Doctor
gebohren. Sein Vater, Herr
cheson
schen Gemeinde im nördlichen Theile von Jrrland. Er
hatte den Ruhm eines vernünftigen, gelehrten, from
men und
wurde im achten Jahr seines Alters, nebst seinem äl
tern
vaters, Herr
cher ebenfalls ein würdiger presbyterianischer Geistlicher
in demselben Theile von Jrrland, aber aus Schottland
gebürtig war. Er war der zweyte Sohn einer alten
und angesehenen Familie in der Grafschaft Ayr in die
sem Königreiche.
Fähigkeit, eine ungemeine Wissensbegierde und die vor
trefflichste
Menschenliebe und Uneigennützigkeit, durch welche er,
sein ganzes Leben hindurch, sich unterschied, zeigte sich
schon in seiner frühesten Jugend bey verschiedenen Gele
genheiten. Sein unschuldiges und sanftes Betragen,
seine große Fähigkeit und sein besonderer Fleis verschaffVorrede.
ten
ters
daß er über die
Freude empfand, weil sein
chen Antheil daran hatte. Der Vorzug, welcher ihm
gegeben wurde, verursachte ihm so gar eine wahre Be
kümmernis, und er wendete alle Mittel und alle nur
mögliche unschuldige Kunstgriffe an, es dahin zu brin
gen, daß sein
so sehr zu verdienen scheinen möchte. Und da sein
Grosvater in seinem letzten Willen eine ehemalige Ein
richtung seiner Familiensachen, zu seinem Vortheil,
geändert hatte: so konten seine Anverwandten ihn durch
keine Gründe bewegen, es anzunehmen, sondern er schlug
es schlechterdings aus, und bestand darauf, daß es bey
der ersten Einrichtung bleiben müsse. Diese und viele
andere Beyspiele von gleicher Art, welche angeführt
werden könten, liessen seine ausserordentliche Uneigen
nützigkeit in reifern Jahren vorhersehen.
Nachdem
ten erlernt hatte, wurde er auf eine von seinen Anver
wandten etwas entlegene Akademie geschickt, um sich mit
der
in der ordentlichen scholastischen
welche damals in Ansehen stand, und auf welche er sich
mit einem mehr als gewöhnlichem Eifer und Fleis
se legte.
Im Jahr 1710. verlies er die Akademie, und be
gab sich auf die Universität zu Glasgow, in die Classe de
rer, welche die natürliche Weltweisheit erlernten. Zu
gleicher Zeit übte er sich von neuem in der griechischen Vorrede. 3
und lateinischen Sprache: und er brachte es in allen
Theilen der
mete, so weit, als man es von einem so fähigen und so sorg
fältig gebildeten
Nachdem
schen Wissenschaften vollendet hatte, richtete er seine Ge
danken auf die Gottesgelahrheit, welche er, zu der ei
gentlichen
bens zu machen, sich vornahm. In dieser Absicht stu
dirte er die
tät zu Glasgow unter der Anführung des gelehrten Pro
fessors,
Unter den mannichfaltigen Lehren der Theologie,
welche er seiner genauesten Untersuchung werth fand, be
schäftigte er sich zuerst mit der erhabenen Lehre von dem
Wesen, den
tes, worauf die andern sich insgesamt gründen. Das
gelehrte und scharfsinnige
kurze Zeit zuvor hiervon herausgegeben hatte, fiel
in die Hände. Ob er gleich die Schlüsse desselben voll
kommen billigte, und einen grossen Begrif von seinen
ungemeinen Fähigkeiten und Einsichten hatte: so fand er
doch, nach einer ernstlichen und aufmerksamen Prüfung
seiner Beweise, die Ueberzeugung nicht, welche er
wünschte und erwartete. Voll Verlangen, sich in dieser
Lehre mehr Genüge zu leisten, und besonders die Stär
ke und Gründlichkeit der Beweise
a priori
, wie man sie
Er hatte sechs Jahre auf der Universität zu
Glasgow zugebracht, als er nach Jrrland zurück gieng,
und sich den gewöhnlichen Prüfungen unterwarf, um
in den geistlichen Stand zu treten; worauf ihm die
predigen. Man wollte ihn eben zum Prediger bey ei
ner kleinen presbyterianischen Gemeinde im nördlichen
Theile von Jrrland machen; als einige Edelleute bey
Dublin, welche wusten, daß seine Geschicklichkeit grösser
war, als daß er sie bey dieser entfernten Gemeinde ganz
hätte anwenden können, ihn ersuchten, eine Art von Pri
vatakademie zu errichten. Er lies sich diesen Antrag
gefallen, und verwaltete das übernommene Amt so an
ständig und so glücklich, daß alle diejenigen, welche ihre
lich zufrieden waren; und er zog bald die Aufmerksamkeit
der Welt auf sich. Er hatte sich nur eine kurze Zeit Vorrede.
in Dublin aufgehalten, als seine Verdienste und Voll
kommenheiten schon überall bekant waren. Personen
aus allen Ständen, die einigen Geschmack an den
senschaften
sten, suchten seine Bekantschaft und Freundschaft. Un
ter andern beehrte ihn der Lord Viscount
mit einer vorzüglichen Achtung und
cher in dem Umgang mit ihm viel Vergnügen fand,
und ihn durch seine
Stand setzte, seine Untersuchung über die Begriffe von
der
trat, zu verbessern und vollkommener zu machen. Do
ctor
Freundschaft
den und Glückseligkeiten seines Lebens zählete, übersahe
ebenfalls seine Schrift, und half ihm den allgemeinen
Plan des Werks entwerfen.
Die erste
Verfassers, heraus, aber die Vortreflichkeit des Werks
verstattete ihm nicht, lange verborgen zu bleiben. Es er
hielt so vielen Beyfall, und erweckte von dem Verfasser so
grosse Begriffe, daß der damalige
Jrrland, Lord Granville
in den Werken des Geistes und der
bekant ist, seinen geheimen Secretär abschickte, sich bey
den Buchhändlern nach dem Verfasser zu erkundigen.
Da er aber von denselben seinen Nahmen nicht erfah
ren konte: so lies er ihnen einen an den Verfasser
gerichteten Brief einhändigen. Auf diese Art wurde
ganze Zeit seiner Regierung hindurch, von ihm die Vorrede. 7
vorzüglichsten Kennzeichen von Vertraulichkeit und
Achtung.
Von dieser Zeit an, wurde seine Bekantschaft in
Jrrland fast von allen denjenigen gesucht, welche entweder
wegen ihrer Würde, oder wegen ihrer Gelehrsamkeit in
Ansehen standen. Der Erzbischof
des Buchs
, hielt Hutcheson sehr hoch,
Er erwarb sich auch die Hochachtung des Primaten,
tät zu Glasgow ein Geschenk eines jährlichen Einkom
mens machte, zum Unterhalt eines Stipendiaten, der sich
zu einer gewissen Art von Gelehrsamkeit geschickt machen
sollte. Dieses ist nur eines von den vielen Beyspielen,
die man von der wohlthätigen Gemüthsart dieses PräVorrede.
laten anführen kan. Herr
großer Geschicklichkeit, und von einem bekanten Eifer für
die Vorrechte der
war besonders von
mit ihm, so lange er sich in Jrrland aufhielt, in grosser
Vertraulichkeit.
Wenige Jahre nach der Untersuchung kam die
Nachdem er seine Privatakademie in Dublin,
sieben bis acht Jahre, mit großen Beyfall unterhalten
hatte, wurde er im Jahr 1729 nach Schottland als
Professor der Philosophie auf der Universität zu GlasVorrede. 9
gow berufen. Der Ruhm, welchen er sich durch seine
einzige Bewegungsgrund, daß die Universität zu Glas
gow ihm die durch den Tod des gelehrten und ver
dienstvollen Herrn
le antrug. Die Welt billigte ihre Wahl, und der Er
folg rechtfertigte dieselbe sattsam. Die Professoren
merkten gar bald, daß seine Aufnahme in ihr Colle
gium, in Absicht auf den Ruhm und die Vortheile der
Gesellschaft, gute Wirkungen hatte. Verschiedene junge
Standespersonen kamen mit ihm von seiner Akademie,
und sein Ruf lockte viele andere aus
land. Doch vielleicht wird sich der Leser mehr verwun
dern, daß er die Stelle annahm, als daß sie ihm von
der Universität, ohne sein Ansuchen, angetragen wur
de. Wenn man fragen sollte, wie es sich hat zutragen
können, daß ein Mann von
der so viele vornehme, angesehene und vielvermögende
Personen unter seine Freunde zählen konte, sieben bis
acht Jahre hindurch, einer Privatakademie, mitten in ei
nem Lande vorstehen müssen, wo es so viele Stellen gab,
die sich für gelehrte und verdienstvolle Männer so wohl
schickten; oder wenn man fragen sollte, wie es sich hat
zutragen können, daß man ihm verstattete, sein Va
terland zu verlassen, alle Vereinigung mit seinen
Verwandten und Freunden aufzugeben, und in der Mit
ten seines Lebens sich in ein ander Königreich zu wenden,
um daselbst eine wenig einträgliche aber sehr beschwerli
che Stelle auf einer Universität anzunehmen: so wird
es genug seyn, auf diese Fragen zu antworten: daß
seine Freunde eben so bereit, als fähig waren, ihm zu die
nen, und daß seiner Beförderung von dieser Seite Vorrede.
nichts im Wege stand.
die ihn abhielten, eine Beförderung zu suchen, oder
auch die sichersten und unfehlbarsten Mittel anzuwenden,
wodurch er dazu hätte gelangen können. Man muß
aber seinem Charakter Gerechtigkeit wiederfahren lassen,
und zu erwähnen nicht vergessen, daß er in dem Stan
de, worein ihn die göttliche
len, eben so nützlich als zufrieden war, und daß weder
die Liebe des Reichthums noch der Schimmer und die
Pracht des menschlichen Lebens ihn vermögen konten, sei
nen Gesinnungen die mindeste Gewalt zu thun. Man
kan noch hinzufügen, daß die unsichtbare Hand einer
allweisen Vorsehung, welche alle Vorfälle des menschli
chen Lebens, und alle Entschliessungen des menschlichen
Willens ordnet, ihn in ein solches Amt führete, das ihn
zwar nicht ausserordentlich vornehm machte, aber doch
vielleicht mehr, als ein jedes anderes, seinen ungemeinen
Talenten angemessen war, und ihm Gelegenheit gab,
der Welt mehr wahre und wichtige Dienste zu leisten,
als er in einem andern Stande zu thun fähig ge
wesen wäre.
In seinem neuen Amte war er nicht, wie auf sei
ner Akademie, verbunden, die
nen Theile der
Musse, der
widmen. Er hatte hohe Gedanken von ihrer ursprüng
lichen Würde, und war überzeugt, daß sie, selbst in die
sem verdorbenen Zustande, durch eine richtige Unterwei
sung und fleissige Bildung, grosser Verbesserungen fä
hig wäre. Es wurde ihm das Lehramt der philosophiVorrede. 11
schen
tern Nachforschung in dieser Wissenschaft, auf keine an
dere Art, als bey ihrer Erlernung. Er setzte alle Un
tersuchungen über die abgesonderten Beziehungen der
Dinge auf einander, über die ewige Uebereinstimmung
und Mishelligkeit derselben, bey Seite, und richtete seine
Betrachtungen nur auf das, was uns immer vor Augen
ist, und unmittelbar durch Wahrnehmungen und
fahrungen
der gegenwärtigen Beschaffenheit der menschlichen Natur,
durch die
zens, und welche Art zu leben, unserer ganzen Bestim
mung am gemässesten sey.
Er hatte angemerkt, daß es unsern Zeiten zum
Glück und Ruhm gereichte, daß man sich in der
turlehre
kührliche Lehrgebäude anzunehmen, losgearbeitet und die
Mühe übernommen hätte, die Einrichtung der materiali
schen Welt durch Beobachtungen und angestellte Ver
suche selbst kennen, und die darinnen wirkenden Kräfte
und Grundursachen bestimmen zu lernen. Er sahe au
genscheinlich, daß die
Verfahren, zu einem höhern Grad der
als sie vorher erreicht hatte, gestiegen wäre, und daß,
wenn man auf diesem Wege fortgehen würde, diese
senschaft
Er war überzeugt, daß ein wahrer Abris der Sitten
lehre ebenfalls keine Geburt des
dung, oder des richtigsten metaphysischen Tiefsinns seyn
könne, sondern von eigenen Betrachtungen der verschie
denen Kräfte und Grundtriebe hergenommen werden Vorrede.
müsse, deren wir uns in unserm eigenen Busen bewusst
sind, und von welchen wir einsehen können, daß sie, im
ganzen menschlichen Geschlechte, in gewissen Graden wir
ken. Es müsse also in der
sehr zuträglich gehalten werden, den Bau unsers Innern,
als ein Ganzes, das aus verschiedenen Theilen zusam
mengesetzet ist, genau zu untersuchen, das Amt und
den Endzweck eines jeden Theiles, nebst den natürlichen
Verhältnissen dieser Theile unter einander, anzumerken,
und daraus die Absicht des Ganzen und die mannichfal
tigen Verrichtungen zu folgern, wozu sie von ihrem
großen Urheber bestimmt zu seyn scheinen.
man hätte Grund zu hoffen, daß, wenn man auf eben
die Art, wie man den Bau eines thierischen
einer Pflanze, oder das System der Himmelskörper zu
untersuchen pflegt, genauere
gen über die verschiedenen natürlichen Grundtriebe und
natürlichen Neigungen des menschlichen Geschlechts an
stellte, man zu einer weit richtigern Theorie der Sitten
lehre gelangen würde, als es bisher möglich gewesen
wäre: und eine Theorie, welche, auf so deutlichen und
festen Gründen, beruhete, würde einem jeden, der die
Denn wir können, durch das innere Bewusstseyn und Ge
fühl, die Beschaffenheit unsers innern Wesens eben so
genau kennen lernen, als uns die verschiedenen Theile ei
nes Körpers, durch Hülfe unserer Augen, bekant wer
den: und wir dürfen wegen der Absichten, zu welchen,
wenigstens die vornehmsten Theile unsers Innern, be
stimmt sind, eben so wenig zweifelhaft seyn, als wir es
wegen der Absichten der Glieder an unserm Körper,
und unserer äusserlichen Vorrede. 13
wir von dem Daseyn und den
höchsten Wesens überzeugt sind; eben so sehr sind wir
überzeugt, daß die
gewis sein Wille sey, daß wir uns in diejenige Ver
fassung des
erwählen sollen, welche den offenbaren Absichten und
Bestimmungen seines göttlichen Werks am gemässesten
ist; und daß ein solcher Zustand des Herzens und ein
solcher Plan des Lebens, welcher am gewissesten mit dem
Endzweck aller Theile desselben übereinstimmt, als die
vollkommenste Art zu handeln angesehen werden und die
Pflicht, die
schen ausmachen mus.
Unser
nen Versuch gemacht, zuförderst die verschiedenen Grund
triebe der menschlichen
Ganzes ausmachen, zu entwickeln, und daher den Ur
sprung unsrer Begriffe vom
und unsers Gefühls der Pflicht oder sittlichen Verbind
lichkeit, aufzusuchen. Hierauf bemüht er sich zu er
forschen, worinnen eigentlich die höchste Glückseligkeit
des menschlichen Geschlechts bestehe; und sodann sucht
er die besondern Gesetze der Natur, oder diejenigen
geln
den müssen, wenn in der Verbindung, worinnen wir ge
geneinander, als Mitglieder einer
allgemeine Beste befördert werden soll. Man mus es
dem Urtheil des aufmerksamen und unpartheyischen Le
sers überlassen, ob der Verfasser in diesem allen glücklich
gewesen ist.
Wenn man indessen auch annehmen wollte, daß
sein Lehrgebäude, nach einer längern und nähern Prü
fung des Wesens, und der Wirkungen unserer Seele, in
einigen Stücken eine Aenderung oder Verbesserung zuge
lassen haben würde: so bleibt doch allemal gewis, daß
alle seine Anmerkungen und Betrachtungen vollkommenen
Beyfall verdienen, weil er die höchste
treflichkeit eines Menschen eben darin setzet, worinnen
sie, nach einer gesunden in einer so ferti
gen und so beständigen Ausübung aller guten
Neigungen gegen Gott und den Menschen, daß
dadurch alls andre
*
Es scheinen einige die Leh
re unsers Verfassers so unrecht
verstanden zu haben, daß sie sich
einbilden, er erfordere zur
gend
pfindung
mung der sittlichen
und
und Handlungen, welche auch
selbst die lasterhaftesten Men
schen noch in einem ansehnlichen
Grade behalten können. Er
hat vielmehr allemal behauptet,
die Tugend bestehe in der Aus
übung der Neigungen, und der
daher fliessenden
welche der
pfiehlt und gebietet. Oder, um
dieses auf eine andere Art aus
zudrücken, die Tugend liegt nicht
in der blossen
eines Wohlgefallens an ge
wissen
lungen, sondern darinnen, daß
man dieser Empfindung gemäs
handelt.
**
von einigen so übel verstanden
worden, daß sie glauben; wenn
er sagt, wir stünden, vermöge
des moralischen Sinnes, in ei
ner wirklichen innern Verbind
lichkeit, tugendhaft zu handeln:
so wolle er dadurch behaupten,
daß alle andre Verbindlichkei
ten, in Absicht auf den Willen
seiner
fallens in dieser oder in einer an
dern Welt, überflüssig wären.
Es kan aber von seiner Mei
nung nichts so sehr entfernt
seyn; und es fließt auch nicht
aus seinen Grundsätzen. Er
war zu sehr überzeugt, daß es
eine wichtige und nothwendige
Sache sey, dem menschlichen
Geschlecht die Ausübung der
Art, einzuschärfen, und nichts
schien ihm hierzu so geschickt zu
seyn, als die ehrfurchtsvolle
Vorstellung künftiger Beloh
nungen und Strafen. Wenn
jemand sagte, es sey der mensch
lichen Seele ein natürliches
fühl
das selbst bey denjenigen, wel
che von Gott und einem künf
tigen Leben nichts wissen, auf
gewisse Art wirkt: so würde es
unbillig seyn, hieraus zu fol
gern, daß man dadurch be
haupten wolle, dieses natürli
che Gefühl des Rechts allein
sey bey dem menschlichen Ge
schlechte zu der gleichförmigen
Ausübung der Gerechtigkeit
hinlänglich, ungeachtet sich noch
unzähliche starke Versuchun
gen fänden, davon abzuweichen.
Die Anwendung ist so deutlich,
daß es unnöthig wäre, sich län
ger dabey aufzuhalten.
Mann, als daß er blos bey besondern Lehrsätzen der
schaft schränkte sich nicht auf sein eigenes Lehrgebäude ein,
und man wird bey Durchlesung des folgenden
deutlich wahrnehmen, daß er mit den Schriften der
ten
und die Regierung zum Gegenstand haben, sehr wohl
bekant war. Auch selbst in diesem Umfange war die
Sittenlehre nicht die einzige
ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmete. Eine heftige
Wissensbegierde war ihm natürlich. Er liebte die
unermüdetem Fleisse. Er besas eine geschwinde Ein
sicht und ein treues Gedächtnis; und er hatte sich nicht
nur gewöhnt, immerfort zu denken und zu forschen, son
dern er fand auch Vergnügen dabey. Seine Seele war
niemals der Ermattung unterworfen, die so oft den Fleis
berühmter Leute unterbricht: seine Kräfte waren be
ständig gleich munter und wirksam. Ein
der so viele Vorzüge besas, und so viele Jahre hinter
einander in dem Umgang mit den Wissenschaften zuge
bracht hatte, muste sich nothwendig eine weitläuftige
lehrsamkeit
In seiner Jugend machte
derte bald die Richtigkeit und ungekünstelte
der Gedanken und des Ausdrucks, welche ihre Schriften
unsterblich und unschätzbar gemacht haben. Er las
die
thums, mit einer Art von Begeisterung, und zugleich
mit einer
die Dichter so oft gelesen, daß er lange Stellen aus ihnen
im Gedächtnis behalten hatte, die er in seinen Vorlesun
gen, bey Gelegenheit, auf eine sehr gute Art anzuwen
den wusste. Daß er die lateinische Sprache vollkommen
verstand, ist aus den Schriften zu beurtheilen, die er
darinnen verfertigt hat. Sein
Geisterlehre, natürlichen Theologie
der Ethik
abgefasset, die man nur selten in neuern lateinischen
Schriften antrift.
Er hatte alle Theile der
durchgedacht, daß er darinnen keine gemeine Einsicht be
sas. Er verfertigte einen kleinen Abris der Vernunft
lehre, welchen er zwar nicht für die gelehrte Welt be
stimmt hatte, wodurch er aber doch sattsam bewies, daß
er ein Meister in dieser Wissenschaft war. Man sieht
aus seiner
gen und unnützen Streitigkeiten der alten Scholastiker,
die über diesen Theil der Philosophie eine so dicke Fin
sternis verbreitet haben, ungemein wohl inne hatte. Er
hat diese Wissenschaft in ein helles Licht gesetzt, und sie
lehrreich und unterhaltend gemacht. Die
verstand er so, wie sie durch die Hülfe der Vorrede. 19
und der
dete die Käntnis derselben zu dem edlen Vorsatz an,
die grossen Wahrheiten von dem Daseyn, den
menheiten
hatte es in der Geschichte der
sehr weit gebracht; er war bis zu ihrem Ursprung zu
rückgegangen, hatte die verschiedenen Veränderungen,
das Wachsthum, den Verfall, und die Wiederaufnah
me derselben genau beobachtet, und den Character der
merkwürdigsten Philosophen, nebst den unterscheidenden
Lehren und der besondern Eigenschaft ihrer
angemerkt. Ueber dieses hatte er eine ungemeine Känt
nis der
neuer Zeiten, welche desto mehr an ihm zu bewundern
war, da er mit tiefsinnigern und ernsthaftern Wissenschaf
ten Umgang pflog. Er verstand auch die Grundsprache
des alten Testaments, und obgleich seine andern gelehr
ten Beschäftigungen ihm nicht erlaubt hatten, selbst
ein Criticus darinnen zu werden: so waren ihm doch die
wichtigsten
ihre
hatten.
Nirgends zeigte sich sein grosser fähiger
einem hellern Glanze, als in dem Umgange mit seinen
Freunden. Man mochte sich unterreden, wovon man
nur wollte; so kosteten ihm seine Gedanken so wenig
Mühe, sein Ausdruck war so faslich, und seine Wissen
schaft von so grossem Umfange, daß ihm jedermann mit
Vergnügen zuhörete. Es giebt Leute, die wirklich ei
nen grossen Vorrath von Gelehrsamkeit besitzen; allein
sie scheinen ihn in so weit von einander entlegenen GeVorrede.
genden ihres Verstandes beygelegt zu haben, daß es Zeit
erfordert, ehe sie ihn zusammen schaffen und davon Gebrauch
machen können. Bey andern scheint es, daß ihre grosse
Gelehrsamkeit nur Finsternis über ihre Gedanken verbrei
tet, und daß sie von den untermengten Begriffen, die
sich in ihren Verstand auf einmal eindrängen, verhin
dert werden, die Dinge zu unterscheiden. Aber der
ganze Schatz seiner
und war beständig zu seinem Dienst bereit.
sah auf einen Augenblick alles, was mit seinem itzigen
Gegenstand zusammenhieng, und verwarf dasjenige,
was keine Verwandschaft mit demselben hatte. Er
sprach von den schwersten und tiefsinnigsten Sachen mit
einer Leichtigkeit und Deutlichkeit, die vielleicht Leuten
von nicht geringerer Geschicklichkeit wiederholte Bemü
hungen gekostet haben würde, ohne ihn zu erreichen. Es
kostete ihm wenig Arbeit, betrügerische Vernunftschlüsse
aufzulösen. Er unterschied die wahre
von der falschen; die Gegenstände unserer
welche der unwidersprechlichsten Beweise fähig sind, von
solchen, welche es nicht sind; nützliche und wichtige Fra
gen, von solchen, welche blos die
und zum Zeitvertreib dienen. Er hatte nichts so sehr
und so beständig vor Augen, als den wirklichen Nu
tzen, den die Wissenschaften im menschlichen Leben schaf
fen können. Seine Absicht war nicht, mit unerhebli
chen Dingen sich zu belustigen, sondern er hatte bey al
len seinen Untersuchungen den wahren Vortheil des
methaphysischen Streitigkeiten, wovon er keinen an
dern Nutzen hoffen konte, nahm er Gelegenheit,
dem Vorrede. 21
halt zu thun, die von ihrer grossen Gelehrsamkeit so
voll sind; und er zeigte, wie unfähig auch die scharf
sinnigsten Sterblichen wären, in die geheime
und in das Wesen der Dinge einzudringen.
Diese besondern Talente waren in
den liebreichsten Neigungen und den nützlichsten Tugen
den verbunden. Die Reinigkeit seiner
von seiner Jugend an, unbefleckt. Gleichwie er allemal
den höchsten Abscheu vor dem
also blieb er beständig in den entferntesten Gegenden von
ihm, und vermied auch die mindesten und verzeihlich
sten Unanständigkeiten im Betragen. Allein diese
strenge Tugend wurde nicht von dem Eigensinn, nicht
von der Ungeselligkeit begleitet, die sie so oft zu Gefährten
hat, und die nicht allein so viele sonst schätzbare Leute
unangenehm machen, sondern auch die guten Wirkun
gen hindern, welche ausserdem die
auf andere haben würden. Er war vollkommen auf
richtig, und verabscheuete in Worten und Werken auch den
geringsten Schein einer Hintergehung. Er verachtete
diese kleinen Kunstgriffe, die man in der Welt
gemeiniglich für lobenswurdige Geschicklichkeiten und
für Beweise einer nicht gemeinen Klugheit zu hal
ten pflegt. Er war von Natur frey und offenher
zig, und voll Eifer, das zu sagen, was er für wahr
hielt. Schon beym ersten Anblick verrieth er seine red
liche und aufrichtige
schaft mit ihm fand man ihn niemals von sich unter
schieden. Er war ganz Wohlgewogenheit und Zunei
gung. Man durfte ihn nur sehen, um sich hiervon zu
überzeugen. Seine Mine und sein Betragen bewiesen es. Vorrede.
Diese
in seinen Schriften Spuren davon antrift, an wel
chen vielleicht sein Herz eben so viel Antheil hat, als sein
gebäude auf die liebreichen und geselligen Neigungen ge
gründet worden, eine Vertheidigung nöthig hätte: so
würde man es wenigstens auf eine sehr angenehme
Art mit der Gewalt entschuldigen können, welche
diese Neigungen über ihn selbst hatten.
Sein Herz war zur
war zwar mit äusserlichen Versicherungen derselben sehr
zurückhaltend; aber er war allemal bereit, sich jedermann
durch die wichtigsten Dienste, die man von einem Freun
de erwarten kan, gefällig zu machen. Seine Freunde
nahmen bey jedem unglücklichen
kümmernis, ihre Zuflucht zu
Die heftige Zuneigung zu seinen Freunden, siegte über
seinen natürlichen Widerwillen gegen den Wunsch, an
gesehen zu seyn; ein Sieg, den die Betrachtung seines
eigenen Vortheils niemals hätte erhalten können. Sei
ne Gefälligkeiten schränkten sich nicht blos auf seine be
sondern Freunde und Anverwandten ein; sein Herz über
flos von Gütigkeit gegen alle, die er kante, und er
ergrif jede Gelegenheit, sich ihnen angenehm und ver
bindlich zu machen. Ob gleich nur wenige einen so star
ken Trieb zu den Wissenschaften haben, und sich densel
ben mit einer so anhaltenden Aufmerksamkeit und An
strengung widmen; so muste doch dieser
Neigung, Gutes zu thun, oftmals nachgeben. Er war
von einer ungemein wohlthätigen Gemüthsart; beson
ders war es ihm eine wahre Freude, hoffnungsvollen Vorrede. 23
Jünglingen, die sich in dürftigen Umständen befanden,
beyzustehen, und ihren Fleis nicht nur mit einem Zu
schus an Gelde, sondern auch durch die Erlaubnis, daß
sie seinen Vorlesungen, ohne einige Bezahlung, bey
wohnen durften, zu unterstützen.
Mit einer Art von vernünftiger
die ihn immer begeisterte, und den vornehmsten Theil
seines
der
der menschlichen
sagte und that, konte man wahrnehmen, daß er die edle
Absicht hatte, sie zu befördern und auszubreiten. Sie
vermochten so viel über ihn, daß sie einen Einflus auf
sein ganzes Betragen hatten, und ihm einen allgemei
nen
Das, was wir in ihm einen allgemeinen Geist nennen,
bestand nicht in einer unbestimmten
allem demjenigen, was wir nicht wissen, oder nicht
vollkommen verstehen; sondern in einem erleuchteten und
schen, und die Mittel sie zu befördern. Seine
wahren Gelehrsamkeit, seine unermüdete
zu erlangen, und den Geschmack an ihr auszubreiten,
machte ihn zu dem Amte, welches die
angewiesen hatte, ausserordentlich geschickt. Und viel
leicht haben wenige Leute, in gleichen Aemtern, mit glei
chem Glück und Eifer, den Geschmack an der ächten
ratur
den Gränzen seines eigenen Lehramts, sondern derselbe
erstreckte sich auf alles, was im menschlichen Leben
Vortheil und Nutzen schaffen kan. Wenn er sprach: so Vorrede.
glaubte man, er hätte fast allen wichtigen Bedienungen
vorgestanden; so sehr verrieth
einer jeden verstand, und sich ernstlich angelegen seyn
lies, zur Beförderung derselben etwas beyzutragen.
Sein gutartiges Herz fand die gröste Freude daran, die
Mittel aufzusuchen, wodurch in den verschiedenen
Ständen der menschlichen
von den Regeln der
Uebereinstimmung gebracht, oder dasjenige, was mit
denselben schon übereinkam, zu mehrerer
erhöht werden könte. Die von ihm hierzu gemachten
Entwürfe gründeten sich auf keine leere
sondern sie waren der Ausführung fähig, und hätten die
Aufmerksamkeit aller derjenigen verdient, welche Gewalt
und Ansehen in der Gesellschaft, in den Stand setzten,
sie zur Ausführung zu bringen. Dieser Eifer für das
gemeine Beste zeigte sich beständig in seiner Art zu den
ken, und nicht nur in seinen ernsthaftern, sondern auch in sei
nen heitern und vergnügten Stunden. Er war an Entwür
fen, die den Vortheil anderer angiengen, unerschöpflich;
doch niemals hat er an einen gedacht, der seine eigenen
Nutzen betroffen hätte. Wir haben schon angemerkt,
daß er in seiner Jugend, zu einer Zeit, da man an
Glückseligkeiten, die in die Augen fallen, den meisten
Geschmack zu haben pflegt, niemals auf Vorschläge ge
hört hat, die ihm eine
sehen eröfneten. In seinem reifen Alter, da aber der
gute Zustand seiner Gesundheit ihn noch hoffen lies, viele
Jahre zu leben, wurde ihm der Antrag gethan, auf der
Universität zu Edimburg Professor der philosophischen
Sittenlehre zu werden. Ungeachtet er in dieser Stelle
mehrere Einkünfte und bessere Gelegenheit gehabt haben Vorrede. 25
würde, mit den vornehmsten und angesehensten Personen
bekant zu werden: so war
gen Stande vergnügt, und gänzlich abgeneigt, ihn je
mals zu ändern.
Diese vortreflichen Talente machten seinen Umgang,
besonders für seine Freunde, so unterhaltend und lehrreich,
daß derselbe allen denjenigen, die ihn zu geniessen das
Glück hatten, eine Schule der
eine sehr unverständige Gesellschaft seyn müssen, die er
nicht zugleich vergnügt und unterrichtet hätte. Eine un
gemeine Lebhaftigkeit der Gedanken und des Ausdrucks,
ein immerwährender Quell von Gütigkeit und Menschen
liebe, und eine sichtbare Mine von innerer
machte ihn zur Seele der Gesellschaft und hatte auf alles,
was ihn umgab, einen belebenden Einflus. Er war
munter und scherzhaft, vertraulich, und im höchsten Grad
gefällig, und ganz und gar frey von
Kein Zeichen einer Eitelkeit oder Zufriedenheit mit sich
selbst wurde man an ihm gewahr. Er verlangte keinen
Ruhm, und er bildete sich auf den ungesuchten Besitz
desselben nichts ein. Er war unter allen, die um ihn
waren, derjenige, der die meisten Vorzüge besas, und zugleich
der einzige, der es nicht gewahr wurde. Seine Gedan
ken beschäftigten sich niemals mit seinen eigenen
kommenheiten
cher Neigungen, durch den Eifer für die gemeinen Vor
theile, und durch das begierige Forschen nach der Wahr
heit abgehalten, auf sich selbst aufmerksam zu seyn. Die
ses war so ein unläugbarer Theil seines Characters, daß
selbst diejenigen, welche am wenigsten geneigt waren,
vortheilhaft von ihm zu denken, ihn niemals eines Stolzes Vorrede.
oder einer Eitelkeit beschuldigen konten. Seine natür
liche Bescheidenheit wurde durch seine gottesfürchtigen
Gesinnungen noch mehr erhöhet und verfeinert.
chen und
Einflus einer geziemenden und vernünftigen Gottesfurcht
auf die
die Befestigung und Reinigkeit eines tugendhaften Wan
dels, auf das stärkste und lebhafteste überzeugt. Man
konte in dem Umgange mit ihm merken, wie viel Gewalt
seine Gottesfurcht auf sein Herz hatte. In seinen öffent
lichen Vorlesungen lies er keine, auch nicht die, von sei
nem eigentlichen Gegenstand, entfernteste Gelegenheit
vorbey, daß er sich nicht weitläuftig und voll Entzückung
über die Anständigkeit und den Vortheil der voll
kommensten Ehrfurcht gegen
Pflicht, alle unsere Gaben, unsre
was wir besitzen, seiner Gütigkeit zuzuschreiben, erkläret
hätte. Dieses waren in seinen Augen die unfehlbarsten
Mittel, die Aufwallungen von Stolz, von Eitelkeit und
Selbstzufriedenheit zu unterdrücken, welche in den Her
zen solcher Leute zu entstehen pflegen, die nicht ernstlich
und oft daran denken, daß sie nicht besser sind, als an
dere, und daß sie nichts besitzen, als was sie em
pfangen haben. Er sahe diese Gesinnungen, wenn sie
seine grosse Vorrede. 27
lent, ohne Mühe, und doch richtig und gründlich zu
sprechen, zu dem vortreflichsten Lehrer, den unsre Zeiten je
mals gesehn haben.
nehmende Beredsamkeit. Er sahe wirklich mehr auf den
Verstand als auf den Ausdruck, und doch war sein Aus
druck gut. Er war in der nachdrücklichen und genauen
behrlich ist, ein Meister. Aber er hielte es weder in sei
nen Vorlesungen, noch in seinen Schriften über Gegen
stände der
ohne Ausnahme ein unterrichtender Lehrer zu seyn, der
für nichts, als die erforderliche Kürze und Genauigkeit
in richtigen Erklärungen und bündigen Schlüssen, zu
sorgen hätte. Er glaubte die Pflichten seines Amts eben
so vollkommen zu erfüllen, wenn er bey
trachtungen, die das Herz
verweilte, und die
den wichtigsten Lehrsatz mit der grösten philosophischen
Genauigkeit vortrüge und erläuterte. Er sahe die Bil
dung des Herzens als den vornehmsten Endzweck aller
moralischen Unterweisung an. Er machte dieselbe be
ständig zu seinem Augenmerk, und er besas alle Eigen
schaften, darinnen glücklich zu seyn, so weit es durch
menschliche Mittel möglich ist. Er dachte und empfand
mit einer so ausserordentlichen Lebhaftigkeit, daß er bey
den grossen Gegenständen der Sittenlehre und Religion
in die höchste Entzückung gerieth. Dieses gab seinem
Vortrage eine angenehme Gestalt, welche die Aufmerk
samkeit der Zuhörer unterhielt, und zu gleicher Zeit den
stärksten Eindruck in ihren Seelen zurücklies. Er er
füllte ihre Herzen mit einem neuen und höhern Vergnü
gen, als sie jemals zuvor empfunden hatten, wenn er mit Vorrrede.
seiner einnehmenden Art, ihnen eine Aussicht in weite
Gefilde der Erkäntnisse, wovon sie vorhin gar keine Be
griffe gehabt hatten, eröfnete. Wenn
seinen Zuhörern, bey der Vorlesung über die natürliche
zähliche Beweise einer bewundernswürdigen Kunst und
einer liebreichen Absicht entdeckte, und hernach die er
staunlichern Beweise der weisesten Allmacht und der gü
tigsten Sorgfalt in dem allgemeinen Ganzen, als ein
Ding betrachtet, ihnen vor Augen legte: so ist leicht zu
begreifen, daß dieses auf ihre zarten
der
druck machen muste. Solche Betrachtungen der
waren ihnen neue Entdeckungen, welche sie mit Vergnü
gen und Erstaunen erfüllten, und ihnen zugleich die an
genehmste und stärkste Ueberzeugung von dem Daseyn und
den
schaften. Wenn er sie von der Betrachtung der äusserli
chen Welt, zu dem Anschauen einer innerlichen, der
menschlichen Seele, fortführte, und ihnen in der morali
schen Beschaffenheit derselben ebenfalls die Spuren der
göttlichen
von neuem Vergnügen und Erstaunen durchdrungen,
und empfiengen neue und überzeugendere Proben von den
herrlichen Eigenschaften des Vaters unserer Geister.
Und wenn er die verschiedenen Tugenden als schön an
sich selbst, als die edelste Anwendung unserer ver
nünftigen und moralischen Kräfte, und als die einzige
Quelle der wahren Würde und
Personen und ganzer
sie von diesem liebenswürdigen
fühlten ein inniges Verlangen, das zu seyn, was sie Vorrede. 29
sahen. Das Vergnügen, welches aus dem anbrechen
den Licht der
fähigen und gutgearteten Seelen entspringt, erregt eine so
heftige
Eifer, sie zu erlangen, daß es auf einige Zeit die Em
pörungen der jugendlichen
stark genug sind, junge Leute in ihren besten Jahren
hinzureissen. Damit man sich aber nicht einbilde,
als ob diese mächtige Wirkungen blos den Reitzungen
der Neuheit zuzuschreiben wären: so ist noch zu erwäh
nen, daß einige von seinen Zuhörern, die schon Jahre
und Wissenschaft hatten, seine Vorlesungen über die phi
losophische Sittenlehre, vier, fünf, auch sechs Jahr hin
ter einander besuchten, und immer neue Unterhaltung fan
den, obgleich der Hauptgegenstand, jedes Jahr, allemal
derselbe war.
Seine Vorlesungen wurden dadurch noch nützli
cher, daß sie sich nicht auf tiefsinnige Betrachtungen und
auf ein besonderes Lehrgebäude einschränkten, sondern sich
gemeiniglich bis auf das gemeine Leben erstreckten.
entdeckte zuweilen die gewöhnlichen Thorheiten und
ster
von Recht und Billigkeit in dem geschäftigen Theil dessel
ben, und die gefährlichen Klippen, an welchen die Ju
gend scheitern, und Tugend und Glückseligkeit verlieren
kan. Zu andern Zeiten blieb er bey Materien stehen, de
ren Wichtigkeit von jedermann eingesehen werden konte.
Die grosse Grundregel, auf welcher er bestand, und die
er dem Herzen seiner Zuhörer einzuprägen suchte, war,
sich über alle Dinge zu freuen, in der festen Ueberzeu
gung, daß es eine allgemeine Vorrede.
weisen und gütigen Wesens gebe, welches alle seine Werke
liebt, und von welchem sich nicht denken lässt, daß es et
was, das es gemacht hat, hassen könne.
ses unaufhörlich, auf das nachdrücklichste, einzuschärfen,
„als den festen Grund eines gänzlichen Vertrauens auf
Gott, und einer ehrerbietigen Unterwerfung unter seinen
Willen, bey allen Vorfallenheiten. Man müsse die Lei
den als unsere grösten Wohlthaten ansehen, weil sie uns
nicht nur Gelegenheit verschaffen, die erhabensten Tu
genden, als die Ergebung in den Willen Gottes, die
Verzeihung der Beleidigungen, die Vergeltung des Bö
sen mit Guten, auszuüben; sondern uns auch den Weg
zeigen, zu richtigen Begriffen von der Eitelkeit aller
Dinge, ausser der
Menschenliebe, zu gelangen: alles, was wir haben,
müsse nicht uns selbst, sondern Gott, welcher alles giebt,
zugeschrieben werden:
Gott den Ruhm, daß alles, was vortreflich ist, von ihm
herkomme, nicht verweigert; und ein unaufhörlicher Ei
fer, Gutes zu thun, schienen ihm die höchste menschliche
diese grossen Grundsätze, mit der leichten und einnehmen
den Art aus, welche unmittelbar das Herz rührt, und
der
sten
Da er alle Jahre Gelegenheit hatte, in seinen Vor
lesungen den Ursprung der Regierung zu erklären, und die
verschiedenen Arten derselben gegen einander zu halten:
so lies er sich besonders angelegen seyn, die wichtigen
Vortheile, welche die
ligion der menschlichen Vorrede. 31
fen. Da die
fördern, seine eigentliche Grundsätze waren: so pflegte
sich bey denselben allemal sehr weitläuftig, mit Anführung der
bündigsten Beweise, und mit dem ernstlichsten Vorsatz der
Ueberzeugung aufzuhalten; und er war so glücklich, daß
wenige seiner Zuhörer, mit was für Vorurtheilen
auch zu ihm gekommen waren, ihn ohne die vortheilhaf
testen Begriffe von den Meinungen, die er in diesem wich
tigen Puncte annahm und vertheidigte, verliessen.
Ausser seinen beständigen Vorlesungen, welche er
über die natürliche
gelehrsamkeit und Staatskunst, wöchentlich fünf Tage
hielt, beschäftigte ihn noch eine andere, drey Tage wö
chentlich, worinnen er die besten griechischen und lateini
schen Schriftsteller des Alterthums, über die Sittenlehre,
auslegte, und sowohl die Sprache, als die Grundsätze
derselben, auf die geschickteste Art erklärte.
Ausser diesen Vorlesungen hielte er allemal des
Sontags Abends noch eine über die
treflichkeit der
von der
deutlich und genau anführte, und den Zusammenhang
ihrer göttlichen Lehren aus den ursprünglichen Zeugnis
sen des neuen Testaments selbst, und nicht aus den par
teyischen und scholastischen Lehrgebäuden der neuern Zei
ten vortrug. In dieser Vorlesung hatte er die meisten
Zuhörer, weil die Studirenden aus allen Ordnungen die
sen Tag von ihren besondern Beschäftigungen frey waren,
und derselben desto lieber beywohnten, je mehr sie über
zeugt waren, daß sie Vergnügen und Unterricht fin
den würden.
Ein Lehrer, der solche Gaben hatte, und einen sol
chen Eifer bezeigte, die Pflichten seines Amts zu beobach
ten, der alle Vorzüge eines redlichen Mannes besas, der
für die wohlgeartete Jugend so eingenommen war, der
sich aller ihrer Angelegenheiten annahm, und bey allen
Vorfallenheiten ihnen Gefälligkeiten erwies; ein solcher
Lehrer muste nothwendig ihre gröste Hochachtung und
Zuneigung gewinnen. Dieses setzte ihn bey denselben in
ein grosses Ansehen, welches
Absicht anwendete, tugendhafte Eindrücke in ihre Herzen
zu prägen, und ihnen eine Neigung zur Gelehrsam
keit, zu schönen Künsten, und zu allem, was im mensch
lichen Leben anständig und nützlich ist, beyzubringen.
Er hatte das besondre Glück, daß er die
Literatur, besonders zum Griechischen, wieder erweckte,
welches, vor seiner Zeit, auf der Universität sehr verab
säumt worden war. Jedermann, der um ihn war, er
hielt von ihm eine solche Liebe zur
solche
ihren Spatziergängen und Besuchen, sich mit vielem
Scharfsinn über gelehrte Sachen unterhielten, und da
durch immer begieriger wurden, ihren Fleis auf die wich
tigsten Sachen zu wenden. Er nahm sich nicht nur der
jenigen Studirenden an, die seiner Aufsicht unmittelbar
anvertrauet waren; sondern er bemühete sich auch, den
übrigen in allen Facultäten, so oft sich Gelegenheit fand,
nützlich zu seyn. Besonders suchte er denjenigen, welche
sich der Gottesgelahrheit widmeten, Dienste zu leisten,
und unter andern wichtigen Unterweisungen, ihnen richtige
Begriffe von dem vornehmsten Gegenstand der geistlichen
Redekunst beyzubringen. Tiefsinnige Betrachtungen
über streitige Fragen sowohl aus der Vorrede. 33
der
dentlichen Gelegenheiten, keine Materien zu seyn, die sich
für die Kanzel schickten.
man keinen Nutzen zu hoffen hätte, wenn man auf der
Kanzel die dahin nicht gehörigen speculativischen Fragen
abhandeln wollte, z. E. ob die menschliche
gennütziger Neigungen fähig sey? ob der Ursprung der
Pflicht oder der sittlichen Verbindlichkeit aus dem natür
lichen Bewustseyn, oder aus dem
aus dem Gesetz, oder aus der vernünftigen Betrachtung
des Eigennutzes, herzuleiten sey? und andre solche Unter
suchungen. Ob gleich solche Fragen in der Schule der
*
untersucht werden können und müssen;
so gehörten sie doch, seiner Meinung nach, nicht in das
Gebiet des Predigers, dessen Amt nicht ist, die Grund
triebe der menschlichen
dieselben zu wenden, und sie in
*
Nach dem System unsers
der göttlichen
Gütigkeit, die sich in der Be
schaffenheit unsrer
sert, das Daseyn und die ver
bindende Gewalt des morali
schen Gefühls zu behaupten.
Denn in was für andern Ver
bindlichkeiten wir auch seyn mö
gen, so wird diese innerliche
mit ihnen zugleich wirken,
wenn das
wird; und sie wird, ohne die
selben, ihre Gewalt ausüben,
wenn wir, durch allerhand Ursa
chen gehindert werden, darauf
setz
bekant worden, die höchste Ver
bindlichkeit aller vernünftiger
Wesen: so wird in Betrach
tung dieser Verbindlichkeit, das
innerliche Gesetz mit dem
äusserlichen zugleich wirken,
wenn wir auf sein Ansehen auf
merksam sind: und
ses nicht sind, so wird es wenig
stens, ohne dasselbe, in einem ge
wissen Grade, eine Richtschnur
der
ist anzumerken, daß, wenn man
die Verbindlichkeit des morali
schen Gefühls, als etwas wirk
grössten Zweifler die Gewalt des
selben noch erkennen müssen,
wenn sie sich auch von allen an
dern Verbindlichkeiten befreyet
hätten. Lasst uns eine Person
annehmen, die so unglücklich ist
zu glauben, daß kein Gott sey,
oder daß keine künftige Beloh
nungen und Bestrafungen er
wartet werden dürfen, oder daß
ein tugendhafter Wandel keine
Vortheile in diesem Leben ver
schaffe: diese Person wird im
mer unter der Gewalt des in
nerlichen Gefühls von Recht
und Unrecht bleiben. Wenn er
diesem zuwider handelt: so be
lichkeit, und er mus sich bewust
seyn, daß er Strafe verdient,
und daß er sie zu erwarten hat,
wenn ein Richter und Bestrafer
ist. Wenn wir annehmen, daß
das Gefühl von Recht und Un
recht gänzlich ausgerottet sey,
alsdenn mus, nach dem Sy
stem unsers
als aller andern, derselbe alle
mal wegen der Bemühung Re
chenschaft geben, die er ange
wendet hat, sich in diesen Stand
einer gänzlichen Unempfindlich
keit gegen alle
trachtungen zu bringen.
Vorrede.
Was überdieses die philosophischen Fragen wegen der sittli
chen Verbindlichkeit anbetrift: so kommen die verschiedenen
Arten sie zu erklären, darinnen vollkommen überein, daß sie die
Ausübung tugendhafter Handlungen nothwendig machen,
welche eben der vornehmste Gegenstand ist, womit der hei
lige Redner sich beschäftigen soll. Der allgemeine Plan zu
predigen, welchen
die Menschen kraftlose, unwissende, schuldige Geschöpfe
sind, die ihre eigene
nen, und jeden Augenblick unvermeidlichen Uebeln aus
gesetzt sind: so müssen sie aufgefordert werden, sich für
solche zu erkennen, und die Lehren der natürlichen und ge
offenbarten
die sich in dieser demüthigenden Gestalt sehen, müssen
denselben in das höchste Licht gesetzet werden. Da
sie der Gefahr unterworfen sind, durch eigennützige und
sinnliche Vorrede. 35
ligkeit hinweggelockt zu werden: so sind ihnen die schreck
lichen Lehren der
ihren unordentlichen Leidenschaften Einhalt thun können;
und hingegen angenehmere, welche sie zur Ausübung rei
ner
ermuntern können; in ihrer ganzen Stärke vor Augen zu
legen. Und da sie geneigt sind, bey der allgemeinen Er
käntnis ihrer Pflichten stehen zu bleiben, ohne dieselbe zu
der Einrichtung ihrer Herzen und ihres Lebens anzuwen
den; so mus der heilige Lehrer sich nicht zu sehr bey allge
meinen Sätzen, dergleichen die
keit und Billigkeit der göttlichen Gesetze sind, aufhalten,
sondern sich besonders bemühen, sie zu unterrichten, wie
sie sich in allen Verfassungen und Ständen des Lebens,
selbst bey den geringsten und gewöhnlichsten Geschäften
desselben, zu verhalten haben. Alles dieses mus, ohne
einen mühsamen Schwung des Ausdrucks, auf die deut
liche und ungekünstelte Art vorgetragen werden, welche
das Herz rührt, und in das Gewissen und in das unmit
telbare
Zu allem diesen ist noch hinzuzufügen, daß
ausserhalb seines Lehramts, in allen andern Betrachtungen,
ein brauchbares Mitglied der Universität war, weil seine
grossen Talente und sein unermüdeter Eifer ihn geschickt
und willig machten, die bürgerlichen Vortheile derselben
eben so sehr, als die
So war das Leben dieses würdigen Mannes, welches
er in einem unaufhörlichen, aber ihm nicht beschwerlichen
Fleisse, in der beständigen Bemühung, nach allen seinen Kräf
ten Gutes zu thun, und
ter den Menschen auszubreiten, zugebracht hat. Kurz, er be
sas ungemeine Vorzüge und ungemeine Vorrede.
nur geringe Fehler, die von seinen guten Eigenschaften her
rühreten. Wenn
ses seinem lebhaften
schreiben. Wenn sein Unwillen heftig war: so war er blos
durch die Niederträchtigkeit und
verabscheuete, erregt worden. War er zu einer Zeit offenher
zig, da es besser gewesen wäre, zurückhaltend zu seyn: so war
sein redliches und aufrichtiges Herz daran schuld, das keiner
Verstellung fähig war. Einigen misfiel seine edle Freymü
thigkeit, andere waren auf seinen Ruhm eifersüchtig; ei
nige verläumdeten ihn aus
ley; aber sein
den noch erhoben werden, wenn die Urtheile, die man zu sei
nem Nachtheil fällte, längst vergessen sind.
Eine gute Leibesbeschaffenheit, und eine beständige Ge
sundheit, die, ausser einigen schwachen Anfällen vom Poda
gra, niemals, als einige Monate vor seinem Tode, unterbro
chen worden war, schienen der Welt noch länger den Genus
eines so schätzbaren Lebens zu versprechen. Aber es gefiel der
allweisen
wohl befunden, und einige Tage das Fieber gehabt hatte, in
dem drey und funfzigsten Jahre seines Alters, und im
zehnten seines Aufenthalts in Glasgow, abzufordern. Er
wurde von allen Freunden der
klagt, und sein Tod war für die Gesellschaft, von welcher er ein
so vortrefliches Mitglied gewesen war, für alle seine Anver
wandten und Freunde, ein unwiederbringlicher Verlust.
Er hatte sich, bald nach seiner Niederlassung in Dublin,
mit
heirathet, welcher in der Grafschaft Langford Güter besas, und
sich als Hauptmann in dem Dienst des Königs
sterblichen Andenkens, bey den damaligen Staatsveränderun
Vorrede. 37
gen hervorgethan hatte.
Uneigennützigkeit und Grosmuth, die alle andere Handlun
gen seines Lebens begleitete. Er hatte einen Abscheu vor dem
Gebrauch die Heirath für eine Art von Kauf und Verkauf an
zusehen. Er wurde blos durch den guten Verstand, die liebens
würdigen Eigenschaften und vollkommenen Tugenden seiner
Gattin gerührt; und die ununterbrochne
res Ehestandes rechtfertigte seine weise und tugendhafte Wahl.
Er hat einen Sohn,
kunst, hinterlassen, welcher frühe Proben seines fähigen Gei
stes abgeleget hat, und der Herausgeber dieses Werks ist.
Wenn jemand wünschen sollte, etwas von
licher Gestalt zu wissen: so darf man nur sagen, daß sie ein
genes und freyes, aber anständiges und männliches Betra
gen, gab ihm ein edles Ansehen. Seine Gesichtsfarbe war
schön und roth, und seine Züge waren regelmäsig. Seine Mi
ne und sein Blick verriethen Verstand, Geist und ein gütiges
und heiteres Herz. Man wurde von seiner ganzen Person,
gleich beym ersten Anblick, zu seinem Vortheil eingenommen.
Es ist noch zu gedenken, daß man bey allem, was von
der
Absicht gehabt hat, die Meinungen desselben vorzutragen,
und daß der Verfertiger dieses Lebens, seine eigenen Gedanken
dabey ganz bey Seite gesetzt hat. Der
Freund der
langte nicht, daß jemand seine Meinungen annehmen sollte,
wenn er sich nicht überzeugt sähe, daß sie auf sichern Gründen
ruheten. Die Absicht, die Gottesfurcht, die
Beste der Menschen zu befördern, ist in dem ganzen Werke so
offenbar, daß man hoffen darf, der gröste Theil desselben wer
de den Beyfall aller unpartheyischer und gutgesinnter Leser erVorrede.
halten, so sehr auch der Verfertiger dieser Nachrichten, oder
andre Leute, in besondern Meinungen, oder in der Entschei
dung besondrer Fragen, von dem
Einige gütige Richter werden, und vielleicht nicht ohne
Grund, den Ausspruch thun, daß von dem Character
sons
den. Sie werden sagen, „man habe von ihm nur erwähnt,
daß er die menschliche
untersuchet, und darinnen eine Reihe von Neigungen, wel
che sich alle auf das Beste anderer, als den letzten Endzweck,
beziehen, und ein moralisches Gefühl, welches uns gewisse
Neigungen und
setzten für böse erkennen lässt, wahrgenommen habe.
Dieses alles aber habe er mit allen Philosophen gemein, die
mit ihm uneigennützige Neigungen in der
tur
sten und vornehmsten Artikel, die sich auf die Känt
nis der menschlichen Natur und der Sittlichkeit beziehen,
der Welt als ein Original vorgestellt zu werden. Denn
obgleich alle Anhänger der grosmüthigen
in unsrer Natur gewisse Neigungen annehmen, welche
die
ben: so wird und mus doch alsdenn, wenn die handelnde
Person sich nach den wichtigsten Regeln des menschlichen
Verhaltens umsieht, und die Fragen aufwirft: warum soll
ich dieses gegenwärtige Verlangen befriedigen? oder warum
soll ich mich ihm, zum Vortheil eines andern, widerse
tzen? von
die übrigen Philosophen bisher gegeben haben. Nach diesen
letztern ist die handelnde Person der Betrachtung ihrer per
sönlichen Glückseligkeit, welche aus der Herrschaft der tu
gendhaften Neigungen entspringt, überlassen, und durch die
Vorrede. 39
selbe wird ihre Wahl bestimmt; denn diese Philosophen neh
men für ausgemacht an, daß das ruhige und überlegte Be
streben der handelnden Person, nur einen letzten Zweck ha
ben könne, nämlich ihren eigenen höchsten Vortheil, oder ih
re persönliche Glückseligkeit.
nem ganz andern Inhalt. Vermöge derselben giebt es drey
ruhige Bestimmungsgründe in unserer Natur, nämlich, das
ruhige Verlangen nach unserer eigenen Glückseligkeit; das
ruhige Verlangen nach der Glückseligkeit anderer Wesen,
und das ruhige Verlangen nach der sittlichen
heit
ein letzter Zweck anzusehen. Zwischen dem zweyten und
dritten kan schwerlich ein Widerspruch entstehen; aber
zwischen dem ersten und den übrigen beyden kan oft, wenig
stens ein scheinbarer Streit, vorfallen, und in allen diesen
Fällen ist es so fern, daß unsere Natur darauf eingerichtet
seyn sollte, dem Verlangen nach unsrer eignen Glückseligkeit,
zum Nachtheil der andern Bewegungsgründe, nachzugeben,
daß vielmehr das
Person gebietet, einem jeden von den letzten Bestimmungs
gründen den erstern willig aufzuopfern. Alles dieses sind
Sachen, welche auf die
der mus hiervon, nach sich selbst, urtheilen. Nichts ist so sehr
streitig, als ob das Verlangen nach der sittlichen Vollkom
menheit, oder das Verlangen nach der eignen Glückseligkeit
für den höchsten Bestimmungsgrund angesehen werden
müsse, der mit der gegenwärtigen Beschaffenheit unsrer Na
tur übereinkommt. Vor unserm
Philosoph darauf gefallen, eine solche Vorstellung von un
srer Natur zu machen, daß der Trieb nach der sittlichen Vor
treflichkeit dafür angesehen werden müsse. Die
die Eintracht zwischen den letztern beyden der drey höchsten“ Vorrede.
„
die
eine unveränderliche Harmonie bringen, und alle Mishel
ligkeit unter ihnen verhüten.
Man mus gestehen, daß
diger und gründlicher vorgetragen hat, als irgend einer von
den alten und neuen Weltweisen. Aber, daß keiner von ihnen
jemals darauf gefallen sey, kan ohne eine weitläuftige und
sehr genaue Prüfung ihrer Werke nicht mit Gewisheit be
hauptet werden, ungeachtet es vielleicht wahr seyn kan. Unser
Anspruch gemacht, sondern ihn vielmehr verbeten. Man kan
dieses seiner ungemeinen Bescheidenheit zuschreiben; und viel
leicht rührt es von eben dieser liebenswürdigen Tugend her,
daß er die
fahrungen
Wissenschaft ansahe; und daß er sich mehr bemühete, seine Leh
ren in den vornehmsten Stücken mit den Grundsätzen andrer
guter Moralisten in Verwandschaft zu bringen, als sie von
denselben zu trennen. Seine Absicht war also, zu zeigen, daß
wenn man die grosmüthigen Neigungen und das morali
sche Gefühl zugleich in der menschlichen Natur annimmt, die
Lehre von der ewigen Uebereinstimmung und Mishelligkeit
der Dinge und von der Unveränderlichkeit der moralischen
Wahrheiten, richtig und gründlich wird. Aber es ist Zeit, dem
Leser die Durchlesung des
Lehren des
nauen Prüfung sehr wohl gegründet finden wird. Auf der
Universität zu Glasgow, den 24 December 1754.
I.Die Absicht der philosophischen Sittenlehre
philosophi
sche Sitten
lehre sey.
ist, die Menschen zur Ausübung derjenigen
Handlungen zu gewöhnen, welche ihre gröste
seligkeit
dern können; in so weit dieses durch Wahrnehmun
gen und Folgerungen, die aus der Beschaffenheit
der
natürlichen
Grundregeln, oder Vorschriften des Verhaltens
werden dahero für Gesetze der Natur angesehen,
und das System oder die Sammlung derselben
wird das Gesetz der Natur
genennet.
Die menschliche Glückseligkeit, welche der
nis der
menschlichen
Kräfte ist
darinnen
nöthig.
Endzweck dieser Wissenschaft ist, kan nicht deut
lich eingesehen werden, wenn man sich nicht zuvor
mit der Beschaffenheit der
allen ihren empfindenden und handelnden Kräften, Erstes
Buch.
und mit den natürlichen Gegenständen derselben be
kant gemacht hat. Denn die
derjenige Zustand der Seele, worein sie durch
ihre verschiedenen angenehmen
Veränderungen versetzt wird. Man verfährt also
in dieser Wissenschaft am natürlichsten, wenn man
die verschiedenen empfindenden und handelnden
Kräfte oder Fähigkeiten der Menschen nebst den
verschiedenen natürlichen Bestimmungen derselben,
und den Gegenständen, von welchen ihre Glückse
ligkeit entsteht, zuförderst untersucht; alsdenn aber
die verschiedenen Vergnügungen, deren sie fähig
sind, mit einander vergleicht, damit wir entdecken
können, worinnen die höchste Glückseligkeit und
Vollkommenheit bestehe, und wie das ganze Ver
halten beschaffen seyn müsse, durch welches dieselbe
erlangt werden kan.
Bey dieser Untersuchung darf man dasjenige,
was zwar, zur Natur unsers
Nutzen schaft, nur kurz berühren. Wir werden
unnöthige Streitigkeiten vermeiden, und wegen
desjenigen, was andre Schriftsteller bereits gut er
klärt haben, uns auf sie beziehen. Wir werden
dahero viel sinnreiche anatomische Betrachtungen
über die Vorzüge, welche der menschliche Körper
vor dem Körper andrer beseelter Geschöpfe hat,
übergehen. Der Leser wird dieselben bey anato
mischen Schriftstellern, und beym Docter
berland
II. Wenn ihr den Menschen, von seiner Ge
burt an, betrachtet: so seht ihr ein Geschöpf, das
beiten
Menschen
von ihrer
schwächer, und weniger, als alle andere, fähig ist,
ohne Hülfe eines Erwachsenen, sich zu erhalten;
und das auch länger, als alle andre, in diesem
Stande des Unvermögens bleibt. Alle andre be
seelte Geschöpfe gelangen schon in wenigen Mona
ten zu ihrer vollen Lebhaftigkeit, und zu dem voll
kommenen Gebrauch ihrer Kräfte; wenige haben
mehr, als vier oder fünf Jahre, zu ihrer völligen
Reife nöthig. Zehen bis zwölf Jahre brauchen
die Menschen, ehe sie sich durch ihre eigene Kunst
und Arbeit erhalten können, selbst in den gesitte
testen Gesellschaften, und in den Weltgegenden, de
ren Bewohner sich von der Aehnlichkeit mit den wil
den Thieren am weitesten entfernt haben. Andere
beseelte Geschöpfe kommen bekleidet und bewafnet
aus der Hand der
ihrer Vertheidigung und Erhaltung gehört, ohne
daß ihres gleichen nöthig hätten, sich darum im
mindesten zu bemühen. Die unbebauete Erde giebt
ihnen ihre Nahrung; Wälder und Felsen dienen
ihnen zu Wohnungen. Die Menschen sind unbe
kleidet und unbewafnet. Jhre zuträglichste und
angenehmste Nahrung ist seltner, und erfordert
Mühe und Arbeit. Jhre Körper sind nicht im
Stande, den Unbequemlichkeiten der Witterung zu
widerstehen, wenn nicht für ihre Kleider und
Wohnungen mühsam gesorgt wird. In ihren zar
ten Jahren hängt also ihre Erhaltung von der
Sorgfalt der Erwachsenen ab; und ihr ganzes Le
ben würde elend seyn, wenn sie sich in Wüsteneyen Erstes
Buch.
befänden, und des Beystands ihrer Mitbrüder sich
beraubt sähen.
Man mus dieses für keine unbillige Grau
samkeit des Urhebers der
schen ansehen. Wir werden bald das Gegenmittel
wider diese langwierige Schwachheit unsrer jün
gern Jahre in der
zubereitet finden; wir werden die Endursachen der
selben in den verschiedenen Verbesserungen wahr
nehmen, deren wir fähig sind. Die Mittel unse
rer Erhaltung erfordern viel Mühe und Geschick
lichkeit: wir sind verschiedener edler Vergnügungen
fähig, die andern beseelten Geschöpfen unbekant
sind, und in den nützlichen und angenehmen Kün
sten ihren Grund haben, welche wir, ohne eine
lange
die
Wie viel Zeit haben wir nöthig, unsre
sprache
selbst zu den gemeinsten Künsten des Ackerbaues,
oder anderer zur Wirthschaft gehörigen Verrichtun
gen, erfordert? Ein
ke ausgerüstet, ohne eine
Fähigkeiten besässe, würde uns unbändig und un
biegsam machen. Wir würden unsern Aeltern
und Lehrmeistern eine Last seyn. Da wir also nö
thig haben, unterwürfig zu bleiben: so haben wir
nicht so zeitig die Kräfte haben sollen, uns von die
sem nothwendigen und liebreichen Joche losmachen
zu können.
III. Die natürlichen Triebfedern, welche sich
zuerst entdecken, sind unsre äusserlichen
welche sich
zuerst äus
sern.
nebst einigen geringen Kräften, uns selbst zu bewe
gen, einer
gebohrnen Trieb, sie zu uns zunehmen. Alle diese
Kräfte äussern sich für uns auf eine zu dunkle Art,
als daß wir sie vollkommen verstehen könten: noch
viel weniger wissen die Thiere, daß sie von ihnen zu
den Brüsten ihrer Mütter geführt werden, oder
daß eine besondere
wenn sie säugen wollen. Wir handeln anfänglich
alle auf gleiche Art nach angebohrnen Trieben, die
uns eine höhere Hand weislich eingepflanzt hat.
Unsre äusserlichen Sinne bringen bald Vor
stellungen des Vergnügens oder des
unsre Seele: und mit diesen Vorstellungen entdeckt
sich zugleich unmittelbar eine natürliche immerwäh
rende Neigung, jenes zu wünschen, und diesen zu
verabscheuen; nach allem zu trachten, was die Ur
sache oder die Gelegenheit des Vergnügens seyn
kan, und hingegen die Ursachen des Schmerzens
sorgfältig zu vermeiden. Dieses sind wahrschein
licher Weise unsre ersten Begriffe von natürlichem
Guten und Uebel, von
Die äusserlichen Sinne sind diejenige Einrich Der eigent
liche Begrif der sinnli
chen Empfin
dung.
tung unserer Natur, vermittelst welcher alle
mal gewisse Vorstellungen in der Seele ent
stehen, so oft die Gliedmassen des Körpers ent
weder gewisse Eindrücke empfangen, oder
in gewisse Bewegungen gesetztwerden. Ei
Die Gelehrten sind darinnen einig, daß diese
sinnlichen Empfindungen weder in Abbildungen
oder Vorstellungen der äusserlichen Eigenschaften
in den Gegenständen, noch in den Eindrücken oder
Veränderungen, welche die Gliedmassen des Kör
pers empfangen, bestehen. Sie sind entweder
Zeichen, welche uns neue Vorfallenheiten in un
Die Begriffe, welche wir durch zween oder
de Begriffe
der sinnli
chen Em
pfindung.
mehrere
Ausdehnung, Figur, Bewegung, Ruhe. Dauer
und Anzahl haben in jeder Vorstellung oder Hand
lung in der Seele statt, sie mag von den Glied
massen des Körpers abhängen oder nicht. Die ein
fachen Begriffe in dieser Classe, welche einige die
begleitenden Begriffe der sinnlichen
nennen, sind nicht ohne Ausnahme entweder ange
nehm oder schmerzhaft. Wir finden, an der Ver
einigung verschiedener Arten von Figuren und Be
wegungen, Vergnügen. In den Verhältnissen der
Figur mit der Farbe, liegt
Verhältnissen der Zeit und der Töne, ist Harmonie.
Die Verhältnisse der Zahlen und Figuren sind das
Feld, auf welchem wir die Kräfte unsrer
am freyesten und uneingeschränktesten beschäftigen
können. Hiervon hernachmals.
IV. Es giebt eine andere natürliche Kraft der
vom Be
wustseyn
und Nach
denken.
nicht genug überdacht wird, eine innerliche Em
pfindung, Wahrnehmung oder ein Bewustseyn al
ler Handlungen,
der Seele, wodurch ihre eigenen Vorstellungen,
Urtheile, Schlüsse, Neigungen und Empfindungen,
die Gegenstände ihrer Betrachtung werden können.
Sie kennt sie, und weis ihre Benennungen; und
also kennt sie auf eben die Art, wie sie
kennt, sich selbst, durch unmittelbar empfundene
Eigenschaften, ungeachtet das Wesen beyder unbe
kant ist.
Diese beyden Vorstellungskräfte, die sinnli
che Empfindung und das
V. Ob es gleich noch einige andere Arten
kungen des
Willens.
von feinern Empfindungen giebt, die den Men
schen natürlich zu seyn scheinen: so haben doch ei
nige davon die Wirkungen des Willens, die Nei
gungen und
ist dahero nöthig, den Willen und seine natürlichen
Bestimmungen zuförderst ein wenig zu betrachten,
ehe wir uns zu diesen feinern Erfindungen wenden.
Es ist klar, daß, sobald als ein Begrif, ein
Urtheil oder ein Schlus, uns einen Gegenstand
oder eine Begebenheit als unmittelbar gut oder an
genehm, oder als das Mittel eines künftigen Ver
gnügens oder der Sicherheit vor dem Uebel, ent
weder in Absicht auf uns selbst, oder auf eine Person,
die uns lieb ist, vorstellt; daß als denn unmittelbar ei
ne neue
Wirkungen des Verstandes unterschieden ist, näm
lich ein Verlangen nach diesem Gegenstand oder
dieser Begebenheit. Sobald wir aber wahrneh
men oder dafür halten, daß ein Gegenstand oder
eine Begebenheit die Gelegenheit zu
Elend, oder zu dem Verlust eines Gutes, sey; so
bald entsteht die entgegengesetzte Bewegung, welche
Abscheu genennt wird. In allen diesen Fäl
len entstehen die ersten Bewegungen des Willens
von Natur, ohne daß eine Wahl oder ein Ge
heis vorhergeht, und sie sind die allgemeinen Erstes
Buch.
Quellen der Handlungen eines jeden vernünftigen
Wesens.
Zu dem Willen werden
dre
sern Vorstellungen der Gegenstände oder Bege
benheiten, herrühren, in sofern sie, unserm Ver
langen gemäs, erhalten, oder nicht erhalten wer
ten; oder in sofern sie, unserm Abscheu ge
mäs, entfernt und verhütet werden, oder nicht.
Sie werden Freude und Traurigkeit genennet.
Aber da dieselben die Seele nicht unmittelbar in
Bewegung setzen: so scheinen sie eher neue
Empfindungen der
Willens zu seyn. Dem ungeachtet werden diese
Worte oft ohne Unterschied gebraucht, wie es bey
vielen andern Benennungen der Handlungen und
durch Vergnügen oder Freude das Verlangen
nach einer Begebenheit, die, wenn sie sich zuträgt,
uns erfreuen wird, auszudrücken pflegt: also wird
Traurigkeit an statt
braucht. Wir haben dahero die alte
*
Eintheilung
der Bewegungen des Willens, in Verlangen, Ab
*
Man sehe die
nischen Fragen
im dritten und vierten Bu
che nach.
Von den Stoikern, den ge
schwornen Feinden der Lei
denschaften, wurde selbst
der
und
im vollkommensten Grade
beygelegt. Aber alle diese
waren von einer höhern
Leidenschaften. Von dieser
Eintheilung wird hernach
weiter gehandelt.
Die Wirkungen des Willens können wie
tzige und ge
meinnützige
Wirkungen
des Willens
derum in zwo Classen getheilet werden. Einige
sind auf die Erlangung des Guten und Abwendung
des Gegentheils, in Absicht auf unsern eigenen
Vortheil; einige aber sind auf die Erlangung
des Guten in Absicht auf andere; und auf
die Abwendung der Uebel, die ihnen drohen, ge
richtet. Die erstern wollen wir eigennützig oder
auf uns selbst gerichtet, die andern aber gemein
nützig oder auf andere gerichtet, nennen. Man
VI. Es giebt zwo ruhige natürliche Bestim
ruhigen Be
stimmungen
des Willens.
Selbstliebe
mungen des Willens, welche bey dieser Gele
genheit besonders betrachtet werden müssen.
Erstlich ein unveränderlicher und immerwährender
Trieb nach unserer eigenen höchsten
heit
wirkt in dem ganzen Geschlechte der
sie über ihre eigene Beschaffenheit und über ihre
Kräfte, zu handeln und zu empfinden, nicht nachErstes
Buch.
denken, noch darauf merken: so haben wenige die
verschiedenen angenehmen
fähig sind, oder die verschiedenen Kräfte zu han
deln, betrachtet und verglichen. Wer aber dieses
thut, wird ein ruhiges Verlangen nach der Voll
kommenheit aller unsrer thätigen Kräfte, und nach
den höchsten angenehmen Empfindungen, welche,
wie wir bey der Vergleichung finden, den wichtig
sten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben, in uns
wahrnehmen. Diejenigen, welche diese Betrach
tungen und Vergleichungen nicht angestellt haben,
tragen ein natürliches Verlangen nach solchen Ar
ten von angenehmen Empfindungen, wovon sie
durch ihre
Begriffe erlangt haben, in sofern dieselben neben
einander bestehen, oder zu bestehen scheinen; und
begehren die Vollkommenheit solcher Kräfte, die ihre
Erwartung erfüllen können. Wenn diese Empfin
dungen einander zuwider zu seyn scheinen: so wird
die Seele, wenn sie ruhig ist, vor allen andern die
jenigen verlangen, welche den wichtigsten Einflus
auf ihre Glückseligkeit zu haben scheinen. So weit
sind alle einig.
Die andre erwähnte Bestimmung des Wil
lens ist auf die allgemeine Glückseligkeit anderer ge
richtet. Wenn die Seele ruhig ist, und die Be
schaffenheit und Kräfte anderer Wesen, ihre na
türlichen Handlungen und Fähigkeiten, glückselig
oder elend zu seyn, betrachtet; wenn die eigennü
tzigen Triebe,
schlummert sind: so äussert sich ein ruhiger Trieb
der Seele, die grösste
Abschnitt.
menheit der ganzen ihr bekanten Welt zu verlan
gen. Unser innerliches Bewustseyn ist ein unver
werflicher Zeuge, daß ein solcher Trieb, eine solche
Bestimmung der
hung auf eine Art unsrer eignen Glückseligkeit
wirkt. Aber hier findet sich wiederum, daß, weil
wenige das ganze System der den Menschen be
kanten Wesen untersucht haben, diese Bestimmung
des Willens sich nicht immer, und nicht in ihrem
ganzen Umfange, äussert; sondern wir finden nur
ein natürliches Verlangen nach der Glückseligkeit
einer solchen einzelnen Person, solcher Gesellschaften,
und solcher Systemen, wider welche bey einer ruhi
gen Betrachtung, weder ein
Vermuthung streitet, daß ihre Glückseligkeit der
unsrigen auf einige Art entgegen sey.
Da der Begrif unsrer eignen höchsten Glück
seligkeit, oder die grösste Summe angenehmer Em
pfindungen, nicht bey allen Menschen insgesamt an
zutreffen ist: so ist dieselbe auch nicht ihr aus
drücklicher Wunsch oder Endzweck. Wir können
dahero nicht sagen, daß jedes besonderes ruhiges
Verlangen nach eigenem Vortheil die Erreichung
dieser Summe zur eigentlichen Absicht habe, und
daß nach dem Gegenstand dieses Verlangens, un
ter dem Begrif eines nothwendigen Theils dieser
Summe, getrachtet werde. Die Menschen ver
langen von Natur, selbst bey ruhigen Bewegun
gen der Seele, nur nach solchen Gegenständen,
welche Nutzen bringen, oder die Vermittler ange
nehmer Empfindungen sind, als nach Reichthum,
Gewalt, Erstes
Buch.
haben, dieselben zu einem Theil der grössten Sum
me zu machen. Auf gleiche Art haben wir ruhige
Neigungen des Wohlwollens gegen einzelne Perso
nen, oder kleinere
wobey keine Betrachtung des ganzen grossen
Systems vorhergegangen ist, und wobey diese
Personen und Gesellschaften nicht als Theile dieses
grossen Systems angesehen, noch ihre Glückselig
keit, als ein Theil der grössten Summe der allge
meinen Glückseligkeit, begehrt worden. Derglei
chen sind unsre ruhigen Neigungen des Wohlwol
lens gegen
Personen von ausserordentlichen Verdiensten, ohne
daß wir uns in unsern Gedanken auf das ganze
grosse System beziehen. Wir können, wenn wir
wollen, alle angenehmen
wir, blos um unsertwillen, begehren, zu der gröss
ten Summe unsrer eigenen Glückseligkeit schla
gen; und wir können auf gleiche Art alle unsre ru
higen besondern Neigungen des Wohlwollens gegen
andre, zu der allgemeinen Wohlgewogenheit, im
weitesten Umfange, bringen. Es ist von wichti
gen Folgen, solche grosse Absichten zu haben, und
diese Beziehungen zu machen. Doch es ist klar,
daß die verschiedenen besondern Neigungen, sie mö
gen auf uns selbst oder auf andere gerichtet seyn,
ohne unruhige
keine solche Beziehungen vorhergegangen sind.
VII. Doch ausser allen diesen ruhigen Be
wegungen des Willens, die von einem kleinern
oder grössern Umfang sind, giebt es besondere Lei
Abschnitt.
denschaften und Begierden, welche bey gewissen
Gelegenheiten, natürlicher Weise entstehen; deren
jede ihre eigene Befriedigung, ohne alle weitere
Beziehung, zum letzten Zweck hat; und welche von
heftigen, verworrenen und unangenehmen Em
pfindungen begleitet werden, die so lange fort
dauern, bis der Gegenstand oder die Befriedigung
erlangt worden. Einige von diesen unruhigen
einige aber auf andere gerichtet, und einige sind
beydes zugleich. Von der ersten Art sind Hun
ger, Durst, Wollust, Triebe zum sinnlichen Ver
gnügen, Reichthum, Macht oder Ruhm. Von
der zweyten Art sind
gen, Dankbarkeit, eheliche und verwandschaftliche
Neigungen, so oft als sie zu heftigen und unruhi
gen Bewegungen der Seele werden. Zorn,
Unwillen, können zu beyden Arten gehören, nach
dem sie aus der Betrachtung einer Hindernis entweder
unsers eigenen Vortheils, oder des Vortheils unsrer
Freunde, oder andrer geliebter und hochgeachteter
Personen entstehen. Alle diese entstehen bey na
türlichen Gelegenheiten, wobey die Seele weder
auf die grösste
derer, bedacht ist.
Der Unterschied zwischen den ruhigen und
unruhigen Bewegungen des Willens, sie mögen
auf uns selbst oder auf andere gehen, mus einem
jeden in die Augen fallen, welcher in Erwägung
zieht, wie oft dieselben einander entgegen hanErstes
Buch.
deln.
*
So wird uns Zorn oder Wollust auf ei
ne Seite ziehen; und ein ruhiger Blick auf unsern
höchsten Vortheil, auf die grösste Summe des
eigenen Wohls, oder auf einigen besondern Vor
theil, wird uns auf die entgegengesetzte Seite len
ken. Zuweilen überwindet die
higen Trieb; und zuweilen ist der letzte Sieger.
Das ruhige Verlangen nach Reichthum wird man
chen, obgleich nicht ohne Weigerung, zu starken
Ausgaben nöthigen, wenn er dadurch zu einem
vortheilhaften Handel, oder zu einer einträg
lichen Beförderung gelangen kan; unterdessen wird
der Geitz über diese Ausgaben unwillig werden.
Das stille Verlangen nach unsrer
Freunde
uns veranlassen, sie von uns hinwegzusenden,
und Gefahren auszusetzen; dahingegen die väter
liche und mütterliche oder freundschaftliche Leiden
schaft sich diesem Vorhaben widersetzet. Dankbar
keit, Mitleiden und freundschaftliche Liebe, werden
uns auf dieser Seite anliegen; auf der andern
werden wir von der Liebe des Vaterlandes oder ei
ner Zuneigung von grösserm Umfange, angetrieben
werden. Wir strafen unsre
ken sie ein, wir halten sie zu mühsamen Lernen und
Arbeiten an, aus einer ruhigen Zuneigung; un
terdessen daß eine
ihnen beschwerlich ist, misbilliget. Den
den*
Dieses hat Re
publik
der Sittenlehre sehr wohl
Gleichwie zu dem
niedern Kräfte der sinnlichen Empfindung, die wir
mit den unvernünftigen Thieren gemein haben, son
dern auch die Kräfte der
seyns gehören; also
nur die körperlichen
gen und weniger eingeschränkten Neigungen einer
edlern Art.
VIII. Wir schreiben auch dem Willen die
Bewegung.
Kraft zu, uns selbst zu bewegen; weil wir, wenn
wir die
pers
Es sind nicht alle Theile desselben so eingerichtet,
daß wir sie, nach unserm Gefallen, bewegen kön
ten; sondern blos diejenigen, deren Einrichtung
auf diese Art für uns nothwendig, und im Leben
nützlich ist. Die Bewegungen der innern Theile,
von welchen die Dauer des Lebens unmittelbar ab
hängt, geschehen ohne alle Wirkungen unsers
Willens, und wir können sie durch kein unmittel
bares Wollen geschwinder oder langsamer machen.
Die Aufsicht über die Bewegungen, welche un
aufhörlich nothwendig sind, würde die
ständig beunruhigen, und sie zu allen andern Be
schäftigungen
nicht jede Bewegung noch jeder Eindruck auf die
Theile des Körpers, Empfindungen in der Seele. Erstes
Buch
Die innern
unmittelbar abhängt, empfindet sie nicht, so lange
der Körper in guter
Empfindung würde eine beschwerliche und unnütze
Zerstreuung der Seele bey allen ihren guten Unter
nehmungen seyn; wie bey einer Krankheit zu ge
schehen pflegt, wenn wir die Bewegung des Her
zens, oder den Pulsschlag fühlen. Die sinnlichen
gen, Begebenheiten, oder Gegenstände an, von
welchen wir unterrichtet zu seyn nöthig haben.
Dahero ist die Bewegung des Haupts, der Augen,
des Munds, der Zunge, der Füsse, und des un
schäzbarsten und mit der grössten Kunst gebildeten
Werkzeugs, der Hand, unserm Willen unterwor
fen. Alles dieses sind deutliche Beweise der weisen
und gütigen Einrichtung unsers Schöpfers. Un
sre Glieder werden unmittelbar durch die Muskeln
und durch eine Kraft bewegt, welche das Haupt,
vermittelst der Nerven, durch unsern
breitet. Aber, bey unsern willkührlichen Bewe
gungen, wissen wir von dieser Zwischenbewegung
eben so wenig, als wir sie wollen. Wir haben die
lezte Bewegung zur Absicht; und die andern ge
schehen ohne unser Wissen und Willen. Auf glei
che Art wird die sinnliche Empfindung, durch eine
Bewegung in einer Nerve, die bis zu dem Gehirn
fortgehet, hervorgebracht. Wir empfinden keine
Bewegung im Gehirn; sondern wir haben eine
Empfindung, die sich blos auf den äusserlichen Theil
des Körpers, der den Eindruck empfangen hat, be
zieht, und die blos diesen Theil einzunehmen scheint;
Abschnitt.
wovon wir keine Erklärung angeben können. Die
se Betrachtungen haben einige scharfsinnige und
fromme Männer auf die Muthmassung gebracht,
daß ein höhers Wesen, oder die
gewissen allgemeinen Gesetzen, die einzige
lische
einzige Ursache aller unserer sinnlichen Empfindun
gen seyn müsse.
I.
Nach einer allgemeinen Betrachtung der
Kräfte des Verstandes und Willens
gehen wir nunmehro zur Untersuchung der fei
nern Kräfte der Empfindung, zu einigen andern
natürlichen Bestimmungen des Willens, und zu
den allgemeinen Gesetzen der menschlichen Na
tur, fort.
Ausser den
gen der Ein
bildungs
kraft.
haben die meisten Menschen, ob gleich in verschie
denen Graden, gewisse Empfindungskräfte von ei
ner feinern Art, als daß wir sie bey den meisten
unedlern Thieren, welche die verschiedenen Farben
und Figuren sehen, und die verschiedenen Töne hö
ren, voraussetzen könten. Wir können dieselben
das Gefühl der
mit Einbildungskraft
nennen.
Was für einen Nahmen aber wir ihnen auch geben
wollen: so ist es offenbar, daß die verschiedenen
nachfolgenden Eigenschaften der Gegenstände, von Erstes
Buch.
der Natur zubereitete
oder daß die Menschen natürliche Kräfte und Be
stimmungen haben, von ihnen Vergnügen zu em
pfinden.
1. Gewisse Gestalten sind dem Auge, ohne
alle Rücksicht auf das Vergnügen über lebhafte
Farben, angenehmer, als andere; besonders diejeni
gen zusammengesezten, worinnen Einförmigkeit
und ein richtiges Verhältnis der Theile unterein
ander, wahrzunehmen ist. Wir können, durch das
Geheis unsers Willens, eben so wenig einen Wohl
gefallen an allen Gestalten, ohne Unterschied, her
vorbringen, als wir dem
de angenehm machen können.
2. Gleichwie die Neigung
Menschen, von ihrer Kindheit an, natürlich ist: also
empfinden sie über jede Nachahmung
*
Vergnü
gen. Wenn das Original schön ist: so werden
wir ein doppeltes Vergnügen haben; aber eine voll
kommene Nachahmung der
lichkeit, sie geschehe nun durch Farben, Figuren,
selbst Vergnügen.
3. Gewisse Zusammensetzungen von Tönen
sind allen Menschen überhaupt, unmittelbar ange
nehm, wovon uns die Musikverständigen leicht un
terrichten können. Die geringern Vergnügungen
entstehen von der Zusammenstimmung; aber ein
*
vierten Abschnitt seiner Poetik den Menschen
höhers Vergnügen entstehet aus solchen ZusammenZweyter
Abschnitt.
setzungen, welche durch abgemessene Töne, die Ver
änderungen der menschlichen Stimme nachahmen,
wodurch die verschiedenen Neigungen der Seele,
bey wichtigen Gelegenheiten, ausgedrückt werden.
*
und **
fanden dahero in der
einen
sie auf die
habe.
4. Da wir mit
nigen Mittel, welche zu Erhaltung eines Endzwecks
geschickt sind, und die verschiedenen Beziehungen
und Verknüpfungen der Dinge zu unterscheiden:
so liegt ein unmittelbares Vergnügen in der Er
käntnis,
***
welches von dem Urtheil selbst unter
schieden ist, ob es gleich mit ihm in einer natürli
chen Verbindung steht. Wir empfinden auch ein
Vergnügen, wenn wir Kunst und Absicht in einem
Werke entdecken, das zu Erreichung wichtiger End
zwecke eingerichtet ist; oder in einem Geräthe, das
alles hat, was zu seiner Bestimmung gehört; wir
mögen Hofnung haben, davon Gebrauch zu machen
oder nicht. Wir empfinden ein Vergnügen, wenn
wir die Kräfte unserer Vernunft und unserer Er
findung beschäftigen und anwenden können; wir
freuen uns, wenn wir andere dieselben ebenfalls
anwenden sehen, und die kunstreichen Wirkungen
*
Im dritten Buche von
der **
des ***
Man sehe die Unter
im dritten Ab
II. Wenn wir zugeben, daß alle diese Beschaf
fenheiten natürlich sind: so können wir von der
Verschiedenheit der Meinung und des
die wir wahrnehmen, Rechenschaft geben. Denn
die mannichfaltigen Eigenschaften, an welchen wir
einen in unsrer
ben, können von einem auf diese Art, von andern
auf eine andere Art, betrachtet werden. Der Dürf
tige, der Geschäftige, oder der Träge können die
Schönheit in Kleidungen, in Gebäuden und in Ge
räthe, zu der sie ausserdem gelangen könten, verab
säumen, ohne unempfindlich dagegen zu seyn. Ei
nigen kan es blos um eine ungekünstelte Einför
migkeit in den Theilen, zu thun seyn; andere kön
nen die
tur
derum einige eine Reihe solcher Gegenstände, wie
sie aus der Hand der Natur kommen, einige aber
Gegenstände von erhöheter Schönheit, wählen: es
kan auch die Art der Nachahmung mehr oder weni
ger vollkommen seyn. Einige können bey ihren
Arbeiten vornehmlich auf das Vergnügen, wel
ches aus der Wahrnehmung der Absicht und des
Nutzens entstehet, sehen, und das Vergnügen über
Abschnitt.
die Schönheit und Nachahmung, nur in so weit es
mit jenem besteht, zur Absicht haben. In den
seltsamsten Kleidungen ist eine Uebereinstimmung
der Theile, eine Einrichtung nach der Gestalt des
menschlichen Körpers, und oft auch eine Nachah
mung. Unsere Kleider sind nicht so leicht und so
geschickt, die Gestalt des
chen. Diejenigen, welche auf diesen Endzweck se
hen, werden die ehemaligen Kleider; diejenigen
aber, welche daran nicht denken, oder darauf nicht
sehen, werden die neuen vorziehn.
In der Baukunst ist es eben so beschaffen.
Diejenigen, welche auf die Nachahmung der Ver
hältnisse des menschlichen Körpers, in gewissen Thei
len der Baukunst, aufmerksam sind, werden an den
Bauarten, welche damit übereinstimmen, Vergnü
gen finden. Andere, die den Gebrauch kennen,
welchen die äussere Einrichtung gewisser Theile so
gleich entdeckt, kan diese wahrgenommene Absicht
gefallen. Einige können, ohne hierauf zu sehen,
an der Uebereinstimmung der Theile Wohlgefallen
haben; einige aber können, durch Verbindung ge
wisser Begriffe, etwas billigen oder misbilligen;
wovon wir hernachmals reden wollen.
