Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil III: Cod. Guelf. 371 bis 460 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser (in Vorbereitung). (Vorläufige Beschreibung)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 455 Helmst.
Isidorus Hispalensis. Beda Venerabilis
Pergament — 142 Bl. — 28 × 18 cm — Saint-Benoît-sur-Loire, Benediktinerkloster Fleury — 9. Jh., 2. Viertel
Lagen: IV+1 (9). 12 IV (105). IV–1 (112). IV–2 (118). 3 IV (141)! Befolgung der Gregory-Regel. Lagenzählung auf dem Fußsteg der letzten Versoseite jeder Lage: q[uaternio] I–q[uaternio] XVIII. Tintenfoliierung modern: 1–141, mitgeheftetes Vorsatzbl. gez., Zählfehler: auf Bl. 120 folgt. Bl. 120a, bei Neubindung je ein ungez. Papierbl. vor- und nachgesetzt. Schriftraum: 20,5–21 × 13–13,5 cm, einspaltig, 28–30 Zeilen. Blindliniierung. Regelmäßige, kalligraphisch wirkende karolingische Minuskel von einer Hand. Die kommentierten Bibelstellen in roter bzw. zeilenweise wechselnd roter und schwarzer Unzialis, vereinzelt auch in Capitalis rustica geschrieben, zusätzlich durch Anführungszeichen (diple) in einfacher und doppelter s-Form hervorgehoben. Die Anfänge der Bücher (2v,, 5r, und 111r) in wechselnd rot-schwarzer Capitalis quadrata. Zusätzlich erfolgt eine (nicht durchgängige) Kennzeichnung der patristischen Zitate in marg. durch das von Beda entwickelte Majuskel-Zitiersystem, vgl. dazu , Quotations in the Venerable Bede’s Commentary on St. Mark, in: Biblica 7 (1926), 428–439; , Source-marks in Bede manuscripts, in: Journal of Theological Studies 34 (1933), 350–354. 2v, federgezeichnete Randleisteninitiale I über 24 Zeilen. Der Buchstabenstamm ist aus mehreren aufeinandergestellten Teilen zusammengesetzt, wobei sich gerade und palmettenartig geschwungene Stücke abwechseln. Die Kompartimente sind mit verschiedenen, abwechslend braunen, grünen und roten Mustern (geometrische Ornamente und Flechtbänder) gefüllt, aus den Gelenkstellen der Teile wachsen kurze Palmettenausläufer hervor. Als Bekrönung dient ein dreieckiger Aufbau mit einem Stierauge auf der Spitze und einer Füllung mit Wellenmuster. Darüber links neben der Rubrik ein Chrismon in Form eines Kreuzes mit verbreiterten, geschwungenen Balkenenden und Wellenornamenten am Schnittpunkt der Balken. 5r, federgezeichnete Randleisteninitiale I über 16 Zeilen in analoger Gestaltung; zwischen die Palmettenausläufer am unteren Ende ist ein menschlicher Kopf mit spitzer Mütze eingefügt. Die I–Randleisteninitiale auf Bl. 111r, am Beginn von Buch IV über 10 Zeilen ist aus mehreren wechselnd braunen, grünen und roten Ornamenten zusammengesetzt und von einem Kopf mit Lockenhaar gekrönt. — Am Beginn der einzelnen Abschnitte zumeist einfache federgezeichnete Initialmajuskeln in Unzialform über 2–3 Zeilen, teilweise mit farbiger Füllung und einfachen Mustern im Binnenfeld. An einigen, insbesondere liturgisch hervorgehobenen Stellen durch etwas größere federgezeichnete Initialen, zumeist mit diversen Palmettenverzierungen, ersetzt, die auf die gleiche Weise wie die großen Randleisteninitialen gestaltet sind. Grundformen: 28v, Initiale I über 8 Zeilen, Buchstabenstamm aus wechseld roten und grünen Prismen und Palmetten zusammengesetzt (derartige Initialen häufig wiederholt und modifiziert); 31r, Initiale Q über 4 Zeilen, Binnenfeld braun, darin Blüte mit wechselnd grünen, weißen und roten Blättern, Cauda als Palmette (wird häufiger wiederholt und abgewandelt); 71v, Initiale P über 6 Zeilen, Buchstabenstamm