Die digitale Publikation von Rodrigo de Castros Medicus-politicus entstand im Rahmen eines durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojektes zur vormodernen Medizinethik und wurde in Kooperation mit der Digitalen Bibliothek der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel durchgeführt. Das von Prof. Dr. Mariacarla Gadebusch Bondio geleitete Forschungsprojekt „Medicus Politicus – ärztliche Entwürfe zum Schutz und zur Verbesserung der menschlichen Natur in Zeiten der Krise“ war in der Forschungsgruppe 1986 „Natur in politischen Ordnungsentwürfen: Antike – Mittelalter – Frühe Neuzeit“ eingebettet (2013–2019). Die Idee, eine leicht zugängliche, zeitgemäße digitale Ausgabe von Rodrigo de Castros Traktat Medicus-politicus, einer für die vormoderne Medizinethik bedeutenden Schrift, zu realisieren, entstand im Gespräch zwischen der Projektleiterin und dem damaligen Leiter der Digitalen Bibliothek und stellvertretenden Bibliotheksdirektor, Prof. Dr. Thomas Stäcker. Es folgte ein dem Projekt sehr förderlicher Austausch zwischen München, Wolfenbüttel und (seit 2017) Bonn, in dessen Rahmen die konkrete Ausarbeitung stattfand.
Das Hauptziel war und ist, solide Grundlagen für die künftige Forschung mit diesem auf Latein verfassten Text zu schaffen. Der transkribierte, navigierbare Text soll einen leichten Zugang zur Quelle und eine dynamisch-offene Basis für künftige Arbeiten bieten. Ohne den Anspruch einer klassischen, kritischen Textedition, die des Rahmens eines eigenen, langjährigen Editionsprojektes bedurft hätte, wurde in dem Zeitraum von insgesamt sechs Jahren, neben Publikationen in Buch- und Aufsatzform, dieses Ziel in Form eines innovativen Digitalisierungskonzeptes erreicht.
Die Transkription des lateinischen Textes führte Katharina-Luise Förg (geb. Link) in der ersten Förderphase des Projektes (2013–2016) zunächst als studentische, später als wissenschaftliche Hilfskraft durch. In der zweiten Förderphase (2016–2019) wurde die Digitalisierung zunächst vom wissenschaftlichen Mitarbeiter des Teilprojekts, Manuel Förg, und der studentischen Hilfskraft, Daniel Hofmann, später zusammen mit Katharina-Luise Förg, dann ebenfalls als wissenschaftliche Mitarbeiterin, vorangetrieben. Der gesamte Prozess wurde von der Projektleiterin, Mariacarla Gadebusch Bondio, begleitet.
Die technische Umsetzung des Projektes wurde von David Maus, dem wissenschaftlichen IT-Mitarbeiter der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek, koordiniert.
Rodrigo de Castro (Rodericus à Castro) wurde um 1546 in Lissabon geboren und entstammte einer Familie portugiesischer Judeo-Conversos, die ursprünglich aus Kastilien kam. Nach dem Studium der Medizin in Salamanca praktizierte er in Évora und Lissabon; im Zuge der Aushebungen für die spanische Armada (im Jahr 1588) war er wohl als Gutachter tätig, verließ aber kurz darauf Portugal um 1590. Nachdem er sich zunächst in Antwerpen aufgehalten hatte, ließ er sich im Jahr 1594 in Hamburg nieder. Dort bekannte er sich nach einigen Jahren zum Judentum und starb schließlich hochbetagt im Jahr 1627.
Anlässlich einer Epidemie in Hamburg im Jahr 1596 verfasste de Castro eine Schrift über die von ihm als solche definierte Pest (Tractatus brevis de natura et causis pestis).1 Im Jahr 1603 legte er eine frauenheilkundliche Schrift in zwei Bänden vor (De universa mulierum medicina). Vierzehn Jahre später erschien der Traktat in zweiter (von insgesamt fünf) Auflage unter geringfügig verändertem Titel (De universa muliebrium morborum medicina).2 Kurz zuvor, im Jahr 1614, veröffentlichte de Castro seine dritte Schrift mit dem Titel Medicus-politicus sive de officiis medico-politicis Tractatus, quatuor distinctus Libris: In quibus non solum bonorum medicorum mores ac virtutes exprimuntur, malorum verò fraudes et imposturae deteguntur: verum etiam pleraque alia circa novum hoc argumentum utilia atque jucunda exactissimè proponuntur. Opus admodum utile medicis, aegrotis, aegrotorum assistentibus, et cunctis aliis litterarum, atque adeo politicae disciplinae cultoribus. Zu deutsch: „Der politische Arzt oder Traktat über die ärztlich-politischen Pflichten, unterteilt in vier Bücher: In denen nicht nur der guten Ärzte Moral und Tugenden dargelegt und die Täuschungen und Betrügereien schlechter (Ärzte) aufgedeckt werden, sondern auch viele andere nützliche und angenehme Dinge über dieses neuartige Thema präzise ausgebreitet werden. Ein Werk, nützlich für Ärzte, Kranke, Pfleger von Kranken und alle anderen Gebildeten und besonders diejenigen, die Politik betreiben“. Diese Schrift sollte im Jahr 1662 zum zweiten Mal verlegt werden.
