Leuchtendes Wort. Sprechendes Bild
Handschriften aus dem Kloster Weißenburg
Ausstellungsdauer: 16. Februar bis 1. Juni 2020, verlängert bis 27. September 2020
Ausstellungsort: Augusteerhalle, Schatzkammer und Kabinett der Bibliotheca Augusta
Unter Karl dem Großen erfuhr das kulturpolitische Leben gezielte und umfängliche Förderung. In Werkstätten am Hof arbeiteten Künstler und Schreiber an Handschriften, die anschließend auch an bedeutende Klöster weiter-gegeben wurden, um dort als Vorlagen zu dienen. In einem dichten Netzwerk tauschten die Schreibzentren Ideen und Wissen aus. Sie entwickelten eigene Stile im Hinblick auf Buchschmuck und Layout. Das Benediktinerkloster St. Peter und Paul im elsässischen Weißenburg (Wissembourg) wurde seit Mitte des 8. Jahrhunderts vom Königshaus gefördert und brachte Handschriften hervor, die nicht nur durch ihre neuartige Gestaltung und ihren eigenen Stil, sondern auch durch den modernen Standard der Auslegung biblischer Texte auffielen.
Die Handschriftenbestände des Klosters gelangten 1689 als nahezu geschlossener Bestand in den Besitz der Herzog August Bibliothek. Es handelt sich überwiegend um frühe Formen des Buches, sogenannte Codices, die in Weißenburg nicht nur geschrieben und mit Buchmalerei ausgestattet, sondern auch dort aufbewahrt und genutzt worden sind. Die künstlerische Tätigkeit der Klosterschreibstube in den Jahren 800 bis 870 wurde bisher kaum untersucht. Erstmals widmet sich jetzt eine Ausstellung der Entwicklung und den Highlights des Weißenburger Skriptoriums und gewährt zugleich einen Einblick in das liturgische Leben und die Riten der Gemeinschaft der Benediktinermönche.
Buchschmuck und Schriftbild
Die fantasievollen Blüten- und Blattmotive, die die Handschriften des Klosterskriptoriums um 800 bis 830 schmücken, sind in der regionalen Tradition verwurzelt. Seit den 30er Jahren verzichteten die Schreiber dann zunehmend auf Buchschmuck und entwickelten stattdessen ein ausgewogenes Schriftbild mit gliedernden Auszeichnungsschriften. Der hier wohldosiert eingesetzte Initialschmuck steht in keiner Verbindung zu den frühen Handschriften. Im 2. Viertel des 9. Jahrhunderts erfolgte mit farblich kontrastreichen Initialen ein einmaliger, größerer künstlerischer Impuls aus dem Kloster Fulda. In Anlehnung an die Buchmalerei aus St. Gallen und der Reichenau wurden Flechtbandinitialen und Goldauftrag verwendet.
Von 845 bis 870 stand dem Skriptorium der Dichter und Mönch Otfrid von Weißenburg (ca. 790 bis 870) vor, dessen berühmte, in althochdeutsch verfasste Evangelienharmonie heute noch in 4 Abschriften erhalten ist. Er unterhielt Kontakte nach Fulda (Hrabanus Maurus), St. Gallen (Hartmut) und zur Reichenau (Wahlafrid Strabo). Die Buchproduktion stieg in diesem Zeitraum deutlich an; aus den 25 Jahren stammen insgesamt so viele Bücher wie aus den 75 Jahren zuvor.
Liturgie und Exegese
Die Exponate erlauben Einblicke in das tägliche Leben der Mönche, den Gottesdienst, die Produktion literarischer Texte und das Studium der Bibel im Kloster.
