Hilarius Pictaviensis, Commentarius in Matthaeum. Ausleihverzeichnis der Weißenburger Bibliothek
Weißenburg, Benediktinerkloster — um 850
Provenienz: 1r Benediktinerkloster Weißenburg, Besitzeintrag: Codex monasterii Petri et Pauli apostolorum in Wizenburg ordinis Benedicti. 2r Weißenburger Signaturenbuchstabe: .E. (14. Jh.). Darüber Hylarius super Matheum. Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. 2°26 ( , 3–18).
Pergament — 114 Bl. — 30 × 23 cm
Lagen: 1 Vorsatzblatt. III+1 (7). 3 IV (31). II+2 (37). III (43). II+2 (49). 6 IV (97). III (103). III+1 (110). II (114). Moderne Tintenfoliierung. Guter Zustand. Schriftraum: 20,5 × 14 cm, einspaltig, 23 Zeilen. Karolingische Minuskel von zwei Händen. 1v eine Textzierseite mit orangener Capitalis Quadrata. Die Buchüberschrift 2r zeilenweise wechselnd in roter und schwarzer Capitalis Quadrata mit anschließender Zeile Unzialis.
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1977).
INHALT
1v–113r : Commentarius in Matthaeum ( 0430; 200). 113v–114r Ausleihverzeichnis, Weißenburg (2. Hälfte 10. Jh.; vgl. , 146; Abdruck in , Nr. 46).
AUSSTATTUNG
Eine Zierinitiale.Zu Textbeginn 2r eine konturierte Zierinitiale (7,3 cm). Die G-Initiale mit Minium gezeichnet. Als Füllmotive eine Doppelspirale und Seilschlingen mit je einem spitz zulaufenden Ende. Der Initialstamm mit teils kolorierten, gebuchteten Spangen. Als Initialstammendungen jeweils eine Palmette. Die im Binnenfeld befindliche, mit großem Knospeneinsatz. Am unteren Bogen ein kurzer Dornfortsatz.
Farben: Eingeschränkte Farbskala mit Beige/Gelb und Dunkelblau. In der Vorzeichnung und Konturierung wurde Minium (Schriftfarbe) verwendet.
STIL UND EINORDNUNG
Die bisherige paläographische Beurteilung des Codex erfolgte uneinheitlich. Bischoff lokalisiert die Handschrift nach Weißenburg und datiert sie in das zweite Viertel/die Mitte des 9. Jh. (Anno episcopus librum I (gemeint ist Bischof Anno von Worms, 950–978; , Bd. 1, 311).
, Nr. 7388). Butzmann weicht von dieser Lokalisierung mit der Angabe Südwestdeutschland (?)/Weißenburg(?) ab und präzisiert die Datierung auf Mitte 9. Jh. ( , 146–147). Kleiber geht davon aus, dass sich das Buch, als Bestandteil des unter Otfrid zusammengestellten Bibelwerkes oder Kommentarwerkes bereits zur Otfrid-Zeit (Mitte 9. Jh.) im Besitz des Klosters Weißenburg befunden hat, verweist aber auf eine fremde Schriftprovenienz ( , 134, 136–138). Hoffmann schließlich gibt eine Weißenburger Hand aus dem 2. Drittel des 9. Jh. an (mit einem Handvergleich zu dem Fragment HR 5,4 aus dem Staatsarchiv Marburg; , Bd. 1, 311). Auf Bll. 113/114, am Ende der Handschrift, wurde in Weißenburg ein Ausleihverzeichnis hinzugefügt, das Butzmann auf die zweite Hälfte des 10. Jh. datiert ( , 146). Es finden sich Namen von Ausleihern, den verliehenen Bücher und Spuren der Tilgung nach Zurückbringen von letzteren (vgl. , Nr. 46 [ ]). Hoffmann vermutet für die Entstehung der Liste die erste Hälfte des 10. Jh. oder die Zeit um 900 (nach der Gründung des erwähnten Bendiktinerklosters Andlau, ca. 880) an und verweist auf mehrere spätere Zusätze, u.a.Die Handschrift war bereits sehr früh in Weißenburg in Gebrauch und zeigt im Ornament Ähnlichkeit zur Heidelberger Otfrid-Handschrift (Evangelienbuch, Heidelberg, UB, Cod. Pal. lat. 52, Weißenburg, um 870). Hier findet sich auf 14r die in der Wolfenbütteler Handschrift als Initialstammendung verwendete Palmette mit Knospeneinsatz, sowie die gebuchteten Spangen. Die in der Wolfenbütteler Handschrift vorliegende Verwendung von Gold und Dunkelblau findet ihre Parallele in 48 Weiss.
