Evangeliar
Lamspringe — 12. Jh., Ende
Provenienz: 1r alte Signatur G 20. 1r Ex illustri Guelphorum Bibliotheca Wolferbytana. Testamentum novum S. Hieronymi. Immo vere Quatuor Evangelistae. Registratus 1602 per Lonicerum und Inhaltsangabe (Bastarda, 15. Jh., gleiche Hand wie in Cod. Guelf. 943 Helmst.). 1572 mit den übrigen Lamspringer Codices in die Wolfenbütteler Hofbibliothek überführt, 1588 von Eberhard Eggelinck unter den Pergamenthandschriften der Hofbibliothek (NLA – StA Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, 22r–35v, hier 29v–30r), als Quatuor Evangelistae auff Pergamein geschrieben in quarto vnd bretern mit rotem leder vbertzogen gebunden verzeichnet. 1r nachträglicher Registrierungsvermerk des Bibliothekars J. A. Lonicerus: Ex illustri Guelphorum Bibliotheca Wolferbytana. Testamentum novum S. Hieronymi [Immo vere Quatuor Evangelistae add. 17. Jh.]. Registratus 1602 per Lonicerum. 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 164 [161]) unter den Sacra Biblia et Bibliorum partes als Novum Testamentum manuscriptum in pergameno mit der Signatur G 15 vermerkt. Seit 1618 in der Universitätsbibliothek Helmstedt, 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 18r) als Quatuor Evangelia Latinè in membrana unter den Theologici MSSti in quarto beschrieben; im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 778 genannt.
Pergament — 170 Bl. — 19 × 12,5 cm
Lagen: 4 IV (32). 2 V (52). 9 IV (124). III (130). 5 IV (169)! Das letzte leere Bl. ist ungezählt. VS und HS mit Texten aus dem 14. Jahrhundert (zu den Texten vgl. vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB]). Bleistiftfoliierung modern. Schriftraum: 15,5-16 × 9,5-10 cm, einspaltig, 23-24 Zeilen. Carolino-Gothica von zwei Händen. Hand 1: 1v-24v und 46r Z. 1 und 2; Hand 2: 25r-169v (Hand der sog. "Hamersleben"-Gruppe, auch in 982 Helmst., 89r-192r (zur Händescheidung vgl. , 90, 92f.). Rubrizierte Satzmajuskeln oder einzelne Buchstaben mit roten Begleitstrichen. Zuweilen auch grüne Satzmajuskeln. Kapitelzählung auf dem oberen Blattrand von späterer Hand.
[in Vorb.,Romanischer Holzdeckeleinband, im 14. Jh. mit Kalbsleder bezogen. Streicheisenlinien. Eine Langriemenschließe. Riemen und Öse verloren; Gegenblech auf dem HD mit Riemenrest noch erhalten.
INHALT
1v-4r Prologi in quattuor evangeli ( , 595; , 596). 5r-63v Evangelium Matthaeum. 53r-53v Prologus secundum Marcum ( , 607). 53v-82v Evangelium secundum Marcum. 82v-131r Evangelium secundum Lucam. 131v-169v Evangelium secundum Iohannem.
AUSSTATTUNG
Zahlreiche Silhouetteninitialen. Eine historisierte Initiale.Silhouetteninitialen: Zu zahlreichen Textanfängen rot/grün sägeblattförmig gespaltene, 2-6zeilige Initialmajuskeln mit schaftbegleitendem Silhouettendekor in der Gegenfarbe. Die Silhouettenstreifen mit Palmetten, teils zu Wellenlinien stilisisert und zahlreichen Knospen. Gelegentlich die Zwickel mit Punktverzierungen oder begleitenden Punktreihen (vgl. 82v).
Historisierte Initiale: Zum Textbeginn (1v) eine Spaltleisteninitiale mit Punktreihe als Spaltfüllung. Die Spangen segmentartig gefüllt. Im Binnenfeld zwei nimbierte junge Männer mit jeweils einem unbeschriebenem Schriftband in der Hand, die andere im Redegestus erhoben (dem Textbeginn entsprechend Hieronymus und Damasus?). 6,2 cm.
Farben: Die historisierte Initiale in laviertem Rot mit mehreren Abstufungen vor grünem Grund. Details (Spangen, Nimben) in Gold. Die Gewänder in laviertem Grün und Blau mit roten Schattierungen. Das Inkarnat pergamentfraben mit beigen Abdunkelungen. Gesichter mit punktförmigen roten Wangen.
STIL UND EINORDNUNG
Das vorliegende Evangelienbuch wird von Härtel paläographisch nach Lamspringe gegeben, da er eine Hand aus der Hamerslebengruppe erkennt, die auch Teile des Breviers 982 Helmst. (89r-192r) geschrieben hat ( , 92). Die Initialmajuskeln mit schaftbegleitendem Silhouettendekor bestätigen diese Einordnung, da sie ebenfalls, und zwar in gleicher Ausprägung, in dem genannten Brevier vorkommen. Der Figuren- und Initialstil der historisierten Initiale (1v) begegnet in der historisierten Initiale von 475 Helmst., 164r (Lamspringe, frühes 4. Viertel 12. Jh.) mit ähnlicher Spaltleisteninitiale und gleichgestalteten Gesichtern. Einen ähnlichen Figurenstil, etwas vereinfacht, zeigen auch die früheren Lamspringer Handschriften aus dem 3. Viertel des 12. Jh. (510 Helmst., 99r und 511 Helmst., 128v).vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
, Nr. 1114 (Heinemann Nr.). — , 476. — , Kat.Nr. 19. — , 119, 126. — , 266 Anm. 42. — , 332. — (in Vorb.,Abgekürzt zitierte Literatur
C. Bertelsmeier-Kierst, Audi filia et vide. Frauenkonvente nach der monastischen Reform, in: Zwischen Vernunft und Gefühl. Weibliche Religiosität von der Antike bis heute, hrsg. von Ders., Frankfurt/M. u.a. 2010 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 3), 61–90, hier nach dem ND in: Dies., Buchkultur und Überlieferung im kulturellen Kontext, hrsg. von T. Terrahe, R. Toepfer und J. Wolf, Berlin 2017 (Philologische Studien und Quellen 17), 255–286 | |
H. Härtel, Geschrieben und gemalt. Gelehrte Bücher aus Frauenhand. Eine Klosterbibliothek sächsischer Benediktinerinnen des 12. Jahrhunderts, Wiesbaden 2006 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 86) | |
H. Härtel, Lamspringe. Ein mittelalterliches Skriptorium in einem Benediktinerinnenkloster, in: Kloster und Bildung im Mittelalter, hrsg. von N. Kruppa und J. Wilke, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 218 = Studien zur Germania sacra 28), 115–153 | |
M. E. Müller, Einflüsse aus West und Ost in der Hildesheimer und in der thüringisch-sächsischen Buchmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Zentrum oder Peripherie? Kulturtransfer in Hildesheim und im Raum Niedersachsen (12.–15. Jahrhundert), hrsg. von ders. und J. Reiche, Wiesbaden 2017 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 32), 305–366 | |
F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980 | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
H. Wolter-von dem Knesebeck, Lamspringe, ein unbekanntes Scriptorium des Hamersleben–Halberstädter Reformkreises zur Zeit Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, Bd. 2: Essays, hrsg. von J. Luckhardt und F. Niehoff, München 1995, 468–477 |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil II (12. Jh.).