Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum
Lorsch, Benediktinerkloster — um 800
Provenienz: Vorblatt recto und 2rBendiktinerkloster Weißenburg, Besitzvermerke: Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli in Wissenburg (15./16. Jh.; Vorblatt recto). 2r Liber monasterii sancti Petri in Wissenburg. 1r Signaturenbuchstabe: .f. (14. Jh.). Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blume 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. Wiener Liste 2°4 ( , 3-18). Der Text der Handschrift gilt als Vorlage für die Handschrift St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 247, St. Gallen um 860 (vgl. , in: , , , Cimelia Sangallensis, Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibibliothek St. Gallen, St. Gallen 2000 (2. erw. u. erg. Auflage), 82, Nr. 36.) und dürfte sich dementsprechend bereits um 860 in St. Gallen oder in Weißenburg befunden haben (für den Zeitraum der Abschrift, 841-872, ist das doppelte Abtamt Grimalds für beide Klöster belegt, s.o.). Bereits um 1000 wurde das Schema ordinum ecclesiasticorum (92v) in Weißenburg hinzugefügt.
Pergament — 173 Bl. — 30 × 22,5 cm
Lagen: Vorsatzblatt (in der Foliierung nicht mitgezählt, aber im Lagenschema berücksichtigt). IV+1 (8). 7 IV (64). V (74). IV (82). V (92). 9 IV (164). III+1 (171). Lagenbezeichnungen in römischen Ziffern auf dem letzten Blatt der jeweiligen Lage (I-XX). 100v-164v zusätzlich die Zählung I-VIIII u. 165r X (erste Seite der letzten Lage). Zwischen Bl. 8 und 9 ein ungezählter Falzstreifen. Neuere Tintenfoliierung. Schriftraum: 24,5 × 17,5 cm, einspaltig, 27 Zeilen. Frühe karolingische Minuskel von mehreren Händen (älterer Lorscher Stil, nach Bischoff; 74v/75r deutlicher Schreiberwechsel). Von einer angelsächsischen Vorlage abgeschrieben. 170v Schreibervermerk Deo gratias ago tibi semper et ubique, amen darunter in Kreuzform M / OAR / P (nach , 31-33, 74, 134 Ora pro m[e]. Nach IX, Nr. 1385 die Schrift ähnlich der Ada-Gruppe mit Verweis auf Metz, BM, Ms. 134 (vernichtet; IX, Nr. 788) und Trier, StB, Hs 22 (Ada-Evangeliar, Ada I) ( IX, Nr. 1366). B. Bischoff vergleicht die erste Texthand von Rom, BAV, Pal.lat.207, 2r mit einer Hand in Rom, BAV, Pal.lat.822 ( ). Incipits und Explicits in Unzialis. Anfangszeilen der Texte in vergrößerter Textminuskel, Capitalis, insularer Halbunziale oder Unzialis, zum Teil farbig hinterlegt (rot/gelb). Satzmajuskeln. Rote Kapitelzählung. Zitatenzeichen. Incipits und Anfangszeilen teils farbig hinterlegt (2v, 34r, 45v, 52r, 60r, 94r). Zeitgenössische und spätere Korrekturen interlinear und am Rand; 129v, 130r Tironische Noten; Markierungen am Rand (Kreuze). Federproben (171v Pater Noster - 12. Jh.). 1r und 169r neuzeitliche Inhaltsangaben.
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1977).
INHALT
1r-170v : Historia ecclesiastica gentis Anglorum 1r-2r Praefatio; 2rv-33v Liber I. 33v-59r; Liber II. 59r-92r; Liber III. 93r-132r; Liber IV. 132rv-170v; Liber V ( 95, 21A-290C; 2, 177; und , [Hgg.], Bede's Ecclesiastical History of the English People, Oxford 1969 [mit Benutzung dieser Handschrift, Sigle U]; 1375; III 260; II 471. Der Text der Handschrift gehört zur Rezension m und greift, gemeinsam mit Namur, Musée des artes Anciens du Namurois, Fonds de la ville 11 und Würzburg, UB, M.p.th.f.118 auf einen gemeinsamen Archetypus zurück). 92v Schema ordinum ecclesiasticorum. Schematische Darstellung in Schriftform der vier kirchlichen Ordines (Heremitae, Canonici, Cenobitae und Sanctimoniales) in Bezug auf die vier Kardinaltugenden (Prudentia, Iusticia, Fortitudo und Temperantia). In der Mitte der Spruch Multitudinis credentium erat cor unum et anima una (Act 4,32), etwas später ergänzt durch die Anfangsworte der acht Seligpreisungen (Mt 5,3-10). Capitalis Rustica mit unzialen Elementen (Weißenburg, wohl um 1000; ; IX, Nr. 1385; Bischoff, in: ).
AUSSTATTUNG
Zahlreiche kleinere Initialen und Initial- und Satzmajuskeln. 2 große Zierinitialen. Zeichnungen (Nachträge).Initialen: Zu 34r (Beginn Buch 2; 7,0 cm) und 60r (Beginn Buch 3; 12,0 cm) jeweils eine größere Initiale. Zahlreiche 2-7zeilige schlanke Initialen und Initialmajuskeln (2,0-6,0 cm). Die Buchstabenkörper als Federinitialen, zum Teil gefüllt, meistens mit roter Punktrandung, gelegentlich mit gegabelten Serifen (vgl. 12v) oder dreieckigen Endungen. Einige Initialen mit farbig hinterlegten Endbandverflechtungen (34r, 38r, 40r, 45v, 60r, 71v), auf 62r spiralförmig verlaufender Fadenausläufer. Die Binnenfelder einfarbig gefüllt oder mit Binnenfeldmotiven. Hier Blattformen mit gebogten und gebuchteten Rändern und Knospenansätzen (vgl. 36v) sowie doppelt gezogener Randung und fadenförmigen, zum Initialkörper Verbindung erstellenden Stege (vgl. 45v). Auf 40r ein Flechtknoten im Aussparungstypus. Im Besatz gekernte Profilpalmetten (62r und 65v). Selten Füllmotive: Wellenlinie (22v), sowie Kreise und Flechtband im Ausspaarungstypus (34r Flechtband koloriert). Mit dem Schreiberwechsel auf 74v/75r auch deutliche Reduktion des Formenspektrums (75r-170v Wegfall sämtlicher Füll- und Besatzmotive).
