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Beschreibung von Cod. Guelf. 1008 Helmst.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Graduale - Hymnar

St. Gallen, Benediktinerkloster — 1027–1032

Provenienz: Auf der Innenseite des Deckels Schriftreste von ehemals aufgeklebten Pergamentstücken. Die Handschrift gelangte 1597 mit der Sammlung des Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) nach Wolfenbüttel. 1610 wurde sie von Michael Praetorius gebraucht (Eintrag 1r), dann 1618 an die Helmstedter Universität übergeben. Anschließend gelangte sie, nach deren Aufhebung (1809/1810), wieder zurück in die Herzog August Bibliothek (vgl. W. Milde, Die Handschriften des Bischofs Sigebert von Minden, in: Lectionarium Berlin, Ehem. Preußische Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. qu. I. Farbmikrofiche-Edition, München 1993 [Codices illuminati medii aevi 18], 19).

Pergament — 282 Bl. — 20 × 14 cm

Lagen: 26 IV (208). II (212). 4 IV (244). V (254). II (258). 3 IV (282). Neuere Tintenfoliierung. Schriftraum: 12,5 × 10,4 cm, einspaltig, 13 Zeilen. Karolingische Minuskel von drei Händen. Hand A: 2r88v, 90r95v, 97r112v, 137r160v, 169r172r Z. 1 (?), 174r176v, 179r182v, 186r191v, 193r210v; Hand B: 89rv, 96rv, 113r136v, 161r168v, 172r Z. 3173v, 177r178v, 183r185v, 192rv, 211r213r, 243v255v Z. 9, 257r281r; Hand C: 214r242v - ausgenommen 214r Z. 8. Nach Hoffman ist Hand A identisch mit der Hand des Hymnars Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. oct. 1 (zur Handschrift: von Euw St. Gallen, Nr. 154; zur Händescheidung: Hoffmann Buchkunst, 398). Nachträge auf 255v Z. 10–256r und 282v von einer Mindener Hand, ähnlich Hand B aus Cod. Guelf. 61 Aug. 8° (vgl. Hoffmann Buchkunst, 397). Lektionseinleitungen in Unzialis und Capitalis Rustica in Minium, teils goldschattiert. Zu Sonn- und Feiertagen in Größe abgestufte Initialeinleitung. Textanfänge in tintenfarbigen Majuskeln. Durchgängige Neumierung über den Minuskeln.

Holzeinband mit offenem Rücken und ohne Überzug und mit Lederbändern (Werkstatt Schoy, Essen, 1958).

INHALT

1v242v Graduale. 243v281v Antiphonen, Versus, Hymnen (243v266r Antiphonen, 266r271r Feriae; 271v280v Versus; 280v281r Hymnen; 281v282r leer; 282v Zusatz [Minden, 11. Jh.], zu den Texten vgl. ausführlich von Euw St. Gallen, 520–521).

AUSSTATTUNG

19 Initialen.

Initialen: Zu den Textanfängen Goldrankeninitialen mit roter Kontur (1v, 2r, 18v, 29v, 42v, 56r, 81r, 101v, 126v, 132v, 142v, 161r, 164v, 175r, 179r, 191r, 195r, 212r, 214r; 1,5–7,5 cm). Die breiten Goldrandleisten der Initialen gelegentlich in gliedernde Knoten gelegt (vgl. 132v), Initialstämme mit Miniumfüllung. Die Binnenfelder werden von dicht geführten Ranken mit Knollenblättern gefüllt. Gelegentlich Dreier- (vgl. 81r) oder Viererblätter (1v) der Initiale an Fäden angefügt. Die Initialen mit blauen Binnengründen; 2r mit blauem, lappigem Umriss.

Farben: Kräftiger Goldauftrag, Himmelblau, Minium.

STIL UND EINORDNUNG

Die Handschrift wurde in den Jahren 1027–1032 in St. Gallen angefertigt. Die Datierung erfolgt durch die Nennung von Personen in den Laudes regiae (256v–258v): Papst Johannes XIX. (1024–1033), Kaiser Konrad II. (1027–1039), Kaiserin Kunigunde (1014–1033), Kaiserin Gisela (1027–1043), Erzbischof Pilgrim von Köln (1021–1036) und Bischof Sigebert von Minden (1022–1036).