Wenn man alles Gefühl der
auf einen wahren oder scheinbaren Nutzen gründen
wollte: so würde man niemals im Stande seyn,
zu erklären, warum man auch an denjenigen nütz
lichen Dingen Gefallen findet, wovon man, ausser
dem Vergnügen, sie zu betrachten, keinen VorErstes
Buch.
theil zu gewarten hat; warum uns die Gestalt der
Blumen, der Vögel, des Wilds, vergnügt, auch
wenn wir keinen wahren oder scheinbaren Nutzen
von ihnen zu hoffen haben; warum einer, der die
Baukunst gar nicht versteht, an der Betrachtung
eines schönen Gebäudes, Gefallen findet; woher es
kömt, daß uns die Nachahmungen solcher Gegen
stände Vergnügen bringen, welche, wenn sie an
eben dem Orte sich wirklich befänden, wo ihre Ab
bilder sind, keinen Nutzen schaffen würden. Man
könte eben sowohl behaupten, daß wir, ehe uns et
was Wohlschmeckendes vergnügte, zuvor die klein
sten Theilchen desselben kennen und wissen müsten,
daß ihre Natur unsern Nerven nicht unange
nehm sey.
Das Vergnügen dieser feinern
sowohl behaupten müssen,
gen*
ist von keiner geringen Wichtigkeit in dem
Leben der Menschen. So sehr auch dasselbe von
denjenigen, welche nach Reichthum und Ansehn
streben, oft hindangesetzt zu werden scheint: so ha
ben sie es doch für sich, auf ihre künftige Lebenszeit,
oder für ihre Nachkommenschaft eben so wohl zur
Absicht, als andere, welche einen bessern Geschmack
haben, und dasselbe zum Endzweck ihrer meisten
Bemühungen machen. Bey dem grössten Theil
*
Wenn man dieselben
alle zu Empfindungen der
äusserlichen
und läugnen wollte, daß es
eine von denselben unter
schiedene Empfindungskraft
gebe: so würde man eben
daß das Vergnügen der
Geometrie oder
sinnlich wären, weil wir
durch die Sinne den Be
grif von Figur empfan
gen.
Abschnitt.
der Menschen, welche vor unruhigen Begierden ei
nigermassen gesichert sind, äussert sich ein Gefallen
an diesem Vergnügen. So bald die
dem Frieden im Schoos sind: so bald fangen sie
an, sich in den
gnügen verschaffen; wie wir aus den
aller Zeiten und Völker lernen.
Zu diesen Vergnügungen der
gen an Neu
heit und
Grösse.
kraft
dungen rechnen, welche aus der Neuheit und Grös
se der Dinge entstehen. Die erstere wirkt allemal
eine angenehme
welche sich vielleicht auf die Wissensbegierde grün
det, die so tief in unsrer Seele liegt. Wir wer
den hiervon im Verfolg reden. Die Grösse ist
eine angenehme Beschaffenheit in einem Gegen
stand der Betrachtung, die von der
den Verhältnissen desselben unterschieden ist. Ja,
auch alsdenn, wenn diese letztern nicht vorhanden
sind, vergnügt sich die Seele an allem, was weit,
von grossem Umfange, hoch oder tief ist, ohne
Rücksicht auf einen Vortheil, der aus diesen Be
schaffenheiten entstehen könte. Die Endursachen
dieser natürlichen Bestimmungen, oder Empfindun
gen des Vergnügens kan man bey vielen
*
Schrift
stellern finden.
III. Eine andere wichtige Bestimmung oder
thien.
Mitleiden.sympathetische
*
Man sehe den Zu
im 412 Stück, und
die Untersuchung über die
Wir haben auch eine Neigung, an der Freu
de anderer Theil zu nehmen, wenn keine vorherge
gangene Nacheiferung, keine eingebildete Hinde
rung unsers Vortheils, und kein
ben entgegen sind. Wir haben diese Sympathie
selbst mit den unvernünftigen Thieren gemein, und
eben daher komt es, daß uns die Beschreibungen,
welche die Dichter von ihrer Freude machen, so
*
Man sehe den zwey
ten Abschnitt, der Untersuchung über die Tu
gend.
IV. Ehe wir noch einiger anderer feinern Em
licher Trieb
zur Bewe
gung in den
meisten be
pfindungen erwähnen, deren Gegenstände die menschErstes
Buch.
schöpfen.
Bestimmung der
beständig zu üben, bemerken. Wir entdecken an
den Menschen, gleich von der Kindheit an, einen
Trieb zur Beschäftigung und zur
alles. Wenn sie älter werden, so äussern sich an
dere Kräfte. Sie wollen alle mögliche Versuche
machen, sie beobachten alle Veränderungen, und
untersuchen ihre Ursachen; und dieses aus einem
Triebe zur Beschäftigung, und aus einer eingepflanz
ten Wissensbegierde, wenn sie auch von keiner
Hofnung einigen Vortheils gereizt werden. Wir
nehmen wahr, daß die meisten andern Thiere, so
bald sie das Licht erblicken, aus gleichem Triebe, auf
die von dem Urheber der
ihre verschiedenen Kräfte üben; und sie sind bey
dieser Uebung, so mühsam und ermüdend sie auch
sey, weit glücklicher, als sie in dem Stand einer
sinnlichen Trägheit seyn würden. Die Schlangen
versuchen ihre kriechenden Bewegungen; das Wild
richtet sich auf, und geht oder läuft; die Vögel er
heben sich auf ihren Flügeln und schwingen sich in
die Höhe; das Wassergeflügel begiebt sich aufs
Wasser, so bald es dasselbe gewahr wird. Das
Füllen übt sich im Rennen; der Stier
*
braucht
seine Waffen, die Hörner; und der Hund folgt
seiner Bestimmung zur Jagd.
Die
im Men
schen.
wegung, und scheuen weder Ermattung noch Ue
berdrus. Sie haben so lange eine Abneigung ge
gen den Schlaf, bis er sie wider ihren Willen über
wältiget. Sie bemerken, was vorgeht, erinnern
sich daran, und denken darüber nach. Sie lernen
die Benennungen der Dinge, untersuchen die Na
tur, den Bau, den Gebrauch und die Ursachen der
selben, und ihre
nachgeben. Gegen diejenigen, die liebreich gegen
sie sind, äussern sie bald liebreiche Neigungen. Sie
sind dankbar, und begierig, in allem, was man lobt,
vortreflich zu seyn. Bey ihren Spielen sind sie
entzückt, wenn sie glücklich sind, und die Oberhand
behalten; und sie werden ausserordentlich nieder
geschlagen, so bald andere sie übertreffen. Sie
erzörnen sich geschwind über eine eingebildete Be
schimpfung oder Beleidigung. Sie fürchten sich
vor einen empfundenen
die Ursache desselben unwillig; aber sie geben sich
zufrieden, so bald sie finden, daß andre ihn nicht
mit Vorsatz verursacht haben, oder, daß sie ihre
Reue bezeigen. Sie nehmen nichts so übel auf,
als falsche Beschuldigungen oder Vorwürfe. Sie
sind zur Aufrichtigkeit, zur
herzigkeit geneigt, so lange sie nicht einige daraus
entstandene üble Folgen erfahren haben. Sie sind
voll Ungedult, andern etwas neues oder seltsames,
oder etwas, das Verwunderung oder Gelächter er
regen kan, zu erzählen. Sie sind bereit, andern
mit allem zu dienen, was sie selbst nicht brauchen.
Sie sind begierig, sich andern gefällig zu machen, Erstes
Buch.
und kennen keinen Argwohn, so lange sie keine Be
leidigungen empfangen haben.
Dieser Trieb zur Beschäftigung dauret so
lange wir leben, und den Gebrauch unserer Kräfte
behalten. Die verworfensten und trägsten Men
schen sind nicht ganz müssig; sie haben eine Art von
Geschäften, ihre Cabalen und ihren Umgang, wo
sie ihre Kräfte anwenden, oder sie haben einige an
dre geringe
gnügungen. Wir sehen überhaupt, daß die Men
schen, blos durch diese oder jene Art zu handeln,
glücklich werden können, und die Uebung der Kräf
te des
zu unsern Tod, eine
gnügens. Die Kinder sind über die Entdeckung
einer neuen oder kunstreichen Sache entzückt, und
voller Ungedult, sie andern zu zeigen. Oeffentli
che
ihre ganze Aufmerksamkeit. Vornehmlich aber
sind die wichtigen
man mag davon erzählen hören, oder lesen, oder sie
vorstellen sehen, das Vergnügen eines jeden mensch
lichen
unser geselliges Gefühl der Freude erhöhet; und
durch unsern Trieb zum
Antheil, den wir an Personen, die wir bewundern,
zu nehmen pflegen, wird der Eifer der Untersuchung
vermehret.
Wenn einigen Menschen ein fähiger
verstattet, sich den schwerern Wissenschaften zu na
Abschnitt.
hen: was für eine heftige
alsdenn nicht an ihnen zur Käntnis der Geometrie,
Arithmetik, Astronomie und der Geschichte der Na
tur? Es ist ihnen eine Freude, alle Mühe anzu
wenden, und ganze Nächte zu wachen. Haben wir
nöthig, die
wähnen? Es ist offenbar, daß in der Wissen
schaft ein hohes natürliches Vergnügen liegt, das
mit keinen Reitzungen eines Vortheils verknüpft
ist. Ein gleiches Vergnügen liegt in der Känt
nis desjenigen, was die Geschäfte des Lebens be
trift, und derjenigen Wirkungen, welche die Hand
lungen auf die
oder ganzer Gesellschaften haben. Wie sehr sind
alle diese
gegen, nach welcher der einzige Trieb, oder die
einzige Bestimmung der
nach den Vergnügungen, welche der
oder nach der Befreyung vom körperlichen
liegen soll.
V. Durch eine höhere Kraft der Empfin
lisches Ge
fühl.
dung, als alle bisher erwähnte sind, liegt für die
Menschen in den
Glückseligkeit zubereitet, nämlich durch diejenige,
vermittelst welcher sie
Handlungen und
ist, ausser den Jdioten, eine Art von Menschen ge
wesen, welche alle Handlungen für gleichgültig an
gesehen hätten. Sie finden alle den moralischen
Unterschied der Handlungen, ohne Absicht auf den
Vortheil oder Nachtheil, den sie davon zu gewarErstes
Buch.
ten haben. Da dieses moralische Gefühl von gros
ser Wichtigkeit ist: so soll in einem folgenden Ab
schnitt weitläuftiger davon gehandelt werden. Ge
genwärtig mag es genug seyn, das anzumerken,
was wir alle fühlen, nämlich, daß gewisse edle
Neigungen und die daraus fliessenden Handlungen,
wenn wir uns ihrer selbst bewust sind, die ange
nehmsten
innerlichen Zufriedenheit in uns hervorbringen;
und daß, wenn wir diese Neigungen und Hand
lungen an andern bemerken, wir nicht nur ein in
niges Gefühl des Beyfalls und eine Empfindung
ihrer Vortreflichkeit in uns wahrnehmen, sondern
auch eine daher entstehende Gewogenheit und einen
Eifer für ihre Glückseligkeit empfinden. Wenn
wir uns der entgegengesetzten Neigungen und
Handlungen selbst bewust sind: so fühlen wir die
Verweise unsers Gewissens, und ein Misfallen an
uns selbst; wenn wir sie an andern bemerken: so
misbilligen wir ihre Gemüthsbeschaffenheit, und
halten sie für niederträchtig und hassenswürdig.
Die Neigungen, welche diesen moralischen
Beyfall erregen, sind entweder alle unmittelbar auf
das gemeine Beste gerichtet, oder sie stehen, mit die
sen gemeinnützigen Gesinnungen, in einer natürli
chen Verbindung. Diejenigen aber, welche das
moralische Gefühl misbilligt und verwirft, sind
entweder so bösartig, daß sie darauf gerichtet sind,
andre in Unglück zu stürzen; oder sie haben den ei
genen Vortheil so sehr zur Absicht, daß sie ungü
tige Gesinnungen verrathen, oder doch die gemein
Abschnitt.
nützigen Neigungen den Grad der Höhe nicht er
reichen lassen, der zur Beförderung des gemeinen
Besten erfordert, und von Menschen ordentlicher
Weise erwartet wird.
Dieses moralische Urtheil ist nicht nur wohl
Menschen
gemein.
erzogenen und nachdenkenden Personen eigen. In
den rauhesten Menschen entdeckt man Spuren da
von; und junge
den verschiedenen Einflus der Handlungen auf sich
selbst oder auf andre, denken, und ihren eigenen
künftigen Vortheil wenig zu Herzen nehmen, fin
den gemeiniglich an allem, was moralisch ist, den
meisten Gefallen. Daher komt es, daß die
der
Neigungen und Gemüthsarten wissen, so sehr
begierig sind, solche Geschichten erzählen zu hören,
welche den moralischen Character der Menschen
und ihre Glücksumstände vor Augen stellen. Da
her entsteht die Freude über den Wohlstand des
Gütigen, des Redlichen und des Gerechten; und
der Unwillen über das Glück des Grausamen und
des Verräthers. Von dieser Kraft werden wir im
Verfolg ausführlich handeln.
VI. Gleichwie wir, von der vorhergehenden
fühl der Eh
re.
Bestimmung, zu dem Wohlgefallen und Misfal
len an uns selbst und an andern, wie es der wahr
genommenen Beschaffenheit des Gemüths gemäs ist,
angewiesen werden: also empfinden wir, vermöge
einer andern natürlichen Bestimmung, die wir das
Gefühl der
grosses Vergnügen, wenn wir durch unsre guten Erstes
Buch.
Handlungen den Beyfall und die Hochachtung an
drer erhalten, und wenn sie uns ihre Dankbarkeit
zu erkennen geben; hingegen gehn uns Tadel,
Verachtung und Vorwürfe durchs Herz. Alles
dieses äussert sich im Gesichte. Wir erröthen,
wenn wir uns für Schande, Tadel, oder Ver
achtung fürchten.
Es ist wahr, wir bemerken, von unsrer Kind
heit an, daß die Menschen denjenigen, welche sie
ehren und hochachten, Gutes zu erzeigen geneigt
sind. Aber wir berufen uns auf das Herz der
Menschen, ob sie nicht, wenn sie geehrt und hoch
geachtet werden, ein unmittelbares Vergnügen
empfinden, ohne daß sie dabey auf einen künftigen
Vortheil denken; und ob sich dieses Vergnügen
nicht auch alsdenn eben so sehr äussert, wenn sie
gleich voraus wissen, daß sie keinen Vortheil er
warten dürfen. Bemühen wir uns nicht insge
samt um einen guten Ruf nach unserm
woher komt es, daß nur die Furcht der Schande
und nicht auch die Furcht anderer Uebel, die Er
röthung zur Gefährtin hat, wenn dieses nicht ein
unmittelbarer Trieb ist?
Die Ursache, welche *
von die
sem Vergnügen angiebt, ist zwar wohl ausgedacht,
aber sie ist nicht die richtige. Er meint, wir hät
ten an der Ehre um deswillen Gefallen,
weil sie ein Zeugnis von unsrer Tugend sey,
*
im fünften Abschnitt des ersten Buchs der
Die gütige Absicht, welche Gott bey Ein
pflanzung dieses Triebes gehabt hat, ist offenbar.
Er reizt zu allem, was vortreflich und liebenswür
dig ist; er giebt der
lohnung; er übersteigt oft die Hindernisse, welche
ihr von niedrigen Vortheilen der Welt in den Weg
geleget werden; er ermuntert selbst Leute von ge
ringen Tugenden zu solchen nützlichen Dienstlei
stungen, die sie ausserdem von sich abgelehnt haben
würden. Solchergestalt werden diejenigen, welche
nur auf ihren eigenen Vortheil sehen, wider ihre
Neigung angetrieben, den allgemeinen Vortheil
zu befördern; und diejenigen, welche ihm zuwider
handeln, werden bestraft.
Ein andrer Beweis, daß dieses Gefühl der
Ehre ein ursprünglicher Trieb sey, ist dieser: Wir
bestimmen den Werth des Lobes, das uns andre
zugestehen, nicht nach ihrer Fähigkeit, uns zu die
nen, sondern nach ihrer Geschicklichkeit, über der
gleichen Sachen zu urtheilen. Wir fühlen den Erstes
Buch.
Unterschied zwischen dem eigennützigen Verlangen,
einem angesehenen Manne zu gefallen, von dem
wir unsre Befördrung erwarten können; und zwi
schen der innern Freude über den Beyfall eines
Kenners, der uns ausserdem keine Dienste leisten
kan. Man
der allgemeinsten
VII. Ob gleich die Handlungen, durch das
Wir müssen sie entweder in uns selbst oder in an
dern bewundern, und wir finden, an gewissen Ue
bungen derselben, Vergnügen, ohne sie als morali
sche
Worte oft zu sehr, und wir suchen nicht, die ver
schiedenen
Unterscheidung auszudrücken. Wir wollen für
unsere Urtheile über solche Fähigkeiten, Neigungen
und die daraus fliessenden Handlungen, die wir für
tugendhaft halten, den Nahmen des moralischen
Beyfalls
beybehalten. Wir finden, daß dieser Bey
Aber dieses äussert sich noch mehr bey den
schiedenen
Graden.
Kräften der Seele, und in der Uebung derselben.
Die Bewunderung eines durchdringenden Ver
stands, einer Fähigkeit zu Geschäften, eines Ver
mögens, mit einem anhaltenden Fleisse zu arbeiten,
eines treuen Gedächtnisses, eines ungesuchten Wi
tzes, ist uns natürlich; aber sie ist von dem mora
lischen Beyfall ganz und gar unterschieden. Es Erstes
Buch.
scheint, als wenn wir, für jede natürliche Kraft,
mit einem richterischen Geschmack versehen wä
ren, der die eine Art ihrer Anwendung empfiehlt,
und die entgegengesetzte misbilligt. Daher gefal
len uns alle schöne, und alle mechanische Künste, als
die
trachten nicht nur die Werke selbst mit Vergnügen,
sondern wir empfinden auch eine natürliche Bewun
derung der Personen, in welchen wir einen
schmack
nehmen. Hingegen werden die niedern Kräfte,
welche blos auf die Befriedigung der
richtet sind, gleichgültig angesehen, und sie sind oft
Ursachen der Schaam und Verachtung.
Die Anmerkung des Aristoteles ist also
Einige andere Fähigkeiten der Seele, welche,
griffe.
mit den gemeinnützigen Neigungen, in einer na
türlichen Verwandschaft stehen, und weder den
höchsten Grad des Eigennutzes noch der Sinnlich
keit neben sich leiden, scheinen von dem moralischen
Gefühl selbst unmittelbar gebilliget zu werden.
Von diesem wollen wir an einem andern Orte
handeln. Wir müssen hier nur anmerken, daß
gewisse vergesellschaftete Begriffe; beständige Ver
gleichungen in
andere Ursachen, einigen unbeseelten Dingen Ne
benbegriffe von Würde, Anständigkeit und Heilig
keit mitgetheilt haben. Einige sind gering und
verächtlich: andere hingegen sind in dem mittlern
Stande der Gleichgültigkeit. Unsere Neigung,
ken, hat alle
Gleichnisse und
arbeitungen ungemein. Daher komt es, daß wir
viele Gegenstände mit Nebenbegriffen von solchen
Eigenschaften ausschmücken, deren sie eigentlich
nicht fähig sind. Einige von diesen Begriffen Erstes
Buch.
sind gros und verehrungswürdig; andere niedrig
und verächtlich. Einige suchen die natürliche Ur
sache oder Gelegenheit des
der Seele, deren alle fähig sind, und die allen an
genehm ist, durch ein natürliches Gefühl des
Lächerlichen in Gegenständen oder Begebenhei
ten zu erklären.
IIX. Ehe wir zu den Fähigkeiten des Wil
lens fortgehen, wollen wir noch eine natürliche
Bestimmung, die ausser unsrer Willkühr ist, an
merken, nämlich, solche Vorstellungen, die zugleich
vorgekommen sind, oder auf einmal einen starken
Eindruck auf die Seele gemacht haben, neben
einander zu stellen, oder zusammen zu knüpfen, so,
daß immer einer die andre begleitet, wenn ein Ge
genstand eine oder mehrere davon lebhaft macht.
Gleichwie wir dieses in geringern Fällen wahrneh
men: also erstreckt sich diese
unsre Begriffe vom natürlichen und moralischen
Guten oder
die Meinung der Welt gewisse Handlungen oder
Begebenheiten uns, eine Zeit lang, als gut oder böse
vorgestellt hat: so wird es uns schwer, die Ver
einbarung aufzuheben, ungeachtet vielleicht unsere
hat also eine dunkle
digen oder Unanständigen gewisser Handlungen;
von dem Elend eines Zustands und von dem Glück
eines andern; so wie man bey Kirchhöfen sich Ge
spenster vorstellt. Obgleich viele Widerwärtigkei
ten und
Abschnitt.
müssen
schlechterdings nothwendig sey. Ohne sie würde
für uns das Gedächtnis, die Erinnerung, und selbst
die
mühsam würde es seyn, wenn wir bey jedem Wor
te, das wir hören, oder zu sprechen verlangen, eine
besondere Erinnerung nöthig hätten, um ausfindig
zu machen, was für Worte und Begriffe, durch
die Gewohnheit der Sprache, verbunden sind?
Es würde eine eben so beschwerliche Arbeit seyn,
als wenn wir eine verborgene Schrift, wozu wir
einen Schlüssel gefunden, entziffern wollen. Ton und
Begriffe sind mit einander so genau verknüpft, daß der
eine allemal von dem andern begleitet wird. Wie
geht es zu, daß wir uns erinnern? Wenn wir um
eine vergangene Begebenheit gefragt werden: so
wird der Zeit, oder des Orts, eines Nebenum
stands, oder einer damals gegenwärtigen Person
erwähnt; und diese bringen das ganze Gefolge der
vergesellschafteten Begriffe mit sich. Man spricht
von einer Streitigkeit; eine Person, die davon un
terrichtet ist, findet, daß, ehe sie es noch will, die
vornehmsten Schlüsse beyder Theile, sich ihrer Seele
vorstellen. Dieser Fähigkeit mus man grössten Theils
die Gewalt der
unsrer Kindheit, viele Verknüpfungen der Begriffe
hervorbringt. Wenige haben die Gedult, oder den
Muth, zu untersuchen, ob dieselben, in der Natur,
oder in der Schwachheit ihrer Anführer, gegrün
det sind.
IX. Viele von den natürlichen Bestim
und die Fer
tigkeiten.
mungen des Willens sind von denjenigen, welche Erstes
Buch.
hiervon besonders gehandelt, und die natürlichen
Gelegenheiten der verschiedenen
Neigungen aufgesucht haben, hinlänglich erklärt
worden. Auf diese Schriftsteller wollen wir uns
hiermit beziehen. Wir haben die starke natürliche
Neigung zu Handlungen oben betrachtet. Wir
wollen eine andre Bestimmung, oder ein anderes
Gesetz unsrer
öftere Wiederholung einer Handlung, uns nicht
nur die Verrichtung derselben, durch den Wachs
thum unserer thätigen Kräfte, erleichtert, sondern
auch die Seele zur künftigen Unternehmung ge
neigt, oder dieselbe unwillig macht, wenn sie gewalt
sam davon zurückgehalten wird. Und dieses wird
eine Fertigkeit genennt. Bey unsern leidenden
durch das beständige Gefühl vermindert; und doch
wird die Unzufriedenheit über den Mangel des
Vergnügens vermehret, wenn wir ihn lange erlit
ten haben. Von so schädlichen Folgen die Fertig
keit in dem
welche die Fertigkeit in der
ist ein Vorzug, der vernünftigen Wesen gemein
ist, daß sie auf diese Art einige ihrer Kräfte, nach
ihren Gefallen verstärken, und die Dauer und
Lebhaftigkeit derselben befördern können. Es
ist auch allemal in unsrer Gewalt, eine Fertigkeit
dadurch zu schwächen, wenn wir uns entweder al
ler Anwendung derselben enthalten, oder ihr stand
haft entgegen handeln. Könten wir keine Fertig
keiten erlangen: so müsten unsre Kräfte immer
schwach bleiben, und eine jede Handlung, welche
Abschnitt.
Kunst erfordert, würde uns beständig so schwer
seyn, als wir sie bey unsern ersten Versuchen
finden.
Aber alle diese Verknüpfungen, Fertigkeiten,
tigkeit noch
Gewohnheit
bringen neue
Begriffe her
vor.
Gewohnheiten, oder
Gegenstände angenehm, oder unangenehm, nach
dem Begriffe, von einer Eigenschaft oder Art, den
wir durch unsre von der
empfangen haben; allein sie können keine neuen Be
griffe hervorbringen. Es werden dahero keine
Empfindungen des Beyfalls oder der Abneigung,
kein Wohlgefallen oder Misfallen hinlänglich er
klärt, wenn man sie dem Vortheil, der Gewohn
heit, oder
Begriffe zuschreibt; woferne man nicht vollkom
men zeigen kan, was dieses für Begriffe sind, und
zu was für einer Empfindung sie gehören, nach
welcher diese Gegenstände entweder gebilliget oder
gemisbilliget werden.
X. In einem gewissen Alter entsteht unter
chen und ver
wandschaft
lichen Nei
gungen.
beyden Geschlechtern ein neuer Trieb, der auf die
Fortpflanzung unsrer Art gerichtet ist, und der um
deswillen, weil er in unsern ersten Jahren, ehe wir
die zu Erhaltung der Nachkommen erforderliche
Wissenschaft und
lich oder unnützlich seyn würde, in der
der Natur
Trieb in dem Menschen zielt nicht blos auf eine
blindes Verlangen, das in dem Menschen eben so,
wie bey den Thieren, nach einer vorhergegangenen Erstes
Buch.
Erfahrung der Lust wirkt. Er besteht in einem
natürlichen Wohlgefallen an der
uns liebenswürdige Eigenschaften zu versprechen
scheint. Wir stellen uns etwas moralisch Gutes
vor, und daher entsteht Zuneigung und Hochach
tung, ein Verlangen nach der
benszeit;
vereinigte Vortheile. Dieses Urtheil und dieses
Verlangen begleitet den natürlichen Trieb der Men
schen. Sie haben also alle ein Verlangen, Nach
kommen zu haben, wenn keine stärkern Betrach
tungen, die daneben nicht bestehen können, sie zu
rückhalten.
In dem Menschen liegt, wie in den Thieren,
eine besondere starke Zuneigung gegen seine Nach
kommenschaft, und eine zärtliche Sorgfalt, sie zu
erhalten und glücklich zu machen. Diese Zunei
gung dauert bey den Menschen so lange als das Le
ben, und als die Aeltern ihren Abkömmlingen Gu
tes thun können. Sie erstreckt sich, unvermin
dert, bis auf Enkel und Urenkel. Bey den Thie
ren trift man dieselbe nur zu der Zeit an, da die
Jungen Beystand nöthig haben; wo dieser nicht
mehr nöthig ist, wird auch jene nicht mehr wahr
genommen. Sie dauert so lange, bis die Jungen
sich selbst erhalten können, und alsdenn hört sie völ
lig auf. Diese ganze Einrichtung ist ein überzeu
gender Beweis von der
gung begleitet die Bande des Bluts unter den Sei
tenverwandten. Diese
Abschnitt.
die Quellen von mehr als der Hälfte der Bemü
hungen und Sorgen der Menschen; und wenn ei
nige Kräfte da sind: so ermuntern sie die Seele zu
Fleis und Arbeit, und zu grossen und anständigen
Unternehmungen. Durch ihre Vermittelung wird
das Herz einer jeden zärtlichen liebreichen und gesel
ligen Neigung fähiger gemacht.
XI. Man kan dem Menschen schwerlich ei
nen natürlichen Trieb zur
schen sind ge
sellig, und
zur bürgerli
chen Gesell
schaft ge
schickt.
Nebenmenschen streitig machen. Es ist dieses ein
unmittelbarer Trieb, welchen wir bey vielen Arten
von Thieren ebenfalls wahrnehmen. Wir können
die Geselligkeit nicht ganz den Bedürfnissen zuschrei
ben. Die andern Grundtriebe der Menschen, ihre
einander mitzutheilen, ihr Trieb zur Thätigkeit,
ihr Gefühl der
wogenheit, ihr Trieb zur Freude, und das morali
sche Gefühl würden in der Einsamkeit entweder gar
nicht, oder doch nur wenig angewendet werden
können, und aus dieser Ursache vereinigen sich die
Menschen, ohne daß ein Zwang, oder eine Betrach
tung ihrer Bedürfnisse, der unmittelbare und letzte
Bewegungsgrund dazu seyn sollte. Die Bande
des Bluts würden eben diese Wirkung haben,
und wahrscheinlicher Weise haben dieselben vie
le Menschen, welche sich ihren Mangel in der
Einsamkeit vorgestellet, zuerst veranlasst, daß sie
sich, mit dem Vorsatz, einander beyzustehen, und
sich zu vertheidigen, vereinigt haben. Nachdem
diese Vereinigung geschehen war: so gewann die
vorzügliche Redlichkeit, Klugheit oder HerzhaftigErstes
Buch.
keit einiger unter ihnen, die vorzügliche Achtung
und das Vertrauen aller übrigen. Es entstanden
Streitigkeiten. Sie sahen bald ein, daß die Ent
scheidung derselben durch Gewalt, von üblen Fol
gen sey. Sie bemerkten, wie viel Gefahr es brin
ge, wenn bey den Berathschlagungen über die Ver
besserung ihres Zustands oder über die gemein
schaftliche Vertheidigung, die Stimmen getheilt
wären, ob sie gleich alle sich nur einen Endzweck
vorgesetzt hätten. Diejenigen, für welche sie die
meiste Achtung hatten, wurden zu Schiedsrich
tern in ihren Streitigkeiten, und zu
XII. Da die
mäsige Einrichtung und
ren Welt die
die verschiedenen Classen der Thiere und Pflanzen,
Abschnitt.
in ihrer ganzen natürlichen Beschaffenheit, die vor
treflichste Kunst, den regelmäsigsten Bau, die deut
lichsten Absichten, und die bequemsten Mittel zu ge
wissen Endzwecken zeigen: so müssen aufmerksame
und nachdenkende Menschen ein oder mehrere ver
nünftige Wesen, wahrnehmen, von welchen alle
diese weise Ordnung und diese Pracht abhängt.
Das Grosse und Schöne erfüllt die Seele mit Ehr
furcht, und es veranlasset uns, zu schliessen, daß
dasselbe unter einem vernünftigen
von ihm geordnet werde. Eine sorgfältige Be
trachtung unserer eigenen
leitet uns zu eben dieser Folgerung. Unser mora
lisches Gefühl, unsre Empfindung von Güte und
daß es eine
nach welcher
Austheilung auch in äusserlichen Dingen, vermit
telst einer natürlichen Richtung, vorhanden sey;
alles dieses mus uns eine moralische Regierung in
der Welt entdecken. Und da die Menschen geneigt
sind, ihre Wissenschaften, Erfindungen und Muth
massungen einander mitzutheilen: so müssen die Be
griffe von einer
gebreitet werden, und eine geringe Anwendung der
Vernunft wird sie zur völligen Ueberzeugung füh
ren. Auf diese Art wird eine gewisse Gottesfurcht
und
Recht sagen kan, daß sie einem vernünftigen Sy
stem natürlich sey. Eine frühzeitige
und eine von Zeit zu Zeit fortgeführte Erzählung Erstes
Buch.
ist der menschlichen Erfindung hierinnen zuvorge
kommen; aber diese allein würden kaum den
ben
augenscheinlichen Gründe, welche in den Werken
der
Begriffe von der
tung sind wirklich unter den Menschen allemal eben
so gemein gewesen, als das gesellschaftliche Leben,
der Gebrauch der
pflanzung ihres Geschlechts; und also müssen sie für
natürlich gehalten werden.
Die verschiedenen Kräfte, Fähigkeiten, und
Bestimmungen, wovon wir bisher geredet haben,
werden in dem ganzen menschlichen Geschlecht ge
funden, wenn nicht irgend ein Zufall einige einzel
ne Personen verunstaltet, oder sie gar verstümmelt,
und ihnen eine natürliche Kraft geraubt hat.
Aber, in den verschiedenen einzelnen Personen trift
man nicht alle diese Fähigkeiten, in gleichem Grade,
an; bey einem ist diese grösser; bey einem andern
jene; und eben daher entstehet die grosse Verschie
denheit in den
ner bequemen Gelegenheit, und wenn von ei
nem stärkern Triebe kein Widerstand vorhanden
ist, wird sich eine jede äussern, und ihre Wir
kung thun.
XIII. Ungeachtet alle diese edlern Kräfte,
von welchen wir gehandelt haben, uns natürlich
sind; so sind doch die Ursachen des Lasters und der
Abschnitt.
Verderbnis der
Ursachen, die uns das Licht der
deckt, mit Stillschweigen übergehn, und anmerken,
daß die Menschen, wenn sie keine sorgfältige
ziehung
friedigung ihrer sinnlichen
Uebung einiger niedern Kräfte, welche durch eine
lange Nachsicht immer zunehmen, verbrin
gen. Das Nachsinnen über
die feinern Vergnügungen, und die Verglei
chung derselben mit den unedlern, ist eine müh
same Beschäftigung. Die Begierden und
denschaften
Gegenstände, wie es sich oft zuträgt, vorkom
men. Sie zu unterdrücken, zu prüfen, und im
Gleichgewicht zu erhalten, ist ein schweres
Werk.
dungen der Begriffe, sind Menschen von gerin
ger Aufmerksamkeit sehr gewöhnlich. Unsere
eigennützigen Leidenschaften gelangen, durch un
sere Nachsicht, bald zu einer gewissen Macht.
Das menschliche Leben ist also eine unzusammen
hängende Vermischung vieler geselligen, liebrei
chen, unschuldigen; und vieler eigennützigen,
menschenfeindlichen und sinnlichen
nachdem es sich zuträgt, daß eine oder die andre
unserer natürlichen Fähigkeiten erregt wird, und
über andere die Oberhand behält.
I.Wenn wir nach diesem langen Verzeichnis
von den verschiedenen Kräften der Em
pfindung, durch welche eine grosse Menge von Ge
genständen, zum Vergnügen oder zum Schmerz,
zu einer Art von
geben; wenn wir nach dem Verzeichnis von den
vielen Fähigkeiten des Willens, oder den Bestim
mungen der Begierden; wenn wir nach diesem al
len urtheilen: so müssen wir die menschliche Natur
für eine sehr verworrene Zusammensetzung halten,
woferne wir nicht unter diesen Kräften eine Ord
nung, und eine Abhängigkeit der einen von der an
dern, finden, und durch diesen Weg unterscheiden
können, welche von ihnen von der Natur bestimmt
sey, die Beherrscherin der übrigen zu seyn. Hier
von wollen wir in einigen folgenden Abschnitten
handeln. Zuerst lehret uns der Verstand, oder
Wenn keine andere
liebe wird
als die einzi
ge angeführt.
gierde in der menschlichen Seele wäre, als der
Trieb zu unsrer eignen Glückseligkeit: so würde die
ruhige
*
Selbstliebe der einzige leitende Grund
trieb seyn, welchen die
andre Neigungen zu beherrschen, einzuschränken,
und sie auf die Erlangung ihres Endzwecks zu
richten. Sie würde die
geberin haben, und diese würde ihr die Mittel hier
zu an die Hand geben. Aber dieser Endzweck
würde blos durch diese höchste Bestimmung, ohne
Beyhülfe eines Schlusses, festgesezt werden.
Dieses ist eine Lehre, welcher sehr viele
ne Erklärun
gen davon.
Schriftsteller besonders gewogen sind, und die durch
ihre Einfalt vergnügt. Aber diese Schriftsteller
machen sehr verschiedene und einander widerspre
chende Erklärungen von den eigennützigen Ver
gnügungen und der Glückseligkeit, welche man
bey den Pflichten, die wir gemeiniglich für tugend
*
Wir verstehen durch
die Selbstliebe blos das
Verlangen nach unserer
eigenen Glückseligkeit.
ben, den moralischen Cha
racter und die
menheiten
eigenen nachzusetzen; wel
ches der
rung
den und gegen sich selbst
mistrauisch sind, gerade
widerspricht.
Aber man hat noch eine höhere Lehre. Es
nehmen einige zwar keine andre ruhige Bestim
mung der
allein sie geben zu, daß wir ein moralisches Ge
fühl
haben, und viele besondere liebreiche Nei
Diese lezte Erklärung enthält eine liebens
würdige Vorstellung der menschlichen
ihrer Neigungen, und räumt auch den edelmüthig
sten
ein; aber sie hat nicht den Verdienst der Einfalt,
wie die andern Erklärungen, welche jede Regung
des Herzens, unmittelbar aus der Selbstliebe,
herleiten. Man kan diese Lehre nicht unter dieje
nigen rechnen, welche sich blos auf die Selbstliebe
gründen, weil sie die edelsten Tugenden aus den
uneigennützigen Neigungen, welche dem Herzen na
türlich sind, herleitet, ob sie gleich, in unsern ruhi
gern Stunden, durch die ruhige Betrachtung und
das Verlangen unsrer eigenen Glückseligkeit befe
stiget werden können. Allein, unsre Beschäfti
gung ist, die
andern Schriftstellern ihre Lehren überlassen. Es Erstes
Buch.
ist zu dem Ende nöthig, daß wir sowohl die Nei
gungen, welche man für uneigennützige ausgiebt,
als auch das moralische Gefühl, durch welches
wir alle Bewegungen des Willens beurtheilen, in
genaue Erwägung ziehen, damit wir einsehen kön
nen, ob in der Seele, wie wir oben bemerkt haben,
eine andre ruhige Bestimmung
vorhanden sey,
ausser derjenigen, welche sich auf unsre eigene Glück
seligkeit bezieht; und ob einige besondre Neigun
gen vorhanden sind, welche auf das Beste anderer,
als ihren unmittelbaren und höchsten Gegenstand,
abzielen, ohne alle Absicht auf einigen eigenen
Vortheil.
II. Die ruhige Selbstliebe, oder die Be
stimmung einer jeden einzelnen Person, ihre eigene
Glückseligkeit zu suchen, ist eine Willens, welche keine unruhige
Begleiterin hat. Aber die verschiedenen eigennützi
gen Triebe, welche auf besondre Gegenstände ge
richtet sind, werden gemeiniglich von einigen unru
higen ungestümen Empfindungen, in sehr verschie
denen Graden, begleitet: doch sind diese Empfin
dungen von den Wirkungen des Willens, mit wel
chen sie vereiniget sind, eben sowohl unterschieden,
als von den Bewegungsgründen der
Der Bewegungsgrund ist das Gute, welches wir
in einem Gegenstand, oder in einer Begebenheit
wahrgenommen haben, und auf welches die Begier
de gerichtet ist; aus dieser Begierde entstehet eine
Unruhe, bis wir das Gute erlangt haben. Bey
dem Abscheu ist der Bewegungsgrund ein wahrge
Abschnitt.
nommenes oder befürchtetes, und vielleicht noch
nicht empfundenes Uebel. Unruhe begleitet den
Abscheu so lange, bis das Uebel abgewendet wor
den. Die schmeichlerische Aussicht in Vergnügun
gen, oder in ein grosses Ansehen, welches mit dem
Ueberflus verknüpft ist, sind die Bewegungsgründe
der Begierde nach Reichthum; und niemals ist es
das unruhige Gefühl, welches die Begierde selbst
begleitet. Dieses
ge von der Begierde.
Wenn wir dasjenige, was wir begehrten, er
langt haben: so entsteht, ausser dem Vergnügen,
welches wir dadurch erhalten können, und welches
der Bewegungsgrund der Begierde war, oft noch
ehe wir dasselbe geniessen können, ein anderes Ver
gnügen, welches eine unmittelbare Folge des glück
lichen Erfolgs ist, wenigstens in solchen Fällen,
wo eine Schwierigkeit der Erlangung, oder die
Furcht eines widrigen Zufalls vorhanden war. Es
wäre abgeschmackt, wenn man behaupten wollte,
diese Freude über den glücklichen Erfolg sey der Be
wegungsgrund der Begierde. Wir dürften keine
Freude über den glücklichen Erfolg empfinden, und
wir würden keine Begierden haben, wenn nicht die
Wahrnehmung eines andern Gutes der Bewe
gungsgrund gewesen wäre. Es ist unläugbar,
daß bey allen unsern eigennützigen oder gemeinnü
tzigen Trieben ein Bewegungsgrund, ein vorgesez
ter Endzweck, vorhanden sey, welcher von der
Freude über den glücklichen Erfolg, oder über die
Entfernung der aus der Begierde entstandenen Un
Erstes
Buch.
ruhe unterschieden ist. Denn ausserdem würden
alle unsre Begierden die seltsamsten Dinge von der
Welt seyn, und wir würden eine Kleinigkeit eben
so heftig begehren, als das grösste Gut; weil die
Freude über den glücklichen Erfolg, oder über die
Entfernung der aus der Begierde entstandenen
Unruhe, in beyden Arten von Begierden, einander
gleich seyn würde. Es ist also seltsam, alle unsre
ben, weil wir, bey ihrer Befriedigung, uns über
den glücklichen Erfolg vergnügen, und uns von
dem aus den Begierden entstandenen unruhigen
Gefühl befreyen.
III. Es wird niemand läugnen, daß gewisse
wohlthätige
Begierden nach Belohnungen, Erwiederungen der
geleisteten Dienste, und nach
können. Man kan andern aus Furcht einer un
gerechten Gewalt, oder einer gerechten Ahndung
dienen. Ja, aus dem Verlangen nach unsrer ei
genen
verstelltes Verlangen nach der Glückseligkeit an
derer entstehen, wenn wir sehen, daß diese leztere
ein Mittel ist, unsre eigene zu befördern. So
verlangt man nach dem Glück eines Gesellschafters
in gemeinschaftlichen Unternehmungen; nach dem
blühenden Zustand eines Landes oder einer Gesell
schaft, von welchem unser Glück abhängt; nach
der weiteren Beförderung eines
wir die unsrige erwarten; nach dem Wohlstand
und der guten Aufführung eines Untergebenen
Abschnitt.
oder eines Mündels, welche dem Lehrer oder Vor
mund zur Ehre gereichen kan. Diese Triebe, wel
che wirklich auf die Wohlfart anderer abzie
len, sind unsern eigennützigen Begierden unter
worfen.
Man ist darinnen einig, daß die Begierden,
Neigungen
giebt, wel
che, ohne al
le Absicht auf
unsern eige
nen Vor
theil, die
Wohlfart
anderer zum
Endzweck
haben.
welche zwar auf die Wohlfart anderer gerichtet
sind, aber, ohne alle andre Neigung, den Begier
den nach unserm eigenen Vortheil unterwürfig seyn
müssen, nichts
Veränderung in den äusserlichen Umständen, ohne
einige Veränderung in der Gemüthsbeschaffenheit,
würde, auf gleiche Art, in uns das Verlangen nach
den Widerwärtigkeiten anderer erregen. Die vor
nehmste Frage ist, ob die Neigungen, welche wir
für gemeinnützig halten, auf einige edlere, als ei
gennützige, Vortheile gerichtet sind, und dieselben
zum höchsten Endzweck haben: oder ob keine lieb
reichen Neigungen, auf das Beste anderer, als den
höchsten und lezten Endzweck, abzielen; und ob
diese, von der
sich, oder vielleicht zuweilen durch einige Be
trachtungen eines Eigennutzes,) zu der unmittelba
ren Ursache des moralischen Beyfalls bestimmt wor
den sind.
IV. 1. Es ist klar, daß alles, was wir von
von den Be=
lohnungen,
die wir von
Menschen er
warten kön
nen, unab
hängig.
andern Menschen, in Absicht auf Reichthum oder
Armuth,
gen oder körperlichen
ten, nur der Bewegungsgrund zu äusserlichen
Handlungen oder Gefälligkeiten, und nicht zu eiErstes
Buch.
ner innern Gewogenheit oder zu einem Verlangen
nach ihrer
wissen, daß unsre innerlichen Neigungen andern
verborgen sind. Das äusserliche Verhalten kan
blos das Mittel abgeben, dasjenige, was wir von
ihnen hoffen, zu erlangen, oder, was wir fürchten,
abzuwenden.
2. Da die
langen nach den Mitteln unsrer eigenen Glückselig
keit in uns hervorbringt: so kan man schwerlich be
haupten, daß selbst die edelsten Vortheile die
le
nen. Wenn man mit dem höhern Vergnügen ei
nes innern Beyfalls bekant ist, welcher aus dem
Bewustseyn eines guten Herzens und liebreicher
Neigungen, entspringt; oder wenn man sich über
zeugt hält, daß die
solcher Gemüthsbeschaffenheit, Belohnungen be
stimmt habe: so können diese zween Bewegungs
gründe ein Verlangen in uns erregen, diese gemein
nützigen Neigungen zu besitzen, damit wir durch
dieselben glücklich werden mögen. Könten wir,
auf das Geheis unsers Willens, Neigungen, die
wir zu haben verlangen, in uns hervorbringen: so
würden wir, aus diesen Bewegungsgründen, uns
mit liebreichen Neigungen versehen. Allein wir
können uns keine Art von Neigungen, durch die
sen Weg, verschaffen. Gleichwie, durch keine Wir
kung des Willens, Hochachtung gegen einen Gegen
stand, der nichts vortrefliches hat; oder
etwas, das nicht furchtbar ist; oder Unwillen ohne
Abschnitt.
eine vorhergegangene Beleidigung; oder
den
Dankbarkeit, ohne eine vorhergegangene Gütigkeit,
hervorgebracht werden kan: also kan eine Seele,
welche ganz von der
fehl ihres Willens, liebreiche Neigungen in sich
hervorbringen. Die natürliche Ursache mus vor
handen seyn, ehe eine Neigung entstehen kan.
Wenn unsre Herzen wirklich so beschaffen
göttlichen
Gesetze wir
ken, die Men
schen tugend
haft zu ma
chen.
sind, wie sie von den Vertheidigern der eigennützi
gen Neigungen beschrieben werden, daß nämlich,
so bald sich der Zustand empfindender Wesen unsern
ruhigen Gedanken darstellt, wir eine natürliche
Wohlgewogenheit empfinden, woferne weder Vor
theile, noch eine in ihnen wahrgenommene üble
Beschaffenheit sich entgegensetzen, und die natürli
chen Regungen unserer
den die Bewegungsgründe, uns die edlern Vergnü
gungen des Beyfalls unserer selbst, oder die Be
lohnungen
machen, auf den Zustand anderer unsere ruhige
Aufmerksamkeit zu richten; wir werden den gerin
gen Widerstand der Vortheile und selbst die Hin
dernisse des Unwillens überwinden.
*
Eben diese
*
Das Verhältnis, ge
gen unsre eigene höchste und
edelste Vergnügungen, wel
ches uns die besten Schrift
steller des
Lord Schaftesbury ange
welche uns die
eingepflanzt und mit ihren
eigentlichen Ursachen ver
knüpft hat. Sie glauben
auch nicht, daß alle grosmü
thige Neigungen aus einer
Betrachtung eines eigenen
Vortheils herrühre. Die
sem Begrif widersetzen sie
sich mit dem grössten Eifer
und den stärksten Gründen.
3. Vermöge der Liebe unserer selbst hingegen,
verlangen wir blos nach den Mitteln, wodurch wir
unsre eigene
ist aber die
wirkliche Glückseligkeit anderer
weder die Ursache, noch das Mittel, den Beyfall
unserer selbst oder die Belohnungen
halten. Unsre Herzen geben uns Beyfall, und
Gott verspricht uns Belohnungen, nicht weil an
dre wirklich glücklich sind, sondern weil wir lieb
reiche Neigungen haben, und unsre Kräfte zu ih
rem Vortheil anwenden; der Erfolg mag sie nun
glücklich machen oder nicht. Dahero kan unser
Verlangen nach dem Vergnügen unsers eigenen
Beyfalls, oder nach göttlichen Belohnungen, uns
nur zu den Wunsch veranlassen, diese Neigungen zu
besitzen, und ihnen gemäs zu handeln. Aber diese
Abschnitt.
Neigungen können nicht durch den Willen erweckt
werden; und wenn sie vorhanden sind: so sind sie
einzig und allein auf die Wohlfart anderer, als
ihren lezten und höchsten Endzweck gerichtet; ob
wir gleich bey unsern vorhergegangenen Berath
schlagungen mit uns selbst, oder bey unsern Ueber
legungen, wegen der inneren Bildung unsrer See
le, den Entschlus gefasst haben können, alle diese
Neigungen in Absicht auf unsre eigene
menheit
zu machen; auf alle diejenigen Betrachtungen,
durch welche sie natürlicher Weise erregt werden
können, unsre Achtsamkeit zu richten; und alle ge
ringe dawider streitende Vortheile dieser gegenwär
tigen Welt zu verachten. Diese grosmüthigen
Neigungen wirken oft da, wo keine Ueberlegung,
kein Vorsatz, sie lebendig zu machen, vorhergegan
gen ist; und, wenn ein solcher Vorsatz vorhergeht:
so sind sie allemal, auf ihren natürlichen Gegen
stand, die Wohlfart anderer, gerichtet, und sie
müssen in der Seele eher vorhanden seyn, als alle
Bemühungen, sie lebendig zu machen.
Es ist nichts fremdes oder ungewöhnliches,
gungen ent
stehen nicht
so gleich,
wenn wir
wünschen, sie
zu besitzen.
daß es einem Menschen an gewissen zärtlichen und
grosmüthigen Neigungen, als der
achtung, der Dankbarkeit, des
reuung zugefügter Beleidigungen, fehlen kan; un
geachtet er ernstlich wünscht, sie zu besitzen. Eine
innerliche Sinnesart oder ein System von Nei
gungen ist kein Werk, das, auf einmal, durch einen
blosen Wunsch, oder Befehl, entstehet. Man sieht Erstes
Buch.
oft, daß Menschen, welche
nicht geachtet haben, bey der Annäherung einer Ge
fahr oder bey andern Gelegenheiten, entweder von
Selbstliebe oder von der Furcht der Strafe ange
trieben, aus vollem Herzen wünschen, daß sie Liebe
und Dankbarkeit gegen Gott,
len gegen ihren Nächsten, eine gelassene und zur
Verzeihung geneigte Gemüthsart, und Reue über
ihre
doch lehret sie ein trauriges Bewustseyn, daß alle
diese Neigungen in ihnen nicht entstehen. In
genthaften
sicht auf einen Vortheil, ohne Betrachtung eines
innern Beyfalls oder zukünftiger Belohnungen.
Ja, sind nicht einige von diesen liebreichen
Neigungen die stärksten, in deren Ansehung wir
weder
von Gott, noch einen beträchtlichen innern Beyfall
erwarten dürfen? Unter dieselben gehören die Nei
gungen der Ehegatten und Verwandten, die
schaft
nigen verachten, welchen es an denselben fehlt; so
werden diese Neigungen doch immer für geringere
Tugenden gehalten, und einige verdienen kaum Tu
genden genennet zu werden.
V. Einige behaupten, daß unsere meisten
grosmüthigen Neigungen, unserm eigenen Besten,
vermittelst einer Sympathie, unterworfen wären,
welche das Vergnügen oder den
Abschnitt.
gen Ursachen unsers eigenen Vergnügens und
Schmerzens machte. Wir freuen uns, wenn wir
sehen, daß andre glücklich sind, oder wenn wir, in
einer Entfernung von ihnen, nur wissen, daß sie es
sind. Auf gleiche Art empfinden wir Schmerz
oder Traurigkeit über ihr Elend. Um nun dieses
Vergnügen zu erhalten, und diesen Schmerz zu
vermeiden, sagt man, haben wir, vermöge der
Selbstliebe, ein innerliches aufrichtiges Verlangen
nach ihrer Glückseligkeit, ungeachtet dasselbe von
dem Verlangen nach unsrer eigenen abhängt.
Aber ob gleich diese Sympathie für einen natürli
chen Grundtrieb und für einen schönen Theil un
srer innern Einrichtung anzusehen ist: so können
doch dadurch niemals alle liebreiche Neigungen er
kläret werden. Wenn sie allein wirkt: so steht sie
immerfort im Verhältnis mit dem wahrgenomme
nen oder eingebildeten Elend oder Leiden, ohne Ab
sicht auf andre Nebenumstände; dahingegen unsre
grosmüthigen Neigungen sehr verschiedene Grade
und Verhältnisse haben. Wir können eine schwä
chere Wohlgewogenheit gegen eine unbekante Per
son empfinden; aber wie viel stärker ist nicht die
Neigung der Dankbarkeit, die
tung gegen einen würdigen Mann, oder gegen ei
nen vertrauten Freund, die verwandschaftliche Lie
be? Wenn diese Sympathie die Ursache aller
be
unterworfen seyn, und durch empfangene Wohl
thaten, durch die Wahrnehmung der
Vortreflichkeit, durch Vertraulichkeit, und Blutver
wandtschaft zunehmen; denn die innerliche GewoErstes
Buch.
genheit, die liebreiche Neigung, nimmt durch diese
Ursachen stark zu.
Wenn man auch annimmt, daß diese Sympathie,
durch diese Ursachen, natürlicher Weise verändert wird:
so kan doch aus derselben nicht erklärt werden, wo
her der unmittelbare Ausbruch einer heftigen
und Gewogenheit gegen einen Character, welcher
uns in der höchsten moralischen Vortreflichkeit vor
gestellt wird, entstehet, ehe wir an den Zustand des
selben gedacht, oder erfahren haben, ob er glücklich oder
elend sey. Man setze voraus, daß er sich in den entfern
ten Gegenden der Erde, oder in einem andern Planeten
aufhalte. Wir können in der That die Absicht der
gungen erkennen. Ist wohl bey einigen sympa
thetischen Freuden unser eigenes Vergnügen der
Gegenstand, auf welchen jede liebreiche Neigung,
und jeder gutherziger Wunsch abzielet? Ist die
Sorge für die
lands, auch alsdenn, wenn sie uns zu einer über
legten Aufopferung des Lebens antreibet, auf die
Erreichung eines eigenen Vergnügens, gerichtet?
Wenn und wo kan es erreicht werden? Nur ei
nen Augenblick oder zween zuvor, ehe uns der Tod,
allen menschlichen Angelegenheiten entzieht. Ueber
dieses denken auch wenige von uns daran, den Zustand
derjenigen, die uns überleben, zu wissen. Sollte
Manne ankundigen, daß sein
Augenblicke, erfolgen, und daß er keine
dung
Abschnitt.
noch ein Andenken an sie behalten werde, daß ihm
aber seine letzten Wünsche, in Ansehung seiner
der
werden sollten: würde dieser Mann ihre Wohl
fart nicht eben so inbrünstig wünschen, als in sei
nem vorherigen Leben, ungeachtet seine angenehme
sympathetische
aufhören sollte? Wie will man aus der Sympa
pathie erklären, warum die sterbenden Menschen
für alle diejenigen, die ihnen werth sind, solche Be
ängstigungen fühlen, warum sie andern dieselben so
sie beten, da sie doch überzeugt sind, daß sie gegenwär
tig aus diesem Zustande versetzet werden, und von
menschlichen Angelegenheiten weiter nichts wissen
sollen?
Auch unser
leiden ist
nicht eigen
nützig.
chen ist offenbar auf die Erleichterung ihres Elends
gerichtet, wenn wir auch auf unsern eigenen
letzte Endzweck einer
der Unruhe seyn, welche dieselbe begleitet. Ob also
gleich in der
den Gegenständen unsrer zärtlichen Neigungen, ei
nige Verbindung seyn kan: so geht doch die Nei
gung, welche auf ihren guten Endzweck abzielet,
vor dieser Verbindung vorher, und ist die Ursache
von ihr. Wir freuen uns daher über das
unsrer
des; weil wir eine ganz unabhängige Gewogen
heit gegen sie haben. Wir lieben sie und wünErstes
Buch.
schen ihre Wohlfart, nicht um deswillen, weil ihre
Glückseligkeit uns erfreuen, und ihr Elend uns be
trüben kan. Je stärker also unsre vorhergegan
gene
unsre Freude über ihre Glückseligkeit; und unsre
Betrübnis über ihr Elend.
Dieses kan genug seyn, die wichtigen Wahr
heiten fest zu setzen, daß unsre
gungen fähig ist, welche, im genauesten Verstan
de, uneigennützig sind, und weder von der Selbst
liebe abhängen, noch einen Eigennutz zum Endzweck
haben. Die Bande des Blutes, erhaltene Wohl
thaten, die Wahrnehmung der
treflichkeit sind, ohne Betrachtung eines Vortheils,
der uns von ihnen zuwachsen könte, die natürlichen
Ursachen dieser besondern liebreichen Neigungen.
Einige davon entstehen ohne Verdienst; alle aber
haben das Beste anderer zum lezten Endzweck;
und alle wirken oft in der
ren eigenen Vortheil nicht sieht, oder keinen ver
nünftigen Grund hat, ihn zu hoffen. Ja sie äussern
sich auch noch alsdenn, wenn sie die Seele in Un
ruhe und Bekümmernis setzen.
VI. Gleichwie wir oben bemerkt haben, daß
die besondern Bewegungen des Willens, in Absicht
auf das eigene Beste, entweder ruhige Neigun
gen oder ungestüme
dieses auch von denjenigen besondern Bewegungen,
welche auf das Beste anderer abzielen. Einige von
ihnen sind still und ruhig; sie haben die Glückselig
keit ihres Gegenstands zur Absicht, welcher entwe
Abschnitt.
der eine einzelne Person oder eine ganze
ist. Sie sind mit keinen ungestümen
gen
ruhe, wenn sie ihre Absicht nicht erreichen; an
dere sind ungestüm, und werden von unruhigen
Empfindungen begleitet. Wir können in dieser
Vergleichung noch weiter gehen.
Wie die menschliche Seele, wenn sie in sich
selbst hineingeht, eine ruhige allgemeine Neigung
gegen ihre eigene höchste
einen Begrif hat, in sich findet; also finden wir
eine ähnliche unabhängige Neigung in Absicht auf
das Beste anderer Menschen. Wenn wir ruhig
sind, und unsrer Seele den Begrif des grössten
möglichen Systems empfindender Wesen, und der
höchsten Glückseligkeit, deren es fähig ist, vorstel
len: so finden wir zugleich eine ruhige Bestim
mung, dieselbe zu verlangen, ohne dabey auf einige
Verbindung mit unsern eigenen Vortheilen zu se
hen. Wir finden, daß diese zwo grossen Bestim
mungen, deren eine auf die höchste eigene Glückselig
keit, die andre aber auf das grösste allgemeine
Gute abzielet, unabhängig von einander sind, und
daß jede die Gewalt erlangen kan, alle besondre
Neigungen ihrer Art zurückzuhalten, und sich die
selben unterwürfig zu machen.
Aber hier entsteht eine neue Zwietracht in
gennützige
Grundtrieb
dem gemein
nützigen un
terworfen ist,
oder nicht.
diesem zusammengesetzten Baue. Diese zween
Grundtriebe scheinen auf ganz verschiedene Wege
zu leiten. Mus die gemeinnützige Bestimmung
und alle ihre besondre Neigungen der eigennützigen Erstes
Buch.
nachgeben, und unter ihrer Herrschaft stehen?
Dürfen wir uns unsern liebreichen
nur in so weit es der Eigennutz verstattet, und wei
ter nicht, überlassen? Oder mus die eigennützige
der gemeinnützigen weichen? Oder können wir an
nehmen, daß in diesem zusammengesetzten System
zween höchste Grundtriebe vorhanden sind, welche
sich oft einander widersetzen, ohne daß eine Bey
legung ihres Zwists möglich sey? Oder können
wir eine ursprüngliche ruhige Bestlmmung, welche
auf das gemeine Beste abzielet, läugnen; und sol
len wir blos eine Verschiedenheit von besondern
liebreichen Neigungen zugeben, die als die höchsten
angesehen werden müssen, und zwar weder aus der
Selbstliebe entstehen, noch eigentlich auf den Ei
gennutz, als ihren natürlichen Endzweck, gerichtet
sind; die aber doch, bey allen unsern überlegten
Berathschlagungen über die allgemeine Einrichtung
unsers Verhaltens, nebst den besondern eigennützi
gen
chen Triebe zu unserer eigenen Glückseligkeit und
scheint das System einiger vortreflichen Schrift
steller des
Wenn man hier anführen wollte, daß wir,
durch unsere
sicht einsehen können, welche
unsrer
gungen gehabt hat; daß die allgemeine Glückselig
keit und die Glückseligkeit einer jeden einzelnen
Person, in so fern diese neben jener bestehen kan,
Abschnitt.
sein einziger augenscheinlicher Endzweck sey; und
daß dieser Endzweck uns zur Vorschrift dienen
müsse, nicht nur alle eigennützigen Neigungen,
sondern auch selbst alle grosmüthigen besondern
Neigungen, so, wie es das allgemeine Beste des
Ganzen erfordert, in Schranken zu halten und zu
unterdrücken; wenn man alles dieses anführen
wollte: so ist es zwar in der That gegründet, allein
die Schwierigkeit wird dadurch noch nicht gehoben,
wenn wir nicht zuförderst unterrichtet sind, welche
Bestimmung der
uns antreibt, den göttlichen Absichten gemäs zu
handeln. Ist es das Verlangen nach Belohnun
gen: so ist die eigennützige ruhige Bestimmung der
einzige letzte Grundtrieb bey allen überlegten Unter
nehmungen des Lebens. Ist es eine Empfindung
der
langen, ihn
barkeit: so mus das Verlangen nach der morali
schen Vortreflichkeit die höchste ursprüngliche Be
stimmung seyn. Aber ungeachtet dieses Verlan
gen nach der moralischen Vortreflichkeit, ein ur
sprünglicher unabhängiger Trieb ist: so setzet dassel
be doch einige vorhergehende Bestimmungen des
Willens, als seinen Gegenstand, voraus. Und un
ter diesen müssen einige seyn, in welchen die höchste
moralische Vortreflichkeit bestehet, ausserdem würde
unser Gefühl der moralischen Vortreflichkeit und
das Verlangen nach ihr, weil es viele besondere
widereinander streitende Neigungen empfehlen könte,
uns in ein neues Labyrinth führen. Die Auflö
sung dieser Schwierigkeiten müssen wir, vermittelst Erstes
Buch.
einer vollständigen Betrachtung des obenerwähnten
moralischen Gefühls, finden, zu welcher wir,
im nächsten Abschnitt, fortgehen und die Gründe
anführen wollen, wodurch zu beweisen ist, daß die
ses moralische Gefühl eine
I.
Ob gleich liebreiche Neigungen in uns liegen,
welche das Beste anderer zum letzten
Zweck haben, und deren Befriedigung uns ange
nehm ist: so ist doch unser Beyfall, welcher das
moralische Verhalten begleitet, ganz etwas anders,
als wenn uns dasselbe blos um deswillen gefällt,
weil es, bey Befriedigung dieser liebreichen Nei
gungen, für uns ein Anlas zum Vergnügen gewe
sen ist. Gleichwie nicht ein jedes Verhalten, das
uns dieses Vergnügen verschaft, unsern Beyfall er
hält: also geben wir denselben oft einem solchen
Verhalten, das uns kein Vergnügen veranlasst;
und der Beyfall, welchen wir dem guten Verhal
ten, das uns dieses Vergnügen gewährt, zugestehen,
steht mit dem Vergnügen selbst in keinem abgemes
senen Verhältnis. Dahero werden viele Erfin
dungen und
Abschnitt.
Ländern, die wir lieben, Nutzen schaffen, nicht mit
dem Beyfall beschenkt, der eine Belohnung der
müthigen Unternehmungen, wenn sie gleich nicht
gelingen. Wir geben ihn den Tugenden un
srer Feinde, wenn sie auch den vornehmsten Ge
genständen unsrer
Die Tugenden oder grosmüthigen Gesinnungen
redlicher Männer in ältern Zeiten, gegen ihre Zeit
genossen; oder unter den entferntesten Völkern,
gegen ihre Landsleute, für welche wir nur schwache
Neigungen haben;
Beyfall, als wenn unsre Freunde, oder unser Va
terland, die Gegenstände unsrer stärksten Neigun
gen, durch ähnliche Tugenden und Gesinnungen be
glückt worden wären.
Ferner, ungeachtet der Beyfall, welchen wir
nen, daß sie
das morali
sche Gefühl
vergnügt.
der moralischen Vortreflichkeit zugestehen, eine ange
nehme
so ist doch offenbar, daß das Gute, welches unsern
Beyfall erhält, keineswegs das Bestreben ist, uns
eine angenehme Empfindung zu verschaffen. Wenn
uns eine schöne Gestalt gefällt, und wir die
heit
nicht, daß er um deswillen schön sey, weil wir
bey dem Anblick desselben einiges Vergnügen em
pfanden; sondern wir sind durch diesen Anblick um
deswillen vergnügt worden, weil er, ehe wir ihn
noch sahen, bereits schön war. Auf gleiche Art
finden wir, bey der
nes andern, daß die ganze Vortreflichkeit oder die Erstes
Buch.
Eigenschaft, deren Billigung uns die
schreibt, in diesem andern liegt; und wir werden
durch die Betrachtung derselben deswegen vergnügt,
weil der Gegenstand vortreflich ist; hingegen wird
der Gegenstand nicht aus der Ursache für vortreflich
angesehen, weil er uns vergnügt hat.
II. Noch viel weniger erhält die Tugend um
deswillen unsern Beyfall, weil sie eine Neigung,
oder eine Handlung ist, welche der handelnden
Person Vergnügen verschaft. Sie kan ihn zwar,
wenn sie nachdenkt, vermittelst des moralischen Ge
fühls, Vergnügen bringen: aber es ist unläugbar,
daß wir die Tugend eines andern alsdenn am mei
sten bewundern, wenn wir auf ihre Schwierigkei
ten, Gefahren und Sorgen aufmerksam sind, und
an ein gegenwärtiges oder zukünftiges Vergnügen
der handelnden Person nicht gedenken.
Es wäre seltsam, wenn die Menschen nicht
im Stande seyn sollten, zu erkennen, unter was für
einer Gestalt, oder unter welchem Begrif oder unter
welcher Vorstellung sie ihre eigene Neigungen und
ihr eignes Verhalten, oder die Neigungen und das
Verhalten anderer, billigen, hochachten, oder bewun
dern; und das Gegentheil misbilligen und ver
werfen. Man sollte denken, es sey offenbar, daß
der Begrif, unter welchem man die Tugend billigt,
keineswegs in der Erwartung liege, daß sie der han
delnden Person Vortheil, und der Person, welche
den Beyfall ertheilt, eine Belohnung verschaffen
werde. Niemals erwartet derjenige, welcher die
Abschnitt.
nung; er ertheilt ihr auch alsdenn seinen Beyfall
wenn er dadurch die Beförderung seines Vortheils
nicht hoffen darf: und er wird solche Handlungen,
mit welchen die Erreichung eines Nutzens verknüpft
ist, desto weniger hochachten, je vortheilhafter sie
für die handelnde Person sind, und je mehr er sich
vorstellt, daß sie von derselben, in Absicht auf ih
ren eigenen Vortheil, unternommen worden. Wir
achten eine
werth, weil sie gut ist, und wir halten sie nicht
deswegen für gut, weil sie Belohnung verdient.
Die urtheilende und die handelnde Person legen alle
beyde guten Handlungen, in Absicht auf die Tu
gend, einen desto grössern Werth bey, je höher sie
der handelnden Person zu stehen kommen, und je
nachtheiliger sie derselben sind. Beyde Personen
misbilligen solche Handlungen als unmoralisch,
welche die ersten der andern, durch Vorstellung
eines Gewinns, ablockt, und welche die andere in
der Absicht, ihn zu erhalten, unternimmt; sie hal
ten beyde dafür, daß diese Handlungen, auf diese
Art, auf einen Vortheil abzielen.
Wenn also die deutliche Vorstellung, daß die
der Einbil
dung eines
Vortheils.
urtheilende oder handelnde Person einen Vortheil
erhalten werde, keinen moralischen Beyfall zulässt:
so können wir destoweniger annehmen, daß dunkle
gewisser Begriffe von Vortheilen, welche die urthei
lende oder handelnde Person zu hoffen hat, die Ge
stalt sey, unter welcher die Tugend unsern Bey
fall erhält.
Es ist eben so offenbar, daß die Tugend nicht
aus dem Gesichtspuncte gebilliget wird, weil wir
langen, kan bey einer handelnden Person der Be
wegungsgrund zur Unternehmung äusserlicher
Handlungen seyn: aber die Richtung einer Hand
lung auf die Ehre, kan denjenigen, der in derselben
keinen Grund zur Ehre findet, zu keinem Beyfall
bewegen. Unser Verlangen, geehrt zu seyn, und
die Bereitwilligkeit einer andern Person, uns zu eh
ren, setzt in beyden ein
Und alle Absichten einer handelnden Person, die auf
die Erlangung des eigenen Beyfalls gerichtet sind,
müssen, auf gleiche Art, ein moralisches Gefühl
voraussetzen. Wir können dahero nicht sagen, daß
eine Handlung deswegen für gut gehalten werde,
weil sie der handelnden Person das Vergnügen des
eigenen Beyfalls verschaft; sondern sie verschaft
derselben dieses Vergnügen, weil ihre Güte vor dem
eigenen Beyfall vorhergeht, oder weil sie die Ei
genschaft hat, welche wir, vermöge der Beschaf
fenheit dieses Gefühls, billigen müssen. Unsre ge
genwärtige Frage ist: welches ist diese Eigenschaft,
und wie wird sie empfunden?
III. Der erste Begrif, unter welchem wir
den Neigungen und Handlungen unsern Beyfall
ertheilen, ist nicht blos die Uebereinstimmung
mit dem göttlichen Willen oder Gesetz.
Der Begrif der moralischen Güte, unter wel
der Wahr
heit.
chem wir den Neigungen und Handlungen Bey
fall ertheilen, wird durch die Uebereinstimmung
derselben, mit Wahrheit und Vernunft, mit
,
Mit einem Worte, wenn wir alle Beschrei
bungen der moralischen Güte, durch die Ueber
einstimmung mit der Vernunft, wohl prü
Auf gleiche Art müssen die Beschreibungen
der moralischen Güte, durch das, was anständig
und zweckmäsig ist, uns zu diesen ursprüngli
chen Bestimmungen führen. Die zweckmäsige
Beschaffenheit der Mittel oder der mittelbaren Ab
sichten beweiset nicht, daß sie gut sind, wenn nicht
der letzte Endzweck gut ist. Die zweckmäsige Be
Abschnitt.
schaffenheit eines Endzwecks, welcher wirklich der lezte
ist, ist ein lächerlicher Ausdruck. Da er sich auf
nichts weiter bezieht: so kan er auch zu nichts wei
ter bestimmt seyn. Alle lezten Absichten werden
durch einige ursprüngliche Bestimmungen unsrer
Natur festgesezt.
*
Es ist vergebens, die Unterweisung,
hung
griffe, als den Ursprung des moralischen Beyfalls,
anzuführen. Da uns diese keine neuen Empfin
dungen geben können: so lasst uns untersuchen,
welches die Meinung oder der Begrif sey, auf wel
chen unser Beyfall sich gründet, und zu welcher
Begrif zusammengesetzet worden, oder welches die
Ursachen gewesen sind, welche uns auf die Mei
nung gebracht, daß eine solche Eigenschaft der
Handlung wesentlich, oder mit derselben verknüpft
sey; und dieses wird uns zu der ersten Quelle
führen.
IV. Es liegt also, wie ein jeder, bey einermorali
sches Ge
fühl.
*
Eine umständliche Un
tersuchung dieser Beschaf
fenheiten würde uns von
unserm gegenwärtigen Vor
haben zu weit entfernen.
Wir müssen uns dahero
auf die Erklärungen des
moralischen Gefühls be
In beseelten Geschöpfen andrer Art findet
sich ein angebohrner Trieb zu den Handlungen, die
ihnen eigen sind, und sie empfinden die grösste Lust
in der Befriedigung desselben, wenn sie auch mit
Arbeit und
annehmen, daß die Menschen von solchen ursprüng
lichen Trieben leer sind? Da die Thiere, über die
Abschnitt.
als über ihre eigenen, nachzusinnen scheinen: so
können sie blos die gegenwärtige Lust, welche die
Befriedigung ihrer Triebe begleitet, empfinden.
Aber in den Menschen, welche ihre eigenen Neigun
gen und Handlungen, zu Gegenständen ihrer Be
trachtung machen können, lässt uns die Analogie
der Natur erwarten, daß sie dieselben eben sowohl,
als andre Gegenstände, empfinden und daran Ver
gnügen haben müssen. Wir scheinen für jede unsrer
Kräfte ein ihr angemessenes Gefühl, einen urthei
lenden
für den jede Kraft bestimmt ist, der handelnden
Person empfiehlt, und sie veranlasst, diesen Ge
brauch an andern zu billigen und hochzuschätzen.
Wir bemerken dieses bey den Kräften, zu reden, nach
zuahmen, nach einem Plan und mit Kunst zu ar
beiten, uns zu bewegen, zu denken; hier ist ein
fühl
dieser Kräfte wahrnimmt, und empfiehlt. Es
würde ein Uebelstand in der Einrichtung unsrer
Natur seyn, wenn, wir für Kräfte und Handlun
gen von noch grösserer Wichtigkeit kein solches Ge
fühl hätten; wenn Geschöpfe, deren jedes von Na
tur, in Absicht auf seine Nebengeschöpfe, einander
sehr entgegengesetzter Neigungen und daraus flies
sender Handlungen fähig ist, deren jedes mit ihnen
in beständiger Gemeinschaft seyn mus, und wegen
seiner Erhaltung von ihnen abhängt; wenn diese
Geschöpfe keinen unmittelbaren Wohlgefallen an
solchen Neigungen und Handlungen empfänden,
welche der Vortheil des ganzen Systems nothwen
dig macht. Soll ein unmittelbares Gefühl den Erstes
Buch.
wahren Gebrauch der untern Kräfte empfehlen;
und wollen wir dem ungeachtet keine natürliche
Empfindung für den Gebrauch der obern Kräfte
annehmen?
V. Das
einige andere unserer unmittelbaren empfindenden
Kräfte einer Ausbildung und Verbesserung fähig,
ohne daß wir eine Beziehung auf eine höhere
Kraft der
zugeschrieben werden müsten, voraussetzen dür
fen. Wir hatten ehemals an einfachen, kunstlosen
und gemeinen Melodien Vergnügen. Wir giengen
in der
mischtere Compositionen. Wir finden darinnen ein
grösseres Vergnügen, und fangen an das zu verach
ten, was uns vormals gefiel. Von den Regun
gen des
manche Verbrecher auf freyen Fus. Wir billigen
sein weiches empfindliches Herz. Aber wir finden,
daß Gewalt und Beleidigungen überhand nehmen;
der Genügsame, der Gerechte, der Arbeitsame wird
gedrückt und beunruhigt, und ist unsicher. Ei
ne Betrachtung von grösserm Umfange, die Be
trachtung des öffentlichen Vortheils, lehrt uns,
daß gewisse Arten von Mitleiden von schlimmern
und unglücklichern Folgen sind, als eine strenge
Vollziehung der Gerechtigkeit. Das Mitleiden, an
sich selbst, entstellt niemals; aber eine Neigung von ei
nem weitern Umfange, die
der Eifer, die allgemeine
ist von einem höhern Adel, und der Mangel
Abschnitt.
dieser Triebe entstellt einen
lein beweiset, was wir gegenwärtig behaupten, daß
es nämlich unter den verschiedenen gebilligten Nei
gungen viele Grade giebt; immer sind einige vor
treflicher, als andre. Wir bringen also die Unregel
mäsigkeiten, welche in diesem moralischen Gefühl
vorkommen, eben so in Ordnung, wie wir unsre
Vernunft selbst verbessern. Gleichwie wir einen
übeln Geschmack in der Harmonie, durch die Ge
wöhnung des Ohrs an feinere Zusammenstimmun
gen; in der
nerer Werke, welche ein höheres Vergnügen brin
gen, ändern und verbessern können: also machen
wir unser moralisches Gefühl
vollkommener,
wenn wir unsrer Seele grössere Systemen, und
Neigungen, von weiterm Umfange, gegen dieselben,
vorstellen. Auf diese Art werden dem moralischen
Gefühl seine Gegenstände zugebracht, welchen es auch
alsdenn Beyfall ertheilen wird, wenn diese Neigun
gen der Wirkung eingeschränkterer Neigungen, die,
an sich selbst betrachtet, wirklich gut und rühmlich
sind, entgegen seyn sollten. Hier ist keine Bezie
hung auf eine höhere Kraft der
auf die Vernunft nöthig.
Jrret nicht auch selbst unsre Vernunft oft
mals, wenn sie aus einer unvollkommenen und par
teyischen Gewisheit übereilte Folgerungen zieht?
Mus hier eine höhere Kraft seyn, unsre
auf den rechten Weg zu weisen? Nein; wenn
wir uns die Gründe von beyden Seiten, vermittelst
einer anhaltenden Aufmerksamkeit und der vorsichErstes
Buch.
tigsten Anwendung der Kraft zu schliessen, vollkom
men deutlich vorstellen: so wird unser übereiltes
Urtheil verbessert. Eben so ist es mit den morali
schen Empfindungen beschaffen.
VI. Dieses moralische Gefühl hat, vermöge
seiner Natur, die Bestimmung, alle unsre Kräfte
in Ordnung und in Schranken zu erhalten. Die
ser Würde, dieser gebietenden
sobald unmittelbar bewust, als wir uns des Gefühls
selbst bewust werden. Man kan von unmittelba
ren Empfindungen, keine andern Beweise führen,
als daß wir uns auf unsere Herzen berufen.
*
Dieses Gefühl lässt uns nicht glauben, daß das
Vortheilen, die uns andere
dem Grade nach unterschieden und übrigens von
gleicher Art sey, so, daß es uns erlauben sollte, ge
ringere moralische Uebel, welche immer Uebel blei
ben werden, in der Absicht auszuüben, um dadurch
einige grosse Vortheile anderer Art zu erlangen;
oder dasjenige, was wir, in dem gegenwärtigem
Falle, für unsre Pflicht, oder für moralisch gut ach
ten, in der Absicht zu unterlassen, damit wir grosse
Uebel einer andern Art abwenden mögen. Son
dern gleichwie wir den Unterschied der Arten un
mittelbar wahrnehmen, gleichwie wir unmittelbar
empfinden, daß die Vergnügungen, welche aus der
*
Bonum boc de quo agi-
gnitudine. -- Alia est aesti-
matio virtutis, quue genere,
non crescendo valet.
Cicero de Fin. L. III. c. 10.
Bey allen andern angenehmen Empfindun
gen wird uns unser Zustand desto weniger gefallen, je
mehr wir geringere Vergnügungen andern, die grösser
sind, aufopfern müssen: und unsre Empfindung des
grössern wird, so bald die erste flüchtige Freude über
die glückliche Erlangung desselben vorbey ist, durch
alle Opfer, die wir ihm gemacht haben, nicht um
das mindeste vermehret; ja in dem Urtheil der Zu
schauer wird, in dieser Betrachtung, das grössere
Vergnügen, oder wenigstens unser Zustand, für
desto geringer angesehen, und unser Verhalten um
desto weniger gebilliget. Wenn wir also Ruhe,
Gesundheit, oder Vergnügen, dem Reichthum,
dem Ansehn, oder auch den schönen Künsten auf
opfern: so gewinnen diese Vergnügungen dadurch
keine Würde; und das Verhalten hat für andere
keine mehrere Reitzungen. Aber bey dem morali
schen Guten wird die sittliche Vortreflichkeit durch
die Grösse des Opfers, welches ihr nothwendig ge
macht werden muste, erhöhet. Sie wird von der
handelnden Person selbst mehr gebilligt, von den
Zuschauern mehr bewundert, und um so viel mehr zur
nicht nur das Herz mit sich selbst zufrieden, wenn
es ein jedes anderes Vergnügen dem moralischen Erstes
Buch.
Guten aufgeopfert hat; sondern es empfindet auch
die höchste mit Beyfall verknüpfte innere Freude
über ihre Fähigkeit, so zu handeln. Dieses zeigt
deutlich genug, daß dieses moralische Gefühl be
stimmt ist, über alle andere Kräfte zu gebieten.
VII. Lasst uns nunmehro die verschiedenen
Kräfte oder Fähigkeiten erwägen, welche dieses Ge
fühl billigt oder misbilligt. Es ist klar, daß die
ersten Gegenstände desselben die Neigungen des
Willens sind, und daß die verschiedenen Neigun
gen, welche gebilligt werden, ob sie gleich, den Gra
den nach, einander sehr unähnlich sind, dennoch alle
in der allgemeinen Bestimmung übereinkommen,
daß sie auf die
moralische
sitzerin ist, abzielen. Keine
auch wirklich der
werden mit dem Beyfall, welcher für die Tugend
bestimmt ist, beschenkt, wenn sie das Ansehn haben,
daß sie aus keiner innern Wohlgewogenheit gegen
eine Person herfliessen, noch sich auf solche Fähig
keiten gründen, welche in der handelnden Person
eine Wohlgewogenheit natürlicher Weise voraus
setzen, oder wenigstens die Betrachtung des blosen
Eigennutzes ausschliessen. Die Bestrebungen
nach
kunft, wenn man sie bey Handlungen, die wirklich
andern den grössten Nutzen verschaffen, als die ein
zigen Bewegungsgründe der handelnden Person,
ohne
Vortreflichkeiten, ohne Dankbarkeit gegen ihn, und
Abschnitt.
ohne Wohlgewogenheit gegen die Menschen vor
aussetzet, werden den Ruhm guter moralischer Nei
gungen nicht erhalten. Und doch kan eine feste Ue
berzeugung, daß wir,, vermöge der
glücklich werden sollen, eine beständige und wirksa
me Ursache solcher Handlungen, oder ein Bewe
gungsgrund zu denselben seyn. Aber ein bloses
Verlangen nach eigener Glückseligkeit, ohne alle
Liebe gegen Gott oder die Menschen, ist niemals der
Gegenstand des Beyfalls. Eben dieses beweiset,
wie sehr der moralische Beyfall von der Ueberzeu
gung unterschieden sey, daß die Handlungen zu dem
Vortheil desjenigen, der sie billigt, abzielen, weil
er von einer solchen beständigen eigennützigen Ge
neigtheit, Handlungen zu unternehmen, mit wel
chen wirklich das Beste anderer verknüpft ist, eben
so grosse Vortheile hoffen kan, als von irgend einer
liebreichen Zuneigung.
Daß einige Arten von gemeinnützigen Nei
aus der Er
fahrung ge
wis.
gungen, oder einige Fähigkeiten, die mit ihnen ver
bunden zu seyn scheinen, die natürlichen Gegenstän
de des Beyfalls sind; und daß die entgegengesezten
Neigungen, oder der Mangel liebreicher Gesinnun
gen die Gegenstände der Verachtung ausmachen,
wird leicht einzusehen seyn, wenn wir auf die
Gründe merken, aus welchen wir die
ten
zu tadeln, zu billigen oder zu misbilligen gewohnt
sind. Bey allem, was wir loben oder wider einen
Tadel retten wollen, pflegen wir der handelnden Erstes
Buch.
Person eine liebreiche oder gutthätige Absicht, oder
einen wohlgemeinten Vorsatz zuzuschreiben. Wenn
durch ein Unternehmen andern ein Nachtheil zuge
zogen wird, welchen die handelnde Person entweder
zur Absicht gehabt, oder vorhergesehen hat, oder
der doch, wenn sie auf den Vortheil anderer eine
zusehen gewesen wäre: so wird dieses Unternehmen
für den Beweis eines
gennützigen
wogenheit und Menschenliebe überwältigen, an
gesehen.
VIII. Es ist offenbar, daß die Gegenstände
unsers Beyfalls und unsrer Verachtung, stufen
weise, von den gleichgültigen Handlungen entwe
der bis zu der höchsten
auf eben die Art, bis zu dem tiefsten
sinken. Es ist schwer, die verschiedenen Zwischen
stufen, in der gehörigen Ordnung, genau anzuge
ben; aber die höchste und niedrigste ist leicht wahr
zunehmen. Die gleichgültigen Neigungen und
Handlungen sind diejenigen, welche, auf unschuldi
ge Vortheile der handelnden Person, abzielen, und
wodurch zwar der
zogen wird, die aber doch auf das Beste anderer gar
nicht gerichtet sind. Hierunter gehöret die nothwen
dige und mässige Befriedigung des Hungers und
Durstes und andre solche geringe Handlungen. Die
verschiedenen Stufen zu erklären, müssen wir, wie wir
bereits oben berührt haben, bemerken, daß, ausser
dem moralischen Beyfall, welchen die Tugend er
Abschnitt.
hält, noch ein anderes Gefühl in uns vorhanden
ist, welches uns in vielen Gesinnungen und Hand
lungen, die wir nicht für tugendhaft erkennen, eine
gewisse Würde und Anständigkeit wahrnehmen lässt.
Daher kömt es, daß wir den Uebungen in schönen
und der leichten und ungezwungenen
desselben, einen höhern Werth beylegen, als der
blosen thierischen
es, daß wir in andern einen geschäftigten
ne anhaltende Arbeitsamkeit, Ueberlegung und Vor
sicht, und eine besondere Geschicklichkeit in Verrich
tungen, wenn sie nicht zur Beleidigung anderer,
obwohl ausserdem blos zur Beförderung des eige
nen Vortheils, in Absicht auf Reichthum und Eh
re, angewendet werden, allemal höher schätzen, als
eine schläfrige unthätige Trägheit.
Das ruhige Verlangen nach eigenem Vor
ten, die we
der als La
ster verwor
fen, noch
als Tugen
den gebilli
get werden.
theil wird keinesweges als ein Laster verwor
fen, ob es gleich nicht für eine Tugend angese
hen wird. Keine von den wirklich natürlichen
und eigennützigen
werden, an sich selbst, als übel verworfen, wenn
sie in gewissen Schranken bleiben; ungeachtet die
handelnde Person sie auf keinen öffentlichen Vor
theil richtet. Es war für das gemeine Beste noth
wendig, daß den Menschen solche Neigungen einge
pflanzt wurden, und es würde der
gen gewesen seyn, wenn dieselben, auch so lange sie
unschädlich bleiben, in die Reihe der verwerflichen Erstes
Buch.
Neigungen gesezt worden wären. Da also diese
eigennützigen Neigungen auf einen Endzweck ab
zielen, der für das allgemeine Beste, das heisst, für
das Beste einer jeden einzelnen Person, nothwen
dig ist, und da die Fähigkeiten, dieselben zu befrie
digen, Kräfte sind, welche als sehr nützliche Gehül
finnen der grosmüthigsten und gemeinnützigsten
Neigungen angewendet werden können: so hat sich
die
darinnen geäussert, daß er uns zu der Uebung dieser
Kräfte geneigt geschaffen und ein unmittelbares
Wohlgefallen an denselben, so oft wir sie an uns
selbst oder an andern wahrnehmen, in uns gelegt
hat; ob gleich dieses Wohlgefallen von dem mora
lischen Beyfall ganz und gar unterschieden ist.
Wir haben alle von der Einrichtung der
hältnis der Neigungen, welches zu einem untadel
haften
wustseyn und die
Die eigennützigen Neigungen werden alsdenn ge
misbilligt, wenn wir sehen, daß sie dieses untadel
hafte Verhältnis aufheben, die liebreichen Neigun
gen ausschliessen und überwältigen, die ganze
mit Entschlüssen, die ihren eigenen Vortheil zum
Zweck haben, ausfüllen, und verursachen, daß die
handelnde Person den grosmüthigen Neigungen,
welche sie, ihrem Zustand gemäs, hätte ausüben
können, sich nicht überlassen kan.
IX. Es giebt noch eine andere Art von Eigen
schaften und Fähigkeiten einer feinern Natur, wel
Abschnitt.
che zwar von der ruhigen allgemeinen Wohlgewo
nige Eigen
schaften und
Fähigkeiten,
die von den
liebreichen
Neigungen
unterschieden
sind.
genheit und von den besondern liebreichen Neigun
gen unterschieden sind; die aber dem ungeachtet
mit diesen Neigungen in einer natürlichen Ver
wandschaft stehen, natürliche Beweise derselben
sind, und die höchste Art von Selbstliebe und Sinn
lichkeit nicht neben sich leiden. Diese scheinen un
mittelbare Gegenstände des moralischen Gefühls,
Ich weis nicht, ob Cicero hiervon eine rich
Aber unter allen solchen Fähigkeiten und Ei
nach der mo
ralischen
Vortreflich
keit.
genschaften unsrer
Neigungen unterschieden sind, ist keine so nahe mit
ihnen verwandt, keine ein so natürlicher Beweis
derselben, keine leistet ihnen einen so unmittelba
ren und nothwendigen Beystand, als ein geübtes und
erhöhetes moralisches Gefühl selbst, ein inniges Ver
langen nach der
einem hohen Wohlgefallen an derselben, so oft sie
wahrgenommen wird. Die Kraft oder das Ge
fühl selbst nennen wir nicht tugendhaft: aber, wo
dasselbe in einem hohen Grad anzutreffen ist, da
erregt es natürlicher Weise ein heftiges Verlangen,
alle liebreiche Neigungen zu besitzen. Es übersteigt
alle kleine Hindernisse, welche ihm in den Weg ge
legt werden, und veranlasst die Seele, daß sie alle
natürliche Mittel anwendet, sie zu erwecken. Da
nun die nachsinnende
dem Gegenstand ihrer Betrachtung machen kan:
so erhält dieses hohe Gefühl der moralischen Vor
treflichkeit, vor allen andern Eigenschaften, einen
vorzüglichen Beyfall. Und das daher entstehende
Verlangen nach der moralischen Vortreflichkeit, die
daraus fliessende innige
Wohlgewogenheit gegen Personen, welche dieselbe
besitzen, werden als die liebenswürdigsten Neigun
gen und die höchsten Tugenden unmittelbar ge
billigt.
X. Nachdem wir diese Betrachtungen vor
die Grade
angeführt.
ausgeschicket haben: so wollen wir folgende Grade
des Beyfalls bemerken, welchen wir Gegenständen,
die nicht blos gleichgültig sind, ertheilen.
