Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung) (Vorläufige Beschreibung)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 404.8 Novi (11)

Sakramentarfragmente

Weißenburg, Benediktinerkloster — 11. Jh., 2. Viertel

Provenienz: 1r Benediktinerkloster Weißenburg, Besitzvermerk: Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli apostolorum in Wißenburg. Die Fragmente gelangten über Heinrich Julius von Blum 1689 nach Wolfenbüttel.

Pergament — 4 Bl. — 24,5 × 15,5 cm

Lagen: Die vier erhaltenen Blätter dienten ehemals als Vorblätter einer Handschrift (Hs. ist nicht mehr bekannt). Weitere Blätter aus dieser Handschrift finden sich in Cod. Guelf. 82 Weiss. und Cod. Guelf. 84 Weiss. und Cod. Guelf. 71 Weiss. (vgl. Teile A, B und C). Neuere Bleistiftfoliierung. Blätter zum Teil unvollständig (übrige Hälften). Schriftraum: 18 × 15,2 cm, einspaltig, 20 Zeilen. Karolingische Minuskel. Hand A: 1rv, 3r4v. Hand B: 2rv. Von Hand A stammt auch das Schutzblatt in Cod. Guelf. 71 Weiss.; Hand B hat die Schutzblätter in Cod. Guelf. 82 Weiss. und Cod. Guelf. 84 Weiss. geschrieben (Hoffmann Schreibschulen Südwesten, 306f.). Große rote 1–3zeilige Anfangsbuchstaben in Capitalis.

INHALT

1r4v Sacramentarium Fragmente (zum Text vgl. Butzmann Extravagantes, Novi, Novissimi, 262, 263).

Fragmente:
  1. Cod. Guelf. 82 Weiss., Schutzblätter. Pergament. 6 Bl. 22,5 × 16,5 cm. Bleistiftfoliierung. Lagen: Vorsatzbl. I-III und Nachsatzbl. IV-VI. 8 Initialen.

    Initialen: Zu einigen Textabschnitten Spaltleisteninitialen in roter Federzeichnung (Ir 2x, IIIv, IVr, IVv 2x, Vr, VIv); Ir mit getrepptem Schaft. Die Initialstämme mit kleinen, teils einfach genagelten Spangen (vgl. Ir) und schlanken Spaltfüllungen. Direkt vom Initialstamm abgehend, kleine Blattsprossen (vgl. Vr, VIv - gegenständig gesetzt) und Knospen, teils mit spitz zulaufenden, nach unten weisenden Seitenblättern (IVr) und überlängter Knospe (IVv). Knospen und Teile des Initialstammes sind als Silhouette angelegte. Im Endbesatz eine Knospe mit überlängtem Mittelblatt (IVr), an Fäden hängende Trifolien (Ir) und ein kleines Herzblatt (VIr). Knospen und Blattsprossen sind auffällig häufig gegenständig gesetzt, die Initialstammendung mit Blattbesatz auf Vr erscheint locker schlaufig geschwungen. 1,9–3,2 cm

  2. Cod. Guelf. 84 Weiss., Schutzblätter. Pergament. 3 Bl. 21,5 × 15,5 cm. Bleistiftfoliierung. Lagen: Vorsatzblätter I, II und Nachsatzblatt III. 3 Initialen.

    Initialen: Spaltleisteninitialen mit Knospenbesatz in roter Federzeichnung (Ir, IIv, IIIr; vgl. Initialen auf den Zusätzen von 82 Weiss.).

  3. 71 Weiss., Schutzblatt. Pergament. 1 Bl. 24,5 × 15,5 cm. Lagen: Vorsatzblatt I, ohne Buchschmuck.

STIL UND EINORDNUNG

Die unter 404.8 Novi (11) geführten Sakramentarfragmente wurden von Butzmann paläographisch nach Weißenburg gegeben und ins 11. Jh. datiert. Er erkannte weitere, zugehörige Fragmente, die in Cod. Guelf. 82 Weiss. und Cod. Guelf. 84 Weiss. als Schutzblätter eingebunden sind (Butzmann Extravagantes, Novi, Novissimi, 262–264). Hoffmann präzisierte die Datierung in 2. Viertel des 11. Jh. und ergänzte die Zusammenstellung um das Schutzblatt in Cod. Guelf. 71 Weiss. (Hoffmann Schreibschulen Südwesten, 306f., Abb. 205b, 206a). Weitere Hinweise auf die ursprüngliche Handschrift fehlen. Die unter 404.8 Novi (11) geführten Fragmente gelangten, bereits in fragmentierter Form, von Weißenburg über Blum nach Wolfenbüttel, so dass davon ausgegangen werden kann, dass auch die anderen drei Handschriften bereits in Weißenburg die Schutzblätter besaßen. Nur die Schutzblätter in Cod. Guelf. 82 Weiss. und Cod. Guelf. 84 Weiss. enthalten Buchschmuck. Dieser wird in den beiden Katalogisaten beschrieben und im Tafelband zusammen unter der Signatur 404.8 Novi (11) geführt. Der Initialstil zeigt die bereits in Cod. Guelf. 2 Weiss. zu erkennende Vorliebe für üppige Knospenformen und gegenständig gesetzte Motive. Anders als in Cod. Guelf. 2 Weiss. treten in den Fragmenten nicht nur regionale Einflüsse aus dem Elsass und Lothringen in den Vordergrund, sondern es bestehen auffällige Parallelen zur Buchmalerei in Südwestdeutschland (getreppter Schaft, an Fäden hängende Besatzmotive und Blattsprossen; vgl. St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 390–391 (Hartker-Antiphonar), Sommerteil, St. Gallen, um 990/1000; von Euw St. Gallen, Nr. 143, Abb. 724–728 - Ritualefragment, München, BSB, Clm 29325(7, Schwaben (?), 11. Jh., 1. Hälfte; Klemm Ill. Hss. 2, Nr. 194, Abb. 431 - Julian von Toledo, München, BSB, Clm 7795, Südwestdeutschland (?), 11. Jh., 2. Viertel bis Mitte; Klemm Ill. Hss. 2, Nr. 198, Abb. 437). Initial- und Blattformen bestätigen die Datierung in die erste Hälfte des 11. Jh.

Butzmann Extravagantes, Novi, Novissimi, 262–264. — Hoffmann Schreibschulen Südwesten, 306f., Abb. 205b, 206a.


Abgekürzt zitierte Literatur

Butzmann Extravagantes, Novi, Novissimi H. Butzmann, Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi, Frankfurt/M. 1972 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 15)
Hoffmann Schreibschulen Südwesten H. Hoffmann, Schreibschulen des 10. und 11. Jahrhunderts im Südwesten des Deutschen Reichs, 2 Bde., Hannover 2004 (MGH Schriften 53)
Klemm Ill. Hss. 2 Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, Bd. 2: Die ottonischen und frühromanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, beschrieben von E. Klemm, Wiesbaden 2004
von Euw St. Gallen A. von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, 2 Bde., St. Gallen 2008