Available at (c) Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Bei J.F.S. handelt es sich laut handschriftlicher Titelergänzung im Göttinger
Exemplar um J.F. Schmid; dies wird durch die Ansprache Herr Schmid
im
Widmungsgedicht II (Widmungsgedichte,
unpag. [S. 2]) bestätigt.
Eysenach
(unpag. [S.
8]) angegeben).
In jedem Fall handelt es sich um einen Gelegenheitsautor, der unter dem
Gesellschaftsnamen ‚Mercurius’ Mitglied einer Vereinigung, womöglich einer
barocken Sprachgesellschaft, war. Mehrfach referiert Schmid in seinen Schriften
auf den Pegnesischen Blumenorden (hier z.B. S. 129, S. 187), der in Nürnberg (Verlagsort des Meyn-Strohm.
Womöglich kam also eine kleinere Gesellschaft in der fränkischen Provinz (in
einer Anekdote wird allerdings niederdeutscher Dialekt gesprochen
(S. 186)!) zu
Tanzvergnügungen zusammen, der hier ein Denkmal gesetzt wird. Mourey geht bei
ihren Ausführungen zur Verfasserfrage nicht auf die im Titel erwähnte
‚Gesellschaft’ ein; zudem geht sie davon aus, dass der Schau-Platz der
Dantzenden Schmids einziges Werk geblieben sei
(
Eine anlässlich eines geburtstäglichen Jagdfestes verfasste, mythologisch
durchwirkte Rede des Mercurius (
Erschienen 1671 bei
Stuttgart: Württembergische Landesbibliothek, Sign. MC HBF 5016.
Bei dem handlichen Duodezbändchen handelt es sich vordergründig, wenn man vom
Titel schließt, um eine heiter-galante Anleitung in Sachen Gesellschaftstanz.
Indessen ist die wesentliche Frage des Titels wohl diejenige, ob das dantzen
Sünde sey? Schmids Abhandlung ist in weiten Teilen eine Apologie des Tanzens,
die sich im – bzw. gegen den – bürgerlich-moraltheologischen Diskurs der
Tanzfeindschaft positioniert. Dazu wird das Thema literatur- und
religionsgeschichtlich aufbereitet, gelehrte Autoritäten aus der griechischen
Antike werden ebenso herbeizitiert wie die Heilige Schrift. Detailfragen, etwa
wie, wo, wann und mit wem man zu tanzen habe, erscheinen immer im Licht der
moraltheologisch grundierten Frage nach der Legitimation des Tanzens. Darf man
oder darf man nicht? Schmids redundant ausgeführte Antwort ist natürlich: Man
darf – wenn man die Regeln beachtet und Maß, Zucht, Tugend, Anstand und Ehre
walten lässt.
Der in dero Fürstlichen Gemächern ein kleines Räumlein
(S. 7)
erbeten wird. Der Verfasser wirbt um Verständnis für seine Abhandlung und ihren
Gegenstand, er bettet die Tanzkunst argumentativ ein in den Kontext fürstlicher
Tugenden, die von löblichen Exercitiis und Ubungen des Leibes nicht
wenig/ sondern grossen theils/ pflegen unterstützet zu werden
(Widmung, unpag. [S. 4]). Zu jenen Leibesübungen gehöre neben der Waffenkunst
auch die Edle Dantz-Kunst
, die gar – so der Verfasser –
unter denen Exercitiis, so einem jungen Herrn wohl anstehen/ und zu
allen Dingen wohl geschicket machen/ fast die Vornehmste sey/ ja unter
denenselben die obriste Stelle vertrette
(Widmung, unpag. [S. 6]).
Es folgen drei Widmungsgedichte (signiert von M.A.V.O.A.U., A.S.C.W.V.S.B. und
J.M.H.S.I.), welche die Tanzkunst im Allgemeinen als Ausdruck von Lebensfreude –
Man muß auch lustig seyn/ nicht lesen immerdar.
– Man muß die Arbeit auch mit
etwas Lust vermängen.
(Widmungsgedicht,
unpag. [S. 1]) – und natürlich Schmids
Buch im Besonderen preisen.