1. Man kan zuerst die Anwendung der
männlichen Kräfte, welche zwar in keiner natürli
chen und nothwendigen Verbindung mit der Tu
gend stehen, die doch aber über
Eigennutz erhaben sind, als den Gegenstand einer
Art von Hochachtung und Wohlgefallen anführen.
Dergleichen sind die Uebungen in den schönen
sten
und die Beschäftigung mit tiefsinnigen
ten
diesen Vergnügungen wahr, und mus das Verlan
gen nach ihnen billigen; und sie sind wirklich der
Tugend und dem allgemeinen Vortheil weit weni
ger entgegen gesezt, als die heftigen Neigungen und
Begierden einer niedern Art.
2. Es ist unterdessen klar, daß unser mora
lisches Gefühl solchen Eigenschaften und Fähigkei
ten, welche mit tugendhaften Neigungen unmittel
bar verknüpft sind, und welche die verächtliche
Selbstliebe ausschliessen, einen weit grössern Werth
beylegt. So werden Aufrichtigkeit, Wahrhaftig
keit, Tapferkeit, und ein starkes Gefühl der
bey Bestimmung eines moralischen Preises, über
andre Fähigkeiten hinweggesezt.
3. Um aber auf die unmittelbarern Gegen
stände des moralischen Beyfalls, die liebreichen
Neigungen selbst, zu kommen: so ist es gewis, daß,
unter Neigungen von gleichem Umfange, die ruhi
gen und überlegten Bestrebungen des Herzens von
uns mehr Beyfall erhalten, als die unruhigen Leiden
schaften; und daß wir wiederum, unter den ruhigen
Abschnitt.
Neigungen, diejenigen, welche von grösserm Umfange
sind, mehr billigen, als die eingeschränktern. So ist
eine gesezte eheliche und verwandschaftliche
oder der ruhige überlegte Vorsatz, die wahre
seligkeit
Bande der Ehe und Verwandschaft verknüpft sind,
zu befördern, den unruhigen zärtlichen
ten
oder gegen ein Land, ist schätzbarer, als die Neigun
gen, welche sich blos auf unsre Familie beziehen.
Wir können die vorzügliche Würde, welche sich in
diesen Fällen äussert, daran erkennen, daß, wenn
wir des Kampfes in unsrer Brust, und des Wider
stands der unruhigen und eingeschränktern Nei
gungen ungeachtet, den ruhigen Neigungen und
solchen, die von grösserm Umfange sind, standhaft
folgen; daß alsdenn die
einer tiefen Stille, und bey ihren ruhigsten Ueber
legungen, ihrem eigenen Verhalten Beyfall giebt,
und kaum jemals unterlassen wird, ein gleiches Ver
halten an andern zu billigen; wenn in diesem lez
tern Falle ihre Leidenschaften keinen Aufruhr und
Widerstand erregen. Wenn wir uns im Gegen
theil, der ruhigen und allgemeinern Neigung zuwi
der, einer Leidenschaft oder eingeschränktern Nei
gung überlassen haben, und die Seele zur Ueberle
gung zurück kehrt: so ist sie unwillig über sich selbst,
und sie misbilligt gleich beym ersten Anblick ein
gleiches Verhalten an andern.
Die vortreflichste
Vortreflich
keit;
jenige, welche, ihrer Natur nach, sich den höchsten Erstes
Buch.
Wohlwol
len.
änderliche, allgemeine Geneigtheit gegen das ganze
System, oder die Wohlgewogenheit im weitesten
Umfange. Und dieses scheint der unterscheidende
Begrif zu seyn, welchen wir uns von der morali
schen Vortreflichkeit der
Eine andre Bestimmung, welche in den Men
schen und wahrscheinlicher Weise in allen Wesen,
die so allgemeiner Neigungen fähig sind, die vor
hererwähnte unzertrennlich begleitet, ist das Wohl
gefallen an dieser allgemeinen Wohlgewogenheit
und ein daraus herfliessendes Verlangen nach die
ser moralischen Vortreflichkeit, nebst einer Ach
tung und einem Wohlwollen, von höherer Art,
gegen alle, in welchen dieselbe angetroffen wird.
Diese
falls ein hoher Gegenstand des Beyfalls, wenn
wir dieselbe, vermittelst des Nachdenkens, in uns
finden, oder in andern wahrnehmen. Sie ist ei
ne, von der Wohlgewogenheit oder dem Verlan
gen, andere glücklich zu wissen, ganz und gar
terschiedenc
re Reihe von Neigungen, so, daß nicht wohl zu be
stimmen ist, ob sie mit der andern verglichen wer
den kan. Sie scheint mit ihr verwandt, und in
ihrer Art die höchste zu seyn, die nur möglich ist.
Sie ist niemals eine Widersacherin der Wohlge
wogenheit, sie ist eine Bundsgenossin und Gehülfin
derselben. Dieses Verlangen nach der morali
schen Vortreflichkeit, diese Liebe gegen den
welcher sie besizt, und die daraus herfliessenden Em
Abschnitt.
pfindungen von Achtung, Verehrung, und Ver
trauen, machen das Wesentliche der wahren Got
tesfurcht aus.
Wir reden niemals von einer Wohlgewogen
heit gegen Gott, weil dieses Wort anzeigt, daß
man in dem Gegenstand ein Bedürfnis oder den
Mangel eines Gutes voraussetzet. Gleichwie wir
aber gegen einen Freund Wohlgewogenheit em
pfinden, wenn er unsers Beystands benöthigt ist:
also wird eben diese Regung der Seele, eben diese
Gesinnung gegen ihn, noch übrig bleiben, wenn er
zu dem glücklichsten Zustande, den wir nur wün
schen können, gelanget ist; und alsdenn äussert sich
dieselbe in der Freude über seine
wir mit ihm zugleich fühlen. Auf diese Art kön
nen unsre Seelen, ohne alle Voraussetzung eines
Bedürfnisses, in der
innern Freude und Ergötzung an ihrer unum
schränkten und unwandelbaren Glückseligkeit, ein
genommen seyn.
XI. Es ist leicht zu bemerken, daß, von dem
des Lasters.
gleichgültigen Zustande der Seele an, durch die
verschiedenen Grade der moralischen Schändlichkeit
hindurch, ein gleicher Unterschied anzutreffen ist.
Der erste Grad derselben ist der Mangel der löbli
chern Fähigkeiten und Eigenschaften, welcher wirk
lich keine übeln Neigungen einschliesst, und einen
achtungswürdig macht. So misfällt uns das un
vernünftige Verhalten eines Mannes, blos in Ab
sicht auf seinen eigenen Vortheil, ohne an einen Erstes
Buch.
Nachtheil zu gedenken, der für die
daraus entstehen könte. So erregen Unachtsam
keit, Leichtsinn, Faulheit, Trägheit, ein natürliches
Misfallen, ohne daß wir auf ihre Wirkungen in
der
Seele, die gegen das männlichere Vergnügen,
welches
ren, unempfindlich ist. Wenn ein Verhalten, das,
in Absicht auf den eigenen Vortheil, unvernünftig
ist, auch auf den öffentlichen einen nachtheiligen
Einflus hat, oder, ausser der handelnden Person,
noch einige andre Personen betrift, deren Vortheil
dieselbe hätte in Betrachtung ziehen sollen: alsdenn
verdient dieses Verhalten einen höhern Grad der
moralischen Verwerfung. Die Schwäche der Ta
lente und Fähigkeiten, welche eine Frucht der Träg
heit und
müthigen Neigungen haben ein gleiches Schicksal
zu gewarten.
1. Die Gegenstände des gelindesten mora
lischen Misfallens oder Tadels sind die Fälle, wenn
man, bey Befriedigung einer anständigen einge
schränktern Neigung, dasjenige aus der Acht ge
lassen hat, was das allgemeine Beste mehr beför
dert haben würde. Ein solcher Fall komt vor,
wenn man, bey Besetzung einer Bedienung, einen
guten
Person vorzieht, welche mehr Verdienste und Ge
schicklichkeit besitzt. Wenn jemand bey einer sol
chen Gelegenheit sich selbst einem Freunde von ge
ringern Verdiensten nachsetzet: so kan dieses wirk
Abschnitt.
lich für einen Mangel eines gehörigen Verhält
nisses unter diesen anständigen Neigungen angese
hen werden, da auf diese Art die eingeschränktere
einer andern von weiterm Umfange vorgezogen
wird. Allein die moralische
geschränkten Neigungen ist so gros, daß wir einige
Mängel, in andern von grösserm Umfange, willig
übersehen. Ein ähnlicher Fall ist es, wenn je
mand einem Freunde Dienste leistet, die ihm so
viel Unruhe und Verlust kosten, daß sie den Werth
des Guten, welches er seinem Freunde verschaft,
weit übersteigen, und ihn vielleicht zu einigen künf
tigen wichtigern Gefälligkeiten unfähig machen.
Wenn aber jemand einen Freund von gleichen Ver
diensten sich selbst vorzieht; so wird das gemeine
Beste dadurch eben sowohl befördert, und überdie
ses eine liebenswürdige Neigung der
befriedigt. Und doch kan das entgegengesetzte
Verhalten, wenn nicht ganz besondere Umstände
einem Freund das Wort reden, nicht als unmora
lisch gemisbilliget werden.
2. Andere Gegenstände eines geringern Ta
dels sind die dem gemeinen Besten nachtheiligen
Handlungen, welche eine Person zu unternehmen
genöthiget wird, um dadurch dem Tod, der Mar
ter oder der Sclaverey zu entgehen; wenn auch
der gemeine Nachtheil grösser seyn sollte, als die Uebel,
welche diese Person vermeidet. In diesem Falle
kan die handelnde Person keine übeln Gesinnungen
haben; ja, sie kan grosmüthige Neigungen besitzen,
ob sie gleich nicht von der heroischen Stärke sind, Erstes
Buch.
welche das moralische Gefühl empfehlen würde.
Die Schuld wird durch die Grösse der Versuchung,
welcher zu widerstehen wenige Muth genug haben,
ausserordentlich vermindert. Zu einen untadel
haften
wesenheit aller boshaften Verfassungen des
müths
solche, die von einem grossen Umfange sind; nebst
einer Sorgfalt für die Vortheile anderer. Der ei
gentliche Grad ist nicht so genau zu bestimmen; es
ist auch dieses nicht nothwendig. Je stärker die
grosmüthigen Neigungen sind, und je grösser ihr
Umfang ist, desto besser ist die Gemüthsbeschaffen
heit; je schwächer sie sind, und je mehr die entge
gengesezten und eingeschränktern die Oberhand be
halten, desto schlimmer ist die Verfassung des Ge
müths. Es ist unsre Pflicht, nach der höchsten
blos damit zufrieden zu seyn, daß wir Unehre und
Tadel vermeiden.
3. Ein andrer Grad des
plötzlichen Gemüthsbewegungen des Zorns, der Ahn
dung und des Unwillens bey Veranlassungen, die
wir entweder in einem ganz falschen Gesichtspuncte
betrachten, oder ohne alle gegründete Ursachen uns
selbst vergrössern. Wenn diese
Beleidigungen Anlas geben: so sind sie lasterhaft,
obgleich nicht im höchsten Grade; wenn sie aber
durch lange Nachsicht, sich in eine immerwährende
gier verwandeln: so machen sie den hassenswürdig
sten Character aus.
4. Eine Art von häslichern Lastern ist,
wenn sich die Menschen von eigennützigen Leiden
schaften und sinnlichen
leidigungen verleiten lassen. Dieses sind schlim
mere und schwächere Entschuldigungen eines Ver
gehens, als die
Rachgier.
5. Noch verabscheuenswürdiger sind die Be
leidigungen, welche aus einem ruhigen Triebe nach
eigenem Vortheil, mit überlegtem Vorsatz und in
der Ueberzeugung, daß es Beleidigungen sind, an
dern zugefügt werden. In diesen Fällen mus das
moralische Gefühl ganz überwältigt und seiner na
türlichen Macht in der Seele beraubt seyn; alle
Menschenliebe mus unterliegen. Ein ähnlicher
Fall ist es, wenn die Menschen, aus blosem Eigen
nutz, ohne alle unruhige Versuchung, ohne alle
Absicht auf das gemeine Beste, ihren moralischen
heit, Betrug und Undankbarkeit, eine niederträch
tige Furcht vor dem Verlust einiger Vortheils,
welcher keine solche Uebel nach sich zieht, die einen
rechtschaffenen Mann beunruhigen dürften, die
Triebfedern ihrer Unternehmungen sind.
6. In diese
abscheuenswürdigere, gehöret die
der Mangel der gebührenden Neigungen gegen
kommen gutes Wesen sey. Unser moralisches Ge
fühl mus im tiefsten Schlummer liegen, wenn das
Verlangen ermangelt, die höchste Vortreflichkeit zu Erstes
Buch.
kennen, und, wenn man sie kennt, sie zu lieben;
oder wenn man sich nicht bemühet, ehrfurchtsvolle
Regungen der Dankbarkeit für die grössten Wohl
thaten, die wir empfangen haben, und die jeden Au
genblick wiederholet werden, zu unterhalten.
Eine abscheulichere Gemüthsart, die sich zwar
überhaupt denken lässt, die aber bey dem menschli
chen Geschlechte oder bey Geschöpfen einer gütigen
ständige, ursprüngliche
gen, andere elend zu sehen, ohne von der Betrach
tung des Eigennutzes dazu bewogen zu werden.
XII. Ein Geschöpf, in welchem eine solche
Verschiedenheit von empfindenden Kräften, und
von Begierden, die einander so oft entgegen sind,
angetroffen wird, müste eine Zusammensetzung,
ohne
zu seyn scheinen; wenn das moralische Gefühl nicht
in genaue Betrachtung gezogen würde. Vermit
telst desselben sind alle Kräfte und Begierden einer
Harmonie fähig; sie können alle, bey einem Ziele,
zusammen treffen, und alle in Eintracht neben ein
ander bestehen. Es ist schon bewiesen, daß wir
verschiedener grosmüthiger Neigungen fähig sind,
welche das Beste anderer zum lezten Gegenstand
haben, und weder aus der Betrachtung eines Ei
gennutzes entstehen, noch auf die Erreichung eines
eigenen Vortheils abzielen. Das moralische Ge
fühl zeigt deutlich, daß wir auch einer ruhigen all
gemeinen Wohlgewogenheit fähig sind, und daß
diese, als die höchste grosmüthige Bestimmung, zur
Abschnitt.
Regentin unsrer besondern gemeinnützigen und ei
gennützigen Neigungen versehen sey. Die
mus, in den ruhigen Stunden der Ueberlegung, sich
selbst den innigsten Beyfall geben, wenn sie auf die
se Art handelt. In Ansehung der Neigungen, die
auf uns selbst gerichtet sind, hält unsre Selbstliebe,
oder unsre ruhige Betrachtung des grössten eigenen
Vortheils, unsre besonderen eigennützigen Leiden
schaften zurück, und die Seele ist über sich vergnügt,
wenn sie auf diese Art handelt.
Wenn man zugiebt, daß die verschiedenen
Selbstliebe
ist nicht der
höchste
Grundtrieb.
grosmüthigen Neigungen einer eingeschränkteren
Art, natürlich sind; und doch behauptet, daß kein
allgemeiner Grundtrieb vorhanden sey, als die
Selbstliebe, welche den grosmüthigen Neigungen
nachgiebt, oder ihnen Einhalt thut, nachdem sie
unsern eigenen grössten Vortheil befördern oder hin
dern; welche zuweilen diesen liebreichen Neigungen
in Absicht auf das hohe Vergnügen, das wir von
der Befriedigung derselben erwarten, ihre völlige
zen setzt, wenn ihre Belustigung den Verlust,
welchen wir dadurch befürchten, nicht überwieget:
so ist dieses ein System, welches wirklich unter
allen Kräften der Seele, durch die Voraussetzung,
daß wir dieselbe bey unsern Ueberlegungen, wie un
ser Verhalten einzurichten sey, alle auf das Ver
langen nach unsrer eignen
eine gewisse Eintracht stiftet; und man kan mit
Recht behaupten, daß der Urheber der
schen der Befriedigung unsrer grosmüthigen NeiErstes
Buch.
gungen und unserm eigenen höchsten Vortheil, eine
entfernte Verknüpfung gemacht habe. Allein die
die
welches dem ungeachtet einige vortrefliche Schrift
steller und eifrige Vertheidiger der Sache der Tu
gend angenommen zu haben scheinen.
Diese Verknüpfung unsers eigenen höchsten Vor
theils mit der Befriedigung unsrer grosmüthigen Nei
gungen ist, in vielen Fällen, der liebreichen Seele
unmerkbar, und sie handelt nach ihren grosmüthi
gen Triebe, ohne an ihren eigenen Vortheil zu den
ken. Ja, sie nimmt zuweilen wahr, daß ihr gan
zer eigener Vortheil der grosmüthigen Neigung, die
sie befriedigen will, entgegen sey, und neben ihr
nicht bestehen könne. Wenn keine andre ruhige
ursprüngliche Bestimmung in unsrer Seele wäre,
als der Trieb nach unsern eigenen Vortheil: so wür
de sich derjenige den vollkommensten Beyfall zu
versprechen haben, welcher nur seine eigene
seligkeit
gemeinen Besten zuwider, beständig beförderte.
Das, was die einzige ruhige Bestimmung ist, mus
jede Handlung, die aus ihr fliesst, rechtfertigen,
wenn sie auch den besondern liebreichen Neigungen
noch so sehr entgegen wäre. Wenn man sagen
wollte: „es sey ein Jrrthum, wenn man sich ein
bilde, daß unser Vortheil denselben entgegen sey,
so lange es eine gütige
man zugeben, daß es ein Jrrthum sey; dieses ist
blos ein Fehler des Verstandes. Allein die Ver
Abschnitt.
fassung des Herzens, welches den Vortheil des
Ganzen seinem eigenen Vortheil, mit Vorsatz auf
opfert, müste nach diesem System, einen morali
schen Beyfall erhalten. Dieses aber ist den Em
pfindungen unsers Herzens offenbar zuwider.
Kan dieses die einzige lezte Bestimmung, der
lezte Bestim
mung des
Willens in
Absicht auf
das gemeine
Beste.
einzige lezte Endzweck seyn, welchem die Seele, bey
Ausübung ihrer edelsten Kräfte, mit einem innern
Beyfall, vorsätzlich entgegen zu handeln sich ent
schliessen kan? Hat man keine Beyspiele von Men
schen, welche, ohne an einen künftigen Zustand zu
denken, ihr Leben, zum Besten ihrer Freunde oder
ihres Vaterlandes, willig aufgeopfert haben? Wird
nicht diese Gemüthsart und dieses Verhalten von
einem jeden Herzen gebilliget und desto mehr bewun
dert, je weniger man muthmassen kan, daß die Lie
be der
Eigennutz sich unter die grosmüthigen Neigungen
gemischt habe? Nimmt nicht die
desto mehr zu, wenn solche Entschliessungen, mit
Ueberlegung, gefasset und ausgeführet werden? Al
les dieses ist ganz unstreitig wahr; und dennoch
würde dieses alles seltsam und unmöglich seyn,
woferne der Eigennutz der einzige lezte Endzweck
eines jeden ruhigen Verlangens seyn sollte. Es
ist dahero eine andre lezte Bestimmung vorhan
den, deren unsre Seelen fähig sind, und welche
bestimmt ist, die ursprüngliche Quelle der ruhig
sten und überlegtesten Handlungen zu seyn; ein
Verlangen, andre glücklich zu machen, eine lezte
Wohlgewogenheit, welche auf keinen eigenen Erstes
Buch.
Vortheil sich bezieht, und oft, ohne eine solche Be
ziehung, wirkt.
Wenn Fälle vorkommen, wo diese zwo Be
stimmungen nicht neben einander bestehen können:
so bezeichnet und empfiehlt das
auf einmal, die edlen liebreichen Gesinnungen;
aber ohne alle schmeichlerische Vorstellung eines
künftigen Vortheils einer höhern Art, welcher in
den Reizungen des innern Beyfalls und des Lobes
der Welt liegt. Dieses
meinnützigen Neigungen, vermittelst einer unmit
telbaren
sen: es billigt die edelmüthigen Regungen des Her
zens, welche diejenigen verrathen, die selbst ihr Le
ben aufzuopfern bereit sind, ohne daß sie von den
Ueberlebenden etwas hoffen, oder das zukünftige
Leben in einer andern Welt, in Betrachtung ziehen.
Wenn also das moralische Gefühl, mit seiner gan
zen Kraft, wirkt: so wird durch die von der
ihm ertheilte gebieterische Gewalt, die grosmüthi
ge Bestimmung, deren Gegenstand die allgemei
ne
erhoben.
Man wird ohne Mühe einsehen, daß wir
hier nicht von der ordentlichen Beschaffenheit der
ken, daß diese ruhigen Bestimmungen, allemal ausge
übet werden, und daß sie die besondern
beständig zurück zu halten pflegen. Wir reden von
der Beschaffenheit unserer Natur, zu welcher sie,
durch gehörige Bildung, gelangen kan; und von
Abschnitt.
den ursprünglichen Trieben, welche in uns wirken
können und sollen, wenn wir der Seele solche Ge
genstände vorstellen, welche fähig sind, dieselben zu
erregen. Ohne Zweifel haben einige gutartige
Menschen nur die besondern liebreichen Neigungen
in ihrem Leben ausgeübt, und eine innere Zufrie
denheit darüber empfunden, ohne daß sie auf das
ganze System gesehen, und die allgemeinste Wohl
gewogenheit zu ihrem Gegenstand gemacht haben.
Kaum haben einige Lasterhafte jemals ihre höchste
eigene Glückseligkeit vor Augen gehabt, und in der
Absicht sie zu befördern, sich der ruhigen, überlegten
Selbstliebe überlassen; sie haben vielmehr ihren ei
gennützigen Begierden und
se Ueberlegung, die Herrschaft eingeräumt. Noch
weniger haben alle tugendhafte Menschen wirklich
alle ihre eigennützigen und gemeinnützigen Neigun
gen auf die allgemeinste Wohlgewogenheit gerich
tet, ob es gleich der Seele möglich ist. Eben so
wenig haben jemals alle bösartige Menschen alle
ihre Neigungen der ruhigen Selbstliebe unterwür
fig gemacht.
XIII. Da aber die eigennützigen Triebe sehr
stark sind, und in den meisten Menschen, durch
Hülfe der Gewohnheit und einer frühzeitigen und
langen Nachsicht, sich über ihr geseztes Ziel erhe
ben; die grosmüthigen Neigungen hingegen wenig
geachtet werden, und das moralische Gefühl oft
entschlummert: so ist es höchstnothwendig, daß wir
unsre Kräfte anwenden, unsre Neigungen, in einer
guten moralische
Erstes
Buch.
Gefühl zu stärken. Wir müssen die verschiede
nen Vergnügungen, deren unsre Natur fähig
ist, mit einander vergleichen, damit wir diejenigen
entdecken, welche den meisten Einflus auf unsre
Glückseligkeit haben. Wir müssen unsre ganze
Kraft zu denken anwenden, zu der
gelangen, daß ein regierender Geist diese Welt
I.Wenn wir auf unsre
merksam sind: so müssen wir wahrneh
men, daß es nicht nur gewisse Neigungen und
Abschnitt.
hochachten und rühmen, sondern, daß auch in uns
eine unmittelbare angenehme Empfindung entsteht,
wenn wir von andern, hochgeachtet und gepriesen
werden; und daß es uns unangenehm ist, wenn man
uns tadelt oder verachtet. Wir fühlen dieses, oh
ne davon einen andern Vortheil oder Nachtheil zu
hoffen, oder zu fürchten. Eine genauere Be
trachtung des Gefühls der
die vorhergehende Erklärung des moralischen
Gefühls ungemein bekräftigen.
Diejenigen, welche glauben, daß alle Re
sicht auf ei
nigen Vor
theil.
gungen des Herzens auf den Eigennutz sich bezie
hen, und welche alle unsre empfindenden Kräfte,
durch eine künstliche Richtung, auf eine sehr kleine
Anzahl einschränken wollen, entfernen sich, in ih
rer Erklärung dieser Bestimmungen, besonders in
Absicht auf Ehre und Schande, welche unter allen
Menschen gemein sind, unendlich weit von der
Sie sagen uns, „wenn eine Person von uns
geehrt würde; so sey dieses nichts weiter, als eine
Meinung, daß unser Vortheil von ihr abhange.
Dieser Vortheil sey entweder ein wirklicher, oder
ein eingebildeter. In Absicht auf den ersten,
werde der Edelmüthige und Wohlthätige, mit wel
chem wir in Verbindung stehen, und welcher uns
nützliche Dienste geleistet hat, von uns geehrt.
In Ansehung des andern aber ehrten wir die
Helden alter Zeiten oder entfernter Völker, in
dem wir sie in Gedanken zu unsern Zeitgenossen“ Erstes
Buch.
„und Landsleuten machten, oder glaubten, daß sie
uns viele Vortheile verschaft haben würden, wenn
wir mit ihnen in Verbindung gestanden hätten.
Unsre Hochachtung bestehe also blos darinnen, daß
wir uns einen Character oder ein Verhalten, als
uns nützlich vorstellten, und ihm in dieser Be
trachtung unsern Beyfall ertheilten.“ Sie sa
gen weiter, „wir verlangten geehrt, und dafür an
gesehen zu seyn, daß wir andern nützlich seyn kön
ten, nicht aus einer unmittelbaren
sondern weil wir wüsten, daß die Menschen dar
auf bedacht wären, denjenigen, die sie ehrten, und
von welchen sie sich Vortheile versprächen, Gefällig
keiten zu erzeigen. Dieses geschähe aber nicht aus
einer uneigennützigen
der Absicht, ihnen noch mehrere Vortheile abzu
locken; und, in der Hofnung von denjenigen,
welche uns für nützlich halten, solche Gefälligkei
ten zu erlangen, verlangten wir andern die Mei
nung von uns beyzubringen, daß wir ihnen nütz
lich seyn könten.“ Es ist unangenehm, sich bey
einem System aufzuhalten, welches den unmit
telbaren Empfindungen des Herzens so sehr wi
derspricht.
Nach diesem System müste derjenige, welcher
eine handelnde Person ehret, und die handelnde
Person, welche ihr eigenes Verhalten billigt, von
einer einzigen Handlung die entgegengeseztesten Be
griffe haben. Jener müste dieselbe blos um des
willen für schätzbar halten, weil sie auf seine Ruhe,
oder Sicherheit, sein Vergnügen oder Reichthum
Abschnitt.
abzielet; die handelnde Person hingegen müste die
selbe, als einen Kunstgrif, als ein nothwendiges,
aber unangenehmes Mittel, ansehen, einige ent
fernte Vortheile von andern zu erhalten, die wahr
scheinlicher Weise ihn durch einige Gegengefälligkei
ten bewegen würden, dieses Verhalten gegen sie
fortzusetzen. Allein es ist unläugbar, daß wir
viele Gesinnungen und Handlungen, welche uns,
oder auch einer ganzen
nicht hochachten; dergleichen ist eine nützliche Ver
rätherey, ein eigennütziger erfindsamer Fleis in Ver
besserung der Manufacturen, eine unüberlegte
Verschwendung. Ja, bisweilen achten wir etwas
hoch, das wir für schädlich erkennen; als die Liebe
des Vaterlands an einem Fremden; den Muth an
einem Feinde. Soll hier eine dunkle Einbil
dung eines Nutzens gegen die deutliche Vorstellung
unsers Nachtheils in Betrachtung kommen? Wer
findet in sich diese
theils bey Lesung alter
matischer Schriftsteller, von welchen die Seele durch
die verschiedenen moralischen
wegt wird?
Ueberdieses kan die Vorstellung, daß meine
Gesinnungen und mein Verhalten das Beste ande
rer befördern, nach ihrem System für mich nichts
unmittelbar Angenehmes haben. Kan diese kalte
und ungewisse Hofnung eines Gegendienstes,
oder Vortheils, welche man den eigennützigen
Kunstgriffen anderer verdanken soll, bey einem un
zweifelhaften und gewissen Aufwand, bey gewissen
Bemühungen, bey gewissen Wunden, bey einem Erstes
Buch.
gewissen
stünde denn die Liebe zum Nachruhm? Alles die
ses ist ungeheuer und unnatürlich. Ist alle unsre
Uneigennützigen, des Edelmüthigen; ist der Ei
fer, mit welchem wir an ihrem
nehmen; ist unsre
zur
kaltsinniger Handel, ein solcher gekünstelter Tausch
von eigennützigen Dienstleistungen, ohne einen
ausdrücklichen Vertrag? Wir berufen uns hierin
nen auf ein jedes menschliches Herz; auf das Herz
der Jugend, welche am begierigsten ist, zu loben,
und über ein erhaltenes Lob sich am meisten freuet;
und welche von dem niedrigen Eigennutz am we
nigsten weis. Ist alle Hochachtung und Ehre
blos eine kalte Vorstellung, daß wir von einigen
Handlungen und Neigungen Vortheile einerndten
werden? Ist das verwirrende Gefühl der
Schaam, und die Erröthung nichts, als die Furcht
eines ungewissen Verlusts, von welchem wir nicht
wissen, was er sey, oder wie er uns begegnen
wird? Sind sich nicht die Menschen ihrer eigenen
Entschlüsse, die Ehre zu suchen; ihrer eigenen
Sorgfalt, das zu vermeiden, worüber man sich zu
schämen hat; und der Veranlassung des
zes
wis, diese gekünstelten Absichten auf unsern Vor
theil könten uns nicht unbekant seyn.
II. Es ist also eine unmittelbare
der Ehre und Schande in uns vorhanden, welche
Abschnitt.
auch oft da wirkt, wo keine eigennützigen Absichten
sind, und welche ein moralisches Gefühl vor
aussezt. Sie äussert sich in allen Menschen schon
in den ersten Jahren ihres Lebens, ehe noch ein hin
längliches Nachdenken in ihnen Begriffe von dem,
was sittlich ist, festgesezt haben kan. Ehe wir
noch einsehen können, daß wir der Anführung an
derer, durch eine weise und gütige Einrichtung, un
terworfen sind, werden wir schon durch die ange
nehmste Empfindung, für unser gefälliges Verhal
ten, belohnet, und hingegen schreckt uns die unan
genehmste Empfindung ab, eigensinnig und hals
starrig zu seyn. Wenn man dieses
die Absicht auf unsern eignen Vortheil erklärt: so
würden dadurch alle Regungen der Ehre, der Nie
derträchtigkeit eines Verräthers gleich gesezt, wel
cher in der Hofnung, eine Belohnung zu erhal
ten, das Ansehen haben will, als ob er andern
nützlich sey. Diese Erklärung kan uns keine besse
re Begriffe von der Bescheidenheit, von dem Ge
fühl der Schande, und von dem Abscheu gegen ei
ne Zurechnung der moralischen Schändlichkeit, dem
pudore der Römer, welcher den edelsten Zug eines
Characters ausmacht, beybringen.
Wir sehen, daß diese Empfindung der Ehre,
schiedene
Grade des
sen, was Ehre
und Schande
bringt.
eben sowohl, als das moralische Gefühl, worauf
sie sich gründet, verschiedene Grade zulässt. Vermöge
des natürlichen Verlangens nach der
heit
digkeit und Würde, welche wir in einigen darunter
vor andern wahrnehmen, empfinden wir ein natürErstes
Buch.
liches Vergnügen, wenn wir wahrnehmen, daß an
dere die Vollkommenheit einiger männlichen Kräf
te besitzen, und aus dieser Ursache hochgeschätzet
werden. Dahero kan ein Geschmack in der
in der
einigen männlichen Belustigungen, sich Achtung er
werben. Ein wohleingerichtetes Leben, die Pracht
in Kleidern, in Gebäuden, im Hausgeräthe, kan
unter gewissen Umständen rühmlich seyn. Ein
grösseres Lob haben die höhern Fähigkeiten, ein
erwarten. Dieses leztere gründet sich augenschein
lich auf ein höheres und
Aber wir wollen näher auf das Gefühl des
Vergnügens über den moralischen Beyfall kom
men. Alle Handlungen, welche aus einer liebrei
chen Neigung entspringen, und keiner andern, von
einem grössern Umfange, entgegen sind, unterneh
men wir mit Zuversicht und Freymüthigkeit,
und wir rechnen sie uns zur Ehre. Die sinnli
chen
Feindseligkeit und selbst den ruhigen Trieb nach
Eigennutz, suchen wir von Natur zu verbergen;
und wir rechnen sie uns zur Schande.
III. Wir können hier die besondere Art von
Schamhaftigkeit nicht übergehen, welche, in Ab
sicht auf das venerische Vergnügen, sich in allen
Altern und Völkern so sehr äussert. Es ist uns
ein sehr heftiger Trieb zu den Unternehmungen,
welche in dem System am nothwendigsten sind, ein
Abschnitt.
gepflanzt. Damit aber derselbe seinen Endzweck
nicht verfehlen möge: so mus er durch unsre
nunft
Vortheils der
nung erhalten werden. Es rührt von der grössten
durch eine natürliche Schamhaftigkeit, die sich schon
in jungen Jahren äussert, in Schranken gehalten
wird. Man wird an
richt erlangt haben, diese Schamhaftigkeit nicht so
zeitig wahrnehmen, und sie haben auch einige Jah
re lang, keinen Begrif von dem Gegenstand und
der Absicht derselben, da der Trieb in unsrer Kind
heit nicht entstehet. Wenn wir uns Wilde vor
stellen, welche in Wüsteneyen erwachsen sind, und
die niemals Gegenstände um sich gehabt ha
ben, wodurch gesellige Neigungen und
Begriffe in ihnen hätten erweckt werden können:
so möchten in diesem unnatürlichen Zustande keine
natürlichen Triebe wahrgenommen werden. So bald
sie aber in
sie die
vor Augen sähen; so bald würde sich das morali
sche Gefühl und die Empfindung von Ehre und
Schande entdecken; und besonders würde sich diese
natürliche Schamhaftigkeit geschwind an ihnen
äussern. So wie sie alle menschenfreundliche und
liebreiche Gesinnungen, wenn sie auch auf andere ge
richtet wären, billigen, und die entgegengesezte Ge
müthsart verabscheuen würden; eben so würden sie
alle
ten. So bald sie erfahren würden, wie das menschErstes
Buch.
liche Geschlecht erhalten wird; so bald würden sie,
nach ehelichen Verbindungen und nach Abkömlingen,
Verlangen tragen; und wenn sie die Veranlas
sung dieser natürlichen Schamhaftigkeit fühlen und
die Absicht des Triebes einsehen würden: so würde
sich in ihnen die natürliche schamhafte Empfin
dung entdecken.
So bald man einsieht, daß die strenge Be
obachtung der ehelichen Gesetze nothwendig ist, wofer
ne die Väter, wegen ihrer eigenen Abkömlinge, ge
wis seyn sollen: so bald finden sich neue Gründe,
sich schamhaft zu verhalten, und bey
beyder Geschlechter darauf zu sehen, daß sie zu diesem
Verhalten frühzeitig gewöhnt werden mögen. Allein
über dieses scheint es noch verschiedene natürliche Fä
higkeiten und
hierauf besonders beziehen, und von der allgemeinen
Neigung, sich aller unmässigen
men, unterschieden sind. Unter diese gehöret be
sonders der Trieb zur Sittsamkeit. Diese leztere
fängt sich zu der Zeit an, wenn der Trieb, dem sie
Einhalt thun mus, entstehet, und sie scheint in
dem Alter, mit dem Triebe zugleich, schwach zu
werden.
IV. Da wir eine natürliche Fähigkeit zu
ralischen
Handlungen beschämt werden, ohne die wahren Ur
sachen zu wissen, warum sie unmoralisch sind.
Durch die
die wir vermittelst einiger unsrer empfindenden
Kräfte wahrnehmen, beygebracht, und wir stehen
Abschnitt.
in der
genständen angetroffen würden, wo sie nicht sind.
So sind wir, wider gewisse Speisen, eingenommen,
die wir niemals gekostet haben; wir könten aber,
in Absicht auf diesen Geschmack, keine Vorurtheile
haben, wenn wir nicht diesen Sinn von der
empfangen hätten. Auf gleiche Art werden wir durch
gewisse Vorstellungen, welche uns das moralische Ge
fühl anpreiset, veranlasset, entweder andre zu loben,
oder von andern Lob zu verlangen, ob wir gleich
gemeiniglich von den Absichten der Handlungen,
und von den Neigungen, aus welchen sie herflies
sen, sehr unvollkommene Begriffe haben.
Was wir von dem moralischen Gefühl
angemerkt haben, bezieht sich auch auf unsre Em
pfindung der
Beyfall anderer ein ungemeines Vergnügen, und
zwar nicht nur wegen der guten Neigungen selbst,
sondern auch wegen aller derjenigen Fähigkeiten und
Gesinnungen, welche ihre natürlichen Begleiterinnen
sind, und die entgegengesezten Neigungen ausschlies
sen. So rechnen wir uns Tapferkeit, Wahrhaftig
keit, Aufrichtigkeit, Offenherzigkeit, und die Ruhmbe
gierde selbst zur Ehre, ungeachtet wir wissen, daß
das Vergnügen, welches aus dem erhaltenen Lo
be entspringt, so stark ist, und, daß so vieler Ver
dacht, beneidet zu werden, daher entstehet, daß die
Menschen sich hüten, ein ungedultiges Verlangen
nach diesem Vergnügen zu verrathen, oder die Ent
zückungen, in welche sie von ihm gesezt werden, bli
cken zu lassen, damit sie nicht einer zu grossen Ei
genliebe beschuldiget werden mögen.
V. Die Stärke des moralischen Gefühls
und der Empfindung der Ehre äussert sich in allen
Theilen des Lebens. Die grösste Wollust bey
Gastgeboten entlehnt ihre vornehmsten Reizungen
von einer Vermischung moralischer Belustigungen,
von der Mittheilung des Vergnügens und von den
Begriffen des Anständigen und
nige, welcher die Lust, die er in Essen und Trinken
findet, einsam, ungesellig, ohne gastfrey zu seyn,
geniesset, ist einer allgemeinen Verachtung un
terworfen.
Das vornehmste Vergnügen der
der
entspringt aus ähnlichen
welche uns den moralischen
Glücksumstände der Grossen und ganzer Völker
schaften vorstellet, beschäftigt unser
moralisches
Gefühl, und unsre geselligen Empfindungen bey
Die
lerey
welches sie durch eine genaue
ren, eine höhere Kraft und einen stärkern Reitz,
wenn in ihren Werken etwas
moralisches ent
halten ist.
Die vornehmsten Schönheiten der Gesichts
bildung und des äusserlichen Betragens bestehen
*
in dem Ausdruck sanfter und liebreicher Neigun
gen oder solcher Eigenschaften, die eine moralische
Hochachtung verdienen; welches alles aus den
Beywörtern, wodurch wir unsern Wohlgefallen zu
erkennen geben, wahrgenommen werden kan. Un
ser Misfallen an einer Gesichtsbildung wird durch
das
verachten scheint, eben sowohl erreget, als durch die
verworfenen Eigenschaften selbst. Daher komt
es, daß wir in der Gesichtsbildung
**
eines Zor
nigen, eines Neidischen, eines Stolzen, und eines
Eigennützigen so viel
hingegen die Anmuth in derjenigen, welche zärtli
che, gefällige und liebreiche Neigungen ausdrückt,
uns so sehr entzückt.
*
Man sehe die Untersu
über die
**
Appetitus qui longius
verum etiam corpora. Lioet
ora ipsa cernere iratorum,
aut eorum, qui libidine ali-qua, aut metu commoti sunt,
aut voluptate nimia gestiunt.
Wir sehen, wie viel Einflus dieser morali
sche Ausdruck der Gesichtsbildung auf den natür
lichen Trieb unter beyden Geschlechtern hat. Kön
te ein Mensch zu seiner vollen Reife gelangen, ohne
die mindesten
ne dieses bey andern, als Jdioten, möglich ist):
so würde vielleicht dieser Trieb auf keine andre Art
bey ihm wirken, als bey den Thieren. Wir neh
men wahr, daß die
hafte Begriffe von der Verfassung des
beybringt; und, wenn die nähere Bekantschast die
se Begriffe bestätiget: so empfinden wir eine inni
ge Hochachtung, ein volles Verlangen nach einer
freundschaftlichen Vereinigung. So bewundern
wir
Ehrbarkeit, eine Herrschaft über die unedlen
gierden
Trieb aufmuntert. Daher komt es, daß die
denschaft
würdigen Tugenden vollkommener macht.
Wenn ein Volk, welches die Vortheile nicht
hoffen darf, die seine Anführer zur Absicht haben,
dennoch einen heftigen Eifer für eine gewisse Par
tey zu erkennen giebt: so rührt dieses daher, weil
es eine gewisse
moralische Würde, eine gewisse
Gerechtigkeit der Sachen, eine gute Gesinnung
der anführenden Personen, sich vorstellt.
Es ist ungerecht, wenn man behaupten will,
daß alle unsre Freundschaft sich auf den Eigennutz
gründe, wenn wir nur mit gelehrten, gefälligen
und liebreichen Personen einen vertraulichen Um
Abschnitt.
gang pflegen, hingegen unwissende, menschenfeind
liche und eigennützige Leute fliehen. Es ist wahr,
der Umgang mit den erstern ist lehrreich, angenehm
und sicher; mit den leztern aber unnütz, unan
genehm und gefährlich. Aber ist deswegen eine
jede Freundschaft, ein jeder vertraulicher Umgang,
eine blosse Verstellung und Heucheley? fühlt man
niemals eine innere Hachachtung gegen gewisse Cha
racter, und ein Wohlwollen gegen die Personen,
welche sie besitzen? Verlangen wir allemal nur
Unterricht, nur Vergnügen, nur Gewinn, so wie
wir einen Lehrmeister in der Absicht bezahlen, uns
eine Kunst zu lehren; einen Virtuosen, uns zu be
lustigen; einen Ackersmann, uns eine Arbeit zu
verrichten? Verhalten wir uns gegen unsre
Freunde nur äusserlich verbindlich und gefällig, da
mit wir unsre Vortheile nicht verlieren mögen?
Fühlt nicht hingegen jedermann eine innere Hoch
achtung eine innere Wohlgewogenheit gegen tu
gendhafte Bekanten, welche auch alsdenn, wenn er
von ihnen getrennt ist, und keine Hoffnung mehr
hat, sie wieder zu finden, immer noch fortdauert?
Wenn kein solches moralisches Gefühl,
Es ist nöthig, hier anzumerken, daß, unge
achtet wir durch frühzeitige
uns die äusserlichen
gerichtet werden, Dinge, welche nicht Gegenstände
des einen oder des andern sind, für nichts wirk
liches zu halten, und alles, was wir nicht auf diese
Art empfinden können, für Erdichtungen und
bildungen
merksamkeit, auf das innere Gefühl unserer Her
zen, wahrnehmen, daß dasjenige, dessen Wirklich
keit am unläugbarsten ist, unser wahres Glück
oder Elend; die Anständigkeit und Würde, welche
uns allein die vollkommenste Zufriedenheit mit uns
selbst gewähren kan, in deren Betrachtung wir andre
lieben, hochachten und bewundern, und sie für vor
treflich oder glücklich ansehen, oder zu unsern
Freunden wählen; daß dieses alles Eigenschaften
von einer höhern und edlern Art sind, als daß sie
durch diejenigen Kräfte, welche vornehmlich dem
sollten.
VI. Einige argwohnen, daß das moralische
Gefühl und die Empfindung der Ehre nicht natür
lich seyn könten, weil unter den verschiedenen
tionen
gesezte Begriffe von dem, was moralisch ist, anzu
treffen wären. Allein, wenn man ihnen auch zu
giebt, daß der Geschmack verschieden sey, daß ver
schiedene Menschen und Völker gewisse
gen
griffen, billigen und misbilligen: so beweiset dieses
Abschnitt.
doch blos so viel, daß ihre
der nicht gleich sind; nicht aber, daß ihnen weder
das moralische Gefühl, noch die Empfindung der
Ehre natürlich wären. Viele halten etwas für
wohlschmeckend, welches für andere einen unange
nehmen Geschmack hat; wer wollte aber deswegen
läugnen, daß der Sinn des Geschmacks uns na
türlich ist?
Allein die Gleichheit des moralischen Gefühls ist
weit grösser, als die Gleichförmigkeit des sinnlichen
Geschmacks. Die verschiedenen Gründe, wodurch
verschiedene Personen ihren Beyfall und ihre Ver
werfung rechtfertigen, werden uns, bey einer ge
nauen Prüfung, zu einerley ursprünglichen Be
griffen, vom moralischen Guten und
rückleiten.
Wenn die Menschen, in allen Nationen, ge
wisse Handlungen billigen und retten wollen: so
pflegen sie eine Richtung derselben auf die
seligkeit
kleinern oder grössern Umfange, einige grosmüthige
Neigungen, oder einige Gesinnungen, welche mit
denselben natürlicher Weise verknüpft sind, anzufüh
ren. Wollen wir ein unvernünftiges Verhalten
entschuldigen: so sagen wir, die handelnde Person
habe eine gute Absicht gehabt: sie habe die übeln
Folgen nicht vorhergesehn: oder sie habe eine solche
Veranlassung dazu gehabt, daß selbst ein Mann
von einer gefälligen oder gerechten
nicht anders verhalten haben würde. Wenn wir
ein übles Verhalten tadeln und verwerfen wollen: Erstes
Buch.
so zeigen wir, daß aus demselben alle entgegenge
sezte Neigungen und Gesinnungen sich veroffenba
ren, als Grausamkeit, Zorn, übertriebener Eigen
nutz, oder ein Mangel an solchen liebreichen Nei
gungen, welche, bey allen Menschen insgesamt, er
wartet werden. Wenn wir ein Verhalten, ohne Be
ziehung auf diese
gel der guten, blos als unvorsichtig, misbilligen: so
geschieht es zuweilen aus einer guten Gesinnung
gegen die handelnde Person, oder aus einem
higkeiten, ihre Faulheit, Einfalt und Trägheit
verachten; und wir werden durch die Gedanken
besänftiget: „daß der arme Mensch keine bösen
Absichten gehabt und auch andern keinen Schaden
zugefügt habe.“ Dieses ist oft eine falsche Ent
schuldigung, weil das gemeine Beste, wenn sich eine
Person unfähiger macht, ihm zu dienen, eben so
wohl darunter leidet, als die besondern Freunde
dieser Person.
Ja wir werden finden, daß die Menschen zu
weilen entweder nach einer wahren oder nach einer
falschen Meinung das Urtheil fällen, daß eine
Handlung einige von den Eigenschaften oder Ab
sichten habe, welche die natürlichen Gegenstände
des Beyfalls sind. Wir können uns oft wirklich
ohne Grund einbilden, daß gewisse
ne gute Wirkung auf das gemeine Beste haben,
oder, daß sie aus guten Neigungen herkommen,
oder, daß die
angenehm sind; und in dieser
Abschnitt.
sie von uns gebilliget. Es ist unsre moralischen Gefühl einen falschen Begrif vorstellt.
Der Jrrthum liegt in der Meinung oder im
stande
was dasselbe billigt, ist wirklich gut; obgleich die
Handlung diese Eigenschaft nicht haben kan. In
Sachen, die unsern Vortheil betreffen, wählen
und billigen wir zuweilen dasjenige, was uns am
Ende Nachtheil bringt. Niemand schliesst daraus,
daß wir, in der Selbstliebe, oder der Billigung
unsers eigenen Vortheiles, uns selbst unähnlich
wären. Durch einen gleichen Jrrthum in Anse
hung der moralischen Eigenschaften gewisser Hand
lungen kan weder das moralische Gefühl bestrit
ten, noch bewiesen werden, daß es sich nicht allemal
ähnlich sey. Die
der handelnden Personen verhindern, daß die mo
ralische Natur derjenigen Handlungen, welche den
Leidenschaften ihren Endzweck erreichen helfen, nicht
genau geprüfet wird. Wollust, Wuth und Rache,
reissen die Menschen mit Ungestüm in den Unter
gang, welchen ein ruhiger Mann sieht und vermei
det. Allein dieses beweiset nicht, daß die Men
schen in Ansehung ihres moralischen Gefühls
oder ihrer Selbstliebe einander unähnlich
wären.
Der Beweis, daß entweder gar kein mora
lisches Gefühl in den Menschen angetroffen wer
VII. Die vornehmste Ursache von der Ver
schiedenheit des Beyfalls sind folgende drey. 1. Die
verschiedenen Begriffe von der
den Mitteln, sie zu befördern. Nationen, welche
dene Begrif
fe von Glück
seligkeit.
Kunst und Fleis fähig ist. unbekant sind, und un
ter welchen die gemeinen Nothwendigkeiten des Le
bens leicht erhalten werden können, finden keine
Gelegenheit, Kunst und Fleis dadurch in Aufnahme
zu bringen, daß sie einem jeden das Eigenthum
an den Früchten seiner Arbeit versichern wollen.
Ja, sie können es für keinen Schaden ansehen,
wenn den Menschen dasjenige, was sie sich durch
Kunst erworben haben; der Vorrath, welcher ih
nen nicht nöthig ist, oder der Ueberflus, der sie wol
Abschnitt.
lüstig und träge machen kan, entzogen wird; der
Diebstahl kan dahero unter ihnen für nichts uner
laubtes angesehen werden. Wenn einer Nation
unbekant wäre, wie nützlich es ist, daß die Väter,
wegen ihrer Abkömlinge, in Gewisheit sind, oder
wenn sie kein Verlangen nach dieser Gewisheit trü
ge: so würde sie in denjenigen Verständnissen, wo
von gesittetere Nationen glauben, daß sie der
sellschaft
Böses wahrnehmen. Aber keine Nation ist hierin
nen unempfindlich gewesen.
In einigen gesitteten Staaten sind Gesetze
chen barbari
scher Gesetze,
eingeführet, welche wir für barbarisch und gottlos
halten. Aber wenn die Gründe derselben, oder die
Vorstellungen, unter welchen man sie billigt, in Er
wägung gezogen werden: so finden wir allemal,
daß eine Absicht auf das gemeine Beste darunter
liegt. Ohne Zweifel giebt es einige wenige Exem
pel, daß Gesetzgeber, aus einem übertriebenen Eifer
für ihre eigne Grösse, oder für die Grösse ihrer Na
tion, ungerechte Gesetze gemacht haben, welche sich
durch nichts
weiset nur, daß zuweilen unser Gefühl des Rechts
durch verschiedene Triebe unterdrückt werden kan.
Allein wie viele unsinnige Meinungen sind ange
nommen worden! Wie viele seltsame Jrrthümer,
wie viele Ungleichheiten hat man nicht in der Kraft
zu schliessen entdeckt, welche an dem menschlichen
Geschlechte so bewundert und für die unterscheidende
Kraft desselben erkant wird! Die meiste Ver
schiedenheit in unsern moralischen Erstes
Buch.
in unserm Beyfall und Tadel, entstehet von den wi
dersprechenden Vernunftschlüssen, welche von dem
Einflus der Handlungen auf das gemeine Beste,
oder von den Neigungen, aus welchen sie herflies
sen, gemachet werden. Das moralische Gefühl
scheint allemal einerley unmittelbare Gegenstände,
einerley Neigungen und Gesinnungen, unverän
dert zu billigen und zu misbilligen; ob wir gleich
über gewisse Handlungen, welche für Beweise ge
wisser Gesinnungen gehalten werden, sehr verschie
dene Urtheile fällen. Und doch soll der
in welchem alle diese Jrrthümer sich eräugen, die
natürliche höchste Kraft seyn; das moralische
Gefühl aber soll es, wegen der Verschiedenheit
2. Die zweyte Ursache der Verschiedenheit
des Beyfalls liegt in den grössern oder kleinern
Systemen, welche sich die Menschen vorstellen,
wenn sie die Absichten gewisser Handlungen betrach
ten. Einige sehen blos auf ihr Vaterland, und
auf den Vortheil desselben; ohne die übrigen Men
schen in Betrachtung zu ziehen. Andre haben
noch eingeschränktere Systemen; nur eine Partey,
eine Secte oder Cabale. Aber wenn wir unsre
Betrachtungen nach der Vorschrift der
und Gerechtigkeit erweitern, und den Bau der
menschlichen
Nationen einerley ist; so werden wir finden, daß
es keiner an gutgearteten Menschen fehlt, welche
eben diese
Abschnitt.
Freunde und Wohlthäter; eben dieses
gegen Unglückliche; eben diese Bewunderung und
Besorgnis für ihr Vaterland besitzen, welche wir
unter uns so hoch schätzen. Wir müssen in uns
ein heiliges Band der
auch an Fremde verknüpft, und ein Gefühl der
Billigkeit, des
welches wir allen schuldig sind. Menschen von
geringer Aufmerksamkeit sind ihre Landsleute, oder
Anhänger der einzige schätzbare Theil des menschli
chen Geschlechts. Alles ist bey ihnen billig, was
zu ihrem Vortheil gereicht, ob es gleich andern
nachtheilig ist. Hier entsteht die Verschiedenheit
des Beyfalls wiederum aus verschiedenen Meinun
gen über eine Sache. Wären gewisse Nationen
oder
grausam, und giengen sie nur auf solche Unter
nehmungen um, welche alle Menschen in ewiges und
zeitliches Elend stürzen müssen, wären sie dabey un
ter einer solchen Gewalt von Zauberey, daß derselben
keine Vernunftschlüsse widerstehen könten: so wür
de eine gewaltsame Vertilgung dieser Ungeheuer
durch Feuer und Schwerd kaum getadelt werden
können. Aus einem solchen Gesichtspuncte pfle
gen alle Verfolger, welche gewisse Grundsätze ver
theidigen, diejenigen anzusehen, die sie
nen; und aus dieser Ursache bringen sie andern
einen allgemeinen Abscheu gegen dieselben bey.
Aehnliche Begriffe machen sich einige kleine
Secten, von einander, und daher verlieren sie
die Empfindung des moralischen Erstes
Buch.
ches in ihrer Feindseligkeit und Verfolgung
liegt.
3. Die dritte Ursache, welche eine Verschie
denheit der Urtheile über gewisse Handlungen ver
anlasst, und die eben so oft, als die andern, vor
komt, ist die Verschiedenheit der Meinungen von
demjenigen, was
schen handeln zuweilen aus einem Verlangen nach
Belohnungen, oder aus einer Furcht vor Bestra
fungen, ihrem moralischen Gefühl entgegen,
und gehorchen dem, was sie für einen göttlichen
Befehl erkennen. Sie können dieses auch aus an
dern eigennützigen Leidenschaften thun. Sie kön
nen einige dunkle Begriffe von Pflicht und Ver
bindlichkeit haben, welche von demjenigen, was ih
re Herzen billigen würden, wenn die Vorstellung
des göttlichen Befehls nicht vorhanden wäre, un
terschieden sind. Eine lange Gewohnheit und die
Verknüpfung gewisser Begriffe macht hierbey einen
starken Eindruck in die
Aber wenn unter verschiedenen Nationen verschie
dene Begriffe von den Gegenständen des göttlichen
Befehls vorhanden sind: so wird der Gehorsam
oder Ungehorsam gegen Gott mit so starken mora
lischen Farben und
Diese Betrachtungen erklären hinlänglich,
ne Gebräu
che beym
Gottesdienst
und
von der Gott
losigkeit.
warum die Aufopferung der Menschen und andere
dergleichen ungeheure Gebräuche gebilliget werden;
ungeachtet es wahrscheinlich ist, daß oft solche Men
schen, welche von der Gütigkeit ihrer Götter nur
eine geringe Ueberzeugung hatten, blos aus Furcht, Erstes
Buch.
ohne allen moralischen Beyfall, dergleichen Gebräu
chen gefolgt sind. Es lässt sich gleichergestalt aus
diesen Betrachtungen erklären, warum Blutschan
de und Vielweiberey unter einigen Nationen ver
abscheuet wird, bey welchen doch ihre schädlichen
Folgen nur wenigen bekant sind; und daß sie hin
gegen bey andern Völkern für gesetzmässig gehal
ten werden.
Niemand bilde sich ein, als ob Handlungen,
sind oft Ver
brechen.
fällen, oder von den Geboten Gottes, herfliessen,
nur unerhebliche Vergehungen wären, und einen
Character nur einem geringen Tadel aussetzen kön
ten. Wenn der Jrrthum aus keiner bösen Nei
gung, und aus keinem beträchtlichen Mangel einer
guten Neigung herrühret: so ist die Handlung
noch zu entschuldigen. Allein viele Jrrthümer, in
welche wir in Ansehung der Meinungen von der
Verehrung Gottes, oder von der
benmenschen, verfallen, sind Beweise eines grossen
Mangels an der Liebe der moralischen Vortreflich
keit, dem gerechten und edlen Verlangen, Gott zu
kennen, zu verehren, und ihm zu vertrauen, wel
ches zu einem guten Character erfordert wird;
oder sie sind Beweise eines grossen Mangels an
Menschenliebe, wenigstens an der allgemeinen und
edlern Art derselben. Wenn diese Neigungen leb
haft sind: so müssen sie die Menschen ermuntern,
in Ansehung ihrer Pflichten und der Einrichtung
ihres Verhaltens, grossen Fleis und
wenden; und sie müssen folglich dieselben zu rich
Abschnitt.
tigen Urtheilen in wichtigern Sachen führen, weil
für einen jeden, der aufrichtig und achtsam ist, in
der Natur eine hinlängliche Ueberzeugung zuberei
tet liegt. Niemand kan genugsame Menschenlie
be und Rechtschaffenheit besitzen, welcher glauben
kan, daß die Aufopferung der Menschen, oder die
Verfolgung seiner Nebengeschöpfe wegen gewisser
Grundsätze in der
keinen Nachtheil bringen, Pflichten seyn können,
die Gott angenehm sind.
VIII. Daraus, daß in uns ein moralisches
Gefühl vorhanden ist, darf man nicht folgern,
Wenn bey Festsetzung der Gründe der Sit
tenlehre, nichts weiter erfordert würde, als eine
theoretische Untersuchung, welche Neigungen tu
gendhaft sind, welches Verhalten Beyfall verdie
net, und was hingegen für lasterhaft zu halten sey:
so würde die Erklärung, welche wir bisher von der
Beschaffenheit unsers
moralischen Gefühls ge
geben haben, hierzu hinlänglich seyn. Da dassel
be nicht allein bestimmt, was tugendhaft und la
sterhaft ist, sondern auch die verschiedenen Grade
dieser Eigenschaften in den verschiedenen Arten der
Neigungen und Handlungen festsezt: so könten wir
Abschnitt.
nunmehro, zu einer nähern Betrachtung der Pflich
ten des Lebens, fortgehen, und unsre Kraft zu
schliessen zu der Entdeckung anwenden, was für
besondere Neigungen und daraus fliessende Hand
lungen einen vollkommenen Beyfall verdienen, und
nicht nur den Vortheil einiger Theile des ganzen
Systems befördern, sondern auch, neben dem all
gemeinen Besten, vollkommen bestehen können; was
für Neigungen und Handlungen, selbst solche, wel
che unter die liebreichen gehören, und auf den Vor
theil einzelner Theile abzielen, dem allgemeinen
System schädlich seyn können; und auf diese Art
könten wir, aus dem moralischen Gefühl, und
der grosmüthigen Bestimmung der Seele, die be
sondern Gesetze der
wir einen starken Hang zu unsrer eigenen Glückse
ligkeit und viele besondere eigennützige
und Neigungen haben, und da diese oft so heftig
sind, daß sie dem moralischen Gefühl nicht un
mitttelbar unterworfen werden können, so sehr wir
uns auch der Würde desselben und des wichtigen
Einflusses, welchen es auf unser
hat, bewust sind; da oft ein von Unruhe begleite
ter starker Verdacht in uns entstehen kan, als ob
wir, wenn wir dem Antrieb unsrer liebreichen Nei
gungen und dem moralischen Gefühl
folgen
wollten, unserm Vortheil entgegen handeln, und
etwas verabsäumen würden, wodurch unsre Glück
seligkeit mehr befördert werden könte, als es durch
die innere Zufriedenheit mit uns selbst, und durch
den Beyfall, den uns andere zugestehen, geschiehet:
so ist es zu Bestätigung der Gründe der SittlichErstes
Buch.
keit, zu Entfernung der Hindernisse, welche von den
eigennützigen Trieben herrühren, und dazu, daß die
Seele den Entschlus fassen möge, auf dem Wege,
welchen ihr das moralische Gefühl
empfiehlt,
standhaft fortzugehen, höchstnothwendig, eine ge
naue Vergleichung aller menschlichen Vergnügun
gen anzustellen, und daher zu bestimmen, welche
davon unsre grösste Glückseligkeit ausmachen.
I.
Die höchste
steht, in dem vollen Genus aller Vergnü
gungen, die seine
hig ist. Oder, wenn die Freuden, welche seine Na
tur zulässt, von einer grossen Mannichfaltigkeit
sind, wenn sie zu verschiedenen Arten gehören, die
zuweilen nicht neben einander bestehen können, wenn
einige davon höher und dauerhafter sind, als die
übrigen: so besteht seine höchste Glückseligkeit in
dem unwandelbarsten Genus der stärkern und dau
erhaftern Vergnügungen, und auch zugleich der
geringern Belustigungen, in so weit diese, mit dem
vollen Genus der edlern, bestehen können. Da wir
nicht alle unangenehme
abwenden können, und da es unter denselben ver
schiedene Arten und Grade giebt: so müssen wir
uns wider stärkere und dauerhaftere Arten und wi
Abschnitt.
der höhere Grade derselben in Sicherheit setzen, und,
wenn es zu dieser Absicht nothwendig ist, geringere
Arten und Grade derselben erdulten, oder einige
kleinere Vergnügungen aufopfern.
Um uns zu diesem Verhalten geschickt zu ma
chen, ist es nöthig, zuförderst eine genaue Untersu
chung anzustellen, auf was für Art unsre verschie
denen Neigungen und Begierden unter unsrer Ge
walt stehen, und in wie weit gewisse Betrachtun
gen oder eine gewisse Gewöhnung unsrer selbst, auf
unsre
oder Elends in den verschiedenen Gegenständen, ei
nen Einflus habe.
1. Gleichwie die ruhigen Begierden und
gierden
srer Gewalt
unterworfen
sind.
Abneigungen der Seele natürlicher Weise von un
sern Meinungen über das Gute und Böse in den
Gegenständen derselben, herrühren: also stehen sie,
mit den Graden des wahrgenommenen Guten oder
Bösen, in Verhältnis. Die eigennützigen Begier
den nach einem besondern Gute werden blos, ver
mittelst des ruhigen ursprünglichen Triebes, zur
höchsten
schliessen und zu vergleichen, welche den Werth der
verschiedenen Gegenstände der Begierden entdecket,
unsrer Gewalt unterworfen. Durch die Ver
besserung unsrer Meinungen von ihrem Wer
the, werden die verschiedenen Begierden in ei
nem gehörigen Verhältnisse erhalten. Vermit
telst des andern ursprünglichen Triebes, welcher die
allgemeine Glückseligkeit, im weitesten Umfange,
zum Gegenstande hat; und durch eine gleiche An
Abschnitt.
wendung des
Werths der Gegenstände, welche wir für andere be
gehren, können wir die verschiedenen liebreichen
Neigungen und Begierden in Ordnung bringen.
Denn sobald wir ein grösseres Gut wahrnehmen,
sobald ist das ruhige Verlangen nach ihm stärker,
als nach einem geringern Gute, welches daneben
nicht bestehen kan, und welches wir entweder für
uns selbst, oder für andere zu erlangen wünschen.
Hier zeigt das moralische Gefühl
eben
falls seine Gewalt. Da die verschiedenen einge
schränktern Neigungen oft einander entgegen sind,
oder da einige von ihnen neben den allgemeinen
Neigungen gegen ganze
das ganze menschliche Geschlecht nicht bestehen kön
nen: so bestimmt das moralische Gefühl durch
Die unruhigen Begierden und besondern
denschaften
thigen, werden auf eben diese Art beherrscht. Sie
entstehen natürlicher Weise bey gewissen Gelegen
heiten, und zwar mit grosser Heftigkeit. Sie in
Ordnung zu erhalten und einzuschränken ist eine
gewisse Fertigkeit nöthig, welche durch wiederholtes
Nachsinnen
lange wir ruhig sind, müssen wir fleissig erwägen,
wie viel Gefahr es bringt, wenn wir etwas gleich
Abschnitt.
bey dem ersten Anblick aus Uebereilung für gut
oder böse halten; wir müssen auf unsre ehemaligen
wir an andern wahrgenommen haben, zurückgehen,
und uns erinnern, daß oft höhere und dauerhaf
tere Vergnügungen dadurch verlohren worden,
wenn wir uns einer erregten Begierde oder Leiden
schaft unbedachtsam überlassen haben; daß dauer
haftes Elend und ein innerer
vorüberfliehende Belustigungen gefolgt sind; daß
Scham, Elend und Betrübnis die Wirkungen ei
nes unbändigen Zornes gewesen; daß die Men
schen durch eine übertriebene Furcht oder durch ihre
Abneigung gegen Arbeit und mühsame Verrichtun
gen, sich Unehre und Verachtung zugezogen haben.
Auf diese Art werden wir uns gewöhnen, gegen
alles, was wir nicht geprüft haben, mistrauisch zu
seyn, und alle
den Aufruhr einer unruhigen Leidenschaft fühlen.
Wenn solchergestalt die ruhigen Triebe durch öfte
res Nachsinnen gestärkt, und die Macht der Leiden
schaften geschwächt worden; alsdenn haben wir die
wahre
erlangt. Die ruhigen Kräfte werden das Ansehn,
zu welchem ihre natürliche Würde sie bestimmt hat,
behaupten und anwenden, und unsre
wird sich üben, die voreiligen Urtheile über das
Gute und Böse zu verbessern, und den wahren
Werth der verschiedenen Gegenstände unserer Be
gierden und
II. Zu diesem Vorsatz ist es nöthig, daß
wir die gewöhnlichen Ursachen anmerken, warum
wir hintergangen werden, und den Gegenständen
einen falschen Werth beylegen. Dergleichen sind
1. Die Stärke des Eindrucks und die Hef
tigkeit der Begierden, welche durch gegenwärtige
wart solcher
Dinge, die in
die
fallen.
gerechnet, welche von Gegenständen, die nicht in
die
die uns der
stellet, entstehen können. Nur ein fleissiges
Nachsinnen kan diesem Uebel abhelfen. Unsere
jüngern Jahre verwenden wir fast ganz auf die
sinnlichen Gegenstände; wenige können die An
strengung der
wird, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf Ge
stände, die im
pfindungen
jenigen Kräfte, welche am meisten geübet werden,
nehmen zu. Die oftmaligen Regungen der
gierden
dunkle Begriffe einer hohen Glückseligkeit, welches
durch die Stärke einiger Empfindungen, wenn die
Begierde heftig ist, bestätiget wird. Wenige wenden
gnugsamen Fleis an, diese Vergnügungen mit andern
zu vergleichen, oder auf die kurze Dauer dieser Em
pfindungen, und auf die darauf folgende Sätti
gung, Schaam und innere Beängstigung Acht zu
haben. Und doch fällt es unserer Vernunft leicht,
einzusehen, daß die Dauer eines Vergnügens eben
sowohl, als die Stärke desselben, in Betrachtung
Abschnitt.
gezogen werden mus; und daß der Zustand der
Seele, welcher auf die Befriedigung der unvernünf
tigen Begierde folgt, eben sowohl in Rechnung zu
bringen ist, als die vorüberfliehende Belustigung.
2. Wenn man der
schweifung
der Einbil
dungskraft.
tet, sich zu sehr mit solchen Gegenständen zu be
schäftigen, welche uns die Hofnung eines hohen
Vergnügens beybringen; so werden dadurch unsre
die Seite solcher Gegenstände gebracht. Das
Vergnügen wird zwar hierdurch nur um ein weni
ges grösser; ja unsre Lust wird dadurch oft vermin
dert, weil sie selten, mit der vorhergegangenen Er
wartung, übereinkomt, und also die Mine einer
Widerwärtigkeit hat. Allein, wenn unsre aus
schweifende Einbildungskraft sich alle Freuden und
Vortheile gewisser Stände, eine gewisse Hoheit in
Reichthum und Ansehen vorstellt; so werden unsre
Begierden nach denselben heftiger, und unsre Be
griffe entwerfen uns das Bild einer
weit höher ist, als wir sie wirklich finden werden.
Und diese unordentliche Einbildungskraft ermangelt
niemals, uns den
wärtigkeit nach sich ziehen wird, zu vergrössern.
3. Allein keine Ursache unmässiger Begier
pfungen ge
wisser Be
griffe.
den oder falscher Urtheile über den Werth ihrer Ge
genstände ist gewöhnlicher, als eine ungegründete
Verknüpfung gewisser Begriffe, welche wir entwe
der durch den Unterricht, oder unsern gewöhnlichen
Umgang erhalten haben, und vermöge welcher wir
uns Erstes
Buch.
solchen Gegenständen einbilden, die mit ihnen we
nige Verwandschaft haben. Selten werden die
Gegenstände so, wie sie sind, ohne alle Verände
rung, der Seele vorgestellt. Reichthum und An
sehen sind wirklich von grossem Nutzen; nicht nur
in Ansehung der natürlichen Bedürfnisse und Ver
gnügungen des Lebens, sondern auch weil sie uns
in den Stand setzen, andern Gefälligkeiten zu erzei
gen. Aber wie oft werden nicht mit denselben Be
griffe von sonderbaren Fähigkeiten, von
von moralischer Vortreflichkeit und von weit hö
hern Freuden, als sie uns verschaffen können, ver
knüpft! Diese bezaubern viele Menschen so sehr,
daß sie ihren natürlichen Endzweck vergessen, und
dieselben um ihrer selbst willen, zu lieben und darauf
stolz zu seyn anfangen. Sie verabscheuen einen
niedrigen Stand als etwas verworfenes, und elen
des, und glauben nicht, daß darinnen moralische
Würde und
nige natürliche Vergnügungen werden ebenfalls
weit über ihren Werth geschätzet, und das über
mässige Verlangen nach ihnen beunruhiget die
Seele.
4. Auch der
die
ungegründeten Abscheu gegen die unschuldigsten
Lehren und Gebräuche, indem man mit denselben
Begriffe von Ruchlosigkeit, Feindschaft gegen
Gott, und Bosheit des Herzens verknüpfet;
die entgegengesetzten Lehren und Gebräuche, die
Abschnitt.
um gar nichts besser sind, zu Kennzeichen von Got
tesfurcht,
Seelen der Menschen, macht. Daher entstehet,
in den Herzen der übereilten Zeloten aller Ar
ten, ein Has gegen diejenigen, welche von ihnen ab
gehen; und der
grausamen
Natur schon so lange zum Vorwurf gereicht ha
ben, selbst in derjenigen
III. Es ist sehr nöthig, diese verschiedenen
schen fühlen
die verschie
denen ur
sprünglichen
Begierden,
Vergnügun
gen und
Schmerzen=
Ursachen der falschen Urtheile über den Werth der
Gegenstände unserer Begierden und der verschiede
nen Vergnügungen des Lebens anzumerken; weil
kaum einige Menschen leben, welche niemals einen
Trieb zu einer oder der andern dieser verschiedenen
Vergnügungen haben sollten; und weil man nicht hof
fen kan, daß man die entgegengesezten Uebel niemals
erfahren werde. Das Vergnügen und der
der äusserlichen
natürliche Kräfte haben, in gewissen Graden em
pfunden, und müssen Verlangen und Abscheu er
regen. Der Antrieb der Begierden ist auch un
vermeidlich: sie kommen nach einem gewissen Still
stand zurück, und man kan den unruhigen Em
pfindungen anders nicht entgehen, als wenn man
sie mit ihren natürlichen Gegenständen befriedigt.
Allein, vermöge der gütigen Einrichtung der
können solche Befriedigungen, welche die Unruhe
der Begierden abwenden, allemal erlangt werden;
und wenn einige moralische Gründe die BefriediErstes
Buch.
gung verhindern: so begleiten höhere moralische
Freuden diese Enthaltsamkeit, welche den Verlust
vollkommen ersetzen. Selten zieht der körperliche
Schmerz einen grossen Theil des menschlichen Lebens
an sich. Weise Männer wissen Mittel vorzukehren, die
allemal ihre Wirkung thun: und wenn dieses nicht ist:
so können sie doch, mitten unter dem Schmerz, sich
Gedult und Trost verschaffen.
Es ist schwerer, andre unruhige Begierden zu
befriedigen, welche von der Voraussetzung einer
grossen
entstehen. Hätten wir uns an keine solche Vor
aussetzungen oder an keine solche dunkle Begriffe
gewöhnt: so würde uns der Mangel dieser Ver
gnügungen nicht unglücklich gemacht haben. Mit
den Trieben hingegen ist es ganz anders beschaffen.
Wenn wir unsre Meinungen ändern, und unsere
verworrene
hören entweder die Begierden, und die damit ver
knüpften Unruhen gar auf, oder sie werden schwä
cher. Die
grossen Theil unglücklicher, als die Triebe. Von
dieser Art sind die Begierden nach Reichthum, An
sehen, nach einer prächtigen Lebensart, nach Ruhm;
und der Abscheu gegen das Gegentheil derselben ist
von gleicher Natur. Unsre Meinungen haben auf
unsre Neigungen gegen andre, und auf unsre lieb
reichen Begierden, einen eben so grossen Einflus,
als auf unsre eigennützigen. Was wir für ein
grosses Gut ansehen, müssen wir für andre, die wir
lieben, innigst begehren; und wir müssen über alle
Widerwärtigkeiten unruhig werden.
Wenn nun diese Meinungen wahr und na
türlich sind: so können wir sie nicht ändern, und
wir verlangen es auch nicht. Vernunft und
Nachdenken werden sie bestätigen. Allein, ei
nige Meinungen und dunkle Begriffe, welche unsre
Begierden erregen, sind falsch und phantastisch:
und die Verbesserung derselben befreyet uns von
vielen Schmerz und Unruhen. Einige Vergnü
gen sind immer in unsrer Gewalt, welche auch für
die höchsten gehalten werden müssen. Woferne die
ses wahr ist: so ist es unser höchster Vortheil, da
von völlig überzeugt zu seyn; damit unsre stärk
ren Begierden nach solchen Dingen erregt werden
mögen, welche gewis erhalten werden, und uns die
edelsten Vergnügungen verschaffen können.
Ueberhaupt, je grösser wir uns ein Gut oder
ein Uebel vorstellen, desto stärker ist unser Verlan
gen oder unsre
kümmernis, so lange der Ausgang zweifelhaft
ist, und desto grösser wird unser Kummer bey ei
nem Unglück, und unsre erste Entzückung bey einem
glücklichen Erfolg seyn: allein, wenn die vorher
gegangene Einbildung falsch ist: so verschwindet
diese Freude bald, und sie verwandelt sich in Un
ruhe. Auf der andern Seite wird der Kummer
über den unglücklichen Erfolg stark verbleiben,
wenn die falsche Einbildung durch die
des Vergnügens nicht verbessert wird. Dieses be
weiset, wie richtig es sey alle unsre Begriffe von den
Gegenständen des Verlangens und Abscheues wohl
zu prüfen. Wir sollten solchergestalt bey BestimErstes
Buch.
mung des Werths unsrer
alle fremde Begriffe von
gebigkeit, Anständigkeit, Gutherzigkeit, von densel
ben absondern, und vielmehr diese Eigenschaften
auf eine weisere und
lüstige Gastmale und ohne ein verschwenderisches
Leben zu erkennen geben. Diese Nebenbegriffe er
regen das Verlangen nach Pracht und Ueber
flus, und sind die Ursachen einer immerwähren
den ängstlichen Unruhe.
IV. Begriffe, welche einmal auf diese Art fest
verknüpft sind, verursachen in der Seele eine
dauerhafte Unruhe; und eine völlige Ueberzeugung
des Verstandes wird, ohne ein langes Nachsin
nen und viele Uebung, die Verknüpfung nicht auf
heben können. Es sind nur dunkle Vorstel
lungen und keine überlegte Schlüsse, welche der
zen
eine bewundernswürdige Vortreflichkeit, welche
mit ihren Begierden in Verhältnis stehet, vorstel
len. Eine lange Nachsicht, wiederholte Re
gungen der
dern Gegenständen abgezogen ist, die Lebensart die
Gesichtszüge, und der Ton der Stimme, welche man
an Menschen von dergleichen Gesinnungen, in dem öf
tern Umgang mit ihnen, bemerkt hat, verknüpfen
hohe Begriffe von
wünschten Befriedigung, daß eine lange Aufmerk
samkeit und Ueberlegung nöthig ist, die verworrene
Eine völlige Ueberzeugung, daß die
vortreflicher und wichtiger sey, als andre Vergnügun
Begriffe von
der Tugend
sind zur
Glückselig
keit noth
wendig.
gen, wenn wir anders von denselben richtige Begriffe
haben, mus uns allemal vielen Vortheil verschaf
fen. Die Meinung wird die genaueste Prüfung
aushalten, wie wir hernachmals zeigen wollen;
und dieses Vergnügen ist unsrer Gewalt. Allein,
die ungleiche
geschränkteren Tugenden, und einiger moralischen
Gegenstände einer niedern Art, dergleichen blose
Tapferkeit, ein Eifer, für die
besonders System von Lehrsätzen der
werden die Menschen zu bösen Neigungen und zu
abscheulichen Handlungen verleiten, wenn sie die
edlern Gegenstände, welche einen allgemeinen gu
ten Einflus haben, ganz aus den Augen setzten.
Keine natürliche Empfindung oder Begierde ist ohne
Nutzen, wenn wir richtige Begriffe davon haben;
allein sind dieselben falsch: so können einige von
den besten Neigungen und Empfindungen schädlich
werden. Unser moralisches Gefühl
und die
liebreichen Neigungen führen uns an, die bösen zu
verwerfen, und ihren Absichten zu widerstehen;
ja ihre gänzliche Ausrottung zu wünschen, wenn
wir wahrnehmen, daß sie den Verlust anderer,
die besser sind, als dieselben, unvermeidlich nach sich
ziehen. Diese Grundtriebe nebst dem Zorn und
Unwillen, welcher in uns gegen dasjenige, was
böse zu seyn scheinet, natürlicher Weise entstehet,
können uns zu einem überlegten Has und Abscheu
vieler Menschen, die wir fälschlich für lasterhaft
halten, verleiten, und Anlas geben, daß wir ihnen Erstes
Buch.
eben so, wie sie uns, auf eine boshafte Vernichtung
andern umzugehen scheinen.
Wenn unsre Meinungen und unsre Einbil
dungskraft zurechtgebracht worden sind: so werden
die natürlichen Triebe und Begierden zwar immer
noch übrig bleiben, und von einiger Unruhe be
gleitet werden; allein einige stärkere werden ge
schwächt, und dagegen andere verstärkt werden.
Die einfachern Befriedigungen der Triebe, und
solche, welche am leichtesten zu erlangen sind, kön
nen uns, wenn wir auf eine gute Art damit um
zugehen wissen, eben soviel Vergnügungen und
Freude verschaffen, als irgend einige andre. Die
Vergnügungen der Einbildungskraft können uns
ungemein angenehm seyn, und doch kan über den
Mangel derselben kein Verdrus in uns entstehen.
Viele von diesen Vergnügungen bieten sich allen
dar, und erfordern keinen eigenthümlichen Besitz,
worunter diejenigen gehören, welche wir über die
vortreflichen Schönheiten der
Schönheiten der Kunst empfinden. Diese sind
auch weder die einzigen noch die höchsten Ver
gnügungen.
V. Das sympathetische Vergnügen und Mis
vergnügen, mus in einem oder dem andern Grade
auf uns wirken, und wir sind auf keine Art ge
schickt, es zu verhindern. Wir müssen in Gesell
schaft leben, und wir haben den Beystand andrer
nöthig, deren Glück oder Elend, deren Vergnügen
oder Misvergnügen wir nothwendig gewahr wer
den müssen. Das ganze menschliche Geschlecht
Abschnitt.
fühlt die ehelichen und verwandschaftlichen Nei
gungen; und eine ausserordentlich gute Gemüths
art, die wir an andern bemerken, erregt in uns eine
innige
sympathetischen Freuden und Schmerzen von höhe
rer Art empfinden. Hierbey müssen wir ebenfalls
über unsre Meinungen und Einbildungen wachen,
damit unsre Seele nicht von einem eiteln Verlan
gen nach geringen vorüberfliehenden und unnöthi
gen Gütern für andere entflammet oder von Be
trübnis über geringe und erträgliche Widerwärtig
keiten, die ihnen zustossen, niedergeschlagen wer
den möge. Allein, wenn wir nicht die Einbil
dungskraft unsrer Freunde zu verbessern suchen; so
werden wir immer Gelegenheit zu Sympathien
haben. Alles Unglück ist, so lange es währet, für
denjenigen, der es erfährt, etwas wirkliches. Wer
sich einbildet, unglücklich zu seyn, ist es in der That
so lange, als diese Einbildung dauert.
Wenn die Wahl die Bande der Liebe knüpfet:
so ist eine vorgängige genaue Prüfung des Cha
racters der Gesinnungen und der Begriffe der Per
sonen von den wichtigsten Folgen. Bey einer stär
kern Verbindung mit Personen von richtigen Ge
sinnungen und einer gebesserten Einbildungskraft
können wir uns einen reichlichen Antheil von gesel
ligen Freuden versprechen, und wir haben nur ein
geringes Misvergnügen zu befürchten, weil die
ist, und von äusserlichen Zufällen weniger
abhängt.
Da die menschliche Natur von keinen noth
ne nothwen
digen Ursa
chen zur Bos
heit.
heit zum lezten Endzweck zu machen: so wird eine
ruhige Seele bey einer aufmerksamen Betrachtung
der Gemüthsarten, der Meinungen und der wahren
Quellen aller Handlungen anderer Menschen wirk
lich viele Veranlassungen zu
trübnis, allein nur wenige zu Zorn, Unwillen und
finden. Und so können wir von den Unruhen
und dem Ungemach der menschlichen Neigungen
und
schen sind wirklich vielen Schwachheiten, unbedacht
samen Vorurtheilen, einem unmässigen Verlangen
nach eigenem Vortheil, starken sinnlichen Begier
den und heftigen Neigungen gegen eingeschränktere
Systemen, welche es nicht verdienen, ausgesetzt;
sie sind dem Zorn über scheinbare Beleidigungen,
die man ihnen selbst, oder andern von ihnen gelieb
ten Personen zufügt, unterworfen: allein sie sind
nicht darauf eingerichtet, ohne einige Veranlas
sung, und ohne alle Hofnung eines Eigennutzes,
boshaft zu seyn. Sie äussern vielmehr einige mo
ralische Begriffe, und sie sind mit einigen Arten
liebreicher Neigungen versehen. Viele von ihren
tadelhaftesten Handlungen werden durch einige un
rechte Begriffe von ihren Pflichten veranlasset,
oder die handelnde Person hält sie für unschuldig,
und sie sind Wirkungen einer
sich rühmlichen Neigung, welche eine Stärke er
langt hat, die ihr nicht zukomt, indem eine allge
meinere entschlummert ist.
VI. Sobald als man die Neigungen anderer
wahrnimmt, und über seine eigenen nachdenkt; so
Eigenschaf
ten haben
auf das gan
ze menschli
che Geschlecht
Einflus.
bald müssen die moralischen Eigenschaften auf die
Seele einen Einflus haben. Keine
keine Fertigkeit, keine falsche Meinung, selbst keine
gezwungene
Empfindungen der Dankbarkeit, von dem Lobe und
der Bewunderung gewisser sittlicher Eigenschaften,
und von dem Tadel und Abscheu anderer nicht los
arbeiten. Dieses Gefühl verhilft denjenigen,
welche ihm Gehör geben, zu einem Ueberflus an
innern Vergnügen. Unsre eigene Gemüthsart,
unsre eignen Handlungen, können immerwährende
Quellen von Freuden seyn, so oft wir darüber Be
trachtungen anstellen. Allein, wenn man parteyi
sche Begriffe von Tugend und Gerechtigkeit unbe
dachtsam unterhält, und weder allgemeine Absich
ten noch wahre Meinungen von dem Werth der
Personen und Sachen hat: so kan die Bestrebung
nach moralischen Eigenschaften, Misfallen und in
nere Unruhe veranlassen. Falsche Begriffe von
der Tugend können weniger dauerhaft seyn, als an
dre Jrrthümer. Personen, welche dadurch beleidigt
worden sind, werden selten unterlassen, sie aus
einander zu setzen; und Zuschauer, welche durch
unsre
sind, werden ihr Misfallen zu erkennen geben.
Und so werden unsre ungegründeten Freuden und
die Zufriedenheit mit uns selbst, der Schaam und den
innern Verweisen geschwind weichen.
Das Gefühl der Ehre mus ebenfalls Ver
gnügen oder Misvergnügen veranlassen, nachdem
die Welt, welcher wir bekant sind, ihre Urtheile
über unser Verhalten fällt: und da wir die Mei
nungen anderer nicht in unserer Gewalt haben: so
können wir nicht versichert seyn, allem Tadel zu ent
gehen. Wir können aber, als würdige Richter,
den Werth der Menschen, nach ihren Eigenschaf
ten, bestimmen, und ihnen entweder Lob oder Ta
del zuerkennen; und so können wir unsre Ehrbe
gierde auf das Lob weiser und tugendhafter Män
ner einschränken. Der Beyfall unserer eigenen
Herzen und der Beyfall Gottes
verschaft uns ein
Vergnügen höherer Art, als die Lobeserhebungen
der Menschen sind. Wir können dem Verlangen
nach dieser geringern Belustigung Einhalt thun,
wenn sie neben der höhern nicht bestehen kan.
VII. Auch das Verlangen nach Reichthum
und Ansehen hat auf die Seele einen Einflus, wenn
sie wahrnimmt, daß es ihr augenscheinlicher Vor
theil seyn würde, ein jedes ursprüngliches Verlan
gen zu befriedigen. Diese Bestrebung kan in ei
ner gebesserten Seele ruhiger und mässiger seyn, so,
daß ein Erfolg, der ihrer Erwartung zuwider ist,
ihr keinen grossen Schmerz verursachen wird. Al
lein, wenn man nicht nur die Begriffe von äusser
lichen
von einem Vermögen, andern zu dienen, sondern
auch von allen schätzbaren Fähigkeiten, und der mo
ralischen Würde, mit Reichthum und Ansehn ver
Abschnitt.
knüpft; wenn man sich vorstellt, daß Niederträch
tigkeit und Elend mit der Armuth und einem ge
ringern Stande verbunden sey; wenn man den na
türlichen Nutzen dieser Dinge übersicht, und wenn die
ganze Seele von der Absicht voll ist, reicher und
angesehener zu werden: so mus eine ängstliche Un
ruhe und Ungedult alle Freuden des Lebens verbit
tern und vergiften.
Wenn sich die Seele von ihren natürlichen
Bestrebungen und Vergnügungen entfernt: so
müssen eingebildete an ihre Stelle treten. Wenn
die Menschen, aus Trägheit und Abneigung gegen
die gehörigen Bemühungen, an Erreichung anstän
diger Absichten verzweifeln; wenn einige Zufälle
ihre Seelen von den uns natürlichen Neigungen
gegen Abkömlinge, Verwandten, und gegen das
Vaterland abgezogen haben: so wird ein Verlan
gen nach einer Art von Hoheit, von Belustigung
und Vergnügen, bey einer gänzlichen Unfähigkeit
zu allen würdigen Beschäftigungen sie zu gewissen
Bestrebungen antreiben, welche in den Augen ihrer
Mitbrüder von gleicher Trägheit, Unfähigkeit
und Verderbnis, unter den dunkeln Begriffen von
Anständigkeit, Freygebigkeit, Geselligkeit und Ar
tigkeit rühmlich geworden sind. Wie könte man
es sonst erklären, warum junge Leute so viele Jah
re mit Jagen, Spielen, Trinken, Müssiggang
und albernen Unterredungen und Ceremonien in öf
fentlichen Zusammenkünften und Lustbarkeiten
zubringen.
VIII. Es ist klar, daß unsre Natur unfähig
ist, die höchsten Vergnügungen aller Arten auf ein
mal zu geniessen, oder nach ihnen allen zugleich zu
trachten. Weder die Vergnügungen selbst, noch
die Mittel, dazu zu gelangen, können alle neben ein
ander bestehen. Ein hohes Wohlgefallen an eini
gen, ist dem Geschmack an andern zuwider. Sinn
lichkeit und Trägheit sind den höhern Vergnügun
gen, welche von der Beschäftigung entstehen, ge
rade entgegengesezt. Die Bestrebungen nach Wis
senschaft und Geschicklichkeit in schönen Künsten
vertragen sich nicht mit dem Geitz, der Sinnlich
keit und einigen Arten von
hält es sich mit den Bestrebungen nach der
Ja die höhern Vergnügungen verschiedener Arten,
als die Vergnügungen der Tugend und
den durch das Bewustseyn noch mehr erhöhet, daß
wir andere geringere Bestrebungen und Vergnü
gungen denselben aufgeopfert haben.
Es ist gleichergestalt offenbar, daß wir in
unserm gegenwärtigen Zustande kein Vergnügen als
gewis ansehen können, welches von äusserlichen
Dingen abhängt, die alle unzählichen
terworfen sind. Die edlen Vergnügungen der
Gottesfurcht und der Tugend sind unveränderlich
und von dem
Vergnügungen uns auch eine tugendhafte Ge
müthsart in den Stunden der Ueberlegung ver
schaft; so führt dieselbe doch die Menschen aus sich
selbst heraus, und macht sie gegen das allgemeine
Abschnitt.
