Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (copyright information)
I. Die Entscheidungsträger am kaiserlichen wie am kursächsischen
Hof beharrten auch 1636 energisch darauf, dass der Krieg allein dann beendet werden
könne, wenn die ausländischen Kronen den Friedensschluss vom 20./30. Mai 1635 akzeptierten.
Weil Frankreich und Schweden dazu keinesfalls bereit waren, sahen sich alle Seiten gezwungen,
weiterhin eine Konfliktlösung mit militärischen Mitteln zu suchen. Die Kampfhandlungen zwischen
den Exekutoren des Prager Friedens und der schwedischen Armee verlagerten sich dadurch wieder
in die nördliche Reichshälfte und erreichten im Frühherbst mit dem eher symbolischen Sieg der
Schweden bei Wittstock ihren einstweiligen Höhepunkt. Das Fürstentum Anhalt blieb von dieser
Entwicklung nicht unberührt und wurde damit erneut zu einem Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges.
II. Das Jahr 1636 bedeutete für Christian II. und seine
Familienangehörigen ganz zweifellos eines der dramatischsten ihres Lebens.
Denn Mitte Januar zog eine 100-köpfige schwedische Besatzung
auf seinem Schloss Bernburg ein, die den knapp acht Wochen später aufmarschierenden
acht Regimentern aus kaiserlichen und kursächsischen Soldaten erwartungsgemäß
keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen vermochte. Die fürstliche
Residenz wurde deshalb am 11. März im Sturm erobert, größtenteils geplündert und somit
vorläufig unbewohnbar. Auf Grund dessen und aus Furcht vor weiteren Gefechten
entschied sich die fürstliche Familie zur Flucht zu ihren Verwandten in
Norddeutschland. Nach einem mehrtägigen Zwischenaufenthalt am Berliner
Kurfürstenhof (27. 3.–6. 4.)
traf der Anhaltiner am 13. April bei seinem schwerkranken Schwager Herzog Johann Albrecht
II. von Mecklenburg-Güstrow ein, dem er die drei jüngeren Schwestern Sibylla
Elisabeth, Sophia Margaretha und Dorothea Bathilde anvertraute. Seine Gemahlin
Eleonora Sophia und die Kinder brachte der Fürst zehn Tage darauf in Ahrensbök
bei Herzog Joachim Ernst von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön für über ein
Jahr in Sicherheit. Christian II. kehrte dagegen nach Anhalt zurück, mit dessen
übrigen regierenden Fürsten er bei einem Dessauer Treffen vom 24. Mai geeignete Maßnahmen gegen die kursächsischen Kriegszumutungen
beriet. Anfang Juni brach der in Geldnöten steckende Anhaltiner nach Weimar auf,
um bei den ernestinischen Herzögen Wilhelm, Albrecht und Ernst die Bezahlung
alter Schulden anzumahnen. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Bernburg (23.–27. 6.)
reiste er anschließend zum Regensburger Kurfürstentag, wo ihm Kaiser
Ferdinand II. versprach, die anhaltischen Entschädigungsforderungen gegenüber
Kursachsen prinzipiell zu unterstützen. Die übliche Wartezeit überbrückte
Christian II. im August mit einer Trinkkur in Eger. An seinem letzten Kurtag
(26. 8.) erinnerte er sich an zwei Träume des Jahres 1632, die ihn vor
jenen acht Monaten gewarnt hatten, welche ein „r“ im Namen führen. Auf mehr als
20 Tagebuchseiten geht der Fürst dieser göttlichen Botschaft nach. Seine Notizen
bilanzieren dabei nicht nur die Gefahren seines bisherigen Lebens und das
vielfach bestätigte Gefährdungspotential des März und November, sondern zählen
auch eine ganze Reihe missgünstiger, betrügerischer und boshafter Schattenmänner
mit der Initiale „R“ auf, die ihm bis dahin schädlich geworden waren oder
zumindest Unannehmlichkeiten bereitet hatten. Der im Eintrag des nächsten Tages
(27. 8.) wiedergegebene detaillierte Bericht zweier Egerer Jesuiten
über Einzelheiten des unrühmlichen Endes von Wallenstein (1634) veranlassten ihn
ein weiteres Mal, die Kontingenz des irdischen Daseins zu beklagen und sich so
gut wie möglich dagegen zu wappnen. Da die Unsicherheit der erwogenen
Reiserouten die geplante Rückkehr nach Hause zunächst verhinderte, stattete er
den Herzögen von Sachsen-Altenburg (31. 8.–3. 9.) und der verwitweten
Kurfürstin Hedwig von Sachsen auf Schloss Lichtenburg in Prettin (4.–6. 9.)
