Predigt Nr. 10 – Vetter 6 – F 35v-39v (vereinheitlicht); W1, 55rb-58ra; Str1 9-13; Str2, 37-42
Abschnitt 1
[35v]
Diea ewige worheit
bunsers herrenb cJhesu Cristic het gesproc-
hen: "Min joch, daz ist senfted und min búr-
de, diee istf liht." Disg wider sprechent alle na-
túrliche menschen also verre, alsohi nature treit, [36r]
undj sprechent, daz gottesk joch bitter si und
sin búrde swer. Und muͦs doch wor sin, wan-
ne die ewige worheitl het es gesprochen.
Ein joch heisset ein ding, daz menm swerlic-
he noch nsloͧffet eder zúhetn, und ein búrde
heisset oein dingo, daz sere trucket ederp swe-
re velletq. Bi deme joche nimet men den inde-
wendigen menschen und bi der búrden rnimet manr
den ussern menschen, den alten, den erstens menschen. Der
indewendiget edele mensche, der ist us dem edelenu
grunde derv gotheit her us kummen und ist ge-
bildet noch dem edelen lutern gotte und ist
do wider in geladen undw xwider inx geruͤffet
und wurt wider gezogen, daz er alles des guͦ-
tes teilheftig mag werden. Des der edel wún-
nenkliche grunty hat von naturen, daz mag
sú erkriegen von genoden. Wie got in dem inde-
wendigen grunde denz selen gegrúndet het
und verborgen und bedecket lit, der daz vinden
und bekennen moͤhte und beschowen, der wer
one allen zwifel selig. 10 Und wie der mensche sin ge-
siht het us gekeret und irre get, doch soaa [36v]
het er ein ewig locken und ein neigen her
zuͦ und enkan kein raste niergent hanab, wazac
er dis umbe get. 11 Wande alle anderad ding
enmúgent ime nút genuͦg gesin aein ussen
disemeae, wan dis treitaf und zúhet in alles
agins allerinnersteag sunder sin wissen. 12 Wan dis
ist sin ende. 13 Als alle ding rastent an irreah
stat als der stein uffe der erden und daz
fúr in deme luft, also tuͦtai die sele in gotte.
14 Wenneaj ist nuͦ dis joch suͤsse, dis ziehenak,
disal tragenam? 15 Niemanne denne denan menschen, die
aosich hant gekert, ir antlitz, ir gemuͤteao
inwertap undaq von allen creaturen. 16 Die
sele ist rehte ein mittel zwischent zit und
ewikeit. 17 Kert sú sichar zuͦ der zit, so vergisset
sú der ewikeit und werdent ir die ding ver-
re. 18 Und denne abe sintasat kleine, also allesau,
daz man verre siht, daz schinet kleine und
dazav nohe ist, daz schinet gros, wenne esaw
hetax wenig mittels. 19 Also die sunne: wieay
sehtzig werbe merre siaz wan allesba ertriche,
der ein beckin mit wasser neme ze sum- [37r]
mer, sobbbc hohe an dem himel stat, und leite
dar in einen kleinenbd spiegel, dar inne erschi-
nebe die grossebf sunne alzemolebg und schine
kume als ein kleine bodem. 20 Und wie kleine
oͧch daz mittel si, daz der zwúschent dem klei-
nen spiegel und der grossen sunnen keme, daz
neme deme spiegele daz bilde der grossen sun-
nen zemole. 21 Also rehtebh ist esbi umbebj den menschen,
der dazbk mittel blgeleit hetbl, es si, waz dazbm si booder
wie kleine dazbn sibo, daz er in disen grunt nút
enkan gesehen. 22 One allen zwifel: daz selbe
mittel benimet ime, daz sich daz grosse guͦt,
bpdaz got istbp, in deme spiegel bqsinre selenbq nút
erbilden mag. 23 Lasbr, wie edel und wie luter die
bilde sint, alle machent sú mittel des unverbil-
detenbs bildes, daz got ist.
Abschnitt 2
Welicherbt sichbu inbv derbw sun-
ne erspiegeln sol, die muͦs blos sin und ge-
friet von allen bilden. Wanne wo einige bil-
de sich in demebx spiegel wisetby, da wirt sú disbz
bildesca vermittelt. Alle, diecb diser blosheit nút
war ennementcc, daz sich disercd verborgen
gruntce nút enmag endeckencf noch erbilden, [37v]
diecg sint allech kúchindirnen und denci ist discj
joch bitterck. Und wer nie der in gesach noch
dis grundes nie gesmahtecl, daz ist ein offen
zeichen, sprachcm Origines, daz er ewiklichen
des niemer ensúlle gesmacken noch enbis-
sencn.
Abschnitt 3
Welich mensche codaz dochco nút zuͦ deme minne-
sten einest ancp dem tage nútcq in enkert in
den grunt, doch noch sime vermúgende, der en-
lebet nút als ein reht cristenmensche. Aber diecr
disemecs rument und sich ime muͤssigent
undct bilde abe legent, daz sich die sunne der
in mag ergiessen, den ist discu joch gotz úber
honig und úber allen den smakcv suͤsse, undcw
unsmeclich und bitter alles, daz discx nút
enist. Ya, allecy, die dis iecz gesmahtent, den
ist alle dise welt eine bitter galle. Wande
wo disda gesmacket ist, dbdiser edel gruntdb, da
trucketdc er und zúhet so sere, es zúhet daz
marg us den beinen und daz bluͦt us den
adern. Und wo sich dis bilde in der worheit
hat erbildet, do verloͤschent alle bilde in
schedelicherdd wisen.
Abschnitt 4
deWan abede húndernt dich die [38r]
ding, súdf sint, waz kúnne sú sint? Daz ist, das
du mit dgden dingendg bist verbildet mit eigin-
schaft. Werstudh des bildes und der eiginschaft
lidig, hettestu danne ein kúngriche, es en-
schatte dir nút. Wis one eiginschaft und bilde-
los und hab, wes du bedarft, indi allen dingen.
Abschnitt 5

