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Beschreibung von Cod. Guelf. 18.22 Aug. 4°
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Evangeliar

Lorsch, Benediktinerkloster — 11. Jh., 2. Viertel

Provenienz: Hoffmann Buchkunst, Textbd. 225 vermutet in Fasz. I eine in Lorsch ausgeführte Auftragsarbeit. Beide Faszikel waren wohl bereits im 14. Jarhundert zusammengebunden (vgl. Eintrag auf dem Bl. vor Bl. 1, s.o.). In Fasz. I und II (116r, 143v) getilgte Besitzvermerk aus Paderborn. Die Handschrift wurde in den Jahren 1658/59 vom Herzog August dem Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg für seine Bibliothek in Wolfenbüttel erworben (Eintrag im Bücherradkatalog auf pag. 5112; Milde Erwerbungsjahre, 123). Auf 116r der Eintrag Hunc librum dedit Conradus custos Paderbornenis fratribus predicato[rum] (Hand von Karl Philipp Christian Schönemann, 1830–1854 Bibliothekar in der HAB Wolfenbüttel).

Pergament — 116 Bl. — 21,5 × 14 cm

Neuere Tintenfoliierung. Faszikel mit ungezähltem Vor- und Nachsatzblatt. Blätter leicht verschmutzt. Bl. 114 und 115 ohne Textverlust beschnitten. Schriftraum: 16 × 9 cm, einspaltig, 34 Zeilen; (8r–10v/11r 50 Zeilen). Karolingische Minuskel von einer Hand. Qualitätvolle, zierliche Schrift. Gleiche Hand wie in Rom, BAV, Pal. lat. 495, 3v, 2. Viertel 11. Jh. (am linken Rand); ähnlich auch Stuttgart, WLB, Cod. bibl. 2° 44 (vgl. Hoffmann Buchkunst; Butz Ill. Hss., Kat. Nr. 10). 54r, Zeile 23 Neumen über dem Ausruf Christi am Kreuz (Mc 15,34). Incipits, Explicits und Textanfangszeilen in Unzialis und Capitalis Rustica. Nachträge: 11r12r Capitulare evangeliorum (13. Jh.). Einige Korrekturen interlinear und marginal (spätmittelalterlich). Bl. vor Bl. 1 Inhaltsgabe zu beiden Faszikeln Canones X evangeliorum. Textus quattor evangelistarum. Apoc[alipsis] cum glossa (14. Jh.; Hoffmann Buchkunst); recto N° 7 (alte Signatur?; neuzeitlich).

Koperteinband (Pergament) mit zwei Lederschließbändern. Buchrücken: neuzeitliche Inhaltsangabe und Signatur.

INHALT

Evangeliar. Hieronymus, Prologi III (CC SL 77, 1–4, Z. 1–84). Kanontafeln. Argumentum zu Matthäus (Stegmüller RB 590; PL 103, Sp. 273A-274B). Carmen rhythmicum in Eusebii canones (Stegmüller RB 890). (8r12r) Capitulare , mit Nachtrag. (12v) Aileranus sapiens, Carmen rhythmicum in Eusebii canones (Stegmüller RB 843; CPL 1121). (13r43v) Mt. (43v55r) Mc. (55r89r) Lc. (89r115r) Io (zu den Texten vgl. Kautz, Bd. 2, 1219–1221). — 115v leer. (116r–144r) Apocalypsis Johannis Faszikel II; Interlinear- und Marginalglossen, 12./13. Jh.

AUSSTATTUNG

Kanontafeln.

Kanontafeln: 4r7r Kanontafeln (17,2–17,9 × 10,5–12,2 cm). Schlanke hohe Säulen mit kleinen Überfangbögen und darüber befindlichem, gerade abschließendem Architrav (beschriftet mit den Incipits der Kanonabschnitte). Der Stylobat gleich gestaltet wie der zugehörige Architrav, ebenfalls mit Beschriftung (Explicits der Kanonabschnitte). Die hier trichterförmigen Kapitelle verziert mit Akanthusblättern und ringförmiger Plinthe. In den Zwickeln ebenfalls Akanthusblätter (6v nicht ausgeführt). Die Überfangbögen unverziert oder gefüllt mit Punktverzierungen (4r und 4v), die Säulen ebenfalls unverziert oder mit gepunkteten Banderolen (4r und 4v). Zum dritten und vierten Kanon auf 5v die zwei mittigen Säulenpaare aufgeteilt in jeweils zwei übereinander gestellte Säulen.