Auch wenn die meisten liturgischen Handschriften, die für die religiösen Riten und Zeremonien eingesetzt wurden, aus Weißenburg verloren gegangen sind, ermöglichen einige erhaltene Stücke die Rekonstruktion des liturgischen Lebens in Weißenburg. Darunter sind zerstreute Fragmente in Einbänden, Bestandslisten und Ausleihvermerke aus dem 11. Jahrhundert, mittelalterliche Predigtsammlungen, Martyrologien oder die Benediktinerregel für die monastische Gemeinschaft zu finden. Die frühmittelalterlichen Codices enthalten gelegentlich auch liturgische Gesangs-stücke mit Aufzeichnungen zur Musik.
Für die theologische Ausbildung und die Grundlagen der Bibelexegese, also der Auslegung von biblischen Texten, wurden in Weißenburg im 9. Jahrhundert aufwendige Abschriften von Kirchenväterliteratur erstellt. Werke von Augustinus oder Cassiodorus verdienen hier besondere Aufmerksamkeit. Vorlagen mit zeitgenössischer Literatur wurden auch aus anderen Klöstern beschafft. Otfrid von Weißenburg verfasste nicht nur ein Evangelienbuch in der Volkssprache, sondern überführte die bis dahin vorhandenen lateinischen exegetischen Quellen in ein neues handschriftliches Layout, einen Text mit Glossenapparat. Diese Form sollte von da an für alle biblischen Bücher gelten und für die Ausbildung der Mönche benutzt werden. Verschiedene Handschriften und Fragmente zeigen die intellektuelle Leistung und die Herausforderungen, die mit diesem Vorhaben bei der Buchproduktion verknüpft waren.
Ausgestellte Handschriften
Shelfmark | Manuscript title | Place of origin | Date of origin | Facsimile |
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Cod. Guelf. 41.1 Aug. 2° | Lucani Pharsalia | 12. Jh. | ||
Cod. Guelf. 84.8 Aug. 2° | Evangeliar | Weißenburg, Benediktinerkloster | 9. Jh., Mitte/2. Viertel | |
Cod. Guelf. 10.11 Aug. 4° | Liber pontificalis | Weißenburg | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 17.5 Aug. 4° | Walahfrid Strabo, Vitae sanctorum Galli et Otmari | St. Gallen, Benediktinerkloster | um 920 | |
Cod. Guelf. 131.1 Extrav. | Otfrid: Evangelienbuch. Fragment | Mainz (?) | um 975 | |
Cod. Guelf. 148 Gud. lat. | Julianus episcopus Toletanus. Weissenburger Aesopus. Physiologus | Ost-Frankreich | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 455 Helmst. | Isidorus Hispalensis. Beda Venerabilis | Frankreich | 9. Jh., 1. Hälfte | |
Cod. Guelf. 496a Helmst. | Caroli Magni imp. Admonitio generalis | Fulda | ca. 800 | |
Cod. Guelf. 1008 Helmst. | Hymnarius vel Antiphonare | Minden | 11. Jh. (1024–1027) | |
Cod. Guelf. 404.1 Novi (12) | Smaragdus Sancti Michaelis: Expositio libri comitis (Fragment) | Weißenburg | 9. Jh., 2. Viertel | |
Cod. Guelf. 404.2 Novi (4) | Legendar. Fragment | Weißenburg? | 8./9. Jh. | |
Cod. Guelf. A Novi (9) | Evangeliar. Fragment | Italien (?) | 8./9. Jh. | |
Cod. Guelf. A Novi (10) | Biblia latina, Fragment | Sankt Gallen (?) | 9./10. Jh. | |
Cod. Guelf. 1 Weiss. | Homiliar Winterteil unter dem Namen des Haymo von Halberstadt | Mittelitalien | 11. Jh., 2. Hälfte | |
Cod. Guelf. 2 Weiss. | Isidor von Sevilla: Etymologien und De rerum natura | Weißenburg (?) | 11. Jh. | |
Cod. Guelf. 3 Weiss. | Canones-Sammlung (Dionysio-Hadriana) mit althochdeutschen Glossen | Weißenburg | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 4 Weiss. | Cassiodorus: Commentarius in psalmos I–L | Weißenburg | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 10 Weiss. | Augustinus: In Iohannis evangelium tractatus 1–23 | Weißenburg | 9. Jh., Anfang | |
