aus den Hugenottenkriegen
thematisiert, nächstens um einige Bögen aus den
Theatrum-Literatur basiert auf einer prinzipiellen Annahme: Ein
Hauptkriterium, demzufolge literarische Werke als mit einem konstitutiven
Theatralitätskennzeichen ausgestattet gelten können, ist ihre
(Selbst)Titulierung als ‚Schau-Platz‘ von historischen Ereignissen oder von
Funktions- und Wissenszusammenhängen. Damit einher geht die Vorstellung eines
abgegrenzten, ggf. architektonisch markierten Aufführungsraums im literarischen
Werk (
Flugblätter, die das Spektrum theatraler Repräsentationsformen in der
frühneuzeitlichen Bildpublizistik auf eindrückliche Weise besetzen, bilden den
Auftakt. Der erste Stich hat nur mittelbar mit einem Militärwissen, dafür
prononciert mit einem Wissen über einen historischen Kriegskontext zu tun. Die
Darstellung spricht das theater- bzw. bühnenerprobte Auge in einem Grad an, dass
sie paradigmatisch als theatral organisierte gelten kann. Der aus der Kölner
Hogenberg-Offizin stammende Druck hat das Attentat auf Wilhelm von Oranien am
10. Juli des Jahres 1584 zum Inhalt (Abb. 1). Der Titel des Blattes, schwer erkennbar über dem Gobelin und dem
Eingang zum Hinterraum, lautet Zu Delft in Hollant 10. Julij
1584
. Wie in einen Schaukasten wird der Blick auf die Bühne des
Geschehens gezogen. Im Vordergrund sind das Interieur eines Palais und dessen
Zugangsbereich sichtbar, im Hintergrund ein Teil des Wirtschaftshofes.
Architektonische Elemente fungieren als Raumteiler, so der teilweise
zurückgeschlagene Gobelin, die Außenwand des Palais sowie der Treppenbereich,
wodurch Aktionsbereiche markiert und exponiert werden. Während im hinteren Raum
der durch Beischrift identifizierte Prinz von Oranien, sein Diener sowie weitere
Personen um eine Tafel gruppiert sind, wird im vorderen Eingangsbereich die
Ermordung ins Bild gesetzt. Der herbeieilende Page ebenso wie der hierher
ortsversetzte Prinz und dessen Mörder markieren den raumzeitlichen
Geschehensverlauf. Die Laufbewegung des Pagen lässt sich als Richtungspfeil
deuten, der anzeigt, wie sich der Tathergang aus dem Hinterzimmer von rechts,
schräg links nach vorn zum locus criminis vollzieht.
Interessant ist die Art, wie Einblick in den Raum herrschaftlicher Exklusivität
gewährt wird: Die Fassade des Palais ist entfernt und das Gebäude dadurch
transparent gemacht worden. Der tiefräumliche Einschnitt korrespondiert dem
Eindringen des Mörders, der ‚Einbruch‘ wird als architektonischer ‚Aufbruch‘
inszeniert. Es schließt sich dann die Flucht des Attentäters parallel zur
Bildbühne an, wobei das Hinzueilen des Wachpersonals ebenso wie die Festnahme
Balthasars hinter der Säule im Hof gezeigt werden. Der Text konkretisiert das
Bild, gibt Auskunft über einen früheren Versuch eines Attentats auf Wilhelm von
Oranien, nennt die Identität des Mörders und fügt Details zum Ablauf der
Ermordung hinzu: Demnach ein Spaniardt in Brabant; Wie das ietz uber all
bekant Zum Prins sich ins gemach begeben, Umb zu benemen ihm sein leben. […]
Dan ein Burgunder, Baltsar genant, Als wen er mitt brieff zu im gesant, Ins
gmach zum hern Prins frei gehet, Einen schus mit drei kuglen theett. Zur
flucht sich geben in der frist/ Doch im t[r]ill er gefangen ist.