Beste und dem Vortheil anderer empfindlich, diese
aber sind unsrer Gewalt nicht unterworfen. Es
ist ein grosser Schmerz, wenn ein tugendhaftes
Vorhaben mislingt, ungeachtet die Gemüthsart
allemal Beyfall erhalten wird. Wir sind hierin
nen, wie in allen andern Dingen der
unterworfen. Gleichwie diese uns ehemals unsre
empfindenden Kräfte und ihre Gegenstände gegeben
hat: also gebietet sie darüber sowohl als besonders
über die
che die lezten Gegenstände der tugendhaften Nei
gungen sind. Dieses zeiget hinlänglich, daß die
andern, der höchste Grund unsrer vollkommensten
Glückseligkeit seyn mus; weil wir, ohne die feste
Ueberzeugung, daß ihre Güte,
macht beständig beschäftigt sind, die Glückseligkeit
der Gegenstände unsrer edelsten Neigungen zu befe
stigen, niemals sicher seyn, noch eine wahre Hei
terkeit und Ruhe der Seele geniessen können.
Wir würden die unwidersprechlichen Be
ligion ist kei
ne Ruhe
möglich.
weise des Daseyns der
schen Vollkommenheiten hier nicht am unrechten
Orte anführen; nicht nur, weil die feste Ueberzeu
gung hiervon unsre erste und vornehmste Pflicht
ist, sondern auch, weil die Gottheit und ihre
sehung
Glückseligkeit ausmachen. Allein, da aus der Be
schaffenheit der menschlichen moralischen Regierung, von der uns unser
eignes Gefühl überzeugt, und aus der ganzen EinErstes
Buch.
richtung unsrer Seele, alle die liebreichen und
grosmüthigen Neigungen zu billigen, welche die
moralische
die stärksten Beweise in dieser Sache hergenom
men werden: so müssen wir nachhero die Gesin
nungen und Pflichten der Gottesfurcht, als den
höchsten Grad der
Vortreflichkeit betrachten.
IX. Was die andern Vergnügungen, welche
ungewis sind, anbetrift: so ist zwar keine reine un
vermischte Glückseligkeit zu erreichen; allein unsre
Bemühungen sind doch nicht ganz fruchtlos. Wir
haben bereits bemerkt, daß eine vorhergehende gros
se Erwartung, ungeachtet sie die ersten Entzückun
gen über den glücklichen Erfolg und über die Ent
fernung der vorhergegangenen ängstlichen Unruhe,
vermehret, dennoch die darauf folgenden Vergnü
gungen vermindert, einen widrigen Ausgang noch
schmerzhafter macht, und veranlasst, daß ein Un
glück, welches, seiner Natur nach, nur geringe ist,
uns unerträglich wird. Wenn unsre Begriffe von
diesen ungewissen Gegenständen klein, und unsre
Begierden mässig sind: so wird dadurch unsre
dauerhafte Empfindung des Vergnügens an dem
erreichten Gegenstand verstärket, und die Empfin
dung der Widerwärtigkeit geschwächt.
So haben der Mässige, der Bescheidene, der
Sittsame, der Demüthige, eben so geschärfte
pfindungen
allen sinnlichen Gegenständen und in der
Enthaltsamkeit und Zurückhaltung, welche Forde
Abschnitt.
rungen der Tugend sind, verderben keine Empfin
dungen oder Begierden. Die Mässigung im
Glück, die Ehrbarkeit, die Demuth, die Bescheiden
heit, kleine Begriffe von der Glückseligkeit in sinn
lichen Gegenständen, hindern die Empfindung der
Freude über erhaltene Vortheile nicht. Menschen
dieser Art haben eine
sich nur beschäftigt, ihnen die erwünschten Befrie
digungen zu verschaffen, und, bey einem widrigen
Erfolg, andere vorzüglichere Vergnügungen zu fin
den. In dieser ungewissen Welt ist ihr Glück mit
eben so vielen Freuden verknüpft, als das Glück an
derer. Und mitten im Unglück,
Si quis, quae multa vides discrimine tali
Si quis in aduersum rapiat casus ve deus ve*
ist der Unterschied offenbar. Solche Widerwär
tigkeiten stossen den entzückten Bewunderern äusserli
cher Dinge eben sowohl zu, als andern. Der eine
kennet noch andre Quellen, sich glücklich zu machen;
er sahe solche
erträglich. Der andre ist seiner Güter be
raubt, und ihr fragt noch, was ihm fehlt?
*
20.
I.
Um zu entdecken, worinnen unsre wahre
schiedenen Vergnügungen des Lebens, und die ver
schiedenen Arten von Elend mit einander verglei
chen, damit wir unterscheiden lernen, welche Ver
gnügungen wir aufgeben, und welche unangenehme
Empfindungen wir ertragen müssen, wenn wir die
höchste und seligste Belustigung erlangen, und die
beschwerlichsten Trübsalen vermeiden wollen.
Was die Vergnügungen einer Art anbe
langt; so ist es klar, daß ihr Werth in einem aus
ihrer Stärke und Dauer zusammengesezten Ver
hältnis besteht. Bey Bestimmung der Dauer se
hen wir nicht allein auf die Beständigkeit des Ge
genstandes, oder darauf, daß er in unsrer Gewalt
bleibt, oder auf die Dauer der
welche er uns verschaft, sondern auch auf die Be
Abschnitt.
ständigkeit unsrer
fallens; denn sobald diese aufhören: sobald ist das
Vergnügen vorüber.
Wenn wir die Vergnügungen
verschiedener
Arten vergleichen: so bestimmen wir ihren Werth
nach der Dauer und der Würde der Art zugleich.
Wir haben bey einigen Arten ein unmittelbares Ge
fühl einer Würde,
*
einer
glückenden Eigenschaft, welchem keine Stärke der
geringern Arten gleichkomt, wenn sie auch so lange
dauerten, als wir nur wünschen können. Keine
Stärke oder Dauer giebt den äusserlichen Empfin
dungen eine Würde, welche sie nur dem Vergnügen
über die Verbesserung der
kan sie dieselben dem Vergnügen, welches aus tu
gendhaften Neigungen und Handlungen entspringt,
gleich setzen. Wir werden niemals anstehen, über
die
Menschen also zu urtheilen, woferne keine unge
stüme Regungen der
unsre Urtheile verderben, wie dieses oft in Ansehung
unsrer selbst geschieht. Dieses innere Gefühl einer
gewissen Würde macht, daß die Vergnügungen und
Uebungen einiger Arten, wenn sie gleich nicht die
höchsten in dieser Art sind, weit mehr vortrefliches
haben, und uns weit glücklicher machen, als die
stärksten und dauerhaftesten Vergnügen der nie
dern Arten. Bey einigen höhern ist die Dauer
von keiner so grossen Wichtigkeit als bey den nie
*
Man sehe oben den zehnten § des vierten Abschnitts.Erstes
Buch.
dern. Die Ausübung der
Zeit, wenn nicht
nem ungleich grössern Werthe, als die dauerhaften
sinnlichen Vergnügungen. Nichts vernichtet die
Vortreflichkeit und Vollkommenheit des Zustandes
so sehr, als eine entgegengesezte Eigenschaft von eben
derselben Art, welche den ersten Character verun
staltet. Die besondere
haften Mannes, wird, durch den
nen frühen
Glück eines, der sich seinen
überlässt; obgleich dieselben auf seinen ganzen Zu
stand, wenn man ihn in dem Zusammenhang aller
Vergnügungen und Leiden betrachtet, einigen Ein
flus haben. Die Betrachtung eigener hoher
Freuden, die uns eine künftige öftere Erinnerung
verschaffen wird, ist nicht dasjenige, was der Seele
die Tugend empfiehlt. Wir fühlen einen Trieb,
einen Eifer nach der
digen Neigungen und Handlungen, und empfin
den ihre unmittelbare Vortreflichkeit ohne alle
sicht
Dauer; obgleich kein Zweifel ist, daß diese Ver
gnügungen, welche eben so sicher sind, als unser
Daseyn, bey der Bestimmung, wie wichtig die Tu
gend in Ansehung unsrer Glückseligkeit sey, in Be
trachtung gezogen werden müssen.
Wenn wir durch die Stärke der Empfin
dungen und Vergnügungen, in einem allgemeinern
Verstande, den Grad anzeigen, in welchem sie unsre
Glückseligkeit befördern: so besteht der verglichene
Abschnitt.
Werth derselben in einem zusammengesezten Ver
hältnis ihrer Stärke und Dauer. Allein um die
grosse Verschiedenheit der Arten beständig vor Au
gen zu haben, und einigen Einbildungen, als ob
die stärkern Empfindungen der geringern Arten,
mit der gehörigen Dauer, unsre Glückseligkeit voll
kommen machten, zuvorzukommen; wird es besser
seyn, den Werth der Vergnügungen nach ihrer
Würde und Dauer zu bestimmen, so, daß die
Würde die Vortreflichkeit der Art, wenn die Ver
gnügungen verschiedener Arten verglichen werden,
und die Stärke der Empfindungen, wenn wir
Vergnügungen einer Art vergleichen, bedeutet.
II. Obgleich die obenerwähnten verschiedenen
schiedenheit
des Ge
schmacks bey
den Men
schen.
ursprünglichen Kräfte allen Menschen natürlich
sind: so pflegen doch viele, durch Gewohnheit, ver
knüpfte Begriffe,
verleitet, nur nach den Vergnügungen einer Art zu
streben; und sie achten andre nicht, welche von
Leuten von entgegengesetzten Gesinnungen unge
mein hochgeschätzet werden. Einige sind den sinn
lichen Belustigungen mehr ergeben; andre überlas
sen sich mehr den Vergnügungen des
Einige streben nach Reichthum und Ansehen, andre
nach
Ehre. Reichthum und Ansehn habe einige wenige
getreue Verehrer, welche sie, um ihrer selbst willen,
anbeten: eine grössere Anzahl verehret sie blos als
dienstbare Geister, als Vermittler mit einigen hö
hern Gottheiten, dergleichen Vergnügungen,
Ehre und Gutthätigkeit sind.
Verschiedene Menschen haben also einen ver
schiedenen
Belustigungen bewundert, wird ein anderer ver
achten. Müssen wir nicht diese Verschiedenheit
des Geschmacks prüfen? Sind alle Personen, alle
jede diejenigen Vergnügungen erhält, die ihr am
meisten gefallen? Auf diese Art kan das geringste
Thier, die kleinste Insecte eben so glücklich seyn, als
der weiseste Held, Patriot, oder Freund seyn kan.
Dasjenige, was ein Thier so glücklich macht, als
es in der niedrigen Ordnung, darinnen es sich be
findet, werden kan, mus einer andern Ordnung,
welche feinere
gierden hat, nur verächtlich vorkommen. Wesen
von diesen höhern Ordnungen sind sich bewust, was
für eine hohe Würde in ihren besondern Vergnügun
gen, deren niedrige Ordnungen unfähig sind, lie
get, und was für einen wichtigen Einflus dieselben
auf die
die verschiedenen Ordnungen durch verschiedene Em
pfindungskräfte von einander abgesondert, so, daß
nicht alle von einerley Gegenständen ihre Glückse
ligkeit erreichen können; und sie sind nicht alle gleich
glücklich, wenn eine jede alle Begierden und Em
pfindungen, die sie hat, befriedigen kan.
Die höhern Ordnungen in dieser Welt sind
wahrscheinlicher Weise, aller Empfindungen der nie
drigen Ordnungen, fähig, und können dieselben be
urtheilen. Allein die niedrigen wissen nichts von
den Vergnügungen der höhern. Ja in den ver
Abschnitt.
schiedenen
verschiedenen Geschmack und andere Begierden.
Wir sind uns in unsern reifern Jahren bewust, daß
die
und unsers Vaterlands ungleich edlere Gegenstände
unsrer Bestrebungen sind, und daß sie uns ein, dem
Verhältnisse nach, weit edleres Vergnügen ver
schaffen, als das Spielwerk, welches ehemals eine
hinlängliche Unterhaltung für uns war, da wir
noch nichts bessers kanten.
nung, und jedem Alter des Lebens in einer Person
besondere Kräfte und einen besondern Geschmack zu
getheilt. Eine jede ist glücklich, wenn ihr Ge
schmack alle Befriedigungen erhält, deren er fähig
ist. Allein, wir sind uns unmittelbar bewust, daß
eine Befriedigung vortreflicher ist, als die andere,
wenn wir beyde genossen haben. Und alsdenn
macht uns unsere
schickt, die Wirkungen und Folgen und die Dauer
derselben zu beurtheilen. Eine kan vorüberfliehend
seyn, und nachhero ein grosses Elend verursachen,
obgleich das gegenwärtige Vergnügen stark seyn
kan; eine andere kan dauerhaft und sicher seyn,
und weder Sättigung noch Schaam, noch Ekel,
noch eine innerliche Unruhe nach sich ziehen.
Höhere Wesen können durch göttlichere Fä
Menschen
am besten ur
theilen kön
nen.
higkeiten und eine vollkommenere
theilen, welches die edelsten sind, ohne alle Arten
genossen zu haben. Sie können eine anschauende
Erkäntnis der
Maas derselben haben, nach welchem sie die niedriErstes
Buch.
gern, ihnen unnütze, Arten empfinden können.
Allein unter den Menschen sind diejenigen die besten
Richter, welche durch ihre Empfindungen und Be
gierden, die in einem natürlichen lebhaften Zustan
de sind, die meiste Erfahrung erlangt haben. Man
hat niemals behauptet, daß gesellige Neigungen, die
Verlangen hochgeachtet zu werden, mit der Mässi
gung, welche die Begleiterin und Aufseherin derselben
ist, die Bestrebungen nach
che Thätigkeit; einige Empfindungen oder Begier
den verminderten. Man kan dieses oft mit Rechte,
der Ueppigkeit, Wollust und Trägheit schuld geben.
Die höchsten sinnlichen Vergnügungen werden von
denjenigen empfunden, welche alle Kräfte ihres
Pflichten beständig anwenden, und die natürlichen
Begierden zu der ihnen bestimmten Zeit wiederkom
men lassen. Solche Leute sind unstreitig die besten
Richter aller Vergnügungen, nach dem Grundsatz,
welchen
hafte
len und ihren Werth zu bestimmen.
Allein es könte billig die Frage aufgeworfen
werden, ob Menschen, welche den sinnlichen Belu
stigungen, oder dem Vergnügen der
kraft
geben sind, hinlänglich geschickt seyn können, in
dieser Sache zu urtheilen. Diese Bestrebungen
werden wirklich selten lange fortgesetzet, ohne daß
man einen Begrif von ihrer Unschuld, oder von ei
Abschnitt.
ner Pflicht und moralischen Verbindlichkeit damit
verknüpft. Eine lange Gewohnheit verunstaltet
zuweilen den natürlichen
chen Kräfte. Menschen, welche eine Fertigkeit
im
thige Neigungen, gesellige Freuden und das Ver
gnügen einer wahren unparteyischen gleichförmigen
Güte. Böse Fertigkeiten schwächen die geselligen
Empfindungen und den Wohlgefallen an der Tu
gend. Und dem ungeachtet geben diese Menschen
bey gewissen Gelegenheiten ihre Achtung gegen die
Tugend zu erkennen.
III. Nachdem wir dieses voraus geschickt ha
ben, müssen wir nunmehro zuförderst die verschie
denen Arten von Vergnügungen, in Absicht auf
die Würde und Dauer; und auf gleiche Art die
ihnen entgegengesezte Leiden miteinander verglei
chen; und alsdenn die verschiedenen Gemüthsarten
oder Character, in Absicht auf die innere Befrie
digung, gegeneinander halten.
Die Vergnügungen der äusserlichen
chen Vergnü
gungen sind
die geringsten
können in zwo Classen eingetheilet werden; nämlich
in die Vergnügungen der Zunge und in diejenigen,
welche die Vereinigung beyder Geschlechter gewährt.
Diese zwo Arten werden sinnliche
genennet.
So angenehm auch die Vergnügungen der
gen der Zun
ge.
Zunge für die
dieselben von Leuten, welche nachdenken, und einige
andere Belustigungen genossen haben, für die nie
drigsten und verächtlichsten Freuden gehalten werErstes
Buch.
den. Die angenehme Empfindung, welche wir
fühlen, wenn der
kan sehr stark seyn; sie komt von einer weisen Ein
richtung her, und soll uns antreiben, für unsern
Körper die gehörige Sorge zu tragen. Die Lin
derung dieser unangenehmen Empfindung kan an
fangs mit einer starken Lust verknüpft seyn. Al
lein das eigentliche Vergnügen des Geschmacks, die
wirkliche
welche über die Thiere erhaben sind, als verächtlich
angesehen werden. Die Verschiedenheit des Ver
gnügens, in Absicht auf die verschiedenen Arten von
Speisen, ist so gering, daß dasjenige, welches die
Heftigkeit des Hungers und Durstes verschaft,
weit grösser ist. Die ausgesuchtesten und lecker
haftesten Speisen werden einem, der sich gesättigt,
obgleich nicht überladen hat, kaum soviel Vergnü
gen gewähren, als die geringste Kost einem andern,
der starke Lust zum Essen empfindet, nachdem er
eine Zeitlang nichts zu sich genommen, und viel
auch gleich kein solcher Schmerz vorhanden war,
welcher neben Freude und Munterkeit nicht hätte
bestehen können. Wenn also die Linderung einer
so angenehmen Unruhe mehr Vergnügen verschaft,
als der Genus der ausgesuchtesten Speisen, vor
welchem sie nicht vorhergegangen ist: so mus das
wirkliche Vergnügen sehr unbeträchtlich seyn. Es
ist vergebens, wenn man dadurch, daß man diesem
Trieb zuvorkomt, oder ihn durch allerhand Anrei
zungen verstärkt und verlängert, das Vergnügen
zu befördern denkt; eben dieses gilt auch von allen
Abschnitt.
gekünstelten Bemühungen, Uebung und Enthalt
samkeit ausgenommen, so lange nicht der natür
liche Trieb selbst zurückkehrt. Die grösten Epi
kurer haben dieses erkant, wenn Geschäfte oder Be
lustigungen ihnen zufälliger Weise Gelegenheit ga
ben, die
Es würden alle Menschen hierinnen über
chen des Jrr
thums, eine
Vermischung
moralischer
Vergnügun
gen.
einkommen, wenn diese Vergnügungen nicht mit
andern von einer sehr verschiedenen Natur vermengt
würden. Nicht nur eine wohleingerichtete Haus
haltung,
Pracht in den Zimmern, sondern auch moralische
Eigenschaften, Freygebigkeit, die Mittheilung des
Vergnügens,
andre wohl verdient zu machen, werden in unsrer
verknüpft. Nehmt die
entlehnten Reizungen hinweg, und betrachtet ei
nen, welcher die Lust, die im Essen und Trinken
liegt, einsam und vor sich geniesset: so wird sie euch
insgesamt niedrig und verächtlich vorkommen.
Man stelle sich vor, daß jemand sein ganzes
Leben in einem ununterbrochenem Genus dieses
Vergnügens zubringe; daß bey ihm die Lust zu essen
und zu trinken, der gegenwärtigen Ordnung der
Natur zuwider, immer gleich stark bleibe; allein daß
an ihm keine geselligen Freuden oder Neigungen,
keine feinere Empfindungen, keine Uebung der Kräf
te des
Leben, welches noch unter dem Zustande mancher
unvernünftigen Thiere seyn würde. Jhr Trieb Erstes
Buch.
zur Nahrung erlaubt ihnen eine Zwischenzeit zu
Vergnügungen von einer geselligen Natur und zur
Bewegung; und wenn sie dieselbe auf diese Art
zubringen: so verrathen sie alsdenn bey dem Ge
nus des Futters eine grössere Lust.
Auch die Dauer dieser Empfindungen ist un
beträchtlich. Die Güte
daß die Mittel, den Trieb zur Nahrung zu befrie
digen, leicht erhalten werden können: und wir sind
solchergestalt im Stande, durch eine gute Einrich
tung, uns oft die höchsten Vergnügungen dieser
Art zu verschaffen. Allein der Trieb wird bald be
friediget, und äussert sich nur nach einem langen
Zwischenraume wieder. Gekünstelte Reizungen
desselben können zwar eine unnatürliche Begierde
erregen; aber die Befriedigung derselben ist mit ei
nem geringen Vergnügen verknüpft. Dieses ist
eine wirkliche Verderbnis und Krankheit; und,
wenn
heit im Körper, und hindert alle Vergnügungen.
Wenn man Pracht und Verschiedenheit verlangt:
so wird die
ständig, und die Gegenstände werden ungewis.
Dieses Verlangen kan uns zu einem grössern Auf
wand verleiten, als es unser Vermögen zulässt, und
es kan stärker werden, indem die Mittel zur Be
friedigung desselben abnehmen.
Einige von diesen Betrachtungen vermin
dern auch den Werth der andern Art von
Vergnügungen, welche von der Befriedigung eines
unruhigen Triebes, der uns mit den unvernünfti
Abschnitt.
gen Thieren gemein ist, eben so sehr abhängen, als
das wirkliche Gute an sich selbst gering und unbe
trächtlich ist. Wenn man sich die
lein, ohne Liebe oder Hochachtung moralischer Ei
genschaften, ohne Absicht auf die Mittheilung des
Vergnügens, ohne die Gedanke, geliebt zu seyn,
vorstellt: so wird dieselbe dem Vergnügen nicht
gleichkommen, dessen einige unvernünftige Thiere
von einer feinern Art, sich bewust zu seyn scheinen.
Und alsdenn ist dieses Vergnügen flüchtiger als al
le andere. Gewohnheit, Verschiedenheit und An
reizungen bringen die Seele in einen beklagens
würdigen Zustand, in eine ungedultige Hitze; sie
machen dieselbe unfähig, sich selbst zu beherrschen,
und zu verbessern; sie stürzen dieselbe in eine Scla
verey, welche ihr alle Aufrichtigkeit, Rechtschaffen
heit und alles Gefühl der Ehre entzieht. Zu die
sem allen komt noch eine seltsame Einbildungskraft,
das Misvergnügen über widrige Zufälle, welchem
solche ausschweifende Begierden ausgesezt seyn müs
sen; und daß nach der vorüberfliehenden Empfin
dung kaum etwas übrig seyn kan, das einem, wel
cher nicht alles männliche Gefühl der Tugend ver
lohren hat, angenehm seyn könte. Die Erinne
rung an vergangene sinnliche Vergnügungen ver
hilft uns zu keiner Empfindung eines Verdienstes
oder einer Würde, zu keiner Ursache der Selbst
zufriedenheit, und kaum verschaft sie uns eine Art
von Freude, ausser der niedrigen Hofnung, dieses
sinnliche Vergnügen zu wiederholen, welche die Be
gierde, nach Verlauf einiger Zeit, wiederum ein
wenig lebhaft machen kan. Die Erinnerung darErstes
Buch.
an kan uns bey keinem Ungemach, Verdrus,
ruhe der Seele oder äusserlichem Unglück aufrich
ten. Wir nennen die
gen sinnlich, und die innern Empfindungen unsrer
Herzen überzeugen uns sattsam, daß die höchste
dern Vergnügungen von einer edlern und dauerhaf
tern Art bestehen mus.
IV. Es geschiehet oft, daß viele Menschen
dergleichen Vergnügungen allen andern vorziehen,
und die Bemühung um sinnliche Belustigungen
das einzige Geschäft ihres Lebens seyn lassen; daß
also ihre ganze Seele von einer natürlichen Nei
gung zu denselben eingenommen ist, und daß die
Macht derselben stärker zu seyn scheint, als das
moralische Gefühl und die grosmüthigen Nei
gungen.
Diesen Argwohn aus dem Wege zu räumen,
wollen wir uns erinnern, daß die beständige Be
mühung um sinnliche Belustigungen meistentheils
von der Meinung, als ob dieselben unschuldig wä
ren, begleitet werden. Unser
moralisches Gefühl,
unsre sympathetischen Empfindungen, und unsre
liebreichen Neigungen werden denselben selten ent
gegengesezt werden, oder mit ihnen in Streit ge
rathen; auch nicht in den
der
die Menschen, ohne diesen Begrif der Unschuld, von
ihren
gerissen werden: so sind sie, nach der Befriedigung,
Abschnitt.
in einem beklagenswürdigen Zustande, und fühlen
die bittersten Verweise ihres Gewissens. Auch
diejenigen, welche vorsätzlich Ausschweifungen be
gehen, haben einige scheinbare Gründe in Bereit
schaft, auf welche sie eine betrügerische Vorstellung
von der Unschuld ihrer Belustigungen bauen.
Ja einige moralische Begriffe, dergleichen die
Mittheilung des Vergnügens,
die Absicht, sich um andre verdient zu machen, und
von ihnen geliebt zu seyn, sind, machen den vor
nehmsten Reitz der sinnlichen Belustigungen aus.
Dieses äussert sich in dem üppigen und unmässigen
Leben solcher Leute, die nicht bis unter die unver
nünftigen Thiere hinabgesunken, und keiner allge
meinen Verachtung unterworfen sind. Man be
merkt es auch in den unkeuschen
daher komt es, daß ihre Gegenstände sich durch eini
ge Begriffe von moralischen
von Gutartigkeit, Freundlichkeit, Gefälligkeit,
und Verbindlichkeit empfehlen. Diejenigen hin
gegen, welche von grosmüthigen Neigungen und
von der Liebe der Ehre und
lichkeit zu einem tugendhaften Wandel angeführet
werden, verachten die sinnlichen Belustigungen, öf
fentlich; und weder einige dunkle
die Hofnung, von Verdrus und Misvergnügen be
freyt zu seyn, empfehlen sie ihrer Wahl. Die äusserli
chen Uebel, Beschwerlichkeit, Aufwand und Ermat
tung, werden eben so sehr verachtet, als die Anlockun
gen zu Ruhe und Vergnügen: die moralischen Eigen
schaften sind, vermöge ihrer eigenthümlichen Macht, Erstes
Buch.
über sie erhaben. In dem Wollüstigen wird das
moralische Gefühl selten überwunden; die Be
lustigungen scheinen ihm unschuldig, oder die So
phisterey der
so sehr, daß er nur ein geringes moralisches Uebel
zu begehen glaubet, wenn er das höchste sinnliche
Gut erlangen kan; und die schwächsten moralischen
Neigungen werden durch die stärksten sinnlichen
Triebe überwunden; oft durch Beyhülfe einiger
falschen moralischen Vorstellungen.
Wir müssen hier auch anmerken, daß nicht
alle sinnliche Belustigungen dem moralischen Ver
gnügen entgegengesezt sind. Es giebt eine gewisse
gemässigte Nachsicht gegen die sinnlichen Begier
den, die vollkommen unschuldig, und hinlänglich
ist, den unruhigen Trieb zu befriedigen. Diese
Nachsicht kan durch eine weise Einrichtung eben so
stark seyn, als irgend eine Art sinnlicher Belusti
gungen, und sie kan so gar die moralischen beför
dern. Der Mässige, und derjenige, welcher, nach
einer Beherrschung seiner selbst, in seinem ledigen
Stande, bey seiner Verehlichung, eine weise Wahl
getroffen hat, können eben so hohe sinnliche Be
lustigungen geniessen, als andre. Wenn wir die
voraussetzen, daß sie allen Befriedigungen der
ne
unsern Herzen so unaufhörlich wirksam erhalten
werden sollte, daß sie alle
liger Weise entgegen seyn möchten, unterdrücken
könte. Die angenehme Herrschaft der Tugend ge
Abschnitt.
währt uns solche Vergnügungen, welche die höch
sten in ihrer Art sind; oder wenn dieses nicht ge
schieht: so ersezt sie den Verlust durch den innern
Beyfall, wegen einer solchen Enthaltsamkeit und
Selbstbeherrschung. Wie reichlich wird nicht durch
den Beyfall, den
mühung, sich um andre verdient zu machen, er
hält, und durch die Erwiederung der unveränder
lichen Neigungen eines würdigen Herzens; der
Mangel der unregelmässigen, schandbaren, verwir
renden und unangenehmen Leidenschaften und Aus
schweifungen ersezt, welchen sich Personen überlas
sen, die weder eine moralische Würde, noch bestimm
te und unwandelbare Neigungen besitzen.
V. Wir kommen nunmehro auf die Vergnü
gnügen der
schönen Kün
ste und Wis
senschaften
übertrift die
sinnlichen
Vergnügun
gen an Wür
de.
gungen der
äusserlichen anständigen und ordentlichen Einrich
tungen und in der Wahrnehmung der
und Harmonie, zu welchen wir noch die Belusti
gungen, welche schöne
gewähren, rechnen können. Hier geht keine unru
hige thierische
das Vergnügen erhöhen könte; und doch wird
man unmittelbar finden, daß diese Vergnügungen
höher sind, als die sinnlichen, und daß sie uns von
unsrer Natur mehr empfohlen werden. Wenn der
Antrieb der Begierde unangenehme
verursacht: so wird sich dieses Vergnügen so lange
verzögern, bis diese unangenehme Empfindung aus
dem Wege geräumt worden; besonders wenn man
nicht befürchten darf, daß sie bald wiederkommen Erstes
Buch.
werde. Allein das Anschauen schöner Gestalten,
die sinnreichen Werke der Kunst, und die vollkom
menern Werke der
Harmonie und an der
Künste, die Entdeckung der unveränderlichen Be
ziehungen und Verhältnisse der Gegenstände des
gen, welche über alle
wenn die sinnlichen allein, ohne entlehnte Reizun
gen einer höhern
se männlichern Vergnügungen sind unsrer Natur
gemässer, und sie werden allemal hochgeachtet und
gebilligt, wenn wir über die Bestrebungen anderer
urtheilen.
Diese Vergnügungen übertreffen die sinnli
chen auch in der Dauer. Sie können einen gros
sen Theil unsers Lebens einnehmen, ohne uns zu
sättigen, oder Ekel zu verursachen, da der Genus
derselben etwas selbstständiges ist, und von der Be
friedigung einer vorhergegangenen unruhigen Em
pfindung nicht abhängt. Sie sind die anständigen
Uebungen der Seele, so lange keine höhere Pflich
ten, der
migkeit
gen. Sie haben etwas von der dauernden Natur
der
alle Belustigungen, welche blos den sterblichen
per
ten der Tugend einige Zeit erlauben; so oft können
wir dieselbe auf die angenehmste und anständigste
Art mit der natürlichen oder
Abschnitt.
mit der Geometrie, Astronomie,
rey
den schönen Künsten zubringen. Einige von den
angenehmsten unter diesen Vergnügungen erfor
dern nichts Eigenthümliches, und es können uns
niemals Gegenstände fehlen. Wenn die Gewohn
heit das Vergnügen an den bekanteren
ten
Bau derselben neue Belustigungen verschaffen, und
die Schätze der Natur sind unerschöpflich.
Die Gegenstände von dieser Art, welche et
was Eigenthümliches erfordern, sind ungewisser,
die Bestrebung nach ihnen ist beschwerlicher und
ängstlicher, und die
weil ein langer Besitz den Gefallen daran vermin
dert. Die Einbildungskraft hat hier eine Ein
schränkung nöthig, damit sie nicht, vermittelst der
verknüpften Begriffe, von einer moralischen Wür
de und Freygebigkeit, in eine ausschweifende Be
wunderung gerathe, und uns zu unzählichen Bestre
bungen nach solchen Dingen verleite, die zu unserer
VI. Die sympathetischen Vergnügungen, wel
thetischen
Vergnügun
gen sind
stark.
che wir über das Glück anderer empfinden, stehen
mit den liebreichen Neigungen, die wir für diesel
ben unterhalten, in Verhältnis. Unsere Natur ist
dieser Neigungen ungemein fähig; besonders der
stärkern Arten derselben, gegen Abkömlinge, Aeltern,
Anverwandten, Wohlthäter, oder Leute von ausser
ordentlichen Verdiensten; gegen Secten, Parteyen,
und das Vaterland. Sie verschaffen uns mehr BeErstes
Buch.
schäftigung, und haben auf das Glück oder Elend
unsers Lebens einen grössern Einflus.
Vergleicht diese mit andern: betrachtet die
Freude des Herzens über ein ansehnliches Glück,
oder über die
lieben, eines
über einen Ruhm oder Vortheil, den unsre Par
tey oder unser Vaterland, oder eine würdige Sache,
welcher wir uns annehmen, oder ein bewunderter
befürchteten Gefahr entgangen sind. Wenn eine
herzliche Zuneigung vorhanden ist: so sind diese
Freuden ungleich grösser, als irgend einige von den
vorhergehenden. Welches Vergnügen der
oder der
sen, um diese Freuden zu erhalten? Oft haben
Menschen darüber, daß sie einer befürchteten gros
sen Gefahr entgangen sind, eine so grosse entzücken
de Freude empfunden, daß sie für die Natur zu hef
tig gewesen ist, und traurige Folgen gehabt hat:
wir haben mehr Beyspiele, daß auch die sympatheti
schen Freuden solche Wirkungen gehabt haben.
Und wenn einigen Gemüthsarten, nach der
rung
so findet man noch mehrere, welche es über das Un
glück anderer eingebüsset haben. Die Vergnügun
gen müssen von einer solchen höhern Art seyn,
welche alle Mühe und Arbeit, die für Abkömlinge
und Freunde unternommen wird, auch in den ge
ringsten Charactern angenehm machen können.
Der Ueberflus an allen Dingen, die man selbst
Abschnitt.
nicht nöthig hat, schwächt den Fleis der Menschen
nur wenig.
Diese Vergnügungen dauern so lange, als
die Person geliebt und glücklich ist. Ein neuer
glücklicher Zufall, den wir selbst, oder unsre Freun
de erfahren, rühret uns stärker, als Vortheile, die
wir lange besessen haben. Allein, so lange die Nei
gung vorhanden ist, so lange bleibt auch das Ge
fühl, und die sympathetischen Freuden werden uns
niemals ekelhaft. Wenn die Neigungen sich auf
falsche Meinungen von den Verdiensten der Per
sonen, oder von dem Werth der Sachen gründen;
so können dieselben von keiner Dauer seyn, und die
sympathetischen Freuden werden verloren, und zie
hen Ekel und Unwillen nach sich. Allein, die vor
nehmste Ursache des Unbestands in dieser Art von
derjenigen, die wir lieben; denn ihr Elend mus
uns die stärkste Bekümmernis verursachen. Hierin
nen hängen wir ganz von der
Alles was wir thun können, uns einen Vor
zeugung von
der
hung
einzige
Grund der
Sicherheit.
rath von Freuden dieser Art zu verschaffen, bestehet dar
innen, daß wir die Verdienste der Personen und den
Werth der Sachen genau untersuchen, und dadurch
unsern stärkern Neigungen auf die höheren Ver
dienste der Menschen von einer wahren Rechtschaf
fenheit und gebesserten Einbildungskraft richten,
deren Glückseligkeit weniger unbeständig ist, als an
derer. Wir müssen eine feste Ueberzeugung von
der
die allgemeinsten Neigungen ausüben. Je stärker Erstes
Buch.
unsre allgemeine Wohlgewogenheit seyn mus, wenn
das Glück aller Menschen uns die höchste Freude
verschaffen soll; desto grösser mus auch unsre Be
trübnis über ein allgemeines Elend seyn. Allein,
eine feste Ueberzeugung, daß eine gütige Vorsicht
das Ganze, auch mitten unter scheinbaren Uebeln
und Unordnungen, auf das beste regiere, kan diese
Neigungen sicher machen, und uns einen Ueberflus
an höhern Freuden verschaffen. Hiervon werden
wir im Verfolg reden.
VII. Die vierte Classe der Vergnügungen
sind die moralischen, welche aus dem Bewust
seyn guter Neigungen und Handlungen entsprin
gen. Diese Freuden sind von den sympathetischen
unterschieden, die von der
stehen, zu welcher unsre Neigungen und
gen
gungen und Handlungen selbst können uns auch
ohne alle Absicht auf den Zustand anderer nicht gleich
gültig seyn, wenn wir auf sie aufmerksam sind.
Wenn wir unsre ganze
finden: so müssen wir dadurch den angenehmsten
innern Beyfall erlangen; und eine höhere Freude
entstehet alsdenn, wenn wir diese Neigungen in der
Ausübung wohlthätiger Pflichten zu erkennen ge
ben. Diese Freuden sind die wichtigsten und höch
sten in Absicht auf die Würde und Dauer.
Wie weit sind nicht die höchsten Belustigun
gen der
einer tiefsinnigen
baren Freude, welche aus dem Bewustseyn eines
Abschnitt.
guten Herzens entspringt; unter dem hohen Bey
fall, welchen man in sich selbst fühlt, wenn man
seinem Vaterland oder seinen
tige und nützliche Dienste geleistet hat; und unter
der ergötzenden Gedanke, sich um das menschliche
Geschlecht wohl verdient, und seines Beyfalls wür
dig gemacht zu haben? Die liebreichen Neigungen
lassen das Herz ruhig; wir empfinden einen in
nern Wohlgefallen an ihnen, und wir unterhalten
dieselbe unsre ganze Lebenszeit mit der grössten Freu
de. Allein unsre Natur ist zu mehrern geschickt,
als zu unthätigen Neigungen. Es ist mit der
Uebung unsrer Kräfte eine hohe
knüpft; und je edler die Kraft ist, desto glücklicher
sind wir, wenn wir sie üben. Wenn die tugend
haften Unternehmungen gelingen: so entsteht von
dem Bewusstseyn eines guten Herzens, von dem
geselligen Gefühl bey dem
der erwarteten
besonders von dem Wohlgefallen unsers Schöpfers,
ein Zusammenflus von so reinen Freuden, die alle
andre Vergnügungen übertreffen. Wenn unsre
Bemühungen mislingen: so fehlen uns die sym
pathetischen Freuden, und wir werden von
den
gnügungen bleiben. Die moralischen Belustigun
gen können die Betrübnis über das Elend einer
geliebten Person, oder über den unglücklichen Aus
gang einer Sache, welcher wir uns angenommen
hatten, mildern. Wären wir uns nicht bewust,
daß wir, so viel uns betrift, wohl gehandelt haben:
so würde uns diese Betrübnis unerträglich seyn.
Die Einbildungskraft kan damit wohl beste
gnügungen
sind die dau
erhaftesten.
die Uebung zu, und die Gewohnheit macht ihn im
mer angenehmer. Die Erinnerung ist allemal er
götzend, und macht das Vergnügen dauerhaft,
wenn richtige Begriffe von der Tugend, von dem
Verdienste der Personen, und von dem Werth der
Sachen vorhanden gewesen. Die Schöpfung ver
schiedener
des Zustands, welcher bey einer Art derselben an
getroffen wird, und daß einige mehr, andere
weniger vollkommen sind, hat wahrscheinlicher
Weise auch diesen Endzweck, daß es den edlern
Seelen niemals an Gelegenheiten fehlen soll, ihre
tugendhaften Gesinnungen gegen andre, die entwe
der weniger vollkommen, oder weniger glücklich
sind, als sie, auf eine angenehme Art in Uebung zu
bringen. Diese Freuden übertreffen die Macht,
welche das
schen gesunde Seelen haben. Ein niedriger Stand,
eine beschwerliche Lebensart oder äusserliches Unge
mach können uns unfähig machen, andern die wichtig
sten Dienste in äusserlichen Dingen zu leisten; al
lein sie können uns weder die innern guten Regun
gen des Herzens rauben, noch uns verhindern, die
jenigen Handlungen, zu welchen unsere Fähigkei
ten uns geschickt machen, zu unternehmen; und die
ses ist die höchste Tugend.
Unüberlegte
teyischer
ringere Neigungen, ohne richtige Begriffe von
Abschnitt.
dem Verdienst der Personen und dem Werth der
Sachen, können uns zu einem Verhalten verleiten,
welches uns, bey einer bessern Erkäntnis, beschämet
und den Vorwürfen unsers Gewissens aussetzet.
Allein, wenn wir durch Nachsinnen und Ueberle
gung richtige Begriffe von der Tugend und dem Ver
dienst, und von den sichersten Mitteln Gutes zu
thun, erlangt haben: so sind die tugendhaften
Handlungen, welche die natürlichen Bestrebungen
vernünftiger und geselliger Wesen sind, und ihre
höchste
Gewalt.
Unter diesen moralischen Vergnügungen, ver
dienen die Freuden der
gen
der Classe der moralischen Belustigungen die höch
sten von allen sind. Allein, da dieselben von ganz
anderer Natur sind, als die übrigen moralischen
Vergnügungen: so sollen sie aus Ursachen, die wir
schon oben angeführt haben, im Verfolg besonders
betrachtet werden, und wir werden zeigen, daß sie,
vor allen andern, den wichtigsten Einflus auf eine
unveränderliche und erhabene Glückseligkeit haben.
IX. Da die Vergnügungen der
gnügungen
der Ehre sind
sehr stark.
von dem Beyfall der Achtung und der Dankbar
keit anderer entstehen, natürliche Folgen der Tu
gend sind; so müssen sie, wenn sie sich auf die
selbe gründen, unter die angenehmsten Empfin
dungen der Seele, gerechnet werden. Die
se Freuden der Ehre und Tugend, und die sympaErstes
Buch.
thetischen Freuden stehen in einer natürlichen Verknü
pfung, und wir haben nicht nöthig, eine zu genaue Ver
gleichung zwischen ihnen anzustellen. Sie werden
durch einerley Verhalten erreichet, und wenn sie
zusammenkommen: so sind keine Worte stark ge
nug, die Glückseligkeit, welche man alsdenn genies
set, auszudrücken. Die sympathetischen Freuden
können, in einigen Herzen voll zärtlicher Neigun
gen, stärker seyn; und Menschen, die in öffentlichen
Bedienungen geschäftig sind, können von dem Be
wustseyn der Tugend und einer verdienten Ehre
mehr gerührt werden. Sind sie aber alle drey
vereiniget, werden sie von der festen Ueberzeugung
begleitet, daß ein gütiger GOrt sey, welcher unsre
Gemüthsart billiget, und die allgemeine Ordnung
und Glückseligkeit in Sicherheit erhält: so mus
unser Zustand der unaussprechlichen ruhmvol
len Freude am nähesten kommen, auf welche wir,
Die wahre
gleichet nicht den sinnlichen Ergötzungen, welche,
wie der Schatten einer Wolke, vergehen, und keine
Spur hinter sich zurücklassen. Der Beyfall und
die Hochachtung anderer, wenn sie sich auf die Tu
gend gründen, können, wahrscheinlicher Weise, so
lange, als das Leben, währen, und uns überleben:
und der Beyfall Gottes wird von ewiger Dauer
seyn. Die Bestrebungen nach einem allgemeinen
Ruhme, wegen ausserordentlicher Fähigkeiten und
Tugenden, können wirklich mislingen, mit Be
Abschnitt.
schwerlichkeit verknüpft seyn, und übertrieben wer
den. Gemeine Tugenden, oder auch die höchsten
Tugenden in niedrigen Ständen, werden nicht den
allgemeinen Beyfall der
ein weiser und tugendhafter Mann, kan sowohl in
einer eingeschränktern als in einer weitern Sphäre
allemal eine solche Ehre erlangen, die ihm grosse
Freude verschaft. Und ein gutgeartetes Herz, wel
ches von einer
überzeuget ist, versichert sich des ewigen Beyfalls
des besten Richters.
X. Gegen diese
gungen wel
che Scherz
und Frölich
keit gewäh
ren, sind
mit der Tu
gend ver
wandt.
die Vergnügungen, welche uns Scherz und Frö
lichkeit gewähren, nur eine geringe Betrachtung.
Und dennoch verachten auch
sinnlichen Belustigungen, welche von ihnen man
che Reizungen entlehnen, ohne die dieselben verächt
lich und schandbar seyn würden. Sie machen die
andern Ergötzungen angenehmer, und durch sie
erholen wir uns von den ernsthaften Geschäften.
Die edlern Freuden haben etwas geseztes, strenges,
und feyerliches. Aber das menschliche
seine Erquickungen haben. Wenn Scherz und
Frölichkeit einen Werth haben sollen: so müssen sie
ihn allemal von der Tugend erhalten. Denn nur
zu einer
von Zorn, Has,
freyet ist, finden Scherz und Frölichkeit einen freyen
und offenen Weg. Diese Vergnügungen sind alle
mal gesellig, und fliehen die Einsamkeit. Sie sind
die schätzbarsten, wenn sie mit Erstes
Buch.
gegen andere, und einer erwiederten Hochachtung
verbunden sind.
Da Reichthum und Ansehn kein unmittelba
res Vergnügen verschaffen, sondern nur Mittel
sind, Vergnügungen zu erlangen: so können sie nur
in so weit einen mehr oder weniger wichtigen Einflus
auf unsre
sitzer sie zu solchen Vergnügungen anwendet, wo
durch dieselbe mehr oder weniger befördert wird.
Ein Tugendhafter also, welcher sie zu edelmüthigen
und tugendhaften Unternehmungen anwendet, hat
von ihnen edlere Vergnügungen zu gewarten, als
diejenigen, welche sie zu den Belustigungen der
bildungskraft
wenden; und doch ist dieses allemal anständiger,
als wenn sie blos zu sinnlichen Ergötzungen ange
wendet werden. Wenn sie, aus gewissen verwor
renen Vorstellungen, nicht auf ihren natürlichen
Endzweck gerichtet, sondern blos, um ihrer selbst
willen, begehrt werden: so entstehen daraus der
Geiz und die Ehrsucht, mitleidenswürdige und un
ersättliche
sind; und Leute solcher Art haben von allem, was
sie erlangen und besitzen, nicht das mindeste Ver
gnügen.
XI. Was die andern vermeinten Vergnügun
gen anbetrift, welche die Befriedigung der
schaften
der Rache begleiten sollen: so ist gewis, daß keine
geringe Freude mit dieser Befriedigung verknüpft
ist, wenn die Leidenschaften stark sind. Allein
Abschnitt.
gleichwie Wohlwollen, Hochachtung,
barkeit, und eine jede liebreiche Neigung natürliche
und ursprüngliche Vergnügungen sind, welche die
Seele ruhig lassen: also ist die wahrgenommene
Glückseligkeit einer unschuldigen Person, eine Ver
anlassung zu einer reinen unvermischten Freude,
welche, von keiner Linderung eines vorhergegangenen
lich gewesen ist, und unser
so empfinden wir über ihren glücklichern Zustand
noch eine andre Freude, welche von der Entfernung
unsers sympathetischen Schmerzes ihren Ursprung
hat. Allein das Elend eines andern ist natürli
cher Weise demjenigen, der es wahrnimmt, un
angenehm; es mus ihm also nur durch einen Zu
fall angenehm werden; durch einen vorhergegange
nen Zorn oder Neid; durch eine befürchtete Belei
digung, oder eine Hinderung der Vortheile einiger
von ihm geliebten Personen.
Diese Leidenschaften einer unfreundlichen Art
schaften sind
nicht ohne
allen Nutzen.
sind keine unnützen Theile in unsrer Natur. Wenn
wir eine Beleidigung oder einen Verlust befürchten,
der entweder uns, oder andere, die wir lieben, be
treffen soll: so entsteht der Zorn natürlicher Weise
und ermuntert uns zur Vertheidigung. Wenn
Personen, welche wir nicht hochachten, andern, die
höhere Verdienste besitzen, vorgezogen werden: so
entsteht in uns ein anständiger Widerwillen. Ein
gleicher Widerwillen nimmt uns gegen alle diejeni
gen ein, welche auch nicht die geringsten
schenErstes
Buch.
sicht kan diese Leidenschaften verstärken und zu Fer
tigkeiten machen. Die
begleiten, sind eine ursprüngliche Unruhe und Quaal;
und das allgemeine Beste erfoderte, daß wir bey ge
wissen Gelegenheiten denselben eben sowohl, als
dem körperlichen Schmerz ausgesezt werden musten.
Die liebreichsten Gemüthsarten haben einige kurze
Anfälle davon gehabt, und sie haben empfunden,
wie unruhig diese Augenblicke vorübergehen. Wenn
solche Leidenschaften stark und dauerhaft sind, und
in Has, vorsätzliche
so mus das Elend sehr gros seyn. Es ist also kein
Wunder, wenn die Entfernung desselben ein be
trächtliches Vergnügen verschaft; und dieses ge
schieht dadurch, wenn die gehasste oder beneidete
Person unglücklich ist. Aber diese unruhige Freu
de ist, auch so lange sie dauert, mit den ange
nehmen sympathetischen Freuden, mit der Empfin
dung einer verdienten
mit der innern Zufriedenheit über die Verzeihung,
wenn kein allgemeiner Vortheil Bestrafung erfor
dert, nicht in Vergleichung zu bringen. Und als
denn hört diese bösartige Freude sobald auf, als die
Leidenschaft befriedigt ist, da uns das Elend eines
noch so sehr gehassten Gegenstandes nicht lange
vergnügen kan. Wenn wir nachdenken: so ist die
se Freude auch niemals ein Gegenstand unsers Bey
falls, wir mögen sie nun selbst empfunden, oder
an andern wahrgenommen haben; ja sie zieht ge
meiniglich innere Unruhe, Reue und Bekümmer
nis nach sich. Die unruhige Seele kan an dem
Elend anderer kein Vergnügen haben; ob sie sich
Abschnitt.
gleich, sobald es ein öffentlicher Vortheil erfordert,
darüber zufrieden giebt. Wir können nur alsdenn
wünschen, die Rache zu verlängern, wenn wir wahr
nehmen, daß
derholet werden, oder, wenn von der
uns beunruhiget hatte, noch etwas zurück geblieben
ist. Und dieses ist eine Ursache, warum der Tapfere
nicht grausam ist. Diese bösartigen Vergnügun
gen verhalten sich also gegen ruhige und liebreiche
Freuden eben so, wie sich die Löschung des bren
nenden Durstes in einem Fieber, oder die Sätti
gung eines kranken hungrigen Magens, gegen das
Vergnügen verhält, welches uns angenehme Spei
sen und Getränke gewähren, wenn wir gesund sind,
und den Trieb zu essen und zu trinken, in seiner na
türlichen Stärke fühlen.
XII. Wir können, in Ansehung dieser verschie
ralisches Ge
fühl bestimmt
den Werth
der Neigun
gen und Ver
gnügungen,
nachdem sie
das allgemei
ne Beste be
fördern.
denen Vergnügungen, bemerken, daß unsre Seelen,
in der gütigsten Absicht, dergestalt eingerichtet sind,
daß wir, nach einer ruhigen Ueberlegung, den Werth
derselben nach dem Einflus bestimmen, welchen sie
auf die
Diejenigen, welche blos die Sicherheit und die thie
rische Befriedigung eines einzelnen Wesens
angehen, werden für die niedrigsten gehalten; und
solche, welche von einem allgemeinen Nutzen sind,
und die Menschen antreiben, andern zu dienen,
werden höher geachtet, und zwar in verschiedenen
Graden, nachdem sie mehr oder weniger allgemein
sind. So schätzen wir die Vergnügungen der schö
nen Künste, und solche Uebungen des Erstes
Buch.
Seele hoch, welche für einige einen natürlichen Nu
tzen haben können. Die partheyischen eingeschränk
tern Neigungen sind angenehm; allein gleichwie
die unveränderlichen, ruhigen und allgemeinen Nei
gungen von grösserm Nutzen sind: also gewähren
sie uns auch mehr Vergnügen, sowohl in der Ue
bung selbst, als bey der Erinnerung, wenn nur ei
nige Aufmerksamkeit und Ueberlegung vorhanden
ist. Wir sehen also, daß das moralische Gefühl
solche Eigenschaften am meisten billiget und em
pfiehlt, welche am meisten auf das allgemeine Be
ste abzielen, und zu gleicher Zeit der handelnden
Person, wenn sie nachdenkt, die edelsten Vergnü
gungen verschaffen. Und so erkennen wir durch
eine genaue Betrachtung unsrer Beschaffenheit, daß
die zwo grossen Bestimmungen
unsrer Natur
vollkommen wohl neben einander bestehen, und
durch ähnliche Mittel befriediget werden können.
Wir werden diese Folgerung durch eine Verglei
chung der verschiedenen Arten von Schmerz oder
Misvergnügen noch gewisser machen.
XIII. Wir kommen nunmehro auf die Ver
gleichung der verschiedenen Arten von Unruhe und
bar einzusehen, daß die verschiedenen Arten von
Misvergnügen mit dem Vergnügen in keinem ge
nauen Verhältnis stehen. Blos körperliche Ver
gnügungen sind die niedrigsten und schwächsten,
und dennoch kan der körperliche Schmerz sehr hef
tig seyn. Allein wir können hieraus nicht folgern,
daß derselbe das grösste mögliche Elend sey, wie
Abschnitt.
einige behauptet haben. Bey dem Schmerz mus,
wie bey dem Vergnügen, sowohl die Art, als die
Stärke, in Betrachtung gezogen werden. Die Er
haltung des Körpers erforderte diese feste Verknüp
fung mit der Seele, und die
che Folgen seiner Schmerzen sind, musten sehr stark
seyn, so, daß sie zuweilen schwächere Seelen ganz
einnehmen, und dieselben ungeschickt machen, auf
andre Dinge aufmerksam zu seyn. Allein die
Pflicht billigen kan, welches der Entfernung eines
körperlichen Schmerzens gemacht wird; und daß
das moralische Uebel immer etwas schlimmers ist.
Einige Arten von Schmerz haben eine Eigenschaft,
welche der Würde, wovon wir geredet haben, ganz
entgegen ist, und welche sie zu Ursachen eines grös
sern Elends macht, als irgend ein körperlicher
Schmerz seyn kan, er sey auch noch so stark, als
er wolle. Dieses vermindert nicht den Werth ei
ner Person, und bringt auch keinen solchen verwor
fenen elenden Zustand hervor, als das Bewustseyn
moralischer Uebel, die hassenswürdiger sind, und
Gewissensangst und einen Abscheu vor uns selbst
veranlassen. Wir schliessen anders, wenn wir Per
sonen von gemeiner
Marter zu entgehen, alle Bande der Zuneigung,
Pflicht und
chen Versuchung, ihre Freunde und ihr Vaterland
verrathen sehen.
Allein in solchen Fällen wird der höchste kör
chen des Jrr
thums in die
ser Sache.
perliche Schmerz mit einigen niedrigern sympathe
tischen Schmerzen bey einer schwächern Zuneigung, Erstes
Buch.
oder mit geringern moralischen Eigenschaften ver
glichen, da doch die höchsten von beyden Arten mit
einander verglichen werden sollten, um ihre Wich
tigkeit zu finden. Einer, der keine hohe Tugend
besizt, verräth seinen Freund oder sein Vaterland,
in Angelegenheiten, die er zu ihrer Sicherheit nicht
für schlechterdings nothwendig hält, und deren Ent
deckung ihr Unglück nicht gewis nach sich zieht;
wenn dagegen seine Martern gegenwärtig sind,
und durch keinen andern Weg vermieden werden
können. Der Fall sollte von Leuten von hoher
Tugend angenommen werden, deren Marter ein ge
wisses unvermeidliches Unglück für ihre Freunde
oder für ihr Vaterland seyn würde. Herzhafte
Männer haben in dergleichen Fällen alle Martern
ausgestanden; und solche, die es nicht können, füh
len doch, daß sie unrecht gehandelt haben, und sie
misbilligen ihre eigne Wahl, nach welcher sie lieber
ein moralisches Uebel haben begehen, als den höch
sten Schmerz ertragen wollen. Es äussert sich
darinnen eine sehr feine Einrichtung in unsrer Na
tur; daß Menschen von einigem Nachsinnen, wel
che sich die Martern als die grössten Uebel vorstel
len, dennoch erwarten, daß man dasjenige, was
man für seinen eigenen höchsten Vortheil hält,
durch die Erdultung des grössten Elends dem ge
meinen Besten aufopfere; und daß solche Men
schen dieses für ein natürliches Verhalten ansehen,
und demselben einen hohen Beyfall zugestehen.
Dieses bestätiget dasjenige, was wir oben von einer
ruhigen Bestimmung gegen das gemeine Beste ge
sagt haben, welche sich auf keinen eigenen Vortheil
Abschnitt.
der handelnden Person, er sey so gros, als er wolle,
bezieht; und daß dieser Bestimmung alle andere in
in unsrer Natur unterworfen seyn müssen.
Wir wollen gemeinere Fälle anführen. Wie
oft pflegen nicht Anverwandte, Freunde, Patrioten
die grössten Leiden auszustehen, um dadurch andere
von ähnlichen Leiden zu befreyen? Die eigene Em
pfindung des Hungers, des Ungemachs, der Wun
den und des körperlichen Schmerzens ist erträgli
cher, als das sympathetische Gefühl, vermöge dessen
wir dieses alles mit andern zugleich leiden. Und
bey den verwandschaftlichen Neigungen wird sich
selten eine Absicht auf Pflicht, Ehre und Vergel
tung finden. Einige Verbrechen sind so abscheu
lich, daß auch Leute von gemeinen
Martern erdulden, als sie begehen, und willig ihr
Leben in Gefahr setzen würden, um sich derselben
nicht schuldig zu machen.
In den Fällen, da die Pflicht der Marter
nachgiebt, ist das eigene Uebel gegenwärtig, gewis
und fühlbar; der öffentliche Nachtheil hingegen ist
abwesend, ungewis und vielleicht vermeidlich. Die
moralische Schändlichkeit wird durch die Grösse der
Versuchung vermindert, und die Kraft des mora
wird auf diese Art schwächer.
Man setze Fälle, wie man sie in den alten
beln
Nachricht, welche nur eine verdorbene, erhizte, un
gestüme und grausame Gemüthsart für wahr an
nehmen können, eine unbekante Person durch Mar
tern umgebracht, und er erfahre hernachmals, daß
diese Person sein
samer Sohn, oder sein edelmüthiger Freund, oder
sein redlichgesinnter Bruder gewesen: welcher kör
perliche Schmerz könte der Gewissensangst und dem
sympathetischen Schmerz, der hieraus entstehen
würde, gleich gesezt werden? und doch wird hier
das Verbrechen durch die Unwissenheit vermindert.
Wenn einige Menschen aus einem innern Gram
sich selbst umgebracht haben: so hatten sie ihre
Verbrechen gemeiniglich aus Unwissenheit, Unvor
sichtigkeit oder einigen wüthenden
gangen; welche alle Verminderungen der Schuld
sind. Was für eine Marter müsste es seyn, wenn
Menschen, wissentlich und ohne alle Veranlassung,
sich gleicher Verbrechen schuldig gemacht hätten, und
hernach wiederum ein gewisses Gefühl der Tugend
erlangten? Allein es ist schwer, Menschen zu fin
den, die so schuldig sind. Unsre Natur ist solcher
Verbrechen nicht fähig, und wenn sie es ist: so
Abschnitt.
ist das moralische Gefühl
unwiederbringlich
Nehmt die sympathetischen
allein. Wo ist der grosse Unterschied, in dem Un
glück, wenn wir selbst Martern ausstehen, und
wenn wir Augenzeugen von den Quaalen eines ge
liebten oder einzigen
Vaters sind, oder wenn wir sie noch einem schmäh
lichern Wollte Gott,
ich hätte für dich sterben können, ist bey sol
In Betrachtung des Zustandes derjenigen,
die wir lieben, kömt uns das moralische Uebel alle
mal grösser vor, als der körperliche
Wird jemand lieber wünschen, daß sein Sohn oder
sein Freund sich, ohne alle Rettung, allen
und allen Niederträchtigkeiten ergeben, aber dage
gen von Schmerz befreyt seyn, und an sinnlichen
Vergnügungen Ueberflus haben möge: oder wird
er lieber wollen, daß er den grössten Quaalen bey
einer heldenmüthigen That ausgesezt sey, und ein
lebhaftes Gefühl der Rechtschaffenheit und Selbst
hochachtung und die sympathetischen Freuden bey
dem Glück alles desjenigen, was ihm lieb ist, bey
behalte?
Die natürliche Kraft der menschlichen
dem Schmerz zu widerstehen, würde sich weit mehr
äussern, wenn nicht die heftigern Arten desselben
gemeiniglich von dem
würden. Entfernet diese
Seele weit leichter ertragen können. Bey einigen Erstes
Buch.
unangenehmen Begebenheiten, und den damit ver
knüpften Zufällen, welche das Leben nicht in Ge
fahr setzen, können die Menschen, ohne alle Beküm
mernis des
Frölichkeit, einen sehr heftigen Schmerz ertragen
und verachten.
Der Schmerz in den äussersten Theilen des
körperliche Schmerzen sind von dem moralischen
Misvergnügen darinnen unterschieden, daß sie kein
Gefühl eines Uebels zurück lassen, wenn die unange
nehme Empfindung aufhört. Das Andenken an
dieselben hat mehr Angenehmes als Widriges,
wenn man ihre Wiederkunft nicht befürchten darf.
Die Seele wird dadurch oft gebessert, weil die
fahrung
man in einer rühmlichen Sache Schmerzen aus
gestanden hat: so bleibt dieses allemal ein Anlas zu
Freude und Ruhm.
XIV. Unsre höhern
che wir die Vergnügungen der
erhalten, lassen weit weniger Schmerz, als Ver
gnügen zu, wenn die Seele in einer guten Verfas
sung ist. Die
Körpers kan der Person, die so unglücklich ist, sehr
unangenehm seyn; und auf gleiche Art kan die Nie
derträchtigkeit und der Mangel der Anständigkeit
und einer ordentlichen Lebensart denjenigen, welche
ein hohes Verlangen darnach tragen, und Begrif
fe von
gen verursachen. Allein es gehet vor dieser Ein
Abschnitt.
bildung eines grossen Gutes in den Gegenständen
kein unruhiger Antrieb vorher, wie vor den
gierden
kan allen Schmerz aus dem Wege räumen, be
sonders, wenn edlere Freuden den Mangel dieser
Harmonie, sinnreiche Werke der
schickte
lichkeit der äusserlichen Gegenstände, Mishelligkeit,
schlechte Nachahmungen oder ungeschickte Werke der
Kunst kein anderes Misvergnügen verursachen, als
die geringe Art desselben, welche von einer fehlge
schlagenen Erwartung in einer Sache, die im
menschlichen Leben keinen Nutzen hat, entstehet.
Die
gnügen begleitet; allein, der Mangel derselben
bringt eher kein Misvergnügen hervor, als bis ein
hohes Verlangen darnach und eine
derselben, oder die Furcht, daß dieser Mangel uns
zur Schande gereichen werde, vorhanden ist. Die
unangenehme Empfindung, welche von dem Man
gel eines prächtigen und wohleingerichteten Lebens
entstehet, ist auch bey einer erhitzten Einbildungs
kraft erträglicher, als der körperliche Schmerz, oder
das sympathetische Misvergnügen, oder das Gefühl
einer moralischen Schändlichkeit und Unehre; und
dieses rührt von einer weisen und gerechten Ein
richtung her, da diese andern Empfindungen die Ab
sicht haben, die Menschen für Uebeln, welche dem
ganzen System schädlicher sind, zu bewahren.
Wenn zuweilen einige Menschen, durch einen Erstes
Buch.
unmässigen Aufwand auf äusserliche Pracht und
terland, manchen Uebeln aussetzen: so werden die
entfernten Widerwärtigkeiten anderer nicht vermu
thet, oder nicht erwogen; man hoft auf neue Freun
de, auf eine Unterstützung; auf eine vortheilhafte
Beförderung, welche man durch die Freundschaft
der Grossen zu erhalten denkt; die nahen Uebel
werden nicht befürchtet, und die Schuld wird nicht
bemerkt.
XV. Die sympathetischen, und die
Unehre entstehen, sind die höchsten, welche unsre
Freuden die höchsten sind: und sie können das Le
ben ganz unerträglich machen. Das Elend einer
geliebten Person ist, so lange es dauert und be
merkt wird, ein unablässiger Schmerz für den Zu
schauer. Wenn es durch den
währet die schmerzhafte Erinnerung in einem em
pfindlichen Herzen noch lange fort, bis etwa Ge
schäfte die Gedanken davon abwenden, oder ein tie
fes Nachsinnen Trost gewährt. Die sicherste
Zuflucht in solchen Fällen kan man zu der gütigen
für alle würdige Gegenstände unsrer liebrei
chen Neigungen eine künftige
stimmt ist.
Es ist vergebens, wenn man behaupten will,
daß alle Sympathie ein Vergnügen mit sich führe,
welches über den Schmerz erhaben sey. Alsdenn
Abschnitt.
würden wir nicht geneigt seyn, den Zustand des Ge
genstandes zu verändern. Es ist wahr, wir sind
begierig, unglückliche Begebenheiten anzusehen,
und wir sind für die
und doch ist das wahrgenommene Elend die einzige
Ursache des empfundenen Elends. Allein, es ist in
uns ein natürlicher Antrieb vorhanden, welcher uns
nöthiget, ein solches Unglück anzusehen, welches
dem Leidenden Erleichterung verschaft. Und wir
können diesen Antrieb zurückhalten, wenn wir vor
aus sehen, daß es keine guten Folgen haben wird.
Wir wollen uns nicht darüber verwundern, daß
wir einen Antrieb zu etwas fühlen, wovon wir we
der Vergnügen noch die Entfernung unsers eigenen
Schmerzens hoffen können. Bemerken wir nicht
nach dem Tode eines geliebten Freundes, wenn wir
ihm nicht mehr dienen, noch sympathetische Freuden
mit ihm empfinden können, daß die quälenden Ge
danken von seiner Todesangst, von seinen letzten
Seufzern, ganze Wochen, Monate und Jahre
lang in unsre Seelen zurückkehren. Unsre Bemü
hungen, die schmerzhaften unnützen Gedanken zu
vertreiben, sind lange fruchtlos. Wenn diese Be
mühungen oft und mit Lebhaftigkeit wiederholet
werden: so können sie endlich dieselben vertreiben;
allein, wenn wir nicht auf unsrer Hut sind: so
kommen sie wieder, und quälen uns. Kan diese
Empfindung mit einem Vergnügen verknüpft
seyn, da wir, wenn wir darüber nachdenken, uns
ihrer zu erwehren suchen, und uns wider sie, als
wider eine Qvaal, bewafnen; und da sie in zärtliErstes
Buch.
chern Leibesbeschaffenheiten, körperliche Schwach
heiten hervorbringt?
In Trauerspielen ist eine lebhafte
der
wider das
den edle Gesinnungen und Neigungen darinnen
ausgedrückt. Unsre sympathetischen
gen
tigkeiten, von welchen wir wissen, daß sie erdichtet
sind. Kan man sagen, daß das Schrecken ein hö
heres Vergnügen mit sich führe? und doch tragen
wir zuweilen nach Geschichten Verlangen, die uns
erschrecken. Allein wenn die Nachahmungen in
der
so sehr gefallen, daß wir Ungemach und Hunger
erdulten, um uns länger damit beschäftigen zu kön
nen: so ist es kein Wunder, wenn solche edle
ahmungen
eine unangenehme Unruhe der Sympathie, mit
eingebildeten Leiden, empfinden? Was für ein Ver
gnügen haben wir, wenn wir in einem Kranken
hause sind, oder ein wirkliches Aechzen vernehmen;
und also zwar genugsamen Anlas zu Mitleiden
bekommen, aber keine solche Tugenden entdecken?
Wenn man vergessen sollte, daß das Unglück in
dem Trauerspiel erdichtet ist: so wird der Schmerz
zu nehmen; allein die liebenswürdigen Tugenden
und die edlen Gesinnungen erfüllen die Seele mit
einem höhern Vergnügen.
Die Gewissensangst ist die höchste Quaal
sensangst ist
die grösste
und dauer
hafteste
und sie macht das Leben und alle seine Vergnügun
gen verhasst. Dieses bezieht sich nicht, gleich den
äusserlichen
ein materialisches System, welche seine Unordnun
gen anzeigt, die innere Würde hingegen, welcher je
mand sich selbst, oder seinen Freund hochachtet,
niemals schwächt. Wir scheinen uns bewust zu
seyn, daß der Person; nicht das
Selbst
ist, das wir hochschätzen; und das seine
Unordnungen und sein Verfall die Vortreflichkeit
oder Würde eines
mindern kan. Wir fühlen, daß das moralische
Uebel die unmittelbare Erniedrigung dieses
Selbst
ist. Es macht unsre innerste
dern, die sie kennen, ekelhaft und verhasst.
Diese Empfindungen sind nicht vorüberei
lend; die Erinnerung ist allemal schmerzhaft. Sie
sind
*
weniger unangenehm, so lange die ungesättig
te
Heftigkeit äussert sich alsdenn erst, wenn das Ver
brechen begangen ist. Sie nagen die Seele lange
Zeit, und hören nicht auf, wenn nicht etwa die
Gewohnheit diese Kraft unwirksam macht, und
die Menschen sich allem, was niederträchtig ist,
preis geben. Und auch hier kan eine beträchtliche
Widerwärtigkeit oder Gefahr, welche eine Zeitlang
*
Quum scelus admittunt, superest constantia. Quid fas
13.
XVI. Unehre und Vorwürfe, die wir ver
dient haben, sind ein grosses Unglück. Allein
wenn wir sie ungerechter Weise ertragen müssen,
und wenn unsre eigenen Herzen unser Verhalten bil
ligen: so ist der Schmerz nicht so heftig, und wir
können ihn uns auf verschiedene Art erträglich ma
chen. In dem letztern Falle ist das Uebel weniger
dauerhaft, da die
wenigsten erwarten, an den Tag komt. Der all
wissende
und der weisere Theil der Menschen, mit welchen
wir zu thun haben, wird unsre Unschuld endlich ein
sehen, und wir können versichert seyn, daß sie mit
uns
gemeiniglich grössere
die meisten körperlichen Schmerzen, und sie können
von langer Dauer seyn. Sie überwiegen die sinn
lichen Vergnügungen bey solchen Leuten, die sich
denselben nicht ganz ergeben haben. Sie zu entfernen,
würden viele Menschen alle Ergötzungen der
dahin geben; und viele haben das Leben selbst gewagt.
Nach dieser unparteyischen Untersuchung un
serer verschiedenen Arten von Vergnügen und Mis
vergnügen, wird uns nunmehro die Erklärung von
dem höchsten Guten und Uebel, welche die alten
Cyrenaiker und Epikuräer und auch einige neuere
men, wenn sie die körperlichen Empfindungen für
den Ursprung und die lezten Beziehungen von bey
den ausgeben.
Der Argwohn, als ob die Ausübung aller geselligen
Neigungen und edelmüthigen Pflichten der
Tugend unserm eigenen Vortheil zuwider sey, wird
durch dasjenige, was wir, von den hohen Vergnü
gungen der sympathetischen und moralischen Nei
gungen, bereits gesagt haben, sattsam zu widerlegen
seyn. Allein das Unvernünftige in diesem Arg
wohn wird noch deutlicher werden, wenn wir be
trachten, was für Neigungen, unter den verschie
denen Arten derselben, welche die Mannichfaltigkeit
der Character ausmachen, an sich selbst die ange
nehmsten Vergnügungen sind, und die Seele in
den ruhigsten und heitersten Zustand versetzen.
Gleichwie alle
Neigungen
haben in dem
ganzen Sy
stem ihren
Nutzen.
gen, wovon wir oben geredet haben, Theile unsers
inwendigen Baues sind: also hat jede ihren natür
lichen Nutzen, entweder für uns selbst, oder für
das System, wovon wir ein Theil sind. Die
ralische
gen und liebreichen Neigungen, die uns aus uns
selbst herausführen. Allein die eigennützigen oder
auf uns selbst gerichteten Neigungen, haben, wenn
sie in gewissen Schranken gehalten werden, eine na
türliche Bestimmung, nicht nur das Beste der ein
zelnen Person, sondern auch das allgemeine Beste
befördern zu helfen; und ohne dieselben ist keines Erstes
Buch
in seiner Art vollkommen. Und da die Glückselig
keit eines ganzen Systems sich auf das Glück der
einzelnen Wesen gründet: so ist es nothwendig, daß
jedes die eigennützigen Neigungen in demjenigen
Grade besitze, welche der beste Zustand erfordert,
und wodurch die Beförderung des gemeinen Be
stens nicht gehindert wird.
Die vollkommenste und weiseste Einrichtung
eines vernünftigen Systems ist diejenige, wenn der
Grad der eigennützigen Neigungen, welche dem ein
zelnen Wesen den grössten Vortheil verschaffen, ne
ben dem Vortheil des ganzen Systems bestehen kan;
und wenn der Grad der grosmüthigen Neigungen,
welcher dem System den grössten Vortheil ver
schaft, neben der grössten
nen Wesens bestehet, oder dieselbe befördert. Ein
geringeres Wesen kan zwar den Vortheilen eines
höhern Wesens ganz unterworfen seyn, und Nei
gungen besitzen, welche einzig und allein auf diese
Vortheile abzielen. Allein in den edlern
würde es ein Fehler seyn, wenn wirklich die beyden
grossen Endzwecke eines jeden vernünftigen We
sens, das persönliche Vergnügen, und die allge
meine Glückseligkeit, neben einander nicht bestehen
könten, und wenn zwischen den Neigungen, wel
che auf dieselben gerichtet sind, ein unversöhnlicher
Zwist vorhanden wäre.
Keine von unsern Neigungen kan in jedem
Grade schlechterdings
doch kan ein gewisser hoher Grad, welcher über das
Verhältnis gegen die übrigen hinaus ist, auch so
Abschnitt.
gar in unsern grosmüthigen Neigungen, laster
haft seyn, oder doch wenigstens eine grosse Un
vollkommenheit ausmachen, die sowohl dem einzel
nen Wesen, als dem ganzen System nachtheilig ist.
Zu gleicher Zeit ist die grösste Stärke einer Art
nicht an sich selbst nothwendig böse; ja sie kan un
schuldig seyn, wenn die andern Neigungen eine
Stärke erreicht haben, die mit dieser Art, und mit
der Würde ihrer verschiedenen Naturen und der
Bestrebungen auf welche sie gerichtet sind, in Ver
hältnis steht. Allein, wenn die Seele nicht fähig
genug ist, diesen hohen Grad andrer Neigungen zu er
reichen: so können einige von den eigennützigen, und
viele von den grosmüthigen übertrieben seyn. Das
ruhige allgemeine Wohlwollen, das Verlangen nach
der moralischen Vortreflichkeit, die
und die Ergebung in seinen Willen, können nie
mals übertrieben werden: da sie keine einzige par
teyische gute Neigung, in sofern sie nützlich ist,
noch eine billige Absicht auf den eigenen Vortheil
ausschliessen. Allein, die eingeschränktern Neigun
gen, auch die von der grosmüthigen Art, können
ihr gehöriges Ziel überschreiten, und andere Nei
gungen einer bessern Art ausschliessen und überwäl
tigen; wie wir dieses an der verwandschaftlichen
tey wahrnehmen. Die moralische Schändlichkeit
bestehet nicht in der Stärke dieser Neigungen, son
dern in der Schwachheit anderer, die von einem
grössern Umfange sind, in Absicht auf ihre Würde
und ihren höhern Nutzen.
Es ist noch deutlicher, daß die eigennützigen
besteht in
dem Mangel
des Verhält
nisses.
Allein, wir müssen auch anmerken, daß es, in Be
trachtung des Endzwecks der
drigen und mangelhaften Grad derselben geben kan.
Wenn ein Geschöpf, welches Gefahren ausgesetzt,
und doch weder von der Natur noch durch Kunst
bewafnet ist, ohne
dern Dienste leistet, für seine eigene Sicherheit kei
ne Sorge trüge: so würden wir zwar diese Ge
müthsart nicht für lasterhaft halten können; allein,
sie ist doch offenbar unvollkommen, dem einzelnen
Wesen selbst schädlich, und dem System unnütz.
In den niedrigen
se Einrichtung der
Geschöpfen, nebst ihrer Stärke und ihren Waffen,
auch Muth gegeben, und ihn hingegen den weibli
chen versagt hat, wenn ihn nicht die Vertheidigung
ihrer Jungen erfordert. Starke gesellige
schaften
nebst einem heftigen Verlangen nach
Menschen von geringen Fähigkeiten, wird eine
Ausschweifung auf der einen, und ein Mangel auf
der andern Seite seyn. Aehnliche grosmüthige
Neigungen, bey Menschen von grossen Fähigkeiten,
nebst einer gehörigen
Nutzen seyn, und in einem richtigen Verhältnis
stehen. Gesellige Neigungen und ein Wohlgefal
len an einigen feinern Vergnügungen der
dungskraft
und keine Pflichten des Lebens ausschliessen, kön
nen andere ohne Nutzen elend, und alle
Abschnitt.
ihre andern Theile oder Fähigkeiten unbrauchbar
machen.
II. Nachdem wir gezeigt haben, daß die gesel
zu geselligen
und morali
schen Ver
gnügungen,
sind die vor
theilhafte
sten.
ligen und moralischen Vergnügungen, nebst den
Vergnügungen der Ehre, die höchsten sind: so müs
sen wir noch kürzlich zeigen, daß die Neigungen,
welche auf solche Gegenstände, die mit diesen Ver
gnügungen in Verbindung stehen, gerichtet sind,
wenn sie in dem gehörigen Verhältnis, gegen ihre
Würde und ihren Nutzen in dem System erhalten
werden, einem jeden einzelnen Wesen am vortheil
haftesten sind; und daß die eigennützigen Leiden
schaften, wenn sie stark sind, und neben den gros
müthigen nicht bestehen können, einem jeden einzel
nen Wesen nachtheilig und schädlich sind.
Unsre Natur ist einer solchen Bestrebung
nach moralischen und geselligen Freuden fähig, wel
che überhaupt geschickt ist, alle andere
zu überwinden, und die Menschen zur Verachtung
alles körperlichen Vergnügens und Misvergnü
gens anzuführen. Wir sehen hiervon Beyspiele
nicht nur unter gesitteten Menschen, und unter sol
chen, deren Begriffe von der Tugend, durch eine
gute
gar unter Barbaren und Räubern. Aus einem
Trieb der Ehre, aus Dankbarkeit, aus dem Eifer
für eine Partey, aus einer Ahndung erfahrner Be
leidigungen, können sie sich mit Freuden allem Un
gemach unterwerfen, und Tod und Quaalen
verachten.
Setzet einen in den grössten Ueberflus an
Unglück seines Freundes, über eine Gefahr, welche
seiner Partey bevorsteht, über die Beschuldigung
einer Niederträchtigkeit und Verrätherey, einige ge
sellige oder moralische Unruhe fühlen: so wird ihm
für den sinnlichen Vergnügen ekeln, und er wird
Wunden und Tod gering schätzen. Er verachtet
einen, der ihm sagt, „er solle seine sinnlichen Ver
gnügungen immer fort geniessen, es möge seiner
Partey, seinem Freunde, seinem Character zustos
sen, was da wolle.“ Er findet in sich selbst hö
here Quellen der
here Quellen von
Weil also die geselligen und moralischen Ver
gnügungen die höchsten sind: so mus derjenige Ge
schmack, so müssen diejenigen Neigungen und Hand
lungen, welche uns eine unterbrochene Reihe sol
cher Vergnügungen verschaffen, und uns wider ihr
Gegentheil in Sicherheit setzen können, die natür
lichsten Mittel zur höchsten Glückseligkeit seyn, und
das tiefste Elend von uns entfernen. Diese höch
sten Vergnügungen sind entweder mit diesen Nei
gungen und den daraus fliessenden Handlungen ver
knüpft, oder sie sind natürliche Begleiterinnen und
Folgen derselben.
Haben wir den Zustand der
den, wenn sie mit den liebreichen Neigungen der
geselligen Freude erfüllet ist? Was fühlen wir,
wenn wir diesen Neigungen, mit Eifer und einem
Abschnitt.
glücklichen Erfolg, gemäs gehandelt haben; wenn
wir einem Freunde gedienet, einen Elenden getrö
stet, Traurigkeit in Freude und Dankbarkeit ver
wandelt, unser Vaterland beschützet, und viele
Menschen sicher und glücklich gemacht haben? Ei
nem jeden wird seine
ser Zustand allen andern vorzuziehen ist. Die La
sterhaften selbst, welche der
ben zu seyn scheinen, sind von solchen Gesinnun
gen und Neigungen nicht leer. Sie haben ihre
Freundschaften, ihren Trieb zur Ehre, ihre Par
teyen; sie mögen nun so seltsam seyn, als sie wol
len. Einige
gesellige Neigungen und unvollkommene Tu
genden, sind ihre höchsten Belustigungen. Es ist
die allgemeine Stimme der
se Freuden mangeln, keine Glückseligkeit vorhanden
sey. Und da die Sinnlichkeit die menschliche Na
tur nicht hinlänglich beschäftigen und befriedigen
kan: so müssen, wenn die geselligen Neigungen un
terliegen, die Neigungen einer entgegengesetzten
Art, Menschenfeindschaft, Eigensinn, Argwohn und
und fruchtbare Quellen desselben sind.
Obgleich die geselligen Neigungen darauf ge
dern aber
Glauben an
die Vorse
hung und
Vertrauen
auf dieselbe.
richtet sind, das Elend anderer, und die sympathe
tische Traurigkeit abzuwenden: so müssen wir doch,
wenn es nicht gelingt, einen Grad einer gewissen
grosmüthigen Unruhe empfinden. Hier müssen
wir zu den höhern Betrachtungen unsre Zuflucht
nehmen, daß es eine weise und gütige Erstes
Buch.
daß es, unsrer Pflicht und der moralischen Vor
treflichkeit, gemäs sey, uns der höchsten
und Güte gänzlich zu überlassen, und uns in der
Hofnung gewis zu machen, daß solche Uebel, wel
che durch unsre besten Bemühungen nicht abgewen
det werden können, von unserm allgemeinen Va
ter, zu den besten Endzwecken bestimmt sind. Un
sre sympathetischen
ringere Vermuthungen, als diese sind, gelindert,
wenn wir wahrscheinliche Hofnung haben, daß
dasjenige, was unser
einem höhern Vortheil derjenigen, die wir lieben,
ausschlagen wird. Dieses Vertrauen, diese Zuver
sicht, diese Hofnung, welche sich, auf eine feste Ue
berzeugung von der göttlichen Güte, gründet, müs
sen durch ein beständiges Nachsinnen, in einer sol
chen Stärke und Lebhaftigkeit erhalten werden, daß
daß sie alle eingeschränkte Neigungen unterdrü
cken, und die Seele, in ihren geselligen Leiden,
aufrichten können. Wir wollen hiervon im Ver
folg reden.
Wenn die geselligen Neigungen in der
Absicht, unsre geselligen Schmerzen zu verhindern,
oder zu mildern, ausgerottet, oder geschwächt wer
den sollten: so würden auch alle geselligen, und die
meisten von unsern moralischen Freuden vertilgt
oder geschwächt werden müssen. Auch die Unter
drückung der eingeschränkten Neigungen, ist einem
menschlichen Character nachtheilig. Der natür
lichste und vollkommenste Zustand, dessen unsre
Achter
Abschnitt.
jenige, wenn alle natürliche Neigungen,
den
hältnis gegen die Würde des Gegenstands, darauf
sie gerichtet sind, lebhaft erhalten werden, so,
die niedrigern immer unter der Gewalt der höhern
bleiben, und niemals die Erlaubnis erhalten, den
Endzweck, für welchen Gott sie bestimmt hat, zu
vernichten, noch einer der zwo grossen Bestim
mungen unsrer Seelen, nämlich der Beförderung
der
nen Person und des ganzen Systems, sich entge
gen zu setzen.
III. Es ist klar, daß die unfreundlichen Nei
freundliche
Neigungen
sind unange
nehm.
gungen und
nehm sind. Die
nicht der ordentliche Zustand der Seele seyn können.
Die Grade derselben, welche unschuldig, ja dem
System nothwendig sind, werden von unangeneh
men Empfindungen begleitet, und können, auf eine
gewisse Zeit, nur einen geringen Beyfall erhalten.
Dergleichen ist der Zorn, selbst derjenige, welcher
zur Vertheidigung unsrer selbst und unsrer Freunde,
und zur Abwendung einer Verunehrung nothwen
dig ist: dergleichen ist die vorsätzliche Züchtigung
des Unbescheidenen und des Schmähsüchtigen, die
auf keine andre Bestrafung, sondern blos auf die
Sicherheit, welche die
let: dergleichen ist der gerechte Unwillen gegen
Menschen, welche glücklicher sind, als sie verdie
nen. Dieses alles sind unangenehme Neigungen,
und sie haben wenig liebenswürdiges in sich. Von Erstes
Buch.
dem
zu seyn, und von der Eifersucht oder dem heftigen
Verlangen, einige schätzbare Eigenschaften im höch
sten Grade, zu besitzen, ist eben dieses wahr. Die
se Neigung kan unschuldig seyn, und sie ist für ei
nige Gemüthsarten eine sehr nützliche Ermunterung:
allein sie ist gemeiniglich unangenehm; und es ist
in dieser heftigen Begierde, in Vergleichung mit
andern vortreflich zu seyn, keine moralische
heit
ertheilen könte.
Ausser den unangenehmen Empfindungen,
welche diese
daß sie in ihren Gegenständen solche Veränderun
gen hervorbringen, welche die Leidenschaft selbst en
digen, und entgegengesezte Regungen von Reue und
weit heruntergesezt sind, daß wir aufhören, Ue
bels von ihnen zu befürchten, oder wenn sie zu einer
aufrichtigen Bereuung alles desjenigen, was in
ihnen lasterhaft und beleidigend war, gebracht wor
den sind; dahingegen die liebreichen Neigungen,
welche wir allezeit billigen, auf solche Endzwecke
abzielen, die uns Vergnügen gewähren, und die
Neigungen verlängern und stärken. Wohlwollen
und Mitleiden zielen auf die Glückseligkeit ihrer Ge
genstände ab, und diese, wenn sie erlangt worden ist,
verursacht der handelnden Person ein dauerhaftes
Vergnügen: und Gefälligkeiten, welche würdigen
Gegenständen erwiesen werden, vermehren unsre
Achter
Abschnitt.
von Neigungen nur für vorübereilende zufällige
wesentliche Eigenschaften der Seele angesehen wer
den müssen.
Wir haben, für die unfreundlichen Neigun
gen, bestimmte Namen, wenn sie entweder aus
schweifen, oder ohne gerechte und hinlängliche Ur
sachen entstehen und zur Gewohnheit werden; näm
lich, Bosheit, Rache, Neid, Ehrgeiz oder
Allein diese unfreundlichen Neigungen, wel
che auch alsdenn, wenn sie für unschuldig gehalten
werden müssen, unangenehm sind, wurden uns, theils
zum Vortheil eines jeden einzelnen Wesens, theils
aber zum Besten des Systems, eingepflanzt.
Gleichwie die äusserlichen
nehmen
glücklichen Zustand des
chen Vergnügungen unterrichten; und hingegen
dasselbe durch unangenehme Empfindungen vor dem
jenigen, was seinen Untergang nach sich ziehen kön
te, warnen: also empfiehlt das moralische Ge
fühl, in Absicht auf das gemeine Beste, der han
Diese
und des Unwillens bringen, auch wenn sie unschul
dig und nützlich sind, unangenehme Empfindungen
hervor; und dieses beweist eben sowohl, als die
vorhergehende Anmerkung, daß sie nicht bestimmt
sind, die beständigen Eigenschaften der Seele zu
seyn; sie sollen nur bey gewissen Vorfällen entste
hen, wenn etwas, das dem einzelnen Wesen oder
dem System schädlich ist, abgewendet werden soll.
Sie sind eine Art unangenehmer Arzeneymittel wi
der Unordnungen, und keine natürliche Speise: sie
wurden uns eingepflanzt, um uns gegen Beleidi
gungen zu sichern, und, in so fern sie blos hierzu
angewendet werden, sind sie für unschuldig anzuse
hen. Gleichwie nun der Trieb zur Nahrung ver
dorben seyn mus, wenn uns für natürlichen Spei
sen ekelt, und wenn wir hingegen nach etwas, das
nicht nahrhaft ist, lüstern sind; gleichwie unser
Cörper nicht in seinem gehörigen Zustande, sondern
krank seyn mus, wenn ihm die gesunde Luft, oder
die nothwendige Kleidung beschwerlich wird: also
mus auch unsre
wenn wir zornig werden, ohne einen Schaden oder
Beleidigung erlitten zu haben; wenn wir gegen ei
nen Gegenstand, der nichts moralisches böses in sich
hat, von Abscheu und Feindseligkeit eingenommen
Abschnitt.
sind; oder wenn wir eine verdienstvolle Person um
ihr Glück beneiden; oder wenn wir gegen einen
unschuldigen Theil des Systems, welcher zu einem
geselligen Leben und einer Reihe guter Dienstleistun
gen bestimmt ist, und dadurch erhalten wird, übel
gesinnt sind.
Es ist dahero unser Vortheil, wenn wir das
Verdienst der Personen und den Werth der Sachen
wohl untersuchen, und die unfreundlichen Neigun
gen in Schranken halten, da sie auch alsdenn,
wenn sie für unschuldig gehalten werden, unange
nehm, und zu Ausschweifungen so geschickt sind, daß
sie, auch in ihren mässigen Graden, etwas Bösem sehr
ähnlich sehen, und daher wenig gebilliget werden.
Die ruhigern Neigungen der Seele, welche entweder
auf den Vortheil eines einzelnen Wesens, oder auf
das Beste des Systems abzielen, richten allemal
mehr aus, als die unruhigen Leidenschaften, so nütz
lich auch diese leztern in Seelen seyn können, wel
che nicht gewohnt sind, nachzudenken. Es ist also
zu wünschen, daß wir unser Leben diesen sichern
Anführern anvertrauen, und uns vor allen un
freundlichen heftigen Bewegungen hüten mögen,
welche meistentheils gefährlich sind.
IV. Wenn die geselligen Neigungen, an sich
kommenhei
ten unsrer
liebreichen
Neigung
sind von
zweyerley
Art.
selbst, und ihren Folgen nach, die edelsten Ver
gnügungen sind: so ist klar, daß die ruhigen und
allgemeinen die besten dieser Art seyn müssen, wenn
sie in ihrer vollen Lebhaftigkeit sind, und ihre na
türliche Kraft anwenden, die eingeschränktern Nei
gungen zu regieren und in Ordnung zu erhalten.
Unsre liebreichen Neigungen sind zweyerley
Unvollkommenheiten unterworfen. Die eine äus
sert sich alsdenn, wenn sie sich blos auf einen Theil
beziehen, ohne daß wir gegen die übrigen Theile
üble Gesinnungen haben; die andre aber, wenn zu
der Zeit, da starke liebreiche parteyische Neigun
gungen, gegen einige wirksam sind, gegen an
dre, unfreundliche und feindselige Neigungen
entstehen.