Man vindet von eime heiligen vatter, der waz
also bildelos, daz ime keine bilde enbleip. Do
kloppfete einer fúrdj siner túren und hiesch
imedk ettewas. Er seitedl, er soltedm es ime holn. Do
er hin in kam, do was es ime zemole verges-
sen. Ginredn kloppfete aber. Er sprach: "Waz wiltu?"
Diserdo hiesch aber. Er meinte aber, er soltedp
es ime holn und vergas esdq aber. 10 Zuͦ dem dirten
mole ginredr klopfete aber. 11 Do sprach diser:
12 "Kume und nim selber. 13 Ich enkan des bildes
als lange in mir nút enthalten. 14 Also blos ist
min gemuͤte aller bilde."
Abschnitt 6
In diseds bildelosen lútedt
do schinet die goͤtliche sunne in und werdentdu
so edellichdv erzogen usserdw in selber und usser
allen dingen und hantdx iren willen gegebendy
gevangen und sich selber und alle ding deme [38v]
goͤttelichen willen. Der in sint sú verstricketdz.
Die werdent soea wúnnenkliche gezogen in ebdaz
joch gotteseb, ecdaz súec vergessent dered dinge.
Des schinent sú inee kleine. Und ewige ding,
dieef sint in noheeg, die sint ineh indewendig,
eidie schinentei in gros von ejirre neheej wegen,
die sint in unmittelicherek. Do abe volgentel
in suͤsseklicheem.
Abschnitt 7
Nu nemen wiren das ander wort:
"Min búrde ist liht." Do mitte niment man
den ussern menschen, doeo manigvaltig liden uf
vellet. Oͧchep, minnenklicher got, wieeq sint nu
die seligeer lúte, den die búrde gottes lihte ist?
Wand nieman enwiles liden und muͦs doch ie-
mer ein liden und ein lossen sin, ker es, wer
du wilt. Cristus muͤste liden und kumen
also in sin ere.
Abschnitt 8
Waz soltu nu liden? Du solt li-
den die urteil undet verhencnisse gottes, wo und
wie die uf dich vallent, es si von gotte odereu
von den lúten. Dir sterbent dineev frúnt oder
verlúrestew des guͦtes oderex der eren, des trostes
indewendig oder ussewendig, gottes oder
der creaturen, die búrde soltu lihteklichen [39r]
tragen und dineey eiginen gebresten, die dir
leit sint undez nút úberwinden maht noch en-
kanst. So leg dich under die búrde zuͦ lidende
infa demefb goͤttelichen willenfc und gibfd esfe gotte.
Abschnitt 9
Daz
pfert, dazff machet den mist in deme stalle.
Und wie der mist einen unflot undfg einen stank
an ime selber het, daz selbe pfert zúhet
den selben mist mit fhgrossen erbeitenfh uf daz
velt. Und wehset danfi us edel schoͤne weisse
undfj edel suͤssefk winfl, der niemer also engewuͤsse,
undfm were der mist nút do.
Abschnitt 10
Also din mist, daz
sint dine eigenen gebresten, den dufn nút getuͦn
enkanstfo undfp nútfq abe gelegen noch úberwin-
den enkanst, die tragfr mit erbeitenfs undft mit flis-
se uf den acker des minnenclichen willen got-
tes in rehter gelossenheit din selbesfu. Spreite
dinen mist darfv uf daz edel velt! Ane allen
zwifel do wehset in einre demuͤtiger gelossen-
heitfw edele wunnenkliche fruht us.
Abschnitt 11
Wer sich
druckete under dise und under alle diefx ur-
teil undfy verhengnisse gottes mit demuͤtiger
gelossenheit und littefz sich in gottes willen [39v]
in habende undga in darbende mit eime bi
blibendem erneste ingb demuͤtiger hoffenun-
ge und alle ding von gotte nemengc und sú
ime wider uf tragengd in rehter abegeschei-
denheit und mit eime inneblibende bi ime
selber undge sich gfin senkengf in den ewigen wil-
len gottes in eimegg verloͤukenne sin selbes
undgh aller creaturen, sogi wer dis dete und
in diseme stuͤnde, demgj wergk die búrde got-
tes lihte in der worheit, jo, also lihte, daz
uf dengl menschen alle die búrden wúrdent geleit,
die alle die welt gmzuͦ molegm treit, die wúrdegn
ime also liht, godaz esgo ime rehte were, es
were gpime alsogp eingq luter niht. Ja, es were
ime eine wunne, eine genuͤgede, eine froͤu-
degr, ein himelrich. Wande gotgs truͤge die búr-
de und der mensche wergt zuͦ mole lidig undgu weregv al-
sogw us gegangen und gotgx ginge zuͦ mole in
aller wisen in in alles des menschen tuͦn und lossen.
Abschnitt 12