Das Wolfenbütteler Graduale gehört zu einer Gruppe von Handschriften, die unter Abt Thietpalt von St. Gallen (1022–1034) vor Ort für Bischof Sigebert von Minden (1022–1036) geschrieben und illuminiert worden sind (zur Gruppe vgl. von Euw St. Gallen, 241–251, Nr. 149–156). Es handelt sich um ein Sakramentar (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. fol. 2), ein Tropar-Hymnar (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 11, z. Zt. Kraków, Biblioteka Jagiellonska, Depositum), ein Epistolar (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 1 z. Zt. Kraków, Biblioteka Jagiellonska, Depositum), ein Hymnar (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. oct. 1), ein Evangelistar (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 3), ein Hymnar-Antiphonar (Cod. Guelf. 1151 Helmst, Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 3 Fragm., Berlin, SBBPK, Ms. germ. qu. 42, Einband) und ein weiteres Graduale (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 15). Inhalt, Schrift und Ausstattung (auch Buchdeckel) lassen vermuten, dass die Codices zum Messornat des Bischofs gehört haben. Die ältere Forschung schrieb den Ornat einer Mindener Lokalschule zu (W. Vöge, Die Mindener Bilderhandschriftengruppe, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 16 [1893], 198–213; Goldschmidt I/II, Bd. 2, 10, 44, Nr. 145–147; A. Boeckler, Schöne Handschriften aus dem Besitz der Preußischen Staatsbibliothek, Berlin 1931, 44–48, Nr. 21–23). Paläographische Beobachtungen führten anschließend zu einer St. Galler Verortung (A. Chroust, Monumenta Palaeographica. Denkmäler der Schreibkunst in lateinischer und deutscher Sprache, Bd. 2, Liefg. 21–22; Hoffmann Buchkunst, 374–376, 398–399), die für die Gruppenzusammenstellung bei von Euw grundlegend ist. Für das Wolfenbütteler Graduale bemerkte von Euw textliche Zusammenhänge zum St. Galler Hartker-Antiphonar (Gräzismen in der Liturgie zur Kreuzverehrung am Karfreitag, 116v–117r, und zum Besuch des Grabes am Ostersonntag, 126r; vgl. St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 390–391 (Hartker-Antiphonar), Sommer- und Winterteil, 990–1000 - von Euw St. Gallen, Nr. 143), sowie weitere, für St. Gallen typische Nennungen von Heiligen (von Euw St. Gallen, 245).

Der Buchschmuck sämtlicher Handschriften der Gruppe ist weitestgehend übereinstimmend. Als vereinheitlichende Merkmale gelten der Initialstil und die Farbgebung (insbesondere die blaue Hinterlegung). Von Euw konnte nachweisen, dass Einflüsse aus Regensburg und Tegernsee erfolgten, die sich u.a. im eng angelegten Flechtwerk erkennen lassen (vgl. München, BSB, Clm 13601 (Uta-Evangelistar), Regensburg, 11. Jh., 1. Viertel; Klemm Ill. Hss. 2, Nr. 18, Abb. IV-V, 36–41 und Evangeliar des Abtes Ellinger von Tegernsee München, BSB, Clm 18005, Tegernsee, um 1035–1040; Klemm Ill. Hss. 2, Nr. 114, Abb. XII, 224–235). Für die Wolfenbütteler Handschrift und für das zeitgleich entstandene Berliner Graduale (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 15) mit seinem Buchschmuck derselben Stilstufe, ergeben sich besonders enge Parallelen zum frühen Hartker-Antiphonar (vgl. hier insbesondere die Buchstabenbilder des A(d te levavi) - 2r und Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 15, 2r mit St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 390–391 (Hartker-Antiphonar), p. 15).

Das Wolfenbütteler Graduale und die gesamte Gruppe der Mindener Handschriften wirken in St. Gallen, im 3. Viertel des 11. Jh. weiterhin stilbildend. Der Initialstil wird hier mit etwas freier angelegten, weniger dicht wirkenden Rankenverläufen weiterentwickelt (vgl. Tropar-Sequentiar des Notker Balbulus St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 380, 1050/1060 und Graduale-Sakramentar St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 340, 1050/1075; von Euw St. Gallen, Nr. 161 und 164).