Nach einer kurzen Leseransprache, in welcher der Verfasser eine trotzige
Verteidigungshaltung gegen zukünftige Angriffe einnimmt, folgt der Haupttext,
unterteilt in 16 Kapitel. Schmid formuliert zunächst eine Idee, die auf der
zeitgenössischen Vorstellung einer ‚harmonie universelle’ bzw. einer universalen
Ordnung basiert: Er verortet den Ursprung des Tanzes noch vor gar nichts irren/ wenn wir
darvor halten/ es haben die Menschen das Dantzen und dessen Ordnung von dem
Gestirn gelernet und ersehen
(S. 2f.). Keinesfalls jedoch habe der Teufel das
Tanzen erfunden; mit Dummköpfen, die solches behaupteten, wolle er sich gar
nicht in einen weitleufftigen Zanck
einlassen (was er in der Folge sehr wohl
tut). Wer nicht tanzen wolle, laß es bleiben
(S. 5).
Anschließend kehrt der Verfasser in irdisch-menschliche Dimensionen zurück, um
den ersten Tanzmeister zu suchen, den er weder bei Griechen noch Römern, sondern
im 1. Buch Mosis findet
(S. 7). Als das Land der Tanzkunst schlechthin wird
erwartungsgemäß Frankreich gerühmt – keine Nation sei dem Dantzen mehr ergeben/
und besser darinnen geübt
(S. 9). Daher könnten die Deutschen von der auch
terminologisch hochentwickelten, abwechslungsreichen französischen Tanzkunst
durchaus etwas lernen: denn die Frantzosen bleiben nicht immer bey der alten
Leyer/ und einer Art zu dantzen/ als wie wir Teutschen/ die wir gemeiniglich nur
allezeit um einen Kreyß herum lauffen/ und die Köpffe darmit tumm machen/ und
springen also in Tag hinein/ ohne dass wir einiger Zierligkeit/ wie die
Frantzosen pflegen/ uns darbey befleissigen solten.
(S. 10)
Was zum Dantzen erfordert werde?
ist das 2. Kapitel überschrieben – ein roth
paar Schuhe
(S. 11) reiche jedenfalls nicht. Zunächst ist der passende Ort
wichtig: hell, freundlich, groß genug und mit Essensangebot. Nach dem Sprichwort
Vor Essen wird kein Dantzen
solle man sich gütlich tun, ohne sich als wie
eine Saw
(S. 13) vollzufressen. Zum passenden Ort gehört der passende Tänzer.
Schmids Stil ist oft derb, zuweilen grobianisch – anders als
als sein Hinderer
, seine Nase nicht so groß, dass
man könte einen Thurn darauf bauen
, sein Kropf nicht so groß wie bei den
Steyermärckischen Weiber[n]/ die/ wie Münsterus schreibet/ an etzlichen Orten
solche grosse Kröpffe haben/ daß/ wenn sie wollen ihre Kinder säugen/ sie erst
ihre Kröpffe über die Achsel werffen müssen/ damit/ weil sie so weit
herunterhangen/ sie die Kinder am trincken nicht hindern
(S. 14). Vielmehr soll
der Tänzer höflich, freundlich, gutgelaunt und konversionsgeübt sein. Genüsslich
wird ausgemalt, wie man als peinlicher Möchte-Gern-Galan bei einer gewitzten
jungen Dame abblitzen kann
(S. 19f.). Nicht zuletzt ist zum Tanzen Musik
erforderlich
(S. 21).
Das 3. Kapitel, Ob es auch gut sey/ dass sich die Jugend im Dantzen/ und andern
Ritterlichen Exercitiis übe/ und sich deren befleissige? Item, von dem Nutz deß
Dantzens.
(S. 24), stellt den Tanz in eine Reihe mit Reiten, Fechten, Ringen,
Ballspiel und Fahnenschwingen. Der Verfasser bedauert, dass man vom
Thurnieren
, zu dem auch der Tanz gehört habe, abgekommen sei, würde dadurch
doch sicher etwa einer oder der andere junge Teutsche von Adel auch geschickter
und tapfferer
(S. 30). Immer wieder findet Schmid in seiner
Verteidigungsschrift Argumente für das Tanzen – das sogar das einzige
Gegenmittel gegen ein bestimmtes Schlangengift sei
(S. 37)!
Zugleich möchte der Verfasser jedoch gar nicht behaupten, Tanzen müsse nur
nützlich sein; auch Lust, Vergnügen und Spiel hätten neben Arbeit und ernsten
Geschäften ihre Berechtigung. In diesem Sinne stellt sich die Frage, Ob
bey dem Dantzen eine Lust zu suchen sey?