unten mit rot-grüner Palmette, oben in den Kopf eines Pfaus auslaufend, dessen Schnabel sich mit dem eines anderen Vogels trifft, der jedoch nur in Vorzeichnung ausgeführt ist; 74v, Initiale I über 8 Zeilen, der Buchstabenstamm läuft unten in eine grüne Palmette, oben in eine Zeigehand aus (ähnlich auf Bl. 137v,); 82v, Figureninitiale Q über 4 Zeilen, besteht aus Kopf und Oberkörper eines Menschen, dessen emporgehobener rechter Arm eine palmettenähnlich gestaltete Schreibfeder hält; 114v, Initiale P über 10 Zeilen (zum Osterfest, Mc 14,1) der braune Buchstabenstamm läuft unten in rautenförmige und elliptische Ornamente, oben in eine Palmette aus, im Binnenfeld ein grün-roter Vogel mit gestreckten Krallen; 138v Initiale I über 12 Zeilen zu Mc 16,5, die unten in ein elliptisches Ornament ausläuft und oben von der Büste des Engels bekrönt ist, der die Auferstehung verkündet; im Buchstabenstamm ist in griechischen Majuskelbuchstaben von oben nach unten die lateinische Inschrift ΔΙΔѠΝΙ CΙΤ ΟΗΡΑ ΛΟΧ (muss wohl Didoni sit uera lux lauten) zu lesen.
Halbledereinband des 18. Jh. mit dunkelbraunem Kiebitzpapierüberzug wie bei Cod. Guelf. 438 Helmst. aus der Werkstatt des Buchbinders Anton Friedrich Wirck in Helmstedt.
Herkunft: Entstehungsort und -zeit liegen nach B. Bischoff in Frankreich im 2. Viertel des 9. Jh. (138v inschriftlich genannten ΔΙΔѠ mit Bischof Dido von Laon (886–895) ist nach dieser Datierung der Hs. nicht haltbar. Die paläographischen Merkmale der verwendeten karolingischen Minuskel und der Buchschmuck verweisen auf das Benediktinerkloster Saint-Benoît-sur-Loire in Fleury als Entstehungsort, vgl. 6, XIX (Hs. genannt). — Später im Besitz von Matthias Flacius, auf dem Fußsteg von Bl. 1r Vermerk: Bedanus Presbyter super Marcum Evangelistam (dieselbe Hand wie Cod. Guelf. 442 Helmst., 1r, nicht von Matthias Flacius, sondern von einem Mitarbeiter oder Sekretär der Centuriatoren) und die Signatur № 73 der flacianischen Bibliothek. — Zusammen mit der übrigen Bibliothek des Matthias Flacius am 20.4.1597 von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg für die Wolfenbütteler Hofbibliothek erworben. 1614 im Gesamtkatalog des Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 172 [167]) als Nr. L 21 der Exegetici bibliorum [libri] folgendermaßen verzeichnet: Bedanus presbyter in Marcum manuscriptus in Marcum, ist hinden defect. — 1618 in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt, 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 3v) als Bedae Presbyteri Commentarius in Marcum Evangelistam in membrana, hinten defect, ohne bandt unter den Theologici in folio beschrieben, 1v die zugehörige Helmstedter Signatur T. 36. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 51) unter Nr. 41 aufgeführt. Auf dem VS zusätzliche Notiz von der Hand des Wolfenbütteler Bibliothekars K. P. C. Schönemann: Bedae expositio euang. S. Marci. Cod. membr. Saec. X. Olim Flacii.
, 504 Nr. 7334), eine analoge Datierung und Lokalisierung bei , 55 ("… the MS was copied about 850. My impression is that the scriptorium was in eastern or north-eastern France."). Die in 1380 vermutete Lokalisierung nach Laon aufgrund der Identifikation des in der Initiale auf Bl.— , The library of Fleury. A provisional list of manuscripts, Hilversum 1989 (Middeleeuwse studies en bronnen 3), 289 BF1539. , 99, 233. — (in Vorb., vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
Nr. 489. —1r–v Mitgeheftetes und gez. Vorsatzbl. (siehe unten).