Zeichnungen (Nachträge): 98r oberer Blattrand, ein bärtiger Kopf (neuzeitlich); 171v eine Christusbüste im Segensgestus (Corpus 9. Jh. [?]), nachträglich ergänzt; 7,5 cm).
Farben: gelb, orange und dunkelbraun hinterlegte Binnenfelder und Flechtband. Beide Farben wurden auch als Stammfüllung und für das Ornament verwendet.
STIL UND EINORDNUNG
Die Lokalisierung der Beda-Handschrift nach Lorsch gilt als paläographisch gesichert. Sie wurde von der Gruppe des älteren Lorscher Schreibstils zugewiesen. Dieser Gruppe gehören ca. 20 Handschriften an (Zusammenstellung vgl. , 31-33). Beides, Schreibstil und Buchschmuck waren in der frühen Phase des Skriptoriums, wie in anderen deutsch-insularen Schulen, vgl. Fulda, Würzburg und Mainz, stark angelsächsisch geprägt. Der Stil wurde, den Fähigkeiten der jeweils ausführenden Hand entsprechend, adaptiert und in gering variierendem Buchschmuck umgesetzt. Mit einem Matthäus-Kommentar des Hieronymus (Rom, BAV, Pal.lat.177) ist eine der frühen angelsächsischen, für das Lorscher Skriptorium ausschlaggebende Impuls-Handschrift erhalten geblieben (vgl. , 330, Abb. 1). Schlanke Buchstabenformen und Fadenverflechtungen in den Ausläufen, wie in Wolfenbüttel, finden sich in Rom, BAV, Pal.lat.822, Lorsch, um 800 ( , 32, 35, 81 Anm. 6, 83 Anm. 38, 126, Taf. 6) und Würzburg, UB, M.p.th.q.18, Lorsch, 4. Viertel 8. Jh. ( , 195, 196, Taf. 79). Partiell fabig hinterlegte Verflechtungen (allerdings mit anderer Farbpalatte) zeigt eine vermutlich in Fulda nach einer Lorscher Vorlage kopierte Iulianus Toletanus-Handschrift (Kassel, UBLMB, 4° Ms. theol. 6; , 83 Anm. 34 und , Anm. 14). Besonders enge Parallelen - ähnliche Blattformen, gleiche Initialform und gleiche Farbgebung - liegen in einer Iulianus Pomerius Handschrift vor (Rom, BAV, Pal.lat.238, fol. 3-73, Lorsch, um 800; , 31, 35, 39, 81 Anm. 4 und 7, 85 Anm. 79, 120, Taf. 5). Ein in Wolfenbüttel verwendeter, spiralförmige Fadenausläufer (vgl. Wolfenbüttel, 62r) finden sich auch in Rom, BAV, Pal.lat.238, 12r. Die in den genannten Handschriften vorhandenen zoomorphen Motive fehlen in der Wolfenbütteler Handschrift. Die häufig verwendeteten vegetabilen Motive (vgl. Profilpalmette) zeigen eine besondere Verbundenheit der ausführenden Hand mit kontinentalem Formengut (vgl. 62r), welches hier das insulare Erscheinungsbild ergänzt. Die Handschrift dürfte sich aufgrund der Tatsache, dass sie als Vorlage für eine St. Galler Handschrift gedient hat, bereits früh in St. Gallen oder Weißenburg befunden haben (zu St. Gallen und Weißenburg vgl. Provenienz) . Bereits für die Zeit um 1000 ist ihre Aufbewahrung in Weißenburg belegt., Nr. 4118 (Heinemann Nr.). — , Mitteilungen aus Handschriften, Teil 4 (Sitzungsbericht der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung. Jg. 1933, H. 9), München 1933, 77. — IX, Nr. 1385. — , 3-10, 26, 28, 31, 144-145. — , 235, Anm. 11. — , 314. — , 127. — , 31-33, 74, 134. — , 68, 69. — — , Books, scribes, and learning in the Frankish Kingdoms, 6th - 9th centuries, Aldershot 1994, IV 309, 314. — , Fiche 28, Nr. 3.110. — , in: , , , Cimelia Sangallensia, Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibibliothek St. Gallen, St. Gallen 2000 (2. erw. u. erg. Auflage), 82, Nr. 36. — , Nr. 189. — , Bd. 1, 310, 311, 317. — Angelsächsisches Erbe in München. Angelsächsische Handschriften, Schreiber und Autoren aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek in München, hrsg. von , unter Mitarb. von B. Ebersperger, C. Schreiber, A. Schröcker, BSB München 1-24.8.2005, Frankfurt a. M. 2005, 92. — , 334, 351 Anm 14, Abb. 3. — , Nr. 7378. — The Resources of the Past in Early Medieval Europe, hrsg. von , , , Cambridge 2015, 265 Anm. 22, 269 Anm. 38. — , History, Frankish identity and the framing of Western ethnicity, 550-850, Cambridge 2015 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Ser. 4, 101), 365. — Bd. 2, 1232-1235. — , 430, Abb. 11.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.