In dem ersten Falle werden Menschen von
geringer Ueberlegung niemals das allgemeinste ru
hige Verlangen nach dem Vortheil anderer fühlen,
welche die höchste
und doch werden sie, so weit es ihre Absicht
die Sphäre ihrer Handlungen zulässt, liebreiche Ge
sinnungen haben, ohne gegen jemanden übelgesinnt
zu seyn. Diese Gemüthsart ist wirklich vortref
lich, und von den meisten Menschen kan nicht mehr
erwartet werden: es ist auch nicht mehr nöthig, da
sehr wenige im Stande seyn können, den allgemein
sten Vortheil zu befördern. Es ist keine unge
rechte Partheylichkeit, wenn die Menschen gemeini
glich den stärkern Banden der
barkeit und den Regungen einer innigen Hochach
tung ihrer würdigen Freunde folgen; woferne sie
nur keine Pflichten gegen andre verabsäumen, und
diesen eingeschränktern Neigungen Einhalt thun, so
bald sie gewahr werden, daß dieselben einem allge
meinern Vortheil entgegen sind.
Eine gefährliche Parteylichkeit ist es, wenn
die Menschen starke Neigungen gegen einen kleinen
Abschnitt.
Theil haben, und hingegen andre eben so schätzbare
Theile des Systems, welche ihnen bekant, und in
nerhalb der Sphäre ihrer Handlungen sind, gar
nicht in Betrachtung ziehen; oder wenn sie entwe
der ohne gar keine, oder doch ohne gnugsame natür
liche Veranlassungen, und ohne alle Absicht auf das
gemeine Beste, gegen die andern Theile boshafte
Gesinnungen hegen. Diese geselligen, obgleich par
teyischen Neigungen geben oft Anlas zum Vergnü
gen; allein die Verabscheuung derselben kan viel
unangenehme Empfindungen verursachen. Wenn
die liebreichen Neigungen auf eine so sonderbare
Art angewendet werden: so sind sie von geringem
Werth: sie müssen unbeständig seyn, und der inne
re Beyfall mus verschwinden, wenn darüber nach
gedacht wird. Der Gegenstand, welcher vorher
bewundert wurde, kan nachhero gemisbilliget und
verabscheuet werden, vermöge eben des Eigensinns,
der ihn erst angenehm machte. Mit diesen parteyi
schen Neigungen ist wenig Vergnügen verknüpft;
und was für einen Werth hat die
genugsame Ursache dazu vorhanden ist? Was für
Genugthuung verschaft uns die Gegenliebe solcher
Lieblinge, bey deren Wahl wir die
zu Rathe gezogen haben? Die allgemeine Wohlge
wogenheit hingegen, und die eingeschränkten auf
natürliche Ursachen gegründete Neigungen, welche
die billige Zuneigung gegen andre nicht ausschliessen,
müssen ein volles Vergnügen und das Bewustseyn
gewähren, uns um alle wohl verdient gemacht zu
haben; da solche Neigungen das allgemeine Beste
befördern.
Der ungerechte Abscheu, welcher aus einem
eines unge
gründeten
ligion
ne üble
mus uns in unzähliche Widerwärtigkeiten verwi
ckeln. Wenn die Menschen nicht allem Nachsin
nen entsagt haben: so müssen sie eine schmerzhafte
Gewissensangst und ein inneres Misvergnügen
fühlen. Ein Scheinheiliger, ein Verfolger, ein
Räuber, welcher aus einer Art von Pflicht, die er
in seinem Gewissen seiner Partey oder seinem Sy
stem schuldig zu seyn glaubt, dem natürlichen
leiden
tigkeit widerstrebt, kan nur niedrige und eingeschränk
te Vergnügungen haben. Was sind die Dienste,
die wir einer Partey oder einer Sache leisten, wenn
wir keine gewisse Ueberzeugung von dem Werth
derselben haben, und dem Vortheil vieler andern
entgegen handeln? Was ist es, wenn wir einem
menheiten
genden Begrif haben? Der Streit zwischen allen
ursprünglichen Trieben der
sem falschen Gewissenstriebe, mus erschrecklich seyn.
Die Ueberlegung mus in uns den quälenden Arg
wohn erregen, daß alles böse sey. Alles dauerhaf
te Vergnügen mus verloren seyn, oder die Men
schen müssen
haben.
Man bringt einen Freund um, aus einem fal
schen Triebe zur Ehre.
Abschnitt.
angst folgen unmittelbar darauf. Können nicht
bey Verfolgungen, bey der Grausamkeit, welche
von dem Eifer für eine Partey herrühret, die Ver
antwortungen der Leidenden, das Urtheil der Welt
oder der verfolgten Partey, ein inneres
eine innere Angst hervorbringen, wenn man auch
alle Mühe angewendet hat, sich derselben zu ent
schlagen? Was ist es, Tausende zu beleidigen, um
von Tausenden verabscheuet zu werden? Wie schwer
ist es, ein Vorhaben zu rechtfertigen, das mit der
Menschlichkeit streitet? In was für einem Zustan
de werden wir in einer gelassenern Zukunft seyn,
wenn unser gegenwärtiger Ehrgeitz, unser hitziger
Eifer für eine Partey abnehmen wird, und wenn
wir sehen werden, daß unser Verhalten in Verbre
chen und in Grausamkeit gegen Unschuldige bestan
den, und
leidiget hat? Eine gutgeartete Seele wird glau
ben, daß sie sich vor solchen ungegründeten Mei
nungen und
ihre Nebenmenschen aufzubringen, nie zu sehr in
Acht nehmen könne.
V. Wir wollen nunmehro die Gemüthsarten,
nützigen Lei
denschaften
wenn sie zu
stark sind,
machen uns
unglücklich.
bey welchen einige oder alle eigennützige
ten
besonders die Liebe zum
In einem gewissen mässigen Grade können
alle diese Leidenschaften neben den geselligen Nei
gungen, in ihrer ganzen Stärke, bestehn. Allein
da wir oben bewiesen haben, daß das Gute oder die
diejenige ist, welche von den geselligen Neigungen
entstehet: so müssen sie denselben und den Bestre
bungen nach der
bestimmtes Ziel überschreiten: so werden sie Zag
haftigkeit, oder Kleinmüthigkeit,
Die
überschritten hat, ist ein grosses Elend. Das
ben
werden; und die Verlängerung desselben auf eine
gewisse Zeit, kan uns theuer zu stehen kommen.
Ohne Zweifel kan, unter gewissen Umständen, der
Tod von einer Person, um ihrer selbst willen, sehn
lich gewünscht werden; andern kan er willkommen
seyn, wenn er ihren theuersten Freunden die Frey
heit verschaft, und sie können dasjenige ernstlich
ausschlagen, was andre an ihrer Stelle erwählt ha
ben würden. Die Liebe zum Leben veranlasst, daß
einige wider ihren eigenen Vortheil handeln, und
Feinde ihrer selbst werden. Die Furcht des
des
liefert uns der Gefahr, an statt sie abzuwenden, und
sie beraubt uns der Gegenwart des Geistes, durch
welche standhafte Menschen die Mittel zur Sicher
heit ausfindig machen.
Die
in sich zu fühlen, und mit unaufhörlichen
umgeben zu seyn, ist ein wahres Unglück. Es ist
niemand frey von Gefahr. Die stärkste Leibesbe
schaffenheit ist vor harten Krankheiten nicht sicher.
Die Furcht des Todes wird das ganze Leben und
alle Vergnügungen, auch bey den glücklichsten Um
ständen, vergiften. Sie wird die Menschen bey ge
wissen Gelegenheiten zu dem niedrigsten Verhalten
zwingen, und dem Herzen eine so elende Gestalt ge
ben, daß wir den Anblick desselben nicht aushalten
werden; wenn wir vor das Leben, welches ein unge
wisser Genus ist, und am Ende doch aufgegeben
werden mus, alle edelmüthige und liebenswürdige
Gesinnungen, welche uns dasselbe allein werth hät
ten machen sollen, dahingegeben haben.
VI. Die
chen Belusti
gungen ma
chen uns un
glücklich.
wir oben gezeigt haben, auf die niedrigsten Ver
gnügungen gerichtet, und wenn sie überhand neh
men: so machen sie den verworfensten
aus. Es ist nichts in diesen Vergnügungen, das
wir billigen können, wenn wir nachdenken. Ja,
es wird eine lange Gewohnheit erfordert, der na
türlichen
thun, wenn wir uns diesen Belustigungen ohne
Zurückhaltung überlassen. Unsre
mus moralische Begriffe mit ihnen verknüpfen, da
mit uns die Bestrebungen nach denselben anständig
vorkommen, und damit wir den unangenehmen Erstes
Buch.
Verweisen der
*
natürlichen Schamhaftigkeit
welche bestimmt ist, diese niedrigen Begierden in
Schranken zu erhalten, entgehen mögen.
Wenn Leidenschaften dieser Art unmässig sind,
so haben sie die gefährlichsten Folgen. Sie schwä
chen die Gesundheit des
hindern alle männliche Verbesserungen: die Ver
schwendung der Zeit, die Weichlichkeit, die Faulheit,
und tausend unordentliche Leidenschaften vermin
dern die natürliche Stärke der
chen uns unfähig, uns selbst zu beherrschen. Der
schädliche Einflus, welchen die Ausschweifungen in
der
Elend, welches sie unsern theuresten Anverwand
ten verursachen; das Unglück und die Unehre, wel
chem diese verrätherische Liebe ihren Gegenstand
aussezt, müssen bey der geringsten Aufmerksamkeit
in die Augen fallen, und sie müssen die grausamste
Gewissensangst verursachen, wenn noch einiges
Gefühl von Tugend und
blieben ist. Wir übergehen die Verwüstung, wel
che diese Leidenschaft in der Ehrbarkeit, Rechtschaf
fenheit und Sittsamkeit unsrer
mit Stillschweigen. Mus es also nicht unserm
Vortheil entgegen seyn, solche heftige Leidenschaften
zu haben?
*
Humiliorum appetitu-, ist der
stande für unser morali
sches Gefühl genommen;
VII. Da der Reichthum zu Befriedigung
eine elende
Leidenschaft.
unsrer Begierden von grossen Nutzen seyn, das
Beste einer einzelnen Person befördern, und uns zu
Leistung mancher Gefälligkeiten geschickt machen
kan: so ist es kein
reich zu seyn wünschen, welche ihre Betrachtungen
nicht auf den gegenwärtigen Augenblick einschrän
ken. Ein mässiges Verlangen darnach ist un
schuldig, und weise, und kan zu den besten Absich
ten dienen; und der Besitz mus denjenigen, welche
ihn zu gefälligen und tugendhaften Absichten an
wenden, viel Vergnügen gewähren. Allein wenn
das Verlangen heftig, und nur auf eigennützige
Endzwecke gerichtet ist, oder, vermöge einiger dun
keln Begriffe von Würde und Ansehn, blos auf die
Vermehrung der Glücksgüter abzielet: so ist die
Gemüthsart eben so unglücklich, als unvernünftig,
und der Person selbst, welche sie besizt, weit be
schwerlicher, als sie es ihrem Nächsten seyn kan.
Die natürlichen
gen. Ein mässiges und sparsames Leben kan an
Vergnügen der grösten Schwelgerey gleich kom
men. Die Begierde reich zu seyn, ohne Absicht
auf Vergnügen oder Freygebigkeit, ist eine unange
nehme, unersättliche, unruhige und misvergnügte
Leidenschaft. Diejenigen, die sich mit der Vorstel
lung einer hohen Würde und
cheln, welche ihre Nachkommen vermittelst desjeni
gen, was sie ihnen sammlen, erlangen werden, pfle
gen gemeiniglich, durch ihr Beyspiel und ihren Un
terricht, so viel möglich, aus den Seelen derselben
alle angenehme und anständige Eigenschaften ausErstes
Buch.
zurotten; und wenn die Unterweisung ihre Wir
kung nicht thut: so gerathen ihre Nachkommen
durch das häsliche Beyspiel, welches
ben, in die Versuchung, die entgegengesezten Aus
schweifungen zu begehen; und die Hofnung eines
gemächlichen Ueberflusses und Wohllebens unter
drückt nicht nur allen Eifer, sich in anständigen
chen, sondern sie erweckt auch die Lust, alle Aus
schweifungen zu begehen.
Eben dieses kan von den Begierden nach An
sehen und Ehre gesaget werden. Ein mässiger
Grad ist unschuldig und nützlich; allein wenn sie
zu heftig werden: so sind sie unruhig, dem einzel
nen Wesen unangenehm, der
lich, und verletzen gemeiniglich die heiligsten Bande
der Pflicht und Menschlichkeit, und machen das
Herz zu allen guten Regungen unfähig. Das Ver
langen, wegen Rechtschaffenheit und moralischer
Würde hochgeachtet zu werden, ist einer jeden tu
gendhaften
tert die Menschen, das zu seyn, was man an ihnen
hochachten soll; welches der kürzeste Weg zum
wahren Ruhm ist. Ja das Verlangen, schätzba
re Fähigkeiten in einem hohen Grade zu besitzen, ist,
so lange es mässig bleibt, unschuldig, und unsrer
Beschaffenheit sehr zuträglich. Allein es kan so
heftig werden, daß es sich in eine immerwährende
Quaal verwandelt, und die Quelle der verworfen
sten und elendesten Leidenschaften wird. Alle aus
serordentliche Verdienste werden alsdenn
Abschnitt.
und Schmähsucht rege machen. Die
unruhig, heftig, eifersüchtig, verläumderisch wer
den, sie wird leicht aufzubringen seyn, und nicht
die mindeste Geringschätzung ertragen können, sie
wird allen unangenehm, und von allen verachtet
werden. Keine Leidenschaft kan ihren Endzweck
mehr verfehlen, als die Eitelkeit; und nichts ist
verhasster und verächtlicher, als der
hingegen liebenswürdiger, als Bescheidenheit und
Demuth.
VIII. Nichts ist der Ehrsucht so sehr entge
und Trägheit
macht un
glücklich.
gen, als die Liebe zur Ruhe. Dieselbe ist, so lange
sie mässig bleibt, ebenfalls unschuldig, und nütz
lich, wie das Verlangen zu schlafen, wenn man sich
ermüdet hat. Allein wenn sie in eine beständige
Faulheit ausartet, den geselligen Neigungen nicht
statt giebt, und alle mühsame Unternehmungen flie
het: so mus sie der Seele alle wahre Würde, alles
gesellige Vergnügen, alles Gefühl des Verdiensts,
alle Hofnung hochgeachtet zu werden, rauben. Der
hinfällige sieche Zustand eines
sichtsfarbe, und in der geschwächten Lust zum Essen
und Trinken.
Eine schlimmere Unordnung befällt eine See
le, welcher die natürliche Uebung in den geselligen
Pflichten des Lebens fehlt. Sie mus ekelhafte
Stunden haben, sie mus die Verachtung befürchten,
sie mus eifersüchtig seyn, und sie kan keine
schaft
Absicht auf den eigenen Vortheil, sind klar. Den Erstes
Buch.
Trägen können keine Geschäfte von statten gehen;
sie sind keiner Verrichtung selbst gewachsen, und
sie dürfen entweder auf den Beystand andrer nicht
hoffen, weil sie denselben nicht verdient haben, oder
durch ihre eigene Unthätigkeit machen sie, daß alle
Beyhülfe vergebens ist.
Die Ausschweifungen der eigennützigen Lei
denschaften sind also ein gewisses Elend. Sie vol
lenden den eigennützig nennt,
und der alle Verachtung verdient, und keine von den
edelsten Freuden des Lebens kennt. Da die Ge
müthsart Schande bringt: so verleitet sie zu einem
heuchlerischen und verstellten Verhalten; die na
türliche Redlichkeit und Ausrichtigkeit geht verloren,
und Mistrauen, Argwohn und Neid treten an ihre
Stelle. Mit jedem Tage werden wir begieriger
auf Vortheile, die uns von unsern Nebenmenschen
trennen, und die geselligen Neigungen werden un
terdrückt. Zuletzt wird die Gemüthsart völlig elend
und hassenswürdig.
IX. Einige ausserordentliche und seltene Bey
spiele von den unmässigsten Ausschweifungen dieser
eigennützigen Leidenschaften sind diejenigen, welche
in der gemeinen
Ausdruck, ungeheuer und unnatürlich genennet wer
den; allein es scheint, als wenn einige Schriftsteller
denselben diese Beywörter in der Meinung beygelegt
hätten, als ob sie eine ganz besondere Art ausmachten.
Dergleichen sind, wenn die Menschen an Martern an
drer Vergnügen zu haben, oder andere, ohne alle Ver
anlassung, beleidigen zu wollen, oder von Frechheit, un
Abschnitt.
natürlichen Lüsten, von einem
einer zügellosen Tyranney und Menschenfeindschaft
eingenommen zu seyn scheinen. Dieses sind blos
die Ausschweifungen solcher Leidenschaften, welche
uns die
samen Anlas, vermittelst falscher Meinungen, oder
dunkler
sicht und öftere Anreizung zu einer unmässigen Hö
he gestiegen sind. Jedermann sieht, daß dieser
Fall, bey einem unmenschlichen Triebe der Wollust,
vorkomt, wenn die natürliche Leidenschaft unbän
dig worden ist. Eigensinn und
die Menschen oft alle Ausschweifungen versuchen.
Wenn die Gemüthsart, ihrer natürlichen Be
schaffenheit nach, oder aus andern Ursachen, wild
und mürrisch ist, wenn die Seele lange Zeit, durch
Widerstand oder einige befürchtete Beleidigungen,
aufgebracht und gereizet worden, und wenn keine
hinlängliche Ueberlegung dazwischen komt, das
Wachsthum der
steht eine erstaunliche Feindseligkeit und Grausam
keit. Man wird sich leicht einbilden können, wie
es zugeht, daß eine langwierige Selbstzufrieden
heit und Ehrsucht, welcher keine Ueberlegung Ein
halt gethan hat; ein öfterer Zorn, welcher von
den Hindernissen, die gemeiniglich stolzen Geistern
im Wege sind, entstehet; und die beständigen Ur
sachen eines Mistrauens, welches ihr eigenes Ver
halten begleitet; diese abscheuliche Mischung von
Eifersucht, Wuth, Grausamkeit und Unterdrückung
aller
in Tyrannen wahrnimmt, hervorbringen kan.
Betrachtet das angenommene freye Wesen,
fenden Menschen von den Gesetzen gesitteter
schaften
ihren eingezogenen Nebenmenschen zu gewarten ha
ben, das pralerische Verlangen, für herzhaft ange
sehen zu seyn; und sie werden euch die erschreckliche
antrift.
Gesittete und an die stärksten menschlichen
Empfindungen gewöhnte Völker haben, durch eine
falsche Meinung von der
Menschen, und durch abgeschmackte Begriffe, von
ihrer eigenen Würde und Vortreflichkeit, verleitet,
von diesen Menschen geglaubt, daß sie geschaffen
wären, Sklaven zu seyn. Andere haben in den er
staunlichen Unternehmungen der Kunst und des
Muths so viel Unterhaltung gefunden, daß sie,
ungerührt von dem Unglück, welches ihnen vor Au
gen schwebte, einem Schauspiel voll hoher Ergö
tzung beyzuwohnen dachten, wenn sie Fechtern zusa
hen, die darauf umgiengen, einander zu töden.
Wir wissen alle, was für Begriffe, bey dem ge
meinen Haufen, in Ansehung der
lich sind. Wir kennen den Hochmuth vieler Got
tesgelehrten und Geistlichen. Wir wissen, wie
sehr ihre stolze Eitelkeit aufgebracht wird, wenn
sich jemand untersteht, in Grundsätzen der
von ihnen abzugehen, und weiser seyn zu wollen,
als sie. Wenn dieser Uebermuth durch den Genus
eines gewissen Ansehns und einer Verehrung, die
Abschnitt.
ihnen der Pöbel ertheilt, lange Zeit Nahrung be
komt: so nimmt er ausserordentlich zu; und man
kan dadurch erklären, wie solche Leute, und ihre
blinden Verehrer die grausamsten Martern wirklich
unschuldiger
Ruchlosigkeit und
Freuden ansehen. Es ist unnöthig, den Ursprung
anderer unmenschlicher Eigenschaften zu erklären.
Da wir bereits das Elend gezeigt haben,
welches die geringern Ausschweifungen dieser eigen
nützigen und bösartigen
ist es klar, daß die ungeheurern Ausschweifungen
uns noch elender machen müssen.
Wir haben bisher betrachtet, welche Neigun
gen der
Absicht auf die Vergnügungen dieser Welt und auf
unsre Nebengeschöpfe, die Quellen der höchsten
Freude sind. Es ist noch übrig, daß wir einen
andern Gegenstand der Zuneigung in einer jeden
vernünftigen Seele, ausführlich betrachten, wel
cher vermöge desjenigen, was wir bey unsrer vor
herigen Untersuchung bereits bemerkt haben, den
wichtigsten Einflus auf unsre
mus, nämlich die Gottheit, den
Unsere Betrachtungen über die Pflichten gegen
Gott lassen sich auf zween Puncte zurückbrin
gen, nämlich: welches sind die richtigsten Begrif
fe von der göttlichen Natur? und welche Nei
Wenn wir von der
fe erlangen wollen: so müssen wir vorher von ihrem
Daseyn überzeugt seyn. Die Welt ist allemal dar
innen einig gewesen, daß entweder ein höherer
Geist sey, welcher grosse
II. Ueberall, wo wir unsre Augen oder Gedan
von dem
Bau der
Welt.
ken hinrichten, kommen uns mehr Beweise von
Absicht,
als unsre
erstaunlichsten Kreise, die grössten Weltkörper, wel
che sich, in einer ununterbrochenen Ordnung, mit
grosser Geschwindigkeit, bewegen: Kräfte, die sich
allenthalben, in
Wohnung der Menschen äussern: ein Ganzes, dessen
Weite und Grösse unsre Einbildungskraft und un
sre Nachforschung übersteigt. Allein so weit als Erstes
Buch.
uns unsre Bemerkungen führen, finden wir in der
zweckmäsigsten Einrichtung aller Theile zu ihren ver
schiedenen Bestimmungen und in dem Zusammen
hang und der Abhängigkeit der, dem Raume nach,
unterschiedenen Dinge unter und von einander, die
deutlichsten Spuren von Uebereinstimmung und ei
ner regelmäsigen Absicht. Die Erde für sich al
lein, würde eine tode unthätige und unnütze Mas
se seyn; aber sie wird durch die Sonne belebt: sie
wird mit unzähligen Saamen befruchtet, welcher
durch Wärme und Nässe und durch die andern
fruchtbaren Ursachen in der Erde und Luft, sich in
Theile von
tet und entfaltet, und in unzählige regelmäsige
Gestalten von verschiedenen Ordnungen vom niedri
gen Moos an, bis zur erhabenen Eiche, hervor
bricht. Und alles dieses ist zur Nahrung oder zu
anderm Gebrauch für Wesen von höhern Ordnun
gen, welche mit der Kraft sich zu bewegen und zu
empfinden, und mit
eingerichtet worden.
In den thierischen
Arten, in dem regelmäsigen Bau ihrer vielen Thei
le, Gebeine, Muskeln, Häute, Nerven, Adern,
entdeckt sich eine neue bewundernswürdige Kunst.
Dieser wundervolle Bau äussert sich nicht blos in
wenigen Beyspielen, sondern in einem jeden der
unzählichen einzelnen Geschöpfe einer jedweden Gat
tung, welche einander alle in ihrem Bau gleich
sind, und die verschiedenen Kräfte
nen Triebe ihrer Art besitzen, die zur Erhaltung und
Abschnitt.
Fortpflanzung der
feine und regelmäsige Gliedmassen haben sie nicht,
ihre Speise zu unterscheiden, zu sich zu nehmen, zu
zermalmen, hinunter zuschlucken, zu verdauen; und
die Nahrung durch alle ihre Theile zu verbreiten!
Welche Verschiedenheit, welche kunstvolle Einrich
tung findet sich in den Gliedern, die zur freywilli
gen Bewegung, und zu ihrem Vergnügen, zu ihrer
Beschützung und Vertheidigung dienen!
Gleichwie die Pflanzen ihren wundervollen
Saamen hervorbringen, der dazu besonders einge
Fortpflan
zung.
richtet ist, daß er von den Winden an die gehöri
gen Oerter verweht werden kan: also sind die Thiere
mit angebohrnen Trieben zu gleichem Endzweck ver
sehen. Es entstehen neue Gestalten, welche mit
den Geschöpfen, die sie zeugen, von einer Art sind;
und wenn es nöthig ist: so ist in den Brüsten der
Mütter ein heilsamer Saft zubereitet, wodurch sie
genährt werden. Die Jungen haben einen ange
bornen Trieb, die Quellen ihrer Unterhaltung zu
suchen, und die Alten sind durch einen ähnlichen
Trieb geneigt, sie ihnen darzubieten. Eine
Vorsorge dauert in den Alten so lange, als die Jun
gen Beschützung nöthig haben, und so lange die Al
ten denselben beystehen können; und diese Vorsor
ge hört auf, wenn sie nicht weiter nöthig ist. Und
damit nichts Ueberflüssiges, nichts ohne Absichten,
vorhanden sey; so findet man, daß, wenn die Jungen
gewisser Arten keine solche Nahrung, und keine sol
che Beschützung nöthig haben, in den Alten we
der solche Säfte zubereitet, noch ihnen solche TrieErstes
Buch.
be eingepflanzt worden sind; wie man dieses bey
vielen Arten von Fischen und Insecten antrift.
III. Die Erde und alle ihre
gen von der Sonne ab. Sie liegt von ihr in der
bequemsten Entfernung: eine nähere oder entfern
tere Lage würde sie zu einer weniger bequemen
Wohnung machen. Die Augen der Thiere sind,
mit der bewundernswürdigsten Kunst, zu dem Gra
de des Lichts, und zu den ihnen eigenen Beschäfti
gungen eingerichtet: ein stärkeres Licht würde
schmerzhaft und schädlich, und ein schwächers ohne
Nutzen seyn. Jhre Lungen, ihre Ohren, ihr Blut,
sind der umgebenden Luft, ihrer Schwere und or
dentlichen
bende, pressende heilsame Flüssige, ist das Mittel
des Lebens, des Athemholens, des Umlaufs des
Bluts, der Stimme, welche
pfindungen
ihres
Die Thiere auf dem Lande haben ohne Un
terlas frisches Wasser nöthig. Der Umfang des
Oceans, welcher selbst mit Einwohnern, die, für die
dieses Element, eingerichtet sind, angefüllet ist, ist
so gros, die Hitze der Sonne ist so heftig, daß täg
lich unendlich viel Dünste, ihrer Salztheile entla
den, emporsteigen, und in der Luft schweben, bis
sie zu dick werden, und in fruchtbaren Regen her
abfliessen, oder, wenn sie in ihrer Bewegung an
Hügel oder Berge stossen, Quellen und Bäche ver
schaffen, welche wieder in den Ocean zurückgehn,
wenn sie vorher grosse Striche Landes gewässert ha
Abschnitt.
ben. So ist alles voll Kraft, Thätigkeit und re
gelmäsiger Bewegung, alles ist zu dem Nutzen des
lebenden und empfindenden Theils der Schöpfung
mit der grössten
IV. Die verschiedenen Classen der Pflanzen
ge hängen
weder von
der Kunst der
Menschen,
noch von an
dern sichtba
ren Ursachen
ab.
und Thiere sind diesen wundervollen Bau weder
ihrer eigenen Weisheit, noch der Weisheit derjeni
gen, von welchen sie abstammen, schuldig. Keine
ihnen bekante Kunst hat den
noch die innere Einrichtung ihrer Kräfte und Trie
be, noch die Bequemlichkeiten ihrer Wohnungen
hervorgebracht. Diese unermesliche Weisheit und
Macht, mus sonst wo anzutreffen seyn; in einem
andern Wesen. Wollte man die Welt für ewig
halten: so könte man eben auf keine andere Art
schliessen. Die Wirkungen, die augenscheinlichen
Beweise von Weisheit, würden, auch bey dieser
Voraussetzung, zu allen Zeiten vorhanden seyn. Zu
allen Zeiten würde also eine Weisheit und Macht,
die über die menschliche erhaben ist, in einem an
dern Wesen wohnen. Wenn dieses bewunderns
würdige Ganze einen Anfang hat: so liegt diese
Wahrheit noch deutlicher vor Augen.
Die Menschen haben viele Kräfte, und brin
von Hand
lungen, mit,
oder ohne,
Absicht.
gen viele Veränderungen hervor. Wir können
unsre Fähigkeit, dieselben hervorzubringen, auf
zwoerley Art, anwenden. Bey der einen haben
wir keine besondere Wirkung zum Endzweck; als
wenn wir etwas unachtsam aus der Hand fallen las
sen. Bey der andern haben wir gewisse überdach
te Wirkungen zur Absicht, und wir richten unsre
Erstes
Buch.
die erste Art von Handlungen, wird kaum jemals
etwas regelmäsiges, gleichförmiges, etwas, das zu
einem Endzweck eingerichtet ist, hervorgebracht
werden.
Natur be
weist Ab
sicht.
aber die ganze
alles andre, was man in den Thieren von Zeit zu
Zeit wahrnimmt, von dieser letztern Art, regelmä
sig, gleichförmig und künstlich, und so, daß es sich
allemal ähnlich bleibt, eingerichtet: und daher
schliessen wir mit Recht auf eine ursprüngliche ord
nende
Hätten wir einige Merkmale, daß die Kraft
oder die Kunst, welche die Dinge ordnet, in den
Dingen selbst wohnte: so würden wir vielleicht zu
einer ersten Ursache nicht zurückgehen. Aber wo
her komt dieser Zusammenhang, diese Uebereinstim
mung, und Gleichheit? Woher komt es, daß die
verschiedenen Gattungen, und die einzelnen Wesen
derselben, von einander, und daß alle diese wiederum
von der Erde, der Atmosphäre und der Sonne ab
hängen? Woher ist diese wohleingerichtete Woh
nung? Es mus entweder unter den verschiedenen
Einsichten der Theile ein Verständnis vorhergegan
gen seyn, oder es mus alles von einem regierenden
Wesen herkommen. Wir haben keinen Grund,
in den Theilen selbst eine solche Weisheit anzuneh
men, die ihre Einrichtung hätte hervorbringen
können; also müssen wir schliessen, daß ein höherer
alles-ordnender Geist vorhanden sey.
Dieser Geist mus seiner Natur nach selbst
erst und ursprünglich
seyn; und hier kan die
Frage nicht statt finden: woher ist er entstanden?
Die
und Allmacht allemal da gewesen sind; wenn man
nicht etwa annehmen will, daß, in einem gewissen
Zeitpuncte, das Daseyn, ohne eine schon vorhandene
Ursache, seinen Anfang nehmen können; oder, daß
ein von allen Kräften, Gedanken, und von aller
Weisheit leeres Wesen, in einem gewissen Zeitpunct,
ohne Beyhülfe eines mächtigen und weisen Wesens,
sich auf einmal zu Macht und Weisheit erheben kön
nen; oder, daß ein von Macht und Weisheit lee
res Wesen diese
len können; alle diese Voraussetzungen sind unver
nünftig. Wenn es also für gewis und unwidersprech
lich gehalten werden mus, daß eine ursprüngliche
Weisheit und Macht, die so hoch ist, als wir uns
nur vorzustellen fähig sind, vorhanden sey: wo sol
len wir glauben, daß sie wohne? Ist in diesem
grossen
vorhanden, welcher das Ganze belebt und bewegt,
einige Theile von sich, um gewisser Endzwecke wil
len, zu besondern Geistern macht, und dieselben,
durch einige Neigungen gegen sie und gegen das
Ganze, immer regiert; wie die Stoiker annahmen,
welche viele Pflichten der
Menschheit so eifrig lehrten? Oder ist ein Geist
vorhanden, welcher ein einfaches und unzusammen
gesetztes, ein, von allen theilbaren, veränderlichen
und beweglichen Wesen, unterschiedenes Wesen ist;
wie die Platoniker annahmen? Die grossen PflichErstes
Buch.
ten der Frömmigkeit, der Grund unsrer Hofnun
gen, und die Bewegungsgründe zur
hen bey jedem dieser beyden Systemen; allein, das
erstere hat unbeantwortliche Einwürfe aus der
thapysik
V. Wenn das Daseyn der höchsten uneinge
schränkten Kunst und Macht ausser Zweifel gesetzet
worden: so ist alsdenn der moralische Character
dieses höchsten Geistes, oder die Bestimmungen sei
nes Willens gegen andre Wesen, welche fähig sind,
glücklich oder elend zu seyn, in Erwägung zu zie
hen. Und hierauf mus sich alle Frömmigkeit und
alle Freude in der
Woferne wir nach demjenigen, was wir in
uns fühlen, oder, nach unsern Begriffen von der
Vortreflichkeit und höchsten Wesen, urtheilen können: so müssen wir
uns in einer Gottheit eine
Das letzte Verlangen nach dem allgemeinen
Elend, kan nicht für die gebilligte Bestimmung
der Gottheit angenommen werden, und man kan
sich eine solche Neigung nicht als ursprünglich und
wesentlich vorstellen; weil in dem höchsten
kein ursprüngliches Gefühl, keine empfindende Kraft
seyn kan, welche diesem Verlangen gemäs wäre.
Die Gottheit mus Kräfte haben, wodurch sie die
Glückseligkeit umittelbar empfindet. Aber der Erstes
Buch.
ursprüngliche und allmächtige Geist, kan kei
ne Empfindung von Elend, ja keinen Begrif davon
haben, ausser was ihm seine Käntnis der empfin
denden Kräfte, die er seinen eingeschränkten Ge
schöpfen verliehen hat, und die Gesetze der
dungen
worden sind, entdecken. Man kan dasjenige nicht
für den Gegenstand eines ursprünglichen Verlan
gens annehmen, dessen Begrif man nicht durch ei
ne ursprüngliche Empfindungskraft erhält, welche
denselben unmittelbar darbietet.
Gleichwie überdieses alle unfreundliche Be
stimmungen des Willens, dem
wohnen, Unruhe und Elend verursachen: also ist
die Vernichtung ihrer Gegenstände, und folglich
auch die Vernichtung ihrer selbst, eine natürliche
Folge derselben. Eine vorsätzliche
auch alsdenn, wenn ihr Gegenstand noch vorhan
den ist, unruhig seyn, und sie kan blos, durch eine
gänzliche Hinwegschaffung desselben, beruhiget wer
den, auf welche die Neigung aufhört. Der Zorn
geht darauf um, seinen Gegenstand so elend zu ma
chen, daß er zulezt eine vollkommene Reue hervor
bringen, und also das moralische Uebel oder die mo
ralische Schändlichkeit entfernen mus, welche den
zornigen Unwillen erregt hatte; oder der Zorn bringt
seinen Gegenstand so weit herunter, daß aller Wi
derstand des Vortheils, und, mit ihm zugleich, die
von ihm erregte
satz erfüllt ist: so mus er ebenfalls aufhören.
Abschnitt.
Alle edelmüthige liebreiche Neigungen hingegen, sind
ihrer Natur nach, dauerhaft, bringen
hervor, und vergnügen in ihrer Dauer. Das
leiden
haben, und dadurch wird sein eigener begleitender
wollen bleiben bey dieser Veränderung, unge
schwächt. Es ist daher klar, daß die unfreundli
chen Neigungen in einem Geiste, der allmächtig,
die Quelle von allem, und der oberste Regent von
allem ist, nicht für ursprünglich gehalten wer
den können; sondern daß ein ursprüngliches
Wohlwollen und eine Neigung zur Mittheilung
der Glückseligkeit, seine wesentliche, beständige und
unveränderliche Eigenschaft seyn mus.
Man kan auch eine ursprüngliche
Bestim
mung gegen das allgemeine Elend in der
um deswillen nicht voraussetzen, weil dieses weder
mit der Beschaffenheit aller vernünftigen Ge
schöpfe, die sie hervorgebracht hat, und in welchem
keine solche Bestimmung gefunden wird; noch mit
dem grossen Grad von Glückseligkeit, den man im
menschlichen Leben antrift, bestehen kan. Die
Allmacht würde gewis, durch das höchste allge
meine Elend, ihre Neigungen völlig befrie
digt haben.
Wir nehmen in uns selbst wahr, daß alle
unfreundliche Gesinnungen, deren wir fähig sind,
von unsrer Schwäche herrühren, wenn wir einen
erlittenen Verlust oder Schimpf gewahr werden,
oder wenn wir befürchten, daß uns dergleichen beErstes
Buch.
vorsteht; oder wenn wir Hindernisse finden, die un
serm eigenen Vortheil, oder dem Vortheil derjeni
gen, welchen wir gutes wünschen, zuwider sind.
In dem ursprünglich allmächtig
und die Ursache des Daseyns aller Dinge ist, kan
weder Schwachheit noch Bedürfnis, noch ein Streit,
zwischen seinem eigenen Vortheil, und dem Vortheil
seiner Geschöpfe, gefunden werden. Wenn diese
tiefsinnigern Betrachtungen keine Genüge leisten:
so lasst uns zu andern fortgehn, die leichter, und
von den Wirkungen der göttlichen
Macht hergenommen sind.
VI. Wenn wir von der Absicht eines Werks,
welche wir nur einigermassen verstehen, urtheilen:
so können wir allemal den natürlichen und ei
gentlichen Endzweck oder die
Der ganze wundervolle Bau, den wir be
richtung des
Ganzen ist
gut.
merken, hat die Erhaltung des
gen, die
Absicht. Die äusserlichen
pfehlen Dinge, welche heilsam sind, und verwerfen
die schädlichen: und auf gleiche Art empfehlen die
feinern Empfindungskräfte einem jeden dasjenige,
was sowohl dem System, als dem einzelnen Wesen
Nutzen bringt; und gegen alles, was ihm schädlich
ist, entsteht ein natürlicher Widerwillen. Die Erstes
Buch.
ganze innere Beschaffenheit der Neigungen, und
das moralische Gefühl, wovon wir oben gehan
delt haben, ist offenbar auf das gemeine Beste ein
gerichtet, und wir beziehen uns hier dahin. Ei
nige Arten von Thieren sind einigen andern gänz
lich unterworfen, und die Kräfte und angebohrnen
Triebe der höhern können den untern zum Schaden
gereichen; allein sie sind für diejenigen, in welchen
sie sich befinden, Mittel zu Erhaltung des Guten.
Die Wirkungen derselben, in Ansehung der untern
bestehen wirklich darinnen, daß sie dieselben des Da
seyns geschwinder berauben; allein sie verlieren ihr
Leben auf keine schlimmere Art, als sie es durch ei
nen natürlichen Tod verloren haben würden: ja
die Geschwindigkeit des gewaltsamen Todes ist für
ein Geschöpf, welches keine Gedanke von der Zu
kunft hat, dem beschwerlichen
natürlich nennen, weit vorzuziehen. Und viele von
dieser niedern Art würden eben so bald, aus Mangel
des Unterhalts, umkommen, wenn nicht die Natur
für eine Todesart, die ihnen erträglicher ist, als der
Hunger, gesorgt hätte. Ein ursprüngliches bö
würde seine Kunst in Werkzeugen der
Wenn wir die ganze
würfe dawi
der sind
Früchte der
Unwissenheit.
unsre Erkäntnis erstreckt, betrachten: so finden wir,
daß die ganze Einrichtung gut ist. Die Einwürfe
der Epikuräer, und einiger neuern, kommen von
ihrer Unwissenheit her. Wir finden, daß die ver
meinten Unregelmässigkeiten, die sie anführen, ent
weder unvermeidliche Folgen eines Baues, oder
solcher Gesetze sind, wodurch Vortheile erreicht wer
den, welche diese Unregelmässigkeiten weit überwiegen;
oder sie sind zuweilen die eigentlichen und natürlichen
Mittel, diese Vortheile zu erhalten. Wir finden, daß
der weite Ocean, der so oft für unfruchtbar gehal
ten wird, ein nothwendiges Behältnis des Was
sers ist, welches alle Thiere auf dem Lande nöthig
haben; und daß er selbst mit seinen Geschöpfen
bevölkert ist, zu deren Unterhaltung er überflüssi
ge Mittel in sich hält, von welchen auch die Men
schen eine grosse Beyhülfe erhalten. Die Berge
dienen theils zur Weide, zu Früchten und Getrai
de; theils verschaffen sie Regen, Brunnen und
Bäche. Die Stürme entstehen von Ursachen,
welche die nothwendigsten zum Leben sind, nämlich
von der Aufsteigung der Dünste, vermittelst der
Sonne, und von der
Luft. Die Sorgfalt, die Aufmerksamkeit, die
Arbeit, welche den Menschen zu ihrer Unterhal
tung obliegt, stärken sowohl die Seele, als den Kör
per. Ohne dieselben würde die Erde eine dürre
Wüsten seyn; aber durch dieselben wird sie zu einer Erstes
Buch.
angenehmen fruchtbaren Wohnung: und sie sind
die natürlichen Ursachen der Gesundheit und des
vernünftigen Verhaltens. Es ist allemal unser
Vortheil, daß wir kein solches
heit haben, als, nach der Erdichtung der Poeten, im
goldenen Weltalter gewesen seyn soll.
*
*
Man vergleiche die
Einwürfe des Lucrez wider
trägt, mit unsern gegen
wärtigen Entdeckungen in
der natürlichen Historie:
Virgil vertheidigt die
schen, in dieser schönen
Stelle:
VI. Allein, sagen einige Schriftsteller, wenn
wir auch zugeben, daß die Einrichtung des Ganzen
ein allmäch
tiger
das Uebel
zulässt.
gut ist; so sage man uns doch, wenn
tig ist; warum sind wir so arme Geschöpfe, daß
wir in unserm Leben so oft vom
schlagen, und sowohl von unsern eigenen
schaftenErstes
Buch.
oft gequälet werden? Endlich verfällt unser gan
zes Gebäu, und wir überlassen mit grossen Schmer
zen unsre Plätze unsern Nachfolgern von gleicher
Art. Warum sind wir so schwache Geschöpfe?
Warum ist diese Folge von Geschlechtern? Warum
sind unsre
der Tugend so unvollkommen? Sollten wir nicht
Abschnitt.
eine grössere Fähigkeit des
sollte unter unsern Neigungen nicht ein besser Ver
hältnis vorhanden seyn?
Diese Schwierigkeiten zu beantworten, lasst
ne Ordnun
gen sind in
dem besten
System
nothwendig.
uns in Erwägung ziehen, daß die beste mögliche
Verfassung eines unermeslichen Systems empfin
dender Wesen, eine Verschiedenheit von
gen
sind als andere, nothwendig erfordert. Einige
Ordnungen von Wesen können, auch ohne gesellige
Handlungen, überflüssige Freuden empfinden. Allein
wir wissen aus der
hohen Ordnungen giebt, deren grösste Vergnügun
gen in liebreichen Neigungen und in der Anwen
dung ihrer Kräfte zu Gutthätigkeiten, die aus die
sen Neigungen herfliessen, bestehen. Ja es ist uns
unmöglich, uns eine höhere Art von Freuden vor
zustellen. Das Bewustseyn des Wohlwollens ge
gen andere, wenn es gleich unthätig bleibt, ist mit
vielem Vergnügen verknüpft; aber eine höhere
Freude begleitet die Ausübung dieser Neigung in
wohlthätigen
anstehen, diese
gnügen in unsrer Natur anzunehmen, da unsre
Seelen zu empfinden scheinen, daß sie es ist? Sie
würde aber von unsrer Natur fast gänzlich ausge
schlossen seyn, wenn keine Unvollkommenheit, kein
Bedürfnis, kein
in der
de einer unthätigen Freude, die von keiner Unlust
unterbrochen wird, kan unter gutgesinnten glückliErstes
Buch.
chen Wesen, eine gesellige Freude und Hochachtung
statt finden. Allein, wo kein Uebel vorhanden ist,
da können keine liebreichen Handlungen ausgeü
bet werden.
Wir wollen die sehr gemeine Bemerkung mit
Stillschweigen übergehen, daß unsre
gen
den, durch die Wahrnehmung oder
entgegengesetzten Uebel, ungemein erhöhet wird.
Unter den Menschen ist das ganze tugendhafte Le
ben, welches, wie wir bewiesen haben, das höchste
Vergnügen gewährt, ein Streit mit natürlichen
oder moralischen Uebeln. Die Freygebigkeit kan
da nicht ausgeübt werden, wo kein Bedürfnis vor
handen ist; keine Tapferkeit findet da statt, wo man
keine Gefahr fürchten darf; Dankbarkeit und Ver
zeihung, oder freundschaftliche Vermahnungen und
Erinnerungen, Erdultung und Vergeltung des
ein Geschöpf des moralischen Uebels unfähig ist.
Solche liebenswürdige Handlungen, deren Anden
ken ewig angenehm seyn mus, können entweder
nicht statt finden, oder das Daseyn moralischer
Uebel ist nothwendig. Ja, weder Gedult, noch
Ergebung in den Willen Gottes, noch Vertrauen
auf denselben, kan in einem System ausgeübet wer
den, wo kein Elend vorhanden ist. Wenn also die
höchsten Vergnügungen, die wir uns vorstellen
können, in dem allgemeinen Ganzen vorhanden
seyn sollen: so müssen, mit ihnen zugleich, einige Ue
bel vorhanden seyn. Ja, wie sollen wir uns das
Abschnitt.
Leben der höchsten
niedrigen vorhanden sind; wenn kein Gutes, keine
liebreichen Handlungen, ausgeübet, keine Uebel ab
gewendet, keine ermangelnden Güter mitgetheilet
werden? Können wir uns etwas glückseligers,
etwas, das der Gottheit angenehmer ist, vorstel
len, als wenn sie das Gute dürftigen Geschöpfen
verschiedener Ordnungen, mittheilen kan? Und
musste sie nicht, durch die höchste Gütigkeit, bewo
gen werden, den verschiedenen höhern Ordnungen
zu solchen göttlichen Uebungen und Freuden Gele
genheiten darzubieten, und sowohl niedrige Ordnun
gen zu erschaffen, als auch den verschiedenen einzel
nen Wesen einer
und
ihre guten Neigungen in wohlthätigen Handlungen
ausüben können.
Wenn also die vollkommenste Gütigkeit den
kommenste
Gütigkeit
mus alle
Ordnungen
so einrich
ten, daß das
Gute die Ue
bel über
wiegt.
Urheber der
Ordnungen von Wesen zu erschaffen, und einige
von ihnen manchen Uebeln und Unvollkommenhei
ten zu unterwerfen: so mus eben diese Gütigkeit
erfordern, daß dieser Plan der Schöpfung sich auch
bis auf die niedrigsten Wesen erstrecke, in welchen
das Gute die ihnen zugetheilten Uebel überwieget,
weil die Erschaffung solcher niedriger Wesen das
Daseyn höherer Wesen, die nur das
Ganze zulassen kan, nicht aufhebt. Das Loos ei
ner grossen Unvollkommenheit musste also wohin
fallen. Die Menschen können sich darüber, daß sie
in keiner höhern Ordnung sind, mit eben so wenigen Erstes
Buch.
Rechte beklagen, als die Thiere, daß sie nicht Men
schen wurden.
Sehen wir dieses nicht durch die
bestätigt? Wir haben keinen Grund, zu glauben,
daß diese Erde Wesen von höherer Ordnung, als
die
Art kan in dem System nothwendig seyn; und sie
muste solche Einwohner haben, oder öde bleiben.
Ausser allen den Menschen, die sie unterhält, hat
sie auch noch für niedrige Wesen Raum und Nah
rung. Wir finden, daß alle Oerter mit solchen
lebendigen und empfindenden Wesen angefüllet sind,
als sie unterhalten können. Die untern nehmen
das ein, was für die obern sich nicht schicket, oder
was von ihnen nicht geachtet wird. Lasst uns auf
gleiche Art zu den höhern Ordnungen hinaufsteigen:
es können ihrer so viel seyn, als das beste System
des Ganzen zulässt; und doch sind in diesem gros
sen Hause unsers Vaters viele Wohnungen,
VII. Allein die Menschen werden sich noch
weiter beklagen: warum giebt es so strenge Gesetze
der Empfindung, die uns solchen heftigen
zen
ner solchen innern Unruhe unterwerfen? warum
haben wir solche wütende
eine allgegenwärtige unendliche Macht, den
allgemeinen Lauf der
schuldigen und Tugendhaften, unterbrechen? Es
kan ja keine Verschiedenheit der Geschäfte die Gott
heit ermüden oder zerstreuen.
Wir antworten auf alles dieses: Es ist zu
gen Gesetze
der Empfin
dung sind
nothwendig.
Erhaltung des Lebens nothwendig, daß gewisse Ein
drücke von aussen, und gewisse unangenehme Em
pfindungen von innen den beseelten Geschöpfen
Schmerz verursachen müssen. Wäre es nicht auf
diese Art eingerichtet: wie wenige würden sich, in
der Hitze ihrer
Wunden, Verbrennungen, Beschädigungen, und
einer gefährlichen Enthaltung von der Speise, hü
ten. Wie könten wir die Unordnungen gewahr
werden, und uns vor demjenigen, was sie vergrös
sern würde, in Acht nehmen? Dieses Gesetz ist er
wachsenen und verständigen Menschen schlechter
dings nothwendig; wie vielmehr mus es also jun
gen und unvorsichtigen Leuten unentbehrlich seyn?
Wir können uns auch über dieses Gesetz um des wil
len, weil es zu heftige Empfindungen wirkte, nicht
beklagen, da sie dem ungeachtet nicht allemal ihren
Endzweck erreichen. Die Empfindung des Poda
gra, des Steins, des Fiebers und Erstes
Buch.
Schmerzen nicht alle Menschen von den
rück, welche diese Martern
*
veranlasst haben.
Können wir uns mit grösserm Rechte wider
andre Gesetze auflehnen, die uns dem
und einer innern Unruhe unterwerfen? Sind sie
nicht die wohlgemeinten Erinnerungen und Ermah
nungen des allgemeinen Vaters, die er uns mit
einem gewissen Ernste giebt, um uns von allem,
was uns oder unserm Nebengeschöpfen schädlich
seyn könte, abzuhalten,
muntern, daß wir ihnen beystehen sollen? Oder
sind sie nicht zuweilen natürliche Züchtigungen,
wenn wir den Pflichten, die uns gegen diese weit
läuftige Verwandschaft obliegen, in einigen Stü
cken zuwider gehandelt haben?
VIII. Was die Hemmung dieser Gesetze zum
Besten der Unschuldigen anbelangt, welche vermöge
*
Man könte diese ge
meine Betrachtung für hin
länglich klar und gewis hal
ten; allein Bayle sagt uns in
noch stärkere Ankündigun
gen der heftigsten Schmer
zen, nicht allemal von
Schwelgerey und Unmäs
sigkeit abhalten, und auch
selbst Leute von einem ge
wissen Alter nicht vorsich
tig genug machen. Was
wird also unvorsichtige und
junge Leute abschrecken?
Diese Verminderung, wo
von er redet, könte wirk
lich hinlänglich seyn, wenn
die Menschen so albern wa
ren, und auf weiter nichts,
als auf die von ihm voraus
gesezte Empfindung merkten.
*
Wir wollen dieses noch
deutlicher machen. Wenn
keine bestimmten Gesetze
vorhanden wären: so wür
de niemand versuchen, sich
zu bewegen. Die
gung
nen Willen folgen, oder sie
würde wenigstens seiner
Absicht nicht gemäs seyn;
uns mit Kleidung versehen.
Wenn auch die Welt blie
be: so würden wir doch
keine
nehmen. Gift würde uns
Nahrung geben, und Wun
den würden uns zuweilen
Vergnügen machen.
Oder soll sich die Kraft dieser Gesetze nur
alsdenn, wenn die Wirkung unschädlich, oder nütz
lich ist, äussern, und sollen sie hingegen allemal,
wenn dieselbe schädlich ist, ruhen? Hierdurch wür
den alle Handlungen der Menschen vergeblich wer
werden. Fasten und Arbeiten würden alsdenn
keinen Tugendhaften schwächen und ermüden; und
keiner würde einige Kälte empfinden, ungeachtet
er unbekleidet wäre. Ja, unsre wahren Freuden
würden einen grossen Theil ihrer Anmuth, welcher
von
ren. Die Ruhe ist nur nach einer Abmattung an
genehm; und die Speise hat alsdenn den besten
ge Tugenden müsten für gänzlich überflüssig gehal
ten werden.
Oder sollen die Gesetze nur alsdenn ruhen,
wenn
che dieselben nach sich ziehen, kein Gutes entstehet;
und sollen sie hingegen, wenn etwas Gutes aus ihnen
erfolgt, ihre Wirkung behalten? Dieses kan in
Abschnitt.
der That seyn, ob wir gleich das Gute nicht einse
hen, welches von solchen Uebeln entsteht. Allein,
ist es nöthig, daß die Gesetze gehemmt werden,
wenn von den Uebeln, die sie nach sich ziehen, kein
gegenwärtiges sichtbares höheres Gutes entstehet?
Müssen Schwachheiten und Schmerzen, welche
werden, sobald GOtt vorhersieht, daß niemand,
aus einem tugendhaften Triebe, sich ihrer annehmen
wird noch kan?
„Viele Uebel, sagt man, veran
lassen weder denjenigen, der sie erfährt, noch an
dre, zu Ausübung der Tugend. Viele Beleidi
gungen wirken die Tugenden der Gedult, der
Selbstverläugnung und der Verzeihung nicht, son
dern sie ziehen bittere Ahndungen und ein langes
Gefolge von Widerwärtigkeiten nach sich. Die
Gesetze der
und nur in andern ihre Wirkung äussern.“
Allein, wenn wir wahrnähmen, daß der Lauf der
Natur immer zum Besten derjenigen, welchen niemand
beystehet, geändert würde: so würde alle Beyhülfe
überflüssig seyn. Die Menschen würden in diesen
Unterlassungssünden fortfahren, damit diese Gna
Der Tugendhafte
Oder soll der Lauf der Natur zum Schaden
der
und sich allemal, den Tugendhaften zum Besten,
ändern? Auch alsdenn würde die Sorgfalt für
den Tugendhaften thöricht seyn, und die ange
nehmsten Tugenden würden entbehrt werden kön
nen. Oft ist auch die
haften mit dem Glück andrer zu sehr verknüpft.
Müssen alle ihre Familien und Freunde, und ihr
Vaterland beschützt werden? Wenn dieses ist:
was sollen wir alsdenn die
nennen, deren Erkäntnis unsre Handlungen ein
richten soll? Die Abweichung müsste eben so ge
mein seyn, als der ordentliche Lauf. Und alsdenn
würden die Tugendhaften weder Geduld, Selbst
verläugnung und Standhaftigkeit ausüben, noch
ihre Vortheile GOtt und dem gemeinen Wesen
aufopfern können, wenn sie auf diese Art von
den Streichen des
würden.
Endlich, wenn es einem gütigen GOtt
anständig war, eine Ordnung von Wesen zu er
schaffen, deren vornehmste Vergnügungen, in der
Lebhaftigkeit und Uebung ihrer liebreichen Neigun
gen, und in moralischen Vergnügungen, bestehen
sollten: so musten verschiedene Ordnungen von
Wesen seyn, die Welt muste durch allgemeine, und
zu keiner Zeit veränderliche Gesetze regieret, und
Abschnitt.
viele besondere natürliche und moralische Uebel mu
sten zugelassen werden.
IX. Da nun der einzige scheinbare Grund des
stem der Ma
nichäer ist
ohne Grund.
Systems von zwey unabhängigen Wesen, einem
guten und einem bösen, die Vermischung ist, wel
che wir in der Welt vom Guten und Bösen wahr
nehmen: so mus diese Voraussetzung ohne allen
vernünftigen Grund seyn, nachdem wir sattsam be
wiesen haben, daß eine solche Vermischung noth
wendig die Absicht der höchsten Gütigkeit seyn müsse.
Fänden wir einige vollkommen gute Wesen, und
andre, die vollkommen
ge Vermuthung vorhanden seyn, daß zwey höchste
einander entgegengesetzte Wesen daseyn müssten.
Oder entdeckten wir einige Gesetze, die einzig und
allein zum Bösen, und andre, die zum Guten, be
stimmt wären; so würde dieses eine zweyte Vermu
thung abgeben können. Allein, daß zwey Gei
ster, die entgegengesetzte Absichten haben, in einem
Entgegengesetzte Absichten in zwo Ursachen
gegengesetzte
höchste We
sen, können
keine Wir
kungen her
vorbringen.
von gleicher Kunst und Macht, können keinen Bewe
gungsgrund zulassen, sie zur Hervorbringung einer Erstes
Buch.
Welt zu vereinigen; weil jede wissen müste, daß
die Kunst und Macht der andern ihr eben soviel
Schaden bringen würde, als sie durch ihre eigene
Kunst und Macht, sich Vortheile verschaffen
könte.
Nach dieser Voraussetzung müsten wir an
den Werken der
nehmen, als wir gutes und nutzliches finden.
Allein, dieses wird durch die
In den Werken der Natur ist keine ursprüngliche,
vorsätzliche und unaufgeforderte
fen; sondern wir bemerken bey vielen Gelegenhei
ten eine freywillige unbelohnte und unverdiente Zu
neigung, in
Hochachtung tugendhafter
keinen Vortheil verschaft haben; oder in dem
leiden
sprüngliches oder natürliches Vergnügen an dem
Elend anderer; dasselbe vergnügt niemals, wenn
wir nicht einige grosse moralische Uebel in der lei
denden Person, oder einige Hindernisse unsers eige
nen Vortheils wahrgenommen haben. Man fin
det kein moralisches Gefühl, welches dasjenige,
was dem gemeinen Besten nachtheilig ist, billigt;
sondern in allen vernünftigen handelnden Wesen,
treffen wir das Gegentheil an, ein moralisches
Gefühl, welches alle Wohlgewogenheit, Men
X. Allein wenn man zugiebt, daß die Ein
richtung der Natur, ohne Ausnahme, gut ist, da
im menschli
chen Leben
überwiegen
der.
bey aber ein Uebergewicht des Uebels in dieser Welt
wahrzunehmen glaubt, wie einige gute Leute, bey
ihren
liche Leben, behauptet haben; so wird dieses immer
einen unruhigen Argwohn in der Seele zurücklas
sen. Dieser gegenwärtige Zustand ist, ausserhalb
einer
muthungen, die wir in Ansehung andrer
und einer Zukunft haben. Wenn das Elend hier
die Oberhand behält: so ist es zwar wahr, daß
auch in diesem Falle die Gottheit
vollkommen gut
seyn könte, in sofern dieses Elend eines Theiles, zu
einem höhern Guten in dem Ganzen, nothwendig
wäre; allein alsdenn würden wir ihre Gütigkeit,
aus ihren Wirkungen, nicht vollkommen einsehen
können. Der Fall ist unterdessen ganz anders.
Die
dieser gegenwärtigen Welt; und dieses macht alle
Beweise, die wir nur erwarten oder verlangen kön
nen, vollständig.
Was erstlich das natürliche Gute anbelangt:
liche Gute
behält in
dem Ganzen
die Ober
hand.
so sind die Vergnügungen der
friedigungen der Begierden ungemein häufig, hin
gegen sind die heftigen Empfindungen des Schmer
zens selten. Sie werden nicht leicht einige Mona
te, in einem Leben von siebenzig oder achtzig Jah
gnügungen
der Sinne.
ren, dauren. Die schwächern Körper, welche den
selben am meisten unterworfen sind, machen nicht den
hundertsten Theil des menschlichen Geschlechtes aus. Erstes
Buch.
Wenn das körperliche Vergnügen, seiner Natur
nach, gering und vorübereilend ist: so ist es auch
der körperliche
vorüber, und wir befürchten nicht die Zurückkunft
derselben: so ist alles Uebel verschwunden, und das
Andenken an dasselbe fängt an, uns zu vergnügen.
gungen; und ihre Dauer wird euch ungleich grös
ser vorkommen. Sie sind, in ihrer Art, fast eben
so stark, als einige Schmerzen, welchen wir ausge
sezt sind. Diejenigen, welche beyde erfahren ha
ben, werden sich von hohen sinnlichen Vergnügun
gen, durch keine
Schmerzen, abschrecken lassen. Die heftigern
Schmerzen, welche selten sind, können nicht in Be
trachtung kommen, wenn wir die öftere Wieder
kehr wirklich hoher Vergnügungen dagegen halten.
Wenn einige Menschen in ihren frühen Jahren
umkommen: so ist wahrscheinlicher Weise der
Schmerz, den sie fühlen, weder so stark, noch so
langwierig, als derjenige, welchen Leute von reiferm
Alter empfinden: und er wird auch nicht durch
Furcht und Angst vermehret.
In den Vergnügungen der
kraft
rath vom Guten, welcher nur einen geringen Ab
gang leidet, da kaum ein Schmerz ihnen eigentlich
zuwider seyn kan: und die dauerhaftern Freuden
über eine den Unglücklichen erzeigte Hülfe, und über
das Glück geliebter Personen, überwiegen die
Schmerzen der Sympathie. Wir übergehen das
Abschnitt.
Vergnügen, welches mit dem Beyfall, den diese
Gemüthsart selbst erhält, verknüpft ist; und die
freudenvolle Hofnung, daß über alle würdige Ge
genstände unsrer Zuneigung eine gütige
wache. Es ist offenbar, daß der sympathetische
Schmerz eine nothwendige und weise Einrichtung
der
ten, die
gegen das Uebel zu beschützen.
In Absicht auf das
Schwierig
keit in Anse
hung des mo
ralischen Gu
ten und
sen
die Schwierigkeit grösser zu seyn. Allein eine Per
son, die ganz und gar keine
so selten, als eine, die von allen
einen hohen Begriff von der Tugend in unsre Her
zen gepflanzt, nach welchem wir unsre Urtheile über
dieselbe einzurichten pflegen. Wir verlangen eine
Unschuld ohne Ausnahme, und eine lange Ausü
bung wohlthätiger
für gut zu halten. Zwo oder drey lasterhafte Hand
lungen machen ihn sogleich verhasst. Nur wenige
Beyspiele von Betrug, Diebstahl, Gewaltsamkeit,
Undankbarkeit, Ueppigkeit stürzen einen Character
in einen fast unersetzlichen Verlust; ob gleich das
übrige Leben unschuldig ist, und obgleich diese Hand
lungen, unter grossen Versuchungen, oder aus keiner
übeln Absicht, begangen, sondern durch eine eigennü
tzige Leidenschaft oder eine heftige
durch eine rühmliche parteyische
gleichen man für eine Familie empfindet, veranlas
set worden sind. Es werden wenige Menschen Erstes
Buch.
seyn, in deren Leben wir nicht hundert Handlungen,
die nicht nur unschuldig sind, sondern auch aus ei
ner rühmlichen
die von einer boshaften Absicht herkomt, finden soll
ten. Verwandschaftliche
Dankbarkeit, der Eifer für Parteyen und das Va
terland, nebst den natürlichen
Begierden und Be
strebungen nach den Mitteln der Selbsterhaltung,
sind die gemeinsten Quellen der menschlichen Hand
lungen. Und selten werden die Laster der Men
schen aus etwas anders herrühren, als aus diesen
Bewegungsgründen, wenn sie vielleicht zu stark
geworden
meinere Neigungen, oder durch die Beobachtung
der
fordert, in Schranken gehalten werden könten.
Wir finden in unsern Herzen ein Maas der Tu
gend, das wir nicht erreichen können; dahero müs
sen wir uns alle, vor den Augen Gottes, für schul
dig erkennen. Und doch sind die geringern Tugen
den so gemein, daß das menschliche
nur ein sicherer, sondern auch ein angenehmer Zu
stand ist.
Obgleich dieser Umstand in unsrer Natur,
daß das Maas des
der
derbnis unsers Geschlechts beybringen kan: so ist
er doch sehr nothwendig und nützlich, da er uns
von allem, was schimpflich und lasterhaft ist, zu
rückhält, und uns zu einer mächtigen Ermunte
rung dient, auf dem Wege nach der Vollkommen
Abschnitt.
heit beständig fortzuwandeln. Wir würden ohne
dieses Maas keinen Begrif von der Vollkommen
heit haben, und es könte in der menschlichen Seele
der Vorsatz gar nicht statt finden, in der Tugend
zuzunehmen. Allein da wir in so wenigen die
vollen Wirkungen hiervon wahrnehmen: so scheint
dieses kein geringes Merkmal zu seyn, daß wir ent
weder ehemals in einem höhern Stande der Voll
kommenheit gewesen sind, oder daß uns ein solcher
Stand noch bevorsteht. Wären wir nicht zu ei
nem solchen Stande bestimmt: so würde von dem
uns eingepflanzten Maas der Tugend eben so we
nig eine Ursache angegeben werden können, als von
der Anlegung grosser Magazine, und von der An
schaffung vieler Artillerie, wenn keine Kriegszu
rüstungen nöthig sind.
XI. Dieses Uebergewicht des Guten im
fung auf die
menschlichen
Herzen.
menschlichen Leben zu bestätigen, lasst uns in Er
wägung ziehen, daß die Menschen, bey einer mögli
chen Voraussetzung, eben so gewis angeben kön
nen, was sie verlangen würden, als bey wirklichen
Begebenheiten. Man stelle sich vor, daß ein Arz
neymittel erfunden würde, welches, ohne alle
daurenden Schlaf bringen, oder alle Gedanken und
das ganze Daseyn auf ewig aufheben könte. In
einem hohen
keiten möchten vielleicht einige wenige den Gebrauch
dieses Arzneymittels wählen, um, durch den Ver
lust aller Güter, allem Uebel zu entgehen; aber
unter Tausenden würde es nicht einer thun: und Erstes
Buch.
die wenigen, welche es thun möchten, haben vor den
Monaten, in welchen sie die Vernichtung wählen
würden, ganze Jahre zugebracht, in welchen sie
das Leben erwählt hätten. Viele von ihnen haben
ihren Antheil des Lebens genossen; sie würden be
reit seyn, es zu verlassen, wie ein gesättigter Gast
eine volle Tafel verlässt. Was ist es also, wenn
auch einer, nach einem angenehmen Leben von vielen
Jahren, endlich auf die wenigen ihm noch übrigen
Monate den
theil der Jugend, wenn alle
gierden
denvolle Hofnungen die
den Werth des Guten im menschlichen Leben zu hoch
bestimmen kan: so kan auf der andern Seite
das Urtheil bejahrter Personen, wenn alle Kräfte
schwach sind, und das genossene Vergnügen aus
dem Gedächtnisse fast vertilgt ist, ebenfalls sehr
parteyisch seyn. Menschen von einem mittlern Al
ter, welche die Beschaffenheit des Lebens wahrneh
men, welche sich an die Freuden der Jugend erin
nern, und an andern den Zustand des hohen Alters
bemerken, sind unstreitig die besten Richter. Nicht
einer unter Tausenden würde alle Freuden aufge
ben, um alles zu vermeiden, was er fürchtet. Es
ist eine sehr grosse Undankbarkeit der Menschen, daß
sie sich bestreben, den Werth aller Gaben
abzusetzen, und hingegen alle Uebel, die uns befallen, zu
vergrössern. Sollte Mercur, wie in der alten
auf ihr Verlangen, zu ihnen kommen, wenn sie voll
Unwillen ihre Last abgenommen hätten: so würden
sie ihn geschwind ersuchen, nicht ihre Seelen an
Abschnitt.
den Lethe zu führen, sondern ihnen zu helfen, daß
sie ihre Bürde wieder auf den Rücken nehmen
könten.
Bey dieser Streitigkeit führen einige alle Ruch
chen des Jrr
thums hier
innen.
losigkeiten und alle Widerwärtigkeiten an, die sie gese
hen, und wovon sie gehört oder gelesen haben.
ge
Städte, Verheerungen ganzer Länder, grausame Hin
richtungen,
Betrügereyen und Bosheiten, die vor Gerichte vor
gehen; alle Verderbnis, Falschheit, Verstellung,
Undankbarkeit, verrätherische Verkleinerungen,
Lästerungen und Ausschweifungen an
ob diese die gemeinsten Beschäftigungen des mensch
lichen Geschlechts wären, oder als ob ein grosser
Theil der Menschen vermöge ihres Berufs zu diesen
Dingen versehen wären. Die Gefängnisse und
Hospitäler, die Wohnungen der Verbrecher und
Kranken, waren niemals so volkreich, als die
Städte, worinnen sie stehen: sie enthalten kaum
den tausenden Theil eines
schreibung eines Krankenhauses mus das härteste
Herz
Volks nach einem Krankenhause beurtheilen? Pflan
zen oder beseelte Geschöpfe, die unnatürlich gebildet
sind, werden lange Zeit zur Unterhaltung der neugieri
gen aufbehalten; die Seltenheit macht, daß wir
uns mit der Betrachtung derselben beschäftigen und
gerne davon reden. Allein Millionen regelmässige
Gestalten sind, gegen eine unregelmässige, vorhan
den; sie sind so gemein, daß sie weder Aufmerk
Buch.
samkeit noch
halten eine lebhafte Erinnerung an eine harte
Krankheit oder Gefahr, welcher wir entgangen sind,
an ein schreckliches Unglück, oder an einen Betrug:
unsre
Ermordungen, Seuchen, durchdrungen: sie ver
gessen die ungleich grössere Anzahl derjenigen, wel
che diesen Uebeln entgangen sind, und die gewöhn
liche Ruhe des Lebens geniessen. Diejenigen, wel
che diese Uebel erfahren, haben selten grössere
Schmerzen, als diejenigen sind, welche einen na
türlichen Tod begleiten, und sie machen nicht den
vierzigsten Theil des menschlichen Geschlechts aus.
Kaum fünf mal hundert tausend Menschen sind in
einem Jahrhunderte der Brittischen
durch diese Uebel umgekommen; und vierzigmal so
viel sind denselben, auch in den schlimmsten Zeiten,
entgangen.
Das natürliche
diese grosse Widerwärtigkeiten so sehr fühlen und
uns daran erinnern. Wir wünschen allen Gutes;
wir verlangen, aus einem noch feinern Triebe,
den glücklichen Zustand des allgemeinen Ganzen;
und wir fühlen, bey jeder Erfahrung des Gegentheils,
ein tiefes Misvergnügen, wenn wir auch in An
sehung unserer selbst nichts zu fürchten haben.
Diese schätzbaren Triebe in unsrer Natur solten in
unsern Herzen für die Gütigkeit des höchsten We
sens mehr reden, als diese Erfahrung des Uebels
Die Geschichten, welche von Kriegen, Em
pörungen, Mordthaten, Hinrichtungen, den ver
schichte öfnet
uns nur eine
Aussicht in
einen sehr
kleinen
Theil des
Lebens.
dorbenen
len, schweigen von der ungleich grösseren Anzahl
von Menschen, welche, in einer sichern Verbor
genheit, ihr Leben mit den natürlichen Geschäften
und Vergnügungen der Menschen, tugendhaft und
unschuldig zubringen. Wir lesen von den
lungen
Versuchungen des Geizes und der Ehrsucht ausge
sezt gewesen, welche über das gemeine Loos einer
anständigen Arbeit und Emsigkeit, mit Seelen, die,
von ihrer Kindheit an, durch ihre vortheilhaften
Glücksumstände, und ihre, von Schmeicheley und
Ueppigkeit, erregte
emporgestiegen sind. Die angenehmen geselligen
und unschuldigen Beschäftigungen des grössten
Theils der Menschen sind keine Gegenstände der
Geschichte; nicht einmal die ordentliche regelmäsige
Verwaltung eines Staates in Beschützung des
Volks und der Ausübung der Gerechtigkeit. Die
Krankheiten des Staats, bey Partheyen und Ver
schwörungen, und den darüber entstandenen Unei
nigkeiten, bey Empörungen, auswärtigen Krie
gen und ihren Ursachen, stehen. Diese Gefahren, ihre
Ursachen und die dawider angewendeten Mittel müs
sen, zum Gebrauch der künftigen Zeitalter, unverges
sen bleiben; und ihre Seltenheit, in Vergleichung
mit den natürlichen Beschäftigungen des geselligen
Lebens, macht sie unterhaltender. So erzählen
die medicinischen Schriftsteller nicht die angenehmen Erstes
Buch.
Vergnügungen und Beschäftigungen in der Gesund
heit. Die Ursachen, die
deutungen der Krankheiten, ihre critischen Abwechs
lungen, die Wirkungen der verschiedenen Arzeney
mittel, sind die eigentlichen Gegenstände ihrer Ab
handlungen.
Menschen von hohem Stande, die zur Ru
he und Weichlichkeit gewöhnt sind, können sich
den arbeitsamen Stand niedriger Menschen, als
eine elende Sklaverey vorstellen, weil er ihnen
so vorkommen würde, wenn sie, bey der gegen
wärtigen Beschaffenheit ihrer Seele und ihres Kör
pers, zu demselben heruntergesetzt werden solten.
Allein in den niedrigern Ständen ersezt die Stärke
des
sanfte Ruhe nach der Arbeit, mäsige Begierden,
und eine geringe Kost allen Mangel an
Vergnügungen. Und die liebreichen Neigungen,
erwiederte
verwandschaftliche und kindliche Pflichten, morali
sche Vergnügungen, und einiges Gefühl der
von einem kleinen Umfange, finden in niedrigern
Ständen eben sowohl statt, als in höhern; und al
le diese Neigungen sind gemeiniglich in denselben
aufrichtiger.
XII. Wie kan ein Wesen, welches zu unvoll
kommen ist, die ganze Verwaltung dieses Ganzen
in allen seinen Theilen und seiner ganzen Dauer,
mit allen Verknüpfungen der verschiedenen Theile,
einzusehen, von dem höchsten Geist und seinen
XIII. Weil denn die ganze Einrichtung der
und das daraus entstehende Uebergewicht der
seligkeithöchste Geist ein güti
Es ist eine Vermessenheit, wenn man eine
umständliche Nachricht verlangt, wie jedes Uebel
vernünftig
gen beson
dern End
zweck eines
jeden Uebels
wissen zu
wollen.
zur Beförderung eines höhern Gutes nothwendig
seyn kan. In dem besten möglichsten System,
müssen einer unvollkommen
unauflöslich seyn. Die Endzwecke und Ver
knüpfungen müssen ihr verborgen seyn, so wie man
ches Verfahren eines Vaters in dem Hauswesen,
oder eines Arztes in gewissen Krankheiten, dem
Kinde und dem Kranken ein Geheimnis seyn kan.
Es ist genug, daß wir erkennen, die natürliche Ab
sicht in der ganzen Einrichtung der
wir sie, einsehen, sey gut; daß die Glückseligkeit
das Elend überwiege, und unser Zustand wün
schenswerth sey. Alle neue Entdeckungen vermeh
ren hierinnen unsere Ueberzeugung, indem sie uns
in demjenigen, was wir vorhero für eine Unvoll
kommenheit ansahen, weise Absichten entdecken.
Ein billiges
daß dieses eben der Fall bey gewissen Theilen sey,
deren Bestimmung uns unbekant ist. Die ängst
lichen Bemühungen der Menschen in dieser wich
tigen Sache helfen dieses bestätigen, da sie die na
türliche Verfassung der Seele beweisen, vermöge
welcher sie wünscht, daß alles in dem Ganzen gut
seyn möge. Dieses ist eine von den deutlichsten
Spuren unsers liebreichen Schöpfers, die in unsre
Herzen eingedrückt sind. Diese
von allen angenommen werden, wenn nicht Eitel
keit, eine
Einsicht zu verrathen, oder die Neigung zu wider
sprechen, das Herz eingenommen haben.
XIV. Man füge allem diesen noch bey, daß die
nung eines
künftigen
Zustandes ist
allgemein.
der
führt, welche auf einmal alle Einwürfe aus dem
Wege räumt, daß nämlich alle
scher
nung
selbe und ihren Urheber zu kennen, und einer weis
sagenden Empfindung des Daseyns nach dem
fähig sind, in einem künftigen Zustande ewig le
ben werden. Die Kraft zu denken und zu überle
gen, welche auf vergangene und künftige Zeiten,
und auf den Zustand andrer eben sowohl, als auf
unsern eigenen, sich erstreckt, und allgemeine Nei
gungen und moralische Empfindungen zu Begleite
rinnen hat, machen alle Ordnungen von Wesen,
die damit begabt sind, eines ungleich grössern Glücks
oder Elends fähig, als die unvernünftigen Thiere
seyn können. Wenn die Dauer der Menschen
ewig ist, und durch die Mittel, die uns in diesem
Leben am meisten beglücken, eine glückliche
lichkeit
che uns in den wenigen Jahren unsers sterblichen
Zustands begegnen, keiner
verdienen nicht einmal mit der Glückseligkeit, die
auf sie folgt, verglichen zu
Die verwegensten Epikuräer haben niemals
versucht, Beweise zu geben, daß ein künftiger Zu
stand unmöglich sey. Viele, die sich die
materialisch vorstellen, haben einen solchen Zustand
geglaubt. Menschen aller Alter und Nationen
Abschnitt.
haben auf diesen Zustand gehoft, ohne von dem
mindesten
seyn. Diese Meinung ist den Menschen natür
lich, und das, was ihr Schöpfer verordnet hat,
mus sie unterhalten. Dieses wird durch die Be
weise nicht wenig bestätiget, wodurch gezeigt wird,
daß dasjenige, was in uns denkt, schliesst und
Neigungen hat, kein theilbares System verschiede
ner Wesen seyn könne, wie jeder Theil der
rie
wustseyns kan nicht von den verschiedenen Beschaf
fenheiten herkommen, die in einer Zusammenfügung
verschiedener
terschieden sind, angetroffen werden.
*
Die Thä
tigkeit der Seele verträgt sich auch nicht mit der
leidenden
unsre
und
welcherwillen wir uns selbst, oder andre, hochach
ten oder geringschätzen, Eigenschaften sind, die nicht in
die
seinen Theilen einige Verwandschaft haben, noch an
den Veränderungen, die den Körper befallen, Theil
nehmen.
*
von der Seele
aus unserm Bewustseyn,
daß bey der grossen Menge
von Empfindungen, Urthei
len, Neigungen, Begierden,
das empfindende und han
delnde Wesen eins ist, mit
vielem Nachdruck angefuh
ret, Man sehe auch
ters
über diese Materie.
Die Natur und die Ordnung unsrer Empfin
dungen beweist diesen Unterschied. Erstlich stellen
uns die äusserlichen Empfindungen Gegen
XV.
GOtt hat durch die Einrichtung unsrer
Wenn es in dem Ganzen
delnde Wesen giebt, welche des Abfalls von ihrer
Rechtschaffenheit fähig sind, welche den menschli
chen Begebenheiten zusehen, welche, von der Ver
ordnung der Gesetze, Bewegungsgründe zu der Be
ständigkeit nöthig haben: wenn solche Wesen das
äusserliche Glück der
das verhärtete Gewissen derselben keine innern
Vorwürfe empfindet, wenn sie in dem Ueberflus
aller Vergnügungen, die sie nur wünschen, leben,
und, frey von aller künftigen Bestrafung, in ei
nem Augenblick in das Grab hinabgehn: wie sehr
mus dieses unvollkommene
des Lasters ermuntern? Mus nicht eine solche
und die Macht der göttlichen Gesetze vernichten?
Erstes
Buch.
daß die Lasterhaften die höchsten Vergnügungen
des Lebens verloren haben; allein die Lasterhaften
haben keinen Geschmack daran, sie bedauern den
Verlust derselben nicht, und taumeln in ihren Lü
sten fort. Kan eine solche Freyheit von der Be
strafung mit den weisen Endzwecken der Regierung,
mit der Verbesserung und Sinnesänderung derjeni
gen, welche in einem hohen Grade lasterhaft waren,
wohl übereinstimmen? Was für Wirkungen kön
nen sie haben, wenn die Menschen sich für keiner
Zukunft zu fürchten brauchen?
Wenn man ein noch unvollendetes Gebäude
sieht, dessen verschiedene Theile eine ungemeine Kunst
verrathen, an welchem aber noch ein anderer Theil
fehlt, um es vollkommen und bequem zu machen;
wenn für diesen Theil Raum gelassen worden, und
auch einige Anzeigen vorhanden sind, daß man die
Vollendung des Baues zur Absicht gehabt hat:
wird nicht alsdenn ein billiger Zuschauer den
Schlus machen, daß dieser ermangelnde Theil auch
in dem Plan des Baumeisters enthalten war, ob
gleich einige Ursachen die Vollführung gehindert
haben? Dieses ist der Fall in der
vollendet. Wir bemerken, daß Raum für einen
weitern Bau vorhanden ist, und wir finden von
der Absicht, ihn zu vollenden, hinlängliche Merkma
le in dem Verlangen und den Hofnungen aller Al
ter und
der Gerechtigkeit, und in unsern edelsten und allge
meinsten Neigungen gegen andre, und gegen das
Abschnitt.
Ganze; und sollen wir auch nicht zu der Kunst, der
Güte, und dem unerschöpflichen Reichthum des
grossen Baumeisters, Vertrauen und Hofnung
haben?
Da die Ueberzeugung von der Güte
der grosse Grund unsrer
nehmste Stütze der Tugend ist: so haben wir uns
bey dieser Materie lange aufgehalten, ob wir gleich
mehr die
sie in ihr völliges Licht gesetzet haben. Wir müs
sen die andern Eigenschaften des höchsten Geistes
noch kürzlich berühren, damit nicht einige irrige
Meinungen von denselben die tiefe Verehrung und
dig sind, schwächen möge.
XVI. Alle diejenigen Gründe, welche bewei
Eigenschaft
Gottes.
Ein Geist.
sen, daß ein denkendes Wesen eine, von der
terie
daß Gott ein
sche Masse dieses Ganzen ist; da alle Beweise sei
nes Daseyns, Beweise von einer ursprünglichen
Kraft zu denken, von
tigkeit, und von Neigungen, und folglich von solchen
Kräften sind, die mit der
nicht vertragen. Indem wir ihn einen Geist nen
nen, müssen wir nicht in den Gedanken stehen, als
ob er mit der menschlichen
und nur grösser sey. Obgleich alle denkende We
sen, der Art nach, von der Materie unterschieden
sind: so können doch unzählbare
Arten von Geistern seyn, welche alle wesentlich von Erstes
Buch.
einander unterschieden sind, von dem niedrigsten
Geiste des
zur unendlichen Gottheit.
Ferner, was ursprünglich und selbstständig
ist, kan seiner Natur nach, weder durch seine eige
ne Wahl, noch durch den Willen einer vorhergehenden
Ursache, auf einen besondern endlichen Grad der
einer Art, mit Ausschliessung der übrigen, einge
schränket seyn. Kein möglicher Grund, keine mög
liche Ursache kan angegeben werden, warum es die
se Arten und diese Grade, und nicht vielmehr andre,
besitzen solle. Wir sehen aus den Wirkungen, daß
die ursprünglichen Vollkommenheiten weit über
unsre
kein vorgängiger Wille, keine vorhergehende Wahl
eines Wesens vorhanden, durch welche es, auf eine
Art oder einen Grad, hätte können eingeschränket
werden können. Dieses führt uns zu der Vorstel
lung eines ursprünglichen gränzenlosen Oceans aller
Vortreflichkeit und Vollkommenheit, woraus alle
eingeschränkte Vollkommenheiten hergeleitet wor
den sind.
Eben diese Betrachtungen führen uns an, uns
das ursprüngliche Wesen als einzig, und als un
zusammengesezt von verschiedenen Wesen oder Thei
len, vorzustellen. Kein möglicher Grund, keine
Ursache kan angegeben werden, warum eben diese
Anzahl ursprünglicher Geister, und nicht viel
Die ununterbrochene Macht, welche sich, in al
wärtig.
len Theilen des Ganzen, äussert, und die uneinge
schränkte Natur des ursprünglichen Wesens
führt uns auf die Vorstellung, daß er eine solche
Allgegenwart und Unermeslichkeit besitzen müs
se, wie sie zu einer allgemeinen
lung erfordert wird. Und derjenige, welcher ur
sprünglich ist, mus auch ewig seyn.
XVI. Aus der Macht,
net alles
durch seine
schliessen wir, daß Gott eine allgemeine Vorsorge
ausübet. Einem Wesen, welches diese Vollkom
menheiten besizt, kan der Zustand eines Ganzen,
voll so vieler Geschöpfe, die fähig sind, glücklich Erstes
Buch.
oder elend zu werden, nicht gleichgültig seyn. Die
Güte mus dasselbe bewegen, seine Macht und Weis
heit in der Regierung des Ganzen, welche auf den
besten Endzweck, die allgemeine
zielet, zu erkennen zu geben. Wir können uns kei
ne Uebung seiner Kräfte vorstellen, die Gott anstän
diger und würdiger wäre, oder ihm mehr Vergnü
gen brächte.
Was für ein andrer Bewegungsgrund zur
Schöpfung kan vorhanden seyn, als ein Verlan
gen,
len? Man kan sich nicht vorstellen, daß Gott die
Ehre, welche ihm Geschöpfe erzeigen, die unendlich
weit unter ihm sind, zu seinem lezten Endzweck ma
chen könne. Alles Verlangen nach
aus, daß vorhero etwas vortrefliches wahrgenom
men worden, oder daß eine Bestimmung seiner
Natur, oder eine Neigung, der wesentliche Gegen
stand seines Beyfalls sey: und was für eine andre
Bestimmung können wir für den Gegenstand sei
nes höchsten Beyfalls annehmen, als eine voll
kommene Güte, die ihn immer veranlasst, die Glück
seligkeit mitzutheilen. Diese Bestimmung mus
ihn bewegen, seine eigenen Vortreflichkeiten seinen
vernünftigen Geschöpfen, durch seine Werke zu ent
decken, damit er auf diese Art für sie die Quelle der
höchsten Glückseligkeit, der edelste Gegenstand ih
rer Betrachtung und Verehrung, ihrer
tung, Hofnung und festen Zuversicht und das beste
Vorbild zu ihrer Gott
entdeckt seine
durch die
Abschnitt.
lich zu machen; und
Lob und ihre Bewunderung sich eine neue Glückse
ligkeit zu verschaffen.
Die Weisheit und
Sein Verhalten gegen seine Geschöpfe mus
rech-tigkeit
Gottes.
seiner Güte und Weisheit gemäs seyn. Seine
Gesetze müssen gut und gerecht seyn, und mit dem
Vortheil und der
übereinkommen. In ihm kan keine parteyische
werden, welche neben dem allgemeinen Guten, oder
dem heiligen Ansehn seiner Gesetze, nicht bestehen
kan. Keine Privatabsichten können die Vollzie
hung ihrer Verordnungen hemmen, so lange sie der
allgemeine Vortheil und die Unterstützung der Ma
jestät dieser Gesetze erfordert. Es ist keine unge
rechte Parteylichkeit, daß einige Menschen viele Vor
theile vor andern empfangen haben. Wir haben
oben gezeigt, daß dieses die beste
monie des Ganzen erfordern kan. Dieses sind die Erstes
Buch.
natürlichen Begriffe von der Gerechtigkeit in einem
moralischen Beherrscher. Eine mit Weisheit
verknüpfte Güte mus den Beherrscher zu einem
solchen Verhalten bestimmen, welches das Ansehn
und den Einflus seiner Gesetze auf das allgemeine
Beste unterstützen kan.
I.
Bey der Betrachtung der verschiedenen Ver
gnügungen unsrer Natur haben wir die
öftere Gelegenheit gezeigt, welche den Menschen vor
komt, zu der göttlichen
nehmen, um ihre Vergnügungen sicher zu stellen,
und, mitten unter den Wiederwärtigkeiten dieses
Lebens, welche entweder uns selbst, oder die Gegen
stände unserer zärtlichsten Neigungen befallen, die
Ruhe der Seele zu befestigen. Wir haben in dem
vorhergehenden Abschnitt den grossen Grund unsrer
Glückseligkeit, das Daseyn und die moralischen
Gottes und seine
gesezt. Es ist noch übrig zu betrachten, was uns
gegen die Gottheit, von der eine jede aufmerksame
Hierbey ist unser moralisches Gefühl
von
grösserm Nutzen, als bey irgend einer andern Gele
genheit. Es bestimmt nicht nur die Neigungen,
welche diesen Vollkommenheiten gemäs sind, son
Abschnitt.
dern es empfiehlt und gebietet sie auch als solche, die
zu einem guten
werden; und es verdammt den Mangel derselben
eben so wohl, als die Abwesenheit der Neigungen
gegen unsre Nebengeschöpfe. Ja es zeigt, daß die
Neigungen gegen Gott, aus einer heiligern Ver
bindlichkeit, herrühren müssen. Das moralische
Gefühl selbst scheint der besondre Theil unsrer Na
Die Verehrung, welche wir den göttlichen
ehrung ist
entweder in
nerlich oder
äusserlich.
Eigenschaften schuldig sind, ist entweder innerlich
oder äusserlich. Die erstere besteht in den Empfin
dungen und Neigungen der Seele; die leztere aber
in dem natürlichen Ausdruck derselben.
Unsre Pflicht, in Absicht auf die natürlichen
den natürli
chen Voll
kommenhei
ten schuldig
sind.
Eigenschaften Gottes, ist, durch öftere Betrach
tungen die höchste Bewunderung dieses unermes
lich grossen ursprünglichen Wesens, von wel
chem alle andre abstammen, in uns rege zu machen
und zu unterhalten; und alle niedrige VorstellunErstes
Buch.
gen, welche unsre Ehrfurcht vermindern könten,
alle Begriffe von der
schränkt, körperlich, einer thierischen oder menschli
chen Gestalt ähnlich sey, und nur einen gewissen
Ort einnehme, alle Meinungen von ihr, welche ih
rer unendlichen Macht und
ihrem ursprünglichen unabhängigen Daseyn wider
sprechen, von uns zu entfernen.