Das Spätwerk Medicus-politicus widmet sich, wie aus dem Untertitel hervorgeht, einerseits der Moral und den Tugenden guter Ärzte, andererseits den Täuschungen und Betrügereien schlechter Ärzte.3 Der Traktat richtet sich nicht nur an Ärzte, Patienten und deren Angehörige, sondern auch an Literaten und Politiker. Im ersten der insgesamt vier Bücher werden verschiedene Schulen der Medizin vorgestellt, ihre Herkunft skizziert und das Fach der Medizin innerhalb der Wissenschaften verortet. Das zweite Buch gilt den Disziplinen, die der ideale Arzt beherrschen müsse. Im umfangreichsten dritten Buch beschreibt de Castro die Verhaltensregeln des Arztes und die Fehler, die er vermeiden solle, etwa bei der Visite, der Harnschau oder der Prognose. Das vierte und letzte Buch befasst sich mit verschiedensten Themen: So schildert de Castro die Praxis der Liebestränke, referiert über Zauberei, legt Makro- und Mikrokosmos-Analogien dar und erörtert gutachterlich-forensische Aufgaben des Arztes. Am Ende dieses Buches steht ein Exkurs über Musiktherapie. Die zunächst wahllos wirkende Aneinanderreihung der Kapitel lässt jedoch ein übergeordnetes Thema erkennen: In den Makro-und Mikrokosmos-Analogien entfaltet de Castro ein Konzept der menschlichen und göttlichen Natur, deren (Er-)Kenntnis es dem idealen Arzt ermöglicht, Erfolg versprechende Therapien, beispielsweise durch Musik, durchzuführen.
De Castros Medicus-politicus reiht sich damit in die Gattung deontologischer Schriften ein, deren Tradition sich bis zu Hippokrates zurückverfolgen lässt. Doch die Begriffswahl politicus bzw. politia setzt einen neuen Akzent zum geläufigen medicus optimus bzw. medicus bonus. Mit der terminologischen Wahl lassen sich mindestens drei Überlegungen des Autors verknüpfen, die das ethische Gewicht und die gesellschaftliche Tragweite seiner Schrift verdeutlichen: Erstens bezeichnet de Castro den von Hippokrates etablierten Terminus der medizinischen oeconomia, der im antiken allgemeinen Ökonomik-Diskurs verankert ist und speziell die fürsorglichen Tätigkeiten des Arztes und sein Verhältnis zum und seinen Umgang mit dem Patienten beinhaltet, als politia.4 Damit deckt der Begriff die Eigenschaften und das Verhalten des Arztes dem Patienten gegenüber ab. Zweitens erachtet de Castro das korrekte Verhalten des Arztes als wichtigen Beitrag der Medizin für das Gemeinwohl und damit für die Politik, indem gut praktizierte Medizin der Gesundheit der Bürger diene. Drittens taucht im Verlauf des Traktats eine metaphorische Bedeutung von politia bzw. politicus auf: Der Arzt sei für den menschlichen Körper, also für den Patienten, das, was ein Staatsmann, oder im Kriegsfall gar ein Feldherr (dux), für sein Gemeinwesen sei.
Mit dem Begriff Medicus-politicus verbindet de Castro die Funktionen des Arztes an der Schnittstelle zwischen dem Individuellen, dem Privaten, und dem Allgemeinen, dem Öffentlichen. Das Werk steht für das „Politische“ am Arztberuf, soll also die Rolle des Arztes im Gefüge des bonum commune herausarbeiten. Gute Medizin befördere die Gesundheit Vieler und darin liege ihre Bedeutung für die Gemeinschaft und die Verantwortungsträger. Schlechte oder fehlende Beherrschung der ärztlichen Ökonomie habe zur Folge, dass viele ansonsten hervorragende und erfahrene Ärzte (multi alioqui praestantissimi, et suae artis peritissimi medici) den Patienten nicht nur unlieb und hassenswert, sondern sogar nutzlos würden (ingratus, odiosus, inutilis). Deshalb sei eine Vermittlung jener Regeln notwendig, die die moralische Grundlage für den klugen, angemessen auftretenden, politischen Arzt (prudens, politicus, generosusque medicus) bilden sollen. Für dieses erstrebenswerte Ziel gibt de Castro v.a. den angehenden Ärzten ein Kompendium an die Hand.