Motive und Initialstil lassen ebenfalls eine Nähe zum Reichenauer Skriptorium erkennen, wo sich bei ähnlicher Farbgebung das Motiv der wuchtigen Palmette, die Dornfortsätze am Initialstamm und der Wirbel als Füllmotiv wiederfinden (vgl. insbesondere das Sakramentar Wien, ÖNB, Cod. 1815, Reichenau um 850; , Nr.1; , Abb. 221, 225. Zur Gruppe vgl. 48 Weiss.)., 37. — , Nr. 4119 (Heinemann Nr.). — , 707. — , 146–147. — , 19 Anm. 62, 81, 91, 111, 114 Anm. 75, 115. — , 134. — , Les listes médiévales de lectures monastiques. Contribution à la connaissance des anciennes bibliothèques bénédictines, in: Revue Bénédictine 96 (1986), 271–326. — , The Carolingians and the Written World, Cambridge 1989, 264–266. — , Bd. 1,1.2, 824. — , 93. — (Hg.), Otfridi Wizanburgensis Glossae in Matthaeum (CC CM 200), XI. — , Nr. 46 ( ). — , Bd. 1, 166, 296, 301, 311, 316. — , Nr. 7388. — , 361f., Nr. 37 ( ). — , 94.
Abgekürzt zitierte Literatur
G. Becker, Catalogi bibliothecarum antiqui, Hildesheim, New York 1885, ND Hildesheim, Bonn 1973 | |
W. Berschin, U. Kuder, Reichenauer Buchmalerei 850–1070, Wiesbaden 2015 | |
Bibliothèque monastique (IXe-XIIe s.). Le scriptorium oublié de Wissembourg. Exposition de photos des manuscrits de Wissembourg conservés à la Herzog-August-Bibliothek de Wolfenbüttel (R.F.A.), organisée par la Mission Historique Française en Allemagne et le Cercle d'histoire de l'Alsace du nord avec la collaboration de la Bibliothèque de Wolfenbüttel et de la Société Thierry Alix de Nancy, Wissembourg du 15 septembre au 8 octobre 1991, Wissembourg 1991 | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, Bd. 1–, Turnhout 1971– | |
Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina) | |
Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Wolfenbüttel 28. November - 31. Juli 2005, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83) | |
C. Grifoni, Auf Otfrids Spuren in der frühmittelalterlichen Bibliothek Weißenburg, in: | , 79-101|
E. Hellgardt, Die exegetischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch. Beiträge zu ihrer Ermittlung, Tübingen 1981 (Hermaea; N.F. 41) | |
H. Hoffmann, Schreibschulen des 10. und 11. Jahrhunderts im Südwesten des Deutschen Reichs, 2 Bde., Hannover 2004 (MGH Schriften 53) | |
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Aufbau des Evangelienbuches, Bern/München 1971 (Bibliotheca Germanica 14) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
E. Lesne, Histoire de la proprieté ecclésiastique en France, Lille 1938 | |
Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim, Ausstellung Wolfenbüttel 5. September 2010-27. Februar 2011, hrsg. von M. E. Müller, Wolfenbüttel 2010 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 93) | |
A. von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, 2 Bde., St. Gallen 2008 | |
Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6) | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).