II. Eine gebührende Aufmerksamkeit auf die
moralischen
Achtung und Liebe und Dankbarkeit in uns rege
machen. Eine unwandelbare Güte von dem wei
testen Umfange ist der unmittelbare Gegenstand
des Beyfalls, der Liebe und Achtung. Wenn
heit
chen Liebe und Achtung und Bewunderung die höch
ste Stufe. Sie müssen die eifrigste Bemühung zu
gefallen, die grösste Sorgfalt, alle Beleidigungen
zu vermeiden, hervorbringen, und in dem Bewust
seyn einer Uebereinstimmung mit dem Willen eines
Wesens, welches solche
höchsten Vergnügungen gewähren. Wenn wir
uns bewust sind, daß wir ihn beleidigt haben: so
müssen sie unsre Seelen nicht nur mit der Furcht
der Strafe, sondern auch mit innerer Unruhe, mit
aufrichtiger Schaam und Betrübnis, und mit ei
nem Verlangen nach der Besserung, erfüllen.
Eine feste Ueberzeugung von diesen göttlichen
in seinen Willen, und eine Geneigtheit, sich allem, was
die
Abschnitt.
in der gewissen Ueberredung, daß alles auf das Beste
geordnet sey, und auf die grösste
Ganzen sowohl, als eines jeden tugendhaften Men
schens, abziele. Die uneingeschränkteste Güte mus
den besten Zustand des Ganzen verlangen; die All
wissenheit mus die Mittel entdecken; und die All
macht mus sie anwenden. Ein jedes Ding wird
in dem Orte, den Gott ihm angewiesen, oder ein
zunehmen erlaubt hat, schätzbar; wo nicht allemal
an sich selbst, doch durch den Glauben, und die Ue
berzeugung, daß es zu den Absichten der unendlichen
Güte und Weisheit nöthig sey. Wir wissen, daß
die Absichten der
tigen Tugenden edelmüthiger Menschen ausgefüh
ret werden, und daß in diesen Tugenden ein grosser
Theil ihrer höchsten Vollkommenheit und Glückse
ligkeit besteht. Unsre Abhängigkeit von der gött
lichen Macht und Güte wird dahero keine von un
sern liebreichen und tugendhaften Unternehmungen
hindern, sondern uns vielmehr durch die angeneh
me Hofnung eines glücklichen Erfolgs, aufmun
tern und unterstützen. Eben diejenige Zuversicht,
eben dasjenige Vertrauen, welches wir in
auf uns selbst und unsern eignen Vortheil, ausü
ben, müssen wir auch in Ansehung derjenigen, wel
che uns, durch tugendhafte Verbindungen, lieb sind,
oder in Absicht auf eine würdige Sache, die uns
oder andre betrift, ausüben; daß sie nämlich in
diesem Leben glücklich von statten gehen, oder zu der
künftigen Ehre und
sich ihrer angenommen haben, gereichen werde.
III. Richtige Begriffe von der Schöpfung
keit und De
muth gegen
Gott, und
gegen unsern
Nächsten.Gottes müssen die höchsten Em
pfindungen der Dankbarkeit hervorbringen, müssen
alle Eitelkeit, vor seinem Angesicht, und alle Ver
achtung anderer unterdrücken, und wahre Demuth
erzeugen. Alles Gute, das wir geniessen, alle
Belustigungen der
Harmonie und
die uns Gott erwiesen hat. Seiner Macht sind
wir unser Wesen, diese Gegenstände, und die Em
pfindungskräfte, wodurch wir sie geniessen, schul
dig. Wenn wir unsre Thätigkeit zu der Verbesse
rung dieser Gegenstände, oder zu Ausbildung un
sers eigenen Gott,
der uns alle unsre Kräfte, alle unsre Geschicklichkeit
verliehen, und uns zur Uebung derselben Gelegen
heiten dargeboten hat, und der uns dafür so ange
nehm belohnet. Alle Freuden, die wir in einer
erwiederten Liebe empfinden, alle Vortheile, welche
wir von dem Beystand unsrer Nebengeschöpfe er
halten, sind wir Gott schuldig, welcher die
des Menschen erschaffen, ihr solche Neigungen mit
getheilet, und sie alles desjenigen, was nur in ihr der
Gegenstand der
Er gab allen beseelten Geschöpfen, Thieren und
Menschen, ihre Kräfte,
gungen. Er knüpfte die Seelen der Menschen mit
den
welche die Triebfedern aller liebreichen Handlungen
sind. Die äusserlichen Vortheile, welche wir ein
ander, durch unsre thätigen Tugenden, verschaffen,
hätte uns Gott, durch seine Macht, unmittelbar
Abschnitt.
mittheilen können, ohne daß unsre Handlungen da
bey nöthig gewesen wären; allein seine Gütigkeit
war so gros, daß er uns einen Theil des göttlichen
und würdigen Vergnügens, andern Gutes zu thun,
geniessen lassen wollte; und durch die Ausübung
unsrer liebreichen Neigungen, und durch das mora
lische Gefühl, theilen wir dasselbe mit ihm. Die
Freuden, welche wir fühlen, wenn wir von unsern
Nebengeschöpfen geehrt werden, sind auch seine Ga
ben, weil er uns dieses Gefühl der
treflichkeit, und dieses natürliche Vergnügen, wel
ches wir über den von andern erhaltenen Beyfall
empfinden, eingepflanzet hat.
Alle Vergnügungen der
kungen der Kunst, sind wir demjenigen schuldig, der
uns mehr gelehrt hat, als die Thiere auf dem
Felde, und uns weiser gemacht hat, als die
Vögel unter dem Himmel. Jhm sind wir
IV. Es wird umsonst behauptet, „daß diese
ehrfurchtsvollen Neigungen, vergeblich und unnütz
wären, weil Gott ihrer nicht bedürfe, und weil sie
seine
die vornehmsten Vergnügungen vernünftiger See
len, im Glück ihre höchste Freude, und im Unglück
ihre angenehmste Zuflucht. Das vernünftige Herz
giebt sich selbst keinen Beyfall, wenn sie ihm feh
len; oder, wenn es sie nicht seinen vornehmsten
Freuden vorzieht. Ohne
Dankbarkeit ist das Leben ein trauriger ekelhafter
Zustand. Diese Neigungen, wenn sie erwiedert
werden, sind desto angenehmer, je vortreflicher ihre
Gegenstände sind. Was für eine unwandelbare
und entzückende Freude mus ein Leben begleiten, wel
ches in einer beständigen Empfindung der göttlichen
Gegenwart, in der höchsten Liebe, Bewunderung
man von demjenigen, der unendlich vollkommen
und allmächtig ist, geliebet und geschützet werde,
zugebracht wird.
Was kan, ohne dieses Vertrauen auf Gott,
sicher genennt werden? Unsre
äusserliche Dinge, sind offenbar ungewis, und der
Wohlstand unsrer Freunde und aller Gegenstände
unsrer liebreichen Neigungen ist es ebenfalls. Auch
ihre Tugenden, ob sie gleich unter die dauerhaf
testen Dinge des Lebens gehören, sind vor der
Veränderung nicht sicher. Einige Zufälle können
ihrer Vernunft und ihren Tugenden nachtheilig
seyn. Nur eine Seele, die sich auf Gott, mit ei
nem festen Vertrauen auf seine Vollkommenheiten,
überlässt, kan sich endlich alles Glück ver
sprechen.
In einer jeden guten Gemüthsart müssen ge
wisse Neigungen, wenn ihre natürlichen Veranlas
sungen vorhanden sind, entstehen, sie mögen nun
entweder auf den Zustand des Gegenstandes einen
Einflus haben, oder nicht. Ob wir gleich unser
eigenes Unvermögen gewahr werden, oder keine
Gelegenheit haben, andern Gutes zu erzeigen, oder
erkäntlich zu seyn: so mus uns doch eine
art
achtung grosser Vollkommenheiten, und keine Dank
barkeit für erhaltene Wohlthaten anzutreffen ist.
So mus in einem gutgearteten Herzen über den
Wohlstand einer geliebten Person, Freude entste
hen, ob es gleich dazu nichts beytragen kan, und
das Unglück dieser Person mus in ihm Traurigkeit
hervorbringen, ob es sich gleich ausser Stande sieht,
dasselbe zu entfernen oder zu mildern. Der Man
gel dieser Neigungen, wenn so starke natürliche UrErstes
Buch.
sachen vorhanden sind, mus eine Verderbnis der
Seele verrathen, welche wir, sobald wir darüber
nachdenken, verabscheuen müssen. Diese Neigun
gen scheinen unsre
bringen, und uns die Vortreflichkeit mitzutheilen,
wodurch ihre Werke ihr ähnlich werden; und eine
jede reine Seele fühlt ihre Gewalt.
Ja, ohne einen lebhaften Begrif von der
in seinen Willen, und einem freudigen Vertrauen
auf seine Güte, worinnen die Gottesfurcht vornehm
lich besteht, müssen unsre edelsten Neigungen, uns
in dieser ungewissen Welt, unangenehmen sympa
thetischen Bekümmernissen aussetzen. Allein, eine
feste Ueberzeugung von einem allmächtigen, allwis
senden und allgütigen Vater, der in diesem Sy
stem alles auf das beste ordnet; der geneigt ist, dem
Tugendhaften zulezt eine unveränderliche Glückse
ligkeit zu gewähren, so viel Uebels ihm auch in
in diesem Leben begegnen mag; der weiter kein Ue
bel zulässt, als was die vollkommenste Einrichtung
erfordert, oder nothwendig mit sich bringt; eine
Ueberzeugung von allen diesem, mit ähnlichen unein
geschränkten Neigungen in unsern Seelen, mus
uns, in allen unsern zärtlichen Besorgnissen, den
stärksten Trost gewähren, und unsre Herzen dahin
bringen, alles dasjenige, was die höchste
und Güte verordnet oder zulässt, entweder mit
Freuden anzunehmen, oder uns doch wenigstens
in aller Gelassenheit dabey zu beruhigen. Wenn
unsre Freunde oder Lieblinge gegenwärtig unglück
Abschnitt.
lich sind: so erfordert dieses die beste Regierung
dieses
und Mitbürgern, die eben so grosse Tugenden besi
tzen, sind immer glücklich. Sie haben ihre theuren
Freunde, die sich mit ihnen erfreuen; ihre Neigun
gen sind eben so zärtlich und liebenswürdig, ihre
Tugenden sind eben so schätzbar, als die Neigun
gen und Tugenden unsrer Freunde. Wenn die
unsrigen in Kummer und Traurigkeit leben: so
sind andre, die gleiche
sitzen, vergnügt. Ein Geschlecht vergehet, und das
andre stehet auf. Das Ganze bleibt immer; und
immer so fruchtbar an Tugend Freude und Glückse
ligkeit. Von dem kurzen uns bekanten Zeitraum
können wir auf das künftige Elend derer, welche izt
unglücklich sind, keinen Schlus machen. Wir wis
sen nicht, was der immerwährende Lauf der Zeiten
denjenigen Personen bringen wird, deren Widerwär
tigkeiten und Laster wir beklagen. Die Gedanken
von einer ewigen Zukunft, unter einem gütigen
Gott, machen, daß uns alles heiter, frölich und
herrlich vorkomt.
Eine beständige Absicht auf Gott in allen
Neigungen
erhöhen alle
Freude.
unsern Unternehmungen und Vergnügungen, wird
jeder Tugend eine neue
dieselbe zu einer Handlung der Erkäntlichkeit und
allen angenehmen Begebenheiten, erhöhen, wenn
wir daraus seine Güte deutlich erkennen werden;
sie wird uns eine göttlichere Reinigkeit und Einfalt
des Herzens verschaffen, uns alle unsre tugendhafErstes
Buch.
ten Gesinnungen, als von Gott in unsre Herzen
gepflanzt, vorzustellen, und alle unsre wohlthätigen
Handlungen, für unsre eigentlichen Beschäftigun
gen, und für die natürlichen Pflichten, wozu der in
seinem Ganzen uns angewiesene Stand uns ver
bindet, und für Gefälligkeiten, die wir diesem
grossen Vaterlande schuldig sind, anzusehen. Unsre
Seelen werden von der eitlen Absicht, von Men
schen
aller stolzen Verachtung unsrer Nebengeschöpfe, die
nicht gleichen Antheil an seiner Güte haben, zurück
gebracht, und unsre niedrigen
Zorns und Unwillens werden, in seiner Gegenwart,
unterdrückt werden. Unsre Herzen werden vornehm
lich nach seinem Beyfall trachten, und wir werden
unsern Endzweck erreichen, wenn wir die uns ob
liegenden
barkeit gegen unsern grossen Schöpfer, verrichten;
es mögen andre sich gegen uns bezeigen, wie sie nur
wollen. Die Jrrthümer, die Unvollkommenhei
ten, die Beleidigungen und Verunglimpfungen,
oder die Undankbarkeit anderer, werden wir für
Veranlassungen der
den auszuüben, mit welchen uns
Gott begabt hat.
Wir werden glauben, daß wir uns dadurch, vor sei
nem allsehenden
unsrer eigenen Herzen, mehr Beyfall zuwegebringen,
als durch die leichtere Ausübung der Tugend, wel
cher keine Hindernisse im Wege stehen.
Gleichwie also die ruhige und uneingeschränk
teste Bestimmung der Seele gegen die allgemeine
Abschnitt.
und Freude haben kan, als die ursprüngliche unab
hängige allmächtige Güte: also kan die Seele, oh
ne die
und Verehrung derselben, ihre eigene unveränder
lichste und höchste
lichkeit nicht erreichen: und unser moralisches
Gefühl, welches ein natürliches Vergnügen an
IV. Die äusserliche Verehrung ist der natür
de der äusser
lichen Ver
ehrung.
liche Ausdruck dieser frommen Empfindungen und
Neigungen. Die bekantesten Gründe dazu sind die
se: die Uebung und der Ausdruck aller
dungen
und befestigt dieselben in der Seele. Ferner,
Dankbarkeit, Liebe und Achtung sind Neigungen,
die nicht verborgen bleiben wollen, wenn sie lebhaft
sind; wir sind von Natur geneigt, sie auszudrü
cken, wenn sie auch ihrem Gegenstand keine neue
Pflicht, die Tugend und Glückseligkeit unter andern
auszubreiten: unsre Verehrung Gottes in der
thaten, unsre Erklärung seiner
kommenheiten, der Ausdruck unsrer
Achtung, Dankbarkeit, und
Buch.
thern anderer die eigentlichen Bewegungsgründe zu
ähnlichen Neigungen vor, und ist, vermöge einer
Mittheilung, die in allen unsern
wahrgenommen wird, auf die Erregung dieser Nei
gungen in andern, gerichtet. Die auf diese Art
in einer
ist die mächtigste Abhaltung vom
sie giebt jeder geselligen Neigung, jeder Verbind
lichkeit zu liebreichen Handlungen, eine neue Stärke.
Der natürliche Ausdruck besteht in einer Un
terrichtung andrer von den
tes
gend, der grossen Endzwecke seiner Gesetze; in Lob
und Dank, in Gebet, in Zuversicht und einer Er
gebung in seinen Willen, wodurch wir zu erkennen
geben, daß wir seine
les Guten ansehen; in einem Bekäntnis unsrer
tung seiner verzeihenden
stands zu der künftigen Besserung unsers Lebens.
Wir können noch die feyerliche Anrufung desselben,
als des Zeugens und Rächers aller Falschheit, in un
sern Betheurungen und Versprechungen, hinzufügen,
so oft dieselbe nöthig ist, entweder einige wichtige
Rechte unsrer Mitbürger zu befestigen, oder densel
ben ein Vertrauen auf unsre Rechtschaffenheit bey
zubringen.
V. Die Gottes kan durch un
ser Lob, unsre Bewunderung, unsern Dank, nicht
vermehret werden; unser Bekäntnis kan ihn von
nichts unterrichten, das er nicht schon wissen solte;
Abschnitt.
und unsre ungestümen Bitten ändern nichts in dem,
was er zum Besten des Ganzen beschlossen hatte.
menheit er
fordert.
Unsre Schwüre machen ihn nicht aufmerksamer,
oder mehr geneigt, die Gerechtigkeit auszuüben,
und sie geben ihm kein neues Recht zur Bestrafung.
Die Anbetung, das Lob, der Dank, das Gebet,
vermehren unsre eigene Gottseligkeit,
barkeit, unsern Abscheu vor dem moralischen Uebel,
unser Verlangen nach dem, was wahrhaftig gut
ist, und unsre Ergebung in seinen Willen. Wenn
diese
sind: so sind wir auf das vollkommenste zubereitet,
alles zeitliche
vermöge der Güte und Gnade der göttlichen Vor
sicht, darauf hoffen. Die Anrufung Gottes bey
Eidschwüren, welche auf eine gewissenhafte Art und
in wichtigen Gelegenheiten geschieht, mus uns das
tiefste Gefühl von unsrer Verbindlichkeit, redlich
zu seyn, und von dem Verbrechen der Falschheit
einprägen; und dieses giebt unsern Mitbürgern die
grösste Sicherheit, die wir durch Worte geben kön
nen. Alle diese Neigungen und Gesinnungen wir
ken auf uns selbst, und keinesweges auf die Gott
heit, oder ihre Absichten, welche, von Ewigkeit
Es ist eine unnöthige Untersuchung, ob eine
flus der
ligion
menschliche
Gesellschaft. Atheisten
bestehen könne? und ob
Es ist der Mühe nicht werth, zu bestimmen,
ob dergleichen Aberglauben von schlimmern Wir
kungen ist, als die Atheisterey. Er kan für
Menschen in gewissen Ständen solche Wirkungen
haben; allein er kan den übrigen keinen beträchtli
chen Schaden zuziehen. Eine Gesellschaft von
Atheisten hat man niemals gesehn. Man gebe
Abschnitt.
zu, daß der Aberglauben von schlimmern Folgen
sey, als die Gottesläugnung; dieses gereicht der
Religion zur Ehre. Der beste Zustand der Reli
gion ist ungleich glückseliger, als irgend eine Be
schaffenheit der Atheisterey; und das Verderben
der besten Dinge hat die gefährlichsten Folgen. Die
Uebernehmung in nahrhaften Speisen ist schädli
cher, als wenn die Speisen weniger nahrhaft sind:
verdorbene Weine sind schädlicher, als schlechtes
Wasser. Es liegt vernünftigen Seelen ob, nach
allen Glückseligkeiten einer wahren Religion zu stre
ben, und sich vor aller Verderbnis derselben zu hü
ten, ohne zu untersuchen, was für Bewegungs
gründe zu gewissen Tugenden übrig bleiben möch
ten, wenn der traurige elende Gedanke statt finden
könte, daß die Welt unter keiner
sondern dem Ungefähr, und einer blinden absichtlo
sen Nothwendigkeit überlassen sey. Eine verderbte
wahre Religion ist der sicherste Grund aller Glück
seligkeit.
Nachdem wir die verschiedenen Quellen der Glück
me der
menschlichen
Glückselig
keit.
seligkeit, deren unsre Natur fähig ist, be
trachtet, und gefunden haben, daß diejenigen Ver
gnügungen, welche aus unsern eigenen Neigungen
und Handlungen entstehen, die edelsten und dauerErstes
Buch.
haftesten sind, nicht aber die
wir von äusserlichen Dingen empfangen, die den
verhalten müssen; nachdem wir auch die verschie
denen Neigungen und Handlungen verglichen ha
ben, welche entweder gegen unsre Nebenmenschen,
in kleinern oder grössern Systemen, oder aber ge
gen die Gottheit ausgeübet werden, deren Natur
*
Dieses ist die Be
schrelbung des
II. Die Art zu leben also, welche uns dasmorali
sche Ge
fühl
Da die sinnlichen Vergnügungen die niedrig
keit.
sten sind, und am geschwindesten vorübereilen, und
da das Verlangen nach ihnen, vermittelst der un
gestümen Gewalt einiger unser thierischen Leiden
schaften, die Menschen gemeiniglich von der Bahn
der Tugend ableitet: so mus es von der höchsten Erstes
Buch.
Wichtigkeit seyn, uns von ihrer Niederträchtigkeit
zu überzeugen, uns in der Herrschaft über uns selbst
und über diese niedrigern Begierden, auf diejenige
Art, festzusetzen, welche wir oben, bey der Betrach
tung der Natur dieser Vergnügungen, erklärt ha
ben. Es ist gleichergestalt nothwendig, durch eine
anhaltende Ueberlegung, den wahren Werth der
feinern Vergnügungen der
bestimmen, damit sie, weil sie weit geringer sind,
als die moralischen und geselligen Vergnügungen,
denselben weichen, so oft sie mit ihnen in unsrer
Wahl zusammenkommen. Dieses ist die Tugend
der Mässigkeit.
Es mus ebenfalls nöthig seyn, den Werth
dieses Lebens und die verschiedenen Arten von Uebeln,
welchen wir ausgesetzt sind, richtig zu beurtheilen.
Wenn moralische Uebel, und einige sympathetische
Leiden schlimmer sind, als äusserliche, und uns, wie
wir oben gezeigt haben, mitten im Ueberflus ande
rer Dinge, verunehren und unglücklich machen
können; wenn das Leben, von der besten Seite be
trachtet, nur ein ungewisser Besitz ist, den wir
verlieren können: so werden wir etwas gewahr
werden, das furchtbarer ist, als der Tod, und wir
werden Gründe finden, aus welchen es bey gewis
sen Gelegenheiten unser Vortheil seyn kan, unser
Leben zu wagen. Wenn der Tod alle Gedanken
völlig endigte: so würde zwar alles Gute aufhö
ren; allein, es könten auch keine Uebel weiter
erfolgen.
-- --?num triste videtur
Quicquam? nonne omni somno securior extat
Da wir aber auch nach dem
gen
licher Bewegungsgrund zur Standhaftigkeit in ei
ner jeden würdigen Sache. Was für eine Stärke der
Seele mus nicht diese Hofnung jedem Tugendhaften
bey der Furcht vor dem Tode, oder vor einigen Uebeln,
die ihn befördern, verleihen? Dieses ist die drit
te Tugend.
Die Klugheit ist die Fertigkeit, auf die
Natur der verschiedenen Gegenstände, welche un
sre
Sie führt uns zu einer genauen Untersuchung an,
wie wichtig sie an sich selbst sind, und was für Fol
gen sie entweder in Ansehung der grössern besondern
sicht auf die Glückseligkeit des Systems, haben
können. Diese Tugend wird einigermassen von der
Uebung der andern drey vorausgesetzet, und sie
wird gemeiniglich in der Ordnung zuerst genennet:
ob gleich die Gerechtigkeit die höchste ist, aus wel
cher die andern alle herfliessen. Wir wollen uns
aber hierbey nicht aufhalten. Die eigentlichen
Betrachtungen, und die Mittel, diese vier Tugen
den zu erlangen, müssen aus demjenigen zu erken
nen seyn, was oben von der Vergleichung der ver
schiedenen Arten von Guten und Uebel, und von
den höchsten Vergnügungen unsrer Natur gesagt
worden ist.
III. Viele werden durch unbedachtsame Vor
zu allen
den von der schimmernden Ehre verblendet, welche
gewisse grosse glückliche Unternehmungen in höhern
Ständen begleitet. Wir können zugeben, daß
diese Tugenden das edelste Vergnügen gewähren,
allein sie sind zu hoch, als daß viele sich zu ihnen
emporheben könten. Ja, so gar Personen von ho
hem Stande verzagen, wenn sie keine unumschränk
te Gewalt besitzen. Die Gemüthsbeschaffenhei
ten und die Thorheiten, oder die verderbten Ein
bildungen anderer, verhindern alle ihre guten Ab
sichten. Sie werden unwillig, wenn ihnen diesel
ben fehlschlagen, und hören auf, sich nach der Tu
gend zu bestreben, weil sie an dem schätzbaren Ver
gnügen, das sie begleitet, verzweifeln.
Die Seele wider dieses
wafnen, müssen wir uns erinnern, daß die Wirk
lichkeit und
einer ruhigen Seele darüber entstehende Zufrieden
heit, nicht von dem äusserlichen Fortgang, sondern
von der innern Verfassung der Seele abhängt.
Auch mitten in der Ungewisheit, ob unsre Unter
nehmungen gelingen, und ob wir
langen werden, oder nicht, in der Ausübung der
Tugenden, die das allgemeine Beste, oder, wenn wir
diese nicht in unsrer Gewalt haben, derjenigen, die
eingeschränktere Vortheile befördern, beständig fort
zufahren; ein gütiges Verhalten zu beobachten, un
Abschnitt.
geachtet man weis, daß es verborgen bleiben wird;
sich dem Willen des höchsten Geistes ohne
Ausnahme zu überlassen; mit dem uns zugetheil
ten Loos vergnügt zu seyn; alle neidische Regungen,
und alle Gedanken, die sich wider die
empören, zu unterdrücken; den festen Entschlus zu
fassen, so lange, bis dieser sterbliche Theil von uns
in die Erde hinabsinken wird, von der er genom
men ist, auf der Bahn, die uns Gott und die
Wenn wir zweifeln, ob wir Ehre erlan
gen, und ob wir alles Gute, das wir zur Absicht
haben, auszuüben fähig seyn werden: so ist es eine
erhabene Beschäftigung für die Seele, stets so viele
vernünftige und gesellige
als in ihrem Vermögen steht; alle ihre Pflich
ten sorgfältig zu beobachten, und das übrige
Gott zu überlassen. Wer sagt uns, was für
Ende des ersten Buchs.
Nachdem wir im vorhergehenden Buche ge
zeigt haben, daß die Einrichtung des
bens
die rühmlichste und vortheilhafteste für die han
delnde Person empfiehlt, diejenige sey, welche den
allgemeinen Vortheil des menschlichen Geschlechts,
auf die weiseste Art, die uns unsre
und Ueberlegung nur vorschreiben kan, befördert:
so wollen wir nunmehro in diesem Buche zu einer
nähern Untersuchung der eigentlichen Mittel, die
unsre Handlungen, zu befördern, oder, welches ei
nerley ist, zu der Untersuchung der besondern Ge
setze der Natur, fortgehen. Und hierbey werden
wir zuförderst alle diejenigen willkührlichen Stän
de und Verknüpfungen, welche durch menschliche
Einrichtungen und Handlungen eingeführet wor
den, bey Seite setzen, und blos die Verknüpfun
Buch.
gen, welche die Natur zwischen allen gestiftet hat,
in Erwägung ziehen. Allein hier wird es nöthig
seyn, eine Erklärung der mannichfaltigen Begriffe
von den moralischen Eigenschaften vorauszuschi
cken, deren Verstand, zu der Lehre von den beson
dern Gesetzen der Natur, vor allen Dingen nöthig
zu seyn scheint. Dieses soll der Inhalt des ge
genwärtigen und der zween folgenden Abschnitte
seyn.
I. Der Grund aller Zurechnung der
gen
rauf, „daß sie aus einer Neigung in der handeln
den Person herfliessen, und also überzeugende Be
weise von ihrer Gemüthsart und ihren Neigungen
sind.“ Die Tugend, wie wir im vorhergehenden
Buche gezeiget haben, besteht vornemlich in den
Neigungen. Die höchste Art derselben ist die ru
hige und beständige Wohlgewogenheit gegen das
gröste System; und die
barkeit gegen Gott, und die Ergebung in seinen
Willen, aus einer völligen Ueberzeugung von seinen
lichen Verlangen, der moralischen Vollkommenheit,
deren wir uns fähig zu seyn fühlen, immer nä
her zu kommen. Die niedrigern Arten sind die be
sondern liebreichen Neigungen und
welche, auf das Beste gewisser
einzelner Personen, abzielen, und neben dem allge
meinen Vortheil, bestehen können. Man sollte
meinen, dieses könne unter Christen kaum einigem
Zweifel unterworfen seyn, nachdem uns die Sum
Abschnitt.
me des Gesetzes bekant gemacht worden, nämlich
die Liebe Gottes und unsers Nächstens.
Wenn die
in einer andern, von dem Willen unterschiedenen
Kraft, als in der Vernunft, oder dem Erkänt
nisvermögen zu suchen wäre: so würde die
II. Aus dieser Beschreibung ist leicht abzu
ten und Be
schaffenhei
ten, welche
zu der Sitt
lichkeit der
Handlungen
nothwendig
erfordert
werden.
nehmen, was für Beschaffenheiten in die Sittlich
keit der Handlungen oder Unterlassungen einen
Einflus haben, wenn sie entweder das
Gute oder
mindern; oder Handlungen, die ausserdem böse ge
wesen seyn würden, gut; hingegen andre, die ausser
dem gut gewesen seyn würden, böse machen.
Es ist offenbar, daß keine Handlung, oder
Begebenheit, wenn sie nicht für die Folge des
gegenwärtigen oder ehemaligen Willens einer
Person, anzusehen ist, weder als gut, noch
als böse, zugerechnet werden kan. Eben so
wenig kan jemanden die Unterlassung einer Hand
lung als gut oder böse zugerechnet werden, der
sie durch alle seine Bemühungen nicht hätte ver
richten können, und der diese Unmöglichkeit wuste.
Solche Begebenheiten oder Unterlassungen können
weder gute noch böse Neigungen beweisen. Nur
diejenigen Begebenheiten werden, in Absicht auf ei
ne handelnde Person, nothwendig
genennet, wel
che diese Person nicht verhindern konte, ungeachtet
sie es ernstlich wünschte; nicht aber solche, welche
Buch.
sie, wegen ihrer starken Abneigung oder Fertigkeit,
nicht vermeiden kan. Nur diejenigen werden
unmöglich genennet, welche sie durch keine Be
mühungen hervorzubringen im Stande ist. Wir
nennen etwas möglich, das einer, der es ernstlich
wünscht, entweder durch seine eigene Kraft, oder
vermittelst der Beyhülfe anderer, bewerkstelli
gen kan.
*
Nur diejenigen sind nothwendige und aller
Zurechnung unfähige Begebenheiten
**
, welche wir
weder durch eine gegenwärtige Bestrebung oder
Handlung verhindern können, noch sie durch eine
vorhergehende Sorgfalt und Bemühung, die wir
in dergleichen Fällen hätten anwenden sollen, ver
hindert haben würden. Solche Begebenheiten,
welche durch eine vorhergegangene Ueberlegung und
Sorgfalt hätten verhindert werden können, unge
achtet sie nunmehro unvermeidlich sind, werden für
einigermassen willkührlich
***
angesehen und uns
zugerechnet; sie mögen nun eine freywillige That,
oder gewisse natürliche unbeseelte Ursachen voraus
setzen. So kan einer, der aus Nachlässigkeit in
seinem Amte, Dämme und Ufer eingehen lässt, bey
grossen Wassern die Ueberschwemmung nicht ver
hindern; und doch wird sie, mit allem Rechte, für
willkührlich gehalten, und ihm zugerechnet.
Eben so werden die izt unmöglichen Unter
lassungen gewisser Handlungen uns mit allem
*
Dieses erklärt die gemeine Regel: impossibilium et ne-
cessariorum nulla est imputatio.
**
Involuntaria in se, et in sua causa.
***
Involuntaria in se, sed non in sua cansa.
III. Keine entfernten Wirkungen oder Folgen
Wirkungen
und Folgen
der Handlungen oder Unterlassungen haben auf ih
Buch
re Sittlichkeit einigen Einflus, wenn sie nicht, durch
werden kön
nen.
haften Menschen erwarten, haben vorhergesehen
werden können; denn alsdenn kan man von ihnen
auf die Gemüthsart der handelnden Person keinen
Schlus machen. Aus eben dieser Ursache können
einige glückliche Wirkungen, die man nicht zur Ab
sicht gehabt hat, die
lung
wird durch alle übele Folgen, welche eine Person
von der Behutsamkeit, die aus guten Neigungen
natürlicher Weise entstehet, wahrgenommen haben
würde, noch schlimmer, obgleich die handelnde Person
dieselben nicht vorhergesehn hat. Sie beweisen zwar
keine unmittelbare böse Absicht; allein das morali
sche
Der Mangel des eigentlichen Grades guter
Neigungen ist moralisch böse. Ein Mensch, wel
cher sich das allgemeine Beste angelegen seyn lässt,
wird vorsichtig seyn, und die Wirkungen seiner
Handlungen untersuchen; und durch diese Untersu
chung wird er alle diejenigen Wirkungen entdecken,
die durch seine Klugheit nur entdeckt werden können.
Derjenige also, welcher von diesen Wirkungen kei
ne Wissenschaft hat, verräth allemal eine strafbare
Schwäche der guten Neigungen, ungeachtet er kei
ne unmittelbar böse Absicht gehabt hat.
Bey der Beurtheilung des moralischen Cha
racters solcher Leute, welche ihre Neigungen nicht
in die gebührende Ordnung gebracht haben, ist es
gleichgültig, ob die Verschuldung aus einer gegen
Abschnitt.
wärtigen Handlung oder Unterlassung, oder aus
einer vorhergehenden, herrühret. Der Satz ist
also richtig, daß „eine
gute Folgen, die man dabey wirklich, um ihrer
selbst willen, zur Absicht gehabt hat,
werden kan; und daß sie hingegen durch üble Fol
gen lasterhaft wird, die ein redliches
als wahrscheinliche Wirkungen derselben, vorher
gesehen haben würde.“
Allein gute Folgen, die man zur Absicht ge
habt hat, beweisen nur alsdenn erst, daß eine
Handlung gut sey, wenn die Summe derselben al
le üble Folgen, welche hätten vorhergesehen wer
den können, überwiegen, und wenn die guten Fol
gen, ohne diese übeln, nicht zu erreichen gewesen
wären. Wenn der Fall anders ist: so können sie
zwar die Schuld vermindern, aber sie rechtfertigen
die Handlung nicht. Ueble Folgen, welche man
vorhergesehn, aber nicht zur Absicht gehabt hat,
machen nicht allemal eine Handlung böse: sondern
nur in dem Falle, wenn sie alle gute Wirkungen
überwiegen, welche diese Handlung
und um welcher willen sie unternommen wurde; und
wenn dieses Uebergewicht hätte vorhergesehn, oder
wenn die guten Wirkungen, ohne diese übeln, hät
ten erreicht werden können.
Durch die Folgen einer Handlung verstehen
wir nicht nur die unmittelbaren und natürlichen
Wirkungen derselben, oder dasjenige, wovon die
handelnde Person die eigentliche Ursache ist: son
dern alle diejenigen Begebenheiten, welche auf die
Buch.
Handlung folgen, und welche sich nicht zugetragen
haben würden, wenn die Handlung unterblieben
wäre. Ein rechtschaffner Mann erwäget alles,
wovon er
mer, Thorheiten und
und vermeidet dasjenige, wovon er vorhersieht,
daß es bey andern
*
lasterhafte Handlungen oder
unvernünftige Beleidigungen veranlassen wird, un
geachtet es ausserdem unschuldig gewesen wäre:
woferne nicht die guten Wirkungen, die auf keine
andre Art erreicht werden können, diese besondern
Uebel überwiegen.
**
Wein, oder das, daran sich
IV. Die Unwissenheit der Folgen einer Hand
lung, haben auf ihre Sittlichkeit einen verschiede
nen Einflus, nach den verschiedenen Ursachen der
Unwissenheit oder des Jrrthums, und nach der
grössern oder kleinern Schwierigkeit, zu der Erkänt
nis der
senheit oder der Jrrthum, durch eine gegenwärtige
oder vorhergehende Bemühung, schlechterdings un
überwindlich ist: so können die unbekanten übeln
Folgen nicht zugerechnet werden, da sie keine übeln
Neigungen, und auch keinen Mangel an guten
Neigungen, verrathen. Wenn der Grad der Vor
sicht, welche wir in ähnlichen Fällen von den tu
gendhaftesten Menschen erwarten, die Unwissenheit
nicht überwinden kan, ob sie gleich von der höchsten
möglichen Behutsamkeit überwunden werden wür
*
XIV, 21. Es ist
viel besser, du essest kein
Fleisch, und trinkest keinen
dein Bruder stösset, oder
ärgert, oder schwach wird.**
X, 34. 35.
Abschnitt.
de; so halten wir sie doch dem ungeachtet für mo
ralisch unüberwindlich, und unschuldig, ausser
in den Fällen, da alle Menschen wissen, daß ihnen
die höchste mögliche Behutsamkeit obliegt. Allein
wenn die ordentliche Behutsamkeit einer tugendhaf
ten
alsdenn ist die Unwissenheit, welche einen Mangel
an guten Neigungen verräth, überwindlich, und
ob sie gleich die Schuld vermindert: so nimmt sie
doch dieselbe nicht ganz hinweg.
Unwissenheit und Jrrthum können gegenwär
tig unüberwindlich seyn, und doch hätte sie ein
vorhergehender Fleis verhindern können; oder sie
können, in allen Betrachtungen, unüberwindlich
und ausser unsrer Willkühr seyn.
*
Die leztern al
lein schliessen alle Zurechnung aus; die erstern be
weisen, daß zwar gegenwärtig keine unmittelbar
böse Absicht vorhanden ist, allein sie verrathen einen
vorhergegangenen Mangel an guten Neigungen,
und sind dahero billig strafbar.
Gleichwie aber eine unmittelbar böse Absicht,
oder die Geringschätzung des Uebels, das wir an
dern wissentlich zufügen, eine verhasstere Gemüths
art verräth, als eine blose Unachtsamkeit, oder
der Mangel solcher innigen Neigungen, die eine
genaue Aufmerksamkeit erregt: also ist, alle Unwis
senheit, die weder angenommen, ist noch vorsätzlich
unterhalten wird, eine Verminderung der Schuld
*
Involuntaria in se, sed
, oder:
voluntaria et in se et in sua
causa.
Die Unwissenheit betrift entweder die Wir
kungen der Handlung, oder den
Meinung der Gesetze. Beyde müssen nach einer
ley Grundsätzen angesehen werden, ausgenommen,
daß die Unwissenheit der Gesetze nicht für schlechter
dings unüberwindlich gehalten werden kan, weil
weise Gesetzgeber für die Bekantmachung ihrer Ge
setze sorgen, und also die Unterthanen dieselben alle
mal kennen müssen, so bald sie den gehörigen Fleis
anwenden. Wenn die Unterthanen von einigen
Gesetzen schlechterdings keine Wissenschaft erreichen
können: so sind ihnen die Gesetze nicht gegeben;
und sie können nicht strafbar seyn, wenn sie densel
ben nicht gehorchen.
*
V. Die Schwierigkeiten in Ansehung der
überwindlichen Unwissenheit und des irrenden oder
zweifelnden Gewissens, rühren blos von dem un
bestimmten Gebrauch der Worte her. Durch das
Gewissen wird zuweilen das
selbst verstanden, zuweilen aber bedeutet es „das
Urtheil des Verstandes über die Quellen und Wir
kungen der Handlungen, in deren Ansehung das mo
ralische Gefühl dieselben billigt, oder verwirft.“
*
Ignorantia iuris, ignorantia facti.
1. „Eine Person, welche den Vorsatz hat,
rendes Ge
wissen ent
schuldiget.
tugendhaft zu handeln, und in der irrigen
bildung
haben werde und mit den Gesetzen übereinkomme,
da unterdessen diese Handlung von einer ganz ent
gegengesezten Natur ist, wird gewis, so lange
der Jrrthum dauert, ihrem Gewissen folgen: weil
niemand, der in einem Jrrthum ist, weis, daß er
irret.“ Der
werfen, ob es besser für diese Person wäre, wenn
sie ihrem Gewissen, an statt ihm zu folgen, entge
gen handelte? Und dieses kan nicht in allen Fällen,
auf einerley Art, beantwortet werden.
2. „Derjenige, welcher seinem irrenden Ge
wissen folgt, und dasjenige thut, was er für gut
hält, giebt gegenwärtig eine gute Gemüthsart zu
erkennen: und er würde, wenn er, so lange sein
Jrrthum währet, seinem Urtheil entgegen handel
te, eine lasterhafte Gesinnung verrathen, derglei
chen die
und des Gesetzgebers ist.“ Dieses ist von allen
Menschen wahr, welche von der Güte Gottes
und seiner Gesetze vollkommen überzeugt sind. Da
wir alle eine Person tadeln, welche, aus einer guten
eingeschränkten Neigung, andern Neigungen von
Buch.
einem grössern Umfange, entgegen handelt: so
können wir es auch nicht billigen, wenn solchen
Geboten Gottes, die, auf die
weitesten Umfange, abzielen, zuwider gehandelt
wird, obgleich die handelnde Person hierzu durch
menschenfreundliche und liebreiche Neigungen einer
eingeschränkten Art angetrieben worden seyn kan,
welches, in allen Fällen, die Schuld mindert.
Wenn aber keine solche Ueberzeugung, von
der vollkommenen Gütigkeit Gottes und seiner
Gesetze, vorhanden ist; sondern wenn man sich blos
einen grossen Privatvortheil in dem Gehorsam,
und eine Gefahr gleicher Art in dem Ungehorsam,
vorstellt, und von der Pflicht und Verbindlichkeit
zu gehorchen, nur verworrene Begriffe hat; wenn
eine Person durch eine zärtliche menschenfreundli
che Verfassung des Herzens veranlasset wird, ge
wissen strengen und grausamen Befehlen, von wel
chen sie glaubt, daß sie von der Gottheit herkom
3. „Solche überwindliche Jrrthümer, wel
che den menschlichen
Jrrthümer
sind unschul
dig.
so entgegen sind, und die Vortheile unsrer Ne
bengeschöpfe so nahe angehen, als das ange
führte Exempel von der Verfolgung der Ketzer,
und andre mehr, müssen eine grosse vorherge
hende Verschuldung und einen Mangel an gu
ten Neigungen verrathen.“ Und deswegen se
tzen wir in einer Person, welche in diesem Jrr
thum ist, sie mag nun ihrem Gewissen ge
mäs handeln oder nicht, eine üble Gemüths
verfassung voraus. Wenn sie ihm gemäs han
delt: so ist ihre vorhergegangene Nachlässigkeit
strafbar. Handelt sie ihm aber nicht gemäs,
und glaubt doch, daß ein gütiger Gott, zur
Beförderung des allgemeinen Besten, ein sol
ches Gebot gegeben habe: so ist ihre vorherge
gangene Nachlässigkeit eben so strafbar, als im
vorigen Falle, und die Schuld wird, durch die
Hindansetzung ihrer Pflicht gegen Gott und das
allgemeine Beste, vermehret. Wenn aber je
mand keine Begriffe, von der Güte Gottes und
den liebreichen Absichten seiner Gesetze, hat: so
können die, wider die eingebildeten Gesetze, unter
nommenen Handlungen weniger verhasst seyn,
wenn sie aus liebreichen menschenfreundlichen Ge
sinnungen herrühren.
4. Wenn das Gewissen zweifelhaft ist; so
ist der sicherste Weg, die Handlung so lange
auszusetzen, bis man eine weitere Untersuchung Erstes
Buch.
angestellt hat, wenn nicht eine allgemeine wich
tige Ursache eine geschwinde Entschliessung erfor
dert. Es eräugen sich Fälle, da es offenbar
besser ist, eine von den zwo Handlungen, über
deren Vorzug wir zweifelhaft sind, zu ver
richten, als beyde zu unterlassen; und es kan
keine Zeit zum
solchen Fällen müssen wir uns zu der Unterneh
mung derjenigen Handlung entschliessen, von
deren Wichtigkeit wir die meisten wahrscheinli
chen Gründe für uns haben. Sind diese Grün
de auf beyden Seiten gleich: so müssen wir die
jenige Handlung wählen, zu deren Verrichtung
uns die erste Gelegenheit vorkomt.
Was ist die Pflicht desjenigen, welcher ir
ret? Oder welches Verhalten wird vollkomme
nen Beyfall verdienen? Es ist offenbar, daß
der Jrrthum schon ein Beweis einer vorherge
gangenen strafbaren Nachlässigkeit ist. Das ein
zige Verhalten, welches sich vollkommenen Bey
fall zu versprechen hat, ist die Verbesserung des
Jrrthums, durch eine neue unpartheyische Un
tersuchung. Die Jrrenden sehen, so lange ihr
Jrrthum währt, nicht ein, daß dieses ihre Pflicht
ist; allein es ist der einzige Weg, alles wieder
gut zu machen. Und dieses beweist nicht nur den
grossen Vortheil der Bescheidenheit und des Mis
trauens gegen unsere eigenen Absichten, sondern
auch die Gefahr des Zutrauens zu sich selbst, und
der Heucheley.
Der Grad der
welcher, bey einem tugendhaften Manne, erfordert
wird, ist nicht so genau zu bestimmen. Wir er
warten, von verschiedenen Fähigkeiten, Ständen,
und Veranlassungen natürlicher Weise verschiede
ne Grade. *
hat recht, wenn er an
merkt, „daß vieles in der Sittenlehre, wenn es
*
Man sehe den
teles Sittenleh
, im vierten Abschnitt des
gleichen im zehnten Ab
schnitt des zweyten Buchs
her komt das arbitrium
viri probi der
Obgleich die Menschen, von dem Grad der
gend
anderer, nicht genau urtheilen können, weil die
innern Quellen unbekant sind: so können doch ge
wisse allgemeine
unserer selbst, sattsam gewis und nützlich seyn. Und
wir haben wenig Gelegenheit, dieselben auf andre
anzuwenden, und diese Anwendung mus ausseror
dentlich ungewis seyn.
1. Wenn liebreiche Neigungen allein die
Quellen der Handlungen sind: so ist das durch die
handelnde Person hervorgebrachte Gute, der Stär
ke dieser Neigungen, und den Fähigkeiten dieser
Person, zusammengenommen, gleich. Die Stärke
der Neigung ist, in der Sprache der
kerdirecten Verhältnis gegen
das hervorgebrachte Gute, und in einem umge
kehrten Verhältnis gegen die Fähigkeiten; oder,
2. Wenn die Menschen, zugleich in Absicht
auf ihren eignen Vortheil, Handlungen unterneh
men: so wird die Wirkung dieser eigennützigen Be
Abschnitt.
strebungen abgezogen, und der Ueberrest ist die Wir
kung der tugendhaften Neigung. Wenn die Be
der Hand
lungen hat.
wegungsgründe des eigenen Vortheils eine verrichtete
gute Handlung widerriethen: so wird die Tugend
durch die Ueberwindung dieser Bewegungsgründe
erhöhet.
3. Auf gleiche Art berechnen wir die mora
lische Schändlichkeit der lieblosen und nieder
trächtig eigennützigen Neigungen, welche uns zu
Beleidigungen verführen. Die Stärke derselben
ist in einem directen Verhältnis gegen das her
vorgebrachte umgekehrten
Verhältnis gegen die Fähigkeiten. Das heist,
wenn gleiche Ungerechtigkeiten von zwo Personen
begangen worden, welche es in ihrer Gewalt ha
ben, zu Befriedigung ihrer üblen Neigungen noch
mehr zu begehen: so verräth diejenige die schlimm
ste Gemüthsart, welche geringere Kräfte hat, aber
sie noch weiter anwendet.
4. Wenn eigene Vortheile zu schädlichen
Umstände
gehen die bö
sen Neigun
gen an.
Handlungen verleiten: so kan die Wirkung der ei
gennützigen
zogen werden, um die blosse Wirkung einiger ganz
lasterhafter Neigungen ausfindig zu machen. Wir
können selten solche Neigungen haben. Das mo
ralische Böse der Menschen rührt gemeiniglich aus
dem unmässigen Grade eigennütziger Neigungen
her, welche in einem mässigen Grade unschuldig
gewesen seyn würden; und der Mangel der höhern
Grade einiger guter Neigungen ist
ser Abzug kan nur alsdenn gemacht werden, wenn
Buch.
der antreibende eigennützige Bewegungsgrund die
Vermeidung grosser Leiden war, die auch selbst gut
gearteten
Versuchungen müssen die Schuld vermindern.
Wenn wichtige, der handelnden Person bekante
Vortheile, die böse Handlung widerrathen: so wird
wirklich die Schuld ausserordentlich vermehret, da
das Verderbnis der Gemüthsart, über diese Vor
theile eben so wohl, als über das Gefühl der
Pflicht und liebreicher Neigungen, die Oberhand
behält.
II. Allein bey Vergleichung der Handlungen
und
Stärke der antreibenden Neigung, sondern auch
auf die Art derselben, weil, wie wir oben bemerkt
haben, unser moralisches Gefühl, durch die wei
se Einrichtung Gottes, diejenigen Neigungen mehr
III. Wenn die Beförderung der allgemeinen
den eigentli
chen Grad
der Verbind
lichkeit ge
nau zu be
stimmen.
Wohlfahrt, dem Vortheil der handelnden Person ent
gegen ist: so ist es schwer, den eigentlichen Grad
guter Neigungen genau zu bestimmen, der erfordert
wird, keine üble Gemüthsart zu verrathen, und ei
nen blos unschuldigen
kan, in gewissem Verstande, denjenigen unschuldig
nennen, welcher, bey der Bemühung um seinen ei
genen Vortheil, andre niemals beleidiget. Allein,
dem ungeachtet kan er eine üble Gemüthsart haben,
Buch.
wenn er zu dem allgemeinen Vortheil wenig bey
trägt. Wenn wir auf uns selbst aufmerksam
sind; so werden wir finden, daß Gott in unsre
Herzen einen sehr hohen Begrif von der nothwen
digen Güte der Seele gelegt hat, und wir müssen mit
uns selbst unzufrieden seyn, so oft wir eine Pflicht,
so schwer und nachtheilig sie uns auch immer seyn
mag, verabsäumen, wenn sie nur, in Absicht auf
alle ihre Folgen, die öffentliche
fördert haben würde Gemeiniglich sind wir, bey
unsrer Beurtheilung der
lungen, so strenge nicht, und man kan es auch so ge
nau nicht bestimmen, in wie weit man seinen eige
nen Vortheil dem allgemeinen Besten aufopfern
mus, um dem Vorwurf einer üblen Gemüthsart
zu entgehen. Wir kennen die äussersten Grade der
Tugend und des Lasters sehr wohl; allein die mitt
lern Grade sind weniger von einander zu unter
scheiden, weil sie sehr nahe an einander gränzen,
gleich Farben, deren Schattirungen sich in einander
verlieren. Folgende Regeln scheinen ziemlich ge
wis zu seyn:
1. Von Personen, die sich in ungleichen
Ständen und Verfassungen befinden, ungeachtet
ihre Gemüthsarten sich gleich sind, werden keine
Neigungen von gleichem Umfange und von glei
cher Stärke erwartet. Von solchen, die Unter
richt, Zeit zum Nachdenken, und den Zutritt zu bes
sern Ständen gehabt haben, wird mehr ge
fordert.
2. Pflichten, die andern nützlich sind, und
der handelnden Person weder Mühe noch Aufwand
verursachen, werden von jedermann gegen alle die
jenigen, die sie bedürfen, mit allem Rechte, erwar
tet. Sie sind nur geringe Beweise der Tugend;
aber die Verabsäumung derselben ist hassenswürdig,
und verräth eine Gemüthsart, die von aller Men
schenliebe leer ist.
3. Wir misbilligen überhaupt die Verwei
gerung eines geringen Aufwandes oder einer gerin
gen Mühe, welche der
kaum entgegen seyn könte; wenn dieser geringe
Aufwand und diese geringe Mühe, einem andern,
wenn es auch ein Fremder wäre, wichtige Vortheile
verschaffen würde.
4. Je grösser der Aufwand oder die Mühe
ist, welcher sich einer, zum Besten des andern, aus
sezt; desto stärker ist der daraus herfliessende Be
weis der
5. Je geringer die Vortheile sind, um wel
cher willen jemand etwas zum allgemeinen Nach
theil unternimmt, oder einige nützliche Dienstlei
stungen verweigert; eine desto schlimmere Mei
nung müssen wir von seinem Character bekommen.
Eben diese Schwierigkeiten eräugen sich in
eingeschränk
tern Neigun
gen den all
gemeinern
nachgeben
müssen.
Ansehung einer genauen Bestimmung, wie weit die
eingeschränktern Neigungen in besondern Fällen den
allgemeinern nachgeben sollen; oder in wie weit die
Vortheile der Familien, Anverwandten, Wohlthä
ter, Freunde, unsrer Parteyen und unsers Vater
Buch.
landes den allgemeinsten Vortheil aufgeopfert wer
den müssen, um keine üble Gemüthsart zu erkennen
zu geben, und keine Schuld auf sich zu laden. Ei
ne ruhige Seele, welche die Einrichtung ihres eige
genen Verhaltens überdenkt, wird jeden Mangel an
der vollkommensten
gen, welche erfordert, daß wir alle eingeschränktere
Neigungen den allgemeinern aufopfern sollen.
Allein es ist, in vielen eingeschränkten Neigungen
der Seele, etwas so schönes und so einnehmendes,
daß wir, über das Verhalten der Menschen, welche,
um dieser Neigungen willen, die höchste Vollkom
menheit verabsäumen, weniger strenge urtheilen.
Und da von Leuten von geringen Ständen und Fä
higkeiten, welche zu thun genug haben, um sich und
ihren Angehörigen nothdürftigen Unterhalt zu ver
schaffen, der Billigkeit nach, nur ein geringer Grad
von Aufmerksamkeit und Urtheilskraft erfordert
werden kan: so will die
jenige Gemüthsart misbilligen sollen, welche nicht
in allen Fällen die
das genaueste, erfüllen kan. Aber bey dem allen
mus eine aufmerksame nachdenkende Seele den
deutlichen Begriff von
Je näher eine
desto besser und vortreflicher ist sie. Es war nicht
die Absicht Gottes, daß wir blos bey der Vermei
dung desjenigen Verhaltens, das uns Unehre zuzie
hen könte, stehen bleiben sollen. In diesen Fällen
sind zwo allgemeine Regeln überflüssig hinlänglich:
1. Wenn wir die ruhige und uneingeschränk
teste Neigung gegen die allgemeine
den stärksten Grundtrieb der Seele seyn lassen, da
mit er bey vorfallendem Streite, allen eingeschränk
tern Neigungen Einhalt zu thun fähig seyn möge:
wenn wir alle eingeschränktere Vortheile den allge
meinern aufopfern, und wenn jede
gegen unsre verschiedenen Verwandte und Freunde,
eine so grosse Stärke erlangt hat, als die höhern
Neigungen, denen sie unterworfen ist, zulassen wol
len: so haben wir die höchste Vollkommenheit der
menschlichen Tugend erreicht.
2. Wenn einige von diesen eingeschränktern
liebreichen Neigungen ihr eigentliches Ziel über
schreiten, und über die allgemeinern die Oberhand
behalten: so wird die moralische Misgestalt weni
ger oder mehr vermindert, nachdem die
der eingeschränktern Neigungen, von welchen die all
gemeinern überwältiget worden, grösser oder gerin
ger ist. So ist es weit verzeihlicher, wenn wir et
was, das dem allgemeinsten Vortheile entgegen
ist, aus einem Eifer für unser Vaterland, für ein
ganzes Volk, unternehmen, als wenn wir eben die
ses in der Absicht unternommen hätten, den Vor
theil einer Familie oder einer Partey zu befördern.
Und einige von diesen zärtlichen Neigungen ver
mindern die Schuld mehr, als ein blos eigennützi
ger Trieb gethan haben würde, dergleichen Geitz,
Ehrsucht, und
IV. Der grösste Theil der Menschen wird
lichen Tu
genden.
durch die nothwendigen Hindernisse des Lebens un
Buch.
fähig gemacht, Absichten von weitem Umfange zu
haben, und es mangelt ihnen an Gelegenheit und
Kräften, den allgemeinsten Vortheil zu befördern.
Allein wir stehen in der billigen Vermuthung, daß
wir, wenn wir uns einigen schätzbaren Theilen eines
Systems gefällig machen, dadurch dem Ganzen Gu
tes erzeigen. Viele von den Tugendhaftesten ver
wenden dahero, mit allem Rechte, ihre Lebenszeit
auf die Sorgfalt für das Beste besonderer Perso
nen, oder kleiner
die
werden.
In der Natur sind viele besondere Ver
knüpfungen und Ursachen gegründet, die uns ver
anlassen, einige mehr, als andere, zu lieben. Ei
nige von diesen Ursachen sind von einer grosmü
thigen Art, aber in verschiedenen Graden. Der
Alle diese sind die natürlichen Ursachen nicht nur
heftiger
Wohlwollens, in den meisten Menschen. Obgleich
Abschnitt.
ein Mann, der richtig denkt, niemals natürliche
Ursachen zu ruhigen übeln Gesinnungen finden kan:
so hat doch der grösste Theil der Menschen natür
liche Ursachen zu unfreundlichen Leidenschaften,
dergleichen Zorn, Unwillen,
sind. Einige von diesen Ursachen sind eigennützig,
als: Beleidigungen, die unsre Person allein
betreffen; Hinderungen unsers Vortheils: andere
sind von einer gemeinnützigen Art, als wahrge
nommene moralische Uebel; dem gemeinen
Wesen, oder unsern Freunden erwiesene Be
leidigungen; unvernünftige
Eine
Regeln der
Verechnung.
mehr gute und vornehmlich edelmüthige Neigun
gen dieselbe, bey geringern Veranlassungen äussert,
woferne nur diese Neigungen in eben dem Grade
zunehmen, in welchem die Veranlassungen grösser
werden; und je weniger unfreundliche und vor
nehmlich eigennützige
Leidenschaften dieselbe, bey
irgend einer Gelegenheit äussert. Die Gemüths
art mus sehr gut seyn, die auch alsdenn noch lieb
reiche Gesinnungen behält, wenn sich Begebenhei
ten eräugen, welche dieselben aus dem Herzen ver
bannen könten; und die Gemüthsart mus sehr
böse seyn, in welcher, auch durch die natürlichen
Veranlassungen, keine
Ueberhaupt, je grösser die Verdienste oder
die natürlichen Ursachen der Liebe, in einer Person
Buch.
sind, desto grösser mus unser Verderbnis seyn,
wenn wir gar keine Liebe zu ihr empfinden; und
eine Liebe, die nicht so stark ist, als die Verdienste
erfordern, beweist nur eine geringe Tugend. Ei
ne Gemüthsart, welche nur einigermassen tugend
haft ist, mus, durch ausserordentliche Tugenden
und durch grosse erhaltene Wohlthaten, in
nig gerühret werden. Und weil in Gott die
höchsten Veranlassungen der
men seyn müssen, wenn man ihn, nur mit einiger
Aufmerksamkeit, als den Urheber alles
und natürlichen Guten, als die höchste moralische
Vortreflichkeit, und als den grössten Wohlthäter
aller Wesen betrachtet: so mus der Mangel der
höchsten Liebe zu ihm die grösste moralische
keit
entdecken.
V. Diese allgemeinen Grundsätze bahnen uns
den Weg zu besondern Folgerungen.
1. Ein Mangel an Kräften, an Gelegen
heit, an den Mitteln, äusserliche gute Thaten zu
thun, wird uns nicht von der höchsten
ausschliessen, woferne wir an diesem Mangel nicht
schuld sind. Diese Wahrheit mus einem gutgear
teten Herzen ungemein erfreulich seyn.
2. Wenn uns weise und gute Unterneh
mungen, durch eine äusserliche Gewalt oder durch
gen: so kan dadurch die Tugend nicht vermindert
Abschnitt.
werden. Eben so wenig können gute Folgen, die
man weder erwartet, noch zur Absicht gehabt hat,
die Tugend vermehren, oder die Schuld einer la
sterhaften Handlung vermindern. In menschli
chen Angelegenheiten müssen die Menschen sich nach
Wirkungen, die man zur Absicht gehabt hat, und
welche durch keinen sicherern Weg hätten erreicht
werden können, alle üble Wirkungen, die wir vor
aussehen konten, überwiegen: so ist die Handlung
gut, obgleich höhere üble Folgen, die nicht wahr
scheinlich waren, sich eräugen.
3. Die Absicht auf eigene Vortheile schwächt
nur alsdenn die moralische
lung, wenn die handelnde Person weis, oder wenn
andere vermuthen, daß, ohne diesen eigennützigen
Bewegungsgrund, dieselbe nicht so viel Gutes wür
de haben stiften können.
4. Die Bewegungsgründe des Eigennutzes
vermindern die Schuld einer bösen Handlung, zu
welcher sie uns verleiten, nur in so fern, als sie, in
solchen Fällen, über eine tugendhafte Seele Gewalt
haben können. Die
die grössten natürlichen Uebel, die uns bevorstehen,
oder die man uns droht, erreget werden, beschäfti
gen und erfüllen die
ein wirkliches Gut zu erlangen. Und daher komt
es, daß, wenn eine Person, aus Furcht vor dem To
de, vor Martern, vor Sclaverey, welche ihr selbst,
oder andern, die ihr werth sind, gedrohet werden,
oder aus einer wichtigen Veranlassung zum Zorn,
Buch.
etwas unternimmt, wodurch der
grösserer Schaden zugezogen wird; daß alsdenn
die Schuld mehr vermindert wird, als wenn sie,
durch die ansehnlichsten Geschenke, zu eben diesem
Verhalten verleitet worden wäre. Und die Ueber
windung der erstern Versuchung würde eine edlere
Stärke der Tugend beweisen, als die Ueberwin
dung der leztern, oder des Antriebs sinnlicher
gierden*
Ueberhaupt, je grösser das
ner Handlung ist, zu welcher uns die Absicht auf
unsern Eigennutz verleitet hat, desto geringer ist
die Tugend, die wir durch die Unterlassung dieser
Handlung zu erkennen geben. Je kleiner das La
ster ist, zu welchem wir so starke Versuchungen ge
*
Man sehe den Aristo
im lezten Abschnitte
gen zu handeln; da hinge
gen der, so den Lüsten nach
hängt, und von der Wollust
sich überwinden lässt, weit
unmässiger und
in seinen Fehlern wird. Da
hero gesteht er mit Recht,
und der Weisheit zu Ehren,
daß eine Sünde, mit Lust be
gangen, grösser und straf
barer sey, als die, so mit
keit vergesellschaftet ist. Ge
wis, ein Zorniger giebt zu
verstehen, daß er beleidiget
worden, und daß der erlit
tene Schmerz ihm die Ge
müthsbewegung abzwingt.
Hingegen neigt sich der Wol
lüstige, von freyen Stücken,
zur Ungerechtigkeit, um seine
Begierden zu vergnügen.
5. Die
grösser die Bewegungsgründe zur
welchen sie entgegen handelt. Derjenige, welcher
wider ein bekantes Gesetz sündiget, verräth dadurch,
daß er die starken Bewegungsgründe zu dem Ge
horsam, und andere Umstände, von welchen wir
hernach reden werden, überwältigt, eine schlimme
re Seele, als ein andrer, welcher eben dieselbe
Handlung, ohne Wissenschaft von dem Gesetz zu
haben, begeht.
6. Wenn eine Person sich weigert, andern
Gefälligkeiten zu erzeigen, die ihr weder Mühe
noch Aufwand verursachen: so ist dieses ein Be
weis einer grossen Verderbnis, da hierwider kein
Bewegungsgrund des Eigennutzes streitet.
7. Gemeine Gefälligkeiten, welche man Per
sonen von grossen Verdiensten und den liebens
würdigsten Eigenschaften, erzeiget, sind keine Be
weise einer grossen Tugend der handelnden Person.
Derjenige besizt wenig Tugend, welcher für ei
*
Es ist also eine gute
Regel, vollkommen zu wer
den: alles dasjenige zuvermeiden, was den
Schein des Bösen hat.
8. Wenn wir Pflichten von zweyerley Art
nicht auf einmal erfüllen können, und die Umstände
sonst gleich sind: so müssen wir den stärkern Ban
den der
zur
ter, einem Wohlthäter, einem Anverwandten, ei
nem Mann von ausserordentlichen Tugenden, lie
ber dienen, als einem Fremden. Da
den weisesten Absichten diese besondern Verknüpf
fungen gestiftet hat: so erfordert das allgemeine
Beste, daß, wenn die andern Umstände ein
ander gleich sind, wir bey Ausübung unsrer
Pflichten diese stärkern Verknüpfungen den schwä
chern vorziehen müssen. Die Unterlassung an
drer Pflichten, welche jezt, neben den heiligern, nicht
bestehen können, ist vollkommen unschuldig.
9. Wenn einerley Gutes von zwo Personen
von gleichen Fähigkeiten, gethan worden, von wel
chen wir mehr erwartet hätten, und deren eine aus
bloser Menschenliebe, die andre aber zugleich aus
den Bewegungsgründen der göttlichen Gesetze, und
Abschnitt.
wegen der in der
sprechungen, dieses Gute unternommen hat: so
werden wir von der guten Gemüthsart der erstern
mehr überzeugt. Unsre guten
sen, in dem Verhältnis gegen die stärkern Bewe
gungsgründe,
*
zunehmen, wenn sie eine gleiche
gute Gemüthsart beweisen sollen.
10. Doch, da der wahre Endzweck der
Danks habt ihr davon?
gend
aber, daß jemand sich selbst mit hohen Begriffen
von seiner eigenen Tugend vergnügen soll: so mus
jeder tugendhafter Mann ein Verlangen tragen,
seiner Seele alle Bewegungsgründe vorzustellen,
welche ihn zu Ausübung guter Handlungen antrei
ben, und ihn gegen alle Schwierigkeiten mit Muth
und Entschlossenheit bewafnen können. Er mus
sich nach der festen Ueberzeugung bestreben, daß
die Tugend der höchste wahre Vortheil sey, daß
Gott sich seiner annehmen, und ihn, entweder in
dem gegenwärtigen, oder in dem zukünftigen Le
ben, glücklich machen werde. Wenn wir diese
*
32 - - 35. So ihr liebet,
die euch lieben, was Danks
habt ihr davon? Denn die
Liebhaber. Und wenn ihr
euern Wohlthätern wohl
thut, was Danks habt ihr
davon? Denn die Sünder
thun dasselbige auch. Und
wenn ihr leihet, von denen
ihr hoffet zu nehmen, was
Denn die Sünder leihen
auch, auf daß sie gleiches
wieder nehmen. Doch
aber liebet eure Feinde,
thut wohl und leihet, daß
ihr nichts dafür hoffet, so
wird euer Lohn gros seyn,
und werdet
lerhöchsten seyn, denn er ist
gütig über die Undankba
reu und Boshaftigen.
Buch.
Wahrheiten unsern Seelen einprägen, und über die
selben oft nachdenken, um uns, in dem Wandel ei
ner, über alle eigennützige Vortheile dieser Welt, er
habenen Tugend, beständig zu machen: so beweisen
wir dadurch, die besten gemeinnützigen Gesinnun
gen. Hingegen verräth die Abneigung gegen sol
che Betrachtungen eine üble Gemüthsart, da sie die
natürlichen Mittel hindansetzet, alle liebreiche Nei
gungen zu stärken, und alle Hindernisse derselben
aus dem Wege zu räumen. Diejenigen werden in
Ausübung guter und liebreicher Handlungen am
beständigsten fortfahren, welche die stärksten Be
wegungsgründe zu denselben in sich fühlen, und
alle Gedanken von entgegengesetzten Vortheilen von
sich entfernt haben. Nun sind aber keine andern
Menschen so beschaffen, als diejenigen, welche glau
ben, und sich ohne Unterlas daran erinnern, daß
die göttliche
gendhaften, und die Bürgin ihrer
sey; welche sich an eine innige
Dankbarkeit gegen Gott gewöhnt haben, und die
selben, mit allen edelmüthigen Neigungen, gegen
ihre Nebenmenschen, zugleich wirken lassen. Von
einer ähnlichen Wirkung, nur in einem niedrigern
Grade, ist die Bemerkung in menschlichen Angele
genheiten, daß ein tugendhafter Wandel der sicherste
Weg ist, sich einen äusserlichen Frieden und Wohl
stand zu verschaffen, so wie er uns allezeit innere
Ruhe und Freude zuwege bringt. Allein, alles
dieses ist kein Beweis, daß ein Tugendhafter, bey
der Ausübung der Tugend, blos seine eigne Glück
seligkeit zum letzten Endzweck mache.
VI. Da aber die Neigungen der Menschen
zuweilen durch die Handlungen andrer, wozu sie
Handlungen
anderer zuge
rechnet wer
den.
beygetragen haben, entdeckt werden: so ist
offenbar, daß eine tugendhafte Handlung eines an
dern, zu welcher wir, aus einer guten Neigung, mit
Vorsatz, etwas beygetragen haben, in einem gewis
sen Grade uns zur Ehre gereichen kan. Und wenn
wir, zu der lasterhaften Handlung eines andern, da
durch, daß wir, unsrer Pflicht zuwider, etwas bege
hen oder unterlassen, etwas beytragen: so wird
diese Handlung uns ebenfalls, als unser eigenes Ver
gehen, zugerechnet. Dieses geschieht aber, in ver
schiedenen Graden, da die Verschiedenheit der Um
stände sehr gros seyn kan.
1. Gleichwie diejenigen, welche andre zur
Tugend ermahnen, ermuntern und anführen, eine
gute Gemüthsart zu erkennen geben, und an den
veranlassten guten Handlungen keinen geringen
Antheil haben: also werden die Verführer zu la
sterhaften Handlungen für schuldig gehalten; ihre
Rathschläge mögen ins Werk gerichtet worden seyn
oder nicht. Allein böse Rathschläge vermindern
zuweilen die Schuld derjenigen Person, welche die
lasterhaften Handlungen ausübet. Vor dem
menschlichen Richterstuhl wird zwar ein blosser
Rath selten bestraft, wenn der Rathgeber keine Ge
walt über den andern besitzt; und wenn er, an
dem, aus einer Beleidigung, gezogenen Nutzen,
nichts zu seinem Antheil erhält: so ist er zum Er
satz des Schadens nicht verbunden. Es ist schwer,
ausfindig zu machen, was für Wirkungen solche
Buch.
allgemeine Ueberredungen bey der handelnden Per
son hervorgebracht haben, welche vielleicht, auch
ohne von denselben veranlasst zu werden, auf eben
diese Art gehandelt haben würde.
2. In manchen Fällen kan die Aufmunte
rung eines andern zu bösen Unternehmungen, oder
der denselben ertheilte Beyfall keine so lasterhafte
Gemüthsart verrathen, als die Ausführung selbst,
da bey der Ausführung viele Dinge vorkommen,
welche dem Rathgeber, oder demjenigen, welcher sei
nen Beyfall giebt, sich nicht entgegen stellen, welche
aber die handelnde Person abhalten, und ihr die
Handlung widerrathen können; dergleichen ist ein
starkes Gefühl des
unruhe, die Vorstellung künftiger Strafen oder ge
genwärtiger Gefahren. Die Ueberwindung dieser
widerrathenden Bewegungsgründe, welche, bey der
Ausführung, auf die Menschen stärker wirken, ver
rathen eine lasterhaftere Gemüthsart in der ausfüh
renden Person. Wenn hingegen der Rathgeber,
oder derjenige, welcher seinen Beyfall ertheilt, von
keinem Eigennutz, noch von der Absicht, einer Ge
fahr zu entgehn, noch von heftigen
angetrieben wird, und gleichwohl einen andern zu
lasterhaften
billigt: so kan derjenige, welcher solche Handlun
gen, von dergleichen Bewegungsgründen angetrie
ben, vollbringt, nicht so ganz verachtungswürdig,
von allen
leer seyn, als der Rathgeber oder die Person, welche
ihm ihren Beyfall zugesteht.
3. Derjenige, welcher, aus eigener
gung
mere Gemüthsart, als einer, der auf den Befehl ei
nes Obern, und aus Furcht vor der ihm gedroheten
Bestrafung, wenn er sich weigern würde, Gehor
sam zu leisten, eine ähnliche Handlung, mit einem
innern Widerwillen, unternimmt. Wenn der
Schaden, welchen er andern durch seinen Gehorsam
zuzieht, viel geringer ist, als das Uebel, dem er sich
ausgesetzt haben würde, wenn er dem erhaltenen
Befehl nicht gehorcht hätte: so kan sein Gehorsam
vollkommen unschuldig seyn, besonders, wenn er be
reit ist, den Schaden, welchen er andern, um seiner
eigenen Sicherheit willen, zugefüget hat, wieder gut
zu thun; und die ganze Schuld wird auf denjeni
gen, welcher den Befehl ertheilet hat, zurückfallen.
Ueberhaupt, die Personen, welche Macht und An
sehn besitzen, sind die vornehmsten Ursachen alles
desjenigen, was auf ihren Befehl vollbracht wird.
Der Unterthan ist oft unschuldig; und wenn er
nicht ganz zu rechtfertigen ist: so wird doch die
Verschuldung, durch die Versuchung, vermindert.
Ja auch das heftige und ungestüme Anhalten eines
Freundes, vermindert einigermassen die Schuld.
4. Allein, alle Handlungen, die wir, vermö
ge unsers Willens und unserer Wahl, unterneh
men, und die auf die
anderer einen Einflus haben, unsre Bewegungs
gründe dazu mögen gewesen seyn, was für welche es
wollen, sind allemal moralische, und der Zurech
nung fähige Handlungen, da sie Beweise unsrer
Buch.
Neigungen sind. Die Furcht vor einem grossen
gedroheten Uebel kan, gleich andern Arten des
Zwangs, in vielen Fällen, dasjenige unschuldig
machen, was, ohne diesen Zwang, ein Verbrechen
gewesen seyn würde; als wenn man Strassenräu
bern Geld oder Waffen überlässt, um sein Leben zu
erhalten, oder, wenn wir, bey einem Sturme, unsre
oder andrer Leute Güter über Bord werfen. Die
ses sind unschuldige Handlungen, ja sogar einiger
massen Pflichten. Und auch alsdenn, wenn der
aus einer
theil grösser ist, als derjenige, dem wir durch diese
Handlungen entgehen, wird die Schuld, ob gleich
nicht ganz entfernet, doch sehr vermindert. Sol
che Handlungen sind allemal
uns, als moralisch gut oder böse, zugerechnet werden.
I.
Vermöge der oben erklärten Beschaffenheit
Unrecht in
den Hand
lungen.moralischen Gefühls erlangen
wir unsre Begriffe von
*
Recht und Unrecht,
den beyden Eigenschaften der Neigungen und
Handlungen. Die Neigungen, welche als
recht gebilliget werden, sind entweder eine all
gemeine Wohlgewogenheit, und
schen Vortreflichkeit oder besondere liebreiche Nei
*
Dieses ist das
rectum
,
schieden ist. Das
jus
folgt
Einer materiale Güte
riale und
formale
Güte.
zugeschrieben, wenn sie, an sich selbst, das Beste
des Systems befördert, in soweit wir davon zu
urtheilen im Stande sind; oder, wenn sie zu dem
Vortheil eines Theiles, welcher neben dem Vortheil
des Systems bestehen kan, gereicht; die Neigun
gen der handelnden Person mögen seyn, wie sie wol
len. Wenn die Handlung aus guten Neigungen,
in einem richtigen Verhältnis, herfliesset; so wird
ihr eine formale Güte zugeschrieben. Ein tu
gendhafter Mann, welcher
*
überlegt, welche von
verschiedenen vorhabenden Handlungen er wählen
soll, betrachtet und vergleicht die
materialische
Güte derselben, und alsdenn wird sein Entschlus
*
Conscientia antecedens.
**
Conscientia subsequens.
Unser Begrif von
Recht, wenn dasselbe eine
moralische Eigenschaft ist, die einer Person zukomt,
als wenn wir sagen, dieser hat ein Recht zu einer
Sache, ist ein sehr weitläuftiger Begrif. Von ei
ner jeden Handlung, welche wir für tugendhaft oder
unschuldig halten, wenn eine Person, in gewissen
Person habe ein Recht, sie zu unternehmen.
Wenn jemand, in gewissen Umständen, etwas besizt
oder gebraucht, und wenn wir es für unrecht hal
ten, ihn in diesem Besitz zu stören, oder zu beunru
higen: so sagen wir, es ist sein Recht, oder er hat
ein Recht, dieses zu besitzen und zu gebrauchen.
Wenn jemand an einem andern Forderungen zu
machen hat, und die Umstände sind so beschaffen,
daß wir es für ein unrechtes Verhalten ansehen
würden, wenn dieser andere die Befriedigung ver
weigern wollte: so sagen wir, er hat ein
Recht
dieses zu fordern. Oder kürzer zu sagen, es hat je
mand ein Recht, etwas zu thun, zu besitzen, oder
zu fordern,
*
„wenn seine Verrichtung, sein Be
*
Dieses sagt eben das,
was die gewöhnliche Be
schreibung sagt:
Facultas
altero consequendum
II. Die Gerechtigkeit oder Güte der Hand
lungen, ist mit ihrer Richtung auf die allge
meine Glückseligkeit, oder ihrem Ursprung aus
Da es zum Besten des Systems gereicht, daß
alle unsre natürlichen Begierden und
selbst die von der niedrigsten Art, befriedigt werden,
in so weit ihre Befriedigung, neben den edlern Ver
gnügungen, bestehen kan, und ihnen nicht vorgezo
gen wird: so scheint sie alle ein natürlicher Begrif
von Recht zu begleiten. Wir glauben, so bald
als wir zu moralischen Begriffen gelangen, daß wir
ein Recht haben, sie zu befriedigen, bis wir einen
Streit zwischen dergleichen niedrigern Begierden
und andern Neigungen, die wir vermöge einer na
türlichen Empfindung für höher erkennen, wahr
nehmen. Dieses Gefühl des Rechts scheint der
Grund von der Empfindung der
Befugnisses zu seyn, auf welches wir uns alle be
rufen, unsern eigenen Neigungen, durch die Befriedi
gung irgend einer Begierde, gemäs zu handeln, bis wir
sehen, daß diese Befriedigung neben einer höhern
Neigung nicht bestehen kan. Die verschiednen na
türlichen Triebe wirken ohne Zweifel in uns, ehe
wir noch einige moralische Begriffe haben, und sind
Abschnitt.
auf ihre verschiedene Befriedigung gerichtet. Allein,
wenn wir zu moralischen Begriffen gelangt sind: so
halten wir uns für berechtigt, und wenn unsre
denschaften
andern ein Recht zu, jede Begierde zu befriedigen,
welche keiner höhern natürlichern Neigung zuwider
ist; und wir sehen es nicht nur für einen Schaden oder
Nachtheil an, wenn wir, ohne diese Ursache, an der
Befriedigung gehindert werden; sondern wir halten es
auch für unmoralisch, und für den Beweis einer
üblen Gemüthsart, wenn sich jemand untersteht,
uns daran zu hindern. Wir misbilligen das Ver
fahren eines Mannes, der mit Gewalt, und ohne
gerechte Ursache, die Vergnügungen einer dritten
Person hindert, mit der wir in keiner Verbindung
stehen.
*
Allein, obgleich die Gerechtigkeit, Wahr
haftigkeit, Offenherzigkeit und das Mitlei
den, ohne Beziehung auf ein System, gebilliget
*
Dieses scheint die
Meinung des Grotius in
nali {et} sociali
, ableitet.
Wenn einige scharfsinnige und gutgeartete
Männer einen unabhängigen Begrif
*
von der Ge
rechtigkeit der Strafen in sich fühlen; so scheinen
sie denselben von den Empfindungen und dem An
trieb einer natürlichen Leidenschaft, von einem edel
*
In einem vortrefli
chen Buche, in Bischof
Fehler begangen worden.
„Eine verdiente Strafe
mus einen andern Begrif
haben, als daß die damit
verknüpften Leiden auf
das allgemeine Beste ge
richtet sind; weil auch die
Leiden unschuldiger Perso
nen zuweilen auf das all
können, und, in solchen
Fällen ist es gerecht, sie
diesen Leiden zu unterwer
fen; dem ungeachtet aber
sind sie nicht verdient.“
Jedermann giebt zu, daß
verdient einen andern Be
grif in sich fässt, als die
Richtung auf das all
gemeine Beste, nämlich,
ganz andre Richtung auf
das allgemeine Beste, recht
fertigt die Leiden, welchen
unschuldige Personen un
terworfen werden. Diese
beweisen mehr, daß kein an
deres höchstes Maas der
Gerechtigkeit vorhanden ist,
als die Beförderung des
allgemeinen Besten; ob
gleich der Zorn uns bewe
gen kan, auch ohne diese
Absicht zu strafen.
III. Die Rechte, in so fern die Beschützung
mene und
unvollkom
mene Rechte
und Beobachtung derselben in der Gesellschaft mehr
Buch
oder weniger nöthig ist, werden in vollkommne und
unvollkommne eingetheilet. Jedes eigentliches
Recht trägt zu dem öffentlichen Vortheil etwas bey,
und ist auf die Absicht, denselben zu befördern, ge
gründet. Unser Gewissen überzeugt uns von der
Nothwendigkeit, die Rechte anderer zu beobachten
und zu erfüllen, wenn wir den Beyfall Gottes und
Andere Rechte, die vor Gott und unserm
eigenen Gewissen wirklich heilig sind, sind so be
schaffen, daß sie, aus entfernten Ursachen eines öf
fentlichen Vortheils, nicht durch Gewalt und
Zwang behauptet, sondern den guten Herzen ande
rer Menschen überlassen werden müssen. Diese
werden unvollkommene Rechte
genennet. Es
ist ein grosser Vortheil, und ein dem menschlichen
Geschlechte anständiges Verhalten, wenn diese
Rechte einem jeden, dem sie zustehen, willig einge
räumt werden, und die Verletzung derselben kan
in manchen Fällen vor Gott eben so wohl ein Ver
brechen seyn, als die Verletzung der vollkommenen
Rechte. Allein da sie zu Erhaltung der menschli
chen
dig sind, und hinlängliche Ursachen vor Augen lie
gen, warum sie der
Menschen überlassen werden müssen: so bringen
sie keinen Zwang hervor. Dergleichen sind die
Rechte der Armen, von dem Ueberflus der Reichen
unterstützet zu werden; die Rechte aller Menschen,
von andern Gefälligkeiten zu erwarten, die densel
ben weder Mühe noch Aufwand verursachen: die
Rechte der
schaftlichen und dankbaren Gegendiensten; das
Recht eines jeden tugendhaften Mannes zu solchen
Gefälligkeiten, welche ihm grössere Vortheile ver
schaffen, als die Mühe oder der Verlust ist, den
sie Männern, in ansehnlichen Bedienungen oder
Glücksumständen, verursachen können.
Es würde eine Veranlassung zu unendlichem
vollkomme
nen Rechten
dürfen keine
Streit und Krieg seyn, wenn mit allen diesen
Buch.
Rechten, von einer so feinen Natur, Zwangsmit
tel verbun
den seyn.
verschiedenen Forderungen der Menschen und die
Grade derselben, in deren Ansehung eine grosse
Verschiedenheit der Meinungen vorhanden seyn
mus, zu bestimmen. Wenn mit diesen Rechten
Zwangsmittel verbunden wären: so würde für tu
gendhafte Menschen keine Gelegenheit übrig seyn,
die Güte ihres Herzens andern zu erkennen zu ge
ben, und sich ihre Achtung und Dankbarkeit zu
wege zu bringen. Diejenigen, welche auf ihren ei
genen Vortheil am meisten sehen, würden aus
Furcht des Zwangs, die bereitwilligsten seyn, diese
Rechte zu erfüllen, wenn hierzu einmal ein gewisses
Ebenmaas festgesezt worden wäre. Der Wahl
oder der natürlichen
mehr überlassen seyn.
Es ist noch eine dritte Art übrig, welche aber
mehr für das
das diesen Namen verdiente, anzusehen ist. Wir
nennen sie ein
äusserliches Recht. Durch den
Gebrauch desselben können wir uns weder den Bey
fall Gottes, noch, wenn wir darüber nachdenken,
den Beyfall unsrer eignen Herzen, zuwege bringen.
„Wenn eine That, ein Genus, eine Forderung von
andern, dem allgemeinen Besten wirklich nachthei
lig, und den heiligen Verbindlichkeiten der Men
schenliebe, Dankbarkeit,
chen, zuwider ist; und wenn gleichwohl der Vor
theil der
den, haben will, dieses Befugnis den Menschen
Abschnitt.
„nicht zu versagen, sondern es im Gegentheil, bey
gewissen Vorfällen, zu bestätigen.“ So hat der
lieblose Geizige dieses Zeichen des Rechts, auch den
jenigen Theil von seinem Vermögen, welchen er zu
Ausübung der Pflichten der Menschenliebe,
herzigkeit
für sich zu behalten; ein Darlehn von einem sichern
Gläubiger, zur Unzeit oder mit einer unerbittlichen
Strenge, wiederzufordern, und die Erfüllung har
ter und ungleicher Verträge, welche kein Ge
setz verbietet, zu verlangen. Viele dergleichen
Forderungen sind, durch die bürgerlichen Gesetze,
in Testamenten, Erbfolgen, und Contracten, einge
führet worden, und die Billigkeit und Menschen
liebe kan von gesetzmässigen Ansprüchen sehr weit
unterschieden seyn. Dieser äusserliche Schein des
Rechts ist alles, was übrig bleibt, wenn irgend eine
Pflicht der Dankbarkeit, Freundschaft oder Men
schenliebe erfordert, daß wir von demjenigen, was
ausserdem ein vollkommenes Recht gewesen seyn
würde, abgehen.
Gleichwie keine Handlung, kein Genus, keine
Rechte ein
ander entge
gen seyn
können.
Forderung, und das, was ihnen entgegengesezt ist,
der Gesellschaft gleich nützlich seyn kan: also hat
die
deren eines dem andern engegen wäre. Unvoll
kommene Rechte der Menschenliebe können äusser
lichen Rechten entgegen seyn. Allein da weder die
erstern noch die leztern jemanden erlauben, mit gu
tem Gewissen Gewalt zu brauchen: so kan niemals
eine auf beyden Seiten gerechte Streitigkeit entste
Buch.
hen. Eine Verbindlichkeit im Gewissen, äusserli
chen Rechten, die andre haben können, gemäs zu
handeln, kan von der Klugheit und einer Absicht
auf unsern eignen Vortheil, oder von der Betrach
tung des Nachtheils entstehen, welchen die Gesell
schaft zu gewarten hätte, wenn man diesen Rechten
sich widersetzen wollte; aber niemals wird man
dergleichen Rechte einer Person, die, der Menschen
liebe zuwider, darauf besteht, aus dem Bewustseyn
einer Pflicht gegen diese Person, einräumen.
Die Gerechtigkeit der Gesetze leidet eben diese
Eintheilung. Gewisse Systemen derselben wer
den blos in dem Verstande gerecht genennet, „weil
sie alles, was zu einem friedsamen und ruhigen
Zustande unumgänglich nöthig ist, gebieten, und
alles, was eine gute
ten nothwendig aufheben und hindern müsste, ver
bieten, ungeachtet sie weder für die Ausübung
edlerer
Handlungen, wenn sie nicht schlechterdings schäd
lich sind, Einhalt gethan wissen wollen.“ In
Staaten, wo sich dergleichen Gesetze finden, sind
alle Handlungen, welche keines von diesen noth
wendigen Gesetzen beleidigen, gesetzmässig gerecht,
und die Menschen haben ein gesetzmässiges Recht,
alles zu thun, was die Gesetze verstatten, ob es
gleich nicht nur oft der Menschenliebe, sondern auch
demjenigen, was bey einer feinern Einrichtung
nothwendig seyn würde, entgegen ist. Zuweilen
ist ein redlicher Gesetzgeber zu der Einführung sol
cher Gesetze gezwungen, wenn die schlimmen Eigen
Abschnitt.
schaften seiner Unterthanen keine bessern zulassen.
*
In einer andern Bedeutung würde blos dasjenige
System von Gesetzen gerecht genennet werden, „in
welchem alles auf die weiseste Art, in der Absicht
geordnet worden, um in der
Ordnung einzuführen, und die grösste Tugend und
ten.“ Im erstern Verstande kan das
System gerecht genennet werden, weil es die Viel
weiberey, und die Ehescheidung nach Gefallen zu
lies; die Hinrichtung der Mörderer und Todschlä
ger Privatpersonen, den nächsten Anverwandten
des Umgebrachten, verstattete; und beschwerliche
Gebräuche bey dem Gottesdienste enthielt.
IV. Unsere Rechte sind entweder veräusser Die Rechte sind entwe
der veräusser
lich oder un
veräusserlich.
liche oder
*
Dieses ist vielleicht die
nützlichste Erklärung, die
sich von der Eintheilung des
Rechts der
prima- und
kan, der Klugheit gesitteter
Völker gemäs, geändert
werden. Es ist albern,
das eine an sich selbst gewis
zu nennen, und das andre
nicht. Ein richtiger Schlus
satz mus eben so gewis seyn,
als seine Vördersätze. Grot,
l. c. 1.
2.
V. Wenn wir die Rechte, in die zwo Classen,
der vollkommenen und unvollkommenen, eintheilen:
so wollen wir dadurch nicht anzeigen, daß alle Rech
te einer jeden Classe von gleicher Wichtigkeit und
Nothwendigkeit sind; daß die Verschuldung, bey
der Verletzung aller vollkommenen Rechte, gleich
ist; oder daß die Verletzung aller unvollkommenen
Rechte gleich strafbar sey. Von der geringsten
Forderung der Menschenliebe an, bis zu dem höch
sten vollkommenen Rechte, giebt es unzähliche Grade.
Ein jeder würdiger Mann, ob er gleich nicht elend
ist, hat, zu Verbesserung seines Zustandes, auf die
Gefälligkeiten der Grossen und Reichen einen An
spruch, wenn keiner, der grössere Verdienste besizt,
oder dürftiger ist, Anspruch darauf macht. Dieses
ist mit den niedrigsten unvollkommenen Rechten
oder Ansprüchen so beschaffen. Ein tugendhafter
aber unglücklicher Mann hat ein höheres Recht.
Abschnitt.
Einer, der das gemeine Beste vorzüglich befördert,
hat noch ein höheres; einer, der Männern, die
nunmehro in grossen Ansehn stehen, besondere Dien
ste geleistet hat, hat stärkere Ansprüche an ihnen zu
machen, besonders, wenn er in Elend gerathen ist.
Alles dieses nennen wir unvollkommene Rechte.
Je grösser die Verdienste und die natürlichen Ur
sachen der
Ansprüche zu machen hat, desto näher kommen
sie auch den vollkommenen Rechten. Ein ver
dienstvoller unglücklicher Mann hat, wegen der Be
dürfnisse des Lebens, an alle, die ihm beystehen kön
nen, unvollkommene Ansprüche; allein er hat fast
ein vollkommenes Recht, von seinen
che ihn helfen können, nicht nur den nothdürftig
sten Unterhalt, sondern auch solche Bequemlichkei
ten des Lebens zu fordern, welche seinem Stande ge
mäs sind, in so ferne die Kinder ihm dieselben, ohne
sich selbst unglücklich zu machen, verschaffen kön
nen. Das Gefühl eines rechtschaffenen Mannes,
der mit den Angelegenheiten des menschlichen Le
bens bekant ist, mus dieses, in besondern Fällen, ge
nauer bestimmen.