(Im ersten angriff der
schlacht bei Dreus
, es wurde mit großer Wahrscheinlichkeit zeitnah
zum Ereignis hergestellt. Hogenbergs Stecher rückt hier einen Ereignisverlauf
auf drei Platten im Modus serieller Anschließbarkeit in die Wahrnehmung, so dass
die Schlacht dank der medialen Stimulanz als innerer Bildfluss nacherlebbar
wird. Bei Dreux, ca. 90 km westlich von Paris gelegen, besiegte am 19. Dezember
1562 die katholische Armee unter François de Lorraine die
protestantisch-hugenottischen Truppen unter Ludwig I., Prinz von Condé und
Admiral Gaspard von Coligny. Den Schlachtverlauf hat Hans Delbrück in seiner
Die Protestanten sind an Reitern, die Katholiken an Infanterie
(Schweizer, Landsknechte, Spanier, Franzosen) und Geschützen erheblich
überlegen. Mehrere Infanterie-Haufen hüben und drüben werden von den Reitern
gesprengt, und die ‚schwarzen Reiter‘ der Hugenotten setzen auch dem
Gevierthaufen der Schweizer hart zu, werden aber schließlich doch
abgeschlagen. Auch ein französisches Bataillon behauptet sich gegen die
Angriffe der Gensdarmen und Reiter, indem er vor seine Pikeniere drei
Glieder Arkebusiere aufstellt, die jene in Respekt halten. So siegen endlich
die Katholiken.
(
Im Folgenden richtet sich das Augenmerk auf Materialproben aus den insgesamt acht
Bücher umfassenden opus magnum
gefunden. So erklärt sich denn, wie Holzschnitte in den Büchern 3, 4 und 7, die
uns interessieren und die der Maler und Formschneider Hans Döring entwarf, hier
auftauchen, obwohl ihre Entstehung 10 bis 15 Jahre früher anzusetzen ist
(wie die Oberfläche eines Körpers aufzufächern
und in die Ebene abzuwickeln ist. Diese Kompetenz verdankt sich der euklidischen
Mathematik, die gelehrt hat, dass sich jeder Körper in eine Kombination von
Kugeln, Pyramiden, Quadern und Würfeln zerlegen lässt, die nach weiteren
perspektivisch regulierten Querschnitten in die Fläche übertragen werden.
Uhlhorn stellt die Frage, ob es sich bei den Zelten, Palisaden und Lagern
lediglich um Phantasiegebilde handelte; ihm seien bei der Durchsicht weiterer
zeitgenössischer Darstellungen jedenfalls keine vergleichbaren (Zelt-)Lager
untergekommen, noch habe er Nachweise gefunden, dass derartige Lagerkomplexe als
dreidimensionale Gebilde modelliert wurden. Die Zelte hingegen seien ihm in
unterschiedlichen, auch gebastelten Modellvarianten begegnet. Mich interessiert
nun die Frage nach Zweck und Einsatz dieser Holzschnitte. Die Handschrift selbst
gibt Auskunft, so wie auch Uhlhorn auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat. Dort
heißt es: Grosse herrn leger. Dise zway zellt leger sindt zway leger vor
grosse khriegsherrn, alls kayser und konig, wann das man sich versicht,
etwann lanng im feldt zu ligen […].
(Gronnt der gezelltt
erklärt Solms weiter:
In den letzsten figurn sindt die gronnt der gezellt angezaigt mit
iren getheillten rechten massen. Alls wann ain zelltschneider darnach
arbaytten unnd sy schneyden sollt.
([…] vnd alles was in ein Leger gehört/ […] welches rechte Patron oder
Figurn seind/ vnd ich hiemit in diß Buoch truck vnd stelle/ mit jrer
außtheilung vnnd massen/ welches auff daß papir wie getruckt/ außzuschneiden
vnd zusamen gefast vnd geleibt/ so mag mann daß frei aufstellen/ gleich wie
es stehn soll/ Gezelt/ Wagen/ Geschütz/ Schantzen vnd Körb/ als wann das
geschnitten were/ vn damit ein Lager setzen/ als mann ein recht leger
schlegt und ordnet/ so mag einer nach denselbst gezelten abtrucken oder
abreissen vnd machen/ wie inn disem Buoch/ souil einer haben will/ solches
ist alles den jungen gesellen zur vbung gemacht.
