geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil IV: Cod. Guelf. 462 bis 615 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung (Vorläufige Beschreibung)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 474 Helmst.
Auslegung des Hohen Liedes. Conradus de Saxonia
Papier — I, 292, I Bl. — 28 × 20 cm — Braunschweig — 1437
Wasserzeichen: Blüte mit Beizeichen, darüber Stange (mehrere Typen, nicht nachweisbar, auch in Cod. Guelf. 458 Helmst.). Unziales M, zweikonturig, darüber Krone (mehrere Typen, nicht nachweisbar, auch in Cod. Guelf. 458 Helmst.). Lagen: VI+1 (12)! 16 VI (204). VIII–2 (218). 6 VI (290). II–2+1 (292)! Zwei separate Lagenzählungen in römischen Zahlen, jeweils auf dem Kopfsteg der ersten Rectoseite jeder Lage: I–XVIII (Bl. 1–218) und II–VII (B. 219–292). Lagenmitte mit Pergamentfalzen verstärkt. Alle kodikologischen Merkmale stimmen mit dem ersten Teil von Cod. Guelf. 458 Helmst. überein. Bleistiftfoliierung modern: 1–292, um die erste bzw. letzte Lage gehängte Vorsatzbl. aus Pergament leer, ungez. Schriftraum: 21 × 14–15 cm, zweispaltig, 37–38 Zeilen. Sehr regelmäßige Bastarda mit kursiven Zügen von einer Hand, die auch Cod. Guelf. 458 Helmst., 1ra–131rb, schrieb. Rubriziert, rote Lombarden.
Spätgotischer Holzdeckelband mit dunkelbraunem Kalbslederbezug. Streicheisenlinien. Einzelstempel (nur VD): Ornament Punkt: s003492. Rosette, ein Blattkranz, sechsblättrig: s008024. Der Werkstatt "Braunschweig, Dombuchbinder" ( w000987) zugeschrieben. Vier Doppelbünde. Überzogenes, abgestepptes Kapital. Zwei Riemenschließen mit langem, dreieckigem Wulstlager, Schließenriemen und -haken verloren, nur noch Gegenbleche erhalten. Auf VD und HD jeweils 5 Hohlbuckel, getrieben aus einer quadratischen Platte mit eingekerbten Kanten. Die vier vorderen Ecken sind jeweils mit einer dünnen, schmalen Kantenleiste geschützt. Gleichartig gestaltete Einbände tragen auch Cod. Guelf. 1219 Helmst. und 1.7.7 Aug. 2°, vgl. dazu , Vom Umgang mit der Menge. Konservierung und Restaurierung im Rahmen eines Forschungsprojektes zu niedersächsischen Klosterbibliotheken, in: Auch Bücher altern. Bestandserhaltung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hrsg. von , Wiesbaden 2012 (Wolfenbütteler Hefte 31), 51–75 (72f. mit Abb. 13 Hs. genannt).
Herkunft: Der Codex wurde 1437 in einem professionell arbeitenden Skriptorium angefertigt, das nach Ausweis der enthaltenen Texte und des Einbandes vermutlich im Braunschweiger Raum zu lokalisieren ist. — Später gehörte der Band dem Braunschweiger Patrizier und Ratsherrn Tile von Sesen, vgl. den Besitzvermerk auf dem HS: Tile van Sesen est possessor huius libri. Er ist zweifach als Provisor an geistlichen Einrichtungen in der Stadt nachgewiesen, und zwar zunächst der Kirche St. Ulrici (1424–1434) und anschließend bis 1449 am Kreuzkloster, siehe dazu , 137 Nr. 51-I; Ob Tile von Sesen den Codex aus seinem Besitz direkt in das von ihm betreute Kreuzkloster gab, von wo er im 16. Jh. zusammen mit , Das Fürsorgewesen der Stadt Braunschweig in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Eine exemplarische Untersuchung am Beispiel des St. Thomae-Hospitals, Braunschweig 1988 (Braunschweiger Werkstücke 24), 79, 254, 260.Cod. Guelf. 1400 Helmst. ins Augustiner-Chorfrauenstift Steterburg gebracht oder ob er direkt dorthin transferiert wurde, ist nicht mehr nachweisbar. — Am 18.3.1572 wurde er mit den übrigen Steterburger Codices in die Wolfenbütteler Hofbibliothek überführt, ein entsprechender Vermerk auf dem Vorsatzbl. (Ir): Auss Stetterburg den 18 Martii anno 72 zu Wulffenbuttel Einkummen. 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 170 [175]) unter den Exegetici in quarto als In Cantica Canticorum manuscriptum deutsch geschrieben anno 1437. Ibidem Speculum Mariæ deutsch et Explicatio Ave Maria deutsch in gros 4to mit der Signatur N 21 nachgewiesen. Seit 1618 in der Universitätsbibliothek Helmstedt, 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 7v) als Commentarius in Cantica Canticorum in alter Sachsischer sprach scriptus anno 1437. Speculum Mariæ in alter Sächsischer sprach unter den Theologici in folio beschrieben; auf dem VS die entsprechende Helmstedter Signatur T. 129. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 163 genannt.
