Christian Heitzmann: Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften. T. 1: Cod. Guelf. 1 bis 276 Helmst. Beschrieben von Helmar Härtel, Christian Heitzmann, Dieter Merzbacher, Bertram Lesser. Wiesbaden: Harrassowitz, 2012. S. 68-70. (Vorläufige Beschreibung)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 35a Helmst.

Biblia pauperum

Pergament — 10 Bl. — 37 × 29 cm — Österreich — 1340/50

Lagen: V (10). Schriftraum: 29,5 × 24 cm, 1r–v zweispaltig, 2r10v dreispaltig. 1r–v ältere gotische Kursive, 2r10v Textualis gotica. 1rv mit 8 lavierten Federzeichnungen; von anderer Hand 2r10v je Seite 2 typologische Bildgruppen mit 8 kolorierten Federzeichnungen und 4 Fleuronnée-Initialen, die in Blätter, Blüten und Früchte auslaufen und teilweise von Drolerien und Fabelwesen bevölkert sind; Darstellungen der einzelnen Bildgruppen s.u.

1957 wurde ein "neuerer Pappband" (so Heinemann) durch einen Nigerziegenledereinband der Werkstatt Peters-Hahne in Hamburg ersetzt. Auf dem VS eine dem alten Einband entnommene Notiz von Milchsack (siehe unten). Auf f. 1r oben links die alte Helmstedter Signatur T. 6.

Herkunft: Große Ähnlichkeit zu den am nächsten verwandten Handschriften Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Cod. 328 (1360/70) und Salzburg, St. Peter, Cod. a. IX. 12 (um 1370/80) weist auf Herkunft aus Österreich. — Laut einer teilweise unleserlichen Notiz auf 1r wurde die Handschrift am 10. August 1584 von Andreas Stangwald, Borussus und Candidatus Theologiae, Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel geschenkt; nach einer Notiz G. Milchsacks vom 10. Februar 1912 (VS) stammt der Eintrag "von des Herzogs eigener Hand"; zu Stangwald vgl. R. E. Diener, The Magdeburg Centuries. A bibliographical and historiographical analysis, Diss. masch. Harvard, Cambridge/Mass. 1978, 317–329, bes. 325; Zedler Bd. 39, 1154f.

Heinemann Nr. 40. — H. Cornell, Biblia pauperum, Stockholm 1925, 81f. mit Taf. C, 46a und 48a. — G. Schmidt, Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts, Graz/Köln 1959, 17–20, 65f. (zu Lokalisierung und Datierung) mit Abb. 21a, 22a, 24a. — Kostbarkeiten aus den Bücherschätzen der Bibliothek zu Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 1998, 23f. — Kostbarkeiten aus den Sammlungen der Herzog August Bibliothek. Eine Führung von der Spätantike bis zur Reformation, Wolfenbüttel 1999, 50f. (Nr. 17, mit Abb.). — H. Härtel, Tradition als Herausforderung. Zimelien aus den Sammlungen der Herzog August Bibliothek. Eine Führung von der Spätantike bis zur Reformation, Wolfenbüttel 2007, 68f. (Nr. 24, mit Abb.).

1r-v Physiologus Fragment. Auf jeder der beiden Seiten 4 Bilder (

), jeweils 7 × 11 cm. Die Schrift ist auf 1r an vielen Stellen durch Abrieb unleserlich geworden. Über jedem Bild 2 leoninische Hexameter, die als Tituli dienen: Pellicanus dicor, pro pullis scindo michi cor … Druck: N. Henkel, Studien zum Physiologus im Mittelalter, Tübingen 1976 (Hermaea N.F. 38), 45f. (Nr. 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17). Unter jedem Bild die Beschreibung des dargestellten Tieres mit heilsgeschichtlicher Ausdeutung; die Prosatexte stellen eine Kurzfassung der so genannten Dicta-Version dar (Druck der Dicta-Version: F. Wilhelm, Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 12. Jahrhunderts, Teil B: Kommentar, München 1916, repr. München 1960, 17–44). Henkel, a.a.O., 43; 2VL 7, 626f. Unter den 4 Tierbildern auf 1r Darstellung eines mit Religio bezeichneten Mönchs mit einem turniermäßig unter dem rechten Arm eingelegten Kreuzstab mit Fahne; er kämpft gegen ein mit Figura mundi bezeichnetes Siebenlasterweib, das in der rechten Hand einen Kelch hält; dazu Henkel, a.a.O., S. 108. Die zu dieser Darstellung gehörenden Verse sind größtenteils unleserlich; bei Religio: Vade retro, Sathana, numquam suade michi vana …, vgl. Walther I 19956.

2r10v Biblia pauperum. (Registrum concordantiae Veteris et Novi Testamenti). Unterfamilie Kremsmünster 2 Bildgruppen je Seite, insgesamt 36 Bildgruppen mit Tituli (je 3 Verse), Prophetensprüchen (je 4 Schriftbänder) und 2 Kurzlesungen mit typologischer Beziehung der biblischen Szenen: ›Vipera vim patitur sine vipariente [!] puella‹ Vgl. Walther I 20383. Materia prima. Vetus Testamentum. Legitur in Genesi quod dominus dixit serpenti … Incipit registrum concordancie veteris et novi testamenti … 10v Hic bene decernit [!] sic et qui singula cernit. Legitur in Daniele … — … sanguinemque innoxium ecclesie salvabit. Vgl. Stegmüller RB 9764. Die einzelnen Bildgruppen umfassen folgende Szenen:

Zur Buchmalerei:A. Stange, Die deutsche Malerei der Gotik, Bd. 1: Die Zeit von 1250 bis 1350, Berlin 1934, repr. Nendeln/Liechtenstein 1969, 208; G. Schmidt, Die Malerschule von St. Florian. Beiträge zur süddeutschen Malerei zu Ende des 13. und im 14. Jahrhundert, Graz/Köln 1962, 148. Zur Susanna-Darstellung (10v):C. Brown Tkacz, Susanna as type of Christ, in: Studies in Iconography 20 (1999) 101–153, bes. 142–144. 2VL 1, 843–852; LMA 2, 109f.


Abgekürzt zitierte Literatur

Heinemann O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
LMA Lexikon des Mittelalters, Bd. 1–9 und Registerbd., hrsg. von N. Angermann u. a., München 1980–1999
Stegmüller RB F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980
2VL Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1–12, hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin, New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin, New York 2005–2015
Walther I H. Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum, Göttingen 1959 (Carmina medii aevi posterioris Latina 1)
Zedler J. H. Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 1–63, Supplementbd. 1–4, Halle, Leipzig, 1732–1754, ND Graz 1993–1999