W. Vöge, Die Mindener Bilderhandschriftengruppe, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 16 (1893), 198–213, hier 206. — Wolfenbüttel Helmst., Nr. 1110 (Heinemann Nr.). — Werdendes Abendland, 276. — Kunst und Kultur im Weserraum, 520, Nr. 207, Abb. 176. — R. Meyer, Die Handschriften des Bischofs Sigebert von Minden, in: Scriptorium. Revue internationale des études relatives aux manuscrits 25 (1971), 162, Bull. Cod. Nr. 269. — H. Butzmann, Einige Fragen zum Mindener Kreuz und die Adoratio Crucis des Bischofs Sigebert, in: Zwischen Dom und Rathaus. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte der Stadt Minden, im Auftr. der Stadt Minden von Hans Nordsiek, Minden 1977, 61–70. — H. Butzmann, Die Missa Illyrica und die Adoratio Crucis von Minden, in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 3 (1978), 35–42. — Hoffmann Buchkunst, 376, 397–398, Abb. 215. — Krämer, Bd. 1,1.2, 580. — K. Schlager, Cod. Guelf. 1008 Helmst., Graduale aus Minden, in: Wolfenbütteler Cimelien. Das Evangeliar Heinrichs des Löwen in der Herzog August Bibliothek, Weinheim 1989, 96–101 (mit Abbildungen). — Mayr-Harting, 504. — Milde Handschriften Sigeberts, 19. — A. von Euw, Das Autorenbild im Epistolar Cod. Sang. 371 der Stiftsbibliothek St. Gallen, in: Codices Sangallenses. Festschrift für Johannes Duft zum 80. Geburtstag. hrsg. von P. Ochsenbein, E. Ziegler, Sigmaringen 1995, hier 100. — I. Siede, Zur Rezeption ottonischer Buchmalerei in Italien im 11. und 12. Jahrhundert, St. Ottilien 1997 (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Ergänzungsband 39), hier 59 Anm. 59, 191 Anm. 113. — W. Arlt, Liturgischer Gesang und gesungene Dichtung im Kloster St. Gallen, in: Das Kloster St. Gallen im Mittelalter. Die kulturelle Blüte vom 8. bis zum 12. Jahrhundert, hrsg. von P. Ochsenbein, Darmstadt 1999, 137–165, hier Anm. 29. — A. von Euw, St. Galler Kunst im frühen und hohen Mittelalter, in: Das Kloster St. Gallen im Mittelalter. Die kulturelle Blüte vom 8. bis zum 12. Jahrhundert, hrsg. von P. Ochsenbein, Darmstadt 1999, 167–204, hier 198. — Fingernagel Ill. Hss. 4.–12. Jh., 74–75. — Hartmann, 245. — Berschin Mittellateinische Studien, Bd. 1, 199. — Divina officia, Nr. 85 (A. Haug). — von Euw St. Gallen, Nr. 153, Abb. 786–787. — P. Prassl, Das Mindener Graduale der HAB Wolfenbüttel, Codex Guelf. 1008 Helmst. Beobachtungen zur liturgischen und musikalischen Überlieferung, in: Schriftkultur und religiöse Zentren im norddeutschen Raum, hrsg. von P. Carmassi, E. Schlotheuber und A. Breitenbach, Wiesbaden 2014 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, Bd. 24), 227–268. — Kuder Studien, 346 (Nr. 288).


Abgekürzt zitierte Literatur

Berschin Mittellateinische Studien W. Berschin, Mittellateinische Studien, 2 Bde., Heidelberg 2005/2010
Divina officia Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83)
Fingernagel Ill. Hss. 4.–12. Jh. Die illuminierten lateinischen Handschriften süd-, west- und nordeuropäischer Provenienzen der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz: 4.–12. Jahrhundert, beschrieben von A. Fingernagel, Teil 1: Textband, Teil 2: Abbildungen, Wiesbaden 1999 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung, Reihe 3: Illuminierte Handschriften 2)
Goldschmidt I/II A. Goldschmidt, Die Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser, VIII.–XI. Jahrhundert, 2 Bde., Berlin 1914/1918
Hartmann M. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters, Stuttgart 2001 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19)
Hoffmann Buchkunst H. Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Textbd., Stuttgart 1986 (MGH Schriften 30,1)
Klemm Ill. Hss. 2 Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, Bd. 2: Die ottonischen und frühromanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, beschrieben von E. Klemm, Wiesbaden 2004
Krämer S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1)
Kuder Studien U. Kuder, Studien zur ottonischen Buchmalerei, hrsg. und eingel. von K. G. Beuckers, 2 Bde., Kiel 2018 (Kieler kunsthistorische Studien NF 17)
Kunst und Kultur im Weserraum Kunst und Kultur im Weserraum 800–1600. Ausstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Corvey 1966, Bd. 2: Katalog, hrsg. von B. Korzus u. a., Münster/Westf. 1966
Mayr-Harting H. Mayr-Harting, Ottonische Buchmalerei. Liturgische Kunst im Reich der Kaiser, Bischöfe und Äbte, Stuttgart 1991
Milde Handschriften Sigeberts W. Milde, Die Handschriften des Bischofs Sigebert von Minden, in: Lectionarium Berlin, Ehem. Preußische Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. qu. I. Farbmikrofiche-Edition, München 1993 (Codices illuminati medii aevi 18)
von Euw St. Gallen A. von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, 2 Bde., St. Gallen 2008
Werdendes Abendland V. H. Elbern, Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr. Ausstellung in der Villa Hügel, Essen, 18.5.–15.9.1956, 4Essen 1956
Wolfenbüttel Helmst. O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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