(Kap. 4, S. 46). Legitime
(und letztlich doch wieder nicht nutzlose) Tanzlust besteht für Schmid darin,
dass man den Körper damit gesund erhalte und Gemüt und Sinne ermuntere. Dies
geschehe vor allem wegen des beym Dantz gegenwärtigen
Frauenzimmer
(S. 54), mit dem man Reden, verliebte Blicke und
freundliche Umarmungen tauschen könne – allerdings nur als der Tugend
ergebene Seele
mit denen züchtigen Frauen und
Jungfrauen
(S. 54). Schmid schließt ein weiteres ‚überirdisches’
Argument an: Tanzlust sei nicht zuletzt dadurch gerechtfertigt, dass man
auch im Himmel/ da doch die gröste Lustbarkeit und Freude seyn wird/ dantzen
werde
(S. 57).
Die aufgebotenen Tanzgegner sind jedoch immer noch nicht zum Schweigen gebracht.
Sie fragen – letztlich rhetorisch –, Ob es eine Schande und Unehre sey/
wenn man dantze/ und in ander Leuten Gegenwart so herüm springe
(Kap. 5, S. 59). Ein Anwalt der Tanzkritik ist der häufig zitierte spanische
Historiker und Satiriker In jener leben wir nicht/ in dieser leben wir aber.
(S. 60)
Heutzutage sei es doch sogar so, dass in Franckreich/ Teutsch- und auch
wohl andern Ländern es die Gewonheit eingeführet/ dass nicht alleine
niedrige und geringe Leute/ sondern auch wohl Könige/ Fürsten/ Grafen und
Herren auf dem Schau-Platz und Schau-Spielen erscheinen/ ihre Person den
Zusehern darstellen/ oft in gantz andern und vermumten Kleidern Masquaraden/
Ballet und andere Däntze mitdantzen […]
(S. 61). Paradebeispiel für
die herrschaftliche Aufwertung des Bühnentanzes und zugleich für seine
absolutistische Funktionalisierung ist zweifellos der Sonnenkönig
Das 6. Kapitel informiert praktisch-konkret darüber, Wo/ wie/ wenn/ und zu
was vor Zeiten man Däntze anstellen soll?
(S. 73). Es unterscheidet
Orte wie Säle oder Gärten, wo es sich gut tanzen lässt, von weniger passenden
wie Friedhöfen
(S. 75). Erneut wird die Notwendigkeit der Einhaltung ständischer
und sittlicher Regeln betont.
Im 7. Kapitel wird die rhetorische Frage des 5. Kapitels theologisch
reformuliert: Ob es Sünde sey/ daß man dantze
(S. 91), wie es die
großen Kirchenmänner ohne viele Wort-Gezäncke mit
einem Gegenschluß
(S. 115) zu widerlegen. Außer antiken
Gewährsleuten zieht er auch einen Zeitgenossen zur Verstärkung heran: Er druckt
Verse ab, so aus sonderbahren Ursachen der edle Dorus der Pegnitz
Schäferey über das dantzen gemachet/ als er mich zum erstenmal bey dem
Dantzmeister [bey welchem ich zwar vorhero schon eine gute Zeit dantzen
gelernet hatte] dantzen/ und meine grosse Beliebung darzu sahe/ auch sich
deßwgen verwunderte
(S. 129). Schmid war also befreundet – und
zeitweilig entzweit
(S. 134) – mit dem barocken Dichter und Geistlichen
Kapitel 9 entfaltet erneut den historischen Tanzdiskurs von den antiken und
christlichen Anfängen bis heute und lässt nun die Befürworter, so dem dantzen
sehr ergeben sind/ oder gewesen
(S. 135), zu Wort kommen.
Der Anspruch des vorliegenden nicht
ungleich
dem deutschen Seiltanz) und Pfählen
(S. 154). Die
Gliederung der Aspekte ist dabei nicht stringent, nach internationalen
Tanzsitten
(Kap. 12, S. 157) werden angemessener Habitus und Anzug (Kap. 13, S.
164) behandelt.