Ueberhaupt sind die Rechte desto heiliger, je
re Stärke
abhängt.
wichtiger ihr Einflus auf das allgemeine Beste ist,
je grösser die Uebel sind, welche die Verletzung der
selben nach sich zieht, je geringer der Aufwand oder
die Mühe ist, die zur Beobachtung derselben erfo
dert wird, je grösser die Verdienste oder die Ursa
chen zur Liebe in den Personen sind, welchen diese
Rechte zustehen. Und je stärker das Recht ist,
Buch.
desto grösser ist das Verbrechen, wenn man sich
ihm widersetzet; und desto geringer ist der Grad
der
einräumet.
Je geringer hingegen der Nachtheil ist, wel
chen die Verletzung eines Rechts nach sich zieht, je
grösser die Mühe und der Aufwand bey Erfüllung
desselben ist, je weniger Verdienste die Person hat,
desto schwächer ist das Recht. Allein alsdenn be
weisen wir mehr Tugend, wenn wir auf dasselbe
aufmerksam sind, woferne wir nur den höhern An
forderungen anderer, in einem richtigen Verhält
nisse, eine höhere Aufmerksamkeit widmen; und
die
wenn wir darauf nicht Acht haben. Man bewei
set eine geringe Tugend, wenn man eine richtige
Schuld bezahlet, sich aller Beleidigungen und
Grausamkeiten enthält, Gefälligkeiten, wodurch sich
andere uns ausserordentlich verpflichtet haben, nur
auf eine gewöhnliche Art erwiedert, einem würdi
gen Vater in seinem Unglück nur den nothdürftig
sten Beystand erweiset: allein ein Verhalten, wel
ches solchen heiligen Befugnissen entgegen läuft, ist
das verabscheuungswürdigste. Wenn man einem
würdigen Manne, der keine besondere Anforderun
gen an uns hat, edelmüthige Dienste erzeiget: so
beweisen wir dadurch eine bessere
wenn wir einem Anverwandten oder grossen Wohl
thäter gleiche Gefälligkeiten erzeigen, woferne wir
nur im ersten Falle, bey gleichen Verdiensten, und
besondern Anforderungen an uns, in einem richti
Abschnitt.
gen Verhältnisse, höhere liebreiche Neigungen zu
erkennen geben.
VI. Auf ein jedes Recht bezieht sich eine Ver Recht und Verbind
lichkeit be
ziehen sich auf einan
der.
bindlichkeit, welche vollkommen oder unvollkom
VII. Da wir in dem ersten Buche gezeigt ha
ben, daß uns allen hinlängliche Merkmale von dem
Daseyn und der Gottes
gegeben wor
den, und daß er der Urheber aller unsrer natürlichen
Kräfte und Fähigkeiten, unsrer moralischen Gefühls, und unsrer Neigungen ist:
so können wir auch, durch ein gebührendes Nach
sinnen, deutlich erkennen, welche Handlung diese
Beschaffenheit unsrer Natur, unserm Beyfall,
als moralisch vortreflich, und unsrer Wahl, als uns
vortheilhaft, empfiehlt. Wir müssen dahero die
Absicht des Urhebers der
erkennen, und unsre, bey einem reifen Nachdenken,
gemachten Folgerungen, als so viele Anzeigen von
dem göttlichen Willen, in Ansehung unsers Ver
haltens, betrachten. Wenn wir zu dieser Ueber
zeugung gelangt sind: so werden diese practischen
Folgerungen von unserm moralischen Gefühl
und von unserm Vortheil, in unsren Herzen, eine
neue Stärke erhalten.
Da wir uns Gott mit Recht als ein Wesen
von vollkommener Güte und
grössten Wohlthäter des menschlichen Geschlechts,
vorstellen: so müssen unsre Herzen, durch die stärk
sten
werden, alles dasjenige, was wir für seinen Willen
erkennen, ins Werk zu richten; und sie müssen an
Abschnitt.
allem Ungehorsam das stärkste Misfallen empfin
den. Seine moralische Vortreflichkeit mus diese
Empfindungen der Dankbarkeit stärker machen,
und die uns obliegende Pflicht, ihm zu gehorchen,
tiefer in uns prägen, da sie beweiset, daß dasjenige,
was er befiehlt, auf das allgemeine Beste abzielen
müsse. Diese, aus der Einrichtung unsrer Natur,
hergeleitete practische Folgerungen preisen uns nicht
blos unsern eigenen Vortheil, oder einen feinern
ausgesuchtern Vergnügens, zu folgen, oder aber zu
wider zu handeln die
gefällt, uns mit einer andern Art von Belustigun
gen zu unterhalten. Sie werden uns, durch die
Empfindungen unsrer Herzen, als die Veranlassun
gen einer heiligen Verbindlichkeit, eingepräget, und
die Hindansetzung derselben mus im höchsten Grad
gemisbilligt werden, und, unter der hassenswürdigen
Gestalt einer Undankbarkeit und Hinderung des all
gemeinen Besten, eine tiefe Gewissensunruhe her
vorbringen. Auf diese Art empfinden wir unsre
moralische Verbindlichkeit, dem Willen Gottes zu
gehorchen. Die göttlichen
welche uns diese Empfindungen beybringen, sind
seine moralischen Eigenschaften, und seine Wohl
thaten, welche er dem menschlichen Geschlechte mit
getheilet hat.
Denn gleichwie es zu dem allgemeinen Be
sten gereichen mus, daß ein Wesen von vollkomme
ner Weisheit und Güte über die menschlichen Ange
legenheiten die Aufsicht hat, welches ihre Handlun
Buch.
gen regiert, und seine Freude über dieselben zu er
kennen giebt: also mus es auch, sonder allen Zwei
fel, zum allgemeinen Besten gereichen, wenn alle
vernünftige Geschöpfe seinem Willen gehorchen.
Dieses beweist sein Recht zur
rung. Denn der höchste Begrif vom Recht ist
dasjenige, welches auf das allgemeine Be
ste abzielet; und wenn jemand eine Handlung
Da die
nach Gefallen glücklich oder unglücklich machen kan:
so ist zwar diese Eigenschaft kein eigentlicher Grund
des Rechts, allein sie ist ein starker eigennütziger Be
wegungsgrund, seinem Willen zu gehorchen, und
eine sehr nothwendige Beschaffenheit, das Recht
der übernommenen Regierung zur Vollstreckung zu
bringen. Das Recht selbst ist auf seine Weisheit
*
Dieses sind die
funda
rii. Die Gewalt ist die
Allein, da kein Mensch seine Nebengeschöpfe
liche Macht
ist nicht auf
diese Art ge
gründet.
von seiner höhern Weisheit und Güte genugsam
überzeugen, und allen Verdacht einer Schwachheit
oder eigennütziger Absichten von sich entfernen kan;
da kein bestimmtes Kennzeichen einer höhern Weis
heit und Güte, welche zur Regierung geschickt
macht, vorhanden ist; da unzähliche Menschen auf
einmal darauf Ansprüche machen würden; da wir
keine Gewisheit von guten Gesinnungen haben,
weil auch die bösartigsten Menschen, durch heuchle
rische Gefälligkeiten, sich den Schein eines gu
ten Herzens geben können; da ein Volk nicht glück
lich seyn kan, wenn seine Vortheile von dem Gut
dünken solcher Personen, deren Weisheit und Güte
verdächtig ist, abhängen: so können diese Eigen
schaften, unter den Menschen, der natürliche Grund
der Gewalt nicht seyn; und es kan auch nicht zum
Buch.
allgemeinen Besten gereichen, wenn sie, zu dem
Grund eines solchen Rechts zu regieren, und andere
zum Gehorsam anzuhalten, für hinlänglich gehalten
werden sollten. Einige ausserordentliche Fälle
können eine Ausnahme zulassen.
VIII. Ein Gesetz ist „die Erklärung desjeni
gen, der ein Recht zu regieren hat, was für
Handlungen er, zu Beförderung des öffentlichen
Vortheils, unternommen, oder unterlassen wissen
will; und was für Bewegungsgründe er festgese
tzet hat, zu den gebotenen Handlungen aufzumun
tern, und von den verbotenen abzuschrecken.“ Ein
Gesetz enthält also diese zween Theile; den Be
fehl, welcher die verbotenen und gebotenen Hand
Dieser Begrif von einem Gesetze beweist, mit
wie vielem Rechte, die practischen Folgerungen,
welche eine gesunde Gott
gemachten und unsrer Einsicht dargestellten
nung der NaturGesetze der Natur,
und Gesetze Gottes genennet werden. Und alle
innerliche oder äusserliche Privatvortheile, von wel
chen wir wahrscheinlicher Weise vorhersehen, daß sie
*
Sanction.
Abschnitt.
ein diesen Folgerungen gemässes Verhalten, vermö
ge der Einrichtung unsrer eignen Natur, oder der
Natur andrer Leute, oder der uns umgebenden
Welt, begleiten werden, sind so viele Verheissun
gen; und alle Uebel, welche unsre Hindansetzung
dieser Folgerungen nach sich ziehen kan, sind Dro
hungen, welche auf eben die Art, wie die Befehle,
erklärt und bekant gemacht worden sind.
Der einzige Nutzen der Worte und der
Schrift besteht bey Gesetzen in der Entdeckung des
Willens des Gesetzgebers. Allein, durch einen an
dern und näheren Weg entdeckt Gott seinen Willen
in Ansehung unseres Verhaltens, und legt uns
durch die Einrichtung der
Menschen mitgetheilten Kräfte der Vernunft und
des
gungsgründe vor, und macht uns also, auf eine
eben so kräftige, und auf eine edlere und göttlichere
Art, als durch Worte und Schrift, ein Gesetz, mit
seinen Verheissungen und Drohungen, bekant.
IX. Die Gesetze werden in natürliche und
und positive
Gesetze.positive eingetheilet. Allein diese beyden Ausdrü
cke werden in verschiedenen Verstande gebraucht.
Zuweilen gründet sich diese Eintheilung auf die
verschiedenen Arten der Bekantmachung;
und alsdenn werden durch die natürlichen Gesetze
die moralischen Bestimmungen des Herzens, und
die, vermittelst der gesunden Vernunft, aus diesen
Bestimmungen und andern Wahrnehmungen in der
Natur, gezogenen Folgerungen; durch die positi
ven Gesetze aber, solche verstanden, welche in Wor
Andre nehmen die durch diese Worte ausge
drückte Eintheilung, von der Verschiedenheit des
Inhalts der Gesetze, an. Einige Gesetze erklä
ren die natürlichen, eigentlichen und nothwendigen
Mittel zu Erhaltung der Würde der menschli
chen Natur und zu Beförderung der allgemeinen
Wohlfart, so, daß entweder entgegengesetzte oder
anders beschaffene Gesetze nicht gleich nützlich, ja
der natürliche genennet; dergleichen sind alle Gesetze
der Gerechtigkeit und Menschenliebe. Andere Ge
setze sind wirklich auf einen guten Endzweck gerich
tet, und verlangen, in Absicht auf denselben, gewisse
Mittel; allein dieses sind nicht allemal die einzigen,
nothwendigen oder vorzüglichen Mittel. Eben
derselbe gute Endzweck kan durch verschiedene Mit
tel, die alle gleich geschickt und dienlich sind, erhal
ten werden; und doch kan es zu dem Besten einer
ne gewisse Art von Mitteln vergleicht, damit sie von
allen angewendet werden. Ja, gewisse Einrichtun
gen können gewisse Gewohnheiten nützlich machen,
welche, ihrer eigenen Natur nach, von keinem Nu
tzen sind. So können gewisse Gebräuche bey dem
Gottesdienste, die, an sich selbst, von keiner Wich
tigkeit sind, den Menschen sehr nützlich werden,
wenn sie etwa, zum Gedächtnis denkwürdiger Be
gebenheiten, eingeführet worden, deren öftere Er
Buch.
innerung die
menschenfreundliche Regungen gewöhnen kann.
Die meisten Veranlassungen zu positiven Ge
Endzwecke
positiver Ge
setze.
setzen kommen vor, wenn eben dieselben guten End
zwecke durch verschiedene Wege erlangt werden kön
nen, und es gleichwohl nöthig ist, daß alle, die zu
einem gewissen Gebiete gehören, angehalten wer
den, insgesamt einen von diesen Wegen zu gehen.
So kan weder ein gemeinschaftlicher Gottesdienst zu
Stande gebracht, noch ein Gericht gehalten werden,
wenn nicht Zeit und Ort bestimmet wird: und
doch wird sich selten finden, daß eine Zeit, aus na
türlichen Ursachen, bequemer dazu seyn sollte, als
die andre. Auf gleiche Art giebt es, bey Hand
habung der Gerechtigkeit, verschiedene Arten von
Processen, verschiedene Bestrafungen der Verbre
cher, und verschiedene Zeiten zur Vollstreckung der
selben. Es ist nöthig, daß alle diese Puncte, in ei
ner ganzen Gesellschaft, nach einer gewissen allge
meinen Richtschnur, festgesetzet werden, und doch
kan man nicht sagen, daß eine, unter den möglich
sten Bestimmungen, schlechterdings die beste sey, so
daß sie, durch die kleinste Veränderung, in eine
schlimmere ausarten würde.
Zu der Verbindlichkeit eines Gesetzes ist die
Bekantmachung nothwendig. Es wird aber ein
Gesetz nicht alsdenn erst für bekant gehalten, wenn
jeder Unterthan davon wirklich weis; sondern es
ist genug, wenn ein jeder es in seiner Gewalt hat,
durch Anwendung eines solchen Fleisses, dessen er
fähig ist, Wissenschaft davon zu erlangen. Die in
Buch.
den Gesetzen gedroheten Bestrafungen werden da
hero mit allem Rechte an einem Uebertreter voll
streckt, welcher zwar von den Gesetzen nichts weis,
dessen Unwissenheit aber seine eigene Schuld ist, und
der von den Gesetzen Wissenschaft hätte erlangen
können, wenn er den Fleis angewendet hätte, wel
chen in seinen Umständen, ein jeder redlicher Mann
angewendet haben würde.
Doch kan die Unwissenheit einiger Gesetze,
von welchen nicht so leicht Wissenschaft zu erlangen
ist, bey einigen Menschen wegen vieler Abhaltungen,
wegen geringer Einsichten, oder wegen Mangel
der Gelegenheit, entschuldiget werden, ungeachte
diese Unwissenheit bey andern, die sich in vortheilt
haftern Umständen befinden, eine grosse Verschul
dung ausmachen würde.
X. Da die Gesetze der
ursprünglichen
le, sondern auch die, aus der Einrichtung der
stellten Betrachtungen, hergeleitete practische Fol
gerungen, wodurch wir erkennen, welches Verhal
ten anständig sey, und auf das allgemeine Beste
abziele, in sich fassen: so darf über ihre
menheit
mus, daß selbst die
und geübtesten Menschen immer noch unvollkom
men ist. Es ist möglich, daß ein höheres Wesen
den wichtigen Einflus einer gewissen Richtschnur
des Verhaltens auf die allgemeine Wohlfahrt einse
hen kan, welchen niemals ein Mensch hat entdecken
Abschnitt.
können; und Menschen von der gemeinen
können zwar leicht die allgemeinen und nothwen
digsten
die Gründe ausfindig machen, oder nur fassen, auf
welchen einige besondere Gesetze beruhen, die ihren
wesentlichen Grund in der Natur haben.
Wenn man unter dem System der Gesetze der Na
tur, die Einrichtung der
wisheit, welche jedem vernünftigen Wesen in dem
Ganzen vor Augen liegt, verstehen: so ist es ohne
Zweifel vollkommen. Allein seine Vollkommen
heit kan weder die nützliche Bekantmachung der Ge
setze durch Worte und Schriften, noch die Entde
ckungen weiser Gesetzgeber und Sittenlehrer unter
den Menschen, noch die, ihrem Inhalte nach, will
kührlichen Vorschriften entbehren; weil so wenige
Menschen zu einer richtigen
richtung gelangen können; und niemand im Stande
ist, dieselbe vollständig einzusehen.
Wir dürfen aus Ursachen, die wir oben an
geführt haben, die
kommenheit, eben so wenig anklagen, als wir uns,
wegen der geringen Stärke unsers
kurzen Dauers unsers Lebens, über sie beschweren
dürfen. Wenn wir von unsern Kräften, und von
den vorkommenden Gelegenheiten einen guten Ge
brauch machen: so wird das menschliche Leben in
dieser Welt, in den vornehmsten Stücken, ein an
genehmer und glücklicher Zustand seyn; und doch
kan durch die göttliche
durch richtige Schlüsse weisen Menschen, zur Ver
Buch.
besserung dieses Lebens, vieles entdeckt, und manche
nützliche Einrichtung getroffen werden, deren Ursa
chen weder ungesittete Völker, noch der Pöbel unter
den gesitteten, jemals zu begreifen im Stande sind.
Ueberhaupt sind alle weise und gerechte Ge
setze auf die Beförderung der allgemeinen
ligkeit
stems, welches das allgemeine Beste befördert und
neben ihm bestehen kan, gerichtet. Das morali
sche Gute im Gehorsam besteht entweder in der un
mittelbaren Absicht, den guten Endzweck des Ge
setzes zu befördern, wir mögen ihn nun selbst voll
kommen einsehen, oder uns auf die Gütigkeit des
Gesetzgebers verlassen; oder in dankbaren Neigun
gen gegen den Gesetzgeber. Wenn der Gehorsam
sich blos auf die Furcht vor der Strafe, oder auf
die Hofnung der Belohnung, gründet: so ist in ihm
keine moralische Vortreflichkeit vorhanden, ob er
gleich in einigen Fällen unschuldig seyn kan.
XI. Die Befehle des Gesetzes der
oder diese practischen Wahrnehmungen werden für
unveränderlich und ewig gehalten, weil in einem
solchen System von Geschöpfen, wie wir sind, eini
ge Regeln, oder vielmehr die Verfassungen, aus
welchen sie entsprangen, und auf die sie sich grün
den, auf das allgemeine Beste gerichtet seyn müs
sen, so wie ihr Gegentheil einen allgemeinen Nach
theil veranlasset. Allein wir dürfen uns nicht ein
bilden, daß alle besondere Vorschriften des Gesetzes
der Natur so unveränderlich sind, als man insge
mein anzunehmen gewohnt ist. Wenn wir die
Abschnitt.
Vorschriften unveränderlich machen wollen: so müs
sen wir viele Ausnahmen, als Theile der Vorschrift,
zugeben, oder wir müssen dieser Vorschrift nur über
haupt in ordentlichen Fällen, gemäs handeln. Da
die Vorschrift nichts weiter ist, als eine Folgerung,
die aus der Wahrnehmung, was für ein Verhalten
der
herfliesset: so können sich viele besondere Fälle er
äugen, in welchen die Abweichung von der ordent
lichen Regel das allgemeine Beste mehr befördert,
als die Beobachtung derselben. Und weise mensch
liche Einrichtungen können einige Rechte, welche
ehemals jeder einzelnen Person, durch das Gesetz
der Natur, eingeräumet worden, entweder gar auf
heben, oder doch einschränken. Im Stande der
Unrecht, von dem Urheber desselben, durch Privat
gewalt Genugthuung zu verschaffen, wenn gelinde
re Mittel nichts helfen wollten. Allein durch die
bürgerlichen Gesetze ist den einzelnen Personen das
Recht entzogen worden, auf diese Art zu verfahren.
Auf gleiche Art schränken auch die bürgerlichen
setz
genthums ein, und befehlen, einen Theil davon zu
öffentlichen Bedürfnissen herzugeben, dahingegen
das allgemeine Gesetz der Natur einem jeden den
vollen Gebrauch desjenigen, was er sich erworben
hat, und das Recht, dasselbe nach seinem eigenen
Gefallen anzuwenden, eingeräumet hatte. Son
derbare Fälle der Nothwendigkeit werden auch für
Ausnahmen von den ordentlichen Gesetzen angese
hen. Ordentlicher Weise ist es eine Beleidigung,
Buch.
wenn man sich des Eigenthums eines andern, ohne
seine Einwilligung, bedient; aber ein unschuldiger
Mann, der sein Leben, auf der Flucht vor einem
ungerechten Feinde, nicht anders retten kan, begeht
nichts unrechtes, weil er, auf die Einwilligung des
Eigenthümers nicht warten konte.
Die beyden Grundgesetze, „
und die allgemeine
leiden keine Ausnahme; ja in dem leztern sind alle
Ausnahmen von den besondern Gesetzen der Natur,
alle Rechte, in sonderbaren Fällen der Nothwendig
keit, von den ordentlichen Regeln abzuweichen, und
alle Einschränkungen unsrer Rechte, durch weise
Einrichtungen gegründet; weil durch alles dieses,
in gewissen Fällen, und unter gewissen Vorausse
tzungen, ein höheres Gut des Systems erlangt wer
den kan, als durch die Beobachtung der ordentli
chen Regel zu erreichen gewesen wäre.
XII. Es entstehen, unter den Moralisten und
sie den Unterschied, zwischen diesen practischen Be
obachtungen, die wir Gesetze der Natur nennen,
und zwischen den Gesetzen, welche Gott, oder
menschliche Gesetzgeber, in Worten und Schriften,
bekant gemacht haben, nicht genugsam in Betrach
tung ziehen. Diesen Streitigkeiten kan man durch
folgende Anmerkungen zuvor kommen:
1. Da sie durch die Billigkeit „eine Ver
besserung eines Mangels in dem Gesetz, welcher
sich in dem zu weiten oder zu kleinen Umfan“
Abschnitt.
„ge der darinnen gebrauchten Ausdrücke äussert,“
verstehen, wenn nämlich dieses Gesetz, nach der
wahren Meinung des Gesetzgebers, richtig erkläret,
und so weit, als die Ursachen desselben es zulassen,
ausgedehnet, hingegen auf Fälle, welche die Ursa
chen des Gesetzes nicht unter sich begreifen, nicht
angewendet wird: so findet diese Art von Billig
keit, in dem Gesetz der Natur, nicht statt, da uns
die Gesetze nicht durch Worte gegeben worden sind,
in welchen allein eine zu grosse oder zu geringe All
gemeinheit liegen kan. Alles, wovon uns die ge
sunde
ches und billiges Verhalten sey, ist ein Theil des
2. Die ganze Lehre von den Dispensatio Die Lehre
von der Di
spensation komt aus den canonischen
Gesetzen her
nen wurde von den
3. Das Wort Dispensation ist unbestimmt:
und es giebt verschiedene Arten derselben. Es kan
entweder, einem der wider ein Gesetz gehandelt hat,
die Dispensation von der in dem Gesetz enthaltenen
Buch.
Strafe ertheilt werden: oder es kan einer, von
dem Befehl des Gesetzes, noch ehe er dawider han
delt, befreyet werden. Im ersten Falle ist die
Dispensation „die Befreyung einer Person von
der gesetzmässigen Bestrafung, die sie, durch die
Uebertretung des Gesetzes, verdient hätte; oder sie
ist die Verminderung oder Aenderung der Strafe.
Es sind, wie wir hernachmals sehen werden, wich
tige Ursachen vorhanden, warum die Gewalt sol
cher Dispensationen in jedem
vorhanden seyn mus, wenn der öffentliche Vortheil
dergleichen erfordert; und, in Ansehung der Be
strafungen, welche natürliche Folgen der Beleidi
gung des Gesetzes der Natur sind, und ordentli
cher Weise zu Beförderung des allgemeinen Besten
nothwendig seyn können, würde es gleichergestalt
mit der vollkommensten
hen, wenn Gott, der grosse Beherrscher der Welt,
4. Was aber die, vor der Uebertretung eines
Gesetzes, vorhergehende Dispensation von demsel
Abschnitt.
ben anbetrift: so mus, wenn das Gesetz selbst, in
seinem ganzen Umfange, weise ist, diese vorherge
hende
einen Mangel der Ungerechtigkeit und Klugheit an
gesehen werden. Es ist offenbar, daß keine Er
laubnis und kein Befehl einer Person die morali
sche Natur unsrer Neigungen ändern und machen
kan, daß die
lasterhaft, und die entgegengesezten Neigungen
für tugendhaft gehalten werden müssten; es kan
auch keine Erlaubnis und kein Befehl die
sche
äusserlichen Handlungen ändern. Kein Mensch
würde eine solche Erlaubnis und einen solchen Be
fehl billigen können, und von einem guten GOtt
kan dergleichen nimmermehr erwartet werden. Ei
nige verworrene Begriffe von dem göttlichen Rech
te der Oberherrschaft haben einige Schriftsteller auf
die Meinung gebracht, als ob ein göttlicher Befehl
lieblose und menschenfeindliche Neigungen, und die
daraus entstehenden Handlungen, welche auf den
allgemeinen Schaden des Systems abzielen, recht
fertigen könte. Allein, wenn wir die
gen
Begrif von dem Recht in den Handlungen, und
von dem Recht in der Regierung, in so fern es et
was anders ist, als eine blose höhere Gewalt, unter
suchen wollen: so werden wir finden, daß solche
Lehren sich selbst widersprechen.
5. Was die äusserlichen gebotenen Hand
lungen anlangt, wenn in Ansehung der Neigun
Buch.
gen keine wörtlichen Vorschriften vorhanden sind:
so mus ein gewisser Befehl eines Wesens, von des
sen vollkommener
sind, uns den Schlus machen lassen, daß die befohl
nen Handlungen, dem gegenwärtigen äusserlichen
Schein zuwider, wirklich die allgemeine Wohlfart
am Ende befördern, und kein überwiegendes Uebel
veranlassen werden; wenn die Ueberzeugung von
der Güte desjenigen, der die Handlung geboten hat,
und die Gewisheit des Umstands, daß dieses Gebot
ihn wirklich zum Urheber hat, so gros ist, daß sie die
entgegengesezten Vermuthungen hinlänglich über
trift, welche von dem äusserlichen Schein, als ob
die gebotene Handlung üble Folgen haben werde,
entstehen können. Dieser Fall kan kaum für eine
Dispensation von dem Gesetz der
werden, weil die handelnde Person dem Gesetz,
welches, ihrer Ueberzeugung nach, auf einen guten
Endzweck abzielet, gemäs handelt, obgleich diese
ihre Ueberzeugung sich auf das Zeugnis eines
andern, und nicht auf ihre eigene
gründet.
6. Wenn durch die Dispensation von einem
Gesetz blos„ eine Erlassung der äusserlichen Strafe
solcher Handlungen, die wirklich
Vorschriften der gesunden
die vollkommensten und tugendhaftesten
gen
so müssen die menschlichen Gesetzgeber, wie wir her
nachmals sehen werden, die äusserlichen Strafen
sehr oft erlassen. Es wird angeführet, daß viele
Abschnitt.
solche Fälle in dem mosaischen Gesetz vorkom
men, welche durch die Umstände dieses Volks und
der benachbarten
könten, weil eine strengere Einrichtung sie, von der
Verehrung des wahren Gottes, abgeleitet haben
würde. Allein alsdenn kan eine solche Befreyung
von den äusserlichen Strafen die moralische
Schändlichkeit der Handlungen bey solchen Men
schen weder entfernen noch vermindern, welche die
schädlichen Folgen dieser Handlungen und ihren
Streit mit den vollkommensten und tugendhaftesten
Einrichtungen kennen. Dergleichen Befreyungen
können das gemeine Volk gewöhnt haben, auf das
und deswegen ganz sicher zu seyn, so, daß die
Schuld durch eine gewaltige Unwissenheit, welche
bey Menschen von der untersten
windlich geworden seyn kan, sehr vermindert wird.
Allein weil diese Schuld, durch dergleichen Befrey
ungen, nicht ganz entfernt werden kan: so sind sie
das nicht, was die
meiniglich durch die Befreyungen von dem Gesetz
der
die darauf erfolgten Handlungen vollkommen un
schuldig machen.
7. Unter den gewöhnlichen Begrif von der
Dispensation können auch diejenigen Fälle nicht ge
bracht werden, wenn eine obere handelnde Person,
vermöge der, durch die Gesetze, ihr ertheilten Ge
walt, mit Dingen, die ihrem Gebrauch überlassen
sind, auf eine ungewöhnliche Art verfährt; oder
Buch.
wenn die Güter der
wider ihre Mitbürger, aber nicht wider ihren Ober
herrn, gültiges Recht darauf haben, von dem
Oberherrn, vermöge der durch die Gesetze ihm er
theilten Gewalt, nach Gefallen angewendet und
von einem auf den andern übergetragen werden.
Oder wenn der Fürst andre bevollmächtiget, dasje
nige in seinem Nahmen zu thun, was er durch Be
dienten, die er nach Gefallen erwählen kan, thun
zu lassen berechtiget ist, ungeachtet es ein Verbre
chen gewesen seyn würde, wenn ein Unterthan,
ohne den Auftrag des Fürsten erhalten zu haben,
solche Handlungen unternommen hätte. Was
von einer Person, zu Folge der durch die Gesetze
ihr ertheilten Gewalt, geboten und vollstreckt wird,
kan kaum für eine, vermöge der Befreyung vom
Gesetze, unternommene Verrichtung ausgegeben
werden. Ein Schuldner ist, den Gesetzen nach,
verbunden, seine Schulden zu bezahlen; allein der
Erlas des Gläubigers befreyt ihn von dieser Ver
bindlichkeit. Wir können aber deswegen nicht sa
gen, daß ein jeder Gläubiger die Macht hätte, von
den Gesetzen der Natur zu befreyen. Aus dieser
Betrachtung geben scharfsichtigere Theologen nicht
zu, daß die ausserordentlichen Befehle, welche
ses
von den Gesetzen der Natur anzusehen wären.
Doch es ist unnöthig, über Worte zu streiten.
Wenn das Gesetz selbst, in dem ganzen Umfange
seiner Ausdrücke, weise und gerecht ist: so kan keine
Handlung eines Obern die Uebertretung desselben
unschuldig und rühmlich machen. Allein die mei
Abschnitt.
sten besondern Gesetze der
gnugsam allgemeinen Worten ausgedrückt werden,
ohne in vielen Fällen Ausnahmen zu machen; be
sonders diejenigen, welche
rechtmäsigen Obergewalt betreffen.
Nach der eigentlichen Meinung der Canoni
sten, findet also die Dispensation blos bey seltsa
men unvernünftigen, oder bey solchen Gesetzen statt,
welche zu allgemein abgefasst worden, und worinnen
von den vernünftigen und billigen Ausnahmen
nichts enthalten ist, die gleichwohl den Gesetzen
selbst hätten einverleibt werden sollen. In den
Gesetzen der Natur findet sie nicht statt, weil eben
dieselbe
ordentliche allgemeine
Ausnahmen ausfindig macht, die deswegen Theile
des Gesetzes sind.
Nachdem wir diese allgemeine Lehre, von
der Sittlichkeit der Handlungen, den Rechten und
Gesetzen, vorangeschicket haben, wollen wir nun
mehro zu den besondern Betrachtungen der Rechte
und Pflichten der Menschen und zu den besondern
Gesetzen der Natur fortgehen; und zwar zuför
derst, in wie fern sie, von der Natur selbst, vor al
len willkührlichen Ständen und Verknüpfungen,
welche von der Einrichtung und Vereinigung der
Menschen herrühren, gemacht und geordnet wor
den; so dann aber, in wie fern sie, durch willkühr
liche Einrichtungen und Verknüpfungen entstehen,
und darinnen gegründet sind.
Wenn wir von den verschiedenen Ständen der
Menschen reden: so verstehen wir durch einen
Stand weder den unbeständigen Zustand, darinnen
ein Mensch, auf eine kurze Zeit, seyn kan, noch eine
Verbindlichkeit, in welcher er ein=oder zweymal sich
befinden kan, sondern„ einen dauerhaften Zustand,
welcher eine lange Reihe von Rechten und Ver
bindlichkeiten in sich fasst.“ Der Zustand der
Menschen in Absicht auf die Gesundheit oder Krank
heit,
stände, welche in andern Wissenschaften erwogen
werden, gehören nicht zu unserm Vorhaben. Der
scher Pflichten und Rechte in sich.
I. Wir müssen, aus den, im vorhergehenden
Buche, vorgetragenen Lehren, sattsam erkennen,
daß, in dem ursprünglichen Stande der
geheiligte, den Menschen zustehende Rechte und vie
le Pflichten vorhanden sind, welche einem jeden, ge
gen seine Nebenmenschen, obliegen. Das ganze
System der moralisches
Gefühl, unterrichtet uns sowohl von den Pflich
Es ist wahr, daß in diesem Stande der
heit
bare Macht, ihre Verordnungen zur Erfüllung zu
bringen, vorhanden sind, die Menschen oftmals be
leidigende Handlungen unternehmen werden, welche
den Gesetzen ihrer Natur zuwider sind; und daß die
Ahndungen desjenigen, dem diese Beleidigungen zu
gefügt werden, Krieg und Gewaltthätigkeiten ver
anlassen müssen. Allein dieses beweist nicht, daß
hierinnen die wahre Natur dieses Standes
bestehe, weil alle Gesetze und Verbindlichkeiten
dieses Standes Friede, Gerechtigkeit, und Gutthä
tigkeit anbefehlen. In
Buch.
ten
Gewaltthätigkeiten; allein wir folgern hieraus nicht,
daß ein politischer Stand ein Stand des Krieges unter
Menschen, die sich auf diese Art vereiniget haben,
seyn müsse.
Es ist auch wahr, daß die natürlichen
schaften
bringen können, einander Beleidigungen zuzufü
gen. Allein die Gesetze dieses Standes werden
nicht, von diesen Grundtrieben allein, abgeleitet.
Es giebt höhere Kräfte, welche, ihrer Natur nach,
geschickt sind, denselben Einhalt zu thun, besonders
das moralische Gefühl, welches die Rechte und
Verbindlichkeiten dieses Standes bezeichnet, und
uns unterrichtet, wie weit eine Begierde oder Leiden
schaft unterhalten werden kan, ohne uns um den
Beyfall unsrer eigenen Seelen zu bringen, und
was für Begierden und Leidenschaften, eine innere
Unruhe, Verabscheuung unsrer selbst und Schaam
veranlassen müssen. Wir sind auch mit der
nunft
theile hierinnen festsetzt, und zeigt, daß wir unsre
eigennützigen Begierden auf keine sicherere Art befrie
digen können, als wenn wir uns, gegen andre, aller
Beleidigungen enthalten, und im Gegentheil uns
freundlich gegen sie betragen. Diese Kräfte ma
chen uns die Regeln oder Gesetze dieses Standes
der Freyheit bekant, und alle Stände werden nach
demjenigen benennet, was die Gesetze oder Verbind
lichkeiten derselben gebieten und erfordern, nicht
aber nach einem Verhalten, welches den Gesetzen
Abschnitt.
dieser Stände entgegen ist, und zu welchen die
Menschen, durch ihre Leidenschaften, verführet
werden.
Die Urheber dieses unnatürlichen Systems
dersprüche in
diesem Sy
stem.
widersprechen ihren eigenen Lehren, indem sie zuge
ben und beweisen, daß die vernünftige Kraft, mit
welcher wir, ihrem Geständnisse nach, zur Einrich
tung unsers Lebens, von der
bald unterrichten wird, daß dieser allgemeine
aller Menschen, mit allen Menschen, schädlicher seyn
mus, als man sich vorstellen kan; daß er von jeden,
so viel möglich, vermieden werden wird; und daß
auch die Vernunft uns einige
tens bekant machen wird, wodurch der Frieden, mit
allen seinen Seligkeiten, den Menschen bewahret,
oder wiederhergestellet werden kan. Ohne Zweifel
mus also das Verhalten, welches die natürlichen
Grundtriebe des menschlichen Geschlechts einem je
den, als das nothwendigste und vorzüglichste, an
preisen, für das natürliche Verhalten in diesem
Stande angesehen werden, nicht aber dasje
nige, zu welchen eine unmenschliche
Menschen verführen kan, so lange die herrschenden
Grundtriebe seiner Natur entschlummert sind, oder
ungeübt bleiben.
Es ist auch thöricht, die Worte zu misbrau
chen, und den Stand der Einsamkeit den natür
lichen Stand der Menschen zu nennen, weil, in
II. Dieser Stand der natürlichen
der Freyheit
dauert im
merfort.
schaftlichen Oberherrn haben, und einzig und allein
Gott und dem Gesetz der
III. Da man sagt, die Menschen „haben ein
werden, in
die Rechte
einzelner
Personen,
ganzer Ge
sellschaften,
und aller
Menschen
eingetheilet.
Recht zu thun, zu besitzen, oder von andern zu ver
langen, was die
erfordert, und wovon der öffentliche Vortheil des
menschlichen Geschlechts zulässt, daß sie es thun,
besitzen, und von andern erlangen dürfen;“ und
da alle Rechte und Verbindlichkeiten, in einer Rich
tung auf die allgemeine Glückseligkeit, oder auf das
Beste einzelner Personen, ihren Grund haben, in so
fern es, neben der allgemeinen Wohlfahrt, besteht,
welche eine Folge der Glückseligkeit einzelner Per
sonen seyn mus: so können die Rechte in Ansehung
derjenigen, welchen sie zustehen, und auf deren Be
stes sie unmittelbar abzielen, in die Rechte einzel
ner Personen, in die Rechte besonderer Gesellschaf
ten, und in die Rechte des ganzen
schlechts
werden. Die von der ersten Art werden, durch das
Gesetz der
ner Personen; die von der andern Art aber zum
gemeinschaftlichen Vortheil einer
eines Staats eingeführet, obgleich nicht unmittel
bar mehr zu dem Besten des einen Mitglieds, als
des andern. Die von der dritten Art gehen weder
eine einzelne Person noch eine Gesellschaft mehr, als
die andere, an, und doch gereicht es zum allgemei
nen Besten des menschlichen Geschlechts, daß diese
Rechte behauptet, und aufrecht erhalten werden.
Jede von diesen drey Classen kan entweder vollkom
Buch.
men oder unvollkommen seyn, nachdem es mehr
oder weniger nöthig ist, daß sie, zum öffentlichen
Vortheil, aufrecht erhalten werden, und nachdem sie
von einer solchen Natur sind, daß sie, entweder bey
ihrer Vertheidigung und Verfolgung, Gewalt und
Zwang zulassen, oder aber dem Gewissen und dem
Gefühl der Pflicht anderer Menschen überlassen
werden müssen. Diese Eintheilung haben wir oben
erkläret.
IV. Die Privatrechte einzelner Personen wer
den uns, durch die Beschaffenheit
vermittelst dieser beyden Umstände, zusammenge
nommen, bekant gemacht: Erstlich, durch die na
türlichen
Befriedigungen bezeichnen, deren wir fähig sind,
und welche einen Theil der Glückseligkeit ausma
chen, die der Urheber der Natur für uns bestimmt
hat; zweytens, durch die Kräfte der
des Nachdenkens, welche uns unterrichten können,
in wie weit die Befriedigung unsrer natürlichen
Begierden, neben den feinern Grundtrieben in
unsrer Natur, bestehen kan, welche, wie wir
oben gezeigt haben, bestimmt sind, unsre besondern
Begierden zu beherrschen, und ihnen Einhalt zu
thun. Diese Grundtriebe zeigen, welche Grän
zen nicht nur den eigennützigen Begierden, die
auf die eigene Wohlfahrt der handelnden Person ab
zielen, sondern auch den verschiedenen eingeschränk
tern grosmüthigen Neigungen, und der Befriedi
gung, auf welche sie gerichtet sind, gesetzet werden
müssen. Sie lernen uns deutlich einsehen, daß
Abschnitt.
zwar der grosse Endzweck unsers Wesens die Beför
derung der allgemeinsten
auch unsre Herzen zu gleicher Zeit unser Verhalten
billigen, wenn wir nicht nur gegen Personen, die
uns, durch nähere Verknüpfungen, vorzüglich werth
sind, besondere liebreiche Neigungen zu erkennen ge
ben, so lange dieses Verfahren nicht einem allge
meinen Vortheil zuwider ist; sondern, wenn wir
uns auch um die Befriedigung der auf uns selbst
gerichteten Neigungen bemühen, so lange diese
Befriedigung neben dem allgemeinen Vortheil beste
hen kan, und die
und auf ihren Eigennutz einschränkt.
Die natürlichen Triebe und Begierden erin
nern uns zuerst an die Privatrechte, allein, wir kön
nen selten eine Aufmerksamkeit auf diese Erinne
rung, gegen uns selbst rechtfertigen, wenn wir nicht
in Erwägung gezogen haben, ob die Befriedigung,
zu welcher wir geneigt sind, mit den Absichten der
edlern Theile unsrer Natur, welche die grossen Ge
genstände des Beyfalls der Seele sind, und auf eine
allgemeinere oder auf die uneingeschränkteste Glück
seligkeit abzielen, bestehen können. In vielen Ge
genständen unsrer Begierden ist diese Eintracht so
offenbar, oder es ist so wenig Vermuthung eines
Streits vorhanden, daß wir von unsern Rechten
auf einmal, und ohne lange Erwägung der allge
meinern Vortheile, überzeugt werden; ja in man
chen Fällen scheinen wir ein unmittelbares Gefühl
des Rechts, mit der natürlichen Begierde zugleich,
zu haben, und hingegen in dem uns von andern ge
Buch.
thanen Widerstand ein moralisches Uebel wahrzu
nehmen, wenn wir auf einmal einsehen, daß uns
gewisse Befriedigungen zu dem Genus eines erträg
lichen Lebens nothwendig sind; und wir müssen al
len Widerstand, den man uns oder andern bey die
sen Befriedigungen in den Weg leget, für grausam
und unmenschlich halten, wenn wir nicht etwa ge
wahr werden, daß dieser Widerstand, wegen eines
allgemeinern Vortheils, nothwendig war.
Allein, die vornehmste Gefahr, in Anse
hung unsers Verhaltens, von der Heftigkeit unsrer
eigennützigen
het, welche oft die von den feinern Grundtrieben in
unsrer Natur, zum allgemeinen Besten, ihnen gesetz
ten Schranken überschreiten: so mus es zu unserm
grossem Vortheil gereichen, die
von der Gerechtigkeit dieser Einschränkung zu
überzeugen, und zu beweisen, daß es ihr eigener
Vortheil erfordere, die eigennützigen Regungen
den edelmüthigen und geselligen Neigungen un
terwürfig zu machen. Unser moralisches Ge
, welches wir oben erklärt haben, unterrichtet
V. Zuförderst ist es klar, daß zur Erhaltung
des menschlichen Lebens, zur Befriedigung des
schmerzhaften Antriebs der Begierden, und zur Er
reichung einiger von den angenehmen äusserlichen
Vergnügungen, deren unsre Natur fähig ist, sehr
viele und mannichfaltige äusserliche Dinge erfordert
werden; dergleichen sind Nahrung, Kleider, Woh
nungen, allerhand Geschirre und vielerley Geräthe,
welche wir, ohne viele Kunst und Mühe, und ohne
den freundschaftlichen Beystand unsrer Nebenmen
schen, nicht erlangen können.
Ferner ist es offenbar, daß ein Mensch in ei
des Lebens in
der Einöde.
ner Einöde, ob er gleich erwachsen und stark, und
und in allen zu dem menschlichen Leben nöthigen
auch in den besten Gegenden des Erdbodens, nur die
geringsten Nothwendigkeiten des Lebens, geschweige
angenehme Bequemlichkeiten, würde verschaffen
können. Einer, der in den zum menschlichen Le
ben erforderlichen Künsten unerfahren wäre, ob er
gleich einen noch so starken
unfähiger seyn, in einer Einöde sein Leben zu er
halten; und es würde schlechterdings unmöglich
seyn, daß einer, ohne ein
Buch.
heit an, in diesem Zustande sich beym Leben erhal
ten könte. Und man setze auch voraus, daß, ver
mittelst eines Wunders, er mit Nahrung, Kleidern
und einer Wohnung, versehen würde: so müsste
doch allemal ein Leben in der Einöde voll
und Gefahr seyn. Man setze weiter voraus, daß
auch alle diese Gefahren aus dem Wege geräumt
würden: so könte doch in der Einöde die Uebung
vieler unsrer natürlichen Kräfte und Begierden nicht
statt finden; keine
keine Mittheilung des Vergnügens, keine Achtung.
Die entgegengesezten Regungen der
einen Menschen, in diesem unnatürlichen Zustande,
in eine tiefe
zen, die ihm das Leben unerträglich machen wür
den. Dieses ist, von den meisten Schriftstellern,
über das Gesetz der Natur, sattsam ausgeführet
worden.
Wenn wenige Personen, in einer kleinen Fa
milie, einander wechselsweise hülfliche Hand leisten:
so können sie sich die Nothwendigkeiten des Lebens
verschaffen, die Gefahren vermindern, und sowohl
gesellige Freuden, als feinere Vergnügungen ge
niessen. Eben diese Vortheile müssen weit sicherer,
und in weit grösserer Anzahl erreicht werden kön
nen, wenn einige wenige solcher Familien, welche
in einer Nachbarschaft leben, einander beystehen, da
sie, auf diese Art, mühsamere Unternehmungen, die
das gemeinschaftliche Beste befördern, ausführen
können, und Gelegenheit haben, die geselligen
Neigungen der Seele, auf eine angenehmere Art,
zu üben.
Es ist bekant, daß eine gewisse Anzahl Men
schen, zwanzig zum Exempel, durch ihre Arbeiten,
theile der Ge
sellschaft.
die Nothwendigkeiten und
Lebens weit mehr befördern können, wenn einer
Person eine gewisse einzelne Art von Arbeit, zu
welcher sie sich bald geschickt machen kan, und einer
andern Person wiederum eine andere Art angewie
sen wird, als wenn jede von diesen zwanzigen ver
bunden wäre, wechselsweise, mit allen verschiede
nen Arten von Arbeiten, die zur Nothwendigkeit
und
sich zu beschäftigen, ohne zu einer einzigen hinlängli
che Geschicklichkeit zu besitzen. Im erstern Fall
bringt eine jede Person eine grosse Anzahl von
Werken einer Art hervor, und kan einen Theil der
selben, gegen die von andern hervorgebrachte Wer
ke, vertauschen, wenn er ihrer benöthigt ist. Einer
erwirbt sich eine
in der Viehzucht, der dritte in der Maurerarbeit,
der vierte in der Jagd, der fünfte eine Geschicklich
keit, eiserne
Leinwand zuzubereiten, und so die übrigen alle.
Auf diese Art werden alle, vermittelst des Tausches,
mit Werken vollkommener Meister versehen. Bey
dem entgegengesezten Verfahren würde es kaum
möglich seyn, daß eine Person, in einer Art von Ar
beit, einige Geschicklichkeit erlangen könte.
Einige Werke, welche vielen Menschen höchst
theile gros
ser Gesell
schaften.
nothwendig sind, können durch die vereinigten Arbei
ten vieler Personen zu Stande gebracht werden, da sie
hingegen durch die abgesonderten Arbeiten eben die
Buch.
ser Anzahl nimmermehr hätten zu Stande gebracht
werden können. Die vereinigte Stärke vieler
Personen kan die Gefahren abwenden, welche von
wilden Thieren, oder Räuberbanden zu befürch
ten sind, und in welchen viele einzelne Personen
umkommen müssen, wenn sie jeder besonders zu
stossen. Die vereinigten Arbeiten von zwanzig
Menschen können Wälder aushauen, Moräste
ausfüllen, Meyerhöfe anlegen, wohnbare Häu
ser erbauen, und Hürden für ihre Heerden zu
bereiten, und dieses alles in weit kürzerer Zeit, als
die abgesonderten Arbeiten eben dieser Anzahl.
Durch verabredete Anstalten und eine abwechselnde
Beyhülfe können sie beständige Wache halten, wel
ches ihnen ausserdem unmöglich fallen würde.
Grössere
das Leben zu geniessen, vermehren, und uns zu ei
ner allgemeinern und angenehmern Uebung unsrer
Kräfte von allen Arten, Gelegenheit geben. Die
Erfindungen, die
Menschen werden mitgetheilet; die
erweitert, und gesellige Neigungen mehr und mehr
ausgebreitet. Grössere Gesellschaften haben es in
der Gewalt, grössere Entwürfe von dauerhaftern
und allgemeinern Vortheilen auszuführen.
*
Die
se Betrachtungen geben überflüssig zu erkennen, daß
das gesellige Leben und die Beyhülfe unsrer Neben
menschen, zu unsrer Unterhaltung, unumgänglich
nothwendig sey, und daß die grössern Gesellschaften
*
Diese Materie hat
Cicero im zweyten Bu
che
sehr schön
Allein es ist offenbar, daß wir die freund
schaftliche Beyhülfe unsrer Nebenmenschen nicht
erwarten dürfen, wenn wir nicht auch unsrer
Seits bereit sind, ihnen gute Dienste zu leisten,
und allen eigennützigen
uns durch die Vorstellung eines Vortheils, ent
stehen könten, Einhalt zu thun, so daß sie uns zu
keinen Beleidigungen unsrer Nebenmenschen ver
führen. Es wird viele Ueberlegung und
erfordert, solche Regeln des Verhaltens in der Ge
sellschaft ausfindig zu machen, wodurch der allge
meine Vortheil am sichersten befördert, und Friede
und ein gutes Vernehmen unter den Mitgliedern
aufrecht erhalten werden kan. So gewis edelmü
thige Neigungen in unsrer
so gewis sind sie nicht allein vorhanden, und wir
finden in uns viele unfreundliche Leidenschaften,
welchen wir unterworfen sind, wenn wir sehen, daß
man die Absicht gehabt hat, uns zu beleidigen,
oder daß man uns wirklich beleidigt hat. Alle
diese Kräfte, womit die Menschen einander Bey
stand zu leisten und Gefälligkeiten zu erzeigen, im
Stande sind, können sie auch, wenn sie anfgebracht
werden, zum Schaden ihrer Nebenmenschen an
wenden. Andere durch Beleidigungen aufzubrin
gen, ist überhaupt, in Absicht auf unsern eigenen
Vortheil, ein unvernünftiges Verhalten, so wie
wir uns dadurch allemal innere Unruhe und Unzu
friedenheit mit uns selbst, zuziehen. Niemand kan
Buch.
hinlänglich versichert seyn, daß er an Stärke oder
Kunst, andern, die er wider sich aufbringt, überlegen
sey. Viele gerathen über ungerechte Gewalt
thätigkeiten in einen gerechten Unwillen, und sind
daher geneigt, sich denselben entgegen zu stellen;
und sie können aus
sie erdulten mus, und aus Furcht, daß ihnen der
gleichen boshafte Beleidigungen ebenfalls begegnen
könten, wenn denselben kein Einhalt gethan würde,
noch mehr aufgebracht werden. Wie gefährlich ist
es also, durch Ausübung einiger Ungerechtigkeiten
gegen unsre Nebenmenschen, einen solchen Unwillen
wider uns zu erregen?
Die
unsers ganzen Baues, einen starken Bewegungs
grund vor Augen gelegt, andere nicht zu beleidigen,
und den Ausschweifungen unsrer eigennützigen
denschaften
schen keine Kräfte haben, die man eigentlich
Werkzeuge der Beleidigung nennen könte, weil
wir eben diejenigen, wodurch wir andern zu scha
den im Stande sind, auch zur Ausübung liebrei
cher geselliger Pflichten anwenden können, und ob
gleich, da uns alle Grundtriebe unsrer Natur eher
zu guten Dienstleistungen ermuntern, alle unsre
Kräfte zur Beförderung der geselligen Glückselig
keit von
daß unsre Bemühungen, andern zu schaden, wenn
wir mit Vorsatz darauf umgehen, uns wahrschein
licher Weise eher gelingen werden, als wir die Ab
sicht, die
Abschnitt.
chen können, nach dem bekanten Grundsatz, „daß
wenige hinlängliche Talente besitzen, viel Gutes
zu thun, und daß auch die geringsten zureichend
sind, viele
einem sehr zarten Bau. Unsre Ruhe und Glück
seligkeit erfordert nicht nur eine gute Beschaffen
heit vieler zarter Gliedmassen des
leicht in Unordnung zu bringen sind, sondern auch
sehr viel äusserliche Gegenstände und
keiten
die Ruhe unsrer Seelen erfordert den Wohlstand
vieler anderer von uns geliebter Personen, deren
Bau eben so zart ist, als der unsrige, und durch
viele boshafte Bemühungen ihrer Nebenmen
schen in Unordnung gebracht werden kan. Zu un
srer vollkommenen Ruhe und Glückseligkeit wird
eine glückliche Zusammenkunft sehr vieler Dinge er
fordert; dahingegen wir, nur durch einen unglückli
chen Zufall, ausserordentlich beunruhiget werden
können; und es steht oft in der Gewalt unsrer Ne
benmenschen, uns diese Unruhe zu machen, ungeach
tet sie unsrer Glückseligkeit nicht sogleich, wenn sie
es wünschen, befördern können.
Dieser schwache ungewisse Zustand unsrer
äusserlichen Glückseligkeit, mus ein mächtiger Bewe
gungsgrund seyn, Friede und Wohlwollen in der
wodurch andere beleidigt und aufgebracht werden
können; weil wir allemal, wenn wir uns den Has
anderer zuziehen, Gefahr laufen, mehr zu verlieren,
Buch.
als wir wahrscheinlicher Weise zu gewinnen hoffen
dürfen. Obgleich die Kräfte der Menschen un
gleich sind: so kan doch die
Kraft ersetzen: und Muth und Entschlossenheit er
setzen den Mangel von beyden, so, daß dadurch ein
Gegner, des Lebens und aller andrer Vergnügungen,
eben so wohl, als des Vortheils beraubt werden kan,
den er bey uns zugefügten Beleidigungen zur Absicht
hatte. Wenn also die Menschen nicht genöthiget
werden, zu ihrer eigenen Vertheidigung gewaltsa
mer Mittel sich zu bedienen: so werden diejenigen,
welche stark und geschickt sind, eben sowohl, als an
dre, den Frieden und die Gerechtigkeit vorziehen;
weil sie nicht wissen, was für einen allgemeinen Un
willen, eine Beleidigung, vermöge des morali
schen Gefühls der Menschen, der sympathetischen
I.
Privatrechte einzelner Personen sind, ihrem
werden in
angebohrne
und erlangte
eingetheilt.
verschiedenen Ursprunge nach, entweder
angebohrne oder erlangte. Die ange
bohrnen
Rechte sind diejenigen, welche einem je
Folgende natürliche oder angebohrne Rechte
lichen oder
angebohrnen
Rechte zum
Leben und
zur Sicher
heit.
einer jeden einzelnen Person, scheinen von der voll
kommenen Art zu seyn.
1. Ein Recht zum
kommenheit
theilt hat, steht einem jeden Menschen, als Men
schen, zu, so lange kein wichtiger allgemeiner Vor
theil erfordert, daß er dem
dungen ausgesezt werde. Dieses Recht wird durch
ungerechte Anfälle, Verstümmelungen oder Er
mordungen verletzet. Der angebohrne Trieb zum
Leben und zur Selbsterhaltung ist für jeden ein
Kennzeichen dieses Rechts, wie auch das unmittel
bare Gefühl des moralischen Uebels bey aller Grau
Buch.
samkeit, wodurch ein unnöthiger
chet wird, oder in der Verminderung der Glückse
ligkeit unsrer Nebenmenschen. Wir übergehen mit
Stillschweigen, daß das Schreckliche in den Gesichts
zügen leidender oder sterbender Menschen, ein jedes
und mit Abscheu gegen die freywirkende Ursache sol
cher unnöthigen Schmerzen, erfüllen.
2. Da die
Verlangen nach seiner eigenen
viele
ihm in naher Verbindung stehen, eingepflanzt, und
jeden mit
nem natürlichen Antrieb, dieselben zu den Endzwe
cken dieser natürlichen Neigungen anzuwenden, ver
sehen hat: so ist es klar, daß jeder Mensch ein na
türliches Recht hat, seine Kräfte, nach seinem eige
nen Gefallen, zu diesen Endzwecken, bey solchen Ar
beiten oder Belustigungen, zu gebrauchen, woraus
den Personen oder Gütern anderer, kein Nachtheil
erwächset; so lange kein allgemeiner Vortheil die
se Arbeit nothwendig haben will, oder aber erfor
dert, daß seine Handlungen, nach der Vorschrift an
derer, eingerichtet werden müssen. Dieses Recht
nennen wir die natürliche Freyheit. Jedermann
Von diesem Recht der natürlichen
werden wir nicht nur durch unsere eigennützigen
Neigungen, sondern auch durch viele grosmüthige
Neigungen, und durch unser moralisches Gefühl
unterwiesen, welches uns in unsern freywilligen
und nach unsrer eignen Willkühr eingerichteten
Handlungen eine grosse Würde und
heit
3. Ein ähnliches natürliches Recht hat je
des vernünftiges Wesen in Ansehung seiner specu
lativischen und practischen Meinungen, und, seinem
Gutdünken und seiner Ueberzeugung nach, zu
urtheilen. Dieses Recht erhellet aus der Einrich
tung der vernünftigen
rer erhaltenen Ueberzeugung, entweder beypflichten
oder widriger Meinung seyn kan, und dasselbe er
fordert natürlicher Weise
se Betrachtungen beweisen, daß dieses Recht unver
äusserlich ist; es kan dem Willen eines andern nicht
unterworfen werden; obgleich bey einem vorher
gehenden von der höhern
oder seiner Unfehlbarkeit gefällten Urtheil, die Mei
nung dieses andern, für eine schwache Seele eine
hinlängliche Ueberzeugung seyn kan. Bey den Mei
Abschnitt.
nungen von der
wird dieses Recht, durch die edelsten Bestrebungen
der Seele, noch mehr bestätiget: da es keine Tu
gend, sondern vielmehr eine Ruchlosigkeit ist, bey
den Meinungen, welche wir für die richtigen hal
ten, nicht zu bleiben, und das Gegentheil zu beken
nen. Diejenigen, welche, in diesen Puncten, der
und was die schwächern Menschen anbelangt, wel
che falsche Meinungen hegen: so ist es gut, sie zu
unterrichten und von der Wahrheit zu überzeugen,
wenn wir können: aber sie zu zwingen, das Ge
gentheil ihrer Meinungen zu bekennen, oder das
jenige zu thun, was sie für lasterhaft oder gottlos
halten, mus allemal ungerecht seyn, da kein Vor
theil der
ein solches Bekäntnis und eine solche Art zu han
deln für diejenigen sündlich seyn mus, welche glau
ben, daß sie es sey. Wenn falsche Meinungen in
der Religion oder
Sicherheit der
schen unfähig machen, die Pflichten der Untertha
nen, welche zur öffentlichen Sicherheit erfordert
werden, auszuüben: so kan es billig seyn, daß die
jenigen, welche diesen falschen Meinungen zugethan
sind, verbindlich gemacht werden, wegen ihres Ver
haltens hinlängliche Sicherheit zu machen
*
, und
die Kosten zu tragen, wenn sie sich anderer bedie
nen, ihre Pflichten für sie zu erfüllen; oder aber
*
Dieses kömt mit der
actione de damno infecto
minderung des Rechts des
Eigenthums ist.
4. Da Gott durch die uns eingepflanzten
verschiedenen Neigungen und durch das moralische
Gefühl, uns den wahren Endzweck des menschli
Die Fälle, wo der öffentliche Vortheil erfor
dern kan, das Leben zu wagen, und uns einem un
fehlbaren
vermittelst einer unparteyischen Vergleichung der
len menschlichen Angelegenheiten thun müssen, wo
wir selten zu einer vollkommenen Gewisheit gelan
gen können. Wenn wir kein Recht über unser Le
ben zum allgemeinen Besten, haben: so sind wir
nicht befugt, es einer Gefahr auszusetzen; denn
über was jemand keine moralische Gewalt hat, das
kan er keinem Zufalle unterwerfen. „
uns in diese Welt gesezt, und wir gleichen Sol
daten, welche ihren Posten nicht eher verlassen
dürfen, bis sie abgerufen werden.“ Dieses ist
das Urtheil des
lein wir müssen die Pflichten des uns angewiese
nen Postens erfüllen, und keine Gefahren scheuen.
Unser einziges Geschäft ist nicht, das Leben, auf ei
nige Zeit, zu verlängern. Wie unsre
und das moralische Gefühl uns von unserm Po
sten und seinen Pflichten unterrichtet: also müssen
uns eben diese Kräfte, wenn wir wieder abgerufen
werden, unterrichten, was die Pflichten des Lebens
sind, wenn es selbst den grössten Gefahren auszu
setzen ist. Wenn es der öffentliche Vortheil erfor
dert: so ruft er, der über uns gebietet, uns mit
eben der Stimme wiederum ab, welche uns unsern
Posten und die Pflichten desselben bekant machte.
5. Ein jeder hat ein natürliches Recht, sich
zu allem, was
gemein ist.
derjenigen Dinge zu bedienen, welche von der Na
Buch.
tur zu dem gemeinen Gebrauch aller Menschen be
stimmt. sind, wovon wir hernachmals reden wol
len. Ein gleiches Recht hat jeder, durch unschäd
liche Mittel sich dasjenige Eigenthum an solchen
Gütern zu erwerben, welche zur Anmassung und
zum Eigenthum geschickt, und noch von keinem
andern in Besitz genommen worden sind. Die na
türlichen Bestrebungen der Menschen, von der ei
gennützigen und geselligen Art, beweisen dieses
Recht. Und es ist offenbar grausam und unge
recht, andere zu hindern, wenn sie sich auf eine un
schuldige Art irgend etwas erwerben wollen. Wenn
aber jemand, auf Unkosten der
gigkeit und Sicherheit seiner Nachbarn, sich etwas
erwerben will: so hat jeder ein Recht, dieses Vor
haben zu hindern, oder ihn anzuhalten, daß er, die
Sicherheit anderer in keine Gefahr zu setzen, hin
länglich versichert.
6. Aus eben diesen Ursachen hat jede un
schuldige Person ein natürliches Recht, mit allen
denjenigen, welche mit ihr Gewerbe zu treiben ge
neigt sind, in eine Gemeinschaft oder in einen Tausch
gewisser Dienstleistungen zu treten. Eine dritte
Person würde sich einer Beleidigung schuldig ma
chen, wenn sie die Wahl dieser Person hindern oder
einschränken wollte, woferne ihr nicht ein Recht
zusteht, die Handlungen derselben einzurichten.
7. Da wir alle ein starkes natürliches Ver
langen haben, hochgeachtet zu werden, und hingegen
vor der Verunehrung den grössten Abscheu fühlen:
so hat jedermann ein natürliches Recht zu dem un
Abschnitt.
schuldigen
barkeit und der Neigungen, welche zu einem gesell
schaftlichen Leben geschickt sind, so lange er dieses
Recht, durch ein entgegengesetztes Verhalten, nicht
verlohren hat.
8. Aus dem natürlichen und starken Triebe
stand.
zum
das angebohrne Recht, welches jedem zusteht, mit
einer andern einwilligenden Person in eine ehe
liche Verbindung zu treten. Hierinnen ist nie
mand dem Widerstand anderer oder einem vorher
gehenden Contracte unterworfen. Nirgends ist
die Vorstellung der
beyden Seiten erwiedertes Wohlwollen, zu der
Glückseeligkeit der Parteyen, so nothwendig, als
hier, und der Zwang mus dieselben unglücklich
machen.
Daß alle diese Rechte unter die vollkommenen
gehören, erhellt aus dem grossen Elend, welches
die Verletzung derselben der auf diese Art beleidig
ten Person zuziehen würde; und eine allgemeine
Verletzung derselben müsste alle Gesellschaft unter
den Menschen aufheben.
II.
Die natürliche Gleichheit der Men Natürliche Gleichheit der Men
schen.
schen besteht vornehmlich darinnen, daß diese
Die Menschen sind, in Ansehung der
heit
der unterschieden; allein die geringste Art derselben,
welche den Gebrauch der
nen von den Thieren unterschieden, daß sie, ver
möge der Ueberlegung und des Bewusstseyns, eines
Abschnitt
ungleich grössern Glücks oder Unglücks fähig sind.
Kaum kan ein Mensch glücklich seyn, welcher sieht,
daß er alle seine Vergnügungen nur bittweise ge
niesst, und daß sie alle von dem Willen anderer
abhängen, auf deren liebreiche Absichten er sich
nicht sicher verlassen darf. Alle Menschen haben
ein starkes Verlangen nach
thum, sie haben Begriffe von Recht, und starke
natürliche Triebe zu ehelichen Verbindungen, zu
Familien und Abkömlingen, und ein heftiges
Verlangen zur Sicherheit. Es ist wahr, daß die
gemeinen Menschen überzeugt seyn können, daß ei
nige wenige ihnen in schätzbaren Geschicklichkeiten
sehr überlegen sind. Dieser feinere Theil des
menschlichen Geschlechts hat unvollkommene Rech
te, höhere Dienstleistungen von den übrigen zu er
langen. Sie werden von der
schicktesten empfohlen, welchen die Besorgung der
allgemeinen Angelegenheiten der
solchen Entwürfen der Macht, anvertrauet werden
könne, wodurch die Gesellschaft die Versicherung
erhält, daß ihren gemeinen Vortheilen dadurch am
besten gerathen sey. Wenn diese Versicherung
fehlt: so mus eine, durch gewaltsame Mittel, er
langte Macht über die Güter anderer, das Elend
des Ganzen nach sich ziehen. Blose Versprechun
gen geben keine Sicherheirt. Die boshaftesten
und gefährlichsten Tyrannen können sich die schön
ste Gestalt geben, bis sie sich in der Macht festge
setzt haben. Wir müssen dahero den Schlus ma
chen, daß weder natürliche noch erlangte Talente
ein vollkommenes Recht hervorbringen können, sich
Buch.
einer Macht über andere, ohne ihre Einwilligung,
anzumassen.
III. Dieses widerlegt die Lehre des
und einiger andern alten Schrifsteller, „daß näm
lich einige Menschen, welche wenig
einen starken und zur Arbeit geschickten
hätten, von Natur Sclaven, und daß hingegen
die feinern und weisern Geister mit schwächern
Körpern, von Natur Oberherrn wären; daß die
Natur die erstern bestimmt habe, den leztern un
terwürfig zu seyn, so wie die lastbaren Thiere den
Menschen unterworfen sind; daß die Bewohner
gewisser Länder, besonders die
samt feinere Geister und zur Oberherrschaft be
stimmt wären, der übrige Theil der Welt aber
zur Sclaverey versehen sey; daß durch diese Un
terwürfigkeit, in welcher die einfältigern und un
verständigern gegen die weisen und verständigen
Menschen stehen, der allgemeine Vortheil des
Systems am besten befördert werde, so wie der
Vortheil des Systems der beseelten Geschöpfe,
durch die Macht der vernünftigen über die unver
nünftigen, befördert wird.“
Die Macht der
Dieser Verfasser ist, in seinen so billig bewunderten
Büchern von der
der
Menschen vortheilhaftesten Gründe zu einer bessern
Einrichtung der bürgerlichen Macht eingesehen.
Er lebte in dem merkwürdigen Jahrhundert, da
Griechenland mehr grosse und vortrefliche Geister
Abschnitt.
hervorbrachte, als vielleicht jemals die Welt auf ein
mal gesehn hatte. Wenn
ten gelebt hätte: so würde er erfahren haben, daß
dieses so geliebte Land, vor sechszehn Jahrhunder
ten, selten etwas hervorgebracht hat, das in der
ausserordentlich gewesen wäre, da unterdessen viel
grosse
zur Sclaverey und Barbarey verurtheilt hatte.
Ist es nicht aus der
giebt kein
Recht zur
Macht.
bekant, daß diejenigen, welche eine geringere Fähig
keit zu schönen Künsten besitzen, doch oft andre, die
mehr Fähigkeit dazu haben, an Fleis, Klugheit, Ge
rechtigkeit und Muth, und an allen Geschicklich
keiten, welche zur Regierung erfordert werden, weit
übertreffen. Man findet oft, daß Menschen von
geringen Talenten zu den Künsten oder der Politik,
die vortreflichste
liebenswürdigen Tugenden im Privatleben, und das
feinste Gefühl der
len solche schätzbare
oder auf ihre Vortheile und innere Zufriedenheit
weniger gesehen, und sollen dieselben dem Vergnü
gen der Kunsterfahrnen und der Ehrgeizigen un
terworfen werden? Das natürliche Gefühl der
Gerechtigkeit und Menschenliebe, verabscheuet die
sen Gedanken.
Wenn es die Absichten der
sen wäre, daß einige Menschen ein vollkommenes
Recht haben sollten, die übrigen, ohne ihre Einwil
ligung, zu beherrschen: so würden diese Beherrscher
Buch.
durch eben so sichtbare und unstreitige Kennzeichen,
von den andern zu unterscheiden seyn, als die Men
schen, durch die menschliche Gestalt, von den Thie
ren unterschieden werden. Man würde Nationen
finden, die ganz von Sorgfalt, von Ueberlegung,
von
thumsrechts, und von der Vorsorge auf die Zukunft
leer wären, und keine
nach der
Sclaven anderer seyn, und, so lange sie Unterhalt
hätten, alle Dinge mit solchen Augen ansehen, als
ob sie dieselben nur aus Gunst genössen; sie wür
den niemals die Weisheit ihrer Lehrer sicher in
Zweifel ziehen, noch wegen der Absichten derselben
einigen Argwohn oder eine weissagende
terhalten. Aber, wo findet man dergleichen Ge
schöpfe in menschlicher Gestalt?
Eine höhere Weisheit, ein durchdringender
zeugt wäre, ertheilt kein Recht zur Herrschaft, weil
sie von einer eigennützigen verderbten Gemüthsart
zu den boshaftesten Absichten, und selbst zu dem all
gemeinen Elend der
den können. Die Güte müsste gewis seyn, ehe die
Unterthanen Zufriedenheit und
einer Regierung geniessen könten, die sich auf den
Willen gründete. Nun ist es aber unmöglich von
der unwandelbaren Güte der Absichten völlige Ge
wisheit zu geben. Die schlimmsten werden darauf
Ansprüche machen, bis sie sich der Macht versichert
haben. Ja, halten sich nicht zuweilen die Unwis
Abschnitt.
sendesten für weiser, als ihre Nebenmenschen, und
für geschickter zur Regierung? Und wie selten wer
den Menschen von höhern Geschicklichkeiten, wegen
der Personen, die in der Regierungskunst die vor
treflichsten sind, einig seyn. Wenn also das Recht
über andre zu herrschen, auf höhere Geschicklichkei
ten, ohne alle Einwilligung der Unterthanen, ge
gründet wäre: so würden unendliche Streitigkeiten
entstehen, die allein durch Gewalt entschieden wer
den könten.
IV. Was die natürlichen Rechte von der un
mene natür
liche Rechte.
vollkommenen Art anbelangt; so werden fast alle
vorzügliche und liebenswürdige Tugenden des Le
bens zur Belohnung und Erfüllung derselben ange
wendet. Wir können den Menschen eine Aussicht
in ihre Pflichten öfnen, wenn wir dieselben als
Erfüllungen einiger besondern Rechte der Personen,
gegen welche sie beobachtet werden, und zwar sol
cher Rechte, die zu ihrer Glückseligkeit nothwendig
sind, betrachten, da ein vollkommenes oder unvoll
kommenes Recht sich auf eine Verbindlichkeit oder
Pflicht bezieht. Allein, die meisten von diesen
Pflichten werden durch eine edlere
gung empfohlen, nemlich durch die
selbst, und durch die Würde, welche in der Ausü
bung jeder
sinnung gegen unsern Nebenmenschen, liegt; denn
wie wir oben bemerkt haben, so beweist die Erfül
lung vollkommener Rechte weiter nichts, als die Ab
wesenheit der Ungerechtigkeit, dahingegen alle an
Buch.
ständige Tugenden und Pflichten des Lebens sich auf
die Rechte, welche unvollkommen genennt werden,
beziehen, und die
ten, eine geheiligte Verbindlichkeit, zu diesen Pflich
ten, fühlen, und in der Unterlassung derselben eine
eben so grosse moralische Schändlichkeit wahrneh
men, als in den Handlungen liegt, wodurch die
vollkommenen Rechte anderer verletzet werden.
Diese unvollkommenen Rechte sind
1. Ein Recht, welches jedermann zu allen
denjenigen nützlichen Dienstleistungen seiner Ne
benmenschen hat, die denselben weder Mühe noch
Aufwand verursachen.
*
Es ist eine ausseror
dentliche Lieblosigkeit, sich ihrer zu weigern.
2. Jedermann hat ein Recht zu solchen
Dienstleistungen, welche Mühe und Aufwand ver
ursachen, wenn sie ihm zur Beyhülfe bey ei
nem grossen Verlust, oder in einer Widerwärtig
keit, die ungleich grösser ist, als eine kleine Mühe,
oder ein kleiner Aufwand, welcher zu dieser Bey
hülfe erfordert wird, nothwendig sind.
3. Menschen von ausserordentlichen
den
Dienstleistungen, und jedes tugendhaftes Herz em
pfindet eine stärkere Verbindlichkeit zu denselben,
wenn es auch von diesen Menschen vorher keinen
Vortheil erlangt hat. Solche Menschen haben
ein Recht, in eine nähere Verbindung und
schaft*
Officia innoxiae utilitatis.
Abschnitt.
durch ihre Dienstleistungen zu höhern Ständen be
fördert zu werden, wo sie, durch Ausübung ihrer
Tugenden, das gemeine Beste mehr befördern kön
nen. Hierzu werden wir, durch die tugendhaften
Neigungen von weiterm Umfange, welche auf das
öffentliche Beste gerichtet sind, verpflichtet.
4. Jede Person, welche zur Gottesfurcht ge
neigt, und darinnen zuzunehmen Willens ist, hat
ein ähnliches Recht, zu einer gottesdienstlichen Ge
sellschaft zugelassen zu werden, damit sie durch die
Unterweisung und Andacht der
werden möge; wenn sie nicht, durch gottlose und
unmoralische Lehren oder Handlungen, welche sie zu
einem schädlichen Mitglied der Gesellschaft machen,
dieses Recht verloren hat.
5. Unglückliche Personen, welche sich nicht
durch ihre Trägheit oder
tugendhafter Menschen unwürdig gemacht haben,
können davon nicht ausgeschlossen werden, und die
Freygebigkeit tugendhafter Menschen, welche ge
neigt sind, sie gegen dieselben auszuüben, darf kei
ner Einschränkung unterworfen seyn, wenn nicht
würdigere Gegenstände in einem grössern oder glei
chem Elend dieselbe mehr nöthig haben.
V. Bey der Freygebigkeit ist die Wichtigkeit
tigkeit der
Freygebig
keit.
des Geschenks in Ansehung desjenigen, welcher es
empfängt, in einem directen
Verhältnis gegen
den Werth des Geschenks, und seine Dürftigkeit;
und, in Ansehung des Gebers, ist der wirkliche Ver
lust in einem umgekehrten
Verhältnis gegen den
Buch.
Werth und seinen Reichthum: das heisst, je grösser
sein Reichthum ist, desto weniger wird ein gütiges
Herz den Mangel des Gegebenen empfinden; und
das Gefühl des Verlusts, welches bey einem elen
den Geitzigen, wegen einer Kleinigkeit, anzutreffen
ist, komt in keine Betrachtung. Die Tugend ei
nes Geschenks, ist auf gleiche Art, in einem directen
Verhältnis gegen den Werth des Geschenks, und in
einem umgekehrten gegen den Reichthum des Ge
bers, in so weit die Menschen, nach einer äusserli
chen Gewisheit urtheilen können; da auf diese Art
die Stärke einer edelmüthigen Neigung sich über die
eigennützige offenbar erhebt.
Die Vermehrung der
tigen kan ungleich grösser seyn, als die Verminde
rung der Glückseligkeit des Gebers, wenn er reich
ist: und dieses beweist, daß Personen in dergleichen
Umständen, vornehmlich zur Freygebigkeit verpflich
tet sind. Allein es kan die Summe und das Ver
hältnis desjenigen, was ein tugendhafter Mann ge
ben sollte, nicht so genau bestimmt werden. Die
verschiedenen Verbindungen im menschlichen Leben,
die Anzahl der Dürftigen, und die Grade ihres
Elends, können verschiedene Summen und Ver
hältnisse, zu verschiedene Zeiten erfordern. Ge
setze, welche eine gewisse Summe, oder ein gewisses
Verhältnis gegen den Reichthum des Gebers be
stimmen wollten, würden unvernünftig seyn, und
die
Die Freygebigkeit würde alsdenn nichts anders
seyn, als die Bezahlung einer Abgabe, oder einer
Abschnitt.
die edle und grosmüthige Gesinnung des Gebers
keinen Schlus machen können, und die Freygebig
keit würde aufhören, ein Band der
und Dankbarkeit zu seyn.
In Ansehung der Freygebigkeit sind ver
schiedene vernünftige allgemeine
Erstlich, daß sie dem moralischen Character der Ge
genstände, gegen welche sie ausgeübet wird, unter
dem falschen Schein eines Vortheils nicht zum
Nachtheil gereiche, wenn dieselben dadurch zur
Trägheit, Niederträchtigkeit der Gesinnungen, oder
zu lasterhaften Neigungen verleitet werden. Zwey
tens, daß man nicht durch eine unmässige Ausü
bung derselben ihre eigene Quelle erschöpfe, und sich
unfähig mache, sie künftig, wenn würdigere Ge
genstände vorkommen, auszuüben, oder denjenigen,
welchen man durch eine heiligere Verbindung zum
Beystand verpflichtet ist, Dienste zu leisten.
Wenn viele auf einmal von uns Hülfe und
Beystand fordern, und wir nicht im Stande sind,
ihnen allen zu helfen
wir bey unserm Entschlus hauptsächlich diese vier
Umstände in Erwägung ziehen; (obgleich einige
entferntere, die sich auf den öffentlichen Vortheil
beziehen, in vielen Fällen, zum allgememeinen Be
sten, vorgezogen werden können;) „die Würde,
oder der moralische Werth der Gegenstände; die
Grade der Bedürfnisse; die Bande der Neigung,
die entweder die Blutverwandschaft, oder eine
vorhergehende
Buch.
und vorhergegangene Gefälligkeiten, die sie uns
erwiesen haben.“ Je mehr von diesen Umstän
den in einer Person zusammen kommen, desto heili
ger ist unsre Verbindlichkeit, ihr beyzustehen. Tu
gendhafte unglückliche Aeltern werden durch alle
diese Umstände, vor allen andern, unserm Beystand
empfohlen. Nach ihnen empfehlen uns die Ban
de des Bluts unsre
diese sollten diejenigen, welchen wir zur Dankbar
keit verpflichtet sind, folgen, ja zuweilen sollten sie
den vorhergehenden vorgezogen werden. Und
wenn die andern Umstände gleich sind; so sind die
Tugendhaftern den weniger Tugendhaften vorzu
ziehen.
Obgleich die Pflichten der blosen Höflichkeiten,
zehnten und achtzehnten
gegen Personen, mit welchen wir in keiner besondern
Verbindung stehen, andern besondern nachzusetzen
sind, wenn sie auch, neben heiligern Pflichten, beste
hen, und, ihnen unbeschadet, ausgeübet werden kön
ten: so sind sie doch überhaupt von mehrerer Wich
tigkeit, und von einer grössern
heit
ser Art erregen die Dankbegierde, und durch die Ge
walt des Beyspiels erwecken sie die Neigungen von
weiterm Umfange: sie geben einer ganzen
ja dem ganzen
würdige Gestalt. So werden ein gefälliges Betra
*
Man sehe den
im vierzehnten, funfzehn
ten, sechszehnten, sieben
Abschnitt des ersten Buchs
de officiis.
VI. Die Pflichten der Dankbarkeit folgen na
türlicher Weise auf die Pflichten der Freygebigkeit
und sind auch ausserordentlich nützlich; und die
Verabscheuung derselben ist sehr schädlich. Eine
vorzügliche Ausübung der Dankbarkeit erregt jede
edelmüthige Neigung und macht die Menschen lie
benswürdig.
Einer
Neigung andern Gutes zu erzeigen, natürlich, und
sie thut es vermöge ihrer eigenen liebreichen Gesin
nungen und aus einem natürlichen Antrieb, densel
ben gemäs zu handeln; ihre Gutthaten mögen er
wiedert werden, oder nicht. Sie hat ihren vor
nehmsten Endzweck erreicht, wenn sie andern Wohl
thaten erwiesen hat. Allein die geringern Tugen
den anderer werden durch die Undankbarkeit ge
schwächt: und die Undankbaren sind die gemeinen
Feinde der Dürftigen, da sie die Freygebigkeit ab
schrecken, und, so viel an ihnen ist, die
stopfen, woher die Dürftigen Hülfe und Beystand
erhalten.
Von den Erwiederungen der Dankbarkeit
kan eben so wenig ein genaues und bestimmtes
Buch.
Maas angegeben werden, als von den Erwiederun
gen der Freygebigkeit. Die Gleichheit in Anse
hung der erhaltenen Wohlthaten, kan, in vielen
Fällen, überschritten, in andern aber nicht einmal
erreicht werden. Ein menschenfreundliches dank
bares Herz, ist, nebst der Klugheit, sich selbst das
untrüglichste Maas, da die wohlthätige Seele die
Erfinderin der Wohlthaten seyn mus. Es sind in
diesem Falle eben die Gründe wider bestimmte Ge
setze vorhanden, als bey der Freygebigkeit.
Wir haben alle eine allgemeine Verbindlich
keit zur Dankbarkeit gegen diejenigen, welche einem
schätzbaren Theile des menschlichen Geschlechts edel
müthige und nützliche Dienste geleistet haben. Wir
müssen sie ehren und hochachten, und ihre Vorthei
le befördern; wir müssen ihnen das verdiente Lob
ertheilen, die angenehmste Belohnung für edle See
len, und mir müssen uns ihrer
ches Verhalten erweckt jede grosmüthige Neigung,
und ermuntert die Menschen zur
jenigen, die ungemeine
Hofnung des Ruhms überwiegt den Nachtheil und
den Verlust, welcher oft Menschen von gerin
gern Tugenden von edelmüthigen Unternehmun
gen abschreckt.
I.
Wir müssen nunmehro die erlangten Rechte
betrachten. Dieselben sind entweder
sind dinglich
und persön
lich.dingliche, wenn das Recht an gewisse Güter ver
knüpft ist; oder persönliche, wenn das Recht an
eine Person verknüpft ist, ohne daß man auf den
einen Theil ihrer Güter mehr Anspruch zu machen
hat, als auf den andern. Vermöge der persönli
chen Rechte haben wir zu fordern, daß uns etwas
geleistet oder vergnügt werde, und wir überlassen es
dem Gefallen der verbundenen Person, aus welchem
Theil ihrer Güter sie uns befriedigen will.
Unter den dinglichen Rechten ist das vornehm
ste das Eigenthum an solchen Dingen, welche in
dem menschlichen Leben Nutzen schaffen. Was den
Ursprung desselben anbelangt; so untersuchen wir
zuförderst das allgemeine Recht, welches alle Men
schen haben, die unbeseelten Dinge und die beseelten
Geschöpfe von der niedrigen
und wir betrachten das Eigenthum, welches ein
Mensch an gewissen Dingen haben, und vermöge
dessen er andere von dem Gebrauch derselben aus
schliessen kan.
II. Da die Thiere, durch ihre
angebohrnen Triebe ohne alle Fähigkeit, die Begrif
fe des Rechts oder Unrechts zu betrachten, angetrie
ben werden, solcher Früchte des Erdbodens sich zu be
Buch.
dienen, welche ihnen ihre
welchen ihre Begierde sich zu erhalten, sie reizet:
so haben wahrscheinlicher Weise die Menschen an
fangs, aus ähnlichen Trieben, ohne Betrachtung
des Rechts, auf eine ähnliche Art gehandelt. Nach
dem sie zu der
digen Dinge, und zu den Begriffen des Rechts ge
langt waren: so entdeckten sie bald, daß es der
Wille Gottes sey, daß sie sich der unbeseelten Ge
schöpfe der Erde zu ihrem Unterhalt, und zu ihrem
gewöhnlichen Leben gebrauchen sollten, und daß ih
nen zu diesem Gebrauch aus folgenden deutlichen
Gründen ein Recht zustünde. Sie nehmen wahr,
daß die Menschen die vortreflichsten Geschöpfe sind,
welche dadurch unterhalten werden können, und daß
sie, ohne diese Unterhaltung, bald auf eine elende Art
umkommen würden; daß ihre Triebe und Sinnen
offenbar darauf eingerichtet sind, sie zu dem Ge
brauch derselben anzuführen; daß die Triebe der
niedrigern beseelten Geschöpfe, welche keine höhern
Kräfte haben, denselben Einhalt zu thun, deutlich
beweisen, daß die unbeseelten Dinge für die be
seelten Geschöpfe zum Unterhalt bestimmt sind; daß
diese Dinge, so schön und bewundernswürdig sie
auch seyn mögen, von sich selbst untergehen, und zu
der allgemeinen Masse der Erde, zurückkehren müss
ten, wenn sie nicht die Bestimmung hätten, das Leben
der beseelten Geschöpfe zu unterhalten, und ihre
seligkeit
alle Stände gleichgültig sind, und durch keine Aen
derung, die sie betrift, eine Verminderung oder
Abschnitt.
Vermehrung von irgend einer Glückseligkeit veranlas
set wird, ausser, wenn beseelte Geschöpfe sich ihrer bedie
nen. Diese Betrachtungen werden sattsam zeigen,
daß eine grosse Vermehrung von Glückseligkeit
und eine Verminderung von Elend erfolgen mus,
wenn die beseelten Geschöpfe zu ihrem Unterhalt,
sich der unbeseelten Früchte der Erde bedienen; und
es folglich recht und der Absicht des Schöp
fers gemäs ist, daß sie davon Gebrauch machen
sollen.
Ein neuerschaffenes Paar würde kaum, auch
in den den feinsten Gegenden, sich erhalten können,
wenn sie keinen Platz fänden, der für sie auf eine
künstliche Art eingerichtet und mit Früchten, die zu
ihrem Unterhalt gebraucht werden könten, genug
sam versehen wäre. Jhre ersten Tage müssten
ihnen voll Angst und Gefahr verfliessen, wenn sie
nicht von den zu ihrem Gebrauch dienlichen Früch
ten, von den Naturen der sie umgebenden Thiere,
von den Veränderungen der Jahrszeiten, und in
den
kunft sich mit Vorrath zu versehen, unterrichtet
wären. Sie würden keine Entdeckung nöthig
haben, ihre Rechte zu lernen; allein sie würden
nöthig haben, von der Art, sich derselben zu bedie
nen, unterrichtet zu werden.
III. Das Recht, die untersten Arten der be
die unterste
Art der be
seelten Ge
schöpfe zu
gebrauchen.
seelten Geschöpfe zu gebrauchen, ist nicht so klar,
und hier ist ein Unterricht nothwendiger, wenn eine
frühzeitige Bedürfnis den Gebrauch erfordert; und
doch wird die
Buch.
Recht des menschlichen Geschlechts, bald bekant
machen. Ein vernünftiges Wesen, welches Be
griffe von Recht und Unrecht hat, welches bey ei
nem Ungemach, die Arbeiten, oder einen andern
Gebrauch unedlerer Geschöpfe nöthig hat, und,
vermittelst der Vernunft, sich der natürlichen Macht
solcher Geschöpfe zu seinem Unterhalt und zu seiner
Glückseeligkeit sich zu bedienen, bewusst ist, wird sein
Recht bald muthmassen, und ein weiteres Nach
denken wird seine Muthmassung bestätigen.
Es ist wahr, diese Geschöpfe sind einigen
Glücks und Elends fähig; ihre Leiden erregen
natürlicher Weise unser
den Beystand, der ihnen in allerhand Zufällen ge
leistet wird, und wir misbilligen alle unnöthige
Grausamkeit gegen dieselben, als den Beweis einer
unmenschlichen Gemüthsart. Könten wir genug
samen Unterhalt haben, ohne die Ruhe oder das
Vergnügen der beseelten Geschöpfe, von der unter
sten Art, zu vermindern: so würde es grausam
und ungerecht seyn, denselben ein unnöthiges Lei
den zu verursachen, und ihre Glückseligkeit zu ver
mindern. Allein das menschliche Geschlecht ist ei
nes ungleich grössern Glücks oder Elends fähig.
Die äusserlichen
scharf, oder noch schärfer seyn; allein die Menschen
haben höhere Sinnen oder Kräfte, Vergnügen oder
lustigungen vermittelst der
selligen Neigungen, der Sympathie, ihres morali
Abschnitt.
schen Gefühls und des Gefühls der
Jhre Vernunft und Ueberlegung sammelt Freuden
und Schmerzen, Ehre und Schande, aus vergan
genen und zukünftigen Begebenheiten, die sowohl
andere, als sie selbst, betreffen; dahingegen die un
vernünftigen Thiere, sich blos auf dasjenige, was
gegenwärtig in ihre
Auf diese Art behaupten die Menschen, in dem Sy
stem der beseelten Geschöpfe dieses Erdbodens, die
oberste Stelle.
Man setze einen unparteyischen Beherrscher
zu den Ar
beiten der
Thiere.
voraus, der alle beseelte Geschöpfe, nach dem Ver
hältnis ihrer Würde betrachtet, und den besten
Zustand aller, zur Absicht hat; man setze voraus,
daß die höchste Art derselben, die Menschen, sich so
sehr vermehren, daß weder die natürlichen Früchte
der Erde noch diejenigen, die sie sich durch ihre ei
gene Arbeit verschaft haben, zu ihrem Unterhalt
hinlänglich sind; und daß sie von übermässiger Ar
beit und Ungemächlichkeit unterdrückt werden wür
den, wenn sie ohne den Beystand der unvernünftigen
Thiere seyn müssten. In diesem Falle könten die
Menschen den zahmern Thieren, durch die Ver
theidigung gegen die wilden Bestien, durch Ver
schaffung reiner Weiden, und in der Vorsorge vor
hinlängliches Futter im Winter, keinen Beystand
leisten: die zahmern Arten müssten also alle um
kommen. Einige von diesen Arten können, ver
möge ihrer grössern Stärke, gewisse bestimmte Ar
beiten aushalten, oder gewisse Verrichtungen mit
weit weniger Mühe, als die Menschen, zu Stande
Abschnitt.
bringen; und da sie nicht nachzudenken im Stande
sind: so werden sie, bey einer jeden Arbeit, weni
ger leiden. Durch ihre Beyhülfe können die Men
schen ihre
sich von Uebeln befreyen, die weit grösser sind, als
die Arbeiten, welche sie den Thieren auflegen.