2r Versus de vinea evangelica. Vinea culta fuit cultores premia querunt … — … Tantundem recipit quantum qui venerat ante. 4 Hexameter, von späterer Hand nachgetragen. Druck: 171, 1440A Nr. CXXXII. 20357 (Hs. genannt, Zuschreibung an Hildebertus Lavardinensis wohl unzutreffend). Darüber radiert der erste Satz des Symbolum apostolicum: Credo in deum patrem omnipotentem creatorem caeli et terre.
2v–141v : In Marci evangelium expositio. (2v–3v) ›In Christi nomine incipit prologus Bedani presbyteri in libro commentariorum super Marcum‹ … — … ›Explicit prologus‹. 2v Notiz des 14./15. Jh.: Prologus Bedani presbyteri in librum commentariorum super Marcum. (3v–5r) ›Incipiunt capitula‹. Kapitel nur bis Nr. XXVII (4r) gezählt, danach Anfänge der Einträge durch rote bzw. silbern gefüllte Binnenfelder der Satzmajuskeln gekennzeichnet. (5r–141v) ›Principium [corr. ex Initium] Evangelii Ihesu Christi Filii Dei‹. Initium sancti evangelii secundum Marcum sicut scriptum est in Esaia propheta Ecce mitto angelum meum … viam tuam ante te [Mc 1,1–2] et reliqua. Conferendum hoc evangelii Marci principium Mathei quo ait … — … Nonne ipsi primitus fuerant obiurgandi quod ante … (Text bricht ab). Textverlust zwischen Bl. 112 und 113r durch 3 verlorene Bl.: … in persequutionibus fieri crebro vidimus nec enim ullus inter eos (112v in Mc 13,12, p. 597 lin. 104, Text bricht ab; 113r in Mc 13,29, p. 602 lin. 272 Text setzt ein) si senuerit in terra radix eius et in pulvere mortuum [!] fuerit … Textverlust am Schluss (letzte Lage fehlt, maximal ein Binio). Die Gliederung des Textes in Bücher ist lediglich zwischen Buch III und IV (111r) durchgeführt. Auf Bl. 37r durch Zeilensprung und falschen Satzanschluss Textlücke: (in Mc 4,22, p. 485 lin. 1887) Tunc enim et vos a deo laus propter vos ut sic quisque intelligat post remissionem peccatorum redeundum esse sibi in conscientiam bonam … (in Mc 5,18–19, p. 495 lin. 244). Der fehlende Text ist folgendermaßen in den Kommentar zu Mc 6,8–9 (43v–49v) eingefügt: (Bl. 43v, in Mc 6,8–9, p. 504 lin. 624) … deberi monstraret ab illis quibus evangelium et adversarios veritatis paena manet eterna (in Mc 4,22, p. 485 lin. 1887) … — … (Bl. 49v, in Mc 5,18–19, p. 495 lin. 243) Christo multo magis optimum manere in carne necessarium credentibus adnuntiarent. Claret autem haec non ita praecepisse dominum … (in Mc 6,8–9, p. 504 lin. 624sq.) Die Brüche resultieren nicht aus Bindefehlern, sondern dürften vermutlich schon in der Vorlage vorhanden gewesen sein. Vollständig und mit korrekter Textabfolge in Cod. Guelf. 102 Gud. lat., 3ra–85rb; 19 Weiss., 1ra–114va; Auszüge (als Marginalglossen) in Cod. Guelf. 26 Weiss., 92r–136r. Druck: 92, 131D–302D; 120, 431–648 (hier 431–485, 495–504, 485–495, 504–597, 602–645, in dieser Reihenfolge, vergl.). , 50–55 (55 Hs. genannt); 1613; 1355; , 72 Nr. 152.16; 1, 175 Nr. 20.
Abgekürzt zitierte Literatur
B. Bischoff, Frühkarolingische Handschriften und ihre Heimat, in: Scriptorium 22 (1968), 306–314 | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
B. Bischoff, Panorama der Handschriftenüberlieferung aus der Zeit Karls des Großen, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, hrsg. von Dems., Bd. 2, Düsseldorf 1965, 233–254, hier zitiert nach dem ND, in: Ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1981, 5–38 | |
C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999– | |
Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954– | |
Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971 | |
Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina) | |
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M. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters, Stuttgart 2001 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19) | |
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Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von S. Westphal (in Bearbeitung) | |
M. L. W. Laistner, H. H. King, A hand-list of Bede manuscripts, Ithaca/N.Y. 1943 | |
Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865 | |
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