Ein besonderes Augenmerk liegt anschließend erneut auf dem Umgang mit dem
weiblichen Geschlecht – Wie man
das Frauenzimmer zum Dantze und in dem dantzen führen/ mit ihnen reden/ und
sonst umgehen soll
(S. 176), verrät Kapitel 14. Geschickte Fußstellung und Komplimente
werden ebenso angeraten wie eine angemessene Gesprächsführung, zu der das
Frauenlob gehört – hier verweist Schmid (S. 187) auf ein anderes Werk der Theatrum-Literatur, Als wie jener wahnwitzige Jungegesell/ der
einsmals eine Jungfrau besuchte/ und sie fragete: Was sie doch neues vom
Kriege gehöret; als wenn die Jungfrauen sich mehr um den Krieg/ als um
andere Jungfräuliche Geschäfften zu bekümmern hätten.
(S. 184) Zum guten Benehmen gehört schließlich auch das Küssen – aber
heimlich (S. 191).
Nachdem das 15. Kapitel ein spezielles Tanzvergnügen, den Hochzeits-Dantz
(S.
194), behandelt, widmet sich das 16. und letzte Kapitel
(S. 202) dem
Jungfrauenkranz. Mercurius’ Unterweisung schließt konsequent mit dem Ende des
Tanzes, auf den die Heimkehr der Tanzdame in männlicher Begleitung folgt. Von
den Eltern solle man sich bald, nebenst Anwüntschung einer glückseeligen Nacht
und sanfften Schlaffes
(S. 209), verabschieden; seien diese schon zu Bett
gegangen, solle sich der Tanzherr bereits vor dem Haus von seiner Dame trennen,
um schlechte Nachrede zu vermeiden.
Schmids Apologie des Tanzens steht zum einen im Kontext einer langen Tradition
der Tanzfeindschaft und -kritik, die bis in die römische Antike zurückgeht und
vor allem im 16. und 17. Jahrhundert zu einer Fülle von Streitschriften geführt
hat (
Demgegenüber datieren die ersten deutschen Tanzlehrbücher, meist verfasst von
bürgerlichen Tanzmeistern, vom Beginn des 18. Jahrhunderts. In einem Zeitraum
von knapp 15 Jahren entstehen in rascher Folge Schriften von bisher ziemlich verkannte und von der Tanzforschung kaum
berücksichtige Quelle
, kann man als embryonale Vorstufe zu
den erwähnten Tanzanleitungen
charakterisieren. Auch hier geht es um
die Anpassung des gebildeten Bürgertums an ein neues Modell, das sozialen
Erfolg und die allgemeine Bewunderung verspricht
, um
Aneignung eines besonderen, aristokratischen Gebarens, eines
raffinierten körperlichen ‚habitus’
(
Mercurius alias Schmid wendet sich laut Forschung an den gebildeten deutschen
Bürger, der sich durch Adaptation der aristokratisch geprägten Tanzkunst,
speziell der französischen ‚belle danse’, ein gesellschaftliches Erfolgsmodell
aneignen soll. Die Adressierung fällt allerdings nicht eindeutig aus und
reflektiert die ambivalente höfisch-bürgerliche Kontextualisierung des Werks.
Zum einen spricht der Verfasser ausdrücklich den jungen Adligen an – O du
schöner und barmhertziger Edelmann!
(S. 31) –, der sich im Tanzen wie in
anderen ritterlichen Exerzitien üben soll, zum anderen ist der Bogen viel weiter
gespannt und reicht von herrschaftlichen Festtänzen über Bühnentänze bis hin zu
bürgerlichen Volks- und Dorffesten. Zumal das finale Szenario einer bei den
Eltern wohnenden, abends zum Tanz ausgeführten Jungfrau mutet weniger adlig als
bürgerlich oder bäuerlich an.
Auch die späteren Tanztraktate um 1700 sprechen einen breiten Leserkreis an:
Neben den adeligen Gönnern als dankbarem Publikum gewann das
akademisch gebildete, kunstsinnige Bürgertum als potentieller
(Kundenkreis
an Bedeutung, dem der Tanz als
standesbewusster Bewegungs- bzw. Verhaltenskodex nahe gebracht werden
sollte. Die Autoren richten sich somit nicht nur (wie wiederum vor allem die
französischen Publikationen) an ein Fachpublikum […], sondern an
Interessenten, die eine grundlegende und nicht zu spezielle Einführung in
die Tanzkunst erwarteten.
Der sogar sehr großzügig (aber nicht
immer offen!) aus ihm
(