Ziel der vorliegenden digitalen Publikation ist es, eine zentrale Quelle vormoderner Medizinethik zugänglich, „navigierbar“ und erschließbar zu machen. Der umfangreiche Traktat wird erstmals in diplomatischer Form „durchsuchbar“ gemacht. Dadurch soll die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser komplexen frühneuzeitlichen Quelle, die ein dichtes Referenzennetz in sich trägt, befördert werden. Zu den Vorzügen des digitalen Formats für die künftige Forschung zählen die angelegten Suchregister. Zum einen wurden moderne Register angelegt (Stellenindex, Verzeichnisse der Orte, Länder und Ethnien). Zum anderen wurde ein großer Teil der von de Castro als Zitate und Referenzen gekennzeichneten Textstellen aus bzw. zu antiken, mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Werken sowie dem Alten Testament mit modernen Standardeditionen verlinkt.5 Obwohl die Frage nach de Castros Textvorlagen gegenwärtig offenbleiben muss und zwischen diesen und den heutigen Standardeditionen beträchtliche Unterschiede bestehen – ganz zu schweigen von der Problematik beispielsweise des Galenus Latinus –, schien es dennoch sinnvoll, die Textzitate in ihrem Kontext anzubieten und die bloßen Referenzen um Inhalte zu erweitern. Darüber hinaus wurden die von de Castro genannten Personen – seien es antike Gottheiten, Ärzte oder Zeitgenossen – auf Basis der Gemeinsamen Normdatei (GND) verlinkt. Diese Verlinkungen können als Orientierungshilfe genutzt werden. Die Personennamen wurden von uns in unveränderter Form aus der GND übernommen. Zu einigen antiken oder zeitgenössischen Persönlichkeiten, die (bislang) nicht über eine GND verfügen, wurden von uns Angaben eingefügt. Ferner wurden einzelne Textpassagen, mit denen wir uns im Rahmen des Projektes eingehender beschäftigt haben, kommentiert.
Die in dieser Form erfolgte digitale Publikation des Medicus-politicus versteht sich als Ausgangspunkt und als ausbaufähige Grundlage für die weitere Forschung. Die Ausgabe ist bewusst als offenes Format gestaltet, sodass Anmerkungen und Ergänzungen jederzeit willkommen sind.
Grenzen, Einschränkungen, Unvollständigkeit, aber auch Ausbaupotential der vorliegenden digitalen Publikation sind den Herausgeber*innen bewusst. Umso stärker möchten wir schließlich die Bedeutung der interdisziplinären und interprofessionellen Kooperation betonen, ohne die die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen wäre.
Zunächst wurde der Originaltext in einer Word-Datei transkribiert und durch einfache Formatierungselemente spezifisch markiert. Die fertig kodierte Word-Datei wurde anschließend in eine XML-Datei nach dem Vokabular der Text Encoding Initiative (TEI) umgewandelt. Diese Umwandlung erfolgte in zwei Schritten. Zunächst wurde mit Hilfe der Software transpect eine Datei im Übergangsformat HubXML erzeugt. HubXML ist ein schwach strukturiertes, von DocBook abgeleitetes Format, in dem die vorgenommenen Farbkodierungen als CSSa6 abgelegt werden. Diese Datei im Übergangsformat wurde normalisiert und schließlich in eine TEI-P5-Datei umgewandelt. Normalisierung und Umwandlung in TEI-P5 wurde als XProc-Verarbeitungskette7 realisiert.
Die Datei im Format TEI-P5 bildet den Ausgangspunkt des weiteren „XML first“ Publikationsprozesses. In diesem wurden im ersten Schritt aus der Konversion resultierende Fehler identifiziert und nach Rücksprache bereinigt. Danach wurden für kodierte Personen, Orte, Werktitel usw. eigene Register angelegt, normalisiert und, wo möglich, mit Normdaten ergänzt. Als besonders fruchtbar erwies sich hier die Verlinkung mit der Gemeinsamen Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek (GND) und der Perseus Digital Library der Tufts-Universität.
Der digitale Medicus-politicus ist als statische Webseite umgesetzt, die mit minimalen technischen Voraussetzungen einen dauerhaften Zugang zum Quellentext ermöglicht.8
Anhand des Digitalisats sowie unter autoptischer Kontrolle am Original – dabei handelt es sich um eines9 von zwei Exemplaren, die sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München befinden – wurde der Text in ein Microsoft Word-Dokument transkribiert. Dabei wurde die Textgestalt grundsätzlich beibehalten; Einzüge, Abstände, Kursivierungen und Akzentuierungen wurden in vereinheitlichter Form übernommen. Abbreviaturen und Kürzel wurden aufgelöst und durch spitze Klammern gekennzeichnet. Dies gilt für Nasalstriche über Vokalen, für Verdopplungsstriche über den Nasalen „m“ und „n“ und für die zeitgenössisch gebräuchlichen Kürzel der Silben „pro“ und „que“. Die beiden Varianten „U“ und „V“ (in Minuskeln und Majuskeln) für den Vokal „U“ wurden zu „U“ bzw. „u“ vereinheitlicht. Das et-Zeichen (&) und das e caudata (ę) wurden stillschweigend zu et bzw. ae aufgelöst. Akzentfehler und Setzfehler des Druckers wurden ebenfalls stillschweigend korrigiert.