kurze Zwischenvisiten ab. Wieder in Bernburg (12. 9.) erwarteten ihn neben den diversen Kriegsfolgen vor allem
administrative Aufgaben und wirtschaftliche Schwierigkeiten. Um wenigstens einen
Teil seiner finanziellen Außenstände einzutreiben, begab sich Christian II.
gegen Ende September noch einmal nach Weimar. Von dort aus setzte er etwa zwei
Wochen darauf seine Reise nach Regensburg fort, dessen überteuerte
Lebensmittelpreise der Anhaltiner am 11. November mittels einer recht umfangreichen Tabelle dokumentierte.
Bald nach seiner Ankunft (7. 11.) reichte er beim Kaiser gleich mehrere alte und neue Gesuche
ein: 1. wegen der beanspruchten Kompensation der von kursächsischen Truppen im
Bernburger Teilfürstentum verursachten Kriegsschäden, 2. wegen der Restitution
der Grafschaft Aschersleben durch das Hochstift Halberstadt („ascanische
Sache“), 3. wegen der früheren kaiserlichen Zusage eines jährlichen
Gnadengehalts und 4. wegen der umstrittenen Vormundschaft für seinen Neffen
Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow, von der weiter unten noch die Rede sein
wird. Zur Beförderung seiner Anliegen fuhr der Calvinist Anfang Dezember sogar
nach München, wo ihn Kurfürst Maximilian I. von Bayern großzügig bewirtete. Das
Jahr endete mit Christians Teilnahme an den Regensburger Krönungsfeierlichkeiten
für König Ferdinand III. und dessen Gemahlin Maria Anna, die laut dem für das
Diarium maßgeblichen Julianischen Kalender am 20. bzw. 28. Dezember stattfanden.
III. Die plastische Schilderung des Fürsten von der
Erstürmung und Plünderung seines Bernburger Residenzschlosses vom 11. März stellt ohne jeden Zweifel eine historisch besonders
wertvolle Quelle zur Erfahrung physischer Gewalt im Dreißigjährigen Krieg dar.
Während viele andere Selbstzeugnisse von Zivilisten aus jener Epoche mit ihrem
Detailwissen den Eindruck authentischer Augenzeugenberichte erwecken, obwohl sie
inhaltlich häufig, ja mitunter teilweise wörtlich mit zeitgenössischen
Zeitungstexten übereinstimmen
IV. Eine nähere Betrachtung verdient außerdem die
sommerliche Kur des Fürsten im nordwestböhmischen Eger, dessen heute zu Franzensbad
(Františkovy Lázně) gehörende Mineralquelle bei Schlada (Slatina) in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts immerhin drei Kaiser, etliche Reichsfürsten und
unzählige andere Adlige frequentierten. Vielfach wurde das berühmte Heilwasser
bereits zu jener Zeit in viereckigen Krügen auch über die Grenzen Böhmens
versandt.
V. Am Ende seiner Sauerwasserkur erfuhr Christian II.
erstmals aus Anhalt, dass seine Schwester Eleonora Maria, die inzwischen
verwitwete Herzogin von Mecklenburg-Güstrow, durch den lutherischen Herzog
Adolf Friedrich I. von Mecklenburg-Schwerin „gar vbel“ behandelt werde.
VI. In erster Linie diente der Kurfürstentag Christian II.
allerdings als überaus wichtige Bühne symbolischer
Repräsentation, die ihn als mindermächtigen Reichsstand viel Kraft kostete.
Nicht allzu glaubhaft achtete er fünf Tage vor der Königskrönung gegenüber dem
Reichserbmarschall Graf Maximilian von Pappenheim „zwar solche vaniteten nicht
groß“, weil ihm der „himmel lieber alß die erde“ sei, doch sobald es „die würde
vndt dignitet vnsers vhralten, königl[ichen,] Chur: vndt F[ürstlichen] hauses,
welches könige, Chur: vndt Fürsten in sich gehabtt“, tangiere, mochte der
Anhaltiner diesem und seiner „posteritet in keinerley wege, præjudiziren“, noch
sich selbst „mitt schimpf etwaß vergeben“.