Auf diese Art gewinnen die Menschen mehr Zeit,
und es ist ihr eigener Vortheil, ihre Mitarbeiter
zu vertheidigen und zu versorgen, und die Fortpflan
zung derselben zu befördern. Dieses ist ein Sy
stem voll der schönsten
bindung und Abhängigkeit der Theile mit und von
einander, welche auf das gemeine Beste des Gan
zen abzielet. Es gereicht zum Vortheil des ganzen
Systems, daß, so viel nur möglich, ein grosser
Theil der härtern Arbeiten, die in dem Ganzen
nützlich sind, auf denjenigen Theil des Systems ge
legt werden können, dem sie das geringste Uebel ver
ursachen, und der zu höhern Verrichtungen, welche
unterdessen der höhere Theil, durch die Befreyung
von diesen Arbeiten, zu edlern Verrichtungen
und Vergnügungen, deren sie allein fähig sind, Zeit
gewinnet, und dem untern Theil nothwendig Nah
rung und Vertheidigung verschaft. So werden
die zahmen Arten durch die menschliche Herrschaft
über die unvernünftigen Thiere, wenn sie mit ge
höriger
wird, glücklicher, und das menschliche Leben wird
ungemein erleichtert. Dieses beweist sattsam,
daß diese Herrschaft gerecht ist.
Allein das, überdieses, die Menschen
und andre beseelte Geschöpfe sich so stark vermehren,
haben kein
gültiges
Recht Recht
wider die
Menschen.
daß zu ihrem Unterhalt keine hinlänglichr Nahrung
vorhanden ist; so erfordert das Beste des ganzen
Systems, daß, wenn die edlern und die unedlern
Arten zusammen, sich nicht sattsam erhalten oder
vermehren können, die edlern lieber vermehrt wer
den müssen; und es mus, für die mit Nachdenken
über das Künftige begabte Geschöpfe, ein grösseres
Uebel seyn, durch Gewaltthätigkeiten, durch Man
gel der Nahrung, oder durch irgend eine andre Ur
sache, die vorher gesehen werden kan, umzukommen,
als es für solche seyn kan, welche nur den gegen
wärtigen
Thiere können dahero kein gültiges Recht oder Ei
genthum an irgend einem Dinge, das zur Erhaltung
des menschlichen Lebens nothwendig ist, gegen die
Menschen haben. Hätte
daß die unvernünftigen Thiere ein solches Recht zu
einem Theil des Erdbodens oder zu einigen Gütern
haben sollten, die sie einmal besessen haben, so, daß
sie die Menschen in ihrer grössern Bedürfnis solcher
Dinge, davon ausschliessen könten: so würde die
ses ein Recht gewesen seyn, welches dem grössten
Vortheil des ganzen Systems entgegen gewesen
wäre; und dieses lässt sich nicht denken. Er wür
de gewis den unvernünftigen Thieren die Fähigkeit
mitgetheilt haben, ihre Gränzen zu bezeichnen, ihre
Befugnisse bekant zu machen, und mit den Menschen
darüber zu handeln.
Dem ungeachtet aber drückt man sich sehr
richtig aus, wenn man sagt, die Thiere haben ein
Recht, daß ihnen kein unnöthiger Schmerz, kein un
nöthiges Elend verursachet werde. Die Men
schen werden, durch ihr Gefühl des
von diesem Rechte, und von ihrer Verbindlichkeit,
die sich darauf bezieht, unterrichtet. Es ist un
menschlich und unmoralisch, die Thiere unnöthiger
Weise zu
Besitzes zu berauben, welcher den Vortheilen der
Menschen nicht entgegen ist. Es ist wahr, die
unvernünftigen Thiere haben keinen Begrif von
Recht oder von moralischen Eigenschaften: allein
die
ben sie ihre Rechte, welche ihnen die Erwachsenen
zuzugestehen verbunden sind. Wir übergehen mit
Stillschweigen, daß eine oft wiederholte Grausam
keit, gegen die unvernünftigen Thiere, die
einem ähnlichen Verhalten gegen unsre Nebenmen
schen gewöhnen könte.
IV. Allein, da die Menschen sich so stark ver
mehren, daß alle ihre Arbeiten, mit der Beyhülfe
der Thiere zusammengenommen, ihnen keinen hin
länglichen Unterhalt verschaffen können; so ist es
offenbar, daß sie, zu der Vertheidigung der zahmen
Arten, welche zur Arbeit nicht geschickt sind, keine
Mühe anwenden werden, wenn sie nicht dieselben
auf andre Art gebrauchen könten: solche Arten
müssten aus allen wohlbeschaffenen Ländern ver
bannt, und den wilden Bestien und der Kälte
des Winters und dem Hunger überlassen werden.
Abschnitt.
Es mus dahero zum Vortheil dieser Arten gerei
chen, daß die Menschen von denselben, durch ihre
Milch oder Wolle, oder auf andere Art, Vortheile
haben können, wodurch sie für ihre Vertheidigung
und Beschützung belohnt werden. Auf diese Art
werden diese Geschöpfe ein glücklichers und län
gers Leben geniessen, und sich vermehren.
Da aber die Menschen sich so sehr vermehren,
sie zum Un=
Unterhalt zu
gebrauchen.
daß aller dieser Gebrauch der Thiere nicht hinläng
lich ist: so müssten die Menschen alle solche Thiere,
welche zu dergleichen Gebrauch nicht geschickt sind,
von ihrer Sorgfalt ausschliessen; und wenn nicht
ein andrer Gebrauch derselben ausfindig gemacht
werden kan, die Menschen zu der Sorgfalt für sie
zu ermuntern, und dafür zu belohnen, so müssten
sie einem elenden Zustand in Wüsteneyen, und der
Gefahr, durch wilde Bestien, oder aus Mangel des
Futters, umzukommen, überlassen werden; indem
viele von den zahmen Thieren sich mehr fortpflanzen
und vervielfältigen, als es zu dem Gebrauch nöthig
ist, welchen die Menschen von diesen Thieren, so
lange dieselben leben, machen können. Die
bezeichnet hier einen andern Gebrauch, und wir sehen,
daß viele beseelte Geschöpfe, von ihren natürlichen
Trieben, angewiesen werden, sich von dem Fleische
andrer beseelter Geschöpfe zu nähren. Diejenigen
von der untern
die von der obern bestimmt sind, leben, empfinden
und vergnügen sich auf einige Zeit, und zulezt kom
men sie auf eine eben so leichte Art um, als wenn
Buch.
sie vor Alter, Kälte oder Hunger stürben. Die
Erde und die Thiere hätten von einer ganz andern
Beschaffenheit seyn müssen, ausserdem hätten diese
anscheinenden Uebel nicht vermieden werden kön
nen. Die höhern
versehen werden; und es ist besser, daß diese Spei
se auf einige Zeit beseelt ist, und einige geringe
pfindungen
wäre, und blos zu der Nahrung beseelter Geschöpfe
diente. Diese niedrigere Ordnungen können auch,
so lange sie leben, in der Welt nicht geringe Dienste
thun. Die
nern Insecten, der ordentliche Raub der Vögel und
Fische, sich von Fäulnis nähren, wodurch sie die
Unreinigkeit der Luft verhindern, und auf diese Art
dem ganzen System nützlich sind.
Es gereicht einem System beseelter Geschöpfe,
zum Vortheil, wenn die edlern Arten sich vermeh
ren, obgleich diese Vermehrung die Anzahl der un
edlern vermindert. Ein gewaltsamer
vernünftigen Thiere durch die Hände der Menschen,
kan für sie ein geringeres Uebel seyn, als der Tod,
welchen sie ausserdem würden erdultet haben, und
der auch früher erfolget seyn würde, wenn sie von
der Sorgfalt der Menschen ausgeschlossen worden
wären. Dadurch, daß sie den Menschen zur Spei
se dienen, werden die Menschen veranlasset, ihnen
ein bequemeres Leben zu verschaffen, und ihre Fort
pflanzung zu befördern. Sie werden durch die
re Anzahl wird verstärkt, und ihr Tod erleichtert:
Abschnitt.
und das menschliche Leben wird in solchen Gegen
den, die ausserdem Einöden gewesen seyn würden,
ein angenehmer Zustand. Die Absichten der Na
tur, die unvernünftigen Thiere den Menschen zu ih
rer Speise zu überlassen, ist also offenbar, und die
Richtung derselben auf das allgemeine Beste des
Systems, beweist, daß die Menschen die Macht
haben, die Thiere zu diesem Gebrauche anzuwenden.
Wenn alle diese Betrachtungen sich den Men
schen nicht sogleich dargestellt haben: so ist es wahr
scheinlich, daß sie des Fleisches der Thiere nicht so
fort benöthiget gewesen sind. So bald sie dessen
benöthiget waren; hat ihre eigene Ueberlegung ih
nen dieses Recht entdeckt. Und doch ist dieses
Recht dem natürlichen
Herzens so sehr zuwider, daß man eine ausdrückliche
Erlaubnis dazu, vermittelst der
für überflüssig halten kan.
*
V. Wir betrachten nunmehro das Recht des
Eigenthums, welches einem Menschen, mit Aus
schliessung seiner Nebenmenschen, zustehet.
*
Diese Sache ist unter
den nördlichen Völkern so
wenig streitig, daß diese
Betrachtungen unnöthig zu
seyn scheinen können. Allein
es ist auch bekant, daß vie
le grosse Secten und
tionen
den Menschen dieses Recht
streitig machen. Und eini
ge grosse Männer unter
uns haben behauptet, daß,
ohne eine
oder eine ausdrückliche Er
laubnis
Recht nicht haben würden.
Wenn ihre Gründe triftig
wären: so würden sie un
glaublich machen, daß wir
eine Erlaubnis dazu, durch
die Offenbarung, hätten er
langen können.
Ein jeder wird durch seine natürlichen Triebe
des Eigen
thums.
massen, welche zum gegenwärtigen Gebrauch ge
schickt, und gleichwohl allen gemein sind, mit einer
völligen Ueberzeugung von seinem Rechte, wenn er
zu
sieht, daß solche Dinge zu dem Gebrauch der Men
schen bestimmt sind, und daß keiner von seinen Ne
benmenschen ein älteres Recht darauf hat, ihn von
dem Gebrauch derselben auszuschliessen. Er mus
auch leicht einsehen, daß, wenn ein andrer ihm das
jenige, dessen er sich angemasset hat, wieder entzie
hen wollte, nicht nur seine natürliche und unschul
dige Absicht, sich zu erhalten, dadurch gehindert wer
den würde, welches ein hassenswürdiges und übel
gesinntes Verhalten ist; sondern, daß auch eine sol
che Gewohnheit unter den Menschen, sie dem gröss
ten Elend unterwerfen würde. Was ein Mensch
izt in Besitz nimmt, würde ihm ein anderer, ohne
ein vorzüglicheres Befugnis, wiederum entziehen;
eine dritte Person würde ihm, auf gleiche Art, das
jenige, was er nach hero in Besitz nähme, entziehen;
eine vierte Person könte auf gleiche Art mit ihm
verfahren; und so könte die ganze Erlaubnis, wel
che Gott und die
lern Geschöpfe zu seinem Unterhalt zu gebrauchen,
durch die Ungerechtigkeit und die üblen Gesinnun
gen seiner Nachbarn, ohne Noth vernichtet werden,
weil diese Nachbarn, durch ihren eigenen Fleis für
sich sorgen können, ohne dasjenige, was er erlangt
hat, an sich zu ziehen. So entdeckt uns der erste
Antrieb der
Abschnitt.
derjenigen, die uns werth sind, das Recht des ersten
Besitzers auf solche Dinge, welche zum gegenwärti
gen Gebrauch dienlich sind. In der Verhinde
rung an diesem unschuldigen Vorsatz, liegt etwas
moralisches
gen, wenn man einem verwehrt, sich solcher Din
ge zu seinem Unterhalt zu bedienen, die
die Natur zu diesem Endzwecke bestimmt hat, so
lange andere sich auf andere Art unterhalten kön
nen. Eine Betrachtung über die allgemeinen
Folgen dieses Verfahrens bestätigen dieses Recht
noch mehr. Aus diesem allen ist also die erste Re
gel, in Ansehung des Eigenthums, festzusetzen, daß
der Genus solcher Dinge, welche zum gegenwärti
gen Gebrauch dienlich sind, dem ersten Besitzer un
gehindert überlassen werden mus. Der
durch der erste Besitz erlangt worden, kan ein ge
ringer Umstand seyn; allein auch eine Kleinigkeit
kan das Recht auf eine Seite lenken, wenn auf der
andern keine überwiegende Betrachtung vorhan
den ist.
*
Die Schwierigkeiten in dieser Sache rühren
für gemeinschaftliche Ei
von der falschen *
Durch die Besitzneh
mung wird zuweilen die
erste Entdeckung durch die
Augen, zuweilen die Berüh
rung mit der Hand, zuwei
len die Anmassung vermit
telst eines Werkzeugs, sol
cher Güter, die vorhero ge
Es ist allemal unmoralisch,
ein unschuldiges Vorhaben
eines andern zu vernich
ten, wenn wir uns auf
andre Art erhalten können.
Wenn verschiedene Perso
nen, ohne Absicht einander
zu hindern, einerley Sache
auf einmal in Besitz neh
men, die eine durch die er
ste Entdeckung, die andre
durch Berührung mit der
Hand, die dritte auf eine
andre Art: so müssen sie
genthümer angesehn wer
den. Wenn die Absicht
der einen Person vorher be
kant war: so ist es unmo
ralisch und ungerecht, wenn
eine andre, ohne Noth, den
Vortheil derselben hindert.
Buch.
thum eine
Handlung der Menschen voraussetze. Bey der
Untersuchung, die wir über den Ursprung des Ei
genthums anstellen, suchen wir nur ausfindig zu
machen, welche Betrachtungen oder Umstände be
weisen, daß es
daß eine Person den vollen Gebrauch gewisser Din
ge habe; und daß hingegen ein andrer eine unmo
ralische Neigung zu erkennen gebe, wenn er diese
Person an diesem Gebrauche zu hindern sucht.
Vermöge der natürlichen
alle Menschen bewusst sind, und vermöge der offen
baren Absicht der
es unmoralisch, grausam und lieblos eigennützig
sey, wenn ein Mensch an dem Gebrauch gewisser
Güter gehindert wird, die vorhero gemein waren,
deren er sich aber zuerst angemasset hat, so lange eine
Menge anderer Güter übrig bleibt, welche andre
zu ihrem eigenen Unterhalt in Besitz nehmen kön
nen. Eine solche Beunruhigung der ersten Be
sitzer, mus eine unaufhörliche Gelegenheit zu den
verderblichsten
ten seyn.
Ehe das menschliche Geschlecht sich so sehr
vermehrte, und die Gegenden, welche sie in Besitz
Gründe des
Privateigen
thums.
hatten, so fruchtbar und ergiebig waren, daß sie
an allen
Ueberflus hatten: so war wenig Gelegenheit vor
handen, gewisse
thums festzusetzen. Allein bey der jetzigen Be
schaffenheit der Welt, und bey der Vermehrung des
menschlichen Geschlechts, kan kaum der hunderte
Theil desselben mit demjenigen, was die Erde her
vorbringt, unterhalten werden, wenn nicht viele
Mühe und Arbeit angewendet wird. Die Weiden
für die zahmen Thiere erfordern eben sowohl, als
das Getraide, menschliche Arbeit, weil fast alles
Land mit Holz verwachsen, und zu Weiden
qvem
zu hindern sich bemüheten. Dasjenige also, was blos
zum Unterhalt des menschlichen Geschlechts nöthig
ist, erfordert eben sowohl einen allgemeinen Fleis
und eine beständige Arbeit, als unsre
keiten
Kräfte und eine Neigung, sie anzuwenden, verlie
hen: und jeder Mensch hat nicht nur ein eigennü
tziges Verlangen nach seiner eigenen
und nach den Mitteln, sie zu befördern, sondern
auch liebreiche und edelmüthige Neigungen gegen
verschiedene Anverwandten und
sind uns alle solcher Neigungen bewust, und schlies
sen dahero mit Recht, daß andre sie ebenfalls be
sitzen. Wir wissen, daß dieselben die ordentlichen
schlechts sind, die Erde zu bauen, und Dinge zu
Buch.
verschaffen, die im menschlichen Leben nützlich seyn
können. Wir werden alle ein Gefühl der
in uns gewahr, ein starkes Gefühl, nach unsern ei
genen Neigungen zu handeln, und unsre eigennützi
gen und edelmüthigen Neigungen zu befriedigen.
Wir empfinden einen heftigen Unwillen über alle
Hindernisse, die man diesen natürlichen Bestrebun
gen und Bemühungen in den Weg legt, so lange sie
von einem Gefühl der Unschuld und von dem Be
wustseyn begleitet werden, daß sie auf keine Belei
digungen abzielen, und wir müssen dergleichen Be
leidigungen, wenn kein wichtiger öffentlicher Vor
theil sie haben will, als lieblos und grausam mis
billigen, sie mögen nun uns selbst betreffen, oder aber
andre an der Ausführung unschuldiger Absichten
hindern. Durch diese starken
srer Herzen entdecken wir das Recht des Eigen
thums, welches einem jeden von den Früchten seiner
Arbeit zusteht; das ist, wir müssen es billigen, wenn
er sich ihrer versichert, woferne kein öffentlicher
Vortheil das Gegentheil erfordert; und wir müs
sen es für ein grausames und ungeselliges Verhalten
und für eine Unterdrückung ansehen, wenn die Men
schen des freyen, und der unschuldigen Neigung ih
rer Herzen gemässen Gebrauchs desjenigen, was sie
auf diese Art besitzen und erworben haben, be
raubt werden.
Wenn wir in unsern Betrachtungen weiter
gehen, und überdenken, was der gemeine Vortheil
der
fernere Bestätigung des Eigenthumsrechts finden.
Abschnitt.
Es wird zu dem Unterhalt des menschlichen Ge
schlechts ein allgemeiner Fleis erfordert. Obgleich
die Menschen von Natur zur Thätigkeit geneigt sind:
so werden sie sich doch lieber mit den leichtern und
angenehmern Uebungen, als mit der beständigen
und schweren Arbeit beschäftigen, welche zur Her
vorbringung der Nothwendigkeiten und
lichkeiten
keine starke Bewegungsgründe zur Uebernehmung
dieser beschwerlichen Arbeiten vorgestellet werden.
Welche Einrichtung dahero zur Beförderung des
allgemeinen Fleisses nöthig ist, und den Menschen
die Arbeit angenehm macht; diese Einrichtung
mus auch auf das allgemeine Beste abzielen; und
eine Einrichtung oder eine Gewohnheit, welche die
Menschen von Fleis und Arbeit abschreckt, mus dem
menschlichen Geschlecht nachtheilig seyn. Nun kan
aber nichts die Menschen zu einem anhaltenden
Fleisse in allen nützlichen Arbeiten so sehr ermun
tern, als die Hofnung, daß sie, oder ihre Abköm
linge, oder andre ihnen werthe Personen, künftig
Reichthümer,
gen geniessen, und daß sie wegen ihrer Geschicklich
keit, Arbeitsamkeit und Freygebigkeit werden ge
rühmt werden. Diese ganze Hofnung gründet
sich auf die Sicherheit der Früchte ihrer Arbeit, und
auf den freyen und ungestörten Genus und Ge
brauch derselben. Wenn sie diese Versicherung
nicht hätte: so würde kein anderer Bewegungs
grund zur Arbeit vorhanden seyn, als die allgemei
ne Zuneigung gegen alle Menschen überhaupt, wel
che gemeiniglich weit schwächer ist, als die einge
Buch.
schränktern Neigungen gegen unsre Freunde und
Verwandten, nicht zu gedenken, daß sich in diesem
Falle die meisten der eigennützigen Neigungen wi
dersetzen würden.
Ja, die allgemeinsten Neigungen können
kaum einen weisen Mann bewegen, Arbeiten zu
übernehmen, wenn er an den Früchten derselben
kein Eigenthum haben soll. Er mus sehen, daß
ein allgemeiner Fleis nothwendig ist. Niemals
aber wird der Fleis allgemein werden, wenn nicht
die eigenen Bedürfnisse der Menschen und die
ihrer Familien und
Diejenigen, welche zur Arbeit geschickt sind, und sie
doch nicht übernehmen wollen, werden von den Ar
beiten andrer nicht unterstützet werden. Wenn die
Güter, welche durch die Arbeitsamen verschaft oder
verbessert werden, dem gemeinen Gebrauch aller
Menschen überlassen würden: so würden die Recht
schaffenen und Arbeitsamen nur Sclaven der un
würdigsten Menschen seyn. Die liebreichste
müthsart
Müssiggange zu erhalten, damit ihre eigenen Be
dürfnisse sie zwingen mögen, ihren Theil zum öffent
lichen Besten beyzutragen. Auf diese Art unter
richtet uns sowohl das unmittelbare Gefühl unsrer
Herzen, als auch die Betrachtung des allgemeinen
Besten, von diesem Gesetz der
den freyen Genus und Gebrauch von demjenigen,
was er sich durch seine eigene Arbeit erworben hat,
haben müsse,“ und dieses ist das Eigenthum, wel
ches, wenn es uneingeschränkt ist, beschrieben wer
Abschnitt.
den kan, daß es sey, „ein Recht zu dem vollkom
mensten Genus einiger Güter, und zu dem freyen
Gebrauch derselben.“
VI. Die Gründe für das Eigenthum, welche,
meinschaft
geduldet
werden
könte.
von dem öffentlichen Vortheil der
einen allgemeinen Fleis erfordert, hergenommen
werden, würden nicht bestehen, wenn auch eine
weise
Theil Arbeit zu tragen, anhalten und alsdenn eine
weise Eintheilung alles desjenigen, was erworben
worden, nach einem richtigen Verhältnis gegen die
Bedürfnisse und Verdienste der
könte. Aber die andern Gründe, welche von dem
natürlichen Gefühl der
chen
würden immer bestehen. Eine so beständige Auf
merksamkeit der obrigkeitlichen Personen, und eine
so genaue Unterscheidung der Verdienste, welche
einen allgemeinen Fleis und eine gerechte und billi
ge Vertheilung sicher stellen könten, ist nicht zu er
warten. Und niemals wird ein Vertrauen auf
eine weise Vertheilung der Obrigkeit machen, daß
eine gewisse Arbeit mit eben dem Vergnügen und
mit eben dem herzlichen Wohlwollen unternommen
werden wird, als wenn ein jeder Mensch dasjenige,
was er erworben hat, unter Personen, die er liebt,
selbst vertheilen kan. Welche Obrigkeit kan von
den zärtlichen Banden der
durch welche ein feinerer
sehr verknüpft seyn kan, daß er alle Arbeiten vor
ihn mit Freuden übernimmt? Warum sollen wir
Buch.
so viele von den angenehmsten Pflichten des Lebens,
die Freygebigkeit, Gutthätigkeit und Dankbarkeit
ausschliessen, und den Menschen zu der Ausübung
derselben in Vertheilung ihrer Güter kaum einige
Gelegenheit übrig lassen? Und welcher Plan der
hinlängliche Versicherung geben, daß ihnen, und
allen Personen, die ihnen besonders werth sind, aus
dem allgemeinen Vorrath ein billiger Antheil ge
reicht werden wird, wenn alles von dem Gefallen
der obrigkeitlichen Personen abhängt, und keiner
Privatperson einige Anwendung ihrer eigenen
sten Pflichten des Lebens, erlaubt wird. Müssten
nicht alle Menschen im Privatstande, als
oder Thoren, angesehen werden?
Die
thum mit sich führen soll, und welche
schaft zu heben suchen, sind nicht so gros, als die
jenigen, welche mit der Gemeinschaft verknüpft
sind; und die meisten von den erstern können da,
wo das Eigenthum mit allen seinen unschuldigen
Befugnissen eingeführet ist, durch eine censo
rische Gewalt und durch Gesetze, welche die
I.
Das Eigenthum ist entweder ursprünglich
oder abgeleitet. Das ursprüngliche
ist dasjenige, welches durch den ersten Besitz er
Buch.
langt wird; das abgeleitete aber dasjenige, wel
ches von einem ersten Eigenthümer auf uns gebracht
wird.
Die allgemeinen Gründe für das Eigenthum,
haben wir bereits angeführt, und die ursprüngli
chen Mittel, dasselbe zu erlangen, gezeigt, nämlich,
die Besitznehmung, und die zur Verbesserung an
gewendete Arbeit. Allein um die natürlichen
Gründe des Eigenthums besser einzusehen, müssen
wir anmerken, daß die Menschen von
müht sind, ihre eigene künftige Vortheile, und die
künftigen Vortheile solcher Personen, die ihnen
werth sind, eben so wohl, als ihre gegenwärtigen
Vortheile zu befördern; und sie können in einem
gegenwärtigen Ueberflus unglücklich seyn, wenn sie
nicht auch in Ansehung der Zukunft, gewisse Ver
sicherungen haben. Ferner, ein grosser Theil solcher
Dinge, welche den grössten und dauerhaftesten
Nutzen im menschlichen Leben verschaffen, wenn sie
verbessert worden sind; erfordern eine lange vorher
gehende Arbeit, sie nützlich zu machen. Nun wird
aber niemand dergleichen Arbeit darauf verwenden,
wenn er wegen des künftigen Genusses der Vor
theile, welche sie verschaffen, keine Sicherheit hat.
Es ist dahero nothwendig, daß ein beständiges
Eigenthum, welches über alle mögliche gegenwär
tige Verzehrung hinaus dauert, eine Folge der Ver
besserung und der Arbeit sey, welche ein Mensch
an Dinge verwendet hat, die vormals gemein
waren. Von dieser Art sind Heerden, Gärten,
Abschnitt.
Weinberge, Fruchtbäume, nutzbare Gründe und
Weiden.
II. Weil also das Eigenthum von der ersten
Besitznehmung der Dinge, die zu einem gegenwär
tigen Gebrauch geschickt sind, und von der Arbeit,
welche auf die nöthige Verbesserung der Güter ver
wendet wird, entstehet: so halten wir mit allem
Rechte davor, daß das Eigenthum so bald seinen
Anfang nimmt, als eine Person in der Absicht et
was zu erwerben, die Verbesserung oder Bearbei
tung einer vorher gemeinen Sache, oder aber vor
her eine zu der Verbesserung und Besitznehmung
erforderliche Arbeit unternimmt. Und das Eigen
thum hat seine
Person den Besitz ergriffen, ihre Bearbeitung an
gefangen, und sich einen Entwurf gemacht hat, wie
weit sie dieselbe entweder selbst, oder durch andre,
die sie zu Gehülfen annimmt, fortsetzen will. Es
ist nicht allemal nothwendig, daß wir selbst bey den
in Besitz genommenen Gütern gegenwärtig sind,
oder dieselben berühren. Jeder Schritt, welchen
wir zu Erreichung dieses Endzwecks thun, und
durch welchen die Güter zu dem menschlichen Ge
brauch geschickter und
sie vorhero waren, giebt uns ein Recht, von andern
nicht gehindert zu werden; und es ist von einem
andern ein unbilliges Verfahren, wenn er unsern
Genus der Früchte unsrer unschuldigen Arbeiten,
die wir angefangen haben, und fortsetzen, stören
oder hindern will. Derjenige, welcher auf der
Jagd ein Wild verwundet oder so sehr ermüdet
Buch.
hat, daß es leicht zu fangen ist; und die Ver
folgung fortsetzet; oder aber es in ein Netz ge
jagt hat, hat das Eigenthum daran angefangen,
und es ist unrecht, wenn ihm ein andrer seine
Beute auffangen und seine Bemühungen frucht
los machen will. Einem, welcher Schiffe aus
gerüstet hat, um unbewohnte Länder einzuneh
men, zu deren Besitznehmung noch kein andrer ei
nige Zubereitungen gemacht hat, würde unrecht ge
than werden, wenn ein andrer, der sein Vorhaben
erfahren, in Geschwindigkeit absegelte, ihm zuvor
käme, und sich nachhero verweigerte, mit ihm zu
theilen. Ja, wenn einer, welchem das Vorhaben
des erstern ganz und gar unbekant gewesen, zuerst
anlandete: so könte er nicht mit Recht den, wel
cher zuletzt anlangt, von der Theilung des Landes,
welches auf diese Art ihnen gemeinschaftlich zu ge
hört, ausschliessen, wenn es zu den Absichten bey
der hinlänglich wäre.
III. Da aber das Eigenthum in der Absicht
eingeführet worden, den Fleis zu ermuntern und zu
belohnen: so kan es niemals so weit ausgedehnt
werden, daß die Unternehmungen und Bemühun
gen der Menschen dadurch gestört und fruchtlos ge
macht werden könten. Keine Person oder Gesell
schaft kan dahero, durch die blosse Besitznehmung,
an einem grossen Strich Landes, welchen sie zu be
bauen ausser Stande sind, ein solches Recht erlan
gen, durch welches viele andre, denen es an Arbeit
und Unterhalt fehlt, von einem Antheil daran aus
geschlossen werden könten, der mit den Colonien,
Abschnitt.
die sie dahin absenden würden, in einem Verhält
nis stünde. So würde es vergebens seyn, wenn
eine Privatperson mit ihrer Familie um deswillen
auf das Recht des Eigenthums Anspruch machen
wollte, weil sie ein Land, welches zehntausend Fa
milien erhalten kan, und eben so viel zur Bebauung
erfordert, zuerst entdeckt, oder weil sie zuerst dahin
gekommen. Gleichergestalt würde es vergebens
seyn, wenn in einer
Millionen Seelen, aus einem ähnlichen Grunde,
das Eigenthum an einem grossen Lande, das diese
Anzahl dreymal unterhalten könte, verlangt werden
wollte. Da keine Nation den dritten Theil ihres
Volks, zu einer Zeit, in Pflanzstädte
ckeu
cken
rungen, welche allen möglichen Gebrauch und Nu
tzen derer, die sie machen, übersteigen, nicht ganze
Länder zu Wüsteneyen machen, und andre zu volk
reiche Nationen von dem Gebrauch des Erdbodens
ausschliessen; welchen Gott für das menschliche Ge
schlecht bestimmt hat. Auf diese Art könte der Ei
gensinn oder die eitle Habsucht eines
halben Erdkreis zu Wüsteneyen machen, und die
übrigen Menschen unterdrücken.
Wir werden hernachmals zeigen, daß der
öffentliche Vortheil der
rechtfertigen kan, wodurch Privatpersonen in der
Erwerbung allzuvieler Güter, welche dem Staate
gefährlich ist, ob sie gleich ohne eine besondere Be
leidigung geschieht, Einhalt gethan wird; und
Buch.
eben diese Gründe gelten von demjenigen, was Pri
vatpersonen in der natürlichen
Staaten und Nationen erwerben. Wenn die Er
werbung gewisser Güter der Freyheit und Abhän
gigkeit einer Nachbarschaft, oder benachbarter
Staaten, nachtheilig ist: so haben diese Nachbarn
ein Recht, entweder dieselbe gemeinschaftlich zu hin
dern, oder den Eigenthümer anzuhalten, daß er
die Ruhe aller seiner Nachbarn in Sicherheit setze.
Dieser Fall würde vorkommen, wenn einer einen
engen Pas mit den angränzenden Ländereyen; oder
die Ländereyen, welche eine der ganzen Nachbarschaft
nöthige Wasserquelle, umgeben, oder einen engen
Sund in Besitz genommen hätte, so daß er allen
Zugang, und allen Handel und Wandel vieler
Menschen untereinander, hemmen könte.
Wenn gefragt wird, wie viel Zeit eigentlich
einer Familie oder einem Staate gelassen werden
solle, die Ländereyen, welche sie in Besitz nehmen
wollen, anzubauen: so ist es klar, daß sie mehr in
Besitz nehmen können, als die erste Anzahl von
Arbeitern, welche sie dahin senden, anzubauen im
Stande ist. Privatpersonen können mehr Dienst
boten bekommen, und ein Staat kan neue Colo
nien und neue Mannschaft senden. Es lässt sich
keine bestimmte Antwort geben. Einem Staat
nur zwanzig bis dreysig Jahre zu dem Anbau alles
desjenigen, was er rechtmäsiger Weise in Besitz neh
men kan, zu verstatten, würde eine zu grosse Ein
schränkung seyn; und wenn man ihm in Absicht
auf die neuen Colonien erlauben wollte, Länder
Abschnitt.
auf ganze Jahrhunderte unbebauet zu lassen: so
würde dieses für eine zu grosse Nachsicht angesehen
werden müssen. Das Maas der Zeit mus ver
schieden seyn, nachdem die benachbarten Staaten
es erfordern. Wenn keiner mit Einwohnern über
häuft wird: so kan eine lange Zeit verstattet wer
den. Sind viele überhäuft: so ist eine kurze Zeir
hinlänglich. Die Menschen dürfen nicht auf gan
ze Weltalter von der Erde, die sie, nach der Absicht
Gottes, geniessen sollen, ausgeschlossen werden,
IV. Allein es ist klar, daß dasjenige, was wir
uns durch Arbeit erwerben, weit mehr ausmachen
kan, als wir, oder unsre Familien, zum gegenwärti
gen Gebrauch nöthig haben; und der vorhandene
Vorrath kan zum künftigen Gebrauch aufgehoben
Buch.
werden. Ja, wir können uns mehr erwerben,
als wir, zu allem gegenwärtigen und zukünftigen
Gebrauch, nöthig haben; und wir können die
Uebermasse, zu Wohlthaten, oder dazu anwenden,
daß wir sie gegen andre Güter, welche wir nöthig
haben, vertauschen. Ausserdem würde ein jeder
verbunden seyn, alle Arten von mechanischen
sten
nen Nachtheil gereichen würde.
Die verschiedenen
welche im Stande der natürlichen
finden, leiden nicht nur, gleich allen andern beson
dern Gesetzen der
Ausnahmen, sondern sie können auch in dem bürgerli
chen Stande, mit allem Rechte, geändert und einge
schränkt werden, nachdem es das Beste des Staats
erfordert.
V. Der Ursprung des Eigenthums, welchen
wir oben erklärt haben, entdeckt die Ursache, warum
solche Dinge, welche unerschöpflich sind, allen Men
schen Nutzen schaffen, und keine Arbeit nöthig ha
ben, nützlich gemacht zu werden, allgemein bleiben
müssen; als die Luft, das Wasser der Flüsse, der
Ocean, und auch kleinere Seen, welche schifbar sind.
Wenn der Gebrauch unerschöpflich ist, und wenn
zur Sicherheit desselben gewisse Kosten erfordert
werden: so kan dieses eine gerechte Ursache seyn,
alle diejenigen, welche Theil daran haben wollen, zu
einem billigen Beytrag zu den nothwendigen Kosten
verbindlich zu machen; dergleichen sind die Leucht
thürme, oder die Schiffe, welche ausgerüstet wer
Abschnitt
den, die Seen vor den Seeräubern sicher zu ma
chen. Allein das Eigenthum an den Ufern auf
beyden Seiten solcher engen Pässe kan kein Recht
geben, diejenigen, welche zu einem billigen Bey
trag bereit sind, von dem Durchgange durch solche
enge Pässe, oder von einem unschuldigen Gewer
be mit den darinnen lebenden Nationen auszu
schliessen.
Wenn der Gebrauch einiger angränzenden Theile
der See oder des Ufers, welcher Fremden verstattet
wird, unsre Besitzungen unsicher machen kan: als,
wenn Kriegsschiffe in solchen Bayen, welche sich bis
ins Innere eines Landes erstrecken, vor Anker ge
leget werden: so können wir dieses mit Recht ver
wehren, wenn nicht wegen der Gefahr hinlängliche
Sicherheit gegeben wird. Wir können ebenfalls an
dern den Gebrauch solcher Dinge, die von
gemein und unerschöpflich sind, untersagen, wenn
sie unsern Ländereyen eine beschwerliche Dienstbarkeit
zuziehen könten; als in den Flüssen zu fischen, oder
aus denselben, durch unsern Grund und Boden,
Wasser herauszuleiten, obgleich der Flus uns nicht
eigenthümlich zugehört, und die Fischerey unerschö
pflich wäre.
Es ist kaum zu begreifen, aus was für einen
andern Grund, als aus Verträgen und der Ein
willigung benachbarter Staaten, jemand ein Ei
genthum in der See, oder ein höheres Recht, als
andere Nationen darinnen haben, verlangen kan.
Jede
gung ein Recht zu haben, daß sie den Kriegsschiffen
andrer Nationen verwehren kan, so nahe an ihren
Buch.
Küsten zu segeln, daß sie einige von ihren Unter
thanen hinwegnehmen könten. Allein dieses Ei
thum kan sich nur auf die Weite eines Büchsen
schusses erstrecken. Ein unnöthiges Streifen an
unsern Küsten, wenn es auch in einer grössern
Entfernung geschieht, kan einen gerechten Argwohn
einer feindlichen Absicht veranlassen, und kan eine
gegründete Ursache abgeben, Beschwerden zu füh
ren, und entweder Sicherheit zu verlangen, oder
aber sie durch Gewalt zu zwingen, in einer grössern
Entfernung zu bleiben.
Aus dem Angeführten erhellt sattsam, daß
diese Erde und was darauf ist, von Gott in den
Stand gesetzt worden sey, welchen die
die negative Gemeinschaft, und nicht die po
sitive, nennen. Die
VI. Alle Dinge, welche zum Gebrauch der
in Ansehung
der rerum nul-
lius.
*
Nullius sunt res
Inst. de rerum diuisione, et
adquirendo ipsarum do-
minio.
Es ist ein natürlicher Beweis von der Got
tesfurcht einer Person oder
nige zu sorgen, was den Menschen die Verrich
tung des öffentlichen Gottesdienstes bequemer ma
chen kan. Es würde Geitz und einen Mangel an=
Abschnitt.
Gottesfurcht verrathen, wenn die Menschen von
ihrem Vermögen nicht dasjenige hergeben wollten,
was erfordert wird, die Oerter des öffentlichen Got
tesdienstes, sicher,
Wenn sie, in Vergleichung mit Privatgebäuden,
gering und unansehnlich sind: so kan die Verrich
tung des Gottesdienstes unangenehm werden. Es
ist noch schlimmer, wenn diejenigen, deren Amt es
ist, dem öffentlichen Gottesdienst vorzustehen, und
die Menschen von den Pflichten des
terrichten, nicht so versorgt werden, daß sie ihre
käntnis
verwalten können. Allein wenn für alle diese End
zwecke hinlänglich gesorgt worden: so ist es eine
Thorheit, und ein
mer, welche im Handel und Wandel, oder in bür
gerlichen Angelegenheiten, mit grösserm Nutzen hät
ten angewendet werden können, entweder, auf über
mässige Pracht und Ausschmückung der Tempel,
oder auf zu ansehnliche Besoldungen der Lehrer des
Volks, welche dieselben von ihren Geschäften ab
ziehen, und sie zur Ueppigkeit, zum
Habsucht verleiten können, verwendet werden; oder
wenn man ihrer mehr, als nöthig ist, unterhält.
Es ist noch thörichter, Menschen, die träge und
müssig sind, oder ein unnützes Leben führen, zu
unterhalten.
Gewisse Orden, die gemeiniglich geistliche
chen des Jrr
thums.
genennet werden, haben eine schöne Metony
mie, aus den niedrigsten eigennützigen Absich
ten, gemisbraucht. Geschenke, die man ihnen
Buch.
macht, werden für Gaben, die man Gott darbringt,
ausgegeben, wie alle weise Freygebigkeit und Mil
digkeit genennt werden kan. Aber die Geschenke,
welche ihren Orden gemacht, oder ihnen anvertrauet
werden, nennen sie Verehrungen zum Dienste Got
tes.
kan von den Menschen keine Geschenke erhalten.
Man kan nur den Menschen Schenkungen machen.
In so weit dieselben zu der allgemeinen Glückselig
keit der Menschen etwas beytragen, in so weit, wei
ter aber nicht, können sie Gott angenehm seyn.
Wenn sie der Handlung und
nachtheilig sind, wenn sie die Geistlichkeit, wie man
sie nennet, zur Ueppigkeit, Tyranney, und zum Geitz
verleiten: so wird Gott dadurch eben sowohl be
leidiget, als durch die Sünden der Unwissenheit.
Es ist weise und gerecht, wenn in einem Staate,
wo hinlängliche Anstalten, zu Verrichtung des Got
tesdienstes getroffen worden, alle weitere Schen
kungen eingeschränkt, oder abgeschaft; unnöthige
Bewilligungen, welche, durch List und Betrug, ent
weder dem gemeinen Wesen, oder Privatpersonen
abgelocket worden, wieder zurückgenommen wer
den, und wenn das gemeine Wesen von der Be
schwerlichkeit, unnütze Gebäude oder Müssiggän
ger zu unterhalten, dadurch befreyet wird, daß die
Gebäude zu andern Endzwecken gebraucht, oder gar
abgetragen, die Müssiggänger aber zu nützlichen
Arbeiten angehalten werden. Dieses mus Gott
ein angenehmer Dienst seyn.
Gewisse ungereimte Vorstellungen einer Hei
ligkeit in Steinen, Holz, Metall, und liegenden
Abschnitt.
Gründen, haben die Menschen veranlasst, die An
wendung dieser Dinge zu einem andern Gebrauch,
als zu welchem sie anfangs bestimmt waren, für
gottlos zu halten. Und gleichwohl ist es doch of
fenbar, daß keine Heiligkeit an dieselben verknüpft
seyn kan. Wir bedienten uns ihrer anfangs, wenn
wir unsre Andacht verrichteten; aber wie? wir be
dienten uns ja damals auch unsrer
und unsrer
nem andern Endzweck angewendet werden? Dieje
nigen, welche diese Schenkungen gemacht haben,
sind vielleicht so
nen, „daß solche Häuser blos zur Verrichtung des
Gottesdienstes und solche Güter blos zum Unter
halt der Geistlichen angewendet werden sollen.“
Allein, ist es nicht eine Thorheit, dasjenige blos zu
einem Endzweck anzuwenden, welches auch zu an
dern angewendet werden, und dazu nicht weniger
geschickt seyn kan, als zu dem erstern? Der
hat ein gegründetes Recht, dergleichen abergläubi
sche Einschränkungen aufzuheben, und alle solche
fromme Verordnungen, welche thöricht und der
Man gebe zu, daß bey dem gemeinen Volke,
durch gewisse verworrene Begriffe, die Andacht in
den Tempeln vermindert werden könne, wenn die
selben zu der Zeit, da kein Gottesdienst darinnen
gehalten wird, zu einem andern Gebrauch ange
wendet würden. Mus denn diese Schwachheit
unterhalten werden? Es ist allenfalls nichts weiter
nöthig, als daß solche Häuser, so lange sie zu der
Buch.
Verrichtung des Gottesdienstes bestimmt sind, in
der Zwischenzeit zu keinem andern Gebrauch an
gewendet werden. Wenn aber zu Verrichtung des
Gottesdienstes andre Gebäude oder andre Geräth
schaften vorhanden sind, oder wenn die Lehrer andre
Besoldungen haben: so kan der Staat ohne Be
denken die ersten Gebäude, Geräthe, oder Güter zu
andern nützlichen Endzwecken anwenden. Unter
den Papisten wird das Geheimnis der Heiligkeit so
sehr eingeschärft, daß dieses alles für gottlos ge
halten wird. In dieser ganzen Einrichtung wird
Gott mit keinen andern Augen angesehen, als wenn
er den heiligen Orden, auf eine listige Art, Lebens
mittel zuführte, und als wenn er alles, was sie durch
Betrug und Kunstgriffe von schwachen und aber
gläubischen Menschen, zu den schädlichsten und thö
richsten Endzwecken, erlangt haben, einsammelte,
und beschützte.
VII. Diejenigen Dinge, an welchen ein Ei
genthum ehemals erlangt worden, können wie
derum in den Stand der Gemeinschaft übergehen,
wenn der Eigenthümer sein Eigenthum daran durch
die Wegwerfung oder die vorsätzliche Verlassung
derselben, aufgiebt; und alsdenn kan sie sich derje
nige zueignen, welcher sie zuerst wieder in Besitz
nimmt. Wenn der Eigenthümer, wider seinen
Willen, einige Güter verliert, und weil er sich auf
andre Art versehen, dasjenige, was er verloren,
nicht zurückfordert, ungeachtet er weis, wer es ge
funden hat: so kan eine lange Verabsäumung die
ser Art eine hinlängliche Erklärung seyn, daß er
Abschnitt.
das Eigenthum daran aufgeben wollen, und auf
diese Art kan er sich des Rechts, sie künftig von
dem gegenwärtigen Besitzer zurückzufordern, ver
lustig machen. Dieses scheint die einzige Verjäh
rung zu seyn, welche wider den vorigen Eigenthü
mern galt, ehe
Es sind gerechte Ursachen vorhanden, warum die
bürgerlichen Gesetze andre Vorschriften der Verjäh
rung machen müssen, theils, um die Unterthanen
zu gewöhnen, daß sie, für ihre Güter Sorge tra
nen, und ihre Rechte, zu gehöriger Zeit, und so lan
ge sie vergewissert werden können, verfolgen; theils,
weil die Güter, welche man lange Zeit, ohne von
dem Recht eines andern etwas zu wissen, ungestört
besessen, aus erheblichen Betrachtungen, redlichen
Käufern überlassen, oder, aus ähnlichen Betrach
tungen, verpfändet, oder auf andre Art beschwert
worden seyn können, so, daß die
dieser Handlungen unschuldigen Personen zum gröss
ten Nachtheil gereichen würde; und theils, um arg
listigen und unentdeckbaren Hintergehungen zuvor
zukommen, welche nicht abgewendet werden könten,
wenn Handlungen, die vor so langer Zeit getrof
fen seyn sollen, daß die dabey gewesenen Zeugen
nicht mehr am Leben sind, für gültig erklärt, und
die Rechte eines langen und ruhigen Besitzes da
durch umgeworfen werden sollten.
Die bürgerlichen Gesetze haben einen muthmas
lichen Titel, oder den
bonam fidem
, vermöge dessen
VIII. In Ansehung desjenigen, was den Gü
tern, die uns eigenthümlich zustehen, zuwächset,
und dazu gehöret, sind folgende
trachten.
1. Alle Früchte, Vermehrungen und Ver
besserungen der Güter, welche einem eigenthümlich
zustehen, und zu welchen weder die Güter, noch
die Arbeiten anderer etwas beygetragen haben, ge
hören dem Eigenthümer, ausgenommen, wenn ein
anderer durch einen Contract, oder durch bürger
liche Gesetze ein Recht darauf erlangt hat.
2. Wenn die Güter oder die Arbeiten ande
rer Personen zu der Vermehrung oder Verbesserung
Abschnitt.
etwas beygetragen haben: so haben alle diejenigen,
von deren
rührt, ein gemeinschaftliches Eigenthum an dem
Ganzen oder an den Früchten und Verbesserungen,
und zwar ein jeder in einem Verhältnis gegen den
beygetragenen Werth.
Wenn die Güter oder Früchte eine Theilung
Buchs
zulassen, ohne daß dadurch das Ganze verliert: so
müssen sie unter diejenigen, welche dazu beygetragen
haben, nach einem richtigen Verhältnis, vertheilt
werden. Wenn keine Theilung, ohne Schaden des
Ganzen, möglich ist: so mus ein abwechselnder Ge
brauch auf eine gewisse Zeit, die mit dem Beytrag
eines jeden in Verhältnis steht, festgesetzet, oder es
kan ein gemeinschaftlicher Gebrauch, wenn derglei
chen möglich ist, davon gemacht werden. Ist we
der ein gemeinschaftlicher, noch ein abwechselnder
Gebrauch möglich: so mus er demjenigen aus die
ser Gesellschaft, welcher ihm den grössten Werth bey
legt, auf folgende Art überlassen werden: nämlich,
man bestimme zuförderst das Verhältnis des Rechts
eines jeden, zu den Rechten der andern, und derje
nige Gesellschafter, welcher das meiste bietet, erhalte
den Gebrauch, und thue den übrigen ihre Antheile
gut.
*
Auf diese Art erhält derjenige die Güter, der
ihnen den meisten Werth beylegt, und die übrigen be
kommen für ihre Antheile eine desto grössere Ver
*
Man sehe Fälle von
dieser Art beym
im drey und zwanzigsten
Abschnitt des zweyten
und das
Wenn durch den Betrug oder die strafbare
hung desjenigen, was un
Nachlässigkeit einer Person, ihre Arbeiten und Gü
ter, unter die Güter anderer vermischt werden, so,
daß das nunmehrige Ganze, oder die neue Form
dem andern unschuldigen Eigenthümer keinen wei
tern Nutzen schaft: so hat dieser Eigenthümer ein
Recht, die Vergütung des Werths seiner Güter,
welche zu seinem Gebrauch ungeschickt gemacht wor
den sind, und desjenigen Nutzens, welchen er dar
aus hätte ziehen können, wenn sie ihm allein gelas
sen worden wären, von dem andern zu fordern.
Wenn meine Güter, durch die Güter oder Arbeiten
eines andern, zu meinen Gebrauch verbessert und
qvemer
dern hierzu Auftrag gethan habe: so bin ich nur
gehalten, den Werth der Verbesserung, in so weit sie
zu meinen Absichten dient, zu bezahlen, nicht aber
den Werth, welchen derjenige, der sich unverlangt
mit meinen Gütern abgegeben hat, dieser Verbesse
rung beylegen könte. Es ist kein Grund vorhan
den, warum ich, durch sein Verschulden, entweder
*
Dieser Abschnitt kan,
auf eine sehr natürliche
Art die meisten Zweifel der
Rechtsgelehrten in Anse
sern Gütern znwächset,
heben.
Abschnitt.
meine Güter einbüssen, oder eine kostbarere Verbesse
rung bezahlen sollte, als es meinen Umständen ge
mäs ist. Die eigentliche Bestrafung einer solchen
betrüglichen und unverlangten Beschäftigung mit
den Gütern anderer, ist eine Untersuchung, die von
dem Recht des Eigenthums ganz und gar unter
schieden ist.
IX. Das Recht des Eigenthums, wenn es,
Rechte das
Eigenthum
in sich fasst.
wie bey seinem Ursprunge, vollkommen und unein
geschränkt ist, enthält drey Theile. 1. Ein Recht
zu dem vollständigen Gebrauch. 2. Ein Recht,
andere von den eigenthümlichen Gütern auszu
schliessen. 3. Ein Recht, dieselben zu veräussern,
und auf andre zu übertragen, entweder vertheilt,
oder im Ganzen; schlechterdings, oder unter gewis
sen Bedingungen; ohne oder gegen eine gewisse
Vergütung. Die
weilen den Gebrauch dieser Rechte einschränken,
und einige wichtige Ursachen, welche auf das allge
meine Beste abzielen, können, auch im Stand der
natürlichen
dern, und ein ausserordentliches Verfahren recht
fertigen, welches den Vorschriften, die wir ordent
licher Weise beobachten müssen, zuwider läuft.
Auf dieses Recht des Eigenthums bezieht sich ei
ne allgemeine uneingeschränkte Verbindlichkeit, die
ses Recht nicht zu verletzen, noch andre in dem Ge
nus desselben zu hindern. Dieser heiligen Ver
bindlichkeit werden wir uns alle bewusst werden,
wenn wir in Erwägung ziehen, was für einen hef
Buch.
tigen Unwillen wir empfinden, wenn andre unsren
Rechten zu nahe treten; und was für ein grosses
Misfallen wir empfinden, wenn der Geitz und Ei
gennutz anderer, um eines kleinen eigenen Gewin
stes willen, die Ruhe und Sicherheit der
schaft
Augen setzet. Wir misbilligen ein gleiches Ver
fahren, bey der Bestrebung nach Dingen, deren
Verachtung wir für anständig, und für den Beweis
einer grossen Seele halten. Dieses Misfallen
müssen wir auch über solche ungerechte Handlun
gen empfinden, welche das Eigenthum anderer be
unruhigen, obgleich das unsrige dadurch nichts
leidet.
I.
Die erlangten Rechte sind entweder dingli
che oder
Die Nothwendigkeit und der Nutzen der Con
tracte und der Uebertragung des Eigenthums ver
offenbaret sich bereits aus demjenigen, was vorher
angeführet worden,
*
und wird aus folgenden noch
mehr erhellen. Der Unterschied zwischen den ding
lichen und persönlichen Rechten, und der Grund
dieser Eintheilung, ohne Absicht auf die bürgerlichen
Gesetze, mus hier erklärt werden.
Es kan oft jemand einem andern, eine grosse
dieseser Ein
theilung.
Summe schuldig werden, und alle moralische Ge
wisheit, und den redlichen Vorsatz haben, sie rich
tig zu bezahlen; dabey aber ungeneigt seyn, einen
Theil seiner Güter mehr, als den andern, der Ge
walt seines Gläubigers zu übergeben, sondern sei
ner eigenen Wahl vorbehalten, welchen Theil der
selben er zu Bezahlung der Schuld veräussern will.
Ein Gläubiger kan mit einer solchen Verpflichtung
des Schuldners zufrieden seyn, wenn er von seinem
Reichthum und seiner Rechtschaffenheit überzeugt
ist, ohne daß er ihm seine Forderung auf gewisse
Güter versichert. Ein solcher Vertrag bringt ein
persönliches und kein dingliches Recht hervor. Der
Gläubiger hat zwar, in diesem Falle, eine allgemei
ne Sicherheit in allen Gütern des Schuldners, weil
er, wenn dieser die Zahlung nicht leistet, im Stand
der natürlichen
zu Bezahlung der Schuld, anmassen kan, wenn
*
Im sechsten und siebenten
Buch.
kein andrer Gläubiger ein dingliches Recht daran
erlangt hat. Aber den Vortheil der persönlichen
Verbindlichkeit, in Ansehung des Schuldners, be
steht darinnen, daß er immer Herr aller seiner Gü
ter bleibt, und, binnen der gesezten Zeit, es in sei
ner Macht hat, seine Gläubiger, nach seinem
eigenen Gefallen, zu befriedigrn. Und der Vor
theil des dinglichen Rechts, in Ansehung des Gläu
bigers, bestehet darinnen, daß er wegen seiner, auf
gewisse Güter besonders versicherten Forderung,
völlige Gewisheit hat, bezahlt zu werden, ungeach
tet der Schuldner, nachhero, noch mehrere Schul
den macht, oder auch ältere persönliche Schulden
hat, die er nicht bezahlen kan.
Wenn einer dem andern Schaden zugefügt
hat: so ist er demjenigen, welcher den Schaden er
litten hat, zur völligen Vergütung desselben gehal
ten. Und doch hat derjenige, welcher den Scha
den erlitten, blos ein persönliches Recht, welches
keiner Forderung einer dritten Person vorzuziehen
ist, und welches auf keinen Theil der Güter desje
nigen, der den Schaden zugefügt hat, mehr, als auf
den andern, haftet. Wenn dieser den Schaden zu
ersetzen, sich erbietet: so hat jener auf weiter keine
Güter des Schuldners ein Recht, als auf diejeni
gen, aus welchen dieser Ersatz geleistet werden soll.
Wenn der Darleiher darauf besteht, mehrere
Sicherheit, als die Versprechungen des Schuldners,
zu haben, oder, wenn er seine Fähigkeit zu bezah
len in Zweifel zieht, und ein Unterpfand bekomt;
so erlangt er dadurch ein dingliches Recht, da ihm
Abschnitt.
gewisse Güter angewiesen werden, auf welchen sei
ne Forderung besonders haftet.
Ein ehrlicher Mann wird die persönlichen
chen sind den
persönlichen
vorzuziehen.
Rechte andrer sowohl, als die dinglichen, so viel in
seiner Gewalt ist, in Acht nehmen, und zur Erfül
lung bringen; allein es ist nicht bey beyden einer
ley Sicherheit, welches die
wegen verschiedenen Forderungen, eine Person in
Anspruch genommen wird, die nicht genug in Ver
mögen hat, sie zu bezahlen. Die dinglichen Rech
te müssen den persönlichen vorgezogen werden. Der
jenige, welcher mit einer geringern Sicherheit zu
frieden ist, darf nicht erwarten, daß er eben so we
nig Gefahr laufe, als ein andrer, der eine grössere
verlangt und erhalten hat, und, unter keiner an
dern Bedingung, etwas vorgestreckt haben würde.
Dieser Vorzug der dinglichen Rechte vor
für Ursachen.
den persönlichen, ist nothwendig, um Treue und
Glauben im Handel und Wandel, aufrecht zu er
halten. Bey der Uebertragung des Eigenthums
und bey der Verpfändung gewisser Güter, müssen
der Käufer und der Darleiher, auf eine öffentliche
Art, gegen alle ältere heimliche Contracte mit einan
der gesichert werden, obgleich diese geheimen Con
tracte ein persönliches Recht hervorbringen. Es
würde niemand wagen, Güter zu kaufen, wenn ihm
nicht der Besitz desjenigen, was er gekauft hat, ge
gen alle vorhergehende geheime Kaufcontracte sicher
gestellt werden könte. Und er könte nicht sicher ge
stellt werden, wenn ältere geheime Contracte nicht
den öffentlichen Contracten, welche mit allen zur
Buch.
Uebertragung dinglicher Rechte erforderlichem Fey
erlichkeiten geschlossen worden, vorgezogen werden
müssten. Es würde auch niemand, gegen Ver
pfändung gewisser Güter, etwas darleihen, wenn
nicht auf eine öffentliche Art, ein dingliches Recht,
übertragen werden könte, welches einem ältern per
sönlichen, aus einem geheimen Contracte herfliessen
den Rechte, vorzuziehen ist.
Alle
bräuche, das volle Eigenthum oder dingliche Rechte,
welchen durch keine ältern, geheimen persönlichen
Rechte Abbruch geschehen kan, zu übertragen.
Diese Gebräuche sollen die getroffene Verabhand
lung öffentlich bekant machen, und die übertragen
de Person, ausser Stand setzen, nachgehends andre
zu hintergehen. Die Ueberantwortung befördert
diesen Endzweck bey beweglichen Sachen; und der
Besitz unbeweglicher Güter wird durch gewisse öf
fentliche
aber durch öffentliche Registraturen über die erfolg
te Uebergabe. Wenn ein Contract auf diese Art
bestätiget wird: so wird dadurch ein dingliches
Recht erlangt, welchem kein persönliches Abbruch
thun kan. Und doch kan die Person, welche um
ihr persönliches Recht, durch das nachherige dingli
che und das Eigenthum übertragende Recht, ge
bracht worden, von dem Verkäufer, welcher sie auf
diese Art, hintergangen, nicht nur den Ersatz alles
erlittenen Schadens, sondern auch die Schadlos
haltung wegen aller Vortheile, die sie erlangt haben
würde, wenn sie nicht hintergangen worden wäre,
Abschnit.
zu fordern. Allein, ohne diesen Vorzug der ding
lichen Rechte vor den persönlichen, würde kein Ge
werbe statt finden.
II. Die abgeleiteten dinglichen Rechte sind
te dingliche
Rechte.
entweder einige auf einen andern übergetragene, und
von den übrigen abgesonderte Theile des Eigen
thums, oder das von dem ursprünglichen Eigen
thümer auf einen andern übergetragene vollständige
Eigenthum.
Die Theile des Eigenthums, welche oft, von
den übrigen abgesondert, übergetragen werden, ma
chen vornehmlich diese vier Classen aus: 1. Das
Recht des Besitzes, vermöge dessen man ein
Was das Recht des Besitzes anbetrift; so
hat einer, der durch Betrug oder ungerechte Gewalt
den Besitz erlangt hat, kein Recht, und ein andrer,
welcher die Absicht hat, die Güter dem Eigenthümer
wieder einzuräumen, kan ihn mit allem Rechte aus
Abschnitt.
dem Besitz vertreiben. Derjenige, welcher weder
durch Betrug noch ungerechte Gewalt den Besitz
solcher Güter erlangt hat, von welchen er weis, daß
sie andern zustehen, hat ein Recht, welches wider
alle gültig ist, den Eigenthümer und diejenigen,
welche in seinem Nahmen Ansprüche machen, aus
genommen. Wenn der Eigenthümer nicht auszu
findig zu machen ist, oder sich seiner Ansprüche be
giebt: so erlangt der Besitzer, durch die Anmassung,
das Eigenthum. Der Besitzer ist verbunden, es
öffentlich bekant zu machen, daß er dergleichen Gü
ter besitzt, und er mus alle dienliche Mittel anwen
den, es zur Wissenschaft des Eigenthümers zu bringen.
Eine vorsätzliche Verschweigung ist nicht besser, als
ein Diebstahl. Wenn der Besitzer dasjenige, was er
besessen, wieder abtritt: so kan er, mit allem Rech
te, die nöthigen Kosten wieder forden, welche er
auf die Güter selbst, oder auf die öffentliche Be
kantmachung seines Besitzes, verwendet hat.
III. In den Fällen, wenn jemand gewisse Gü
ter besitzt, die andern zugehören, und deren Besitz, er
unter scheinbaren Titeln erlangt hat, dergleichen
Schenkungen, Vermächtnisse, Erbfolgen, oder
Käufe sind, und glaubt, daß sie ihm
*
eigenthüm
lich zustehen, sind folgende Regeln zu bemerken.
1. Wenn die Güter, durch einen
Verschuldung des Besitzers, zu Grunde gerichtet
werden: so ist er zu keinem Ersatz verbunden.
*
Dieses ist der
bonae
der Rechts
nesweges alle andre Be
sitzer zu Betrügern macht.
2. Wenn er sie selbst verbraucht hat: so ist
er verbunden, sie in so weit wieder zu erstatten,
als er dadurch gewonnen, oder im Verhältnis ge
gen den Vortheil und das Vergnügen, welches er
durch sie erlangt hat, und wozu er ausserdem seine
eigene Güter würde haben anwenden müssen; denn
er ist in so weit reicher, als er seine eigene Güter
geschont hat. Was aber das genossene Vergnü
gen anbetrift: so kan man nicht überhaupt sagen,
daß er zur Vergütung gehalten sey, wenn der Be
sitzer es blos um deswillen, weil er die Güter für
sein Eigenthum gehalten, genossen, und ausserdem
zu seinem Vergnügen nicht so viel aufgewendet ha
ben würde. Es ist billig diese Vergütung zu lei
sten, wenn der Eigenthümer arm und der Besitzer
reich ist; oder wenn sie beyde in gleichen Umstän
den sind; oder wenn die Vergütung dem Besitzer
nicht schwer fällt. Wenn aber die Vergütung ihn
unglücklich machen könte, wenn er die Güter für
einen gewissen Preis erkauft, den er nicht wieder
bekommen kan: so scheint es, daß er, wenigstens
in den meisten Fällen, nur eine unvollkommene
Verbindlichkeit habe, den Verlust zu theilen, wo
ferne es dem Eigenthümer zu empfindlich fallen
würde, denselben allein zu tragen.
3. Wenn die Güter noch vorhanden sind: so ist
der Besitzer verbunden, sie mit allem, was ihnen zu
gewachsen und dazu gehöret, nach Abzug aller dar
auf verwendeten nöthigen Kosten, wieder abzutreten.
Hat er sie erkauft: so kan er sich, wegen des Kauf
gelds, an den Verkäufer halten.
4. Ist der Verkäufer nicht ausfindig zu ma
chen, oder ausser Stande, zu bezahlen; so ist der
Fall schwerer. Hier mus entweder der Eigenthü
mer, oder der Besitzer einen gewissen Verlust leiden:
beyde sind gleich unschuldig; welcher von ihnen, soll
ihn also über sich nehmen? Der Fall ist für beyde
gleich vortheilhaft, und kein öffentlicher Vortheil
erfordert, daß der eine eher, als der andre, den gan
zen Verlust tragen müsse. Wenn der Eigenthü
mer davon befreyet werden sollte: so würde dieses
die Käufer vorsichtiger und in der Untersuchung der
Rechte ihrer Verkäufer sorgfältiger machen, und
auf diese Art könten Diebstähle mehr entdeckt wer
den; und wenn der Eigenthümer den Verlust tra
gen sollte: so würde dieses die Menschen zu grös
serer Sorgfalt gewöhnen, Diebstähle zu verhüten,
und nicht zu veranlassen, daß ihre Güter unschuldi
ge Käufer in Schaden bringen. Dem strengen
Rechte nach, sollte man glauben, daß der Verlust
unter den Eigenthümer und alle diejenigen, durch
deren Hände die Güter, ohne Betrug, gegangen
sind, gleich getheilt werden müsste, bis sie von dem
Urheber des Betrugs das Ganze wieder erlangen
können.
Durch eine ungegründete Vorstellung, als
ob das Eigenthum, eine
oder eine Kette sey, welche die Güter und den Ei
genthümer vereinigte, wird unsre
führt, dasselbe für ein heiligeres Recht zu halten,
als alle andre Befugnisse seyn können. Und doch
kan dasselbe nicht heiliger und unverletzlicher seyn,
Abschnitt.
als die Rechte, welche aus Contracten und richtig
geschlossenen Käufen entstehen können, weil durch
Contracte und Käufe das Eigenthum meistentheils
erlangt wird; und es ist kein Grund vorhanden,
warum ein unschuldiger Mann, wegen des Ver
brechens eines andern, daran er keinen Theil hat,
leiden sollte.
Wenn wir diese Vorstellungen bey Sei
te setzen: so wird das Eigenthum, durch das Ge
setz der
ständen werden wir sogleich gewahr, daß es ein
grausames und unmenschliches Verfahren gegen ei
ne einzelne Person seyn würde, wenn wir sie des
vollen Gebrauchs gewisser Güter berauben wollten;
als, wenn sie dieselben, durch ihre eigenen unschul
digen Arbeiten oder durch einen richtigen Contract
sich erworben hat: und wir sehen auch, daß ein
solches Verfahren, wenn es überhand nehmen soll
te, der
würde. Unter diesen Umständen sagen wir, daß
der Mensch das Recht des Eigenthums besitze.
Wenn gleiche Umstände einer besondern Billigkeit
vor zwo Personen, welche einander entgegen ge
sezt sind, streiten: alsdenn betrachten wir einen
Umstand auf der einen Seite, dessen Betrachtung
ein entfernter Vortheil der Gesellschaft nothwendig
macht; und wir halten dafür, daß das Recht mit
diesem Umstande verknüpft sey; oder wenn ein Ge
setz oder eine Gewohnheit, in Ansehung dieses ent
fernten Nutzens, vorhanden ist: so halten wir dafür,
daß das Eigenthum auf dieser Seite sey, und wir
ziehen das schwächere Befugnis eines andern nicht
Buch.
in Betrachtung; obgleich ein billiger Mann es
nicht ganz und gar aus der Acht lassen wird. Es
kommen andre Fälle vor, in welchen die Forderun
gen einiger entfernter Vortheile der Gesellschaft eben
falls gleich sind, und hier ist kein ander Mittel
übrig, als den Verlust unter alle diejenigen, wel
che er betrift, nach einem gewissen Verhältnis
zu theilen.
Es verkauft mir einer in dieser Stunde ein
Pferd, um dadurch eine alte Schuld, die ich bey
ihm zu fordern habe, abzustossen: und in der näch
sten Stunde verkauft und übergiebt er es einem
andern, welcher von meinem Handel nichts weis.
Wenn der Verkäufer ausfindig gemacht werden
kan, und im Stande ist, zu bezahlen: so ist wenig
Schwierigkeit vorhanden; aber wenn er es nicht
ist: auf wen soll der Verlust fallen? Der Con
tract und das bezahlte Kaufgeld, die Gründe der
Titel, und die Vorsprache der Billigkeit, sind auf
beyden Seiten gleich. Es ist hart, daß einer von
diesen beyden unschuldigen Männern leiden soll.
Die Gewohnheit und die
che, auf den entfernten Vortheil der Sicherheit des
Handels, sehen, und Hintergehungen verhindern
wollen, machen die Uebergabe zu einem Umstand,
der dem leztern sehr zustatten komt. Wäre dieser
entfernte Vortheil nicht vorhanden: so würde der
Vorzug der Zeit vor den erstern streiten. Man
nehme an, daß das Pferd dem erstern auch überge
ben worden, und daß dieser es nur, mit des Ver
käufers Bewilligung, einige Stunden in desselben
Stalle stehen lassen. Wenn die andern Umstände
Abschnitt.
jezt gleich sind: so ist der Vorzug der Zeit von
grosser Wichtigkeit, und mus bey allen Contracten
besonders in Erwägung gezogen werden; da der
erste Käufer keinen Verdacht eines Betrugs wider
sich haben kan, und da die Betrachtung dieses Um
stands auch sehr nothwendig ist, Handel und Wan
del zu sichern. In unsrer gegenwärtigen Untersu
chung über das Recht des Käufers, das bezahlte
Kaufgeld von dem Eigenthümer wieder zu fordern,
sind, wenn er es von dem Verkäufer nicht wieder
erhalten kan, die Fälle, in Absicht auf den Privat
nutzen und den öffentlichen Vortheil, auf beyden
Seiten einander gleich. Eben dieselbe allgemeine
Anmerkung über die ursprünglichen Begriffe des
Eigenthums werden bey andern Untersuchungen,
besonders bey denjenigen, welche die durch Testa
mente und Erbfolgen erlangte Rechte betreffen, von
keinem geringen Nutzen seyn.
In diesen und ähnlichen Fällen unterrichten
die Menschenliebe und das
chen Mann, welches Verhalten billig und anstän
dig sey. Wenn der Besitzer arm, und der Eigen
thümer reich ist: so würde es grausam seyn, wenn
der Eigenthümer den Besitzer, wegen des bezahlten
Kaufgelds nicht schadlos halten wollte. Ist der
Besitzer reich, und der Eigenthümer arm: so wür
de es eine Unbilligkeit von dem Besitzer seyn, auf
der Bezahlung des Kaufgelds zu bestehen, wenn es
mit seinem Reichthum in keinen solchen Verhält
nis steht, daß der Mangel desselben ihn unglück
lich machen könte. Sind ihre Vermögensumstän
Buch.
de einander fast gleich: so müssen sie den Verlust thei
len, was auch die bürgerlichen Gesetze verordnen
mögen; oder sie müssen ihn, in einem richtigen Ver
hältnis gegen ihren Reichthum tragen, wenn ihr
Reichthum, ungleich ist, aber keiner in Dürftigkeit
lebt. Der Mangel hinlänglicher Gründe, in die
sen und andern Fällen den ganzen Verlust nur ei
nem Theile aufzulegen, wird nur solchen eigennützi
gen Elenden unangenehm seyn, welche auf jeden
Vortheil, den sie, ohne sich einer offenbaren Unge
rechtigkeit schuldig zu machen, erlangen können, be
gierig sind, und keine Menschenliebe besitzen.
Ueberhaupt, in so weit solche Besitzer, durch
die Güter anderer, sich bereichert und Vortheile
verschaft haben, in so weit sind sie zur Wiederer
stattung verbunden: sie werden aber blos durch
dasjenige reicher, was nach Abzug aller auf die Er
haltung oder Verbesserung verwendeten Kosten
übrig bleibt; und diese Kosten ist der Eigenthümer
zu erstatten verbunden, wenn er seine Güter wieder
erhält. Diejenigen Güter, welche durch Schen
kungen, Erbfolgen, oder andre dergleichen Titel er
langt worden, müssen vollkommen wiedererstattet
werden, ohne daß der Eigenthümer etwas anders,
als die auf die Erhaltung und Verbesserung ver
wendeten Kosten vergüten darf.
IV. Die nächste Classe der dinglichen von dem
Eigenthum oft abgesonderten Rechte, ist das
Recht, in fideicommissarischen Gütern zu succedi
ren. Wenn einer, der ein uneingeschränktes Ei
genthum hat, verschiedenen Personen ein Recht hin
Abschnitt.
terlässt, in einer gewissen Ordnung, und auf ge
wisse Fälle, einander zu succediren: so haben diese
Personen ein eben so gültiges Recht auf diese Erb
folge, als die Menschen durch eine Schenkung er
langen; da ein uneingeschränktes Eigenthum das
Recht einschliesst, über die eigenthümlichen Güter
sowohl unter gewissen Bedingungen, als schlechter
dings, Einrichtungen zu machen. Dergleichen
Fideicommisse können oft unvorsichtig gemacht und
der Billigkeit zuwider seyn; so wie auch die Schen
kungen. Wenn sie es sind: so ist der gegenwärti
ge Besitzer, welcher, ausser dem Rechte, zu veräus
sern, alle andre Rechte des Eigenthums hat, nicht
strafbar, wenn er alle Mittel, die mit der Ruhe
und
greift, das Fideicommiß aufzuheben: so wie ein
Mensch nicht strafbar seyn würde, der dergleichen
Mittel erwählte, unvernünftige oder unbillige
Schenkungen zu verhindern, oder sie zu wiederru
fen. Wenn aber in dem Fideicommiß weder et
was unvernünftiges noch unbilliges liegt: so hat
derjenige, welchem es künftig zufällt, eben sowohl
ein Recht zu succediren, als der gegenwärtige Be
sitzer das Recht des Niesbrauchs auf seine Lebens
zeit hat; und es würde ein Verbrechen seyn, ihm
dieses Recht zu entziehen. Die Ruhe der Gesell
schaft erfordert so gar oft die Bestätigung unver
nünftiger und unbilliger Verordnungen, wovon
wir hernachmals reden wollen; obgleich die Per
son, welche sie angehen, nicht mit gutem Gewissen
darauf bestehen kan. Bürgerliche Gesetze können
die
Buch.
schränken, als der Vortheil des
Nothwendigkeit, den Fleis zu ermuntern, es er
fordert.
V. Die dritte Art dinglicher Rechte, welche
sich von den übrigen Theilen des Eigenthums ab
sondern lässt, ist das Recht des Unterpfands in un
beweglichen Gütern, und dasjenige, welches einer
Person an den ihr zur Sicherheit einer Schuld ver
pfändeten und übergebenen beweglichen Gütern
zustehet. Im Fall der Schuldner nicht gehörig
bezahlet, hat der Gläubiger das Recht, sich die ihm
verpfändeten Grundstücken, oder die als ein Pfand
ihm übergebenen Güter, zuzueignen, ungeachtet ei
nem andern ein älteres persönliches Recht wider
den Schuldner zustehet. Die Anmassung des Ei
genthums an verpfändeten Grundstücken, oder an
beweglichen Pfändern, wenn die Zahlung nicht er
folgt, ist mit keiner Unbilligkeit verbunden, wenn
der verpfändende Schuldner die ganze Uebermasse
des Werths der Grundstücken und Güter erhält,
welche nach Abzug des Capitals, der Zinsen und
Unkosten, übrig bleibt.
VI. Die vierte Classe dinglicher Rechte, wel
che von den übrigen Theilen des Eigenthums abge
sondert werden können, sind die Dienstbarkeiten,
wenn eine Person zu einem geringen Gebrauch der
Güter eines andern ein Recht hat. Alle Dienst
barkeiten sind dingliche Rechte, welche in Ansehung
gewisser bestimmter Grundstücken und Güter zuge
standen werden. Allein einige werden zum Vor
theil einer Person, und blos zu ihrem Gebrauch;
Abschnitt
andre aber werden zum Besten eines anliegenden
Guthes oder Grundstücks, der Eigenthümer dessel
ben mag seyn, wer er will, eingeräumet. Die er
stern werden in Absicht auf die Person, welcher sie
zustehn, und nicht in Absicht auf das Grundstück,
in dessen Ansehung sie zugestanden werden, persön
liche Dienstbarkeiten genennet, welche mit der Per
son aufhören; die leztern werden, aus ähnlichen
Ursachen, dingliche Dienstbarkeiten genennet, und
können immerwährend seyn. So ist der Gebrauch
eines einer Person eigenthümlich zustehenden Hauses
oder Landguths, welchen dieselbe einem Freunde,
auf seine Lebenszeit, überlässt, eine persönliche
Dienstbarkeit, welche dieser auf keine andre Per
son bringen kan. Wenn den Besitzern eines
Landguths, der Weg durch ein anliegendes Land
guth verstattet wird; oder wenn die Besitzer eines
Hauses in der Stadt, das Recht haben, im Gipfel
des angränzenden Hauses Balken anzubringen, um
den Boden oder das Dach zu stützen: so sind die
ses dingliche Dienstbarkeiten, welche zum Nutzen
der Landgüther oder Häuser zugestanden werden,
und immerwährend seyn können. Die Natur der
Contracte und Verträge, wodurch dergleichen
Dienstbarkeiten eingeräumet werden, bestimmen
die Rechte und Verbindlichkeiten der Parteyen,
welche auch von den Gewohnheiten des Orts, wo
die Dienstbarkeiten eingeführt sind, abhängen.
VII. Das vollständige Eigenthum kan entwe
tragung des
vollständigen
Eigenthums
der durch einen freywilligen Vertrag des Eigen
Buch.
thümers, oder vermöge der Verordnunge des Ge
setzes der Natur, ohne seine Einwilligung, zum
1. Durch einen freywilligen Vertrag des
Eigenthümers, bey seinen Lebzeiten, entweder durch
Schenkungen, oder um einen gewissen Preis, oder
einen gleichgültigen Werth; hiervon handeln wir
im folgenden Capitel von den Contracten.
2. Das Eigenthum kan durch eine freywil
lige Handlung des Eigenthümers, auf den Fall sei
nes Todes, vermittelst eines letzten Willens oder
Testaments, übergetragen werden. Dieses Recht,
seine Güter durch einen lezten Willen zu vertheilen,
ist unter dem Eigenthum natürlicher Weise be
griffen, welches ein Recht enthält, unter gewissen
Bedingungen, über das Seinige Verordnungen
zu machen. Man nehme dieses Recht hinweg:
so wird die
Menschen sich mit Bedürfnissen, die für sie und ih
re Familie, auf Lebenszeit, hinlänglich sind, verse
hen haben; oder die Menschen werden genöthigt
werden, alles dasjenige, was sie über die wahrschein
lichen Bedürfnisse ihrer Lebenszeit erwerben, noch
Abschnitt.
in ihrem Leben wirklich wegzugeben, welches von
gefährlichen Folgen seyn kan. Nicht zu gedenken,
daß sie, so bald sie einen Ueberschus erworben hät
ten, ihn sofort wieder weggeben müssten, weil die
Geschwindigkeit des
stand bey der Annäherung des Todes, sie unfähig
machen würde, Schenkungen zu treffen. Dieses
Recht, seine Güter, durch einen lezten Willen zu
vertheilen, scheinet also offenbar in dem Gesetz der
Gesetze die Ausübung desselben, nebst allen andern
Rechten, welche das Eigenthum betreffen, ein
schränken können; als daß die Enterbung oder
Uebergehung eines Kindes, nicht geschehen soll,
wenn es nichts verschuldet hat; oder, daß eine
Person nicht alle ihre Reichthümer einer einzigen
Person unter ihrer zahlreichen Nachkommenschaft,
aus dem thörichten Verlangen, eine Familie gros
zu machen, hinterlassen darf. Die bürgerlichen
Gesetze verpflichten auch mit Recht die Menschen
zu gewissen Feyerlichkeiten, welche allen Betrug
am besten verhindern können. Durch das Gesetz
der Natur ist eine jede Erklärung des lezten Wil
lens, wovon hinlängliche Gewisheit vorhanden ist,
in Ansehung derjenigen, die sie betrift, gültig und
verbindlich: allein in der Absicht, alle Menschen zu
Anwendung der sichersten Feyerlichkeiten zu ver
pflichten, können die bürgerlichen Gesetze, diejeni
gen Testamente, bey welchen dieselben nicht beob
achtet worden, für ungültig erklären.
Daß in dem Gesetz der Natur und in dem
Vortheil der
durch einen lezten Willen zu vertheilen, gegründet
sey, ist eben so klar, als daß andere Rechte des Ei
genthümers darinnen gegründet sind. Die natür
liche Absicht der Menschen, wenn sie sich mehr, als
sie selbst brauchen, erwerben, ist, die
derjenigen, die sie lieben, zu befördern. Sie ver
langen aber, daß diese Glückseligkeit nicht nur Zeit
ihres Lebens, sondern auch nach ihrem Tode noch
dauern möge. Diese liebreichen Neigungen und
die daraus herfliessenden Bemühungen, andere glück
lich zu machen, wir mögen mit ihnen leben oder
nicht, sind, so lange wir leben, die natürlichsten,
angenehmsten und anständigsten Uebungen der
menschlichen
gerecht, einen Menschen in diesen Bemühungen ent
weder, so lange er lebt, zu hindern, oder ihm die
angenehme Hofnung zu rauben, daß seine überle
benden
sen werden. Es ist grausam, diesen Freunden, die
ihnen von ihrem verstorbenen Freunde bestimmten
Wohlthaten zu entziehen. Es ist kein anderes und
sowohl für die
nen
Güter auf die Ueberlebenden zu übertragen, als ver
mittelst eines Testaments, oder „einer
rung
rung
wiederruflich ist, und nicht eher, als nach sei
Abschnitt.
„nem Tode, von einiger Wirkung seyn soll.„
*
Die Güter der Verstorbenen wiederum gemein
werden zu lassen, und sie einer neuen Besitzneh
mung zu unterwerfen, mus viele verderbliche
Streitigkeiten veranlassen. Zu allen diesen Grün=
Gründen kan noch hinzugefügt werden, daß ei
ne weislich eingerichtete Willensverordnung über
haupt nichts anders ist, als die Beobachtung ei
ner
lung der vollkommenen Rechte, welche die Ueber
lebenden auf die Güter des Verstorbenen haben.
Alles dieses beweiset sattsam das Recht,
re
allen obliegt, den Willen des Testirers zu beob
achten und aufrecht zu erhalten, wenn er vernünf
tig eingerichtet, und den Pflichten der Menschen
liebe nicht zuwider ist. Ist er diesen entgegen: so
ist es keine Ungerechtigkeit, ihn umzustossen.
*
Ein unzeitiger Ge
brauch der
hat in dieser Sache grosse
Streitigkeiten
will, die Gültigkeit eines
lezten Willens schliesse eine
welche die handelnde Per
son verrichtete, wenn sie
schon tod wäre. Es sind
auch, von der Natur an
drer Verträge, unerhebli
che Einwürfe hergenom
men worden. Die ganze
Sache komt darauf an:
ob es nicht zu dem un
schuldigen Vergnügen der
Menschen nothwendig ist,
daß ihre lezte Willen nach
ihrem Tode beobachtet wer
den; und ob dieses nicht
der Vortheil der
schaft
unläugbar. Man sehe
gen de iure
.
VIII. Die dritte Art das Eigenthum zu
übertragen, geschieht durch das klare Gesetz der
seinen Lebzeiten; so oft dieses nöthig ist, gerechte
Ansprüche, die ein andrer an ihm zu machen hat,
und die er nicht erfüllen will, zur Erfüllung zu
bringen. Dieses wird hernachmals mit den Rech
ten, welche von den durch andre uns zugefügten
Beleidigungen entstehen, weiter betrachtet werden.
So können zur Vergütung eines Schadens, oder
zu Bezahlung einer richtigen Schuld, von Perso
nen, die dergleichen Ansprüche haben, die Güter
eines andern mit Recht hinweggenommen und das
Eigenthum daran erlangt werden.
Die vierte Art der Uebertragung, geschieht
durch das Gesetz der Natur, ohne Zuthun des Ei
genthümers, auf den Fall seines Todes, in der
Erbfolge ohne Testament. Die Gründe davon
sind diese. Der Verstorbene hatte bey allem, was
er sich, über seine eigenen Bedürfnisse erwarb, die
Absicht, die
waren, zu befördern, wie dieses allen sattsam be
kant seyn mus. Wir sehen, daß einem Menschen
seine Abkömlinge, oder, wenn diese fehlen, seine na
hen Anverwandten lieber sind, als andre, ob es gleich
seyn kan, daß er mit andern mehr Geschäfte ausge
richtet und mehr Vergnügen genossen hat. Wenn
die Menschen ihren letzten Willen erklären: so se
hen wir die allgemeine Neigung die Glücksumstän
de ihrer Abkömlinge und nahen Anverwandten zu
Abschnitt.
verbessern, und wir muthmassen mit Recht, eben
dieselbe Neigung, wenn sie nicht ausdrücklich er
klärt worden. Es ist grausam, ohne daß es ein
öffentlicher Vortheil erfordert, diese natürliche
Hofnung der Erbfolge, die sich auf die Bande des
Bluts gründet, zu vernichten. Unsre
und, wenn diese fehlen, unsre Anverwandten ha
ben ein offenbares Recht, nicht nur in ihren dürfti
gen Umständen von uns Unterhalt zu erwarten,
sondern auch ihren Zustand durch die überflüssigen
Güter, die wir nicht zu unsern eigenen Bedürfnissen
nöthig haben, zu verbessern. Es ist der
Menschenliebe zuwider, dieses Recht zu vernichten,
wenn es keinöffentlicher Vortheil nothwendig macht.
Es ist auch klar daß es eine grosse Verwirrung ver
anlassen würde, wenn die Güter der ohne Testament
Verstorbenen, wiederum gemein und der Besitz
nehmung von neuem unterworfen werden sollten.
Wenn Freunde, mit den Anverwandten zu
gleich, zugelassen werden sollen: so mus dieses in
einem richtigen Verhältnis gegen die Grade der
bestimmt werden; und noch weniger könnte es be
stimmt werden, wenn alle Schmeichler die Hof
nung zu erben hätten. Wir vermuthen in Anse
hung des Willens des Verstorbenen mit Recht,
daß, weil die Gewohnheit, fast unter allen Völ
kern, eingeführt ist, blos die Anverwandten zur
Erbfolge zuzulassen, der Verstorbene seine Absicht
ausdrücklich erklärt haben würde, wenn er gewollt
Buch.
hätte, daß auch andre, wider die Gewohnheit, nebst
den Anverwandten zugelassen werden sollten.
Die natürlichen Neigungen der Menschen
beweisen, daß ihre Abkömlinge zuerst zugelassen
werden müssen, nämlich
Die Enkel können nur zu dem Antheil ihres
Vaters oder ihrer Mutter zugelassen werden,
wenn ein verstorbenes Kind mehr als eines hin
terlassen hat; und mit den Abkömlingen sollten
zugleich die Aeltern zugelassen werden, wenn sie in
dürftigen Umständen sind. Wenn diese fehlen:
so folgen Brüder und Schwestern, und mit ihnen
die Kinder eines Bruders oder einer Schwester,
wenigstens zu dem Antheil, der ihr Vater oder
ihre Mutter bekommen haben würde, wenn sie
noch lebten. Zuweilen könte die Menschenliebe
andre Verhältnisse empfehlen, allein dieses würde
nur grosse Streitigkeiten erwegen. Wenn sol
che nahe Anverwandten fehlen; so bekommen alle
Verwandten in gleichen Graden, die Erbschaft
zu gleichen Theilen, und schliessen die entferntern
aus.
Der römische Erbe, welcher die verstorbene
Person vorstellen, in alle ihre Rechte treten, und
alle ihre Verbindlichkeiten auf sich haben soll, ist in
der Natur nicht gegründet; es ist auch kein Grund
vorhanden, warum ein grösserer Theil der Erb
schaft auf eines von mehrern Kindern, oder auf ei
nen von mehrern Anverwandten in gleichem Gra
Abschnitt.
de, fallen sollte; oder, warum unter Kindern, oder
Anverwandten in gleichem Grade, die ältern den
Vorzug haben sollen; oder, warum der Unterschied
des Geschlechts in dem ersten Grade der Kinder,
allen andern Betrachtungen vorgezogen; in dem
Grade der Enkel aber ganz ausser Acht gelassen,
oder dem Unterschied des
setzt werden solle, so, daß eine unerwachsene Enke
lin eines ältern verstorbenen Sohnes den Vorzug
vor einen erwachsenen Enkel eines jüngern Sohnes,
ja gar vor dem jüngern Sohne selbst, haben müsse.
Die Tochter eines ältern verstorbenen Bruders,
und auch ihre Tochter, haben sogar vor einem jün
gern Bruder selbst, und den männlichen Abkömlin
gen des jüngern Bruders den Vorzug. Alle diese
Dinge sind nur in den
det. Bey der Erbfolge in Privatgütern ist selten
ein Grad vorhanden, einen Erben eher, als den an
dern, der mit dem Verstorbenen in gleichem Grade
verwandt ist, zuzulassen. Die Gewohnheiten
mancher Völker, und ihre bürgerlichen Gesetze, in
Ansehung der Erbfolge, sind sehr ungereimt, und
haben in der
IX. Persönliche Rechte werden wider einen
liche Rechte
erlangt wer
den.
Menschen erlangt, wenn er einen Theil seiner na
türlichen
lungen, nach seinem Gefallen einzurichten, und sei
ne Güter zu gebrauchen und anzuwenden, einge
schränkt, oder auf einen andern übergetragen hat;
welcher hieraus ein persönliches Recht erlangt.
Buch.
Und wenn dieses Recht oder Befugnis eines andern
erfüllt oder aufgehoben wird: so wird die natürli
che Freyheit der verpflichteten Person, in dieser Be
trachtung, wiederum vollständig, oder das persönli
che Recht ist mit ihr wiederum so vereinbart wor
den, als es war, ehe dieses Recht von dem andern
erlangt wurde. Solche Rechte entstehen entwe
der aus einem Contracte, oder aus einer Handlung
der verpflichteten Person, und die Betrachtung der
selben führt uns auf die Materie von den Con
tracten das vornehmste Mittel sind, persönliche
und dingliche Rechte zu erlangen.