Daz alsus gyder edele gotgy an uns wirkengz wer-
de, daz uns sin jochha suͤsse werde und sine búr-
de lihte, daz helfe uns got. Amenhb.

Textapparat

aBruͦder Johan Tauler. Iiugum meum suave et onus meus leve. Die W1, Die ewige worheit: Min joch, daz ist senfte. Die bredie usser sancte Matheus ewangelio des sunnentages vor der septuagesimen seit, wie die sele si ein mittel zwüschent zit und ewikeit. Und wenne sü sich scheidet von allen bilden, so treit sü ein süsses joch und der ussere mensche eine lihte bürde. Die *A89 *A88 *A91.
b–bunse herre W1 *A88.
dsuͤsse *A89 *A88, gar suͤsse *A91.
efehlt W1 *A89 *A88.
ffehlt W1.
gDit wort W1.
hfehlt W1.
isi ir W1, sú die *A91.
jsi W1.
kuns heren W1.
lworheit, die *A91.
mman gar *A91.
n–nfehlt W1.
o–ofehlt *A91.
pund W1.
qiz W1.
r–rfehlt W1.
sirdeschen W1.
tgebessert aus indewendigen.
ufehlt *A91.
vder edelen *A91.
wund ouch *A91.
x–xfehlt W1.
ygebessert zu got *A88.
zder W1 *A89 *A88 *A91.
aafehlt W1.
abgewinen W1.
acwan W1.
adfehlt W1.
ae–aeinbuzen diseme W1, ussewendig dis *A89 *A88 *A91.
afreizit W1.
ag–agin raste W1.
ahdirre *A91.
airastet W1.
ajWeme W1 *A89 *A88 *A91.
akziehen und W1 *A89 *A88 *A91.
aldaz W1.
amtrechen W1.
andem.
ao–aoir antlitze und ir gemuͦde hant gekert W1.
apir werg *A89 *A88 *A91.
aqfehlt W1 *A89 *A88 *A91.
arsich nu *A91.
asachtet si W1.
atsú gar *A91.
aufehlt *A89 (nach Str2) *A88, das *A91.
avdaz do *A91.
awdit W1.
axhet gar *A91.
aywie daz *A89 *A88 *A91.
aziz W1.
baalle W1.
bbdo *A89 (nach St2) *A88 *A89.
bcdie sŭnne *A89 *A88 *A91.
bdfehlt W1.
beschine W1.
bfgroͤssi der *A91.
bgzuͦ male W1.
bhrechte also *A89 *A88 *A91.
bigetilgt W1.
bjfehlt W1.
bkdit W1.
bl–blniet abe inhait gelacht W1.
bmiz W1.
bniz W1.
bo–bofehlt *A91.
bp–bpfehlt *A88.
bq–bqfehlt W1.
brUnd W1.
bsunvirbildent W1.
btr auf Rasur, Welche W1 *A89 *A88 *A91.
budavor Buchstabe gestrichen, sele W1 *A89 *A88 *A91.
bvüber der Zeile ergänzt.
bwer auf Rasur, der sich dise gotliche W1, der sich die *A89 *A88 *A91.
bxdisem W1.
byirwiset W1, wisent *A91.
bzdiser W1, des *A89 *A88 *A91.
cafehlt W1.
cbdie wile man W1.
ccinnimet W1.
cddit W1.
cedes grundes W1.
cferdecken *A89 (nach St2) *A91 (?).
cgdit W1.
challis W1.
cidem F *A89.
cjdaz *A88.
ckswer W1.
clgesmackeden W1.
cmsprichit W1.
cngebizen W1.
co–cosich W1.
cpzuͦ W1.
cqfehlt W1, sich *A89 *A88 *A91.
crdie seligen die W1.
csdisen dingen *A91.
ctund die W1.
cudaz *A88 *A91 (?).
cvsmag, den man irdenken mach W1.
cwund ouch *A91.
cxdas *A89 (nach St2) *A91 (?).