Beschriftungen der Kanontafeln: 4r Kanon primus. In quo quator (Architrav), Finit kanon primus quo quator (Stylobat). Über den Textspalten die Namen der Evangelisten, unter den Textspalten die dem Text entsprechenden Nennungen der Evangelistensymbole. 4v Kanon II. In quo tres (Architrav), Evangelistennamen und Symbolnennungen (vgl. 4r). 5r Kanon secundus in quo tres (Architrav), Finit kanon secundus. In quo III (Stylobat), Evangelistennamen und Symbolnennungen (vgl. 4r). 5v Kanon III. In quo III (Architrav), Finit Kanon tertius kanon IIII. In quo III (Mitte). 6r Kanon quintus. In quo duo (Architrav). 6v Kan VI. In quo duo, Kan VII. In quo duo (Architrav). 7r Kanon decimus. In quo propria singulorum (Architrav), Finit kanon / Decimus (Stylobat), Evangelistennamen oberhalb der Textspalten.

Farben: Gelb, Dunkelbraun, Rot/Rosé, Blau.

STIL UND EINORDNUNG

Der Wolfenbütteler Bestand umfasst inklusive Cod. Guelf. 18.22 Aug. 4° und Cod. Guelf. 131 Gud. lat., Cod. Guelf. 66 Gud. lat., Cod. Guelf. 34 Weiss. sowie den Fragmenten Cod. Guelf. 44.18 Aug. 2° und E 346 2° Helmst. insgesamt fünf Lorscher Handschriften/Fragmente aus dem 9. und dem 11. Jh. (Zusammenstellung vgl. Kautz, Bd. 2, 1217–1236). Ausschließlich Cod. Guelf. 34 Weiss. und das vorliegende Evangeliar enthalten Buchschmuck, wobei sich dieser im Evangeliar auf die Kanontafeln beschränkt. Raum für Initialen findet sich nicht, Initialschmuck war nicht vorgesehen. Bereits aus dem 9. Jh. sind für Lorsch 3 Evangeliare bekannt, die mit Kanonbögen ausgestattet wurden und in der Nachfolge des nach Lorsch gelangten Hofschulevangeliars, des sogenannten Lorscher Evangeliars, entstanden (Rom, BAV, Pal. lat. 50 (Lorscher Evangeliar) und Bukarest, Biblioteca Naţională a României, Ms R II 1 (Lorscher Evangeliar) Hofschule Karls des Großen, Anfang 9. Jh., vor 814, bzw. um 800; vgl. Exner Lorsch). Es handelt es sich um die Evangeliare Bamberg, SB, Msc. Bibl. 93, 2. Viertel 9. Jh.; das Evangeliar aus Seligenstadt Darmstadt, ULB, Hs. 1957, 2. Viertel 9. Jh.; das Evangeliar Bischof Folcwichs von Worms (826–838) Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig II 1, 826 bis nach 830 und Nürnberg, StB, Cod. Cent. V, App. 43b, 2. Viertel 9. Jh. Unter Abt Saleman (972–999) begann in Lorsch, im späten 10.Jh., nach einer Phase des Niedergangs im ausgehenden 9. und 10. Jh., erneut ein Aufschwung des Skriptoriums. Aus dem 11. Jh. sind zwei Lorscher Evangeliare mit Kanontafeln bekannt (Oxford, BodL, MS. Douce 292, 2. Viertel oder Mitte 11. Jh. und Stuttgart, WLB, Cod. bibl. 2° 44, 1. Drittel 11. Jh.). Bereits im 9. Jh. ist zu beobachten, dass auch für die Anfertigung der Kanontafeln wiederholt auf die Hofschulvorlage zurückgriffen, jedoch auf konkrete Motivzitate im Dekor verzichtet wurde (vgl. Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig II 1 und Darmstadt, ULB, Hs. 1957; Exner Lorsch, 335–337). Hierbei ist eine Reduktion auf das architektonische Grundgerüst zu beobachten, was bereits im Evangeliar aus Nürnberg (Nürnberg, StB, Cod. Cent. V, App. 43b) darin gipfelt, dass die Überfangbögen weggelassen werden. Die trichterförmigen Kapitellformen mit runder Plinthe erinnern an die des Wolfenbütteler Codex aus dem 11. Jh. Das Evangeliar aus Seligenstadt (Darmstadt, ULB, Hs. 1957) zeigt vor diesem Hintergrund eine gewisse Experimentierfreudigkeit. Von den beiden mit Kanonbögen versehenen Lorscher Evangeliaren aus dem 11. Jh. zeigt allein der Stuttgarter Codex (Stuttgart, WLB, Cod. bibl. 2° 44) mit den hier verwendeten schlanken hohen Säulen und der doppelt aufeinandergesetzten Säulenstellung (vgl. hierzu Cod. Guelf. 18.22 Aug. 2°, 5v) eine gewisse Ähnlichkeit mit dem wolfenbütteler Evangeliar (Farbgebung, Basen- und Kapitellformen variieren). Bereits Hoffmann verwies auf die paläographische Verwandschaft beider Evangeliare (Hoffmann Buchkunst, 223). Die im Wolfenbütteler Evangeliar gewählte Form der Kanonbögen mit gerade abschließendem Architrav und gleichgestaltetem Stylobat ist für das Lorscher Skriptorium des 9. und des 11. Jh. nicht zu belegen. Die Rahmung von Inizialzierseiten und Miniaturen mit seitlich flankierenden Säulen und gleich oder sehr ähnlich gestaltetem Architrav/Stylobat ist aus den Handschriften aus Fuldaer im 10. Jh. bekannt (vgl. die Sakramentare Udine, Archivio Capitolare, Ms. 1 und Göttingen, SUB, 2° Cod. Ms. theol. 231 Cim.; zu den Handschrift vgl. Winterer Fuldaer Sakramentar, 191–210, Abb. 193–221, Taf. 55b1). Einflüsse aus Fulda, eventuell in Form von Handschriftenimport dürften über Abt Poppo, der 1005 bis 1018 dem Kloster Lorsch und zeitgleich von 1013/14–1018 dem Kloster Fulda als Abt vorstand, erfolgt sein (zu Poppo vgl. S. Scholz, Lorsch. Geschichtlicher Überblick, in: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Hessen, St. Ottilien 2004 [Germania Benedictina], Bd. 7, 783f.).