(von und Wissen-wie im papiernen Objektparcours vermitteln und erwerben lässt. In
Ergänzung zu den Solm‘schen
Zum Abschluss interessieren zwei Arbeiten des lange Zeit am Kasseler Hof tätigen
Zeichners, Schriftstellers, Geometers, Kartographen und Festungsbaumeisters
Wilhelm Dilich. Die Lebensdaten des gebürtigen Hessen (Wabern) fallen auf die
Jahre 1571 bis 1655 (Medien
der Entbergung
zu bezeichnen. Gleichwohl ist der Begriff dem
religiös-sakralen und frömmigkeitsbezogenen Bereich vorbehalten, in dem die
Klapppraktiken ihren Ursprung haben, wenn man sich die Vorgeschichte medialer
Entbergungen vergegenwärtigt: Man denke an entsprechende Inszenierungen der
Andacht, Gottesschau und Heiltumsweisung, bei denen Votivgegenstände und
Diptycha durch Klappmechanismen ‚entborgen‘ werden (
Ein weiteres Beispiel, in dem ein ähnliches Darstellungsprinzip ausgespielt wird,
stammt aus der
Unter einer medienhistorischen Perspektive wurden unterschiedliche Artefakte und
Darstellungsstrategien vor Auge und zur Diskussion gestellt. Ich kehre
abschließend zu der Frage zurück, was die Flugblätter und insbesondere die
Materialien von Solms und Dilich mit einer Theatralität von
Wissenszusammenhängen zu tun haben. Allen Exemplaren ist ein Bemühen um die
Intensivierung der Anschaulichkeit ihrer Gegenstände eigen bzw. sie stellen ein
solches in idiosynkratischer Weise und mehr oder weniger demonstrativ aus. Bei
Solms wie bei Dilich fällt die Aufmerksamkeit auf interaktive Operabilitäten,
deren Herausforderung nach spielerischer Einlösung meines Erachtens ein
zusätzliches Kriterium theatraler Vorführung erfüllt. Dabei meine ich keineswegs
einen ‚schweren‘ Spiel-Begriff, der dessen kulturkonstitutiven Charakter betont;
stattdessen eine Idee von Spiel, die den ludischen Impuls betont, der Intellekt,
versuchendes Probehandeln und Sinnlichkeit verbindet und dadurch die
Erkenntnisfähigkeit befördert. Vergleichbar dem Theatrum-Werk als Schau-Platz, in dem eine Text-Bild-Kopräsenz
mit einem bühnenartigen Ambiente gekoppelt bzw. durch entsprechende
Zuschreibungen ein solches Ambiente suggeriert wird, und ähnlich dem
Wissenskompendium, das Ereignisse im Modus performativer Dynamisierung aus einer
notationalen oder ikonischen ‚Stillstellung‘ löst und ‚verlebendigt‘ oder durch
den Appell an ein inneres Sehen dem Rezipienten auf mehreren Wahrnehmungsebenen
zugänglich macht, evoziert auch die (latente) Aufforderung zum
interaktiv-händigen Material-Spiel eine theatrale Qualität. So werden im Theater
spekulativ, edukativ, affirmativ oder subversiv Dinge und Zusammenhänge
vorgeführt, spielerisch hinterfragt und im übertragenen Sinn durchdrungen,
wenngleich die Zuschauer nicht unbedingt aktiv mitzuspielen brauchen. Das Moment
des Spiels aber ist – damit meine Überlegung vom Anfang wieder aufnehmend – dem
Theater sui generis inhärent. Die entsprechende Wirkungserfahrung eines
theatralen Voraugenstellens und einer interaktiven Zuschauerteilhabe kann
jedenfalls den Gestus der Kommunikation und die Art und Weise, wie das Material
bei Solms und Dilich dem Leser-Betrachter dargeboten bzw. übereignet wird, mit
begründen.