— , und , Bücher in Bewegung. Dynamisierung und Inventarisierung der Buchbestände im Augustiner-Chorfrauenstift Steterburg, in: Die Bibliothek des Mittelalters als dynamischer Prozess, hrsg. von , und , Wiesbaden 2012 (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 3), 147–175, hier 167f. — , Bücherlegate in norddeutschen Städten des Spätmittelalters. Soziale Interaktionen und Transferbedingungen, in: "Es geht um die Menschen". Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters für Gerhard Fouquet zum 60. Geburtstag, hrsg. von und , Frankfurt/Main 2012, 127–144, hier 145. , 139–142, 145, 147f., 150, 152–154, 262, 296, 407, 419. — Nr. 17115.
, 51 Nr. 241 (mit der alten Helmstedter Signatur aus dem Katalog von 1644 exzerpiert). — , 75 Nr. 5.3. — , 69. — Nr. 508. — , 13. — , 739. —Schreibsprache: Mittelniederdeutsch (ostfälisch).
1ra–218vb Auslegung des Hohen Liedes. (1ra–4ra) Prolog. ›Hic liber intytulatur cantica canticorum‹. An deme male dat we bosheit sin de to deme ersten kiuen weder vnse sele dat is de ydele leue der werlt … — … hoghe echt to tredende mit deme hoghen brodegamme wol ghe schicket mit dogheden. (4ra–218vb) Text. ›Sequitur textus cantica canticorum. Capitulum primum et primum membrum‹. Osculetur me osculo oris sui. Ach dat he my kussede mit dem kusse sines mundes [Ct 1,1]. Eyr dat godes sone Christus to der werlde quam vnde wart geboren von Marien der iuncvrowen … — … seyt minen brodegam an welk ein vredesam koningh dat he is den ik soke vnde dar ik na iaghe etc. ›De exemplar dar dit bok ut screven is de enhelt nicht mer van dussen reden etc.‹ Anno domini Mo CCCCo XXXVIIIo in sunte Peter vnd Paulus avende [28.6.1437] wart dit vulbracht. Der Text der Cantica canticorum wird nicht vollständig ausgelegt; der Kommentar umfasst den Text Ct 1,1–3,8. Schreibsprache des Haupttextes mittelniederdeutsch (ostfälisch), die zu kommentierenden Passagen des Hohen Liedes zuerst in lateinischer Sprache (wie auch sämtliche Rubriken), danach in mittelniederdeutscher Übersetzung anzitiert. Allein der Schluss des Textes aus einer von der gleichen Hand angefertigten weiteren Abschrift (mit identischer kodikologischer Ausstattung, Lagenzählung und Rubrik) in Cod. Guelf. 458 Helmst., 1ra–va. Ungedruckt. Literatur: , 52 und 169 (Hs. genannt); 11, 1358–1368 (1366 Hs. genannt).
219ra–292vb : Speculum BMV (mnd. Übersetzung). ›Dyt bok Marien spegel het Dar man wat sut orer werdicheit Maria gif dat ik nicht vor wende Anbegin middel vnde ende Gif dat ik din bok also dude Dat sik io des beceren de lude‹. (219ra–220va) Prolog. Wente also sunte Ieronimus secht nemende twiuele dat van entsceit wente er io gans to godes ere vnde lone geit … — … En bom io vele telgen hat Dar io vele vruchte vppe stat De vrucht is io Marien lof Des sik vrowet de hemmelsche hof In godes namen Amen. (220va–292vb) Text. ›Ave Maria gracia plena dominus tecum Benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui Amen‹. Hore du aller soteste Maria hore nye mere hore wunder hore also her David din vader sprikt … — … to male vil loues vnde vrucht der benediden Marien de ewichliken ghelouet sy mit oreme kinde Amen. ›Explicit speculum Marie‹. Zum Text vgl. Cod. Guelf. 458 Helmst., 46ra–121rb.
Abgekürzt zitierte Literatur
C. Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften in Wolfenbüttel und einigen benachbarten Bibliotheken. Dritter Reisebericht, Göttingen 1902 (Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse 1902, Beiheft) | |
Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel) | |
Handschriftencensus. Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters. Online-Datenbank: https://handschriftencensus.de/ | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
B.-J. Kruse, Stiftsbibliotheken und Kirchenschätze. Materielle Kultur in den Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 28) | |
S. Reidemeister, Genealogien Braunschweiger Patrizier- und Ratsgeschlechter aus der Zeit der Selbständigkeit der Stadt (vor 1671), hrsg. von W. Spiess, Braunschweig 1948 (Werkstücke aus Museum, Archiv und Bibliothek der Stadt Braunschweig 12) | |
K. F. A. Scheller, Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen Sprache, hauptsächlich nach den Schriftdenkmälern der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel, Braunschweig 1826 | |
K. P. C. Schönemann, Zur Geschichte und Beschreibung der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Serapeum 18 (1857), 65–91, 97–107 | |
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 12 Bde., hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin/New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin/New York 2005–2015 | |
Neue Beiträge zur Geschichte der deutschen Bibel im Mittelalter, hrsg. in Gemeinschaft mit O. Grüters und E: Zimmermann von H. Vollme, Potsdam 1938 (Bibel und deutsche Kultur 8 = Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters 18) |