Wolfenbüttel Aug., Nr. 3154 (Heinemann Nr.). — Häse, Nr. 15–18. — Bischoff Lorsch, 134. — Hoffmann Buchkunst, Textbd. 223, 225, Tafbd. Abb. 90. — Kautz, Bd. 2, 1217–1221.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bischoff Lorsch B. Bischoff, Die Abtei Lorsch im Spiegel ihrer Handschriften, Lorsch 1989 (2. erw. Auflage) (Geschichtsblätter Kreis Bergstraße, Sonderbd. 10)
Butz Ill. Hss. A. Butz, Die romanischen Handschriften in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Verschiedene (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek 2,2), Stuttgart 1987
CC SL Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954–
CPL Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina)
Exner Lorsch M. Exner, Buchmalerei im Kloster Lorsch. Frühmittelalterliche Miniaturen aus dem Skriptorium des Reichsklosters, in: Hessisches Landesmuseum Darmstadt u. Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (Hgg.), Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Ausstellung Museumszentrum Lorsch , 28.5.2011-29.1.2012, Petersberg 2011, 330-356
Häse A. Häse, Mittelalterliche Bücherverzeichnisse aus Kloster Lorsch. Einleitung. Edition und Kommentar, Wiesbaden 2002 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 42)
Hoffmann Buchkunst H. Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Textbd., Stuttgart 1986 (MGH Schriften 30,1)
Kautz Bibliothek und Skriptorium des ehemaligen Klosters Lorsch. Katalog der erhaltenen Handschriften/UB Heidelberg, bearb. von M. Kautz, 2 Bde., Wiesbaden 2016
Milde Erwerbungsjahre W. Milde, Die Erwerbungsjahre der Augusteischen Handschriften der Herzog August Bibliothek, Supplement zum Katalog von Otto Heinemann "Die Augusteischen Handschriften" Bd. 1-5, Wolfenbüttel 1890-1903, in: Wolfenbütteler Beiträge 14 (2006), 73-144
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Stegmüller RB F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980
Winterer Fuldaer Sakramentar C. Winterer, Das Fuldaer Sakramentar in Göttingen. Benediktinische Observanz und römische Liturgie, Petersberg 2009 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 70)
Wolfenbüttel Aug. Die Augusteischen Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, Teil 1-5, Frankfurt/M. 1890–1903, ND 1965–1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 4–8)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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