Cod. Guelf. 14 Weiss. | Cassiodorus: Commentarius in psalmos CI–CL | Weißenburg | 8. - 9. Jh. | |
Cod. Guelf. 17 Weiss. | Ps.-Hieronymus: Breviarium in psalmos | Weißenburg | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 22 Weiss. | Josephus: Antiquitates iudaicae I–XII | Weißenburg | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 26 Weiss. | Evangelia cum glossis | Weißenburg | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 30 Weiss. | Augustinus: De consensu evangelistarum 2.3 - Verzeichnis der Weissenburger Bibliothek | Weißenburg | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 31 Weiss. | Hrabanus Maurus: Commentarius in libros Iosua, Iudices et Ruth | Weißenburg | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 33 Weiss. | Isaias cum glossis | Weißenburg | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 35 Weiss. | Hilarius Pictaviensis: Commentarius in evangelium Matthaei | Südwestdeutschland? Weißenburg (?) | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 45 Weiss. | Martyrologium, Consuetudines monasticae und Benediktinerregel | Weissenburg | 12. Jh., 1. Drittel? | |
Cod. Guelf. 47 Weiss. | Epistolae Pauli cum glossis | Weißenburg | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 48 Weiss. | Acta apostolorum apocrypha | Südwestdeutschland; Weißenburg (?) | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 49 Weiss. | Iosephus Scottus: Epitome commentariorum Hieronymi in Isaiam | Weißenburg | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 51 Weiss. | Hieronymus: Commentarius in Ieremiam | Weißenburg | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 60 Weiss. | Sammelhandschrift (Beda: Matthaeus-Kommentar - Glossarien zu den Evangelien, bes. Lucas unter Benutzung Bedas) | Südwestdeutschland | 10. Jh., Anfang | |
Cod. Guelf. 61 Weiss. | Evangeliar | Lothringen (?) | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 66 Weiss. | Glossarium biblicum. Hymni. Beda: De natura rerum | Weißenburg und Ostfrankreich? | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 70 Weiss. | Lukasevangelium mit Glossen | Weißenburg (?) | 11. Jh. | |
Cod. Guelf. 72 Weiss. | Hieronymus: Epistolae | Weißenburg, Benediktinerkloster | 9. Jh., 2. Jahrzehnt | |
Cod. Guelf. 75 Weiss. | Auszüge aus Amalarius von Metz | Weißenburg, Benediktinerkloster | 10. Jh., 2. Hälfte | |
Cod. Guelf. 76 Weiss. | Gallicanisches Lektionar und Pomerius (Palimpsest) | Südfrankreich | 7./8. Jh. | |
Cod. Guelf. 77 Weiss. | Prudentius: Apotheosis, Contra Symmachum et Hamartigenia. Carmina | Südwestdeutschland | 9. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 78 Weiss. | Psalter mit Hymnen und Gebeten | 11. Jh. | ||
Cod. Guelf. 81 Weiss. | Hieronymus, Martyrologium | Weißenburg | um 800/9. Jh., Anfang | |
Cod. Guelf. 82 Weiss. | Martinellus | Tours | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 91 Weiss. | Canones. Ordines. Computus. Symbola. Breviaria. Weissenburger Katechismus | Weißenburg | 9. Jh., 1. H. | |
Cod. Guelf. 92 Weiss. | Hrabanus Maurus In Ezechielem 1-6 | Fulda | 9. Jh., Mitte | |
Cod. Guelf. 97 Weiss. | Lex salica. Summa breviarii Alariciani | Nord- oder Ostfrankreich | 8. Jh., 2. H. | |
Cod. Guelf. 99 Weiss. | Sermones. Epistolae catholicae. Epistolae Pauli ad Timotheum, ad Titum, ad Philemonem. Theodosius: De situ terrae sanctae (sog. Weissenburger Augustinus) | Luxeuil oder ein mit L. verbundenes Kloster | 8. Jh., Anf. |