cyal die W1 *A89 *A88 *A91.
czfehlt *A88.
dadis edelen grundes W1.
db–dbfehlt W1.
dctreckit W1.
ddscheidelicher W1.
de–deDannan von *A89 *A88 *A91.
dfsú denne *A91.
dg–dgder *A89 (nach St1), den *A88 *A91 (?).
dhWerdest du *A91.
dian *A89 *A88 *A91.
djan *A89 *A88 *A91.
dkfehlt W1.
dlsprach *A89 *A88 *A91.
dmwolte *A89 *A88 *A91.
dnder gien W1.
doDer *A91.
dpwolte *A89 *A88 *A91.
dqin W1.
drder iene W1.
dsdisen W1 *A89 *A88 *A91.
dtluden W1 *A89 *A88 *A91.
duwirt W1.
dvsuzlich W1.
dwuz W1.
dxfehlt W1.
dygebent W1.
dzvirstrickit und W1.
eafehlt W1.
eb–ebgodes joch W1.
ec–ecund W1.
edbeigeschrieben zergenglichen *A88.
eein in W1.
effehlt W1 *A89 *A88 *A91.
egnohe und *A91.
ehfehlt W1.
ei–eigebessert zu und darumbe schinent sú *A88.
ej–ejiris niedes W1.
ekunmitliche W1 *A88 *A91 (?).
elkumment *A89 *A88 *A91.
emsŭssekeit *A89 *A88 *A91.
enwir herfúr *A91.
eodo so *A91.
epO *A89 *A88 *A91.
eqwer W1, wo *A89 *A88 *A91.
erseligen *A89 *A88 *A91.
esenwil sú *A91.
etund die *A89 *A88, und ouch die *A91.
euund W1.
evdie W1.
ewvirluͦst W1.
exfehlt W1.
eydie W1.
ezund die du *A91.
fafehlt W1.
fbden W1 *A91.
fcwilen gotz W1.
fdlit W1.
fees alles *A91.
fffehlt W1.
fgfehlt *A91.
fh–fhgrozer arbeide W1 *A89 *A88 *A91.
fidenne do *A91.
fjund der *A88, und gar *A91.
fkschoͤner *A91.
flwin und der gar suͤsse ist und guͦt an ime selber *A91.
fmfehlt W1, gestrichen *A88.
fnduͦ nuͦ W1.
fonoch enmaht *A91.
fpnoch W1, und ouch *A91.
fqfehlt W1.
frzuch W1.
fsarbeide W1 *A89 *A88 *A91.
ftund ouch *A91.
fuselbes und *A91.
fvfehlt W1 *A89 *A88 *A91.
fwgelossenheit ein *A91.
fxfehlt W1 *A91.
fyund ouch *A91.
fzlechte W1.
gaund ouch *A91.
gbund W1, in einer *A91.
gcgebessert zu neme *A88.
gdgebessert zu truͤge *A88.
geund ouch *A91.
gf–gfsenkete *A88.
ggein *A88.
ghund ouch *A91.
giso hin *A91.
gjden W1.
gkwurde W1.
gldem *A89 *A88 *A91.
gm–gmfehlt *A89 *A88 *A91.
gnworden W1.
go–goda W1.
gp–gpfehlt *A89 *A88 *A91.
gqfehlt W1.
grvreude und W1 *A91.
gsgot, der *A91.
gtginge W1.
guhe W1.
gvfehlt *A89 *A88 *A91.
gwiz allis W1.
gxgot, der *A91.
gy–gydaz edil gotz wort W1.
gzwar W1, würkende *A89 *A88 *A91.
hajoch gar *A91.
hbAmen. Bidit vor den schriber W1.

Marginalien


Anmerkungen

Johannes Tauler
geb.: ca. 1300
gest.: 1361
Anm.: Dominikaner; Mystiker
weiterführende Informationen
Matthäus
Anm.: Evangelist
weiterführende Informationen
Jesus Christus
Anm.: biblische Person
weiterführende Informationen
Origines
Anm.: Kirchenvater
weiterführende Informationen
XML: unbekannt
XSLT: unbekannt